Die magischen Jahre (the magic years)

Teil zwei (part two)



Fanfiction by Lorelei Lee

Kapitel 28 und 32 nur für Erwachsene
(chapter 28 and 32 adults only)



"the baby with the power"

Kapitel 25

All dieser leichtfertigen Vergnügungen ungeachtet, rückte Sarahs 22. Geburtstag immer näher. Sie versuchte krampfhaft, nicht daran zu denken, und dennoch... unwillkürlich zog sie Bilanz. Vor einem Jahr war Jareth so unvermittelt zum zweiten Mal in ihr Leben getreten und hatte es gehörig durcheinandergewirbelt. Sie konnte sich leider immer noch nicht entscheiden, ob ihr das gefallen sollte oder nicht. Zudem hatte sie vor einem knappen Jahr ihre Stelle in einer fremden Stadt angetreten, fast einen Liebhaber gefunden und sofort wieder verloren und war befördert worden. Eine reife Leistung für eine junge Frau, das mußte sie ohne falsches Eigenlob anerkennen. Warum nur war sie in letzter Zeit so weinerlich und schlapp? Sogar Tess war die Veränderung an ihrer "Chefin" aufgefallen, obwohl sie derzeit in einer rosaroten Wolke schwebte und nicht allzuviel vom wirklichen Leben mitbekam. Die innere Ruhe und Sicherheit und vor allem der Glanz den Sarah noch vor ein paar Wochen ausgestrahlt hatte, war wie weggeblasen. Übriggeblieben war ein zimperliches Geschöpfchen, das verzweifelt versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Tess, die es nicht besser wissen konnte schob es auf Fireys plötzliches Verschwinden und schüttelte den Kopf.
Als Sarahs Geburtstag schließlich angebrochen war, geriet die fabelhafte Maske langsam aber sicher ins Bröckeln, bis sie dann am Abend mit einem lauten Knall in sich zusammenfiel.
"Guten Abend, Jareth"
"Guten Abend, Sarah!" begrüßte er sie, dann stutzte er. "Hast du noch dein Bürokostüm an? Sehr schick!" Er selbst hatte sich für diesen besonderen Anlaß noch ein bißchen sorgfältiger angekleidet, als er es sowieso schon tat. Zu einer dunkelgrauen Hose trug er schwarze Stiefel und ein blutrotes Hemd mit schwerer, hellgrauer Spitze an Manschetten und Kragen. Ein langes schwarzes Cape hing locker über seiner rechten Schulter. Dunkelgrau war auch die Farbe von Sarahs Kostüm. Der Blazer war hüftlang und sehr figurbetonend, der asymmetrische Schnitt des Revers unterstrich noch die kühle Eleganz. Zu dem bleistiftengen Rock in italienischer Länge trug Sarah noch eine fliederfarbene Stehkragenbluse ohne Ärmel. Die Bluse war leicht transparent, weshalb Jareth das Schimmern ihrer Goldkette wahrnehmen konnte, die sie ständig trug. Sie sah so apart und wunderschön aus, daß er nahezu zu Tode erschrak, als sie wie aus heiterem Himmel anfing zu schluchzen.
"Oh, Jareth! Ich halte das nicht mehr aus! Heute war der schrecklichste Tag meines Lebens! Heute morgen haben meine Kollegen ein Ständchen für mich gesungen. Der Chef hat einen Blumenstrauß vorbeigebracht, dann mußte ich noch mit allen anstoßen. Anschließend bin ich den ganzen Tag von einer Sitzung in die andere gehetzt, habe zwischendurch noch tausende von Aktennotizen diktiert und abgezeichnet und kurz vor Feierabend ist mein Rechner abgestürzt. Kaum bin ich hier zur Tür reingekommen, hat das Telefon angefangen zu klingeln und hat bis vor zwei Minuten nicht wieder aufgehört. Ich wußte gar nicht, wie viele Verwandte ich habe - und alle wollen mir zum Geburtstag gratulieren. Dabei interessiert es sie gar nicht wirklich, wie es mir geht! Oh, Jareth, ich hätte nie gedacht, daß es so gräßlich ist, an seinem Geburtstag nicht zu Hause zu sein! Ich habe hier absolut niemanden, der mich lieb hat!"
Jareth hatte zwar schon von weiblicher Unlogik gehört, doch diese Darbietung überstieg seine kühnsten Vorstellungen bei weitem.
"Ich bin doch auch noch da", wagte er schließlich sanft einzuwenden.
"Du bist eben nicht da!"
Durch den unverkennbar wütenden Unterton in ihrer Stimme vorsichtig geworden, unternahm er trotzdem einen zweiten Vorstoß.
"Bis Halloween ist es ja nicht mehr lange..."
"Ich kann nicht bis Halloween warten, um hinterher dann wieder ein ganzes Jahr aufs nächste Fest zu warten. Ich kann nicht mein ganzes Leben mit warten verplempern! Ich brauche dich hier bei mir und zwar jetzt!"
Jareth konnte fast fühlen, wie schnell die Farbe ihrer Aura umschlug. Er war sehr ruhig geworden und wagte kaum zu blinzeln. Wenn sie in dieser Verfassung war, konnte so gut wie alles passieren. Es wäre sogar möglich, daß sie die magischen Worte aussprach, die er ihr vor nicht allzulanger Zeit anvertraut hatte. Doch das allerschlimmste für ihn war, daß er beim besten Willen nicht wußte, ob er enttäuscht wäre, wenn sie es nicht tun würde. Er konnte lediglich abwarten. Sie fixierte ihn mit ihrem Blick, saugte sich förmlich an ihm fest, bevor sie die Augen niederschlug. Ihre Verzweiflung war gewichen. Sie war zu einer Entscheidung gekommen.
"Sarah, überlege dir gut, was du tust", sagte Jareth. Doch Sarah hatte ihn offensichtlich nicht gehört. Ein trauriges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und sie murmelte: "Déjà vu..." vor sich hin, bevor sie die Augen schloß und die magischen Worte zitierte.
"Ich wünsche, daß der König der Kobolde unbegrenzten Zutritt zu meinem Reich erhält - ab diesem Augenblick." Bei dem letzten Wort öffnete sie die Augen wieder und blickte gespannt auf den Spiegel vor sich. Jareths Bild hatte sich bereits getrübt und verschwand nun völlig. Für den Bruchteil einer Sekunde war der Spiegel schwarz und zeigte dann Sarahs Spiegelbild. Sie blinzelte verwirrt, da spürte sie hinter sich im Raum eine Bewegung.
"Ich kann nicht glauben, daß du es wirklich getan hast."
Sarah wirbelte herum und flog erleichtert in seine Umarmung. Seine Stimme mochte sie zwar tadeln, doch seine Arme waren für sie weit geöffnet und seine Lippen hatten nur auf sie gewartet.
Sie küßten sich stürmisch, bis sie genug davon hatten und sich nur noch aneinanderklammerten wie Ertrinkende. Lange Zeit sprach keiner von ihnen ein Wort. Beide waren völlig damit ausgefüllt, die Nähe des anderen zu spüren.
"Ich hatte schon fast vergessen, wie gut sich das anfühlt", murmelte Jareth schließlich in ihr Haar. Sie seufzte glücklich und schmiegte sich noch enger an ihn.
"Es ist merkwürdig", fuhr er fort, "Wie oft habe ich darüber nachgedacht, was ich tun würde, wenn ich dich erst in meinen Armen hätte.... doch jetzt, wo es soweit ist....", er zögerte. Er legte seine Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht leicht an. Er musterte sie mit einem Gesichtsausdruck, den sie nicht zu deuten vermochte.
"Jetzt wo es soweit ist, möchte ich nur noch Eines."
Sie errötete und senkte verwirrt den Blick. Sie hätte nicht gedacht, daß er so schnell mit ihr in medias res gehen wollte. Als er jedoch sah, wie ein roter Hauch ihr Gesicht voller Verlegenheit überzog, merkte er, daß er sich sehr ungeschickt ausgedrückt hatte.
"Sieh mich an, meine kleine Elfe. Das habe ich nicht gemeint..."
Zu behaupten, Sarah wäre darüber sehr erleichtert gewesen, wäre übertrieben. Aber sie war dennoch froh, daß sie ihren Liebsten nicht falsch eingeschätzt hatte. Oh, sie hatte durchaus nichts gegen einige sinnliche Erfahrungen mit ihm, aber dieses Tempo wäre für ihren Geschmack doch etwas zu forsch gewesen.
"Komm nach nebenan. Wir müssen reden." Burschikos zog sie ihn hinter sich her in ihr Wohnzimmer.
"Setz dich bitte. Ich hole noch die halbe Flasche Sekt. Immerhin habe ich heute Geburtstag!"
Leicht benommen nahm er auf ihrem Sofa Platz, wobei er ein Bein unter das andere schlug. Was er jetzt zu sagen hatte, fiel ihm nicht leicht. Doch er konnte nicht zulassen, daß sie bei ihm von falschen Voraussetzungen ausging. Sarah brachte die vollen Sektgläser, blieb jedoch hinter dem Sofa stehen und beugte sich nur leicht über die Lehne. Sie hatte ungefähr eine Vorstellung davon, was er ihr nun sagen wollte, so daß sie ihm seine Beichte hätte erleichtern können... doch sie dachte nicht daran, ihm zu helfen. Da mußte er ganz alleine durch!
Jareth drehte das Glas in seinen Händen und starrte eine Weile hinein, als ob die Lösung seiner Probleme auf dem Grunde dieses Glases liegen würde. Er kam schließlich zu dem Schluß, daß dies nicht der Fall war und räusperte sich.
"Was ich vorhin sagen wollte... ich - ich würde es begrüßen, wenn wir nichts überstürzen... ich meine - ich bin ziemlich unerfahren in diesen Dingen." Jetzt war es heraus! Demütig schloß er die Augen. Bestimmt würde sie ihn jetzt gleich auslachen, und dann wieder hinauswerfen. Ob sie sehr enttäuscht von ihm war? Doch Sarah zeigte keine der erwarteten Reaktionen. Vorsichtig sah er wieder zu ihr auf. In ihren Augen stand nur ihre übergroße Liebe zu ihm. Sie hielt seinen Blick fest und sagte sanft: "Ich weiß."
Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. "Du hast es gewußt? Du hast es die ganze Zeit über gewußt? Wie....?"
Sie lächelte immer noch, als sie um das Sofa herumging und sich neben ihn setzte.
"Ich werde dir sagen, woher ich es gewußt habe. Erstens: ich habe gespürt, daß es damals dein erster Kuß war. Aber ich kann dich beruhigen: du lernst verflucht schnell." Sie warf ihm einen schelmischen Blick zu und er fühlte sich wieder ein wenig wohler in seiner Haut. "Und zweitens war es die reine Logik. Da außer dir keine anderen Menschen in deinem Reich leben und du selbst schon als Säugling dorthin gekommen bist, war es einfach logisch. Außer, du hättest mit deinen Kobolden...." Sie grinste, während er sein Gesicht in gespielter Abscheu verzog.
"Pfui! Das traust du mir zu?"
"Nein. Eben deshalb war es ja so logisch."
Er seufzte. "Und es macht dir nichts aus?"
"Warum sollte es?" Leichte Röte überzog wieder ihr Gesicht. "Ich habe kaum mehr Erfahrung als du."
Er rückte näher an sie heran, bis ihre Lippen nur noch einen Kuß voneinander entfernt waren. "Wie schade", flüsterte er heiser. "Ich hatte gehofft..."
"Ich denke doch, daß ich dir das eine oder andere beibringen könnte..."
"Warum fangen wir nicht gleich damit an? Du wirst sehen, ich werde ein sehr fleißiger Schüler sein."
"Einverstanden, aber ich warne dich: Ich werde keine einzige Lektion auslassen!"
"Das möchte ich dir auch geraten haben..." Spielerisch leckte er mit seiner Zunge über ihre Lippen, bis sie sicher war, vor Verlangen den Verstand zu verlieren und über ihn herfiel.


Kapitel 26

"Bist du sicher, daß ich dir nicht helfen soll?"
"Nein", beharrte Sarah. "Du hältst schön weiter das Tuch fest. Die restlichen Splitter finde ich auch alleine."
Sarah hatte bei ihrem sinnlichen Vorstoß nicht bedacht, daß beide noch die Sektgläser in ihren Händen gehalten hatten. Beide waren bei ihren heftigen Küssen zu Bruch gegangen, wobei Jareth zwei kleine Schnitte in der Hand davon getragen hatte. Sie waren wirklich nicht der Rede wert, weshalb er zuerst auch gar nichts gesagt hatte. Erst als er bemerkte, daß er blutete, machte er Sarah auf die Scherben aufmerksam.
"Wenn ich gewußt hätte, daß du so ein Theater um das bißchen Blut machst, hätte ich nichts gesagt. Ich wollte nur nicht, daß dein Kleid schmutzig wird."
Sarah hatte nach einer letzten Inspektion keine Splitter mehr im Sofa gefunden und konnte sich nun wieder ihrem Verletzten widmen. Gewissenhaft untersuchte sie seine Hand, während er den Anblick genoß, den ihr Ausschnitt ihm bot.
"Ich schäme mich ja so. Es war so dumm von mir."
"Ich fand es sehr aufschlußreich..."
Sie bemerkte die Richtung seines Blickes. "Du bist unverbesserlich", rügte sie sanft.
"Nein, das siehst du falsch. Ich habe lediglich einigen Nachholbedarf. Siehst du, es blutet schon nicht mehr. Du liebe Zeit, ich bin nicht aus Zucker!" Mit diesen Worten zog er sie gewaltsam auf seinen Schoß. Sarah hatte allerdings gar nichts gegen diese grobe Behandlung einzuwenden.
"Nein, kleine Mädchen sind aus Zucker! Kleine Jungs sind aus Schnecken gemacht. Die anderen Zutaten habe ich vergessen." Sie kicherte übermütig, als er sie auf den Nacken küßte. "Du hast mir noch gar nicht zum Geburtstag gratuliert!" fiel ihr plötzlich ein.
"Oh, hast du mich jetzt nicht mehr lieb?"
"Vielleicht..."
"Das Risiko kann ich nicht eingehen! Der König der Kobolde überbringt dir hiermit seine allerherzlichsten Glückwünsche zu deinem Geburtstag, liebste Elfe! Hast du mich jetzt wieder lieb?"
"Oh, ja!!"



Kapitel 27

Jareth kehrte erst im Morgengrauen wieder in sein eigenes Reich zurück. Er war vor Glück wie betrunken. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Um den Tag über einen klaren Kopf zu behalten, beschloß er, ein wenig in dem Heckenlabyrinth spazieren zu gehen. Er verwandelte sich gerade in seine menschliche Gestalt zurück, als die Sonne über seinem Reich aufging. Er hatte schon viele schöne Sonnenaufgänge gesehen, doch keiner hatte ihn so berührt wie dieser. Gebannt sah er die Schatten der Nacht verschwinden und wie eine blutrote Sonne die Mauern seines Labyrinths für einige Augenblicke in Brand zu setzen schien.
"Mein Labyrinth brennt", dachte er. "Genau wie ich selbst brenne." Langsam fing er an zu gehen. Die kühle Morgenluft tat ihm gut. Ohne es zu bemerken, ging er immer weiter, bis er mitten im Wald des Schweigens war. Überrascht sah er sich um. Sein Kopf war die ganze Zeit über merkwürdig leer gewesen, so daß er gar nicht gemerkt hatte, wohin er eigentlich ging. Er überlegte gerade, ob er weitergehen sollte, oder ob er besser ins Schloß zurückflog, als er Gelächter und Stimmen hörte. Gelächter im Wald des Schweigens? Das war nun mehr als unwahrscheinlich! Neugierig ging er in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Auf einer kleinen Lichtung traf er schließlich auf Hoggle, Ludo und Sir Dydimus, die im weichen Moos saßen.
Es war schwer zu sagen, wer von ihnen überraschter war.
Hoggle bekam den Mund fast nicht wieder zu und war davon überzeugt, daß sein König in ganz besonders auf dem Kieker hatte. Sir Dydimus runzelte die Stirn, sprang dann aber sofort auf, um sich vor dem König zu verbeugen und Ludo brummte lediglich: "König."
Der König selbst war so perplex von dieser kleinen Versammlung, daß er anfing, sich zu entschuldigen.
"Ich wollte nicht stören... ich hörte Stimmen und..." er unterbrach sich. "Was tue ich hier eigentlich", dachte er. "Ich bin hier der König. Ich brauche keine Entschuldigung."
Er runzelte leicht die Stirn und Hoggle, der es bemerkte, sah sich verzweifelt nach einem geeigneten Versteck um. Bevor er noch eines gefunden hatte, oder Jareth entschieden hatte, wie er sich nun verhalten sollte, sprang Sir Dydimus in die Bresche und lud den König mit einer Handbewegung ein, näher zu treten.
"Eure Majestät! Wollen Sie sich nicht zu uns gesellen? Ich wollte gerade etwas zur Sprache bringen, das auch Eure Majestät interessieren dürfte."
Jareth ging auf die Drei zu und setzte sich tatsächlich zu ihnen, doch sein Unwillen stand ihm klar ins Gesicht geschrieben.
"So? Und warum habt Ihr dann um keine Audienz ersucht, werter Sir?"
Hoggle verdrehte die Augen und wünschte sich eine Million Meilen weit fort.
"Ich wollte erst sichergehen, daß es sich nicht um eine Lappalie handelt, Eure Majestät. Es wäre nicht recht, Euch mit Nichtigkeiten die Zeit zu stehlen."
Jareth war entwaffnet, aber er spürte, wie der Zorn in ihm aufstieg. Ludo blickte von einem zum anderen und verstand gar nichts. Warum konnten seine Freunde nicht einfach sagen, um was es ging. Immer machten sie so viele Worte!
Sir Dydimus hatte inzwischen aus einer von Ambrosius´ Satteltaschen ein zusammengefaltetes Tuch geholt und breitete dies nun auf dem Boden zwischen den anderen aus. Es enthielt eine einzelne weiße Rose. Hoggle und Ludo entging der Ernst der Lage völlig. Jareth starrte auf die Rose, als wäre es eine Bombe und spürte wie sein Mund trocken wurde.
"Blume", sagte Ludo schließlich und kratzte sich am Kopf.
Jareth riß sich vom Anblick der Rose los. "Woher habt Ihr sie, Sir Dydimus?"
"Ich habe sie auf meinem Morgenritt entdeckt. Einen ganzen Strauch voll, Eure Majestät. Ich habe diese eine Blüte davon abgepflückt."
"In welchem Teil des Labyrinths?"
"An der Stadtmauer, Eure Majestät."
Nachdenklich nahm Jareth die Rose in die Hand und betrachtete sie. "Sie ist wunderschön."
Sir Dydimus räusperte sich. "Wenn ich mir noch eine Frage erlauben darf?"
Jareth gab nickend sein Einverständnis.
"Was hat der weise Mann damals über dieses Phänomen gesagt? Ihr wolltet ihn doch damals befragen."
Jareth grinste. "Seinen Hut fand ich sehr amüsant. Der weise Mann selbst... Ich weiß nicht, es war reichlich ungereimtes Zeug. Eine vernünftige Antwort konnte er mir wohl nicht geben." Er zuckte mit den Schultern.
"Genau dasselbe habe ich damals auch gedacht, der redet nur Blödsinn, er kam mir fast noch verrückter vor, als sein Hut", mischte sich Hoggle ein. "Sarah konnte mit dem Quatsch allerdings etwas anfangen. Immerhin sind wir hinterher aus dem Teil des Labyrinths wieder herausgekommen." Erschrocken hielt er sich die Hand vor den Mund. Was hatte er da nur wieder gesagt! Er hatte den König als Dummkopf hingestellt! Diesmal war ihm der Sumpf des ewigen Gestanks sicher!
Doch zu Hoggles Überraschung lächelte Jareth nur versonnen.
"Sarah. Ja, sie ist ein verdammt cleveres Mädchen. Vielleicht sollte ich sie das nächste Mal fragen, wie ich die Sprüche des weisen Mannes zu deuten habe."
"Das nächste Mal?" keuchte Hoggle, während Sir Dydimus nur ein überraschtes Kläffen von sich gab.
Nur Ludo blieb ruhig. "Nachricht von Sarah?" brummte er langsam.
Jareth blickte lächelnd in die Runde. Was für einen niedlichen Sturm im Wasserglas hatte er da wieder entfacht. Er preßte kurz die Lippen aufeinander und überlegte, wieviel er ihnen erzählen sollte.
"Ja, es gibt Neuigkeiten von Sarah. Sie liebt mich", sagte er schlicht und wartete gespannt auf die Reaktion, die diese Bombe auslösen würde.
Während Hoggle und Sir Dydimus noch um Worte kämpften, hatte Ludo zum ersten Mal begriffen, worum es in diesem Gespräch ging. Warum konnten sich nicht alle so einfach ausdrücken wie der König?
"Sarah - König - glücklich", brummte er zufrieden.
Jareth musterte ihn erfreut. "Ja, das sind wir. Wir sind sehr glücklich." Amüsiert betrachtete er Hoggle und Sir Dydimus. Beiden traten fast die Augen aus dem Kopf. Es war sicher besser, sie nun alleine zu lassen. Er stand auf. "Es war reizend, mit Euch zu plaudern, aber ich muß jetzt ins Schloß zurück. Die Rose werde ich an mich nehmen." Einen Augenblick später hatte er sich in eine weiße Eule verwandelt und flog davon.
"Vogel", brummelte Ludo.
"Ich hab's euch doch gleich gesagt", platzte Hoggle heraus. "Er hat ihr völlig den Kopf verdreht. Ihr wolltet es mir ja nicht glauben!"
Sir Dydimus war sichtlich um seine Fassung bemüht. Im Prinzip hatte er es ja schon gewußt. Der König selbst hatte es im schließlich gesagt, daß er um Lady Sarah warb. Er hatte nur nicht ernsthaft damit gerechnet, daß sie ihn so bald erhören würde. Das war gar nicht üblich. Normalerweise machte man einer Lady jahrelang den Hof. Wo hatte man so etwas schon gehört, daß eine Lady schon nach wenigen Wochen ihre Gunst verschenkte!
Da seine beiden Freunde wieder einmal sprachlos waren, wurde Ludo ein Frage los, die ihm gerade durch den Kopf ging. "Sarah - Königin?"
Wäre Hoggle nicht schon gesessen, bei dieser Frage wäre er garantiert umgefallen.
"Seht ihr!" rief Hoggle. "So weit ist es nun gekommen. Er hat sie völlig verzaubert, sie wird ihn heiraten und was haben wir getan, um das zu verhindern? Nichts!"
Sir Dydimus hatte sich nun wieder soweit gefangen, daß er sich in die Diskussion einschalten konnte.
"Was hätten wir schon tun können, mein lieber Waffenbruder? Und warum? Sie scheinen doch mit dieser Situation sehr glücklich zu sein. Vielleicht braucht dieses Reich auch genau das: eine weibliche Hand."
"Quatsch", widersprach Hoggle. "Glücklich. Warum haben wir dann damals Kopf und Kragen riskiert, damit sie den König besiegen konnte? Häh? Wenn sie ihm jetzt doch verfallen ist. Die Mühe hätten wir uns wirklich sparen können. Außerdem: weibliche Hand! Sie hat uns doch schon vergessen. Warum sollte sie sich je wieder für uns interessieren, wenn sie erstmal Königin ist? Vielleicht wird für uns alles nur noch schlimmer? Bei Jareth weiß man wenigstens, woran man ist."
Sir Dydimus wiegte bedächtig den Kopf. Die Argumente seines Waffenbruders waren nicht von der Hand zu weisen. Aber er selbst teilte diese Meinung nicht unbedingt. Um eine dritte Ansicht einzuholen wandte er sich an Ludo.
"Wie seht ihr diese Angelegenheit, Sir Ludo? Würdet ihr Lady Sarah gern als unsere Königin sehen?"
"Ja", bestätigte Ludo einfach. Er verstand wirklich nicht, warum seine Freunde so aufgeregt waren - schon wieder!
"Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt!" Hoggle war kurz davor zu platzen. Seine Freunde begriffen den Ernst der Lage wirklich nicht. "Denkt an meine Worte: Jareth wird unsere Sarah noch sehr unglücklich machen! Sie rennt mit offenen Augen in ihr Verderben!"

In seinen Räumen angekommen, verwandelte sich Jareth in seine menschliche Gestalt zurück. Mit einer geschmeidigen Bewegung pflückte er eine Kristallvase aus dem Nichts, in die er behutsam die Rose gab. Sein Labyrinth blühte also wieder. Sogar bis zu den Stadtmauern. Er schüttelte den Kopf. Ein neuer Rundgang durch sein Reich war unerläßlich. Er wußte nicht, was er sonst tun sollte, um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen. Bedauernd warf er einen Blick auf sein Bett. Noch konnte er sich nicht schlafen legen. Erst mußte er seinen Pflichten als Herrscher nachkommen. Schnell legte er seine Kleidung ab und zog stattdessen eine Hose und kurze Jacke aus demselben cognacfarbenen Leder an. Er schlüpfte noch in ein paar bequeme Halbstiefel und ein cremefarbenes Hemd mit einem runden Halsausschnitt. So gerüstet verließ er das Schloß und schritt zielstrebig auf das Stadttor zu.

Er hatte vor, die Stadtmauer an ihrer Außenseite zu umrunden, doch schon bevor er weniger als die Hälfte abgeschritten war, stieß er auf die von Sir Dydimus erwähnten Rosen. Sie rankten sich fast schwerelos an dem Gemäuer empor. Mit ihrer schneeweißen Blütenpracht entlockten sie der häßlichen Stadtmauer einen Hauch von Romantik. Ihre Vollkommenheit betäubte Jareth für einige Momente. Er war nicht auf dieses Blütenmeer vorbereitet gewesen. Er versuchte über die Ratschläge des weisen Mannes nachzudenken bis ihm der Kopf weh tat. Er fühlte sich sehr müde und sehr hilflos. Wozu war er noch nutze, wenn in seinem Reich auch Dinge geschahen, ohne daß er es befahl oder wünschte? Er brauchte einige Minuten Entspannung und Ruhe. Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gebracht, da hatte er eine Idee. Verstohlen sah er sich um, ob ihn jemand beobachtete, als dies nicht der Fall war, rieb er sich erfreut die Hände. Als er die Handflächen wieder öffnete, lag eine Kristallkugel darin. Er hob sie empor und ließ sie vorsichtig in die Luft entschweben. Einige Schritte von ihm entfernt zerplatzte die Kristallkugel und ein Glitzerregen ging auf den Boden nieder. Als das Glitzern aufgehört hatte, stand an dieser Stelle ein frischer, grüner Kirschbaum mit leuchtenden roten Früchten. Jareth lachte. Es war ihm tatsächlich gelungen. Als kleiner Junge hatte er diese Zauberei als "Hausaufgabe" zum letzten Mal durchgeführt. Er hatte schon befürchtet, es könnte ihm nicht mehr gelingen. Unternehmungslustig kletterte er auf den Baum, wo er sich auf einer bequemen Astgabel niederließ und einige Kirschen pflückte. Sie waren süß und saftig. Übermütig spuckte er die Kirschkerne von sich. Er konnte es fast noch so weit wie als Kind. Genüßlich streckte er sich auf seiner Astgabel aus. Worüber machte er sich eigentlich Sorgen? Mochte es doch blühen soviel es wollte. Auch er konnte etwas Schönes erschaffen, was spielte es also für eine Rolle, woher das Grünzeug kam. Er hatte sich auf jeden Fall schon seit einer Ewigkeit nicht mehr so gut gefühlt. Mit diesem Gedanken schlief er schließlich auf seinem Kirschbaum ein, ohne zu bemerken, daß er seit geraumer Zeit beobachtet wurde.

Unschlüssig über die Bedeutung seiner Beobachtungen verharrte der weise Mann noch einige Zeit in seinem Versteck, bevor er sich vorsichtig zurückzog, um seine Majestät nicht zu wecken.


"Brighter than sunlight"

Kapitel 28

Jareth freute sich seines Lebens wie kaum je zuvor. Die Kobolde waren fügsam, die Rosen verbreiteten ihren lieblichen Duft über sein ganzes Reich und es war Halloween! Er würde heute abend mit Sarah auf eine Party gehen. Sie hatten vereinbart in einer Kostümierung als Sonne und Mond zu erscheinen. Jareth betrachtete kritisch sein Spiegelbild. Doch was er sah versetzte ihn erneut in Hochstimmung. Sein weites Hemd und seine Hosen waren aus schimmerndem, weißem Satin, der Kragen und die Manschetten waren mit silberner und weißer Spitze abgesetzt. Die ebenfalls silberne Weste war tailliert und reichte ihm vorne bis kurz überhalb der Knie. Ein bodenlanges Cape aus silberner Spitze über weißem Satin rundeten seine Erscheinung ab. Seine weißen Stiefel hatten silberne Absätze und an seiner Stabmaske waren zahlreiche Halbmond-Verzierungen angebracht. Ungeduldig sah er nach der Uhr. Es war noch eine gute halbe Stunde bis sieben Uhr. Erst dann würde er Sarah abholen können. Er fragte sich zum wahrscheinlich tausendsten Male, wie ihr Kostüm wohl aussehen würde. Er verweilte kurz bei diesem Gedanken, schob ihn aber schließlich beiseite. Er würde seine reizende Elfe früh genug bewundern können.

Pünktlich zur vereinbarten Uhrzeit hörte Sarah ein Rauschen in ihrem Wohnzimmer. Jareth! Ihr Herz machte vor Freude einen kleinen Sprung. Sie war gerade erst mit ihrer Frisur fertiggeworden. Er klopfte an ihre Schlafzimmertür.
"Sarah? Bist du fertig?"
"Ja, ich komme. Einen kleinen Moment noch." Sie schlüpfte rasch in ihre Schuhe und trat aus ihrem Zimmer.
Jareth war von ihrem Anblick überwältigt. Ein weiter Rock aus vielen Lagen goldenem Tüll bauschte sich um ihre schmale Taille. Das Oberteil war aus mattgoldener Rohseide mit kleinen Puffärmeln und einem gezackten Ausschnitt. Hauchdünne, lange Handschuhe aus goldenem Netzstoff und die goldene Stabmaske waren mit kleinen Sonnen geschmückt. Ihr knielanges Cape aus mattgoldener Rohseide mit eingewebten Sonnensymbolen trug sie noch über dem Arm. Durch Jareths andauerndes Schweigen irritiert, sah Sarah an sich hinab.
"Gefällt es dir nicht? Ich gebe zu, es glitzert vielleicht ein bißchen stark..."
"Nein... nein, wirklich." Er trat zu ihr und fing ihre Hände ein, um auf jede einen Kuß zu hauchen. "Ich habe dich nie schöner gesehen."
In ihren Augen konnte er lesen, daß sie über ihn das gleiche dachte.

Sie fuhren in einem Taxi zur Party. Es war für Jareth ein merkwürdiges Erlebnis. Er würde später darüber nachdenken müssen. Vorerst war er damit beschäftigt, sich die Geschichte einzuprägen, die sie Sarahs Gastgeber auftischen würden. Sie waren übereingekommen bei der Mr.-King-Geschichte vom letzten Jahr zu bleiben. Mr. King würde auf der Durchreise sein und wäre überraschend bei Sarah aufgetaucht, die ihren alten Bekannten an diesem Abend natürlich nicht sich selbst überlassen wollte und ihn deshalb mitgebracht hatte. Ihre aufeinander abgestimmten Kostümen waren bei dieser Geschichte natürlich ein Schwachpunkt, doch darauf mußten sie es ankommen lassen. Als das Taxi an der angegebenen Adresse anhielt, stiegen sie aus.
"Wow!" entfuhr es Sarah unwillkürlich. Auch Jareth hatte nicht erwartet eine Villa in dieser Größenordnung vorzufinden. Es war sehr beeindruckend. Sarah hatte sich als erste wieder gefaßt und zog Jareth mit der Bemerkung: "wenigstens sind wir nicht overdressed" hinter sich her. Trotz der imposanten Umgebung empfing der Hausherr persönlich seine Gäste. Er war sparsam aber wirkungsvoll als Vampir verkleidet. Sein fortgeschrittenes Alter und seine weißen Haare rundeten die Kostümierung ab, sein joviales Verhalten hingegen machte seine gruselige Wirkung fast zunichte. Auch hier übernahm Sarah die Führung und Jareth konnte nur stumm dabeistehen und sich über die Sicherheit und Gewandtheit seiner Geliebten wundern.
"Mr. Cogan. Ich freue mich sie endlich persönlich kennenzulernen." Sie überreichte ihm ihre Firmeneinladung. "Die ganze Firma spricht nur noch von ihren Softdrinks."
"Eine charmante Übertreibung, Miss Williams." Er blickte Jareth fragend an.
"Ich hoffe Mr. Cogan, daß sie mir verzeihen. Ich habe einen guten Bekannten mitgebracht. Mr. King - Mr. Cogan", stellte sie die Herren einander vor. "Er ist heute überraschend bei mir aufgetaucht und muß morgen schon wieder weiter. Ich konnte ihn einfach nicht in sein Hotel zurückschicken."
"Miss Williams, bei ihrer exzellenten Kostümierung würde ich ihnen sogar einen Mord verzeihen. Das Büfett steht im grünen Salon, getanzt wird im blauen Saal und in der Bibliothek wird ein wenig Karten gespielt. Viel Vergnügen - Miss Williams - Mr. King."

Sie gingen in den grünen Salon. Jareth bewunderte seine Geliebte in diesem Moment mehr denn je. Sie bewegte sich mit traumwandlerischer Sicherheit, nicht nur auf dem Marmorfussboden, sondern auch auf dem gesellschaftlichen Parkett. Die prächtige Umgebung unterstrich noch die Wirkung ihres Kostüms. Sie wirkte, als wäre sie nicht von dieser Welt, und gleichzeitig schien sie mit dieser Kulisse zu verschmelzen und mit ihr verwachsen zu sein. Jareth war durch ihre Aura völlig geblendet, weshalb ihm die sehnsuchtsvollen Blicke der anwesenden Damen, die ihm galten, gänzlich entgingen. Ihm wurde erst im Laufe des Abends bewußt, daß sie beide ein überirdisch glanzvolles Paar abgaben. Niemand hatte es gewagt, Sarahs Hand für einen Tanz zu erbitten, denn jedem Mann war klar, daß diese beiden zusammengehörten und dieser Abend allein für sie bestimmt zu sein schien. Der Ball verging für beide wie in einem Rausch. Ein blendendes Feuerwerk der Sinne. Die Harmonie zwischen ihren Seelen war so stark, daß man sie fast fühlen konnte. Sie hatten nur Augen füreinander, egal ob sie miteinander tanzten, sich am Büfett bedienten, oder Jareth für Sarah ein Glas Champagner besorgte. Die Nacht war schon weit fortgeschritten, die Gästezahl hatte bereits angefangen sich zu lichten, als Jareth und Sarah mit ihrem Champagner durch die Terassentür hinaus in den Garten traten um etwas frische Luft zu schöpfen. Hunderte kleine Windlichter, in Büschen und Bäumen versteckt, flackerten in einer milden Brise und spiegelten sich in den klaren Lichtern der Sterne wider. Engumschlungen schlenderten sie auf die weite Rasenfläche hinaus. Sachte wurden die Klänge des Orchesters herübergetragen. Sarah lächelte versonnen und sang mit leiser Stimme das Lied mit. Jareth lauschte ihr verzaubert.

"Stars shining bright above you
Night breezes seem to whisper I love you
Birds singing in the sycamore tree
Dream a little dream of me

Say nighty-night and kiss me
Just hold me tight and tell me you'll miss me
While I'm alone and blue as can be
Dream a little dream of me

Stars fading but I linger on, dear
Still craving your kiss
I'm longing to linger till dawn, dear
Just saying this

Sweet dreams till sunbeams find you
Sweet dreams that leave all worries behind you
But in your dreams whatever they be
Dream a little dream of me

Stars fading but I linger on, dear
Still craving your kiss
I'm longing to linger till dawn, dear
Just saying this

Sweet dreams till sunbeams find you
Sweet dreams that leave all worries far behind you
But in your dreams whatever they be
Dream a little dream of me..."

Als sie geendet hatte küßte er sie sanft auf den Mund.
"Ich wünschte, diese Nacht würde nie zu Ende gehen", flüsterte er.
"Und ich wünschte, du würdest diese Nacht für mich unvergeßlich machen", flüsterte sie mit ruhiger Stimme zurück und schmiegte sich auf unmißverständliche Art noch enger an ihn. Jareth lächelte zurück, ein erregtes Glitzern funkelte in seinen Augen während er ihr ihren Wunsch erfüllte.
Sehr viel später schlichen sie sich in die Villa zurück, wo Sarah sogleich in Richtung Waschraum eilte, um einige Spuren zu beseitigen. Jareth ging mit einem verruchten Lächeln auf den Lippen auf die Suche nach einem weiteren Glas Champagner, als ihm ihr Gastgeber entgegenkam und ihm ein solches in die Hand drückte.
"Ich nehme an, sie können es vertragen." Er zwinkerte Jareth verschwörerisch zu. Mit einer Handbewegung unterdrückte er eine Erwiderung. "Ich war schließlich auch mal jung. So lange wie Sie habe ich mich allerdings nie im Garten aufgehalten. Entweder Sie sind darin besonders gut, oder besonders schlecht."
Jareth konnte nicht anders, er brach in lautes Gelächter aus. Als er sich wieder einigermaßen gefaßt hatte, prostete er seinem Gastgeber zu und antwortete: "In aller Bescheidenheit würde ich sagen: besonders gut!"
Dies entlockte nun Mr. Cogan ein amüsiertes Kichern. "Sie gefallen mir, Mr. King. Deshalb gebe ich ihnen noch einen Rat: ich kenne Frauen wie Miss Williams. Sie können einem Mann das süßeste Paradies schenken, oder was wahrscheinlicher ist, ihm die heißeste Hölle bereiten. Ich weiß wovon ich spreche. Mein Sohn hat auch einmal... aber das gehört nicht hierher. Nur soviel: passen Sie gut auf sie auf Mr. King. Sonst schnappt sie Ihnen ein anderer weg."
Jareth hatte ihm interessiert gelauscht. "Um ehrlich zu sein, Mr. Cogan, sie hat mir bereits beides zu kosten gegeben."
Mr. Cogan nickte. "Das dachte ich mir. Und momentan sind sie beide im Paradies, nicht wahr?"
"Ja." Jareth grinste schief. "Die Frage ist nur, wie lange es vorhält. Ich habe auf jeden Fall beschlossen, es so lange wie möglich zu genießen."
"Sie wird Sie noch sehr unglücklich machen, das wissen Sie doch wohl."
"Ja." Jareth leerte sein Glas. "Ich weiß."
"Kopf hoch, junger Freund. Vielleicht haben Sie ja Glück. Frauen wie Miss Williams können nichts dafür, daß sie so sind. Manchmal glaube ich sogar, daß genau das ihren besonderen Reiz ausmacht. Würden wir ihnen sonst zu Füßen liegen, wenn sie nicht so wären, wie sie eben sind?"
"Wohl kaum."
"Miss Williams kommt gerade wieder. Ich werde mich jetzt um meine anderen Gäste kümmern", flüsterte Mr. Cogan. Halb abgewandt fügte er noch mit einem Seitenblick auf Sarah hinzu: "Ah, cherchez la femme!"
"Worüber habt ihr gesprochen?", fragte Sarah neugierig.
"Männersachen!" antwortete Jareth großspurig und küßte sie auf die Stirn.


Seit Jareth unbegrenzten Zutritt zu Sarahs Wohnung genoß hatte sich beider Leben mit einem Schlag radikal verändert. Doch je näher das Ende diesen Jahres kam, desto mehr hatte sich eine gewisse Routine eingespielt, die es beiden ermöglichte nicht nur ihre Liebe zu genießen, sondern auch ihre jeweiligen Pflichten zu erfüllen.
Sarah hatte ihre Arbeit, die sie liebte und die sie ausfüllte und Jareth, ...nun, Jareth hatte immerhin ein Königreich zu regieren.
Dabei war er so glücklich, wie nie zuvor in seinem Leben. Sir Dydimus war mit seiner Garde sehr zufrieden, die Rosen wucherten nicht so stark, wie anfangs zu befürchten war und er konnte Sarah fast jeden Abend berühren und nicht nur mit ihrem Spiegelbild sprechen! Die Woche über besuchte er sie zwei- oder dreimal, wobei er sich jedesmal mit einem mentalen Klopfzeichen bei ihr anmeldete. Um nichts in der Welt hätte er unangemeldet bei ihr hereinschneien wollen. Wenn ihr sein Besuch angenehm war gab sie ihm dies ebenfalls auf mentalem Wege zu verstehen. Erst dann erschien er bei ihr. Aus Angst vor Entdeckung trafen sie sich immer erst bei Einbruch der Dunkelheit, wobei Sarah sehr darauf achtgab, daß die Vorhänge immer fest zugezogen waren. An diesen Abenden blieb er auch nie sehr lange. Beide brauchten schließlich ihren Schlaf. Doch an den Wochenenden kam er immer etwas früher und blieb auch wesentlich länger bei seiner kleinen Elfe. Seit er mehr Zeit auf der Erde verbrachte, hatte er auch zwei neue Leidenschaften entwickelt: italienische Pasta und Fernsehen!
Sarah erteilte ihm nicht nur Liebes- sondern auch Kochunterricht. Bei beiden Fächern stellte er sich sehr geschickt an. Meistens bereiteten sie an den Wochenenden ihr Abendessen gemeinsam zu. Was das Fernsehen betraf, war Jareth nach der ersten Faszination sehr wählerisch geworden. Ihn interessierten nur noch Musikfilme oder Dokumentationen. "Saturday Night Fever" fand er lächerlich, "The Rocky Horror Picture Show" faszinierte ihn gegen seinen Willen, doch "Dirty Dancing" konnte er sich gemeinsam mit Sarah ein paarmal hintereinander ansehen. Was waren Videorecorder doch für eine geniale Erfindung! Sarah versuchte sogar, ihm einige der moderneren Tänze beizubringen. Bei Mambo und Twist hatte sie sogar großen Erfolg, doch als er sie bat, ihm den Lambada beizubringen, den er gerade in einem Videoclip gesehen hatte, weigerte sie sich rundheraus.
"Nein, Jareth, alles nur das nicht."
"Warum denn nicht? Kannst du ihn etwa nicht?" neckte er sie.
"Doch, ich kann ihn. Wir haben damals alle einen Lambada-Kurs belegt. Wirklich alle! Der Tanz war so was von in! Überall wurde einem Wunder was erzählt. Wie sexy der Tanz wäre und daß er in Südamerika deshalb verboten wäre, und was nicht noch alles. Und dann? Was war? Nichts war! Dieser Tanz ist so etwas von langweilig und fade, du kannst es dir gar nicht vorstellen."
"Nein, kann ich nicht. Und deshalb wirst du ihn mir jetzt zeigen", forderte Jareth hartnäckig.
"Also gut." Sarah gab seufzend nach. "Weil du es bist. Warte hier einen Moment. Ich muß mir dazu einen Rock anziehen."
"Einen Rock? Darf man in Jeans keinen Lambada tanzen?"
Sarah gab ihm darauf keine Antwort sondern ging in ihr Schlafzimmer. Kurze Zeit darauf hatte sie ihre Jeans und Bluse mit einem Sonnentop und einem kurzen weiten Rock vertauscht. Sie war barfuß.
"Am besten, du ziehst auch deine Schuhe aus, Jareth und dann komm hier hinter das Sofa, ich suche solange die richtige Musik aus."
Jareth konnte seinen Blick kaum von ihren Beinen reißen. In einem so kurzen Rock hatte er Sarah noch nie gesehen. Als die Musik erklang war er bereit und wartete in der Mitte des Raumes auf Sarah. Sie stellte sich vor ihn hin und begann sichtlich gelangweilt mit ihren Anweisungen.
"Die Beine locker gespreizt, leicht angewinkelt. Ich stelle mich jetzt so, daß ich deinen rechten Oberschenkel zwischen meinen Beinen habe. An dieser Stelle wird der Körperkontakt immer aufrecht erhalten. Man könnte auch sagen, ich reite auf deinem Bein", erläuterte sie sarkastisch. "Meine Arme hänge ich um deinen Hals und deine Arme legst du um meine Taille. Der Tanz wird hauptsächlich mit den Hüften durchgeführt, die sich im Rhythmus der Musik bewegen, während die Füße nahezu stillstehen."
"Das ist alles?"
"Ja, ich sagte dir doch, es ist langweilig. Aber egal. Jetzt stehen wir schon so da. Tanzen wir eben ein bißchen." Mit diesen Worten fing sie an, ihr Becken leicht hin und her zu schwingen. Durch den engen Kontakt an genau dieser Stelle bewegte sich Jareth automatisch mit und fand es eigentlich sehr aufregend. Nach einer Weile war ihm der Rhythmus vertraut, und er fing an, die Bewegungen selbst zu bestimmen. Seine Hände wanderten dabei von ihrer Taille aus immer tiefer. Erstaunt bemerkte Sarah wie ihr Herz schneller schlug, seit sie Jareth die Führung überlassen hatte. Die Art wie er ihren Unterleib an seine Hüften preßte ließ sie erbeben. Jareth bemerkte, wie sie immer erregter wurde. Er preßte sie noch enger an sich und zog ihr Bein an seine Taille, wo er es festhielt. Ihre Augen wurden dunkel und glänzend als er sich nun unmißverständlich an ihr rieb. Zwischen ihren Schenkeln brannte es wie Feuer, doch das war nichts im Vergleich zu der Hitze, die sie zwischen seinen Beinen spürte.
"Und du hast gesagt, dieser Tanz wäre langweilig." Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen.
"Ich hatte vermutlich noch nicht den richtigen Tanzpartner gefunden", erwiderte sie atemlos.
Er lachte leise und bog ihren Oberkörper leicht zurück. Dann bedeckte er ihren Hals und ihre Schultern mit kleinen heißen Küssen. Seine Lippen wanderten tiefer und Sarah stöhnte vor Lust, als er durch den Stoff ihres Oberteils ihre Brustwarzen liebkoste. In einer raschen, geschmeidigen Bewegung zog er sie mit sich auf den Fußboden. Hungrig preßte sie ihre Lippen auf seinen Mund, ihre Zunge spielte mit ihm, während er ihr Oberteil beiseite schob. Seine Hände streichelten ihre Brüste, bis sie es nicht mehr aushielt und seine Hand zwischen ihre Schenkel schob. Sie bemerkte, daß er einen Augenblick lang zurückschreckte, doch als sie ihn ebenfalls an seiner sensibelsten Stelle berührte, verwöhnten seine geschickten Finger sie aufs Vollkommenste. Aufgeputscht, wie sie war, dauerte es nicht lange, und seine Berührungen lösten in ihr ein sinnliches Feuerwerk aus. Ihre Ekstase brachte auch seine Erregung an den Punkt, an dem sein ganzes Universum nur noch aus ihren zärtlichen Händen zu bestehen schien.
Als es vorbei war setzte sich Jareth auf und zog Sarah auf seinen Schoß. Lange sprach keiner ein Wort. Ihre Liebe und ihre Erfüllung erschien ihnen im Moment zu groß für Worte. Sie hielten den Nachhall der köstlichen Erregung so lange fest, wie es nur ging.

"Du bist das Beste, was mir je passiert ist", flüsterte er nach einer kleinen Ewigkeit in ihre zerzausten Haare. Sarah lief es dabei angenehm kalt den Rücken hinunter und sie kicherte. Durch ihr Kichern animiert, fing Jareth an, sie zu kitzeln. Sarah zahlte es ihm mit gleicher Münze heim und so wälzten sich beide lachend und nach Atem ringend auf dem Boden, bis Sarah schließlich um Gnade bat.
"Laß mich", keuchte sie, "Ich kann nicht mehr." Sie kicherte haltlos. "Du kannst alles von mir verlangen, nur hör, bitte, bitte auf damit."
"Ich kann alles haben? Wirklich alles?"
"Ja!"
"Da fällt die Wahl wirklich schwer." Er tat so als würde er überlegen. Sarah rang währenddessen nach Atem. Er hatte sie immer noch nicht losgelassen.
"Alles...." Er dachte laut nach. "Alles....." Seine Stimme hatte ein anderes Timbre angenommen und Sarahs Herz schlug automatisch wieder schneller. Jareth registrierte mit Befriedigung wie sich Sarahs Blick verschleierte.
"Ja, das wäre natürlich eine Möglichkeit", beantwortete er ihren Blick. "Aber was ich im Moment wirklich am liebsten hätte", er unterbrach sich und sein Lächeln bat sie um Verzeihung, "könntest du mir etwas frisches zum Anziehen leihen? Bis das hier wieder trocken ist?"
Sie folgte seinem Blick bis zu dem unverkennbar feuchten Fleck auf seiner Hose.
Es war ihm sichtlich peinlich und so bewältigte Sarah das Problem so schnell wie möglich. Sie schubste ihn in ihr Badezimmer, nahm im seine Kleider weg, gab ihm solange ihren schwarzen Frottebademantel und wusch den Fleck ein wenig aus. Dabei fiel ihr auf, daß er auf seinem rechten Schulterblatt ein kleines Muttermal hatte.
Als er wieder aus ihrem Badezimmer auftauchte wirkte er wieder gefaßter und Sarah fragte ihn nach dem Muttermal.
"Du hast es nie erwähnt, daß du ein Muttermal hast."
"Ach so, das." Er zuckte mit den Schultern. "Ich denke kaum daran. Ich kann es schließlich nur sehen, wenn ich mir vor einem Spiegel die Schulter ausrenke."
"Bitte zeig es mir noch mal", bettelte Sarah.
Er seufzte und schlüpfte halb aus dem Bademantel heraus.
"Es sieht aus wie ein Kleeblatt!" rief Sarah überrascht aus. "Ein vierblättriges!" Sie war wirklich beeindruckt. "So etwas habe ich noch nie gesehen."
"Und wenn schon", erwiderte Jareth, zog den Bademantel wieder über seine Schulter und ging in die Küche um sich ein Glas Wasser zu holen. Sarah folgte ihm. Er sah in diesem Bademantel einfach sexy aus. Nachdem er ein paar Schluck getrunken hatte, nahm sie ihm das halbvolle Glas ab und leerte es ganz langsam über seinem Oberkörper aus.
"Oh, ich Tolpatsch", sagte sie ruhig. "Warte, ich mach es wieder sauber."
Jareth konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken, als sie seinen Bademantel öffnete und ihre Zunge über seine Brust leckte.




Kapitel 29


"Mußt du wirklich schon gehen?" Es war ein trüber Morgen im Dezember als Jareth diese Frage stellte. Ausnahmsweise hatte er Sarah tagsüber besucht, da sie heute zu ihrem traditionellen Weihnachtsbesuch bei ihren Eltern aufbrach.
"Ja. Ich muß jetzt wirklich los. Seit einer Stunde jagt eine Staumeldung die andere. Wenn ich dieses Jahr noch ankommen will, dann muß ich jetzt sofort gehen." Ihre Stimme hatte einen entschlossenen Klang, doch sie stand immer noch vor Jareth, der auf ihrem Sofa lag und rührte sich nicht von der Stelle.
"Ich seh' dir in die Augen, Kleines", sagte Jareth und versenkte seinen Blick tief in ihre Augen. Sarah erschauerte wohlig. Sie hatte diesen Blick in den letzten Wochen kennengelernt, wußte aber immer noch nicht wie sie sich gegen die süße Schwäche die dann unweigerlich in ihr aufstieg wehren konnte. Sie versuchte es diesmal mit Sarkasmus.
"Du siehst zuviel fern, Jareth."
Ohne ein weiteres Wort streckte er die Hand nach ihr aus und sie sank willenlos in seine Arme.

Als sie endlich auf dem Highway war hatten sich einige der Staus bereits aufgelöst und sie konnte zügig durchfahren. Wenigstens hatte sie die Zeit angenehmer verbracht, als in einem stundenlangen Stop-and-Go. Sie lächelte bei der Erinnerung.
"Ich vermisse dich schon jetzt", hatte er geflüstert, als er sie noch in seinen Armen gehalten hatte. Oje, auch er würde ihr schrecklich fehlen, doch es würde diesmal garantiert nicht ganz so schlimm werden wie das letzte Mal. Außerdem hatte sie eine geniale Idee, was sie ihm schenken konnte, wenn sie erst wieder in Phoenix war.

Das Weihnachtsfest mit der Familie war glücklich überstanden. Sarahs Familie schien vom Glück begünstigt gewesen zu sein. Ginger hatte sich ein Bein gebrochen und weil die Familie es nicht übers Herz brachte, sie alleine zu lassen, konnte Tante Gladys mit ihrer Brut dieses Mal leider nicht kommen. Victor war mit einigen Freunden auf eine Skihütte gefahren und so verbrachten lediglich Tante Myra und Vincent einen gemütlichen Abend bei Sarahs Eltern. Direkt nach den Feiertagen ging Sarah daran ihren Plan bezüglich Jareths Geschenk in die Tat umzusetzen. Etwas unbehaglich war ihr allerdings schon zumute als sie sich mit dem Telefon in ihr Zimmer zurückzog. Sie wählte die Nummer und atmete noch einmal tief durch.
"Elizabeth Brady."
"Sarah Williams. Liz, legt nicht gleich auf."
"Sarah Williams?"
"Ja. Hör zu, ich muß mit dir sprechen. Können wir uns im Café an der Ecke treffen?"
"Okay. In einer halben Stunde?"
"Gut. Bis gleich."

Sarah war vor lauter Ungeduld schon ein wenig zu früh am verabredeten Treffpunkt, doch zu ihrer Überraschung saß Liz bereits an einem der kleinen runden Tische und klopfte ungeduldig mit dem Fingernagel auf die Getränkekarte.
"Hi, Sarah! Ich habe schon Kaffee für uns beide bestellt. Setz dich."
Verwundert nahm Sarah Platz. "Du hast dich wahrscheinlich über meinen Anruf gewundert, Liz. Immerhin waren wir in der Schule nicht gerade die besten Freundinnen..."
"Gewundert habe ich mich allerdings! Aber um ehrlich zu sein, ich wäre sogar mit meinem größten Feind Kaffee trinken gegangen, nur um für ein paar Minuten aus diesem Irrenhaus zu verschwinden, das sich Zuhause nennt."
Die Bedienung brachte den Kaffee. Als sie wieder gegangen war nahm Sarah das Gespräch wieder auf. "Ist es bei Euch denn so katastrophal?"
"Nur soviel: mein Bruder ist mit seiner neuesten Flamme angerückt, sie ist im vierten Monat schwanger, mein Vater will ihn enterben und nun finden sie keinen Hochzeitstermin. Mir genügt das für die Feiertage. Warum tun wir das eigentlich?"
"Was?"
"Zu den Feiertagen wieder zurück zu Mummy und Daddy zu fahren. Man geht sich doch nur auf die Nerven."
Sarah grinste und zuckte mit den Schultern. "Wer weiß. Vielleicht irgendein primitiver Urinstinkt?"
"Das wird's wohl sein. Aber weshalb nur hast du mich angerufen. Ausgerechnet mich? Nicht daß ich dir dafür nicht dankbar wäre..."
"Um es kurz zu machen: ich brauche deine Hilfe."
"DU brauchst meine Hilfe? Die supergescheite, angepaßte Sarah Williams braucht meine Hilfe?"
"Elizabeth Brady! Wollen wir uns hier in aller Öffentlichkeit streiten? Wir sind schließlich keine kleinen Mädchen mehr."
"Nein, leider", sagte Liz mißtrauisch. "Sonst könnte ich dich jetzt an den Zöpfen ziehen und die Sache wäre erledigt. Also schön. Benehmen wir uns wie Erwachsene. Was willst du von mir?"
"Ich weiß von meiner Mutter, daß du etwas studierst, was mit Ahnenforschung, Familienmerkmalen und ähnlichen Sachen zu tun hat. Stimmt das?"
"Ja, das ist richtig. Ich nehme an, ich bin die einzige aus deinem Bekanntenkreis mit diesen Kenntnissen?"
"Ja, leider. Du kannst deinen Hintern darauf verwetten, daß ich dich sonst nicht angerufen hätte!"
Liz grinste schadenfroh. "Nur weiter so, Miss Williams. Nur weiter so. Eigentlich hatte ich das Gefühl du wolltest mich um einen Gefallen bitten. Die Wahl deiner Worte läßt diesen Schluß allerdings nicht mehr zu."
"Entschuldige", preßte Sarah zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Hui!" Liz riß erstaunt die Augen auf. "Es muß wirklich etwas wichtiges sein. Schieß los! Ich schwöre, ich werde dich nicht mehr reizen."
"Ich wollte dich bitten, ob du für mich etwas herausfinden kannst. In meinem Bekanntenkreis gibt es einen Mann, der ein Muttermal auf dem Rücken hat. Er - er ist Waise und wurde als Baby ausgesetzt. Ich dachte mir, daß man über dieses Muttermal vielleicht etwas über seine Herkunft herausfinden könnte."
"Ein Muttermal? Das soll wohl ein Witz sein? Es gibt tausende von Menschen mit Muttermalen!"
"Auch mit kleeblattförmigen?" fragte Sarah ganz ruhig.
"Wow", hauchte Liz. Sie sank in ihren Stuhl zurück und nippte nachdenklich an ihrem Kaffee. "Ist das Teil hundertprozentig echt?"
"Ja."
"Nicht tätowiert oder sonstwas?"
"Nein, bestimmt nicht."
"Ist es ein dreiblättriges?"
"Nein, ein vierblättriges."
"Wow! Mit Stiel?"
"Nur mit einem sehr kurzen."
"Wo ist es? Und wohin zeigt der Stiel?"
"Der Stiel zeigt nach unten und es sitzt auf dem rechten Schulterblatt. Ziemlich weit oben." Sarah konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen. "Wie du das machst, Liz. Richtig professionell."
Liz schaute von ihren Notizen auf und grinste zurück. "Hättest du nicht von mir gedacht, was?" Sie steckte ihre Notizen in ihre Handtasche und nahm noch einen Schluck Kaffee. "Mann! So eine abgefahrene Geschichte habe ich noch nie gehört."
"Meinst du, du findest etwas?"
"Oh, ich denke schon. Ist nur eine Frage der Zeit."
"Tja, Zeit... Liz, ich fahre in anderthalb Wochen wieder zurück..."
"Au Backe!" schimpfte Liz. Dann überlegte sie. "Ist er es wert?"
"Was?"
"Ist dieser Kerl es wert? Du konntest mich nie leiden, triffst dich trotzdem mit mir, bittest mich um einen Gefallen und verlangst dann auch noch, daß alles gestern fertig sein soll! Ich wüßte nicht, für wen ich das alles täte. Mein Gott, dieser Typ muß wirklich außergewöhnlich sein."
"Ja, das ist er. Das ist er wirklich." Sarah lächelte verträumt, ohne daß es ihr bewußt wurde.
Liz registrierte den Ausdruck auf Sarahs Gesicht. "Manche Leute haben einfach nur Glück! Na schön, ich sehe was ich tun kann. Ich ruf dich in fünf Tagen wieder an."

Während dieser fünf Tage hatte Sarah ausgiebig Gelegenheit, sich zu fragen, ob sie wohl richtig gehandelt hatte. Es war eine Sache, einen Teil seines Lebens mit einem mysteriösen Mann zu teilen, aber eine völlig andere, in seiner Vergangenheit herumzustöbern, die nicht einmal er selbst kannte.
An Silvester waren ihre Eltern bei Bekannten eingeladen und Sarah war mit Toby Zuhause geblieben. Als sie mit ihm zusammen auf der Terrasse stand, und die Sekunden bis Mitternacht mit ihm gemeinsam abzählte, flogen ihre Gedanken in den Nachthimmel hinaus und plötzlich wußte sie, daß sie richtig gehandelt hatte. Sie hatte es nicht für sich getan, denn ihr war es ziemlich egal unter welchem Namen er einmal gelebt hatte. Doch ihm war es nicht egal. Er litt darunter. Nur deshalb hatte sie Elisabeth angerufen. Um sein Leiden zu beenden.

Pünktlich nach den vereinbarten fünf Tagen rief Elisabeth bei Sarah an.
"Halt dich fest, Sarah Williams! Diese Muttermal-Geschichte ist sowas von abgefahren!"
"Du hast etwas herausgefunden? Phantastisch!"
"Komm am besten gleich zu mir, meine Alten sind gerade nicht da. Am Telefon kann man diese Story sowieso schlecht erzählen."
"Schon unterwegs!" rief Sarah in den Telefonhörer und hatte bereits im Auflegen den Autoschlüssel in der Hand.

Kurze Zeit später saßen Elisabeth und Sarah bei Elisabeths Eltern im Wohnzimmer.
Sarah war schrecklich ungeduldig und versuchte gar nicht erst, es zu verbergen. Elisabeth zog diese Situation eine Weile genüßlich in die Länge, doch nachdem Sarah nacheinander einen bequemeren Sessel, ein anderes Getränk und Zigaretten abgelehnt hatte, beendete Elisabeth ihre kleinliche Quälerei und kam zur Sache.
"Sarah, ich muß dir zuerst sagen, daß ich dir gar nicht mehr böse bin, daß du mich um diesen Gefallen gebeten hast. Bei meinen Nachforschungen hat sich ergeben, daß sich daraus eine tolle Hausarbeit für dieses Semester basteln läßt."
"Elisabeth, das freut mich ungeheuer für dich", bemerkte Sarah etwas spitz, weil ihr schlagartig wieder einfiel, warum sie Elisabeth nie gemocht hatte. "Aber das interessiert mich alles kein bißchen. Würdest du mir jetzt freundlicherweise erzählen, was du herausgefunden hast?"
Elisabeth schnitt eine Grimasse und gab Sarah einen kleinen braunen Briefumschlag. "Da steht alles drin. Fein säuberlich abgetippt und mit einigen Randbemerkungen und Quellenangaben versehen. Aber der Einfachheit halber erzähle ich dir die ganze Story in der Kurzfassung." Elisabeth musterte Sarah abschätzend. "Ich tue das einzig und allein deshalb, weil mich deine Reaktion auf diese ganze Sache interessiert. Bei meinen Recherchen ist mir nämlich einiges ziemlich spanisch vorgekommen."
Sarah bemühte sich um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck, war sich aber nicht sicher, ob er ihr auch gelang.
Nach einer kurzen Pause begann Elisabeth mit ihrem Bericht.
"Die letzte urkundliche Erwähnung eines derartig geformten Leberflecks geht in das 16. Jahrhundert zurück - in den Norden Englands. Die männlichen Nachkommen der Grafen von Shiringswood wiesen alle dieses Merkmal auf. Der letzte Graf, Sir Cedrik, nahm sich eine gewisse Lady Rowena zur Frau. Es schien sich dabei um eine Liebesheirat zu handeln, da erwähnt wurde, wie außergewöhnlich schön diese Lady Rowena war. Sir Cedrik war wohl auch nicht mehr der Jüngste, er scheint zum Zeitpunkt der Heirat die vierzig schon überschritten zu haben, während Lady Rowena mit ihren 16 Jahren noch das reinste Kind war. Außerdem wird an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß Sir Cedrik mit dieser Ehe unter seinem Stand geheiratet habe. Die Ehe blieb zunächst kinderlos, doch dann wurde zur großen Freude des Paares ein Sohn geboren. Allerdings begannen die Probleme damit erst richtig."
"Warum hörst du auf? Erzähl weiter!" drängte Sarah.
"Nur die Ruhe, ich muß hier zum besseren Verständnis einen kurzen Abstecher machen. Es gab da nämlich noch eine Nebenlinie, die scharf war auf den Grafentitel. Wäre Sir Cedrik ohne männlichen Nachkommen gestorben, wären sie in der Erbfolge die nächsten gewesen. Die Geburt des Sohnes zerstörte ihre Pläne. Im Verlauf der folgenden Wochen tauchten immer wieder Gerüchte auf. Wer diese Gerüchte in Umlauf gesetzt hatte, läßt sich unschwer erraten. Der Erbe wäre gar kein eheliches Kind - Pech, er trug das Muttermal, in Anspielung auf die Nacht seiner Geburt - es war Halloween - Er wäre des Teufels, Sir Cedrik achtete nicht darauf, das Kind wurde rechtmäßig getauft und damit war auch diese Geschichte aus der Welt. Ungefähr ein halbes Jahr nach der Geburt des Erben kehrte Sir Cedrik von einem Jagdausflug nicht mehr lebend zurück. Man kann davon ausgehen, daß ihn seine mißgünstigen Verwandten aus dem Weg geräumt hatten. Lady Rowena war kaum zwanzig, als sie Witwe wurde. Ihr kleiner Sohn war nun der rechtmäßige Graf geworden. Das Intrigenspiel ihrer Verwandten ging von neuem los. Doch diesmal mit mehr Erfolg. Lady Rowena konnte dem Druck und den Verleumdungen nicht lange standhalten. Schließlich gab sie unter Zwang zu, daß das Kind vom Teufel besessen sei, wobei als Beweis die verschiedenfarbigen Augen des Kindes angeführt wurden."
"Seine Augen? Sie hatten tatsächlich unterschiedliche Farben?" unterbrach Sarah aufgeregt.
"Ja, so was soll öfter vorkommen. In diesem Fall war es natürlich verhängnisvoll. Aber warum regt dich das denn so auf? Sollte ich vielleicht etwas darüber wissen?"
"Nein, nein - erzähl doch bitte weiter", wiegelte Sarah nervös ab.
Elisabeth fuhr fort: "Um nicht selbst als Hexe verbrannt zu werden willigte sie ein, ihren Sohn genau ein Jahr nach seiner Geburt vor einem Kloster auszusetzen. Nach dieser Nacht war das Kind verschwunden. Man munkelte, daß der Teufel es wieder zu sich geholt hätte. Wahrscheinlicher ist allerdings, daß die Wölfe sich ihn geschnappt haben. Lady Rowena war untröstlich. Sie hatte vorgehabt, ihren Sohn am nächsten Morgen wieder an sich zu nehmen und zu fliehen. Sie wurde dann noch in eine Ehe mit einem Verwandten ihres verstorbenen Mannes gepreßt, doch diese Ehe blieb kinderlos und sie starb einige Jahre später, offensichtlich an gebrochenem Herzen. Die Nebenlinie starb im Laufe der Jahrhunderte ebenfalls aus. Das kleeblattförmige Muttermal ist seither nie wieder als Familienmerkmal aufgetaucht. Schluß und Ende."
"Wie hieß das Kind? Auf welchen Namen wurde es getauft?" Sarah stellte diese Frage, obwohl sie die Antwort bereits fühlte.
"Es hieß Jareth. Irgend so ein abgefahrener keltischer Name."
Elisabeth beobachtete Sarah aufmerksam. Als diese bei der Nennung des Namens keine Reaktion zeigte, fing Elisabeth an sich zu wundern.
"Warum nur, Sarah Williams, habe ich das Gefühl, daß du kein bißchen überrascht bist."
"Das bildest du dir nur ein, Elisabeth", lächelte Sarah geheimnisvoll.
"Du wirst es mir wohl nicht sagen, oder?" fragte Elisabeth resigniert.
"Du hast recht, ich werde es dir nicht sagen."
Elisabeth seufzte. "Manche haben einfach nur Schwein. Und jetzt nimm meine Notizen und verschwinde. Wenn du noch länger hierbleibst, fange ich an ernsthaft über diesen ganzen Quatsch nachzudenken, und wenn ich das tue, werde ich mit Sicherheit verrückt!"
"Ich danke dir."
"Ja, ja, schon gut. Und jetzt gehab dich wohl!"

Einige Tage später war Sarahs Urlaub bei ihren Eltern auch schon wieder vorbei und sie belud ihr Auto für die Heimfahrt. Sie hatte sich mindestens dreimal vergewissert, daß sie einen gewissen kleinen braunen Umschlag auch wirklich mit eingepackt hatte und verging fast vor Ungeduld, während sie sich von ihrem kleinen Bruder verabschiedete.
"Auf Wiedersehen, Toby. Und wenn deine Noten weiterhin so gut bleiben, bringe ich dir nächstes Jahr ein gaaaanz tolles Geschenk mit."
"Versprochen?" Toby legte seinen Stirn in Falten, bis er ein lebendes Abbild des Zweifels war. Erwachsene versprachen manchmal schrecklich viel und hielten schrecklich wenig. Und er wußte auch nicht wieso, aber seine Schwester kam ihm immer mehr wie eine Erwachsenen vor.
"Habe ich dich jemals beschwindelt?"
"Nein." sagte Toby schließlich, aber es klang nicht sehr überzeugt.
"Laß dich noch einmal drücken, mein Kleines", forderte ihre Mutter. "Kaum bist du da, mußt du auch schon wieder fort."
"Ruf uns gleich an, wenn du Zuhause bist", mahnte ihr Vater. Sarah gab auch ihm noch einen Kuß auf die Wange und stieg endgültig in ihr Auto ein. Ihre Eltern und ihr Bruder winkten ihr noch nach, bis sie um die Ecke bog und außer Sicht kam.
"In diesen Ferien hat sie sich reichlich merkwürdig benommen, findest du nicht?" fragte Mrs. Williams ihren Mann.
Sarahs Vater dachte insgeheim an das Gespräch, das er letztes Jahr mit seiner Tochter geführt hatte. Er war sich sicher, daß sie bei ernsthaften Sorgen wieder zu ihm gekommen wäre. "Sie hat jetzt ihr eigenes Leben. Wir sollten uns da nicht zu sehr einmischen."
"Ja, ich weiß", seufzte Mrs. Williams.

Sarah betrat erschöpft ihre Wohnung. Im Gegensatz zu ihrer Anreise war sie diesmal bei der Heimfahrt in alle Staus geraten, die man sich auf dieser Strecke nur vorstellen konnte. Sie zerrte ihr Gepäck über die Schwelle und schloß die Tür hinter sich. Ihr Blick huschte durch den Raum, aber sie konnte Jareth nirgends entdecken. Nur noch fünf Minuten, dachte sie bei sich. Nur noch einen kleinen Moment. Hastig kramte sie den bewußten kleinen Umschlag aus ihrer Tasche und rannte in ihr Badezimmer. Nach einem kurzen Studium ihres Spiegelbildes, war ihr klar, daß es mit einem flüchtigen frischmachen nicht getan war. Sie entschloß sich für eine rasche Generalüberholung und war tatsächlich fünf Minuten später bereit. Sie ging in ihr Wohnzimmer und rief in Gedanken nach ihm. Einen Augenblick später stand er vor ihr und schloß sie stürmisch in seine Arme.
"Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr!"
Sarah genoß seine zermalmende Umarmung mehr, als sie sagen konnte und gab ihm stattdessen seine Küsse genauso heftig zurück. Nachdem sich beide wieder etwas beruhigt hatten, gab Jareth seiner Geliebten eine weiße Rose, die er zuvor aus der Luft gepflückt hatte.
"Für dich", flüsterte er, als er ihr die Blüte begleitet von einem Handkuß überreichte.
Sarah bewunderte die makellose Blume. "Sie ist wunderschön! Woher hast du sie?"
"Extra für dich gepflückt, meine kleine Elfe."
"Komisch, mir sind damals gar keine Rosensträucher aufgefallen...." grübelte Sarah.
"Du brauchst nicht so angestrengt nachzudenken", lachte Jareth als er die Falten auf ihrer Stirn sah. "Davon bekommst du Runzeln", stichelte er. Sarah knuffte ihn in die Seite. "Es gibt sie erst seit einiger Zeit." Erklärte er ihr schließlich.
"Wenn du noch mal so etwas gemeines sagst wie daß ich Runzeln bekomme, dann...." schimpfte Sarah.
"Was, dann...." forderte Jareth sie heraus.
"Dann.... dann gebe ich dir dein Geschenk nicht!" drohte Sarah grinsend.
Er stutzte. "Du hast ein Geschenk? Für mich?"
"Ja."
"Wo ist es?"
Sarah nahm den Umschlag von ihrem Wohnzimmertisch und hielt ihn Jareth hin.
"Hier ist es." In diesem Moment ähnelte Jareth auf frappante Weise ihrem kleinen Bruder, wenn er unter dem Weihnachtsbaum die Geschenke aufriß - denn von auspacken konnte man in diesem Zusammenhang nicht mehr sprechen. Sie lächelte bei der Erinnerung.
Allerdings war Jareth dem "Aufreiß-Alter" entwachsen. Er nahm den Umschlag entgegen und betrachtete ihn neugierig.
"Mach ihn noch nicht gleich auf", bat Sarah. "Ich sollte dir vielleicht erst noch etwas dazu sagen. Setzen wir uns doch."
Jareth sah sie fragend an, sagte jedoch nichts und nahm auf ihrer Couch Platz. Etwas in Sarahs Aura ließ ihn die Bedeutung ihres Geschenks erahnen. Sarah schritt noch ein paarmal vor der Couch auf und ab, bevor sie sich neben Jareth setzte. Sie war plötzlich nervös geworden.
Sie holte tief Luft und sah ihm dann gerade in die Augen.
"Jareth, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, aber ich glaube der direkte Weg ist der beste." Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: "Ich habe einiges über dich in Erfahrung gebracht. Wer du einmal warst, wann du geboren wurdest, und die Umstände, die dich zu Tandor führten. Es steht alles da drin." Sie deutete auf den Umschlag, den Jareth immer noch in seinen Händen hielt. Diese Hände fingen nun an zu zittern. Jareth konnte nicht glauben, was er eben gehört hatte. Tausend Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, doch er konnte keinen einzigen davon in Worte fassen. Er starrte Sarah an, ohne sie wirklich zu sehen. Sein Blick wanderte zu dem Umschlag. Seltsam. Er hielt sein Leben in seinen Händen. Warum fühlte er nichts? Er horchte in sich hinein und empfand nur eine merkwürdige Leere. Sein Blick hob sich wieder zu Sarah. Er spürte, daß sie um ihn besorgt war, seine Reaktion hatte ihr Angst gemacht. Reaktion? Was für eine Reaktion? Er saß einfach nur da. Er mußte etwas tun, etwas sagen. Langsam kroch wieder Wärme und Gefühl durch seine Adern und seine Starre löste sich.
"Erzähl du es mir. Ich kann es jetzt nicht lesen."
Sarah seufzte erleichtert auf.
"Deine Mutter war Lady Rowena und dein Vater war Sir Cedrik. Durch einen Jagdunfall, der wahrscheinlich inszeniert war, kam dein Vater kurz nach deiner Geburt ums Leben. Eine Seitenlinie der Familie wollte unbedingt an den Grafentitel kommen, dessen rechtmäßiger Erbe nun du warst. Gegen dich und deine Mutter wurden mehrere Intrigen gesponnen, denen deine Mutter nach einiger Zeit nicht mehr standhalten konnte. Sie mußte dich auf Druck der Verwandtschaft ihres toten Mannes vor den Toren eines Klosters aussetzen. Man hatte das Gerücht in die Welt gesetzt, du wärst des Teufels. Als Beweis wurden deine verschiedenfarbigen Augen zitiert. Tandor fand dich dort, und nahm dich zu sich. Deine Mutter wollte dich am nächsten Tag wieder zu sich nehmen und mit dir fliehen, doch du warst nicht mehr da. Das war die Kurzversion."
"Wie lautet mein richtiger Name?"
"Jareth. Dein richtiger Name ist Jareth."
"Tatsächlich? Wie sonderbar." Er starrte geistesabwesend vor sich hin. "Wann ist mein Geburtstag?"
"Du kamst 1579 auf die Welt. In der Nacht vom 31. Oktober - an Halloween."
Jareth nickte, dann saßen sie sich wieder schweigend gegenüber. Nach einer Weile erhob sich Jareth. "Ich werde jetzt gehen, Sarah. Ich muß eine Weile allein sein."
Sie suchte seinen Blick, doch seine Augen waren seltsam leer.
"Du kommst doch wieder?"
Seine Gedanken kehrten wieder in die Gegenwart zurück und seine Augen füllten sich wieder mit Leben, als er Sarah fixierte. "Du hast mir gerade das größte Geschenk gemacht, das es gibt. Du hast mir mein Leben geschenkt. Ich werde wiederkommen, es wird nur eine Weile dauern." Er küßte sie zum Abschied auf die Stirn.
"Vergiß mich nicht", flüsterte sie.
"Wie könnte ich das."


"Louder than thunder"

Kapitel 30

In seinem Zimmer angekommen, legte Jareth den bewußten Umschlag behutsam auf seinen Schreibtisch und nahm selbst dahinter in seinem Stuhl Platz. Er brachte nicht den Mut auf, den Umschlag zu öffnen, auch wenn er bereits in groben Zügen wußte, was ihn erwartete. Es war seltsam, sein ganzes Leben lang war er auf der Suche nach seiner wahren Identität gewesen, und jetzt, wo sie zum Greifen nahe war, scheute er davor zurück. Die Zeit der phantasievollen Gedankenspielereien war vorbei, von allen Möglichkeiten, die er sich je über seine Herkunft ausgedacht hatte, traf nun nichts mehr zu. Die Wahrheit über sich, die er heute erfahren hatte, war endgültig. Die Wurzeln seines Lebens waren nun festgelegt und damit auch ein Teil seiner selbst. Er war nicht mehr länger ein mysteriöses Blatt im Wind, dessen Herkunft genauso ungewiß war, wie seine Zukunft. Er hatte nun eine Vergangenheit. Für eine kurze Zeit war er ein Graf gewesen. Ein Graf. Er ließ sich das Wort in Gedanken auf der Zunge zergehen. Doch diese Gewißheit berührte ihn lange nicht so, wie die völlig neue Idee, daß er Eltern gehabt hatte. Eine Mutter und einen Vater. Eine Mutter. Eine richtige Mutter. Jetzt konnte er nicht länger warten. Er mußte seine ganze Geschichte kennen. Die Zeit der Träume war für ihn ein für allemal vorbei. Jetzt wollte er die Wahrheit über sich lesen. Vorsichtig schlitzte er den Umschlag mit einem kleinen Messer auf, entnahm ihm drei sauber getippte Papierbögen und fing an zu lesen.

Als es dunkel wurde, zündete er die Hälfte der Kerzen im Raum an. Er wußte nicht mehr, wie oft er seine Geschichte gelesen hatte. Es mußte sehr oft gewesen sein, denn mittlerweile konnte er sie auswendig. Die Bögen lagen sauber ausgebreitet nebeneinander auf seinem Schreibtisch. Obwohl er sie nicht mehr lesen mußte, um ihren Inhalt zu erfahren, konnte er seinen Blick nicht davon lösen. Sein Kopf schmerzte und so versuchte er erst gar nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Er saß einfach nur da und ließ die Gedankenblitze wie Nebelfetzen durch sein Hirn treiben. In dieser Nacht fand der König der Kobolde keinen Schlaf. Dies sollte auch für lange Zeit so bleiben.

Seine Untertanen waren zwar nicht die Hellsten, doch sogar sie bemerkten nach zwei Wochen, daß sie ihren König schon lange nicht mehr gesehen hatten. Das Küchenpersonal des Schlosses, welches aus den intelligentesten Kobolden des ganzen Reiches requiriert wurde, und ein dementsprechendes hohes Ansehen genoß, konnte zur allgemeinen Verwunderung nur soviel beitragen, als der König seit mehreren Tagen sein Zimmer nicht mehr verlassen hätte und sie ihm lediglich einmal täglich ein Tablett mit etwas Essen und Wein vor seiner Tür abzustellen hatten. Die Kobolde waren enttäuscht, denn im Grunde langweilten sie sich ohne ihren König. Nur Ludo verstand die ganze Aufregung nicht, als er davon erfuhr. Er selbst streifte schließlich oft wochenlang durch den Wald ohne jemandem zu begegnen. Der König wollte eben auch einmal allein sein. Daß ein König zum Alleinsein nicht einfach in den Wald gehen konnte, das verstand sogar Ludo und wunderte sich darüber, daß alle anderen diese einfachen Dinge nicht verstehen konnten.
Nachdem sich Jareth über zwei Wochen in seiner freiwilligen Klausur befunden hatte, hielt er es in seinen Räumen nicht mehr aus, und folgte unbewußt Ludos Beispiel. Er schlüpfte in frische Kleidung - von Kopf bis Fuß schwarzes Leder mit einem enggeschnittenen weißen Hemd - und ging mit großen Schritten aus seinem Zimmer, aus seinem Schloß und aus seiner Stadt. Seine Untertanen bemerkten nur, daß ihr König wieder aufgetaucht war und als schwarzer Wirbelwind durch sein Reich schritt und waren es zufrieden. Jareth mußte weit gehen um sein Ziel - die Lichtung des Königs - zu erreichen. Obwohl er diesen Platz seit vielen Jahrzehnten nicht mehr aufgesucht hatte, bereitete es ihm keinerlei Schwierigkeiten sich an den Weg dorthin zu erinnern. Jeder seiner Schritte hatte sich damals mit schmerzhafter Intensität in sein Gedächtnis gebrannt. Damals, als er Tandors Asche auf die Lichtung gebracht hatte. Niemand außer ihm wußte davon. Er war heute viel schneller gegangen als damals und ehe er's sich versah befand er sich schon mitten auf der Lichtung. Jareth sah sich prüfend um. Der Ort schien unverändert. Er zwang seinen Körper zur Ruhe und legte sich in der Mitte der Lichtung hin. Nachdenklich starrte er in den Himmel über sich. Er mußte jetzt endlich nachdenken und zu einer Entscheidung gelangen, die ihm half, seine Gefühle zu begreifen. Er hatte die letzten zwei Wochen damit vertrödelt sich selbst nicht zu verstehen. Damit mußte Schluß sein. Er konnte nicht den Rest seines Lebens mit Grübeln verbringen. Er holte alle seine Erinnerungen, die er an Tandor hatte aus dem hintersten Winkel seines Gedächtnisses hervor und betrachtete sie der Reihe nach. Doch mit den Erinnerungen kam auch der Schmerz und Jareths Augen füllten sich mit Tränen, die seit Jahrhunderten darauf warteten, endlich geweint zu werden. Da er seinen Schmerz und seine Trauer nicht länger zurückhalten konnte, gab er sich ihnen völlig hin. Er litt entsetzliche Qualen, doch er spürte eine gewisse Erleichterung und wußte, daß er nur so gesunden konnte. Nach einer kleinen Ewigkeit versiegten seine Tränen und Jareth kam wieder ein wenig zur Ruhe. Er fühlte sich schwach und ausgelaugt, aber merkwürdigerweise nicht mehr so niedergeschlagen. Seine Sinne begannen wieder zu arbeiten und plötzlich spürte er, daß er seit einiger Zeit nicht allein in diesem Teil seines Reiches gewesen war. Die Präsenz eines anderen Wesens war überdeutlich. Verärgert und mit einer flammenden Schamröte auf den Wangen richtete sich Jareth halb auf. Es dauerte nicht lange, bis er seinen Beobachter entdeckt hatte. Dieser hatte sich soeben entschlossen, seinen Platz hinter einem Strauch zu verlassen und sich dem König zu zeigen. Verblüfft sah Jareth, wie der weise Mann mit seinem albernen Vogelhut vorsichtig hinter seinem Strauch hervor- und auf ihn zuhumpelte.

"Seid gegrüßt, Eure Majestät."
"Wie seid Ihr hierhergekommen?" fragte Jareth gereizt.
"Indem ich Euch gefolgt bin", erwiderte der weise Mann ruhig und hockte sich neben Jareth auf den weichen Boden der Lichtung.
"Und warum seid Ihr mir gefolgt?"
"Weil ich wissen wollte, wohin Ihr geht."
Jareths Gesicht heiterte sich auf und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Dieses Frage- und Antwortspiel konnte ewig so weitergehen, wenn er nicht endlich die richtigen Fragen stellte. Mit einem Seitenblick stellte er fest, daß der Vogel des weisen Mannes augenscheinlich ein Nickerchen machte. Er konnte also mit einer einigermaßen ungestörten Unterhaltung rechnen. Er hatte das Gefühl, daß ein offenes Gespräch überfällig war. Der weise Mann hielt ihm wortlos sein großes Taschentuch hin und Jareth nahm es genauso wortlos entgegen. Ein letzter Anflug von Schamröte überzog seine Wangen, während er die Tränenspuren von seinem Gesicht entfernte. Zu guter Letzt putzte er sich noch ausgiebig die Nase und fühlte sich fast wieder als wäre er noch der junge Prinz dieses Reiches und nicht schon seit einer kleinen Ewigkeit sein mächtiger Herrscher.
"Merkwürdig... Ich fühle etwas..." murmelte der weise Mann nach einer Weile.
"Das ist gar nicht so merkwürdig. Ich habe damals die Asche von... ihm... hierhergebracht", rückte Jareth zögernd mit der Wahrheit heraus.
"Das erklärt es zweifellos, aber warum habt Ihr das getan? Es war nicht sein Wunsch."
Überrascht sah Jareth den weisen Mann an. "Ihr kanntet seine Wünsche? Ihr?"
"Ja." Antwortete der weise Mann schlicht.
Jareth mußte diese Neuigkeit erst verdauen und so gab er Antwort auf die Frage des weisen Mannes.
"Ich habe ihn hierhergebracht, weil es mir nicht richtig erschien, seine Asche einfach in alle vier Winde zu zerstreuen. Tandor... war oft der Meinung, ich wäre zu... zu menschlich... vielleicht hatte er recht. Ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht ihm seinen letzten Wunsch zu erfüllen."
"Tandor wußte um Deine Menschlichkeit, die er immer wieder an Dir bemängelt hat. Aber er hat Dir verziehen. Immer wieder. Wir haben oft darüber gesprochen und er wußte, daß das Schicksal noch vieles für Dich bereit hält. Deshalb war er nachsichtiger mit Dir, als er es sonst gewesen wäre."
Jareth fiel nicht auf, daß der weise Mann ihn nicht mehr in der dritten Person ansprach, wie es sich eigentlich gehörte. Es klang in seinen Ohren sogar richtig, daß er geduzt wurde.
"Nachsichtig? Ihr wollt mir allen Ernstes weismachen, Tandor wäre nachsichtig mit mir gewesen?" Jareth grinste schief.
"Seine Strenge entsprang nur seiner Sorge um Dich. Er befürchtete, Du könntest Deinem Schicksal nicht gerecht werden. Er wußte, daß er Dir nicht mehr würde beistehen können, wenn der Zeitpunkt gekommen wäre."
"Ihr sprecht in Rätseln. Ihr wart der Vertraute meines Ziehvaters und ich habe ein Schicksal zu erfüllen?"
"Große Dinge geschehen. Das Reich verändert sich. Ihr verändert Euch."
Dieser Satz brachte Jareth wieder die Gedanken zurück, die ihn auf diese Lichtung getrieben hatten. Ihm schwirrte bereits der Kopf von all den Neuigkeiten, die ihm der weise Mann eröffnet hatte. Er mußte unbedingt die Dinge in der richtigen Reihenfolge anpacken. Seine Vergangenheit konnte noch ein kleines bißchen warten.
"Tandor und Ihr... ihr wißt etwas über mich und mein Reich, das ich nicht weiß. Warum ist das so?"
"Diese Frage kann ich Euch nicht beantworten. Tandor muß seine Gründe dafür gehabt haben, es wäre seine Aufgabe gewesen Euch alle Geheimnisse zu enthüllen... ich darf es nicht."
Jareth seufzte. "Manchmal glaube ich, es wäre besser gewesen, Ihr wärt an meiner Stelle König geworden. Ich begreife so vieles nicht. Ich fürchte Tandor hat mir mehr verschwiegen, als er mir beigebracht hat." Nach einer Pause fügte er hinzu: "Jedesmal, wenn ich etwas Neues erfahre, frage ich mich, ob er es gewußt hat und mir nur nicht sagen wollte - aus welchen Gründen auch immer." Jareth sah dem weisen Mann nun direkt in die Augen. "Seit einigen Tagen weiß ich, wer ich wirklich bin."
Der weise Mann riß überrascht die Augen auf. "Wie ist Euch das gelungen?"
"Es... es gibt da eine junge Frau auf der Erde..." Jareth war es peinlich, seine Quellen anzugeben. Doch der weise Mann unterbrach ihn.
"Ja, ich weiß ihr Name ist Sarah. Und weiter?"
Jareth sah den weisen Mann skeptisch an. Langsam aber sicher wurde dieser Kerl ihm unheimlich. Doch schließlich fuhr er fort und erzählte dem weisen Mann die ganze Geschichte.
Der weise Mann wartete ruhig ab, bis Jareth geendet hatte.
"Und warum erzählt Ihr mir das alles?" fragte er ruhig.
"Weil ich an nichts anderes mehr denken kann, als daß mir Tandor mein wahres Leben gestohlen hat." Der Gedanke drohte ihn zu überwältigen. Er sprang auf und ging erregt vor dem weisen Mann auf und ab.
"Er hatte kein Recht dazu. Ich hatte bereits ein Leben. Er mußte mir kein neues geben. Ich hatte einen Vater und eine Mutter. Und ich war ein Graf. Warum hat er es mir nie gesagt?!"
"Ich nehme an, er hat es Euch nie gesagt, weil er es selbst nicht wußte. Denkt nach! Es war Winter, es war kalt! Hätte Tandor Euch nicht mitgenommen, wärt Ihr entweder erfroren, oder es hätten Euch tatsächlich Raubtiere gefressen."
Doch Jareth war dickköpfig. "Meine Mutter wollte mich am nächsten Tag wieder mit sich nehmen."
"Schön. Und dann? Glaubt Ihr wirklich, die Verwandten Eures Vaters hätten Euch am Leben gelassen?"
Jareth blieb abrupt stehen. Der Gedanke, daß seine Mutter vielleicht ein Leben auf der Flucht hätte führen müssen, mit dem unausweichlichen Ende am Schluß ernüchterte ihn und er hielt in seinem rastlosen auf und ab inne.
"Und selbst wenn alles gut gegangen wäre und ihr alt genug geworden wärt, um Graf zu werden und das Erbe Eures Vaters anzutreten? Was wäre dann gewesen? Was ist schon ein Graf. Hier seid Ihr König! Außerdem wärt Ihr schon seit ein paar hundert Jahren tot, wenn Tandor Euch nicht hierher gebracht hätte." Ergänzte der weise Mann trocken.
Die Wahrheiten des weisen Mannes durchbrachen Jareths Dickkopf. Er kniete neben ihm nieder.
"Ihr habt recht. Verzeiht mir. Ich habe kein Recht, Tandor zu tadeln. Ich danke Euch - allein hätte ich die Wahrheit nicht erkannt. Die Erkenntnis über meine Herkunft kam zu unerwartet... Ich fürchte, ich hatte meine sieben Sinne nicht mehr so ganz beieinander."
"Das ist die menschliche Seite in Euch, Majestät. Kein Lebewesen kann gegen sein Natur ankämpfen. Und nun grämt Euch nicht länger. Versucht es zu akzeptieren - ändern könnt Ihr ja doch nichts mehr. Wer weiß schon..." er unterbrach sich und legte Jareth einen Arm um die Schulter. "Ihr dürft mich Darius nennen."
Jareth sah erstaunt auf. "Darius? Ist das Euer Name?"
Darius nickte. "Doch jetzt muß ich gehen. Basilius wird bald aufwachen und ich will nicht, daß er von unserem Gespräch weiß. Er ist leider etwas geschwätzig."
Bevor Jareth noch etwas erwidern konnte, hatte sich Darius bereits erhoben und war mit seinem Vogelhut namens Basilius davongehumpelt. Jareth blieb allein auf der Lichtung zurück. Dieser alte Mann gab ihm doch immer wieder neue Rätsel auf. Bedauernd schüttelte Jareth den Kopf und sagte laut: "Oh Tandor. Was hast du dir nur dabei gedacht, gerade mich zum König zu machen. Ich werde das Gefühl nicht los, daß Darius wesentlich besser geeignet gewesen wäre."



Kapitel 31

Sarah trocknete gerade trübsinnig ihr Frühstücksgeschirr ab, als sie die mentalen Vibrationen fühlte, die Jareth seinem Erscheinen stets vorausschickte. Ihr Herz machte vor Freude einen kleinen Sprung. Endlich war er wieder da. Sie öffnete ihre Gedanken für ihn und im Bruchteil eines Augenblicks war er auch schon vor ihr erschienen. Er stand nicht weit entfernt von ihr, doch keiner von ihnen machte den ersten Schritt um diesen Abstand zu verringern. Sie genossen schweigend den Moment ihres Wiedersehens.
"Hi", sagte Jareth schließlich.
Sarah mußte lächeln. Sie hatte ihn nicht so schüchtern in Erinnerung. "Du hast mir gefehlt."
"Ich weiß", sagte er schlicht.
"Woher willst du das wissen?"
"Weil es mir ganz genauso ging." Erst jetzt ging er auf sie zu und schloß sie in seine Arme. Sarah schmiegte ihre Wange an sein weiches royalblaues Samthemd.
"Du darfst mich nie wieder so lange allein lassen", flüsterte sie leise an seinen Hemdkragen.
Sanft legte er seine Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht. "Solange du nicht noch eine andere Herkunft für mich ausgräbst, kann ich dir das sogar schwören."
Sarah entwand sich nervös seiner Umarmung.
"Ich habe darüber nachgedacht, Jareth. Ich glaube, ich hätte mich da nicht einmischen sollen. Vielleicht ist es besser, wenn man manche Dinge im Dunkel läßt." Sie zögerte. "Es tut mir leid, Jareth. Ich glaube, ich habe dir mit deiner Vergangenheit sehr weh getan."
"Sarah, du weißt nicht was du da sagst." Mühelos fing er sie wieder in seinen Armen. "Ich gebe zu, es war zuerst ein Schock für mich. Ich habe lange gebraucht um alles zu verstehen. Aber es ist zugleich auch das Beste gewesen, was mir je passiert ist."
"Wirklich?"
"Ja, mein kleiner Dummkopf. Wirklich. Nur durch dein Stöbern in der Geschichte ist es mir jetzt möglich, etwas zu tun, das ich schon lange tun wollte und von dem ich geglaubt hatte, es bliebe mir für immer verwehrt."
"Wovon sprichst du?" Eine böse Vorahnung stieg in ihr auf.
"Sarah, du hast mir mein Leben geschenkt, durch dich weiß ich, wer ich eigentlich bin und wie ich der König der Kobolde wurde. Jetzt, da ich das alles weiß, kann ich dich endlich mit gutem Gewissen um etwas bitten." Jareth umschloß ihre Hände mit seinen Händen und hielt sie fest, während er vor ihr niederkniete. "Sarah, willst du meine Frau werden und als meine Königin an meiner Seite über unser gemeinsames Reich herrschen?" formulierte er seinen Heiratsantrag.

Er hatte lange über diesen Schritt nachgedacht. Er hatte lange überlegt, welche Worte er wählen sollte. Seine Kleidung hatte er besonders sorgfältig ausgesucht. Er war sehr schlicht und sehr königlich in royalblauen Samt gekleidet. Er hatte bewußt auf Rüschen und Spitzen und sonstigen modischen Schnickschnack verzichtet, nichts sollte Sarah von seiner wichtigen Frage ablenken. Er hatte sie eigentlich schon die ganze Zeit bitten wollen, seine Frau zu werden, doch so lange er über sich selbst nicht im klaren gewesen war, hatte er den Mut dazu nicht aufgebracht. Doch jetzt war alles anders geworden. Sarah selbst hatte es ihm ermöglicht sie zur glücklichsten Frau seiner Welt zu machen. Warum eigentlich hatte sie noch nicht ja gesagt? Er warf ihr einen fragenden Blick zu und war überrascht, wie blaß sie plötzlich geworden war.
Sarah schluckte krampfhaft. Ihr war bewußt, daß sie den Moment nicht mehr länger würde hinauszögern können. So nahm sie all ihren Mut zusammen und antwortete ihm: "Nein."
"Was?"
"Ich sagte nein, Jareth"
"Was?" er stand auf ohne ihre Hände loszulassen. "Vielleicht hast du mich nicht richtig verstanden, ich habe dich gefragt, ob du meine Frau werden willst. Sarah, bitte heirate mich!" Seine Gefühle mit Verwunderung oder Überraschung zu umschreiben, wäre eine glatte Untertreibung gewesen. Es war weit mehr als das. Er war verzweifelt. Von einem Augenblick zum anderen war sein Weltbild zusammengestürzt und hatte sich in nichts aufgelöst. Er war sich ihrer positiven Antwort so sicher gewesen. Und nun das!
Sarah atmete tief durch. "Nein, Jareth, ich habe dich schon gleich beim ersten Mal richtig verstanden. Aber die Antwort lautet nein."
"Soll das heißen, du hast die ganze Zeit über nur mit mir gespielt?" fragte er gefährlich leise.
"Mach dich nicht lächerlich, Jareth."
"Danke für diesen Rat. Er kommt nur leider zu spät! Hat es dir Spaß gemacht mich so zu demütigen? Mich glauben zu lassen, daß du mich liebst? War es dein Ziel, einen König vor dir auf den Knien herumrutschen zu lassen? Gratuliere, du hast es geschafft!" Seine Stimme war scharf und sehr laut geworden.
"Schrei mich nicht so an!" schrie Sarah zurück. "Und hör mit diesem Blödsinn auf! Das ist doch alles gar nicht wahr."
"Was ist es dann? Hast du einen anderen? Ist es das? Hast du einen anderen Mann kennengelernt?!" In seiner Frage schwang eine gute Portion verletzte Eitelkeit mit.
"Nein, verdammt! Es gibt keinen anderen Mann. Und wenn du mir einmal ruhig zuhören würdest, dann könnte ich es dir auch erklären!" Sarah kämpfte mit den Tränen. Doch sie würde nicht vor diesem Tobsüchtigen anfangen zu weinen.
Jareth war vor Wut und Enttäuschung sehr blaß geworden. Sein Herz hämmerte schmerzhaft in seiner Brust, so daß er glaubte, es müsse jeden Augenblick zerspringen, aber als er sah, wie Sarah krampfhaft versuchte ihre Fassung nicht zu verlieren, wurde sein Blick wieder etwas klarer. Egal was sie ihm auch angetan hatte, er wollte nicht der Grund für ihre Tränen sein.
Sarah nutzte die Ruhepause. "Ich wünschte du hättest nie gefragt."
"Liebst du mich denn nicht?" fragte Jareth, als er begriffen hatte, was sie da gerade zu ihm gesagt hatte.
"Natürlich liebe ich dich. Sei nicht so dumm, Jareth. Zu einer Heirat gehört mehr als nur Liebe", bemerkte Sarah ungeduldig.
"Ich verstehe dich wirklich nicht, Sarah. Was zum Teufel ist so wichtig, daß du nicht meine Frau werden kannst", reagierte Jareth genauso ungeduldig.
"Ich hätte uns das hier wirklich gerne erspart, deshalb hatte ich gehofft, du würdest mich nie um meine Hand bitten, aber...", resigniert fuhr sie fort. "Aber schön. Ich werde versuchen es dir zu erklären."
Jareth sah sie verständnislos an, doch er widersprach ihr nicht.
"Ich kann nicht einfach mit dir kommen und hier alles aufgeben", began Sarah.
"Was, bitte, ist so wichtig für dich, daß du es nicht für ein Leben mit mir aufgeben willst?" fragte Jareth spitz. Er konnte den Gedanken an einen anderen Mann in ihrem Leben noch nicht völlig außer Acht lassen.
"Viele Dinge", sagte Sarah unbestimmt. "Zum einen mein Job, mein ganzes Leben hier. Meine Eltern, Toby, ich kann das alles nicht von jetzt auf nachher aufgeben. Wie stellst du dir eigentlich vor, was ich meiner Familie sagen soll? Soll ich vielleicht sagen: liebe Eltern, ich heirate den König der Kobolde, leider werden wir uns deshalb in diesem Leben nicht mehr sehen? Oder soll ich ihnen am besten gar nichts sagen? Jareth! Was du da von mir verlangst ist unmöglich!" Mit leiser Stimme fuhr sie fort: "Als meine Mutter uns damals verlassen hat, hat sie damit den Menschen die sie am meisten geliebt haben auch am meisten weh getan. Nämlich meinem Vater und mir. Wenn du so willst bin ich jetzt alles, was mein Vater noch hat. Wenn ich nun auch aus seinem Leben verschwinden würde... das könnte ich einfach nicht. Verstehst du denn nicht, daß ich ihm das nicht antun kann?" Ihre Augen flehten um sein Verständnis.
Doch Jareth verstand nur eines: Sie war noch nicht bereit für ein Leben mit ihm. Hätte sie ihn wirklich gewollt, dann wären die Punkte, die sie ihm gerade genannt hatte wohl kaum ins Gewicht gefallen. Da sie ihr aber offensichtlich noch so wichtig waren... Sie liebte ihn, dessen war er sich sicher, doch sie liebte ihn noch nicht genug, um diesen wichtigen Schritt zu machen. Nun gut, er hatte Zeit, er konnte warten.
"Und was schlägst du jetzt vor?" fragte er.
Erleichtert atmete Sarah auf. "Vielleicht... warum sollen wir nicht einfach so weiterleben, wie bisher?" schlug sie zaghaft vor.
"Warum nicht, es war ja schließlich nicht das schlechteste", ging er darauf ein.
"Gut, und jetzt laß uns nicht mehr über diese unerfreuliche Szene reden."
Er kam auf sie zu und nahm eine ihrer Hände. "Ich denke das kann ich dir versprechen, aber ich kann dir nicht versprechen, dich nie mehr zu fragen." Er sprach mit großem Ernst und Sarah wurde wieder einmal bewußt, wieviel Macht und Attraktivität er besaß. Sie konnte nur stumm dazu nicken.
"Gut." Er lächelte matt und hauchte einen Kuß auf ihren Handrücken. "Ich werde jetzt gehen." Er ließ ihre Hand los. Sarah wollte ihn zurückhalten und streckte ihre Hände nach ihm aus. Er sah es und hob eine Augenbraue.
"Keine Angst meine kleine Elfe. Ich komme wieder. Wahrscheinlich schneller als du denkst." Mit einer letzten, lässigen Handbewegung war er verschwunden.

Sarah starrte benommen auf den Punkt an dem er gerade noch gestanden hatte und an dem sich nun gar nichts mehr befand. Was hatte sie nur getan? So... so hart hatte sie ihn noch nie... noch nie? Und wie war es damals gewesen? Damals, als sie Toby retten mußte? War er damals nicht ganz genauso zu ihr gewesen? Sarah schlang die Arme um ihren Körper. Sie fröstelte.

Jareth starrte in seinem Zimmer genauso benommen auf Sarahs Portrait. Ihm war noch unklar ob er es verbrennen oder einfach nur zerreißen sollte. Genaugenommen konnte er sich weder für das eine noch für das andere entscheiden. Je länger er ihr gemaltes Gesicht betrachtete, desto klarer wurde ihm, wie sehr sie sich seitdem verändert hatte. Sie war kein Kind mehr, das mit unschuldigen grün-grauen Augen in die Welt blickte. Vielmehr konnte sie mit einem einzigen Aufblitzen dieser Augen eine ganze Welt verändern. Sie hatte sogar ihn selbst völlig umgekrempelt. Verdammt! Wann würden diese seelischen Torturen für ihn endlich ein Ende haben. Seit Sarah in sein Leben getreten war, war eine Katastrophe nach der anderen über ihn hereingebrochen. Seine Psyche war in eine schier endlose Achterbahnfahrt geraten. Hinter jeder Ecke konnten schon die nächsten Prüfungen auf ihn lauern. Er hatte das alles gründlich satt. Als König war er es nicht gewohnt, daß das Schicksal so mit ihm umsprang. Immer noch wütend über den Einfluß, den sie auf ihn hatte, verhängte er ihr Bild mit einem dunklen Schleier. Sein Zimmer und das Schloß beengten ihn. Er mußte hier raus, bevor er platzte. Eilig ließ er in Gestalt einer Eule die Koboldstadt hinter sich. Sein Flug führte ihn zu dem entlegensten Stückchen Wald, das sein Königreich zu bieten hatte. Es war so weitab von allem Geschehen, daß sich niemand die Mühe gemacht hatte, einen Namen dafür zu erfinden. Hier landete er und verwandelte sich in seine menschliche Gestalt zurück.

Stunden später wich Ludo ohne besonderen Grund von seinem üblichen Weg ab. Er zwängte sich durch ein ihm unbekanntes Dickicht bis er eine erstaunliche Entdeckung machte. Vor ihm tat sich ein völlig verwüstetes Waldstück auf. Langsam glitt sein Blick über einen verkohlten Baumstumpf, einige entwurzelte Büsche und Bäume und gesprengte Felsbrocken. Sein Verstand suchte nach einer Ursache für diese Zerstörung und sein Blick fand - seinen König. Der König saß auf einem umgestürzten Baumstamm und machte auf Ludo keinen sehr glücklichen Eindruck.
Jareth hatte seiner Wut und Enttäuschung die Zügel schießen lassen. Er hatte stundenlang getobt und gerast wie Verrückter. Er hatte sich dabei zu Tode erschöpft. Seine Wut und sein Zorn waren verschwunden und hatten nur noch eine unsägliche Enttäuschung und Einsamkeit zurückgelassen, die ihm auf merkwürdig dumpfe Art Schmerzen verursachten. Jareth hatte Ludo noch nicht bemerkt, so sehr beanspruchten ihn seine Empfindungen. Ausgelaugt raufte er sich die Haare. Was sollte er nur tun? Wie sollte er nur...
"König", unterbrach Ludo brummend die Gedankengänge seines Herrschers.
Jareth zuckte zusammen und sah Ludo verständnislos an. Es mußte ihm wirklich schlecht gehen, wenn er nicht einmal mehr bemerkte, daß sich riesenhafte Kolosse an ihn heranschlichen.
"Sarah hier?" fragte Ludo. Er vermißte Sarah nämlich ganz schrecklich.
Jareth schüttelte den Kopf. "Nein, Ludo. Sarah ist nicht hier."
"Kommt Sarah bald?" Ludo stampfte ein wenig näher an den König heran.
Jareth stöhnte insgeheim auf. Hatte er eigentlich keine Privatsphäre mehr? Doch er riß sich zusammen und beantwortete die Frage so ruhig wie möglich. "Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Wenn es nach mir ginge, dann wäre sie schon da."
Ludo war nahe genug herangekommen und hockte sich hin, damit er sich nicht mehr bücken mußte um dem König ins Gesicht zu sehen. Jareth bemerkte den prüfenden Blick des sanften Riesen und wußte nicht, was er davon halten sollte.
"König traurig." Es war keine Frage von Ludo sondern eine Feststellung.
Jareth lachte, doch es war kein fröhliches Lachen. "Ja, das bin ich in der Tat."
"Ludo vermißt Sarah", brummte Ludo weiter. Dann hellte sich sein Gesicht auf. Fast hätte er die wichtigste Frage vergessen. "Sarah bald Königin?"
Jareth verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. "Das möchte ich auch gerne wissen. Ich zumindest hätte sie sehr gerne als meine Königin. Du auch?" Er hob fragend den Blick zu Ludo, der ihn trotz seiner sitzenden Position noch immer überragte.
Ludo nickte nur. Anstatt viele Worte zu machen, wie seine anderen Freunde, legte er lieber seinen Arm schwer und tröstend auf Jareths Schultern.


"With the magic sex appeal"

Kapitel 32

Jareth nahm seine regelmäßigen Besuche bei Sarah schon nach sehr kurzer Zeit wieder auf. Beide vermieden die Erwähnung von Themen, die mit Heiraten und Ehe zu tun hatten, nach Kräften. Ihre Zusammenkünfte waren deshalb naturgemäß ziemlich verkrampft. Doch so sehr sich Sarah bemühte, ihm wieder völlig unbefangen zu begegnen, es wollte ihr nicht immer gelingen. Die Art, wie er sie manchmal ansah, wenn er glaubte, sie bemerke es nicht - wie ihr sein Blick fast wie ein Schatten folgte - wie er spöttisch eine Augenbraue hob, wenn sie ihn nach seiner Meinung fragte. Immer noch tauschten sie relativ keusche Zärtlichkeiten aus, doch Sarah hatte immer öfter das Gefühl, daß Jareth sie nicht mehr aus reiner Zuneigung liebkoste, sondern um seine Lust zu befriedigen. Obwohl er ihr gelegentliches Zögern sich ihm hinzugeben spüren mußte, nahm er nie wieder soviel Rücksicht auf ihre Gefühle, wie am Anfang ihrer Beziehung. Sarah wagte es nur noch selten, ihm im Ernst zu widersprechen, aus Angst, seinen Zorn hervorzurufen, von dem sie eine so beeindruckende Kostprobe erhalten hatte. Erst nach einigen Monaten normalisierte sich ihr Verhältnis zueinander wieder und beider Leben verlief wieder in normalen Bahnen.

Schließlich war es wieder September geworden und Sarah feierte ihren 23. Geburtstag. Jareth hatte sie gefragt, ob sie einen besonderen Wunsch hätte, doch Sarah hatte nur geheimnisvoll gelächelt und ihm geantwortet, sie werde ihm schon noch rechtzeitig Bescheid gegeben. Der große Tag war gekommen und Jareth wußte immer noch nicht, mit welchem Geschenk er seine Liebste erfreuen sollte. So hatte er ihr stattdessen einen Strauß mit 23 weißen Rosen aus seinem Labyrinth mitgebracht. Sie hatten gerade mit Champagner auf Sarahs Geburtstag angestoßen, als sie endlich mit der Sprache herausrückte.
"Jareth, als du mich gefragt hast, was ich mir zum Geburtstag wünsche, habe ich dir deshalb nicht geantwortet, weil mein Wunsch etwas außergewöhnlich ist und du ihn ohnehin nicht im voraus hättest besorgen können."
"Was immer es ist, für dich ist mir nichts zu außergewöhnlich. Wenn dein Herz daran hängt, sollst du es bekommen." Er küßte sie leicht auf die Wange.
"Nun gut, ich wünsche mir, daß ich einen Wunsch freihabe", eröffnete ihm Sarah.
Jareth war einen Moment lang überrascht, fing sich aber gleich wieder und ließ eine Kristallkugel in seiner Handfläche erscheinen. "Ganz wie du wünscht, meine kleine Elfe." Mit diesen Worten überreichte er ihr die Kristallkugel. Sarah hielt sie in ihren beiden Händen und registrierte erstaunt, daß sie gar nicht kühl war wie sie erwartet hatte, sondern ein pulsierendes Gefühl ausstrahlte, als ob sie ein lebendiges Lebewesen wäre. Jareth beobachtete sie belustigt. "Na los, wünsch' dir etwas. Dafür ist sie da. Um sie nur anzustarren ist sie viel zu schade", forderte er sie gutgelaunt auf.
"Ach, eigentlich wollte ich nur etwas für mein Medaillon haben." Sarah spielte unschlüssig mit der Kristallkugel herum.
"Für dein Medaillon?"
"Ja, ich wollte eigentlich nur ein Bild von dir, das ich zu meinem eigenen Bild legen kann."
"Das ist alles?"
"Ja. Das ist alles", bestätigte Sarah.
"Na schön, dann gib mir mal das Medaillon", schmunzelte Jareth. Er öffnete geschickt den Verschluß der Kette und nahm sie ihr ab, da Sarah immer noch alle Hände voll zu tun hatte - mit der Kristallkugel. Jareth öffnete das Medaillon und Sarahs Bild wurde sichtbar.
"Siehst du? Hier ist dein Bild." Er zeigte es ihr. "Und hier", er drückte leicht auf eine der Verzierungen und der Deckel des Medaillons sprang auf. "Und hier ist mein Bild." Es zeigte Jareth genauso, wie er an dem Abend gekleidet war, als er zum ersten Mal mit Sarah getanzt hatte. Beide sahen auf das Bild, hoben aber gleichzeitig den Blick und sahen sich tief in die Augen. "Es war die ganze Zeit da", flüsterte Jareth leise. Sanft küßte er ihre Lippen.
"Gib mir den Kristall wieder, du brauchst ihn ja nicht mehr", murmelte er zwischen kleinen, heißen Küssen an ihrem Hals.
"Wer sagt, daß ich ihn nicht mehr brauche?" forderte ihn Sarah etwas atemlos heraus.
Statt einer Antwort umarmte Jareth sie so stürmisch, daß die Kristallkugel ihren Händen entglitt und unbeachtet zu Boden fiel, wo sie sich sofort in Luft auflöste.

Geraume Zeit später war mancherlei passiert: die Champagnerflasche war leer und Sarah, die erfahrungsgemäß nicht gerade viel Alkohol vertrug, hatte einen mittleren Schwips, weshalb sie mit Jareth erst eine Kissenschlacht anzettelte, die in eine wilde Balgerei durch ihr halbes Wohnzimmer ausartete, in deren Verlauf Jareth sein Hemd und Sarah ihre Bluse einbüßte. Unter viel Gelächter hatte Jareth seine Liebste endlich vor dem Kühlschrank in die Enge getrieben und hielt sie nun in einem unbarmherzigen Griff von hinten fest. Sarah hatte an dieser Behandlung nicht das geringste auszusetzen, im Gegenteil. Sie hätte ihren Rücken auch ohne seine klammernde Umarmung eng an seinen Oberkörper geschmiegt.
"Wie wäre es mit etwas zu essen?" murmelte er, während er anfing, sanft an ihrem Ohrläppchen zu knabbern. "Dich durch die halbe Wohnung zu jagen, macht verdammt hungrig."
"Hattest du an etwas bestimmtes gedacht?" fragte sie kokett zurück.
Jareth hatte nur noch einen Arm um ihre Taille gelegt. Mit der anderen Hand streifte er den Träger ihres dunkelroten Büstenhalters von ihrer Schulter.
"Ich weiß nicht, aber zu einem Stückchen Elfenfleisch würde ich nicht nein sagen." Langsam legte er seine Lippen auf ihre Schulter, biß ein wenig in ihre Haut und fing an daran zu saugen.
"Du Kannibale", keuchte Sarah. Ihre Haut brannte vor Verlangen wie Feuer. Mit einem leicht schmatzenden Geräusch löste Jareth seine Lippen von ihrer Schulter. Der Knutschfleck den er dort hinterlassen hatte, leuchtet nun genauso rot, wie ihr Büstenhalter. Jareth war sehr zufrieden mit diesem Anblick. Langsam wanderten seine Hände über ihren Körper.
"Hast du immer noch Hunger?" fragte Sarah mit einem leichten Beben in ihrer Stimme.
"Hmmm."
"Mal sehen, was ich noch da habe." Sie öffnete ihren Vorratsschrank. "Viel ist ja nicht mehr da." Seine Hände hatten auf ihrer Wanderschaft ihre Brüste erreicht. "Cornflakes, Marmelade, Honig, Toast", zählte sie mit stockender Stimme auf. "Ich muß morgen unbedingt einkaufen gehen." Sie wußte nicht, wie lange sie seinen Verführungskünsten noch standhalten würde. Sie hoffte nur, es würde nicht mehr sehr lange dauern.
"Honig." Wiederholte er flüsternd und küßte weiter ihren Nacken, während seine Hände behutsam über ihre Brüste streichelten.
"Möchtest du kosten?" fragte Sarah atemlos, während sie das Honigglas aus dem Schrank holte. Sie schraubte den Deckel ab und drehte sich zu Jareth um.
"Hier." Ihre Stimme vibrierte. Sie tauchte ihren Finger in den Honig und hielt in Jareth hin. Jareth suchte ihren Blick und hielt ihn fest. Ihre Augen waren dunkel vor Verlangen geworden. Ohne darüber nachzudenken öffnete er seinen Mund und leckte den Honig von Sarahs Finger. Langsam saugte er ihn zwischen seine Lippen. Er schloß die Augen und widmete sich ganz der Aufgabe, ihren Finger mit seiner Zunge zu umspielen. Er hörte Sarah stöhnen, doch er wußte, daß es nicht vor Schmerz geschah und unterbrach seine Tätigkeit nicht. Schließlich gab er ihren Finger wieder frei. Sarahs atmete schwer und ihr Brustkorb hob und senkte sich in rascher Folge. Jareth tauchte nun seinerseits einen Finger in den Honig und bot ihn Sarah an. Genüßlich teilten sich ihre Lippen und saugten seinen Finger unerbittlich zwischen ihre Zähne. Jareth war über die Intensität der Gefühle die ihm dieses schlichte Saugen verursachte, nicht vorbereitet gewesen. Wenn ihm schon dieser Finger soviel Genuß verschaffte, wie wahnsinnig mußte es dann erst sein, wenn sie... allmählich glitt er in einen Zustand, in dem er nicht mehr sprechen oder denken konnte, sondern nur noch fühlen. Instinktiv preßte er seinen Unterleib stärker gegen Sarahs Jeans. Sarahs Geist war ähnlich umnebelt, wie der ihres Geliebten. Sie bemerkte wie er sein heißes Fleisch gegen sie preßte und öffnete automatisch ihre Schenkel. Ihre Bewegungen wurden fahriger, aber ihre Hüften erwiderten die Reibung und den Druck, den Jareth ihr gab. Undeutlich nahm sie wahr, daß sie seinen Finger freigegeben hatte um sich enger an ihn zu klammern. Doch Jareth streifte ihren Büstenhalter ab und bog ihren Oberkörper wieder leicht zurück. Als sie mehr spürte, als sah, daß Jareth Honig auf ihren nackten Oberkörper träufelte um ihn sofort wieder abzulecken, explodierte etwas in ihrem Kopf und sie wußte, was immer jetzt geschah, sie hatte jegliche Kontrolle über sich verloren.
Jareth ging sehr behutsam vor. Es bereitete ihm viel zu viel Vergnügen, um sich zu beeilen. Auch als schon lange kein Honig mehr auf ihrer Haut war, leckte und saugte er immer noch über ihre Brüste. Ihre Haut hatte sich gerötet, ihre Brustwarzen waren hart geworden und er spürte wie sie in seinen Armen schwer wurde, als ihre Beine nachgaben.
Wie sie auf dem Fußboden gelandet waren, oder wann sie sich ihrer restlichen Kleidungsstücke entledigt hatten, wußte keiner von ihnen zu sagen. Beide waren von einem Rausch erfaßt, der sie mit sich fortriß und sie Dinge tun ließ, die sie noch vor kurzem als undurchführbare Wunschvorstellungen abgetan hätten. Jareth glaubte wahnsinnig zu werden, als Sarah ihre schlanken Finger um seine pochende Männlichkeit schloß und ihre Zunge und Lippen ihm die süßeste Hölle bereiteten. Seine Hände suchten das Delta zwischen ihren Schenkeln und sein Mund folgte ihnen nach, wo er ihre empfindsamste Stelle mit zärtlichen Küssen liebkoste, als wäre es das selbstverständlichste auf der ganzen Welt. Es dauerte nicht lange, bis sich ihre spitzen Schreie mit seinem erregten Stöhnen mischten und eine Welle der Lust über sie hinwegrollte.

Als sich ihr Atem und ihr Pulsschlag wieder halbwegs normalisiert hatten, setzte er sich ein wenig auf und zog Sarah mit sich hoch. Ihre Haut glänzte leicht vor Schweiß, ihr Körper war entspannt und schwer, ihre Lippen teilten sich zu einem Lächeln, das Jareth an ein kleines Kätzchen erinnerten, das gerade eine ganze Schüssel Sahne ausgeschleckt hatte, aber in ihren Augen brannte immer noch eine Glut, die nur darauf wartete, wieder angefacht zu werden. Er hatte sie noch nie so schön gesehen. Sie genossen noch eine Weile schweigend den Nachhall der verklingenden Erregung. Sarah seufzte wohlig und schmiegte sich noch enger an ihn.
"Übrigens", deute sie geheimnisvoll an, "an deinem Geburtstag habe ich eine Überraschung für dich."
"Eine Überraschung? Was ist es?"
"Wenn ich es dir jetzt sagen würde, dann wäre es ja keine Überraschung mehr", stichelte Sarah. "Aber ich komme nun mal nicht umhin, es dir jetzt schon zu sagen."
"Meine Teuerste, es sei ihnen gewährt", alberte er.
"Dieses Jahr werden wir Halloween ganz für uns alleine haben!"
"Du meinst...?" Jareth blickte ungläubig drein.
"Genau! Ich muß auf keine Firmenparty. Ich weiß nicht wieso, aber ich mußte dieses Jahr kein Los ziehen. Ist das nicht wunderbar?"
"Dann müssen wir dieses Jahr keinen Gastgeber mit unserer Mr-King-Geschichte anlügen? Ach, wie schade!" spielte er den Enttäuschten. "Oh Sarah! Das ist wirklich wundervoll! Endlich können wir irgendwohin gehen, wo uns niemand kennt."
"Du willst trotzdem mit mir ausgehen?" hakte sie sicherheitshalber nochmal nach.
"Ja, das möchte ich sehr gern. Es ist immerhin der einzige Abend im ganzen Jahr, an dem ich mit dir tanzen kann. Das lasse ich mir nicht entgehen. Um keinen Preis der Welt", erklärte er liebevoll.
"Gut." Sarah war sehr zufrieden. "Ich dachte da an ein verschwiegenes italienisches Lokal. Sie veranstalten eine kleine Halloween-Party mit Tanz und reichlich zu Essen. Ich habe mir vorsichtshalber zwei Karten reservieren lassen. Ist dir das recht?"
"Ob mir das recht ist?" Jareth schüttelte amüsiert den Kopf. "Danke, daß du mich überhaupt noch fragst!" beschwerte er sich im Scherz. "Nein, es ist alles wundervoll und das weißt du genau. Du kennst mich einfach viel zu gut: italienisches Essen, verschwiegenes Lokal und Tanz... du weißt, daß ich dazu nie nein sagen würde."
"Sehr schön. Wäre nur noch das kleine Problem mit den Kostümen. Bislang haben wir uns auf diesen Parties in einer etwas gehobeneren Gesellschaftsschicht bewegt. Das dürfte dieses Mal nicht der Fall sein."
"Was schlägst du also vor?" Er konnte sich nur wundern. Was war sie doch für ein kleines Energiebündel! Man merkte eben doch, daß sie als Abteilungsleiterin etwas vom Organisieren verstand.
"Wir dürfen vor allem nicht durch unsere Kleidung auffallen. Ich habe an etwas im Piratenlook gedacht. Wie klingt das für dich?"
"Klingt o.k.! Was noch?" Er ahnte, daß sie sich die bitterste Pille bis zuletzt aufgehoben hatte und sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen.
"Du solltest besser keine Hosen anziehen, die so eng anliegen oder dein Hemd sollte vielleicht etwas länger sein. Aber das überlasse ich dir. Die Hauptsache ist, daß es auf der Herrentoilette zu keinem Zwischenfall kommt", erklärte sie ruhig.
"Auf der Herrentoilette? Ich fürchte, ich verstehe dich nicht ganz", fragte er verblüfft.
"Aber Jareth, wir haben uns doch gemeinsam die Rocky Horror Picture Show angesehen."
Jareth nickte, aber er verstand immer noch nicht.
"Also, dann weißt du ja, was mit gutaussehenden Männern in aufreizender Kleidung passieren kann. Besonders in dunklen Novembernächten", ergänzte sie trocken.


"Such a sad love"

Kapitel 33

Für Sarah ging an Halloween so ziemlich alles schief, was nur schiefgehen konnte. Murphys Gesetz schlug schon morgens zu, als sie gerade das Haus verlassen wollte. Der Hausverwalter hielt ihr im Aufzug einen Vortrag über die Notwendigkeit, die Abwasserleitungen zu überprüfen, was Sarah letztlich völlig egal war und nur dazu führte, daß sie zu spät in die Firma kam. Sie hetzte im Stechschritt in ihr Büro, nur um festzustellen, daß die gesamte EDV-Abteilung von einem Virus befallen war, und kein einziger PC mehr funktionierte. Zu allem Überfluß rief Tess vom Zahnarzt aus an und meldete sich den ganzen Tag krank. Ihr war beim Frühstück eine Plombe herausgefallen was ihr Höllenqualen verursachte. Sarah versicherte ihr etwas unglaubwürdig, daß das alles kein Problem wäre, sie solle sich keine Sorgen machen und wieder schnell "gesund" werden. Die nächsten zehn Stunden gehörten zu der Kategorie, die man am liebsten wieder aus seinem Kalender streichen möchte. Eigentlich hatte Sarah die Firma gegen 18:00 Uhr verlassen wollen, denn sie hatte sich mit Jareth für 20:00 Uhr verabredet, doch um 19:00 Uhr streckte ihr Chef kurz den Kopf durch ihre Bürotür und ermahnte sie, doch nun endlich nach Hause zu gehen. Sarah schwor ihm heilige Eide, daß er in fünf Minuten nur noch eine Staubwolke von ihr sehen würde, woraufhin er sich zufrieden zeigte und verschwand. Doch das Schicksal hatte in diesem Moment beschlossen, die Weichen in Sarahs Leben eine Kleinigkeit anders zu stellen.
Als sich kurz nach Mr. Shaws Verschwinden die Bürotür nochmals öffnete, sah Sarah nicht hoch, weil sie annahm, es wäre wieder Mr. Shaw.
"Ich schwöre Ihnen, Mr. Shaw, ich bin sofort fertig. Ich räume nur noch meinen Schreibtisch auf."
"Es ist nicht Mr. Shaw, Sarah - Ich bin´s."
Sarah erstarrte, hielt aber den Blick weiter gesenkt. "Das kann einfach nicht sein. Das ist sicher nur der Streß." Dann sah sie hoch. "Firey!" sagte sie beim Anblick eines vertrauten Rotschopfs.
"Richtig begeistert klingst du ja nicht gerade. Freust du dich denn nicht, mich wieder zu sehen?"
"Was tust du denn hier?" Sarah war völlig platt und freute sich keinesfalls, daß er wieder aufgetaucht war.
"Ach, ich war gerade in der Stadt und da dachte ich..."
"Komm, komm, komm, Firey. Laß den Quatsch! Kein Mensch ist zufällig in Phoenix", unterbrach ihn Sarah barsch.
"Ich war gerade auf dem Rückflug in die Zentrale, aber die erwarten mich erst morgen nachmittag. Also habe ich einfach meinen Flug unterbrochen und umgebucht." Er war kein bißchen verlegen, daß sie ihn bei seiner Notlüge ertappt hatte.
"Du willst mir doch nicht erzählen, daß du nur kurz hier gehalten hast, um mich zu sehen. Sag bitte, daß das nicht wahr ist." Sarah war nun wirklich ungehalten. Sie hatte keine Zeit und keine Lust, sich mit Firey auseinanderzusetzen.
"Es ist aber leider doch wahr", sagte er mit einem leicht trotzigen Gesichtsausdruck.
"Das glaube ich alles gar nicht", stöhnte Sarah und schlug die Hände vors Gesicht. "Du verschwendest hier deine Zeit. Es ist aus und vorbei!"
"Ich konnte dich nicht vergessen, Sarah", erwiderte er dumpf. "Ich habe es versucht, ich habe es wirklich versucht! Gott ist mein Zeuge! Aber ich hab´s einfach nicht geschafft. Ich kann dich nicht vergessen. Gibt es nicht noch eine kleine Chance für mich?"
"Das ist nicht dein Ernst!" Sie starrte ihn ungläubig an. "Du hast den Nerv, nach über einem Jahr hier ohne Voranmeldung hereinzuschneien und mich zu fragen, ob du noch eine Chance bei mir hast?"
"Ja."
"Nein!" schleuderte sie ihm entgegen. "Nicht die geringste!"
"Dann bist du wohl mit diesem - Mann - zu einer Einigung gekommen?"
Sarah machte eine unwillige Handbewegung, doch Firey ließ nicht locker.
"Bitte weich mir nicht aus. Ich muß es wissen! Seid ihr euch einig geworden?" drängte er sie zu einer Antwort.
"Nein, das nicht gerade", gab Sarah unter seinem Druck zu. "Aber ein Leben ohne ihn kann ich mir einfach nicht vorstellen." Sie bemerkte, wie seine Lippen schmal wurden und sein Kiefer stärker hervortrat. Sie hatte ihm eigentlich nicht so weh tun wollen. "Es tut mir leid, Firey", fügte sie deshalb noch mit sanfter Stimme hinzu.
Er gab sich einen Ruck und seine Gesichtsmuskeln entspannten sich wieder.
"Gehst du dann wenigstens noch auf einen Drink mit mir aus?" fragte er gefaßt.
"Nein, Patrick, es geht nicht. Ich bin ohnehin schon zu spät dran."
"Jetzt hast du mich zum ersten Mal bei meinem richtigen Namen genannt." Er lächelte bitter. "Komm, Sarah. Laß mich nicht betteln. Ein Drink. Um der alten Zeiten Willen. Bitte!"
Sarah kämpfte mit sich. Schließlich gab sie nach. "Na schön. Aber wirklich nur ein einziger Drink!"

Jareth erschien in Sarahs Wohnung. Seine Sinne sagten ihm, daß Sarah noch nicht da war. Überrascht sah er nach der Uhr. Es war genau 20:00 Uhr. Er beschloß auf sie zu warten. Sicher würde sie gleich kommen. Unschlüssig zupfte er an seinem Kostüm herum. Er hatte sich Sarahs Warnung zu Herzen genommen und eine schwarze Lederhose ausgewählt. Dazu trug er ein einfaches weißes Hemd mit weiten Ärmeln und einer roten Schärpe. Um seiner Kleidung den richtigen Piraten-Touch zu geben hatte er sich noch eine Art Kopftuch und eine Augenklappe besorgt. Bevor diese zwei Dinge anlegte wollte er allerdings erst Sarahs Rat einholen. Ungeduldig sah er nochmal nach der Uhr. Wenn sie jetzt nicht bald kam, würden sie sich sehr beeilen müssen. Sarah mußte sich ja auch noch umziehen. Andererseits, wie lange konnte es schon dauern, sich als Zigeunerin zu verkleiden? Er setzte sich auf ihr Sofa und blätterte gelangweilt in einer Illustrierten, während er auf sie wartete.

Inzwischen hatte Firey darauf bestanden, einen zweiten Drink zu bestellen. Sarah wollte wirklich nicht unhöflich sein, aber die Zeit brannte ihr unter den Nägeln.
"Ich möchte keinen zweiten Drink, Firey! Und ich muß jetzt wirklich gehen."
"Sarah, das kannst du mir nicht antun. Wenn du mich schon nicht heiraten willst, dann trink wenigstens noch einen mit mir", verlangte er.
"Na gut, meinetwegen! Aber du darfst nicht glauben, daß mich dein Verhalten positiv beeinflußt", antwortete Sarah gereizt. Sie wollte keinen Skandal verursachen. Schließlich kannte man sie in diesem Lokal.

Die Zeiger der Uhr waren mittlerweile um eine Stunde auf 21:00 Uhr vorgerückt und Jareth begann sich Sorgen zu machen. Was sollte er nur tun, wenn ihr etwas zugestoßen wäre? Wo zum Teufel sollte er nach ihr suchen? Plötzlich war ihm bewußt, wie wenig er doch über sie und ihre Gewohnheiten wußte. In ohnmächtiger Wut warf er die Illustrierte, in der er eben noch geblättert hatte, quer durchs ganze Zimmer in eine Ecke.

Sarah saß wie auf glühenden Kohlen. Zuhause wartete Jareth auf sie und Firey machte nicht die geringsten Anstalten, die Rechnung zu verlangen, sondern trank immer weiter. Mittlerweile hätte sie sogar einen Skandal riskiert, nur um aus diesem Lokal herauszukommen, aber sie fürchtete, daß sie den richtigen Zeitpunkt dafür verpaßt hatte. Firey war ohne Zweifel ziemlich betrunken geworden und Sarah hatte deshalb Angst vor seiner Reaktion. Sie traute sich einfach nicht vom Tisch aufzustehen und zu gehen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, daß sie schon fast zwei Stunden überfällig war und verfluchte ihre Gutmütigkeit.

Kurz vor Mitternacht war Jareth halb verrückt vor lauter Sorge um Sarah. Seit einer Stunde überlegte er schon, ob er die Polizei anrufen sollte, kam aber immer wieder davon ab, weil es sicher zu viele Probleme geben würde. Er saß schon lange nicht mehr auf dem Sofa, sondern ging unruhig auf und ab. Insgeheim schwor er sich, sie nie wieder aus den Augen zu lassen, wenn sie nur erst wieder da wäre. Da hörte er ein Geräusch. War das der Aufzug? Ja, aber soviel er hörte, waren es zwei Menschen, die sich unterhielten. Das konnte nicht Sarah sein. Oder doch? Die Stimmen hielten vor ihrer Tür an. Der Schlüssel klapperte im Schloß und die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt. Jareth erstarrte.

Sarah kam es vor, als hätte sie eine Ewigkeit damit verbracht wie mit Engelszungen auf Firey einzureden. Endlich rief er nach der Bedienung. Endlich verlangte er die Rechnung. Endlich stand er auf und verließ mit ihr das Lokal. Da fiel es für Sarah kaum noch ins Gewicht, daß er - betrunken wie er war - darauf bestand, sie zu Fuß nach Hause zu begleiten. Im Aufzug allerdings wurde er zudringlich und sie hatte alle Hände voll zu tun. Er war wie eine Klette, die man einfach nicht los wurde, egal, wie sehr man sich auch schüttelte. Auf dem Flur vor ihrer Wohnungstür verlegte er sich dann aufs Betteln. Sie suchte nach ihrem Schlüssel, schloß die Tür auf und öffnete sie. Doch bei seinen letzten Worten hielt sie abrupt inne.
"Bitte, Sarah, bitte heirate mich doch! Du würdest mich zum glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt machen."
"Firey, ich liebe dich aber nicht."
"Das macht doch nichts", bettelte er weiter.
Sarah riß nun endgültig die Hutschnur und beschloß, ihn ein für alle mal loszuwerden, egal wie weh sie ihm damit tun würde.
"Liebe ist das einzige was bei einer Heirat zählt. Gute Nacht." Sie trat in ihre Wohnung, schloß die Tür hinter sich und lehnte sich für einen Moment mit geschlossen Augen dagegen. Was für ein Tag! Als sie die Augen öffnete sah sie Jareth in der Mitte des Zimmers stehen, die Arme vor der Brust gekreuzt.
"Jareth!" begrüßte sie ihn freudig. Bei seiner Antwort verschwand ihr Lächeln jedoch aus ihrem Gesicht, als wäre es weggewischt worden.
"Wenigstens erinnerst du dich noch an meinen Namen."
"Warum sollte ich ihn denn vergessen haben", fragte sie völlig perplex.
"Immerhin hast du auch unsere Verabredung vergessen", hielt er ihr vor.
Sarah machte ein paar Schritte auf ihn zu. "Aber - ich habe sie doch gar nicht vergessen."
"Und warum hast du sie dann nicht eingehalten?" fragte er mit kalter Stimme.
"Das war nicht meine Schuld", entgegnete sie ungehalten.
"So? Wer ist denn dann der Schuldige? Vielleicht dieser Kerl?!" fuhr er sie an.
Sarah zuckte zusammen, als er seine Stimme erhoben hatte. Nervös strich sie sich durch die Haare und fragte sich, wieviel er wohl von ihrer Unterhaltung auf dem Flur gehört hatte. "Welcher Kerl?" unternahm sie einen schwachen Versuch.
"Glaubst du denn ich bin taub? Ich habe doch genau gehört, daß da draußen ein Mann bei dir war!"
Sarah fühlte sich in die Enge getrieben und ging deshalb instinktiv zum Gegenangriff über. "Ja, und? Da draußen war ein Mann! Du hast überhaupt keinen Grund dich so aufzuführen. Wir waren nur auf einen Drink in einer Bar!"
Doch dieser Schuß ging nach hinten los.
"Und da macht er dir gleich einen Heiratsantrag?" fragte Jareth spitz. "Hältst du mich nicht nur für taub, sondern auch noch für völlig verblödet? Wer war der Kerl?!"
"Es war Patrick!" Sarah hoffte, daß vielleicht jetzt endlich Ruhe war.
Doch Jareth ließ nicht locker. "Patrick?!"
"Ja, Patrick! Du weißt wer er ist. Ich habe dir damals seinen Namen nicht gesagt", antwortete sie kleinlaut.
"Patrick?! Patrick ist also derselbe Kerl, mit dem du damals übers Wochenende weggefahren bist?"
"Ja! Ja! Bist du jetzt zufrieden?!" schrie sie ihn an.
"Ich dachte, mit dem wärst du fertig? Und jetzt gehst du plötzlich mit ihm in eine Bar?!"
"Ich hatte keine andere Wahl!" verteidigte sich Sarah.
Jareth atmete einmal tief durch. "Ach so? Dann hat er dich also dazu gezwungen? Wie hat er das nur angestellt?" fragte er so ruhig und leise, daß Sarah vor Furcht eine Gänsehaut bekam. "Hat er dich gefesselt? Oder hat er dich an den Haaren hinter sich hergeschleift? Nein - sag nichts - ich weiß: er hat dich mit einem Revolver bedroht."
"Nein, nein! So war das doch gar nicht!" rief Sarah verzweifelt.
"Wie war es dann? Na los, sag's mir!" schrie er sie an.
"Er hat mich gebeten, ihm bei einem Drink Gesellschaft zu leisten. Zum Abschied!"
"Er hat dich gebeten? Bist du sicher?!" fragte er rasend vor Wut.
"Ja, gebeten! Nur gebeten!"
"Und warum hast du dann nicht einfach NEIN gesagt?!" begehrte er zu wissen.
Verdammt, er hatte recht. Warum hatte sie nicht einfach nein gesagt. Die Erkenntnis ihrer eigenen Schuld trieb ihr eine flammende Röte auf die Wangen. Sie schwieg.
"Du hast nicht NEIN gesagt, weil du nicht nein sagen wolltest!" behauptete er.
In Sarah kochte nun ebenfalls der Zorn hoch. Gut, sie hatte Mist gebaut, aber mußte er sie deshalb abkanzeln wie einen dummen Kobold?
"Bist du jetzt endlich fertig?!" fragte sie ihn deshalb patzig.
Jareth schnappte nach Luft. Diese Frau schlug wirklich alles. Er hatte sich Sorgen um sie gemacht und sie gab ihm auch noch freche Antworten.
"Ich bin noch lange nicht mit dir fertig! Du billiges kleines Flittchen!"
"Ich bin kein Flittchen, du Mistkerl! Wenn du vorhin schon alles gehört hast, dann hast du sicher auch gehört, wie ich seinen Heiratsantrag abgelehnt habe!"
"Und ob ich das gehört habe! Das scheint ja ein Hobby von dir zu sein!" Nachdem er das losgeworden war, fühlte er sich ein klein wenig leichter.
"Du hast kein Recht, so mit mir zu reden!"
"Nein! Dieses Recht hast du mir ja erst kürzlich verweigert!"
"Ja glaubst du denn im Ernst, ich würde einen tobsüchtigen Perversen wie dich heiraten?!" So. Das hatte gesessen. Mit Genugtuung beobachtete Sarah, wie er unter ihren Beschimpfungen vor Wut blaß wurde.
"An deiner Stelle hätte ich zugegriffen! Ein solches Angebot erhält eine zügellose Schlampe wie du nicht alle Tage!"
Oh, mein Gott, wie sie ihn in diesem Moment haßte. Sie hätte ihm die Augen auskratzen können. Vor Haß verschlug es ihr für einen Moment die Sprache.
"Was, war's das schon?" lästerte er. "Hast du dein ganzes Gift schon verspritzt?" Er wartete einen Moment, doch als sie lediglich vor Wut mit den Zähnen knirschte fuhr er fort. "Besonders gelungen fand ich dein Argument, daß Liebe der einzige Grund für eine Heirat sein könnte. Damit hast du dem armen Patrick sicher das Herz gebrochen", stellte er boshaft fest. "Nur merkwürdig, daß du mir erklärt hast, Liebe wäre nicht alles!!"
"Du verdammtes Schwein! Du weißt doch gar nicht, was Liebe ist." Sie hatte ihre Sprache wiedergefunden und nutzte dies um ihn hemmungslos zu beschimpfen.
Ihre letzten Worte trafen ihn wie einen Peitschenhieb. Etwas in ihm zerbrach.
"Ich denke, jetzt bist du alles losgeworden. Oder? Du kannst unmöglich noch mehr zu sagen haben", sagte er mit kalter Stimme.
"Ich wünschte, ich wäre dir nie begegnet", schleuderte sie ihm haßerfüllt entgegen.
"Ist das dein Ernst? Ist das wirklich dein Ernst?!"
"Ich wünschte, ich müßte dich nie wieder sehen, solange ich lebe!"
"Es hat mich noch nie so glücklich gemacht, dir einen Wunsch zu erfüllen", stieß er zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor.
"Was stehst du dann hier noch rum? Verschwinde endlich!" schrie sie völlig hysterisch.
Jareth führte wortlos eine formvollendete Verbeugung aus und - verschwand.

Erschüttert sank Sarah auf den Boden und brach in Tränen aus.
"Oh Gott! Was habe ich nur getan!"


Nach einer durchweinten Nacht schlich sie sich am nächsten Morgen in ihr Büro, wobei sie sich bemühte, möglichst niemandem zu nahe zu kommen. Make-up war zwar eine wundervolle Erfindung, doch einem schärferen Blick hätte Sarahs Maske nicht standgehalten. Trotz allem bemerkte Tess natürlich, daß etwas nicht stimmte. Sie schloß messerscharf, daß nur ein Mann dahinterstecken konnte. Zu dieser weisen Voraussicht trug der neueste Klatsch nicht unwesentlich bei. Angeblich war Mr. O`Keefe wieder gesichtet worden. Tess beschloß, die offensichtlich unter Liebeskummer leidende Sarah erst mal in Ruhe zu lassen. Früher oder später würde sie ja doch alles erfahren. Am späten Nachmittag platzte Tess allerdings fast vor Neugier. Sarah war noch kein einziges Wort entschlüpft, das darauf hingewiesen hätte, sie wünsche eine teilnehmende Zuhörerin. Also packte Tess den Stier bei den Hörnern. Während sie darauf wartete, daß Sarah die fertige Post abzeichnete äußerte sie wie nebenbei: "Hat Mr. O`Keefe eigentlich bei dir vorbeigeschaut? Hier ist noch der Entwurf für..."
Sarahs Kopf hob sich ruckartig.
"Wie kommst du jetzt auf Mr. O´Keefe?" fragte sie eine Spur zu atemlos.
"Nur so. Anscheinend hat er sich gestern in dieser Gegend herumgetrieben. Ich dachte halt, er hätte sich kurz bei dir gemeldet", sagte Tess so harmlos wie möglich.
"Ach Tess! Es war so schrecklich!" Einer direkten Attacke konnte Sarah nicht standhalten. Vielleicht tat es auch gut, sich endlich mal die Sorgen von der Seele zu reden.
Tess streckte ihr wortlos ein Taschentuch entgegen, welches Sarah ein wenig argwöhnisch entgegennahm. Doch der Druck in ihr war bereits zu stark und so öffnete sie ihre Schleusen.
"Mr. O`Keefe war tatsächlich gestern abend hier. Er wollte unbedingt noch mit mir ausgehen. Also bin ich mit ihm mitgegangen. Auf einen Drink."
"Ist er etwa frech geworden?" fragte Tess entrüstet.
"Nein. Er ist auch gar nicht das Problem."
"Ach." Tess verstand nun gar nichts mehr.
"Es gibt da jemand... und... und dieser jemand... hat uns gesehen. In dieser Bar", schluchzte Sarah. Das war zumindest nahe genug an der Wahrheit.
"Autsch!" kommentierte Tess.
Ihre Blicke kreuzten sich und Sarah wußte, daß Tess sie auch ohne viele Worte verstand.


Jareth hatte nicht den Vorzug einer Vertrauensperson, der er sein Herz ausschütten konnte. So verbrachte er seine Tage phlegmatisch im Thronsaal, wo er lediglich körperlich anwesend war, doch für seine Kobolde genügte das völlig. Nachts durchstreifte er ruhelos sein Schloß, bis er im Morgengrauen schließlich so erschöpft war, daß er in irgendeinem Sessel wenigstens ein bißchen Schlaf fand. Er aß und trank gerade genug, um sich noch am Leben zu halten, darüber hinaus brachte er für nichts mehr Interesse auf. So bemerkte es auch niemand, daß die weißen Rosen erst verwelkten und schließlich völlig verschwanden.


Während Jareth seinen Schmerz nicht verarbeiten konnte und deshalb in Teilnahmslosigkeit versank, stürzte sich Sarah nach einigen Tagen tiefster Verzweiflung kopfüber in die Arbeit. In den ersten Wochen dachte sie noch mehrmals täglich darüber nach, ob sie ihn wohl rufen sollte, schreckte aber letzten Endes immer davor zurück. Was sollte nur aus ihr werden, wenn sie nach ihm riefe und er käme nicht? Sie wußte, daß das Leben dann keinen Reiz mehr für sie hätte. Da war es immer noch besser zu warten, ob nicht er sich zuerst bei ihr melden würde...
Den König der Kobolde bewegten ganz ähnliche Gedanken und hätte er gewußt, daß Sarah nichts mehr wünschte, als ihn wieder in ihre Arme zu schließen, hätte er keine Sekunde länger gezögert. Doch so erinnerte ihn sein verletzter Stolz immer und immer wieder an ihre letzten Worte: ich will dich nie wieder sehen... und er hielt sich daran - bis seine Sehnsucht nach ihr schließlich die Oberhand gewann.


Kapitel 34

Sarah hatte um die Weihnachtszeit wieder zwei Wochen bei ihren Eltern verbracht. Ihre Mutter bemerkte mit einiger Besorgnis den entschlossenen Zug um ihren Mund, sagte aber nichts. Tobys Noten waren tatsächlich sehr gut geblieben und so konnte ihn seine große Schwester mit einem riesigen Geschenkkarton belohnen. Toby konnte seine Neugierde kaum bezähmen und schlich - bis endlich Bescherung war - immer wieder um den Weihnachtsbaum herum unter dem sein Geschenk lag. Seine Geduld wurde mit einem großen Metallbaukasten belohnt, was zur Folge hatte, daß er für die restlichen Feiertage in seinem Zimmer verschwand von wo man nur gelegentliches Hämmern hörte. Sarah war das mehr als recht. So sehr sie ihren kleinen Bruder auch liebte, in ihrer gegenwärtigen Verfassung hätte sie einen munteren Neunjährigen doch nur schwer ertragen. Erst heute morgen hatte sie sich zu ihrem eigenen Entsetzten gefragt, ob sie ihn noch retten würde, wenn die Entführung nicht vor acht Jahren stattgefunden hätte, sondern heute. Sie war nach kurzem Überlegen zu dem Schluß gekommen, daß sie mit Jareth wahrscheinlich einen Tag Wartezeit ausgehandelt hätte. Nachdem sie das gedacht hatte, neigte sie stark dazu sofort in Tränen auszubrechen. Sie war sehr erschöpft bei ihren Eltern angekommen und hatte überhaupt nichts dagegen, daß sie von ihrer Mutter hemmungslos verwöhnt wurde. Sie mußte unbedingt wieder zu Kräften kommen. Die viele Mehrarbeit, die sie sich in der Firma aufgeladen hatte, lenkte sie zwar von ihren trüben Gedanken ab, forderte aber auch ihren Tribut. Zu allem Unglück würde es dieses Jahr kein sonderlich erfreuliches Weihnachtsfest werden, da die ganze Familie bei Tante Gladys eingeladen war. Kurz vor der Abfahrt weigerte sich Toby ganz entschieden mitzukommen und während ihn Sarah schmeichelnd überredete, trotzdem ins Auto einzusteigen, gab sie ihm im Stillen völlig recht. Sie wollte auch nicht! Schließlich wurde ihm ein neuer Plastikdinosaurier versprochen, was ihn bewog sich die Sache noch einmal zu überlegen. Er handelte noch eine extra Portion Schokoladeneis für die nächsten zwei Tage aus und nahm dann endlich auf dem Rücksitz Platz. Kurz nach ihrer Ankunft bei Tante Gladys war Sarah klar, daß dies der absolut schrecklichste Tag ihres ganzen Lebens werden würde. Kusine Myra und ihre Söhne waren schon da und Vincent hatte seine neue Freundin mitgebracht. Das wurmte Gladys natürlich mächtig, nachdem ihre eigene Tochter Eve - immerhin 17 Jahre alt - immer noch keinen Freund hatte. Als Sarah kurz nach dem Dessert von ihrer Tante scharf ins Auge gefaßt wurde, wußte sie genau, von welcher Seite der Angriff kommen mußte.
"Nun, Sarah", flötete sie zuckersüß, "hast du eigentlich noch keinen Freund?"
Sarah hatte schon den Mund zu einer scharfen Erwiderung geöffnet, als ihr Vater sich rasch ins Geschehen einschaltete.
"Ich hoffe, sie läßt sich damit noch ein bißchen Zeit. Ich wünsche in keinem Fall, daß sie sich mit jemand belastet, der sie gar nicht verdient." Sein Blick sprach Bände und Gladys preßte die Lippen aufeinander, damit ihr keine unbedachte Erwiderung entschlüpfte. Egal, wie unbekümmert sie auch tat, tief in ihrem Innersten hatte sie eine Heidenangst vor ihrem Schwager. Kusine Myra beendete das unerfreuliche Schweigen, indem sie Gladys fragte, wo um alles in der Welt sie diese entzückenden Serviettenringe gekauft hatte. Das Thema war also gewechselt, doch Sarah fühlte sich noch unbehaglicher als zu Anfang. Ab und zu ertappte sie sich dabei wie sie sehnsüchtig auf Vincent und seine Freundin starrte, die sich glücklich an den Händen hielten. Sie wußte nicht, daß ihr Vater diese Blicke bemerkte und sich seine eigenen Gedanken darüber machte.

Am Morgen ihrer Abreise warf ihr Vater seine guten Vorsätze über den Haufen und entschloß sich dazu, doch mit seiner Tochter zu sprechen. Er ging in ihr altes Zimmer, gerade als sie dabei war, ihre letzten Kleidungsstücke in ihren Koffer zu packen. Sie sah von ihrer Tätigkeit auf und lächelte ihn an.
"Prinzessin...", begann er zögernd, "es ist sonst nicht meine Art, mich in deine Angelegenheiten einzumischen, aber ich frage mich, ob es da nicht etwas gibt, worüber du vielleicht gern mit mir sprechen möchtest."
Sarah schwieg verwirrt, weil sie nicht wußte, was sie darauf antworten sollte.
"Ich habe nicht vergessen, daß du mir vor zwei Jahren etwas über einen Mann in deinem Leben erzählt hast", lieferte er ihr hoffnungsvoll ein Stichwort. " Du hast ihn auch dieses Jahr nicht mitgebracht. Ist er nicht mehr - aktuell?"
"Wir haben gestritten", entfuhr es Sarah unwillkürlich.
"Schlimm?"
"Sehr schlimm."
"Und seither..."
"Funkstille." Sarah nagte an ihrer Unterlippe. "Er hat Dinge zu mir gesagt... es war schrecklich... und am schlimmsten ist, daß ich selbst Schuld daran bin."
"Dann entschuldige dich bei ihm!"
"Das kann ich nicht." Sie grinste schief. "Nicht nach diesem Auftritt von ihm."
"Das soll wohl heißen, daß du gerade deinen Dickkopf auslebst. Ich hoffe, du weißt was du tust. Meine Meinung kennst du jetzt ja. Bei Beziehungen war Dickköpfigkeit noch nie von Vorteil." Er legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. "Na komm. Kopf hoch. Wenn er dich auch nur halb so gern hat, wie du ihn, dann wird er sich über kurz oder lang wieder bei dir melden."
"Meinst du wirklich Dad?"
"Ich hoffe es auf jeden Fall für dich, Prinzessin."


Nach ihrer Rückkehr in ihre eigene Wohnung in Phoenix überfiel Sarah ein unbestimmtes Gefühl in der Magengegend. Doch in der Wohnung war alles unverändert, genauso, wie sie sie verlassen hatte. Sie schob ihre Gefühle auf ihre überreizten Nerven und ging bald zu Bett.
Ihr Gefühl hatte Sarah nicht getrogen. Sobald sie in einen tiefen Schlaf gefallen war, tauchte Jareth aus dem Nichts auf. Er hatte nicht vor, sich ihr zu zeigen. Vielmehr nahm er seine Gewohnheit, ihren Schlaf zu bewachen, wieder auf. Es fehlte ihm an Mut, ihr gegenüber zu treten, zu deutlich erinnerte er sich noch an ihre harten Worte. Auf der anderen Seite konnte er sich ein Leben ohne Sarah nicht mehr vorstellen. So ging er also - wie schon vor drei Jahren - mit seiner Nachtwache einen faulen Kompromiß ein.

Sarah gewöhnte sich nur schwer an ein Leben ohne Jareth, doch sie mußte es - schließlich hatte sie kaum eine andere Wahl (da er sich nicht bei ihr meldete und sie sich immer noch nicht dazu überwinden konnte, ihn um Verzeihung zu bitten). Um nicht pausenlos an ihn zu denken, stürzte sie sich kopfüber in ihre Arbeit, bis sie sich von Tess sagen lassen mußte, daß sie sich zu einem Workaholic entwickelt habe. Sarah bemerkte wochenlang nichts von seinen Aktionen, so sehr hing sie mit ihren Gedanken bei ihrer Arbeit und nur bei ihrer Arbeit. Doch je schmerzlicher Jareth sie vermißte, desto mutiger wurde er. Er hinterließ kleine Hinweise auf seine Anwesenheit in der Hoffnung, bei ihr irgendeine Reaktion zu erzielen. Manchmal rückte er den Stuhl, auf dem er nachts saß nicht mehr zurecht oder er ordnete ihre Zierkissen anders an. Sarah bemerkte diese Kleinigkeiten sehr wohl und beobachtete sie argwöhnisch. Sie kam aber nicht auf die Idee, daß Jareth der Verursacher dieser Phänomene sein könnte. Sie argwöhnte eher, daß sie wohl begonnen hatte schlafzuwandeln. Erst als Jareth durch ihre Teilnahmslosigkeit in seinen Aktionen weiterging als bisher, dämmerte ihr die Wahrheit. Denn die weiße Rose, die Jareth auf ihrem Kopfkissen hinterlassen hatte, sprach Bände. Jareth hatte erst zu diesem Zeitpunkt bemerkt, daß aus seinem Reich alle Blumen verschwunden waren. Er hatte sich kurz darüber gewundert und sich schließlich eine Blüte gezaubert, die er als Beweis seiner ungebrochenen Zuneigung bei seiner Geliebten zurückließ.
Als Sarah am nächsten Morgen die Rose entdeckte, fühlte sie sich um drei Jahre zurückversetzt. Damals als sie das Medaillon entdeckt hatte, hatte sie auch geglaubt, ihr Herz müsse jeden Moment stehenbleiben.

Ein schneller Blick auf die Uhr sagte ihr jedoch, daß für derlei Spielchen keine Zeit mehr war wenn sie rechtzeitig zu ihrer Sitzung kommen wollte. Sie vollbrachte tatsächlich das Kunststück, den ganzen Tag lang nicht mehr an dieses merkwürdige Präsent zu denken. Sie spürte wohl ab und zu ein leichtes Kribbeln, wenn flüchtige Gedanken spielerisch durch ihren Kopf zogen. Doch sie verscheuchte sie jedesmal mit einem unwilligen Kopfschütteln. Dabei war sie keineswegs unwillig darüber nachzudenken, sie wollte sich lediglich nicht von ihrer Arbeit ablenken lassen. Erst kurz vor dem Zubettgehen hielt sie es für angebracht, über die Geschehnisse nachzudenken. Sie legte die Rose auf ihren Nachttisch, nahm ihr Medaillon ab, klappte es so auf, daß beide Bilder zu sehen waren und legte es daneben. Ihr Herz klopfte seltsam unregelmäßig und ihr Verstand arbeitete fieberhaft. Er war also hiergewesen! Er hatte sich reichlich lange Zeit damit gelassen, ihr kundzutun, daß er ihr nicht mehr böse war. Oder etwa nicht? Sie hatte bereits befürchtet, ihre Beziehung wäre für alle Zeiten beendet, denn es sah ihm nicht ähnlich, erst lange zu schmollen und dann mit Blumen anzukommen. Es sei denn... dies war nicht sein erster nächtlicher Besuch bei ihr. Das würde auch die kleinen Veränderungen in ihrer Wohnung erklären: die Sofakissen, der Stuhl, die Zahnpasta... das war alles er gewesen! Sie atmete erleichtert auf. Gott sei Dank! Aus ihr war doch keine Schlafwandlerin geworden! Wie lange ging das eigentlich schon so? Sie versuchte, sich zu erinnern, aber es gelang ihr nicht. Erst dann ging ihr die ganze Bedeutung dieser Angelegenheit auf: er mußte seit geraumer Zeit jede Nacht in ihrer Wohnung gewesen sein! So wie sie ihn kannte, mußte er jede Nacht an ihrem Bett gesessen haben. Der Gedanke wurde ihr, je länger sie darüber nachdachte, immer unheimlicher. Nachträglich bekam sie noch eine Gänsehaut. Mit einem Mal wurde ihr ihre eigene Schutzlosigkeit bewußt. Im Grunde wußte sie ja, daß sie vor ihm nichts zu befürchten hatte und dennoch... war es denn möglich, daß sie sich vor dem Mann ängstigte, in den sie bis vor kurzem noch wahnsinnig verliebt gewesen war? Doch so sehr sie sich auch den Kopf darüber zerbrach, es wollte ihr keine vernünftige Antwort auf diese Frage einfallen. Sie schob sie schließlich beiseite um sich einem anderen Problem zu widmen. Wenn sie davon ausging, daß er ihr verziehen hatte und wieder zu ihr zurück wollte, was wollte sie selbst dann eigentlich? Wollte sie ihn denn noch? Oder vielmehr: brauchte sie ihn noch? War sie nicht in den letzten Monaten auch ganz gut ohne ihn ausgekommen? Würde sie sich nicht irgendwann sowieso von ihm trennen müssen? Dann wäre es vielleicht besser, ihre Beziehung gar nicht erst wiederzubeleben? Sie dachte sehr lange und sehr gründlich über alles nach. Die Nacht verstrich, ohne daß Sarah eine Antwort gefunden hatte. Sie öffnete das Fenster und betrachtete die Strahlen der aufgehenden Sonne - und faßte einen Entschluß.


"A love that will last"

Kapitel 35

Inzwischen wartete Jareth mehr oder weniger geduldig auf eine Reaktion seiner Geliebten. Das Warten zerrte an seinen Nerven. Er hatte seine nächtlichen Besuche aufgegeben und nahm sie auch in den nächsten Wochen nicht wieder auf. Die Einsicht, daß dieses Vorgehen sinnlos war und ihn mehr quälte, als ihn tröstete, hatte dazu beigetragen. Seine Überlegungen, was er als nächstes tun sollte, falls sie weiterhin nicht auf die Rose reagierte erwiesen sich jedoch als genauso fruchtlos. Doch sogar Jareth konnte nicht ewig um seine Liebste trauern. Nach einigen Monaten wich die Betäubung, die ihre Trennung bei ihm ausgelöst hatte langsam von ihm und er nahm seine Umgebung wieder etwas klarer wahr. Mit Bestürzung stellte er fest, daß sein Reich einen mehr als desolaten Eindruck machte und seine Kobolde mit jeder Minute unbeholfener zu werden schienen. Sein Schloß sah vernachlässigt aus und ein kurzer Blick aus dem Fenster genügte, um zu erkennen, daß es um die Koboldstadt nicht besser bestellt war. Ihm wurde schmerzlich bewußt, daß er sich viel zu lange nicht um sein Reich gekümmert hatte. Er mußte endlich aufhören seine persönlichen Bedürfnisse über die seines Reiches zu setzen. Das war er seiner Position als König schuldig. Mit wehem Herzen setzte er sich an seinen Schreibtisch und ging daran, eine Liste der dringendsten Arbeiten aufzustellen. Nachdem er diese Liste fertiggestellt hatte, wanderten seine Gedanken wieder einmal zu Sarah zurück. Es würde nicht leicht sein, sie zu vergessen, vielleicht würde ihm das sogar nie ganz gelingen. Doch egal, wie sein Leben auch in Zukunft aussehen würde, er mußte Sarah noch ein einziges Mal sehen, um ihr Lebewohl zu sagen. Er wünschte sich einen würdigeren Schlußpunkt unter diese Beziehung, als es dieser ekelhafte Streit gewesen war. Nachdem Halloween nicht mehr fern war, entschied er, daß dies der passende Termin für sein Vorhaben war. Als er diese Entscheidungen getroffen hatte, fühlte er sich etwas besser. Es war wirklich Zeit gewesen, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Mit einem entschlossenen Zug um den Mund stand er auf und ging in den Thronsaal um seine Kobolde zur Arbeit anzuhalten.


Sarah war inzwischen auch nicht untätig gewesen. Im Gegensatz zu Jareth tat sie allerdings einiges, das zur Wiederbelebung ihrer Beziehung und nicht zu ihrem Ende führen sollte. Mitten in diese Überlegungen platzte Tess mit der Ankündigung, daß Henry ihr (endlich) einen Heiratsantrag gemacht hatte und die Verlobungsparty zusammen mit seiner alljährlichen Halloweenparty stattfinden sollte.
"Eine Einladung bekommst du selbstverständlich noch. Hach, ich bin ja so aufgeregt", plapperte Tess munter.
"Ich freue mich für euch!" gratulierte Sarah etwas geistesabwesend. Dann hatte sie eine Idee. "Sag mal Tess, könnte ich auch zwei Einladungen bekommen?"
"Zwei Einladungen? Natürlich... aber, Moment mal! Du hast doch irgend etwas vor. Hab ich recht?"
Sarah lächelte geheimnisvoll. "Das wäre durchaus möglich."
Tess platzte fast vor Neugier, doch aus Sarah war weiter nichts herauszukriegen. Doch Tess tröstete sich damit, daß es bis zur Party noch eine ganze Weile hin war. Bis dahin würde sie sicher noch einiges in Erfahrung bringen. Und tatsächlich!

Als Henry ihre Verlobungsparty mit einer kleinen Ansprach eröffnete, war Tess fast vollständig in Sarahs Plan eingeweiht. Ungefähr die Hälfte der Gäste trug Kostüme, die andere normale Abendkleidung. Sarah hatte für diesen Anlaß ein schlichtes, langes Abendkleid gewählt, das aus dunkler, schimmernder bordeauxroter Seide gearbeitet war, mit dazu passenden langen Handschuhen. Ihre Haare waren zu einer reizenden Hochfrisur aufgesteckt, die dem Frisör, der sie gelegt hatte, alle Ehre machte. Tess stellte fest, daß sie einfach reizend aussah. Es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn dieser Typ von ihr bei diesem Anblick nicht sofort wieder zu ihren Füßen liegen würde. Mit einem Seitenblick auf ihren Verlobten seufzte Tess romantisch. Es versprach in jedem Fall, ein unvergeßlicher Abend zu werden.

Jareth hatte sich an diesem Abend mit seinem Abschiedsbesuch bei Sarah Zeit gelassen. Vordergründig arbeitet er an seinem Schreibtisch an wichtigen Papieren, in Wirklichkeit war ihm sehr flau im Magen, weshalb er den letzten Augenblick immer weiter hinauszögerte, bis es fast schon Mitternacht war. Resigniert betrachtet er das Zifferblatt seiner Uhr. Jetzt konnte er es nicht mehr länger aufschieben, sonst würde er sich nie mehr dazu durchringen können. Rasch wechselte er seine Kleidung und zauberte sich schnell in Sarahs Wohnung.

Tess versuchte, Sarah zu beruhigen, die vor Nervosität schon ganz blaß geworden war.
"Keine Panik. Er kommt bestimmt noch!"
"Bist du sicher?" fragte Sarah mit geweiteten Augen.
"Ganz sicher. Der Plan ist erste Klasse. Der kann gar nicht schiefgehen!" behauptete Tess und wirkte dabei sehr überzeugend.
"Warum läßt er sich dann so lange Zeit? Er könnte schon lange hier sein."
"Nur die Ruhe. Er läßt dich halt ein bißchen zappeln. Und jetzt steh hier nicht rum, wie ein aufgescheuchtes Kaninchen. Zieh den Lippenstift noch mal nach. Du willst doch für ihn hübsch aussehen."

Jareth registrierte enttäuscht, daß Sarah nicht in ihrer Wohnung war. Er ließ seinen Blick flüchtig über ihr Wohnzimmer gleiten. Dabei bemerkte er einen Rosenstrauß auf ihrem Couchtisch. Neugierig ging er darauf zu. Als er davor stand mußte er sich vor Überraschung setzen. Es hieß zwar, daß Freude noch niemand umgebracht hätten, aber da war er sich im Moment nicht mehr so sicher. Sarah hatte auf dem Tisch einen kleinen Strauß aus weißen Rosen arrangiert, dabei lag ein Umschlag, ein Päckchen und ein Zettel. Only for you - stand darauf. Jareth zweifelte keine Sekunde daran, daß es ihm galt. Mit klopfendem Herzen und fliegenden Händen riß er den Umschlag auf und entnahm ihm eine Einladungskarte. "... geben sich die Ehre, Mr. King zu ihrer Verlobungsparty..." stand dort zu seiner Verblüffung. Dann lachte er lautlos in sich hinein. Was für ein fabelhaftes Mädchen war sie doch! Beschwatzte einfach Mr. Millford, einen Mann zu seiner Verlobungsfeier einzuladen, den er sicher nicht in guter Erinnerung behalten hatte. Er konnte schließlich nicht wissen, daß Sarah die Einladung in erster Linie Tess zu verdanken hatte und sich Henry glücklicherweise dem Namen nach nicht mehr an einen Mr. King erinnerte. Jareth fühlte sich zum ersten Mal seit Monaten wieder gut. Ihm war wunderbar leicht zumute. Er würde diese Einladung annehmen! Über seine grenzenlose Erleichterung, daß Sarah zu einer Versöhnung bereit war, hätte er beinahe vergessen, das Päckchen zu öffnen, welches immer noch auf dem Wohnzimmertisch lag. Gespannt hob er den Deckel und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Rasch nahm er ihr Geschenk an sich und war im selben Moment aus ihrer Wohnung verschwunden.

"Sarah, ich habe eine prima Idee", verkündete Tess. "Warum singst du uns nicht ein bißchen was vor?"
Als sich Sarah gegen dieses Vorhaben sträuben wollte, unterband Tess jegliche Weigerung. "Uns würde es Freude machen und dich endlich davon abhalten vor lauter Nervosität durch die Handschuhe hindurch an deinen Fingernägeln zu knabbern!"
Sarah erkannte, daß Widerstand zwecklos war und fügte sich in ihr Schicksal. Jareth war immer noch nicht gekommen. Das Warten auf ihn hatte sie sich lange nicht so nervenzerfetzend vorgestellt. Unmutig ging sie auf das Podest zu, auf dem die Band thronte.
Der Bandleader lächelte ihr zu. "Das ist fein, daß Ihre Freundin Sie doch noch überreden konnte."
"So, finden Sie?" erwiderte Sarah wenig überzeugt.
"Ja, ich kann mich nämlich noch gut an Sie erinnern. Wie lange ist es her? Zwei Jahre? Sie haben eine sehr hübsche Stimme. Womit werden Sie uns denn heute erfreuen?"
"Ich weiß nicht, im Moment wäre mir sehr nach ‚I'm through with love', aber ich fürchte, das wäre dem Anlaß nicht angemessen." Sarah lächelte schwermütig. Er würde nicht mehr kommen...
"Da muß ich Ihnen leider recht geben. Wenn ich Ihnen etwas anderes vorschlagen dürfte..."
Sarah hörte dem Bandleader nicht mehr zu. Sie verspürte ein merkwürdiges Prickeln auf ihrem Nacken, das eigentlich nur eines bedeuten konnte! Jareth mußte hier sein! Hastig drehte sie sich um. Ihr Blick glitt suchend über die Menge. Da! Er war doch noch gekommen! Er hatte sie noch nicht gesehen, da er dem Podest den Rücken zudrehte, doch seiner Haltung war zu entnehmen, daß er sie in der Menge suchte. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sie fühlte sich unbesiegbar. Mit blitzenden Augen wandte sie sich wieder der Band zu.
"Spielen Sie ‚Fever'. Schnell!"
Keine Sekunde später begann der Schlagzeuger mit den ersten Takten und Sarah sang voller Sehnsucht.

"Never know how much I love you
Never know how much I care
When you put your arms around me
I get a fever that's so hard to bear..."

Die erste Strophe traf Jareth wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ihre Stimme traf ihn mitten ins Herz. Ihre Botschaft war unmißverständlich. Seine Suche hatte ein Ende. Ruhig wandte er sich in die Richtung, aus der ihre Stimme kam. Ihre Blicke trafen sich und beide wußten, daß sie füreinander bestimmt waren. Für alle Zeiten.
Ihre Bewegungen wurden geschmeidiger, ihre Stimme dunkler. Jareth konnte sich ihrer erotischen Ausstrahlung nicht entziehen. Er spürte, wie sein Mund trocken wurde.

"...You give me fever when you kiss me
Fever when you hold me tight
Fever in the morning
Fever all through the night.

Ev'rybody's got the fever
that is something you all know
Fever isn't such a new thing
Fever started long ago

Sun lights up the daytime
Moon lights up the night
I light up when you call my name
And you know I'm gonna treat you right

You give me fever when you kiss me
Fever when you hold me tight
Fever in the morning
Fever all through the night

Romeo loved Juliet
Juliet she felt the same
When he put his arms around her
He said 'Julie, baby, you're my flame
Thou giv-est fever when we kisseth
Fever with the flaming youth
Fever I'm afire
Fever yea I burn for sooth'

Captain Smith and Pocahontas
Had a very mad affair
When her daddy tried to kill him
She said 'Daddy, o, don't you dare
He gives me fever with his kisses
Fever when he holds me tight
Fever, I'm his misses,
Oh daddy, won't you treat him right'

Now you've listened to my story
Here's the point that I have made
Cats were born to give chicks fever
Be it Fahrenheit or centigrade
They give you fever when you kiss them
Fever if you live and learn
Fever till you sizzle
What a lovely way to burn
What a lovely way to burn
What a lovely way to burn"

Das letzte Fingerschnippen verklang und Sarah stieg anmutig von dem Podest herab. Ohne auf jemanden zu achten, ging sie direkt auf Jareth zu. Nie würde sie vergessen können, wie phantastisch er an diesem Abend ausgesehen hatte. Er trug schwarze Frackhosen, schwarze Stiefeletten, ein schmalgeschnittenes weißes Hemd und einen weiten, langen schwarzen Mantel. Um seinen Hals hatte er ein schwarzes Tuch geschlungen und an seinem Finger glitzerte ihr Geschenk. Sie hatte ihm diesen Ring schon zu seinem letzten Geburtstag schenken wollen, doch dazu war es nicht mehr gekommen. Sie hatte damals sämtliche ihr bekannten Juweliere abgeklappert und endlich einen gefunden, der bereit war, ihr einen Ring nach ihren Wünschen anzufertigen. Der Reif war aus Weißgold gearbeitet und endete in einer schmalen Hand, die mit den Fingerspitzen eine kleine perfekte Kristallkugel berührte, womit sich der Ring schloß. Sein Lächeln ließ sie wohlig erschauern. Er war ihr nicht entgegengekommen, doch als sie ihn erreicht hatte nahm er ihre beiden Hände und hielt sie fest, als wolle er sie nie mehr loslassen. Sie sahen sich nur stumm in die Augen, denn Worte hätten nie ausdrücken können, was sie in diesem Moment bewegte. Die Welt um sie herum versank.
Tess wählte diesen Augenblick um sich in Erinnerung zu bringen und endlich diesen mysteriösen Kerl kennenzulernen, der Sarah so den Kopf verdreht hatte.
"Oh, Sarah! Möchtest du uns nicht vorstellen?" Henry im Arm, ein freundliches Lächeln auf den Lippen, wartete sie, bis Sarah sich wieder in der Gegenwart zurecht fand.
"Tess, darf ich dich mit Mr. King bekannt machen? Die Herren kennen sich ja bereits."
Jareth küßte Tess formvollendet die Hand. "Ich darf Ihnen zu ihrer Verlobung meine aufrichtigsten Glückwünsche entgegenbringen." Er schüttelte Mr. Millford die Hand. "Sir, und Ihnen darf ich zu Ihrer Verlobten gratulieren. Sie ist einfach bezaubernd."
Tess kicherte verschämt. Meine Güte, Sarah hatte mit diesem Kerl wirklich das große Los gezogen. Charmant und gutaussehend in einem! Obwohl diese Perücke etwas merkwürdig aussah...
Mr. Millford bedankte sich für die Glückwünsche, doch ehe er noch etwas anderes sagen konnte hatte Jareth bereits wieder das Wort ergriffen.
"Ich bedauere sehr, daß wir nicht länger bleiben können, aber Miss Williams und ich haben noch etwas Wichtiges vor." Er sah Sarah bedeutungsvoll an und Sarah wurde angenehm schwach in den Knien. Sie griff sogleich das Stichwort auf.
"Ja, Tess. Es tut mir leid. Es war eine wundervolle Party, aber wir müssen jetzt gehen."
"Oh, das macht gar nichts, nicht wahr Henry? Dann will ich euch auch gar nicht länger aufhalten. Auf Wiedersehen Sarah - Mr. King. Und noch viel Spaß." Sie zwinkerte Sarah verschwörerisch zu, doch diese hatte nur noch Augen für Jareth. Immerhin murmelte sie noch einen Abschiedsgruß während es ihm die Sprache völlig verschlagen hatte.
"Meine Herren, was war das denn?" wunderte sich Mr. Millford. "Warum hatten die es denn so eilig von hier wegzukommen?" richtete er die Frage an seine Verlobte.
"Also wirklich, Henry! Manchmal kannst du Fragen stellen!"


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