Die magischen Jahre (the magic years)
Teil drei (part three)
Fanfiction by Lorelei Lee
Kapitel 36 nur für Erwachsene
(Chapter 36 adults only)
Kapitel 36
Im Aufzug nach unten waren Sarah und Jareth durch eine glückliche Fügung des Schicksal allein.
Sarah wollte ihm alles erklären. "Jareth, ich...", fing sie an.
"Sag jetzt nichts", bat er mit eindringlicher Stimme und ihre Lippen fanden sich in einem wilden, hungrigen Kuß. Währenddessen ließ Jareth seine Magie wirken um sie auf direktem Wege aus diesem Aufzug in Sarahs Appartement zu transportieren. Angenehm überrascht blickte Sarah zu ihrem Geliebten auf. "Haben wir es so eilig?" fragte sie mit einem amüsierten Zwinkern. Jareth ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Er antwortete mit einem trockenen Unterton. "Ich denke doch." Sie standen noch immer im Wohnzimmer, die Luft war auf wundersame Weise von Musik erfüllt. Flüchtig erkannte sie die Melodie von Ravels' "Bolero" bevor sie sich in seinen stürmischen Küssen verlor. Seine Berührungen waren wild und fordernd, doch Sarahs Verlangen nach ihm war es auch. Mit wenigen energischen Handgriffen streifte sie den Mantel von seinen Schultern. Seine Hände griffen in ihre Haare, seine Lippen waren hart und unnachgiebig und sie genoß jede einzelne Sekunde. Seine Wildheit ließ sie nahezu entfesselt reagieren. Ihre schlanken Finger zerrten das Hemd aus seiner Hose, schoben es beiseite und begannen ein teuflisches Spiel auf seinem Rücken indem sie leicht und doch kräftig ihre Fingernägel über seine Haut zog. Seine Hände wanderten ihren Rücken hinab zu ihren Beinen. Streichelnd schob er ihr Kleid bis über ihre Hüften nach oben. Während er auf ihrem Nacken mehr Bisse als Küsse hinterließ, massierte er die weichen Rundungen ihres verlängerten Rückens. Ihr Puls raste. Ihre Fingernägel kratzten seine Haut, als sie sein Hemd rücksichtslos von seinem Körper riß. Bevor seine Hose das gleiche Schicksal erlitt wie sein Hemd, lichtete sich für einen kurzen Moment seine Betäubung. Krampfhaft hielt er ihre Handgelenke fest. "Nicht hier", flüsterte er heiser. Dann hob er sie hoch und trug sie in ihr Schlafzimmer. Dort öffnete er den Reißverschluß ihres Kleides und ließ es langsam an ihr hinab gleiten. Er wußte wie ihr Körper aussah, doch in dieser Nacht kam es ihm so vor, als würde er sie zum ersten Mal sehen, wie sie wirklich war. Ihre Wangen waren leicht gerötet, die Lippen geöffnet, sie atmete schwer. Ihre Brüste hoben und senkten sich in ihrem Gefängnis aus dunkelroter Spitze. Dazwischen funkelte ihr Medaillon. An die weichen Rundungen ihrer Hüften schmiegte sich ein Slip aus demselben Material. Sie trug noch ihre halterlosen Strümpfe und ihre hochhackigen Schuhe. Sie war schön wie die Sünde. Plötzlich hatten beide keine Eile mehr. Langsam streichelte sie über seine Brust, öffnete schließlich seine Hose um mit ihren Händen an seinem Rücken entlang hineinzugleiten. Sanft zog er ihre Hüften näher zu sich. Sie fühlte die Wölbung an ihrer Haut, preßte und rieb ihren Unterkörper dagegen und spürte, wie die Wölbung heißer und größer wurde. Sie streifte seine Hose mit geschickten Bewegungen weiter hinab und zog sie ihm aus. Er war jetzt vollkommen nackt. Ihre Blicke wanderten hungrig über seinen Körper, verhielten kurz an den zarten roten Striemen, die ihre Fingernägel hinterlassen hatten und blieben dann wie gebannt zwischen seinen Beinen hängen. Jareth war hochgradig erregt. Ihre bewundernde Musterung peitschte seine Sinne nur noch mehr auf. Sie schmiegte sich an ihn. "Komm", hauchte sie in sein Ohr. Gleichzeitig streichelte sie wie zufällig über seine Männlichkeit. Ihm jagte diese Berührung heiße Schauer über den Rücken. Sie zog ihn mit sich auf ihr Bett, wo sie sich ihm bereitwillig überließ. Sanft streichelte und massierte er ihren Oberkörper, zog ihren BH aus und senkte seine Lippen auf ihre Brüste. Ihr Stöhnen verriet ihm ihre Lust und stachelte auch sein Verlangen an. Geschickt streifte er ihren Slip ab und liebkoste ihr empfindliches Fleisch mit seinen Fingern. Es war heiß und feucht. Jede ihrer Reaktionen teilte ihm mit, daß sie mehr als bereit für ihn war. Doch er wartete noch. Seine Zähne kniffen leicht ihn ihre steifen Brustwarzen während sein Finger langsam tiefer glitt, bis er seinen Weg in sie fand. Vorsichtig erkundete er sie. Sarah hatte nun angefangen, sich instinktiv zu bewegen. Jede Faser ihres Körpers fieberte ihm entgegen. Sie keuchte vor Lust, doch sie konnte nichts dagegen tun -nur Jareth konnte etwas dagegen tun. Als hätte er ihre Gedanken erraten, zog er sich ein wenig zurück. Er legte sich halb auf sie, stützte sich mit seinen Händen ab und sah sie eindringlich an.
"Willst du es?" seiner Stimme war die unterdrückte Erregung anzuhören. "Willst du es wirklich?"
"Ja, ja!" stöhnte Sarah und schlang ihre Arme um seinen Körper. Sie fühlte wie sich sein Glied zwischen ihre Beine schob. Es fühlte sich heiß und sehr hart an. Er fand ihren Eingang und preßte sich dagegen. Die Spitze seines pulsierenden Fleisches glitt hinein. Jareth hätte seine Gefühle in diesem Moment nicht beschreiben können. Allmählich erhöhte er den Druck und glitt tiefer hinein, bis er bemerkte, daß über Sarahs Wangen Tränen hinabliefen. Erschreckt hielt er inne. "Oh mein Gott!" stieß er hervor. "Ich wollte dir nicht weh tun." Hastig wollte er sich zurückziehen, doch Sarah hielt ihn fest.
"Das ist schon okay", stammelte sie und versuchte zu lächeln. "Beim ersten Mal gehört das dazu. Mach einfach weiter. Schnell."
Jareth atmete tief durch und tat was sie von ihm verlangte. Kontinuierlich glitt er tiefer in sie hinein bis er eine Art Barriere spürte. Er holte nochmals tief Luft, zog sich ein wenig zurück und stieß heftig zu. Der plötzliche Schmerz trieb Sarah Tränen in die Augen. Obwohl sie beschlossen hatte, sich zusammenzureißen, stieß sie einen kleinen Schrei aus. Jareth hatte keine Ahnung, was er jetzt zu tun hatte, doch instinktiv tat er das einzig Richtige. Er fuhr mit den sanften Liebkosungen ihrer Brüste fort, und als ihre Tränen versiegten, schob er seine Hand zwischen ihre Körper und streichelte ihr empfindsames Fleisch so gut es ging. Es dauerte nicht lang, bis Sarah wieder auf seine Zärtlichkeiten reagierte und ihr Becken verlangend bewegte. Von neuem erregt, glitt er tief in sie hinein und wieder hinaus... und wieder... und wieder. Seine Leidenschaft riß sie mit sich in ein Meer der Gefühle. Auf dem Höhepunkt ihrer Ekstase spürte sie undeutlich, wie er sich versteifte und heiß in sie ergoß, bevor eine dunkle Woge der Lust über ihr zusammenbrach und die Welt um sie herum versank.
Im anschließenden Schaumbad sann Jareth mit geschlossenen Augen über diese Nacht nach. Er hätte nicht gedacht, daß die körperliche Vereinigung alle anderen sexuellen Erfahrungen um Längen schlug. Sein Gedankenflug wurde durch Sarah unterbrochen.
"Es war wundervoll", murmelte sie.
Er öffnete seine Augen halb, um sie anzusehen. Sie lag ihm gegenüber in der Wanne. Ihre Haare ringelten sich durch die Feuchtigkeit leicht. Dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie wurde ernst. "Ich hoffe, du kannst mir verzeihen."
"Das habe ich schon längst", beruhigte er sie. "Die Frage ist vielmehr, ob du mir jemals verzeihen kannst."
"Oh ja, das kann ich." Sie seufzte. "Wir waren beide schrecklich dumm."
"Ganz schrecklich dumm."
"Laß uns nie wieder so dumm sein." Sie strich mit ihrem Fuß an der Innenseite seiner Oberschenkel entlang.
"Nie wieder", bestätigte er.
Spielerisch umschmeichelte sie ihn mit ihren Zehen, bis sie seine Schwellung deutlich spürte.
Er biß sich auf die Unterlippe. "Was zum Teufel tust du da?"
Sie lächelte kokett. "Nichts."
"Ach, wirklich?"
Sie drehte sich vorsichtig in der Wanne, damit kein Wasser überschwappte und glitt sacht zu ihm. Behutsam nahm sie seine Beine in die Mitte und senkte ihren Körper langsam ab. Jareth überließ ihr die Kontrolle und genoß ihre ruhigen, wiegenden Bewegungen. Sie hatten keine Eile. Zärtlich streichelte er ihren Körper und beobachtete, wie einzelne Wassertropfen an ihren sanft schwingenden Brüsten hinabliefen. Sarah hielt immer wieder inne, um den Moment hinauszuzögern, doch schließlich war für beide der Punkt gekommen, an dem es kein zurück mehr gab.
Später tanzten sie in Bademänteln und feuchten Haaren engumschlungen im Wohnzimmer, das nur durch eine einzelne Kerze erhellt wurde.
"Eigentlich wollte ich dir sagen, wie sehr ich dich liebe", flüsterte Jareth.
"Warum tust du es dann nicht?"
"Es klingt so abgedroschen - so verbraucht." Er schwieg für einen Augenblick. "Du bist für mich mein Leben, meine kleine Elfe."
Sie schwiegen.
"Auch wenn es abgedroschen klingt - ich kann mir nicht helfen, Jareth. Ich liebe dich. Und ich bin sehr glücklich - denn du hast mich endlich zur Frau gemacht."
Er fühlte, daß sie lächelte.
"Und du hast mich heute zum Mann gemacht", hauchte er ihr ins Ohr.
Sie kicherte. "Ach, tatsächlich?"
"Muß ich es dir erst beweisen?" fragte er mit vibrierender Stimme.
Sarah war froh, daß er sie sehr fest hielt, denn ihre Beine versagten ihr bei dem Klang seiner Stimme fast den Dienst.
"Oh ja, bitte!" hörte sie sich noch sagen, da hatte sie Jareth zum zweitenmal in dieser Nacht auf seine Arme genommen. Als ob er ihre Gedanken erraten hätte, warf er sie mit Schwung auf ihr Bett und war im Nu über ihr. Sie sehnte sich nach harten, besitzergreifenden Händen und Jareth gab ihr, was sie brauchte. Grob riß er den Bademantel von ihrem Körper und küßte sie wild. Sein Mund wanderte tiefer und als er sein Ziel erreicht hatte, stellte er fest, daß nicht mehr viel fehlte, um sie völlig bereit für ihn zu machen. Als seine Zunge rauh über ihr heißes Fleisch glitt, glaubte sie, vor Ekstase zu zerfließen. Nach einer kleinen Ewigkeit beendete er seine erregende Tätigkeit abrupt. Ruckartig drehte er sie um und stieß mit seiner pochenden Männlichkeit rücksichtslos zu. Dann stoppte er.
"Ist dir das Beweis genug?" fragte er heiser. "Ist es das, was du willst?"
"Ja, ja!" beantwortete sie seine Frage leidenschaftlich.
Seine Hände legten sich wie eiserne Klammern um ihre Taille und er nahm sie, so hart und wild wie er nur konnte. Sarah genoß seine Behandlung und quittierte jeden seiner Stöße mit lustvollem Seufzen. Er trieb sie weiter und weiter, bis sie den Höhepunkt ihrer Lust erreicht hatte. Ihre Schenkel bebten und Jareth fühlte, wie sie sich verkrampfte. Dann empfand auch er eine tiefe Befriedigung.
Kapitel 37
"Schläfst du?" Er küßte sie leicht auf die Stirn. Zusammengekuschelt lag sie in seinen Armen. Draußen war es schon hell. Er war noch nie so glücklich gewesen. Eine innere Ruhe war in ihn eingekehrt, die fast schon unglaublich war. Dennoch mußte er sie für einen kurzen Moment verlassen. In der Vergangenheit hatte seine Abwesenheit in seinem Reich immer wieder kleinere Schäden verursacht. Er mußte sich kurz darum kümmern.
"Was ist?" murmelte Sarah.
"Ich muß kurz zurück um nach dem Rechten zu sehen."
"Nein, geh nicht. Bitte!"
"Ich komme ja gleich wieder. Es dauert nicht lang."
"Ehrenwort?"
Er küßte sie sanft auf den Mund. "Ehrenwort!"
Er war noch keine fünf Minuten weg, als bei Sarah das Telefon klingelte. Das konnte nur ihre Mutter sein, dachte Sarah bei sich und hob den Hörer ab.
"Na, wie ist es gelaufen?!"
"Tess?"
"Wer denn sonst! Und? Hat alles geklappt?"
"Tess, du bist unmöglich!"
"Nein, ich bin nur neugierig."
"Na schön. Ja, es hat alles geklappt. Wir haben uns wieder versöhnt und gerade eben ist kurz weggegangen um eine Kleinigkeit zu erledigen. Bist du jetzt zufrieden?"
"Er war die ganze Nacht bei dir?" fragte Tess ungläubig.
"Ja. Aber jetzt muß ich Schluß machen, er kann jeden Augenblick wieder hier sein. Wir sehen uns ja sowieso morgen im Büro."
"Ist gut. Bis morgen. Und noch viel Spaß!"
"Tess!"
Doch Tess kicherte nur noch und legte den Hörer auf. Sarah streckte sich wohlig in ihrem Bett aus. Wenn ihr Geliebter wieder da war, würde sie eine Überraschung für ihn haben. Sie hatte sich in dieser Nacht endgültig dazu entschlossen ihm in sein Reich zu folgen. Für immer!
Am nächsten Tag kam Tess sehr früh ins Büro, doch Sarah war trotzdem schon vor ihr da. Sorgfältig schloß Tess die Tür hinter sich, damit sie niemand bei ihrem Schwätzchen stören würde. Sie wollte unbedingt alles erfahren!
"Guten Morgen, Schätzchen! Na, du bist heute ja schon früh da", begrüßte sie Sarah.
"Guten Morgen, Tess."
Tess musterte Sarah eindringlich. "Sag mal, wie siehst du denn aus?"
Sarah spielte nervös mit einem Bleistift. "Er ist nicht mehr zurückgekommen. Vor 22 Stunden und 40 Minuten hat er meine Wohnung verlassen und ist seither nicht mehr zurückgekommen!"
Tess war sprachlos. Allerdings nur kurz. "Was meinst du mit 'er ist nicht zurückgekommen'?"
Sarah brach unvermittelt in Tränen aus. "Das, was ich sage! Er wollte noch kurz etwas erledigen und dann gleich wieder kommen. Was soll ich nur tun? Womöglich ist ihm etwas zugestoßen!"
"Hast du schon bei ihm angerufen?" fragte Tess mitfühlend. Ihm mußte tatsächlich etwas passiert sein, denn wie einer dieser Gigolos war er ihr eigentlich nicht vorgekommen.
Diese gutgemeinte Frage löste bei Sarah tiefste Bestürzung aus. Was sollte sie nur darauf antworten? Natürlich hatte sie den halben Tag und die ganze Nacht in wachsender Verzweiflung nach ihm gerufen, aber wie sollte sie Tess erklären, daß sie dann nicht einfach mit einem Taxi zu ihm gefahren war, um nach dem Rechten zu sehen. Eine plausible Geschichte mußte her und zwar schnell! Durch Sarahs Adern pumpte genug Adrenalin, daß es für eine ganze Werbeabteilung gereicht hätte.
"Weißt du Tess, das ist so eine Sache", fing sie stockend an. "Ich kann dir nicht alles erzählen, ich kann dir nur soviel sagen, daß er für - für eine Regierung arbeitet. Wir haben uns vor Jahren zufällig getroffen. Ich habe verschiedene Möglichkeiten um mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber ich kenne weder seine Adresse, noch seine Telefonnummer." Sie seufzte. "Und Mr. King ist auch nicht sein richtiger Name."
Diese Geschichte schlug bei Tess wie eine Bombe ein. Mit offenem Mund starrte sie Sarah an. Doch so unwahrscheinlich das Ganze auch klang, Tess zweifelte keinen Moment daran, daß es die Wahrheit war. Sarah beschloß daraufhin, bei dieser Geschichte zu bleiben. Wer konnte schon wissen, was die Zukunft bringen würde.
In den folgenden Wochen hatte Sarah das Gefühl in einem Alptraum gefangen zu sein. Bei der Arbeit mußte sie sich sehr zusammenreißen, doch sobald sie nicht direkt angesprochen wurde, versank sie in eine Art Dämmerzustand, in dem ihre Gedanken unaufhörlich um die immer gleiche Frage kreisten: 'Warum kommt er nicht?'. Nachts rief sie unermüdlich nach ihm, bis sie im Morgengrauen völlig erschöpft für kurze Zeit in einen unruhigen Halbschlaf fiel. Sie verlor an Gewicht, bekam dunkle Augenringe und sah allgemein so schlecht aus, daß hinter ihrem Rücken bereits spekuliert wurde, ob sie Krebs hatte oder einfach nur magersüchtig geworden war. Zu allem Unglück blieb auch noch ihre monatliche Blutung aus, doch Sarah wollte sich zuerst nichts dabei denken, und schob es auf ihre schlechte körperliche Verfassung und versuchte ihre zunehmende Nervosität zu ignorieren. Doch als die Tage verstrichen, ohne daß sich ihr Zustand geändert hätte gelang ihr das immer schlechter. Irgendwann konnte sie nicht mehr umhin, ihren Gynäkologen aufzusuchen.
Bei der Anmeldung hatte sie lediglich allgemeines Unwohlsein angegeben und versucht, die abschätzenden Blicke der Sprechstundenhilfe kühl zu übergehen. Die kurze Zeit, die sie im Wartezimmer zubringen mußte, zerrte zusätzlich an ihren Nerven, so daß sie schließlich krank vor Angst die Untersuchung über sich ergehen ließ. Nach wenigen Minuten, die ihr wie eine Ewigkeit erschienen, gab ihr Arzt, Doktor Rogers, sein Urteil ab.
"Ich gratuliere Ihnen, Miss Williams. Sie sind in der sechsten Woche schwanger." Er setzte sich auf, zog die Handschuhe aus und lächelte sie aufmunternd an. Er hätte zwar nicht behauptet, seine Patientin gut zu kennen, doch ihm gegenüber hatte sie sich immer sehr beherrscht und gelassen gegeben. Um so unerwarteter war für ihn ihre Reaktion.
"Das ist nicht wahr! Sagen Sie mir, daß das nicht wahr ist!" Auf sein Kopfnicken schlug sie die Hände vors Gesicht. "Oh, mein Gott! Wie konnte das nur passieren!"
Dr. Rogers räusperte sich. "Miss Williams, Sie können sich wieder anziehen. Gehen Sie bitte schon in mein Büro vor. Ich komme gleich nach."
Wie betäubt kam sie seiner Bitte nach. Währenddessen verließ Dr. Rogers das Untersuchungszimmer um sich mit seiner Sprechstundenhilfe abzusprechen.
"Haben wir heute noch Termine, Marian?"
"Nein, Miss Williams war die letzte für heute."
"Danke. Ich bin mit Miss Williams noch in meinem Büro. Bitte stellen Sie keine Telefonate durch."
Marian bedachte ihn mit einem langen Blick.
"Es kann länger dauern", beantwortete er ihre unausgesprochene Frage und ging in sein Büro zurück. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und wartete auf seine deprimierte Patientin. Seine Geduld wurde auf keine lange Probe gestellt. Niedergeschlagen betrat Sarah das Büro ihres Arztes und nahm wie ein Häufchen Elend ihm gegenüber Platz.
"Ich entnehme Ihren Äußerungen, daß Sie Verhütungsmittel benutzt haben?" Er wußte aus Erfahrung, daß er hier behutsam vorgehen mußte, wenn er Miss Williams wirklich helfen wollte. Und das wollte er. Doch zuvor mußte er von ihr möglichst viele Einzelheiten erfahren.
"Ich verstehe wirklich nicht, wie das passieren konnte, ich habe regelmäßig die Pille genommen! Und immer pünktlich. Ich habe sie nie vergessen. Nie!"
"Sie wissen doch sicher, daß es auch bei der regelmäßigen Einnahme von Verhütungspillen rein statistisch gesehen bei einer von tausend Frauen trotzdem zu einer Schwangerschaft kommt."
"Oh mein Gott. Was habe ich eigentlich verbrochen?" murmelte Sarah vor sich hin.
"Ich nehme an, daß diese Schwangerschaft nicht nur unerwartet, sondern auch ungelegen kommt?" tastete sich Dr. Rogers vorsichtig weiter.
Sarah reagierte äußerst heftig. "Ungelegen? Das können Sie laut sagen!"
"Dann wäre dies der geeignete Zeitpunkt, um Sie darauf hinzuweisen, daß es für einen Schwangerschaftsabbruch noch nicht zu spät ist."
Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihren Arzt an. "Eine Abtreibung? Oh, nein. Nein. Das würde er mir nie verzeihen."
Dr. Rogers atmete erleichtert aus. "Sie leben also mit dem Vater des Kindes in einer Partnerschaft?" Vielleicht war es doch nicht so schlimm, wie es im ersten Moment ausgesehen hatte.
"In einer Partnerschaft?" druckste Sarah herum. "So kann man das nicht unbedingt nennen. Wir treffen uns regelmäßig, aber wir leben nicht zusammen."
"Aber Sie können doch sicher mit ihm darüber sprechen?"
Wieder brach seine Patientin unvermittelt in Tränen aus.
"Ich wünschte, ich könnte es", schluchzte sie.
"Ja, aber was hindert Sie denn daran?" fragte Dr. Rogers völlig perplex.
"Er ist seit dieser Nacht spurlos verschwunden", gelang es ihr noch zu sagen, bevor sie weiter in ihr zerknülltes Taschentuch weinte.
"Verschwunden?" Dr. Rogers kannte sich nun überhaupt nicht mehr aus.
"Wie soll ich Ihnen das nur erklären?" Sarah wischte sich mit dem Taschentuch über die Augen. "Sehen Sie, das Ganze ist ein bißchen ungewöhnlich. Mein.. mein..." Sie suchte nach Worten, gab es aber auf und sagte stattdessen. "Der Vater des Kindes arbeitet für eine Regierung", wiederholte sie Wort für Wort das Märchen, das sie bereits Tess aufgetischt hatte. Zu ihrer Überraschung schluckte es auch ihr Arzt, ohne besonders überrascht zu wirken. Warum nahmen es eigentlich alle widerspruchslos hin, daß Sarah Williams augenscheinlich die Geliebte eines Spions war? Als sie ihre Geschichte beendete hatte, herrschte für einen Moment völlige Stille.
"Sie sollten in drei Wochen zu einer zweiten Untersuchung kommen, Miss Williams."
"Gut, Herr Doktor." Doch dann fiel ihr etwas ein. "In drei Wochen?! Das ist unmöglich, da besuche ich meine Eltern. Oh Gott! Meine Eltern! Ich kann nicht..."
"Dann lassen Sie sich von Marian einen späteren Termin geben. Aber... wenn Sie in der Zwischenzeit irgend etwas benötigen", er gab ihr eine Visitenkarte, "zögern Sie bitte nicht, mich anzurufen."
Sarah genügte ein flüchtiger Blick, um zu erkennen, daß auf der Karte auch seine private Telefonnummer verzeichnet war. Sie lächelte ihn unter Tränen dankbar an.
"Vielen Dank, Herr Doktor. Das werde ich."
Tage später klingelte es an Sarahs Wohnungstür. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt breit. Draußen stand eine ungeduldige Tess.
"Guten Tag, Sarah. Läßt du mich rein?"
"Tess, das paßt mir im Moment aber gar nicht."
"Das ist mir völlig egal, ob es dir paßt oder nicht! Ich bin hier, weil ich wissen will, was zur Hölle eigentlich mit dir los ist! Vor vier Tagen hast du in der Firma angerufen und aus familiären Gründen ein paar Tage Urlaub beantragt. Seitdem bist du nicht mehr ans Telefon gegangen und kein Mensch hat dich seither auf der Straße gesehen. Also sagst du mir jetzt, was mit dir los ist, oder muß ich erst die Polizei rufen?"
Sarah sah sie lange mit einem seltsam leeren Blick an. "Ich bin schwanger, Tess." Dann trat sie beiseite und ließ ihre Freundin herein. Es war schwer zu sagen, was Tess mehr erschreckte: diese Neuigkeit oder der Zustand von Sarahs Wohnung. Überall lagen Kleidungsstücke verstreut herum. In der Küche häuften sich dreckiges Geschirr, die Pflanzen waren kurz vor dem Verdursten, auf dem Wohnzimmertisch lagen fettige Pizzakartons und der Fußboden hatte schon lange keine Staubsauger mehr gesehen. Es bestand kein Zweifel, Sarah war kurz davor, völlig zu verwahrlosen.
Mit einer ausholenden Geste wandte sich Tess an Sarah. "Hör mal, was soll das? Daß du schwanger bist, ist natürlich ärgerlich, aber das ist noch lange kein Grund, sich so gehen zu lassen."
"Das ist deine Meinung", erklärte Sarah verstockt.
Tess merkte, wie sie ärgerlich wurde, bei einem Blick in Sarahs verhärmtes Gesicht wurde sie jedoch wieder weich. "Wie kann ich dir helfen?" fragte sie warm.
"Mir kann keiner helfen." War Sarahs tonlose Antwort.
Tess beschlich das Gefühl, daß es besser wäre wieder zu verschwinden. "Kommst du übermorgen wieder ins Büro?" fragte sie und sah Sarah dabei eindringlich an.
Sarah hielt ihrem Blick stand. "Keine Sorge. Ich werde da sein."
Sarah kam tatsächlich wieder in die Firma, doch alle waren sich einig, daß sie sich verändert hatte. Sie wirkte teilnahmslos, verfiel jedoch nie wieder in diese seltsame Starre, wie in den Tagen vor ihrem Urlaub. Sie nahm ihren Urlaubsantrag für Weihnachten zurück und erklärte sich dazu bereit, an den Feiertagen durchzuarbeiten. Anschließend rief sie ihre Eltern an und log ihnen vor, sie hätte dieses Jahr keinen Urlaub bekommen. Es fiel ihr nicht leicht, ihre Eltern anzulügen, doch sie hätte nicht die Kraft gehabt, ihnen unter die Augen zu treten - noch nicht. Ihre körperlich Verfassung besserte sich kaum, wurde jedoch wenigstens nicht schlechter. An Weihnachten arbeitete sie in der Firma wie eine Verrückte, nur um nicht daran zu denken, daß im ganzen Land das Fest der Liebe gefeiert wurde und sie nicht nur ledig sondern auch noch schwanger war. Den Neujahrstag begann sie mit einer neuen Erfahrung: morgendliche Übelkeit. Von da an verging kein Tag, an dem sie das Kind in ihrem Leib nicht verfluchte.
Bei ihrem nächsten Arzttermin ging es ihr so schlecht, daß Dr. Rogers fast zu Tode erschrak. Hier kam er mit gewöhnlichen Methoden nicht weiter. Er mußte sich etwas Dramatisches einfallen lassen, um seine Patientin zu erreichen.
"Miss Williams, ich gratuliere Ihnen. Sie sind wirklich auf dem besten Wege zu einer Fehlgeburt."
"Eine Fehlgeburt? Herr Doktor, ich verstehe sie nicht..." Sarah blickte ihren Arzt verwirrt an.
"Ach, Sie hatten nicht vor die Schwangerschaft durch eine geplante Fehlgeburt zu beenden?" fragte er betont ruhig zurück.
Sarah wurde erst blaß, rang nach Atem und schleuderte ihm schließlich mit flammenden Wangen entgegen: "Wie könne Sie so etwas von mir denken!"
"Dann hören Sie augenblicklich damit auf, ihren Körper so zu vernachlässigen, wie Sie es seit Wochen tun!"
Die neue Erkenntnis, daß Jareths' Kind möglicherweise nie geboren werden würde, raubte ihr für einen kurzen Moment die Sprache. Instinktiv legte sie eine Hand beschützend über ihren kaum gewölbten Leib.
"Eine Fehlgeburt?" flüsterte sie kaum hörbar. "Oh nein. Ich will dieses Kind. Es ist wahrscheinlich das einzige, was mir noch von ihm bleibt. Er würde es mir nie verzeihen, wenn ich es verlöre." Tränen rannen ihre Wangen hinab, doch Dr. Rogers war nicht unzufrieden mit dem Ergebnis. Sie wirkte insgesamt wieder gefaßt und seelisch einigermaßen stabil.
Mit einer entschlossenen Bewegung wischte sie die Tränen aus ihrem Gesicht und blickte Dr. Rogers direkt in die Augen.
"Was muß ich tun, damit mein Kind das gesündeste Baby wird, das je geboren wurde?"
Dr. Rogers gestattete sich ein leises Lächeln.
Kapitel 38
Der errechnete Geburtstermin für Sarahs' Baby fiel auf den 31. Juli. Sie würde also noch genug Zeit haben um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die morgendliche Übelkeit verging im Laufe der Zeit und sie legte stetig an Gewicht zu. Ihr Frauenarzt war sehr zufrieden mit ihr. Im großen und ganzen hatte Sarah nur noch drei Sorgen: Ihre Arbeit - die sie nicht verlieren durfte, ihre Eltern - die von der Schwangerschaft noch nichts wußten und Jareth - der wie vom Erdboden verschluckt blieb, egal was sie auch unternahm.
In der Firma verbarg sie ihre Schwangerschaft unter großzügig geschnittenen Blusen und Jacken, bis es einfach zu offensichtlich war, daß diese allmählich anschwellende Wölbung nicht auf zu viele Süßigkeiten zurückgeführt werden konnte. Als der fünfte Monat ihrer Schwangerschaft angebrochen war, nahm sie einen Termin bei ihrem Vorgesetzten, Mr. Shaw, wahr, den sie einige Tage vorher mit seiner Sekretärin verabredet hatte.
"Guten Tag, Mr. Shaw."
"Miss Williams! Aber nehmen Sie doch bitte Platz. Was kann ich für Sie tun?" Mr. Shaw erwiderte ihr offenes Lächeln.
"Mr. Shaw, ich hätte mir keinen offiziellen Termin bei Ihnen geben lassen, wenn es sich nicht um eine besonders delikate Angelegenheit handeln würde," tastete sich Sarah langsam heran.
"Das dachte ich mir bereits, Miss Williams. Ich hoffe, wir stehen nicht kurz vor dem Konkurs?" scherzte er gutgelaunt.
"Nein. Es handelt sich um etwas völlig anderes." Sie machte eine kurze Pause um sich vor der eigentlichen Eröffnung zu sammeln. Sie mochte Mr. Shaw, doch es war nicht vorauszusehen, wie er auf ihre Neuigkeit reagieren würde. "Mr. Shaw, ich bin im fünften Monat schwanger und brauche deshalb Ihre Hilfe."
"M-meine H-hilfe?" Mr. Shaw rang mühsam um Fassung.
"Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich brauche Ihre Hilfe, weil ich es mir nicht leisten kann, meine Arbeit zu verlieren. Sehen Sie, es wird keine Eheschließung zu dieser Schwangerschaft geben." Sie faltete die Hände unbewußt in einer typisch mütterlichen Haltung in ihrem Schoß und blickte ihn abwartend an.
Etwas in ihrer Haltung rührte Mr. Shaw zutiefst. So jung und doch so entschlossen, sich nicht vom Schicksal unterkriegen zu lassen. Eine Idee nahm in seinem Gehirn langsam Gestalt an.
"Ich muß zugeben, ich könnte mir die Abteilung ohne Sie nicht mehr vorstellen. Sie haben in der relativ kurzen Zeit, die Sie nun bei uns sind hervorragende Arbeit geleistet. Ich könnte nur schwer auf Sie verzichten. Ich hätte da eine Idee, die uns beiden entgegenkommen dürfte. Was würden Sie davon halten, wenn wir...." zuerst zögernd, doch dann immer flüssiger legte er ihr seinen Vorschlag dar und Sarah war mehr als glücklich damit.
Abends gönnte sie sich ein großes Stück Schokoladentorte, dicht gefolgt von einigen rohen Karotten, die sie großzügig in Senf tauchte, um diesen phänomenalen Erfolg bei Mr. Shaw zu feiern. Vorausgesetzt, daß die Erde nicht unterging, würde sie sich um ihre finanzielle Zukunft keine Sorgen mehr machen müssen. Erleichtert ließ sie sich auf ihr Sofa sinken und biß krachend in ein Stück Karotte. Gott sei dank sah sie niemand, wenn sie ihren Schwangerschaftsgelüsten frönte. Jareth würde sich wahrscheinlich mit Grausen von ihr abwenden. Es hatte entschieden seine Vorteile, alleine zu leben. Und doch verging kein Tag, an dem sie nicht an Jareth dachte. Ihre Gedanken waren allerdings nur oberflächlicher Natur. Sie konnte den Schmerz nicht ertragen, der entstand, wenn sie ihren Gefühlen zu sehr nachgab. Frisch gestärkt ging sie das zweite Problem auf ihrer Liste an. Sie zog das Telefon zu sich heran um sich bei ihren Eltern für einen Osterbesuch anzumelden.
Die Autofahrt zu ihren Eltern hatte sie doch mehr angestrengt, als sie angenommen hatte. So ließ sie die stürmische Begrüßung ihrer Familie mehr oder weniger regungslos über sich ergehen um kurz darauf erschöpft auf das Wohnzimmersofa zu fallen, mit dem finsteren Entschluß, sich in den nächsten zwei Stunden nicht mehr zu bewegen, komme, was da wolle. Mit einer Handbewegung winkte sie ihre Eltern zu sich.
"Mom, Dad, setzt euch bitte kurz zu mir. Ich habe euch einiges mitzuteilen."
Ihre Mutter folgte Sarahs' Bitte mit gemischten Gefühlen, bei ihrer Begrüßungsumarmung war es ihr fast so vorgekommen, als...
"Da es keinen Zweck hat, lange darum herum zu reden, kann ich es euch genauso gut mit der direkten Methode beibringen: Ich bin im sechsten Monat schwanger und werde nicht heiraten."
Mit einer perversen Freude sah sie zu, wie diese Nachricht auf ihre Eltern wirkte.
Beiden hatte es für die ersten Minuten völlig die Sprache verschlagen. Ihre Mutter war die erste, die sich wieder gefaßt hatte.
"Aber wie..." stotterte sie
"Ach, Mom, *das* weißt du doch," grinste Sarah.
"Sei nicht so frech!" schalt sie automatisch, dann sprang sie plötzlich auf, setzte sich neben Sarah und drückte diese mit den Worten: "Mein armes, armes Kind" an sich. Aus der erdrückenden Umarmung heraus riskierte Sarah einen Blick auf ihren Vater. Er saß immer noch schweigend in seinem Sessel, den Blick nachdenklich nach innen gerichtet. Schließlich richtete er sich langsam auf und pflückte seine Frau von Sarah, die ihm dafür mehr als dankbar war.
"Es sieht so aus, meine Liebe," sagte er zärtlich zu seiner Frau, "als ob wir Großeltern würden."
"Großeltern! Ach du liebe Zeit." Sie lächelte schwach.
"So, Prinzessin!" wandte er sich dann an seine Tochter. "Du hast jetzt deinen Spaß gehabt. Die letzten 100 grauen Haare gehen auf dein Konto. Könntest du uns nun gnädigerweise erklären, wie das alles passiert ist?" Seine Worte klangen streng, aber seine Augen konnten ein Zwinkern nicht unterdrücken. Immerhin hatte sich ihre Mutter wieder einigermaßen beruhigt.
"Komm, setz' dich wieder hin. Vielleicht ist ja alles gar nicht so schlimm," riet Sarahs' Vater seiner Frau.
"Nicht so schlimm? Robert, das ist doch dummes Zeug. Was könnte eine Schwangerschaft weniger schlimm machen? Noch dazu eine uneheliche?"
"Wenn wir Sarah nicht zu Wort kommen lassen, werden wir es nie erfahren," erwiderte ihr Mann lakonisch.
"Danke, Dad," sagte Sarah. Es war erstaunlich, wie schnell ihr Vater sich mit der Situation abgefunden hatte. Ihre Mutter hingegen... nun eigentlich hatte sie ja nichts anderes erwartet.
"Ich habe vor einigen Jahren einen Mann kennengelernt. Wir haben uns in Phoenix sehr oft getroffen. Er ist der Vater der Kindes."
Mit einem Seitenblick sah sie, daß ihr Vater wie zur Bestätigung kurz genickt hatte. Er erinnerte sich also noch an ihr Gespräch. Ihre Mutter hingegen hatte offensichtlich keine Ahnung.
"Warum willst du ihn denn nicht heiraten?" fragte sie.
"Mom, es geht nicht ums wollen, sondern ums können."
"Ist er womöglich schon verheiratet?" hakte ihre Mutter nach.
"Nein, Mom. Das ist es auch nicht. Wir können eben nicht heiraten und damit basta." Aus einem ihr selbst unerklärlichen Grund hatte sich Sarah dagegen entschieden ihren Eltern die Spionagegeschichte aufzutischen, mit der sie alle anderen abgespeist hatte. Sie hatte vorgehabt, ihnen die unverfänglichen Details zu erzählen und den Rest einfach zu verschweigen. Sie hatte aber nicht gedacht, daß das so schwierig werden würde.
"Und wer ist dieser Kerl?" wollte nun ihr Vater wissen.
"Auch das kann ich euch nicht sagen," sagte Sarah mit trotziger Miene.
"Warum kannst du uns das nicht sagen?" stocherte ihre Mutter. "Was stimmt nicht mit ihm. Ist er womöglich ein Verbrecher?" Entsetzt über ihre eigene Vermutung legte sie die Hand vor den Mund.
"Nein. Nichts dergleichen. Mit ihm ist alles in Ordnung und mit mir ist alles in Ordnung. Könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?!"
Fast zwei Stunden lang bettelten, tobten, schrien und schmeichelten ihre Eltern, um hinter das Geheimnis von Sarahs' Schwangerschaft zu kommen. Doch Sarah blieb hart. Sie war von der Streiterei zwar genauso erschöpft wie ihre Eltern, aber ihr angeborener Dickkopf bewahrte sie davor zu früh die Segel zu streichen.
Es war ihr Vater der schließlich einlenkte.
"Laß' es gut sein. Wir werden uns wohl damit abfinden müssen," sagte er resigniert zu seiner Frau.
Der Blick, den sie daraufhin ihrer Tochter zuwarf war unergründlich, doch schließlich gab sie durch einen Seufzer zu verstehen, daß sie sich ebenfalls geschlagen gab.
"Also schön, mein Kleines. Behalte dein Geheimnis für dich, solange du magst. Aber wie hast du dir denn vorgestellt, wie es jetzt mit dir und dem Baby weitergehen soll?"
"Ich habe bereits mit meinem Chef alles besprochen. Er hält glücklicherweise große Stücke auf mich und wird alles regeln, wenn es soweit ist," äußerte Sarah stolz. "Für den Anfang werden wir eine Vereinbarung über einen Telearbeitsplatz treffen und wenn das Kind größer ist, hat er mir versprochen, eine annehmbare Regelung für mich zu treffen."
"Hoffen wir, daß er sich auch daran hält," brummte ihr Vater, aber sein Blick sagte Sarah, daß er die Zukunft seiner Tochter nicht mehr in den düstersten Farben betrachtete.
"Kleines, du weißt, daß du dich jederzeit an uns wenden kannst. Wir haben immer einen Platz für dich," versicherte ihre Mutter.
"Danke Mom." Sarah blinzelte, um die aufsteigenden Tränen der Rührung zu unterdrücken.
In diesem Moment betrat Toby, von einem Besuch bei seinem besten Freund zurückgekehrt, das Wohnzimmer und stürzte sich voll Wiedersehensfreude auf seine große Schwester.
"Sarah!!"
"Vorsicht, du kleiner Wirbelwind!" wehrte ihn Sarah lachend ab. "In Zukunft mußt du ein bißchen besser aufpassen, wohin du trittst."
"Wieso das denn?" fragte er verdutzt zurück und lockerte seine affenartige Umklammerung, in der er Sarah gefangen hielt.
"Sarah bekommt ein Kind," erklärte ihre Mutter nachsichtig.
"Woah! Ich werde Onkel, ich werde Onkel!" Er sprang vom Sofa herunter und führte einen wahren Indianertanz auf. "Damit schlage ich sie alle! Keiner aus meiner Klasse ist schon Onkel!!" Wie ein Blitz war er wieder auf dem Sofa. "Wann ist es denn soweit? Wann, wann, wann?"
"Ende Juli, du kleiner Teufel." Sarah zerzauste ihm liebevoll die Haare.
"Was? So lange noch?" Bestürzung malte sich auf sein junges Gesicht. "So ein Mist," fluchte er unzufrieden.
Nach dieser Feststellung konnte Sarah die restlichen Feiertage in einem harmonischen Elternhaus genießen. Sie führte endlose "Mutter-Tochter-Gespräche" und auch einige "Vater-Tochter-Gespräche". Obwohl es wundervoll war, sich wieder so richtig von den Eltern und neuerdings auch von Toby, verwöhnen zu lassen, freute sie sich doch wieder auf ihre eigene kleine Wohnung. Es gab ja noch so viel zu tun!
Bei Mr. Shaw unterschrieb sie einen neuen Arbeitsvertrag, der ihre besondere Situation angemessen berücksichtigte, gemeinsam mit Tess kaufte sie ihre Baby-Ausstattung ein, bei ihrer Hausverwaltungsgesellschaft reichte sie ein Gesuch ein, ob sie die benachbarte zwei-Zimmer-Wohnung und ihre eigene Mietwohnung käuflich erwerben könnte, mit ihrem Arzt wählte sie ein Krankenhaus für die Entbindung aus und in jeder freien Minute machte sie Schwangerschaftsgymnastik. Im Prinzip war sie rundum glücklich. Doch manchmal wachte sie mitten in der Nacht auf, weil das Kind sie getreten hatte. Dann flüsterte sie unter Tränen: "Jareth, wo bist du?"
Eine gute Woche vor dem errechneten Geburtstermin hielten Sarahs' Eltern es nicht mehr zu Hause aus und fuhren nach Phoenix. Da die Sommerferien bereits begonnen hatten, war auch Toby mit von der Partie. Sarah hatte, da ihre Familie in einem Hotel wohnen würde, nichts gegen diesen Besuch. Im Gegenteil! Seit der letzte Schwangerschaftsmonat angebrochen war, ging sie nicht mehr zur Arbeit und langweilte sich trotz Tess' häufiger Telefonate, die sich samt und sonders um deren baldige Hochzeit mit Henry drehten. Tess hatte Sarah inständig gebeten ihre Brautjungfer zu sein - Bauch hin, Bauch her - doch der Hochzeitstermin war bereits in drei Wochen und Sarah hatte den leisen Verdacht, daß sie an diesem Tag todsicher im Krankenhaus liegen würde. Abgesehen davon verfiel sie immer mehr dem Glauben, daß sie kein Baby, sondern einen Rekord-Kürbis austrug. Sie wurde zusehends unbeweglicher und fühlte sich aufgrund der Sommerhitze zunehmend unbehaglicher. Ihr Arzt nahm ihre Beschwerden gelassen entgegen und riet ihr dann lakonisch, sie solle heiße Bäder nehmen, das würde manchmal die Geburt beschleunigen.
"Heiße Bäder!" beschwerte sich Sarah gleich nach der Begrüßung bei ihrer Mutter. "Dieser Mann muß verrückt geworden sein! Heiße Bäder bei diesem Wetter - ich bitte dich!"
"Nun reg' dich doch nicht so auf, Kindchen. Es sind doch nur noch zwei Wochen," versuchte ihre Mutter sie zu beruhigen.
"Zwei Wochen - schön wär's. Ich glaube nicht, daß dieser Kürbis je schlüpft," brummelte Sarah.
Doch zur Überraschung aller setzten die Wehen pünktlich zum errechneten Termin im Morgengrauen ein und bereits fünf Stunden später hielt Sarah ihr Baby in den Händen. So leicht die Empfängnis gewesen war, so schwer hatte sie die Mühen der Geburt ohne Jareths Beistand empfunden - und doch war alles in dem einzigartigen Augenblick vergessen, in dem Dr. Rogers sagte: "Ich gratuliere! Es ist ein Mädchen!" und ihr ein kleines, glitschiges, schreiendes Bündel auf den Bauch legte. Fassungslos vor Glück murmelte Sarah immer wieder: "Meine Tochter. Meine wundervolle kleine Tochter", während ihr Freudentränen die Wangen hinab liefen.
Drei Tage später hatte sie schon jede Menge Gratulationsbesuche und Geschenke erhalten, aber der eine Besuch auf den sie insgeheim und mit wehem Herzen gewartet hatte war nicht gekommen. Dabei wurden die Behörden langsam ungeduldig, weil sie immer noch keinen Namen für ihre kleine Tochter angegeben hatte. Wie gerne hätte sie mit Jareth gemeinsam einen Namen ausgesucht. Sie seufzte melancholisch. So wie es aussah, mußte sie fürs Erste wohl tatsächlich eine alleinerziehende Mutter sein. Doch sie war fest entschlossen, die Hoffnung nicht aufzugeben, daß er eines Tages wieder bei ihr und ihrer Tochter sein würde. Bis dahin mußte sie eben versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen und dazu gehörte im Moment eben auch, alleine einen Namen für das Baby zu bestimmen. Sarah hatte flüchtig an Jaretha gedacht, den Gedanken aber sogleich kopfschüttelnd von sich gewiesen. Das arme Mädchen sollte in der Schule nicht wegen ihres Namens ausgelacht werden. In der Schule... Sarah ließ sich die Worte auf der Zunge zergehen. Wie lange würde sie ohne Jareth leben müssen? Und wenn er wieder kam - wie sollte ihr Leben dann weitergehen? Unschlüssig wog sie die Möglichkeiten gegeneinander ab ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Schließlich entschied sie, sich über derlei Fragen erst den Kopf zu zerbrechen, wenn es tatsächlich soweit war und daß ihre Tochter Jasmina heißen sollte.
Kapitel 39
Von dem Moment an, in dem Jareth sein Herrschaftsgebiet erreicht hatte, tobte um ihn herum ein unvorstellbares Chaos. Er war immer noch in Eulengestalt und schwebte über seinem Reich. Fassungslos mußte er seine ganze Kraft aufbringen um sicher sein Schloß zu erreichen. Die Elemente waren wie entfesselt. Obwohl es schon lange nach Sonnenaufgang war, hüllte sich der Himmel in undurchdringliche Finsternis, die lediglich durch wild zuckende Blitze erhellt wurde. Sturmwinde fegten über die Wälder und Täler. Trotz der Gefahr, von einem der Blitze getroffen zu werden, flog Jareth eine große Schleife über sein Labyrinth, um sich ein möglichst genaues Bild von der Lage zu machen. Worte wie Götterdämmerung und Weltuntergang rasten durch seinen Kopf als er das Ausmaß der Schäden erkannte. Dies waren nicht die üblichen Kleinigkeiten, die sich ereigneten, wenn er für längere Zeit bei Sarah gewesen war. Es war sogar schlimmer als die Katastrophe, die passiert war, als er damals von Sarah besiegt worden war. Dies war etwas völlig anderes. Er brauchte nur kurze Zeit um zu begreifen, was hier gerade geschah: sein Reich fing an sich aufzulösen!
Ein Zweifel war ausgeschlossen. Außerhalb den engen Grenzen des Labyrinths konnte er bereits nichts mehr erkennen. Noch während er über den äußeren Mauern kreiste, lösten sich diese vor seinen Augen in Nichts auf und verschmolzen mit der undurchdringlichen Finsternis. Er spürte eine merkwürdige Schwäche in sich aufsteigen. In höchster Eile flog er nun seinem Schloß entgegen. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Auf dem kurzen Flug dorthin nahm er unter sich flüchtig eingestürzte Mauern und entwurzelte Bäume wahr über die der nun heftig einsetzende Regen peitschte. Mit Müh und Not erreichte er eines der unteren Turmfenster. Schnell flog er hindurch und ebenso schnell verwandelte er sich in seine menschliche Gestalt zurück. Wie von tausend Furien gehetzt rannte er die letzten Treppen hinauf bis in das oberste Turmzimmer. Sein Herz klopfte, als wollte es in seiner Brust zerspringen, auf seiner Stirn bildete sich kalter Schweiß.
"Sei ein König", sagte er zu sich selbst. "Sei ein König." Er holte ein letztes Mal tief Luft und formte in seinen Händen eine große Kristallkugel. Er schluckte hart, denn die Kugel war pechschwarz und genauso undurchdringlich wie die Dunkelheit die sein Reich verfinsterte und aufzulösen drohte. Jareth nahm all seine Konzentration, all seine Kraft und all seine Magie zusammen und lenkte sie auf die Kristallkugel, die in seinen Händen zitterte wie etwas Lebendiges. Er wußte nicht, wie lange er schon so gestanden hatte, mit ausgestreckten Händen den Kristall haltend. Er wußte auch nicht, wie lange es noch dauern würde, er wußte nur, daß dies die einzige Möglichkeit war sein Reich und damit sich selbst vor dem sicheren Untergang zu bewahren. Endlich lichtete sich das Schwarz der Kristallkugel und zerfloß in eine mattgraue Färbung. Der König gestattete sich einen Seufzer der Erleichterung, bevor er fortfuhr seine ganze Energie in den Kristall zu leiten. Er konnte nur hoffen, daß ihn seine Kräfte nicht vorzeitig verließen, denn dann wäre alles verloren.
Ein letzter Regentropfen zerplatzte auf dem Schnabel des Vogels.
"Meine Güte, so ein Sauwetter!" kreischte er.
"Sei endlich still, Basilius!" wies ihn Darius ärgerlich zurecht. "Hilf mir lieber, wir müssen unbedingt den König finden." So rasch es ging schritt der alte Mann durch das Schloßtor. "Er muß hier irgendwo sein."
Es war schon unendlich lange her, daß er das letzte Mal das Schloß betreten hatte, doch er fand sich noch immer gut zurecht. Als er den Thronsaal erreicht hatte, war er allerdings schon ziemlich außer Atem. Erschöpft wischte er sich über die Stirn. Hier war der König also auch nicht.
"Junge, Junge, du keuchst nicht schlecht", spöttelte sein Hut.
Darius öffnete gerade den Mund um seinen vorlauten Hut erneut zurechtzuweisen, als er vom Eingang her ein Geräusch vernahm. Humpelnd drehte er sich um und sah Hoggle, der wie angewurzelt in dem Eingang zum Thronsaal stand.
"Ah, du bist es. Hoggle, nicht wahr?" sprach Darius den verwirrten Zwerg an. "Du kommst mir wie gerufen. Rasch, hilf mir den König zu finden."
"Wieso das denn?"
"Er wird unsere Hilfe brauchen. Los, frag nicht so viel. Lauf! Er wird wahrscheinlich in einem der Turmzimmer sein."
Hoggle rannte also los. Unterwegs fragte er sich, was er hier eigentlich tat. Er wußte selbst nicht so genau, warum er nach dem Unwetter ins Schloß gegangen war, aber bestimmt nicht, um seine Majestät zu suchen. Da war er sich sicher. Oder nicht? Auf jeden Fall war alles sehr verwirrend. Er verstand auch nicht, warum der alte Mann plötzlich so wache Augen hatte und so energisch war. Das letzte Mal als er ihn gesehen hatte, hatte er auf ihn den üblichen vertrottelten Eindruck gemacht. Eifrig nahm der die Stufen, die zu den Turmzimmern führten. Hinter sich hörte er den alten Mann die Treppen hinaufkeuchen, während sein Hut - oder war es eher sein Vogel? - äußerst unmelodisch eine Melodie vor sich hinsummte.
"La cucaracha, la cucaracha, la la la la la...", krächzte Basilius mit wachsender Begeisterung. Das Echo in diesem Turm war aber auch klasse!
"Wie kannst du in einem solchen Moment singen?" schimpfte der alte Mann.
"Ich laaaaangweile mich", maulte der Vogel.
"Eines Tages werde ich dir doch noch den Hals umdrehen!"
"Pustekuchen! Dann hättest du nämlich keinen Hut mehr und dann würdest du dich ganz schön erkälten", bemerkte der Vogel süffisant.
Hoggle hatte mit halbem Ohr den Zänkereien der beiden gelauscht und war mittlerweile beim obersten Turmzimmer angekommen, nachdem in den anderen Räumen keine Spur von ihrem König gewesen war. Hoggle öffnete die Tür und blieb zum zweitenmal an diesem Tag wie angewurzelt stehen. Vor ihm auf dem Boden lag seine Majestät der Koboldkönig. Die untergehende Sonne warf einen letzten Strahl in diesen Raum und fing sich in seinen langen blonden Haaren. Er lag da wie tot. Die Augen geschlossen, die Haut von tödlicher Blässe, die Finger immer noch um eine Kristallkugel gekrampft, die so klar und rein war, daß ihre Durchsichtigkeit unendlich zu sein schien.
"Ach herrje!" japste Hoggle erschrocken.
Darius hatte diesen Ausruf gehört und beschleunigte seine Schritte so gut es eben ging und stand gleich darauf völlig außer Atem hinter Hoggle. Mit zwei raschen Schritten war er bei dem leblosen Körper des Königs und fühlte an einem erschreckend weißen und schmalen Handgelenk nach dem Puls.
"Ist... ist er tot?" flüsterte Hoggle, als er die Sprache wiedergefunden hatte.
"Nein. Gott sei Dank." Sachte legte Darius den Arm zurück. "Aber sein Zustand ist ernst. Wir müssen ihn sofort zu Bett bringen. Hier kann ich mich nicht um ihn kümmern."
Mittels einer ausgehängten Tür gelang es den beiden schließlich mehr schlecht als recht, den König auf sein Zimmer und in sein Bett zu bugsieren. Hoggle mühte sich nun damit ab, den immer noch bewußtlosen König in ein Nachthemd zu kleiden, während Darius davongeeilt war um Medizin und andere Utensilien, die er für die Pflege des Königs brauchen würde zu holen.
Es war schon tiefe Nacht, als sich beide endlich ein wenig Ruhe gönnten. Basilius schlief schon eine ganze Weile und schnarchte ab und zu im Schlaf.
"Hoggle, ich danke dir. Ohne dich hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft. Ich bin leider nicht mehr der Jüngste", sagte Darius nachdenklich. "Ich hoffe darauf, daß du mir auch weiterhin bei der Pflege des Königs helfen wirst. Ich möchte mich dabei nicht unbedingt auf die Kobolde verlassen müssen."
Hoggle wollte schon damit herausplatzen, daß er nicht im Traum daran denke, bei der Pflege dieses Leuteschinders zu helfen und daß er sowieso nicht wüßte, was da in ihn gefahren wäre, heute hier aufzukreuzen. Doch dann fiel ihm ein, daß Jareth gesagt hatte, er und Sarah würden sich lieben. Und dann dachte er an die Freundschaft die ihn mit Sarah verband und was Sarah sagen würde wenn sie erfahren würde, daß er sich geweigert hatte... Nein. Das war gar nicht gut. Also seufzte er und sagte schicksalsergeben: "Na gut, einverstanden. Ich werde euch helfen ihn wieder auf die Beine zu kriegen."
Und Darius lächelte.
Mehrere Tage lang war Jareths Zustand äußerst kritisch. Er hatte hohes Fieber und war immer noch bewußtlos. Sein schlanker Körper magerte zusehends ab und Darius fürchtete bereits, daß der König dem Tode näher wäre als dem Leben. Doch nach einigen bangen Tagen und Nächten wirkte die Medizin, die Darius ihm regelmäßig einflößte und das Fieber sank ein wenig. Nach zwei Wochen kam es nochmals zu einem schweren Rückfall mit hohem Fieber doch danach brach der König endlich in Schweiß aus und Darius atmete erleichtert auf. Das schlimmste war überstanden. Der König bekam kein Fieber mehr, doch er erwachte immer noch nicht aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit. Darius hätte auch dafür ein Mittel gehabt, doch er scheute davor zurück es auch anzuwenden. Der Körper des Königs brauchte immer noch sehr viel Ruhe, es war nicht klug, ihn vorzeitig zu stören. Bei einer der langen Nachtwachen bemerkte Darius eine Veränderung an seinem Patienten. Besorgt fühlte er den Puls und beobachtete die Pupillenbewegung unter den Augenlidern. Hoggle hatte im Nebenzimmer geschlafen doch sein Schlaf war leicht und eine unbestimmte Ahnung hatte ihn geweckt. Als Darius seinen Blick von seinem Patienten löste sah er Hoggle neben sich stehen.
"Was ist mit ihm?" Unbehaglich trat Hoggle von einem Fuß auf den anderen.
"Es geht ihm jetzt besser", flüsterte Darius. "Er schläft jetzt."
Seit dieser Nacht hielten Hoggle und Darius einen Trank bereit, den der König zu sich nehmen sollte, sobald er erwachen würde. Doch es dauerte noch mehrere Tage, bis dieses ungeduldig erwartete Ereignis eintrat.
Jareth fühlte sich einfach beschissen. Er fand in seinem schmerzenden Kopf einfach kein anderes Wort dafür. Mühsam öffnete er die Augen. Mein Gott! Seine Lider fühlten sich an, als wögen sie eine Tonne. Was war nur los mit ihm? Er versuchte sich zu erinnern, doch die Anstrengung war zuviel für ihn. Er stöhnte und schaffte es schließlich doch, ein wenig durch seine Wimpern zu blinzeln. Jemand stand vor ihm - es war... verdammt, wie hieß er doch gleich... Darius! Ja, Darius. Was zum Teufel hatte der hier verloren? Und warum nur hatte er so gräßliche Kopfschmerzen?
"Hier, trinkt das, Majestät." Darius hielt ihm ein Glas mit einer trüben Flüssigkeit an die Lippen.
Jareth merkte, daß er schrecklichen Durst hatte und schluckte die Hälfte der Flüssigkeit. Pfui Teufel, was war das für ein Gesöff? Wollte Darius ihn vergiften? Er wollte noch fragen, was eigentlich mit ihm los war, aber bevor er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, war er auch schon wieder eingeschlafen.
Als er das nächste Mal wieder zu sich kam, fühlte er sich ein wenig besser. Zwar wogen seine Augenlider immer noch eine Tonne, doch er konnte sie immerhin ganz öffnen. Seine Kopfschmerzen brachten ihn zwar immer noch um, doch er erkannte Darius diese Mal auf Anhieb.
"Darius, was ist los mit mir?" Jareth brachte trotz aller Anstrengung nur ein heiseres Flüstern zustande und das erschreckte ihn viel mehr als alle seine Schmerzen.
"Regt Euch nicht auf, Majestät. Trinkt noch ein wenig von der Medizin. Sie wird Euch gut tun."
Jareth war viel zu schwach und zu verwirrt, um mit Darius über Medizin zu streiten, so schluckte er gehorsam die bittere Flüssigkeit. Aus den nebelhaften Erinnerungen drängte sich eine empor.
"Sarah", murmelte er noch und versank augenblicklich wieder in einen erholsamen Schlaf.
Doch schließlich fand auch dieser Schlaf ein Ende und Jareth wachte eines Morgens auf. Die Sonne schien in sein Zimmer und Jareth wollte gerade die Decke zurückschlagen um sein Bett zu verlassen, da betrat Darius das Zimmer.
"Aber Majestät! Ihr dürft noch nicht aufstehen." Eilig humpelte der alte Mann zum Bett um Jareth zurückzuhalten, doch der hatte bereits gemerkt, daß er kränker war, als er gedacht hatte. Er hatte nicht einmal genug Kraft gehabt um seinen Arm unter der Bettdecke zu bewegen. Unsicher blickte er zu Darius auf.
"Was ist los mit mir?"
"Könnt ihr Euch an gar nichts mehr erinnern, Eure Majestät?"
"Nein." Jareth dachte angestrengt nach. "Nicht wirklich... Oh doch! Dieses Unwetter - das Turmzimmer - der Kristall! Und... und Sarah! Oh mein Gott!"
"Beruhigt Euch. Es ist weiter nichts geschehen. Ihr habt das Reich gerettet", sagte der alte Mann sanft.
"Sarah! Ich muß sofort zu ihr! Wie lange liege ich hier schon?!"
"Ihr wart viele Tage bewußtlos", sagte der alte Mann diplomatisch. "Aber ihr könnt jetzt trotzdem nicht zu diesem Mädchen."
"Das versteht ihr nicht! Ich muß sie sehen! Sie wird sich schreckliche Sorgen machen!"
"Trotzdem kann ich es nicht erlauben. Laßt es mich erklären, Majestät. Ihr habt bei der Wiederherstellung des Reiches Eure ganze Kraft verbraucht. Ihr dürft Eure Magie deshalb so lange nicht anwenden bis ihr wieder ganz gesund seit. Und da ihr mit diesem Mädchen nicht anders in Kontakt treten könnt, als mit magischen Fähigkeiten, kann ich es Euch wirklich nicht gestatten. Ihr würdet dabei Euer Leben aufs Spiel setzten."
Darius hatte langsam und eindringlich gesprochen und langsam dämmerte es Jareth, wie ernst seine augenblickliche Lage tatsächlich war und welch großes Glück er gehabt haben mußte. Seine Nerven beruhigten sich wieder und sein gehetzter Blick verschwand. Es war bitter, daß er Sarah über seinen Verbleib im Ungewissen lassen mußte, aber im Moment nicht zu ändern.
"Ich erinnere mich wieder... der Kristall war schwarz wie die Nacht. Ich habe alle Energie in ihn fließen lassen und er wurde heller... dann weiß ich nichts mehr." Er richtete seinen Blick fragend auf Darius.
"Der Kristall ist hier. Urteilt selbst." Mit diesen Worten hob Darius den Kristall in Jareths Blickfeld der ihn lange ohne ein Wort betrachtete.
"Schön", flüsterte er schließlich und seine Gesichtszüge entspannten sich. "Es besteht also keine Gefahr mehr?"
"Keine Gefahr. Das Reich hat sich wieder regeneriert und gefestigt. Wir alle sind Euch zu großem Dank verpflichtet, Eure Majestät. Ihr habt uns vor dem sicheren Untergang bewahrt."
Jareth lächelte schwach. "Ja, mir scheint nur, daß ich ein kleines bißchen darunter gelitten habe."
"Das ist weiter kein Wunder. Wir fanden Euch bewußtlos in dem Turmzimmer, die Kristallkugel hieltet ihr noch umklammert. Wir brachten Euch in Euer Zimmer und..."
"... und habt mich mit widerlicher Medizin vollgestopft", unterbrach der König ihn mit einem boshaften Lächeln.
"Immerhin hat diese Medizin Euch am Leben erhalten. Eine ganze Zeitlang stand Euer Leben auf Messers Schneide", fuhr Darius ernst fort. "Doch jetzt wage ich zu behaupten, daß ihr an nichts mehr leidet, was nicht Bettruhe und gute Pflege heilen könnte."
"Na, ich weiß nicht", zweifelte Jareth. "Ich fühle mich, wie wenn eine Steinlawine über mich hinweggerollt wäre und kein einziger Knochen in meinem ganzen Körper heilgeblieben wäre."
"Das wird vergehen", tröstete der alte Mann. "Ich werde Euch noch etwas Medizin gegen die Schmerzen geben." Darius wandte sich ab, um auf dem Nachttisch das richtige Fläschchen herauszusuchen und Jareth grübelte über eine Äußerung nach, die ihm komisch vorgekommen war.
"Ihr habt vorhin gesagt ´Wir fanden Euch´. Ihr wart also nicht allein?"
"Nein, ich hatte sehr wertvolle Hilfe." Darius hob lauschend den Kopf. "Ah, da kommt er ja gerade. Hoggle, wir sprachen gerade davon, was für eine große Hilfe du für mich warst."
Hoggle kam mit einem frischen Stapel Wäsche durch die Tür und musterte den König halb ängstlich, halb herausfordernd.
"Ach", sagte Jareth schwach, da er zu mehr nicht fähig war. Dann, als der Gesichtsausdruck des Zwerges wechselte und eindeutig mitleidig wurde, fühlte sich Jareth so elend wie in seinem ganzen Leben nicht und schluckte fügsam die Medizin die ihm Darius reichte.
Hoggle war von seiner mitleidigen Regung selbst überrascht, doch als er den König wieder bei Bewußtsein fand und dieser immer noch so totenbleich und schwach in seinem Bett lag, da war es einfach über ihn gekommen. Irgendwie hatte Hoggle gedacht, daß der König, sobald er wieder wach war, gleich wieder gesund und genauso boshaft sein würde wie früher. Mit einem kränklichen und schwachen König hatte er einfach nicht gerechnet und deshalb empfand er Mitleid.
Darius beobachtete die Genesungsfortschritte des Königs in den folgenden Tagen mit Argusaugen. Als er sicher war, daß bei entsprechender Schonung kein Rückfall zu erwarten war, sagte er dies seinem Patienten auch.
"Es geht bergauf mit Euch, Eure Majestät."
"Ach ja? Ich wünschte, ich könnte Euch glauben. Ich habe gerade genug Kraft um meinen Arm zu heben."
"Vertraut mir", erwiderte Darius. "Es ist nun nicht mehr notwendig, daß ich Tag und Nacht bei Euch bin. Ich werde jeden Tag um die Mittagszeit nach Euch sehen. Den Rest des Tages wird Euch Hoggle als Pfleger gute Dienste leisten."
"Wenn es Eurer Majestät genehm ist", brummelte Hoggle, der gerade die Kissen aufschüttelte, nicht gerade begeistert. Allein mit dem König! Na, das konnte ja etwas werden. Doch wenn es darauf ankam, dann konnten sich der König und auch Sarah auf ihn verlassen. Er würde den König gesund pflegen und wenn es ihn umbringen würde!
"Ja, es ist mir durchaus genehm", äußerte Jareth nicht gerade freudig erregt. Doch er war immer noch zu schlapp um mit irgend jemand und sei es auch nur mit Hoggle, zu streiten. So ergab er sich in sein Schicksal.
Jareth erholte sich nicht so schnell, wie er es sich gewünscht hätte. Doch zu Hoggles Verwunderung war er ein durchaus gefügiger und angenehmer Patient. Er schlief viel, aß was man ihm vorsetzte, schluckte die Medizin, die man ihm verabreichte und starrte ansonsten nachdenklich auf Sarahs Portrait. Das alles tat er, ohne je die Fassung oder ein überflüssiges Wort zu verlieren.
Darius war sehr zufrieden mit ihm. Dennoch hätte er sich gewünscht, daß der König seine Kräfte schneller zurückerlangen möge. Da dies allerdings nicht der Fall war, machte er sich insgeheim wieder Sorgen und beschloß daher nun einen anderen Weg bei der Behandlung einzuschlagen.
So befahl er Hoggle eines Morgens, er solle zwei bequeme Stühle an das offene Fenster im Studierzimmer seiner Majestät stellen und begrüßte den König mit der Aufforderung, er möge ruhig aufstehen und sich zu ihm setzen.
"Aufstehen? Ich soll wirklich aufstehen?"
Darius ließ sich nicht anmerken, daß ihn der Zweifel und die Unsicherheit in Jareths Stimme beunruhigt hatten. "Und ob. Es ist wirklich an der Zeit, Eure Majestät", entgegnete er streng. "Wenn ihr Euch noch zu schwach fühlt, dann nehmt diesen Stock zur Hilfe. Hoggle wird Euch in Euren Morgenmantel helfen." Mit diesen Worten ging Darius wieder in das angrenzende Zimmer, setzte sich auf einen der Stühle und wartete.
Jareth hatte sich inzwischen aufgesetzt und seine Füße aus dem Bett geschwungen. Hoggle war hinter ihm auf das Bett geklettert und half ihm nun in seinen Morgenmantel aus weinrotem Samt. Jareth registrierte, wie dünn seine Beine und Arme durch die lange Bettruhe geworden waren und seufzte leise auf. Mutlosigkeit drohte ihn zu übermannen.
"Darius wartet auf Euch, Eure Majestät", sagte Hoggle leise und kletterte wieder von dem Bett herunter.
Jareth nickte. Langsam stand er auf und stützte sich dabei dankbar auf den Stock. Schließlich stand er und Hoggle konnte den Morgenmantel schließen. Jareth sah für seine Begriffe immer noch sehr schmal, blaß und zerbrechlich aus. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, doch Schritt für Schritt bewältigte er mit Hilfe des Stockes und zusammengebissenen Zähnen die Strecke bis zu dem für ihn bereitgestellten Stuhl. Erschöpft und ausgepumpt ließ er sich darauf sinken und versuchte erfolglos, das durch die ungewohnte Anstrengung verursachte Zittern seiner Knie zu unterdrücken.
Darius sah das alles und nickte ihm nach einer Weile wohlwollend zu. Jareth schenkte ihm statt einer Antwort ein schiefes Lächeln und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
"Wie konnte das eigentlich alles geschehen?" fragte Jareth nach einer Weile nachdenklich. "Ich habe lange darüber nachgedacht, aber ich kann es mir einfach nicht erklären."
Darius wiegte bedächtig den Kopf, wodurch sich Basilius in der Betrachtung des Bücherregals gestört fühlte.
"He! Sind wir hier auf einem Karussell? Wackel gefälligst nicht so!"
"Es hängt wohl mit Eurer Abwesenheit zusammen", fuhr Darius unbeeindruckt fort.
"Da habt Ihr sicher recht, Darius", sagte Jareth in einem heldenhaften Versuch, den Vogel ebenfalls zu ignorieren. "Ich kann es mir dennoch nicht erklären. Es war nicht das erste Mal, daß ich abwesend war und noch nie hat es derartige Auswirkungen gehabt. Die Schäden, die sonst entstanden sind, waren nicht der Rede wert und wurden jedesmal durch meine reine Anwesenheit wieder behoben."
"Es gibt da noch eine andere Theorie", sagte Darius langsam. "Wenn ein König in einer anderen Welt einen Teil von sich zurückläßt, kann es unter Umständen zu solchen Untergangs-Szenarien kommen."
"Einen Teil von sich?" fragte Jareth verblüfft. "Ach so! Haare, Fingernägel und so weiter."
Darius nickte. "Oder bei einem Kampf auch ganze Gliedmaßen. Euch ist nicht bewußt, daß Ihr etwas dergleichen in der anderen Welt zurückgelassen habt?"
Jareth verfiel in dumpfes Brüten. In Gedanken ging er Schritt für Schritt jede seiner Aktionen dieser letzten Nacht noch einmal durch. Im fiel absolut nichts ein. Resigniert wollte er schon den Kopf schütteln, da bemerkte Darius zu seinem Erstaunen, wie eine leichte Röte das Gesicht seiner Majestät überzog und er betont beiläufig fragte: "Gilt das Gleiche auch für den Verlust von... äh... Körperflüssigkeiten?"
"Körperflüssigkeiten?" fragte der alte Mann zurück.
"Naja, Tränen oder Blut oder so..." äußerte Jareth vage und sah aus dem Fenster.
"Ja, ich denke, daß dafür das Gleiche gilt."
Jareth rutschte auf seinem Sessel unbehaglich hin und her. Dies war eigentlich kein Thema, das er in dieser Runde zu diskutieren wünschte.
"Wenn das so ist, dann schätze ich, daß ich weiß, wie es zu dieser ganzen Sache kommen konnte." Er versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen, aber es war ihm immer noch nicht möglich, seinen Blick von dem Fenster zu lösen.
Darius verstand nun gar nichts mehr.
"Tatsächlich? Aber ich verstehe nicht, wie... Wie meint Ihr das?"
Der Vogel hatte die Unterhaltung aufmerksam verfolgt und brach nun in ein schrill pfeifendes Gelächter aus.
"Erde an Darius! Erde an Darius! Kapierst du's denn nicht? Hah! Ich lach mich tot!"
"Könntest du bitte etwas präziser werden?" Darius war über die Unterbrechung ärgerlich geworden. Dieser Vogel hatte einfach keinen Benimm.
"Mann! So verkalkt kann man doch gar nicht sein", spöttelte der Vogel. "Unser Junge hier hat den horizontalen Mambo getanzt." Gespannt schielte der Vogel nach unten.
"Du meinst..." Darius dämmert die Wahrheit.
"Gong! Bingo! Der Kandidat hat hundert Punkte."
Darius riß die Augen auf. "Ist das wahr? Ihr... Ihr habt..." Ihm fehlten die Worte.
Jareth wich verlegen seinen Blicken aus.
"Ja, es ist wahr", äußerte er beinahe trotzig. Dieser Vogel war entschieden zu vorlaut. "Ich habe auf der Erde etwas Sperma verloren."
Darius holte tief Luft, der Vogel kicherte lautlos in sich hinein und Jareth wünschte sich in diesem Moment weit, weit fort.
Sie gaben sich mit der Erklärung zufrieden, daß der Verlust dieser besonderen Körperflüssigkeit der Auslöser für die Katastrophe gewesen war. Was Darius und besonders Jareth bis zu diesem Augenblick nicht wußten: Jareth hatte etwas viel Wesentlicheres auf der Erde zurückgelassen.
Seine Tochter!
"I'll be there for you"
Kapitel 40
Jareths Genesung machte langsame, aber stetige Fortschritte. Zu seinem Verdruß war er sehr lange auf seinen Stock angewiesen, wenn er weiter gehen wollte als zwei oder drei Schritte. Seine magischen Kräfte stellten sich hingegen schon recht bald wieder ein, aber auf den Rat von Darius hin benutzte der König der Kobolde diese bis auf weiteres nicht. Erst als er sich wirklich wieder gut fühlte, er auf den Stock verzichten konnte und Darius ihn für geradezu unverschämt gesund erklärte, begann er mit Übungen um seine magischen Kräfte wieder voll nutzen zu können. Er hatte sie lange nicht gebraucht, deshalb war es unbedingt notwendig ein gründliches Training zu absolvieren, bevor er sich auf den riskanten Weg in Sarahs Welt machte. Wer ihn beobachte, wie diszipliniert Jareth sich während seiner Krankheit und seines Trainings verhielt, hätte im Traum nicht daran gedacht, daß es unter dieser ruhigen Oberfläche brodelte, als ob ein Vulkanausbruch bevorstehen würde. Er war kurz davor, vor lauter Sehnsucht nach Sarah verrückt zu werden. Endlich, endlich war es eines Tages so weit. Er fühlte sich sicher genug um die Reise anzutreten. Konzentriert verwandelte er sich in eine weiße Eule und machte sich mit starken, gleichmäßigen Flügelschlägen auf den Weg.
Sarah stand gerade in der kleinen Küche ihrer Wohnung, in der sie immer noch lebte und hackte Kräuter mit der sie die Dosensuppe die es zum Abendessen geben sollte etwas aufwerten wollte. Sie summte eine unbestimmte Melodie vor sich hin als sie plötzlich eine merkwürdige Vibration spürte.
"Nein", dachte sie und schüttelte unwillig den Kopf. "Das ist schlichtweg unmöglich."
"Hallo Sarah."
Sarah fühlte, wie ihre Knie schwach wurden als sie die Stimme hinter ihrem Rücken hörte. Das Messer entglitt ihr und sie bedeckte den Mund mit ihrer Hand, als ob sie einen Aufschrei unterdrücken wollte. Das konnte doch einfach nicht sein! Nicht nach so vielen Jahren! Doch die Stimme war unverkennbar. Weich, kräftig, voller Liebe und Sehnsucht. Sarah atmete einmal tief durch, straffte den Rücken und drehte sich um.
"Hallo Jareth", begrüßte sie ihn äußerlich ruhig. Er hatte sich nicht verändert. Sie konnte nicht umhin festzustellen, daß er fabelhaft aussah. Dunkelgrüne Hosen, hellgrünes Hemd, ein dunkelgrünes, schillerndes knielanges Jacket. All das schien nur dazu gemacht um seine natürliche Würde und Grazie aufs angenehmste zu unterstreichen. Jareth stand einige Schritte entfernt von ihr, bereit, auf sie zuzugehen und in seine Arme zu schließen. Doch in dem Moment als sie sich zu ihm umgedreht hatte, war das Lächeln auf seinem Gesicht erstorben und er blieb einfach stehen, als ob er gegen eine unsichtbare Wand geprallt wäre. Sarah seufzte lautlos. Sie hatte diese Reaktion erwartet, doch jetzt, wo es tatsächlich dazu gekommen war tat es ihr trotzdem weh. Jareth wollte nicht glauben, was er da sah. Sarah war gealtert! Sicher, sie war immer noch wunderschön, die Figur immer noch genauso vollendet, lediglich die Haare hatte sie wieder etwas wachsen lassen und zu einem flüchtigen Knoten im Nacken gedreht, aber ihr Gesicht ließ keinen Zweifel zu. Sie war kein junges Mädchen mehr. Lange Zeit herrschte Schweigen. Bis Jareth schließlich mit leiser Stimme fragte: "Wie lange war ich weg?"
"Sechzehn Jahre." Ihre Stimme war so melodisch wie immer. Dennoch glaubte Jareth Resignation und Kummer herauszuhören. Sechzehn Jahre! Es kam ihm so vor als ob jemand den Boden unter seinen Füßen weggezogen hätte. Sein Verstand war unfähig ihre Worte tatsächlich zu begreifen. Sicher konnte er als König mit über den Verlauf der Zeit bestimmen. Sicher hatte er seit er Sarah kannte, Wert darauf gelegt, daß die Zeit in seinem Reich parallel zu Sarahs Zeit verlief. Sicher hatte er während seiner Krankheit die Kontrolle über die Zeit in seinem Reich verloren. Aber es konnte doch einfach nicht wahr sein, daß in der Zwischenzeit auf der Erde ganze sechzehn Jahre vergangen waren! Sechzehn Jahre... dann mußte sie jetzt... vierzig! Sarah mußte jetzt vierzig Jahre alt sein!
"Wo warst du?" Sarahs klare Stimme holten ihn wieder in die Gegenwart zurück.
Er öffnete den Mund um ihr alles zu erzählen, schloß ihn dann aber gleich darauf wieder, weil er nicht wußte was er ihr eigentlich erzählen konnte. Sollte er ihr sagen, daß die Liebesnacht mit ihr fast Schuld gewesen wäre an seinem Tod und dem Untergang seines Reiches? Nein, das konnte er ihr nicht antun. Er konnte nicht zulassen, daß sie sich die Schuld an etwas geben würde, was über kurz oder lang unvermeidlich gewesen wäre. Stattdessen sagte er einfach: "Ich kann es dir nicht sagen. Gewisse Umstände... Ich konnte einfach nicht kommen."
"Warum sollte ich dir glauben?" fragte sie tonlos. Es klang nicht einmal besonders neugierig.
"Vertrau mir, Sarah! Komm mit mir und wir fangen noch einmal von vorne an!" Ihn beschlich das unangenehme Gefühl, daß er bereits auf verlorenem Posten kämpfte. Fast flehend streckte er ihr seine Arme entgegen.
Sie sah ihn mit einer Mischung aus Zweifel und Resignation an. Bevor sie antwortete preßte sie kurz die Lippen aufeinander. Ach, wenn doch nur...
"Wenn du es mir nicht sagen willst...", sie stockte, "Aber eigentlich spielt es keine Rolle mehr." Ihre Augen bekamen einen harten, metallischen Glanz. "Es ist zu spät, Jareth. Zu spät. In meinem Leben ist kein Platz mehr für dich."
Jareth sah sie an, wie sie da stand. Die Arme vor der Brust verschränkt, die Lippen schmal zusammengepreßt. Hart. Unerbittlich. Er konnte es nicht glauben. Er starrte sie an, bis seine Augen zu brennen anfingen. Etwas war anders... was war es nur? Es war etwas wichtiges gewesen... es konnte ihr doch nicht ernst mit dem sein, was sie gerade gesagt hatte... die Kette! Plötzlich wurde ihm klar, daß sie die Kette nicht mehr trug! In diesem Moment begriff er, daß es ihr tatsächlich bitterernst war. Sie liebte ihn nicht mehr!
Sarah hatte seinen Blick bemerkt und wußte, daß ihm das Fehlen ihrer Kette aufgefallen war.
"Ich habe vor vielen Jahren aufgehört sie zu tragen." In ihrer Stimme schwang ein Hauch Wehmut mit, doch sie riß sich zusammen und fuhr mit fester Stimme fort. "Es hat keinen Sinn mehr, Jareth. Es ist vorbei. Es... es ist besser, wenn du nicht mehr hierher kommst. Ich... ich habe jetzt eine Tochter... Sie weiß nichts von dir und ich will auch, daß das so bleibt."
Eine Tochter! Das hieß auch: ein anderer Mann! Jareth war wie betäubt. Alle Gefühle und Empfindungen schienen in ihm abgestorben zu sein. Es war seltsam. Er fühlte gar nichts. Es war einem Alptraum ähnlich, doch er wußte genau, daß er hier keine Hoffnung auf ein frühes Erwachen haben konnte.
"Hast du mich verstanden, Jareth? Ich will, daß du gehst!"
Jareth konnte nur stumm nicken. Danach wirkte sie wieder etwas entspannter. Er mußte sich zusammenreißen. Er hätte ihr noch so vieles zu sagen... er...
Jareth schluckte krampfhaft. "Es soll so sein, wie du es wünscht. Aber eines sollst du wissen, Sarah. Egal, wie deine Gefühle sein werden, ich werde nie aufhören dich zu lieben. Ich werde immer für dich da sein... wann immer du mich brauchst..." Er verbeugte sich ein letztes Mal vor ihr und war im nächsten Augenblick auch schon verschwunden.
Sarah starrte lange auf den leeren Fleck, auf dem er eben noch gestanden hatte.
"Es war richtig, daß ich ihn fortgeschickt habe. Es war richtig, daß ich ihm verschwiegen habe, daß sie seine Tochter ist. Es war richtig." Doch während sie noch vor sich hinflüsterte liefen ihr merkwürdigerweise heiße Tränen die Wangen hinab.
In seinem Thronsaal verwandelte sich Jareth wieder in seine menschliche Gestalt zurück. Darius und Hoggle waren da und natürlich auch einige Kobolde. Seltsamerweise entdeckte er auch Sir Dydimus und Ludo, die ihn erwartungsvoll ansahen. Auch alle anderen hatten ihre Augen neugierig auf ihn gerichtet. Jareth musterte sie. Ihre Haltung war ihm unverständlich.
"Laßt mich allein", äußerte er schließlich unwirsch. Und hört auf, mich so anzustarren, setzte er in Gedanken noch hinzu. Seine Untertanen machten jedoch keine Anstalten, seinen Wunsch in die Tat umzusetzen. Unschlüssig verharrten sie im Thronsaal. Hin und hergerissen, zwischen ihrer Neugier und dem Befehl ihres Königs.
"Seid ihr taub?! Ihr sollt verschwinden!" schrie Jareth wütend. Seine Zuhörer zuckten zwar zusammen, bewegten sich wohl auch ein oder zwei Schritte hin zur Tür, verließen den Saal aber nicht. Schließlich hielt es Hoggle nicht mehr aus. Er wußte selbst nicht, woher er den Mut nahm, seinen König in dieser Laune etwas zu fragen, doch er atmete tief durch und trat einen Schritt vor.
"Was ist mit Sarah?" fragte er leise aber bestimmt.
In der Stille die dieser schlichten Frage folgte hätte man eine Stecknadel fallen hören können. In angstvoller Erwartung sahen alle, wie sich im Gesicht ihres Königs ein Wutanfall abzeichnete. Doch urplötzlich verschwand dieser Ausdruck, als wäre er weggewischt worden. Jareth öffnete seine Hände, die er zu Fäusten geballt hatte und machte eine abwehrende Geste.
"Ihr wollt wissen, was mit Sarah ist?" sagte er müde. "Ich werde euch sagen, was mit ihr ist: es ist vorbei. Und jetzt laßt mich endlich allein."
Ein Raunen ging durch die Menge, doch sie verließen den Thronsaal ohne weitere Verzögerung und ließen ihren König einsam zurück.
Jareth saß ermattet in seinem Thronsessel, den Kopf auf seine rechte Hand aufgestützt und versuchte nachzudenken. Zu seiner Überraschung fühlte er nichts, außer einem unendlichen Bedauern. Er bedauerte, wie alles gekommen war und wie ihre Beziehung hatte enden müssen. Jareth glaubte Sarah gut genug zu kennen, um ihren Wunsch nach seinem endgültigen Abgang für bare Münze zu nehmen. Es war tatsächlich vorbei, es war besser, wenn er sich darüber keinen Illusionen mehr hingab. Dann erging er sich in Selbstvorwürfen, die in der Feststellung gipfelten, daß *alles* seine Schuld war. Doch schließlich ging auch diese Phase vorbei und er mußte zugeben, daß er alles wieder genauso machen würde, bekäme er noch eine zweite Chance. Mittlerweile war er aber von dem Gedanken beseelt, seine Fehler irgendwie wieder gutzumachen. Nur wie? Sarah hatte sich klar genug ausgedrückt: sie wollte ihn nie wieder sehen. Und er hatte es ihr versprochen. Egal, wie schwer es ihm fallen würde, er hatte nicht vor, diese Versprechen zu brechen. Wenigstens an seine Ehrenhaftigkeit sollte sie sich noch mit Wohlwollen erinnern. Doch wie sollte er sonst... Nachdenklich biß er auf seinem Zeigefinger herum, da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er richtete sich in seinem Thronsessel auf und schnippte mit den Fingern. Natürlich! Ihre Tochter! Er würde an ihrer Tochter gutmachen, was er an Sarah verbrochen hatte. Eine glänzende Idee. Seine Laune hob sich wieder. Er würde dem Kind gleich heute nacht einen ersten Besuch abstatten und sich als ihr neuer Beschützer vorstellen. Hoffentlich hatte Sarah das kleine Mädchen nicht mit Geschichten von schwarzen Männern geplagt. Er mußte unbedingt daran denken, daß er für seinen Antrittsbesuch helle Kleidung anzog.
Kapitel 41
Jasmina machte die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich zu. Nachdenklich schüttelte sie den Kopf. Irgend etwas mußte ihrer Mutter heute passiert sein.
"Du hast zwar gedacht, ich merke es nicht", murmelte sie halblaut vor sich hin während sie einen frischen Pyjama aus ihrem Schrank holte, "Aber ich bin ja nicht von gestern. Ich merke es immer, wenn was nicht mit dir stimmt, Mommy." Jasmina gähnte herzhaft. Unglaublich, wie müde sie heute abend war. Träge schob sie das Problem ihrer Mutter beiseite. Wenn es tatsächlich etwas Ernstes war, dann würden sie über kurz oder lang miteinander darüber sprechen. Jasmina liebte ihre Mutter abgöttisch, hätte sich aber eher ein Bein abhacken lassen, als es zuzugeben. Mutter und Tochter hatten ein sehr enges Verhältnis zueinander. Auch wenn Jasmina es gerne gesehen hätte, wenn es einen Mann im Leben ihrer Mutter gegeben hätte, machte sie doch keine Andeutungen in diese Richtung, seit Sarah einmal zu ihr gesagt hatte, sie bräuchte keine Männer um glücklich zu sein. Jasmina seufzte leise. Manchmal dachte sie noch daran, wie sehr sie sich als kleines Mädchen einen Vater gewünscht hatte. Gerade noch rechtzeitig erinnerte sie sich daran, daß sie mittlerweile kein kleines Mädchen mehr war und folglich auch keinen Vater mehr brauchte und kickte deshalb ihre Turnschuhe unter ihr Bett. Plötzlich spürte sie, daß etwas nicht stimmte. Die Luft in ihrem Zimmer war von einem merkwürdigen Vibrieren erfüllt und Jasmina hielt unwillkürlich den Atem an. Vor ihrem Fenster schwebte ein leuchtender Kreis. Der Kreis flog durch ihr geschlossenes Fenster, wo er wenige Schritte von ihr entfernt lautlos zerplatzte und vor ihr stand ein schlanker, blonder Mann, ganz in blau gekleidet. Jasmina japste nach Luft, dann stutzte sie. Irgendwie kam ihr der Mann bekannt vor. Die engen Hosen, das weite Hemd, das Cape, die blonde Mähne... ihre Augen weiteten sich.
"Ich werd' verrückt! Der Typ aus meinem Buch!" rief Jasmina mehr amüsiert, als verängstigt.
Jareth hatte sich auf alle möglichen Reaktionen gefaßt gemacht, doch damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.
"Buch?" fragte er völlig perplex zurück.
"Ja, mein altes Bilderbuch!" sprudelte Jasmina hervor. "Das muß noch hier irgendwo sein." Dann runzelte sie die Stirn, legte den Kopf ein wenig schief und sah ihn seltsam an. "Das heißt... du bist doch Jareth, der König der Kobolde?"
Jareth nickte stumm.
"Dann kann das nur bedeuten, daß ich entweder schon schlafe, oder daß ich völlig übergeschnappt bin", überlegte Jasmina laut.
"Nein, ich kann dir versichern, daß weder das eine noch das andere der Fall ist", sagte Jareth der endlich seine Verblüffung überwunden hatte. Jasmina hatte von ihrer Mutter augenscheinlich die Unbekümmertheit gegenüber übersinnlichen Phänomenen geerbt.
"Was zum Teufel willst du dann hier? Ich kann mich nicht erinnern, dich gerufen zu haben."
"Das ist eine etwas komplizierte Geschichte. Darf ich mich setzen?"
"Äh, ja. Klar!" Äußerlich unbekümmert schob sie ihm ihren einzigen Stuhl hin während sie sich selbst im Schneidersitz auf ihrem Bett niederließ. Allmählich wurde ihr die Sache jedoch unheimlich. So muß das wohl sein, wenn man irgendwelche Drogen nimmt, dachte sie bei sich. Na, darauf kann ich gerne verzichten. Jareth nahm langsam und umständlich auf dem Stuhl Platz, den sie ihm angeboten hatte. Er versuchte ganz einfach Zeit zu schinden. Sarahs Tochter war wesentlich älter, als er erwartet hatte. Sie mußte zwischen vierzehn und fünfzehn sein. Ein Stich voller Eifersucht ging durch sein Herz, wenn er daran dachte, daß Sarah nicht lange gewartet hatte, um sich von einem anderen Mann trösten zu lassen.
"Wie heißt du eigentlich?"
"Jasmina", antwortete sie etwas unwillig.
Jasmina... ein wundervoller Name. Er gefiel ihm ausnehmend gut. Genauso, wie ihm dieses Mädchen ausnehmend gut gefiel. Sie war mittelgroß und zierlich gebaut. Trotzdem wirkte sie kräftig und energisch und keineswegs zerbrechlich. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß sie einmal eine wirklich hübsche Frau werden würde. Ihre weiblichen Rundungen waren noch nicht voll entwickelt, aber doch schon vorhanden. Sie hatte die gleichen sanften Wellen in ihrem Haar, wie ihre Mutter und genau wie Sarah als junges Mädchen trug auch sie es schulterlang. Jasminas Haare hatten jedoch im Gegensatz zu ihrer Mutter eine hellere Farbe, die in ihrer Tönung an dunklen Honig erinnerte. Unter diesem honigblonden Haar leuchteten ein paar Augen in dem reinsten Smaragdgrün, das Jareth je gesehen hatte. Ihre Wangen waren noch ein wenig rundlich und verwischten den ersten Eindruck der Katzenhaftigkeit. Um Jasminas Mund lag trotz ihrer Jugend bereits ein Zug der Entschlossenheit und ihr Kinn hob sich ihm in diesem Moment herausfordernd entgegen. Auf Jareth wirkte sie wie ein kleines Ebenbild seiner geliebten Sarah.
"Wie alt bist du eigentlich?"
"Fünfzehn. Aber jetzt mal im Ernst. Was willst du wirklich hier?" Jasmina war nun wirklich unbehaglich zumute.
Fünfzehn. Da war wieder dieser Stich. Oh, nein. Sarah hatte wirklich nicht sehr lange gewartet.
"Du brauchst wirklich keine Angst vor mir zu haben", versuchte er Jasmina zu beruhigen. Er hatte bemerkt, daß ihre Augenlider begonnen hatten, nervös zu flattern. "Ich habe nichts Böses vor. Im Gegenteil. Ich bin hier, weil ich dein Freund sein möchte."
Jasminas weit aufgerissene Augen sagten ihm, daß er es mal wieder völlig falsch angepackt hatte.
"Was?" japste sie atemlos.
"Bitte, nicht so laut", bat er sie nervös. "Deine Mutter könnte uns hören."
"Das muß ganz einfach ein Traum sein! Oder ich bin übergeschnappt. Oh, mein Gott! In der Pilzsuppe war bestimmt ein giftiger dabei. Scheiße!"
"Bitte, reg' dich nicht so auf." Jareth seufzte. "Ich sehe schon. Ich muß dir die ganze Geschichte erzählen."
"Darum möchte ich doch sehr gebeten haben!" Jasmina war außer sich.
"Ich habe deine Mutter kennengelernt, als sie so alt war, wie du jetzt. Ich... äh, wir... Also, wir verliebten uns ineinander." Er machte eine kurze Pause da Jasmina keuchend nach Atem rang. Als sie sich wieder beruhigt hatte, fuhr er fort. "Durch gewisse Umstände... war es mir nicht möglich in den letzten Jahren Kontakt mit ihr aufzunehmen. Bis heute nachmittag."
Da er nichts mehr sagte fragte Jasmina neugierig: "Und? Wie ist es gelaufen?" Sie hatte die Außergewöhnlichkeit dieser Szene inzwischen erfolgreich verdrängt und empfand sogar eine gewisse angenehme Spannung.
Jareth lächelte traurig und schüttelte den Kopf. "Es ist nicht gut gelaufen. Ich hatte keine Ahnung, daß während meiner Abwesenheit hier bereits sechzehn Jahre vergangen waren."
"Laß mich raten!" unterbrach ihn Jasmina. "Sie hat dich rausgeschmissen."
"Ja, so könnte man es auch sagen." Er grinste über ihre unverblümte Interpretation der Geschehnisse.
"Tja, und was hat das alles mit mir zu tun?"
"Ich habe erst heute nachmittag von deiner Existenz erfahren und ich habe lange nachgedacht." Er sah lange in ihre irritierenden grünen Augen. "Ich habe in der Beziehung zu deiner Mutter viele Fehler gemacht... Ich möchte diese Fehler wieder gutmachen", sagte er schlicht.
"Und da *sie* dich nicht läßt..." Jasmina zog ihre Nase kraus und sah plötzlich viel jünger aus. "Dann soll ich also der Lückenbüßer für dein schlechtes Gewissen sein?"
"Äh... also, so würde ich es nicht gerade ausdrücken..."
"Aber es trifft den Kern der Sache", äußerte sie freimütig. "Ach, was soll's!" Jasmina grinste breit. "Das ist mit Abstand die abgefahrenste Sache, die mir je passiert ist", rief sie aus und ihre Augen blitzten, als sie Jareth ihre Hand hinhielt. "Es würde mich sehr freuen, dich zum Freund zu haben", sagte sie sanft.
Jareth ergriff ihre Hand und schüttelte sie. "Du ahnst nicht, wie glücklich du mich damit machst", sagte er bewegt.
"Ich denke, ich werde höllisch viel Spaß dabei haben", sagte Jasmina mit einem Lächeln, das ihr Gesicht aufleuchten ließ. In diesem Moment wurde Jareth bewußt, daß sie ihn bereits um den kleinen Finger gewickelt hatte.
Er schärfte ihr noch ein, daß sie auf gar keinen Fall ihrer Mutter von diesem und den folgenden Treffen erzählen durfte und sie versprach es feierlich. Dann zeigte er ihr noch, wie sie sein mentales Klopfen beantworten konnte. Schließlich wollte er sich für diesen Abend verabschieden, doch Jasmina wollte ihn erst gehen lassen, als er ihr hoch und heilig versprochen hatte, sie schon am nächsten Abend wieder zu besuchen. Als Jasmina wieder allein war, fand sie lange keinen Schlaf. Sie witterte ein dunkles Geheimnis hinter dieser mysteriösen Liebesgeschichte und brannte vor Ungeduld alles bis ins kleinste Detail zu erfahren. Dann fiel ihr ein, daß sie Jareth ihr Bilderbuch zeigen wollte und fing an es zu suchen. Als sie es gefunden hatte, legte sie sich damit wieder ins Bett und wollte es nochmal lesen um ihr Gedächtnis etwas aufzufrischen, doch schon auf der zweiten Seite forderten die Aufregungen des Abends ihren Tribut und sie schlief ein.
Der nächste Tag verging für Jasmina viel zu langsam. Es kam ihr so vor, als hätte er durch eine Laune der Natur plötzlich doppelt soviel Stunden wie normalerweise, so gespannt war sie auf ein Wiedersehen mit dem Koboldkönig. Als es dann endlich Abend war und er sich mental bei ihr angekündigt hatte, zögerte sie keine Minute, ihn hereinzubitten. Während er vor ihr aus dem Nichts erschien, stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, daß sie sich in der vorigen Nacht nicht getäuscht hatte. Sie verspürte ihm gegenüber eine Vertrautheit, die durch ihre kurze Bekanntschaft nicht zu rechtfertigen war, Jasmina aber trotzdem erwärmte wie ein Tasse heißen Tees. Sie war begierig, die Bekanntschaft mit ihm zu vertiefen, denn sie wußte instinktiv, daß ihr dieser Mann nie Kummer bereiten würde. Er mochte sie zwar noch nicht um ihrer selbst Willen, sondern lediglich, weil sie die Tochter der Liebe seines Lebens war, aber sie war sich sicher, daß er früher oder später wirkliche Sympathien für sie entwickeln würde. Nicht, daß Jasmina in ihm einen potentiellen Liebhaber gesehen hätte - denn er war so gar nicht ihr Typ - aber sie vermißte in ihrem tiefsten Innersten immer noch etwas, das sie nie gehabt hatte: einen Vater. Und wenn sie schon keinen Vater bekommen konnte, dann war es sicher nicht verkehrt, Freundschaft mit einem Koboldkönig zu schließen, den sie sich als eine Art Onkel vorstellen konnte.
"Guten Abend, Jasmina", begrüßte er sie freundlich.
"Hi! Ich habe das Buch für dich herausgesucht. Das Buch in dem du drin bist."
Jareth versah Jasminas Zimmer für den Dauer seiner Besuche mit einer magischen Membran, so daß sie vor Entdeckung sicher sein konnten und so nahm er ruhig auf dem gleichen Stuhl Platz, auf dem er schon am Abend vorher gesessen hatte. Jasmina reichte ihm aufgeregt das Buch und er betrachtete es aufmerksam. Es war ein handgebundenes Heftchen.
"Woher hast du das?"
"Mommy hat es mir geschenkt, als ich in die Schule kam. Ein Designer aus ihrer Firma hat die Bilder gemalt und Mommy hat die Geschichte dazu geschrieben." Jasmina stand hinter Jareth und sah ihm über die Schulter.
"Und sie hat sonst nichts dazu gesagt?"
"Nein, nie. Aber nun mach es schon auf. Ich will wissen, ob es tatsächlich so war, wie in diesem Buch."
Jareth schlug das Buch also gehorsam auf. Schon auf der ersten Seite prangte eine Zeichnung von ihm. Er war überrascht, daß er so genau getroffen war. Sarah mußte dem Designer eine sehr genaue Beschreibung geliefert haben. Langsam blätterte er Seite für Seite um, las dabei die Geschichte und studierte die Bilder. Als er fertig war konnte sich Jasmina nicht mehr länger bezähmen. Die ganze Zeit war kein Wort über seine Lippen gekommen. "Und? War es so?"
"Nein." Er schüttelte leicht den Kopf und mußte lächeln, als er Jasminas enttäuschtes Gesicht sah, die sich wieder auf ihr Bett zurückgezogen hatte. "Nein, es war überhaupt nicht so. Das hier..." er hob das Buch leicht in die Höhe, "ist eine reizende Geschichte über einen Koboldkönig der seine Kristallkugel verloren hat und über eine reizende Elfe namens Sarah, die ihm gemeinsam mit ihren Freunden Ludo, Hoggle und Sir Dydimus hilft, diese Kristallkugel wiederzufinden. Es ist eine Geschichte für Kinder. Das was Sarah und mich zusammengeführt hat, ist wirklich nichts für kleine Kinder. Und ich werde es dir deshalb auch nicht erzählen", schloß er mit Bestimmtheit, als er Jasminas sensationslüsternen Blick bemerkte.
Jasmina schob ihre Unterlippe hervor und wollte gerade anfangen ernsthaft zu schmollen, als ihr eine andere Frage einfiel. "Aber dein Labyrinth, das sieht doch so aus, wie auf den Bildern, oder?"
"Ja, mein Reich sieht so aus. Die Zeichnungen sind wirklich sehr gut."
"Zeigst du es mir? Bitte?" fragte Jasmina und sah ihn dabei mit ihrem patentreifen Dackelblick an. Jareth war es schwer, diesem flehenden Blick zu widerstehen, doch er war sich sicher, daß es Sarah garantiert nicht gerne sehen würde, wenn er ihrer Tochter das Labyrinth zeigte.
"Nein", sagte er deshalb.
"Oh, bitte!" bettelte Jasmina weiter.
"Nein! Und jetzt Schluß damit. Du bist schlimmer als ein Koboldbaby", wies er sie lachend zurecht.
"Koboldbaby! Das gefällt mir!" sie grinste vergnügt von einem Ohr zum anderen.
"Das hatte ich befürchtet. Aber jetzt erzähl etwas über dich. Wo ist zum Beispiel dein Vater?"
In Sekundenschnelle hatte sich Jasminas Gesicht wieder verdüstert.
"Ich habe keinen Vater", antwortete sie leise. "Er starb vor meiner Geburt. Er starb sogar noch, bevor er etwas von mir erfahren hat. Ich weiß noch nicht mal seinen Namen."
Jareth war durch diese Offenbarung verunsichert und schockiert.
"Aber du mußt doch wissen, wie er hieß. Du trägst doch sicher seinen Namen."
"Nein. Mein Nachname ist Williams. Ich weiß nicht, wer mein Vater war." Mit einer kindlichen Geste wischte sie sich eine Träne aus den Augenwinkeln.
Jareth ergriff ihre Hand und hielt sie fest. "Wenn es dir zu weh tut... du mußt es mir nicht erzählen..."
"Nein, nein. Ist schon gut. Ich möchte es dir ja erzählen. Ich weiß bloß selbst nicht allzuviel."
Jareth spürte wieder diesen unangenehmen Stich und machte Anstalten, seine Hand zurückzuziehen, ließ sie dann jedoch, wo sie war. Nicht, daß Jasmina sie festgehalten hätte - sie hatte seine Hand lediglich nicht gleich freigegeben - wobei ihm durch den Kopf schoß, wie vertrauensvoll sie ihre kleinen Finger in seine schlanke Hand gelegt hatte... nicht fordernd, oder klammernd... es war etwas anderes. Dann fiel sein Blick auf ihre seltsamen grünen Augen, die eine stumme Bitte aussprachen und seine Hand blieb, wo sie war. Durch den Blick eines verlorenen Mädchens gefesselt, der stärker war, als jede Kette. Auch wenn sie es nie zugegeben würde, ihr vaterloses Dasein hatte ihr schon immer sehr zugesetzt. Zwar war es durchaus nicht ungewöhnlich, daß ihre Mutter alleinerziehend war, mehr als die Hälfte der Eltern ihrer Schulkameraden waren geschieden oder lebten getrennt, so war ihr Status - gar keinen Vater zu haben - doch einmalig. Alle anderen hatten einen Vater, auch wenn er - nach Aussage der Mütter - ein Bastard, ein Säufer oder schlicht und einfach ein Hurensohn war, nur sie nicht.
"Wenn ich als kleines Kind nach meinem Vater gefragt habe, hat meine Mutter immer gesagt, er wäre nicht mehr auf dieser Welt. Ich habe nie ein Foto von ihm gesehen und Mommy hat nie von sich aus über ihn gesprochen. Sie hat mir auch nie gesagt, wie er ausgesehen hat, oder ob ich ihm irgendwie ähnlich bin. Aus ein paar Sachen, die sie mal gesagt hat, habe ich mir dann zusammengereimt, daß mein Vater wohl bei der Marine oder beim Geheimdienst oder so was gewesen ist. Sie müssen sich kennengelernt haben, als er Urlaub hatte... Irgendwie habe ich mir das immer unglaublich romantisch vorgestellt, denn kurz darauf war ich unterwegs, aber mein Vater war wohl auch schon nicht mehr da. Tja, und kurz darauf, bevor Mommy ihm von mir erzählen konnte, war er wohl auch schon tot. Sie konnten nicht mehr heiraten, deshalb habe ich auch keinen anderen Nachnamen. Wir waren auch nie an seinem Grab. Mommy sagte immer, daß es keines gibt, deshalb habe ich mir das mit dem Geheimdienst ausgedacht. Das einzige was sie je über ihn gesagt hat, war, daß er der einzige Mann in ihrem Leben war, den sie wirklich geliebt hatte." In Jasminas Augenwinkeln schimmerte es feucht und Jareth versuchte erfolglos, sich damit abzufinden, daß nicht er, sondern ein anderer die große Liebe seiner Sarah gewesen war. Es war für ihn ein schwacher Trost, daß dieser Kerl nun wenigstens nicht mehr lebte.
"Ja, aber haben denn Sarahs Eltern nichts über deinen Vater gewußt?" Ihm kam die ganze Angelegenheit äußerst mysteriös vor. Daß seine Sarah ein Faible für ungewöhnlich Männer hatte, wußte er zwar aus eigener Erfahrung, aber daß sie sich mit einem Agenten eingelassen haben sollte, ging über seinen Verstand. Und doch gab es für Jasminas Geschichte tatsächlich keine andere Erklärung.
"Ich weiß nicht, was sie gewußt haben, aber sie haben auch nie darüber gesprochen."
"Vielleicht solltest du sie einfach noch einmal fragen", schlug Jareth vor.
"Das wird schlecht gehen. Sie sind vor vier Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Hast du sie gekannt?"
"Nein, nicht persönlich... was ist mit Toby?"
"Toby? Du meinst Onkel Tobias? Kennst du ihn?" fragte Jasmina überrascht.
"Nicht direkt", versuchte Jareth, sich herauszuwinden.
"Onkel Tob war nicht in dem Flugzeug. Er studiert jetzt Medizin. Er will nämlich Arzt werden", bemerkte sie mit Stolz in der Stimme.
"Er wohnt aber nicht bei euch, oder?"
"Nein, um Himmels Willen!" wehrte sie lachend ab. "Er ist zwar danach auch hierher nach Phoenix gezogen, aber nachdem er zwei Wochen hier kampiert hat, bis er eine eigene Wohnung gefunden hatte, war er weg, bevor jemand Mississippi sagen konnte."
"Er wird sich doch nicht mit seiner großen Schwester gestritten haben." Jareth lächelte bei dem Gedanken.
"Streiten? Oh, nein! Onkel Tob liebt Mommy abgöttisch. Er hat es hier nur deshalb nicht mehr ausgehalten, weil sie ihn nach Strich und Faden verwöhnt und verhätschelt hat. Er hat mir mal gesagt, sie wäre schlimmer gewesen als Oma."
"Sarah als Glucke", er schüttelte verwundert den Kopf, "das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen."
"Du kennst sie nicht!" forderte ihn Jasmina lachend heraus.
"Vielleicht stimmt das sogar."
"Danke, daß du mir zugehört hast", äußerte sie unvermittelt. "Ich konnte das mit meinem Vater nie jemand so richtig erzählen. Jetzt fühle ich mich besser."
Jareth fühlte sich außerstande, darauf etwas zu erwidern. Stattdessen küßte er sie auf die Stirn und sagte: "dann gute Nacht, Koboldbaby."
Sooft Jareth dieses Gespräch mit Jasmina im Geiste Revue passieren ließ, er verspürte jedesmal diesen unendlichen Schmerz bei dem Gedanken, daß Sarah ihn offensichtlich nicht so geliebt hatte, wie er sie immer noch liebte. Er wartete vergeblich darauf, daß der Schmerz irgendwann nachlassen würde und der Gedanke an Sarah ihm nicht mehr das Herz zerreißen würde. Verzweifelt wartete der darauf, daß der Schmerz sich wandeln würde, abstumpfen würde zu einem leichten Brennen, oder einem kleinen Stich. Doch es geschah nichts derartiges. Schließlich gab er das Warten auf. Er fügte sich in das Unvermeidliche, daß diese Wunde die sie ihm geschlagen hatte, nie heilen würde. Es war also besser, sich daran zu gewöhnen. Doch auch das wollte ihm nur schwer gelingen. Jasmina war ihm in dieser Zeit merkwürdigerweise ein Trost. Ihre Bekanntschaft vertiefte sich in den folgenden Monaten ebenso wie ihre Zuneigung zueinander. Sie behandelte ihn bald genauso respektlos, wie sie ihren jungen Onkel Tob behandelte und er gewöhnte sich immer mehr an den Gedanken, sie könnte die Tochter sein, die ihm das Schicksal vorenthalten hatte.
Kapitel 42
Jasmina betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Ihr achtzehnjähriger Körper steckte in einem nagelneuen Halloweenkostüm, das keinen Zweifel mehr daran ließ, daß sie kein Kind mehr war. Ihre Mutter hatte beim Anblick der Nixenverkleidung nur leise geseufzt, ansonsten aber nichts dazu gesagt. Sarah schien sich mit dem Gedanken zu trösten, daß ihre Tochter immerhin nur auf die Halloweenparty ihrer Schule ging und darüberhinaus noch von ihrem Freund Robin begleitet würde. Robin war ein äußerst zuverlässiger junger Mann, der Jasmina sicher bestens vor etwaigen Zudringlichkeiten bewahren konnte, die ihre Kostümierung wahrscheinlich hervorrufen würde. Jasmina grinste, denn sie hatte aus einer unbedachten Bemerkung ihrer Mutter deren Gedanken erraten. Sie hoffte doch, daß sich zumindest Robin zu ein paar Zudringlichkeiten würde hinreißen lassen. Er war immer so schrecklich anständig!
Robin und sie waren nun schon über ein Jahr befreundet. Sie hatten sich bei der Theatergruppe ihrer Schule kennengelernt. In Robins Erinnerung hatte sich das Bild einer glitzernden Sternschnuppe geprägt, die ihm aus Gründen, die er nicht begriff, in seinen Schoß gefallen war. Als sich ihre Beziehung vertiefte, wurde ihm zwar bewußt, daß er sie oft vor ihrem eigenen impulsiven Wesen bewahren mußte und sie manchmal einen Dickkopf hatte, auf dem man Holz spalten könnte, sie aber auch ein sehr liebevolles und fürsorgliches Mädchen war. Robin liebte sie schrecklich, ohne für ihre Fehler blind zu sein. Für Jasmina war das alles nicht so wundersam gewesen. Sie hatte diesen mittelgroßen, kräftigen jungen Mann mit seinen halblangen braunen Haaren gesehen und sofort Atemnot bekommen. Als sie dann noch entdeckte, daß sich unter der sehr ansehnlichen Schale ein sehr sanfter und kluger Kern verbarg, war es völlig um sie geschehen. Im Gegensatz zu Robin hatte sie keine Sekunde daran gezweifelt, daß er für sie bestimmt war, daß sie ihn auch bekommen würde und daß sie ihn auch verdient hatte.
Ihr Selbstbewußtsein war enorm gestiegen, seit sie den Koboldkönig zum Freund hatte. Als sie ihm von ihrem Wunsch erzählte, Sängerin zu werden, hatte er sie nicht ausgelacht, sondern sie sogar dazu ermuntert, es zu versuchen. Er war der erste, der ihr gesagt hatte, daß sie eine wunderschöne Stimme hatte. Dadurch hatte sie den Mut gefunden, sich für ein paar Kurse anzumelden. Anfangs hatte er sogar noch mit ihr geübt, wobei Jasmina feststellen konnte, daß er selbst ein sehr begabter Sänger war. Mittlerweile war sie in ihrem Schulchor zur Solistin aufgestiegen und ihre Lehrer waren von ihr hellauf begeistert. Sogar ihre Mutter hatte nichts mehr dagegen, daß sie sich in den Kopf gesetzt hatte Gesang zu studieren. Jasminas Ziel war es, auf den großen Musicalbühnen aufzutreten und sogar Robin, der sonst gern ein großer Zweifler war, mußte zugegeben, daß sie das Zeug dazu hatte. Nicht ganz so überzeugt war er allerdings von ihrer neuesten Idee. Erst vor einer Woche war sie damit herausgerückt. Robin erinnerte sich noch lebhaft an ihren Wortwechsel.
"Jasmina, dieser Plan ist völlig hirnrissig. Das wird nie funktionieren."
"Das wird doch funktionieren", insistierte sie hartnäckig. "Mein Plan ist unschlagbar. Und du wirst sehen, daß ich mit meiner Vermutung richtig liege."
"Das ist doch idiotisch", Robin versuchte es mit sanfter Logik. "Du hast also vor ein paar Jahren einen völlig dubiosen Typen kennengelernt, der mal mit deiner Mutter befreundet war und mit dem du dich seither regelmäßig triffst und jetzt behauptest du allen Ernstes, daß dieser Typ dein Vater sein soll?"
"Das behaupte ich nicht - ich weiß es!"
"Woher?"
"Ich weiß es einfach, verdammt noch mal!" Ungeduldig stampfte sie mit dem Fuß auf, als Robin darauf jedoch nicht reagierte, änderte sie ihre Taktik. "Vertrau mir, Robin", sagte sie mit schmeichelnder Stimme und Robin gab widerstrebend seine ablehnende Haltung auf.
"Na schön. Versuchen wir es eben. Du läßt mir ja doch sonst keine Ruhe damit. Obwohl es mir wirklich nicht gefällt, daß du dich ohne mein Wissen mit wildfremden Männern getroffen hast."
"Aber ich sagte dir doch, daß er mein Vater sein muß. Er ist auch wirklich alt genug, um mein Vater zu sein. Du siehst also, es ist überhaupt nichts dabei."
"Erzähl mir lieber nochmal, warum du dir so sicher bist, daß er dein Vater sein könnte", bat Robin.
"Ich weiß nicht genau, aber den Verdacht habe ich schon länger. Die Geschichten meiner Mutter über meinen Vater haben einfach zu viele Lücken und er würde perfekt in diese Lücken passen. Auch wenn er mir selbst nicht gerade viel darüber erzählt hat." Ihr Gesichtsausdruck verdüsterte sich kurz. Flüchtig dachte sie daran, daß er sich tatsächlich immer geweigert hatte bei seinen Erzählungen mehr ins Detail zu gehen. Er hatte dazu immer gesagt, er sehe nicht ein, ihr etwas zu erzählen, von dem ihre Mutter augenscheinlich nicht wollte, daß sie es erfuhr. Genauso hatte er sich auch immer gesträubt, ihr sein Reich zu zeigen, bis sie ihn an ihrem letzten Geburtstag fast soweit gehabt hätte. Sie hatte auch reichlich lange dafür gequengelt und er hatte schließlich nachgegeben, nur um ihre Hände in seine zu nehmen und ihr dann zu erklären, daß es nicht ginge, weil sie keine Magie in sich habe und er dieses Risiko nicht eingehen wollte.
"Wenn er tatsächlich dein Vater ist, warum hat er sich dann nicht schon früher bei dir gemeldet?"
"Weil er doch selbst nicht weiß, daß er mein Vater ist!" und ihr Blick fügte noch ein *du Dummkopf* hinzu.
Robin bedachte sie mit einem Blick, der klar besagte, daß er es ohne Zweifel mit einer geistig Verwirrten zu tun hatte.
"Laß mich lediglich eines klarstellen: ich halte nichts von deinem Plan. Aber auch schon gar nichts. Trotzdem werde ich dir dabei helfen. Denn wenn ich nicht mitmache, dann machst du es bestimmt allein. Und ich bin wirklich lieber in deiner Nähe, wenn du wieder Dummheiten machst."
Mit einem Freudenschrei warf sich Jasmina ihm an den Hals.
"Oh, danke! Ich wußte, du würdest mich nicht im Stich lassen."
Robin schloß gottergeben die Augen.
Jasmina hielt ihren Plan für einfach aber genial. Wenn sie mit Robin auf die Halloweenparty ging, würde sie einfach nicht zum vereinbarten Zeitpunkt wieder nach Hause kommen. Stattdessen würden sie sich in einem Park in der Nähe versteckt halten. Jasminas Mutter würde zweifellos Jareth zu sich rufen, damit er ihr half ihre Tochter wiederzufinden. Dabei müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn Jasmina bei dieser Gelegenheit nicht die Wahrheit über ihren Vater erfahren würde. Robin hatte zwar allerhand an diesem Plan auszusetzen gehabt, beschränkte sich aber lediglich auf einen Einwand: "Was ist, wenn deine Mutter nicht diesen Typ ruft, sondern die Polizei?"
"Das wird sie nicht tun", äußerte Jasmina selbstgefällig. "Weil ich schon 18 bin. Die Polizei sucht mich nicht, wenn ich erst ein paar Stunden überfällig bin."
Robin mußte widerwillig zugeben, daß dies wirklich ein sehr gutes Argument war.
Während sich Jasmina vor dem Spiegel drehte und wendete, ging sie in Gedanken noch einmal alle Punkte ihres Planes durch. Es mußte einfach klappen. In ihrem tiefsten Innersten stimmte sie sogar mit Robins Zweifeln überein, doch wenn sie die Wahrheit über ihre Herkunft erfahren wollte, durfte sie nicht zimperlich sein. Die Stimme ihrer Mutter holte Jasmina wieder in die Wirklichkeit zurück.
"Ich denke, es paßt. Oder muß es noch irgendwo geändert werden?"
"Nein, du kannst die Stecknadeln wegräumen, Mommy. Es ist perfekt."
"Perfekt - ja. Nur wofür?" spöttelte Sarah, wobei sie sich mit Wehmut an einige ihrer eigenen Halloweenkostüme erinnerte.
"Wer viel fragt geht viel fehl", murmelte Jasmina. Vorsichtig fing sie an ihr Kostüm auszuziehen. Noch drei Tage bis Halloween.
Jasmina war in diesen drei Tagen mehr als einmal davon überzeugt, sie würde vor Ungeduld sterben müssen. Doch endlich war der große Tag gekommen und sie tanzte mit Robin engumschlungen auf dem Schulball.
Über die Kostümierung ihres Freundes als Robin Hood hatte Jasmina etwas ungehalten reagiert, doch Robin hatte auf ihren Unmut nur mit der Bemerkung, es wäre bei seinem Vornamen schließlich naheliegend, reagiert und sie auf die Wange geküßt. Jasmina blieb nichts anderes übrig, als über diesen neuerlichen Beweis seines trockenen Humors resigniert zu seufzen und sich von ihm ein Glas Punsch bringen zu lassen. Obwohl sie sich den ganzen Abend nach Kräften bemühte ihre Nervosität zu vertuschen, so wußte Robin - als ihr unfreiwilliger Komplize - doch ganz genau, was sie bewegte.
Kurz vor Mitternacht konnte er dann auch nicht länger an sich halten.
"Jasmina, bist du immer noch entschlossen, diesen Quatsch durchzuführen?"
"Ob ich... das ist kein Quatsch!"
"Gut, dann ist es eben kein Quatsch..." lenkte Robin ein.
"Ich muß es einfach wissen, ich muß! Verstehst du das denn nicht?"
Bestürzt bemerkte Robin, daß in ihren Augenwinkeln ungeweinte Tränen schimmerten, die auf völlig überreizte Nerven zurückzuführen waren.
"Ich denke, wir gehen jetzt besser", erklärte er mit fester Stimme. Ungewohnt fügsam ließ sich Jasmina von ihm von der Tanzfläche führen. Mittlerweile hatte sie Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen. Allerdings hätte sie sich eher die Zunge abgebissen, als dies zuzugeben.
"Wann hättest du zuhause sein sollen?" fragte Robin, während er ihr in ihren Mantel half.
"Um ein Uhr."
"Gut, dann gehen wir jetzt erst noch in ein Cafe und dort trinkst du einen Kamillentee."
"Ja, Robin" antwortete sie dankbar.
Gestärkt durch einen Kaffee - den Kamillentee hatte sie denn doch verächtlich abgelehnt - schlenderten sie kurz nach ein Uhr durch einen Park, der in der Nähe von Sarah's Wohnung lag. Robin hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt und Jasmina schmiegte sich vertrauensvoll an ihn. Die Zuversicht, daß ihr genialer Plan funktionieren würde war zurückgekehrt und mit einer würdevollen Ruhe, die Robin erstaunte, harrte sie der Dinge, die da kommen sollten.
Teil drei (part three)
Fanfiction by Lorelei Lee
Kapitel 36 nur für Erwachsene
(Chapter 36 adults only)
Kapitel 36
Im Aufzug nach unten waren Sarah und Jareth durch eine glückliche Fügung des Schicksal allein.
Sarah wollte ihm alles erklären. "Jareth, ich...", fing sie an.
"Sag jetzt nichts", bat er mit eindringlicher Stimme und ihre Lippen fanden sich in einem wilden, hungrigen Kuß. Währenddessen ließ Jareth seine Magie wirken um sie auf direktem Wege aus diesem Aufzug in Sarahs Appartement zu transportieren. Angenehm überrascht blickte Sarah zu ihrem Geliebten auf. "Haben wir es so eilig?" fragte sie mit einem amüsierten Zwinkern. Jareth ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Er antwortete mit einem trockenen Unterton. "Ich denke doch." Sie standen noch immer im Wohnzimmer, die Luft war auf wundersame Weise von Musik erfüllt. Flüchtig erkannte sie die Melodie von Ravels' "Bolero" bevor sie sich in seinen stürmischen Küssen verlor. Seine Berührungen waren wild und fordernd, doch Sarahs Verlangen nach ihm war es auch. Mit wenigen energischen Handgriffen streifte sie den Mantel von seinen Schultern. Seine Hände griffen in ihre Haare, seine Lippen waren hart und unnachgiebig und sie genoß jede einzelne Sekunde. Seine Wildheit ließ sie nahezu entfesselt reagieren. Ihre schlanken Finger zerrten das Hemd aus seiner Hose, schoben es beiseite und begannen ein teuflisches Spiel auf seinem Rücken indem sie leicht und doch kräftig ihre Fingernägel über seine Haut zog. Seine Hände wanderten ihren Rücken hinab zu ihren Beinen. Streichelnd schob er ihr Kleid bis über ihre Hüften nach oben. Während er auf ihrem Nacken mehr Bisse als Küsse hinterließ, massierte er die weichen Rundungen ihres verlängerten Rückens. Ihr Puls raste. Ihre Fingernägel kratzten seine Haut, als sie sein Hemd rücksichtslos von seinem Körper riß. Bevor seine Hose das gleiche Schicksal erlitt wie sein Hemd, lichtete sich für einen kurzen Moment seine Betäubung. Krampfhaft hielt er ihre Handgelenke fest. "Nicht hier", flüsterte er heiser. Dann hob er sie hoch und trug sie in ihr Schlafzimmer. Dort öffnete er den Reißverschluß ihres Kleides und ließ es langsam an ihr hinab gleiten. Er wußte wie ihr Körper aussah, doch in dieser Nacht kam es ihm so vor, als würde er sie zum ersten Mal sehen, wie sie wirklich war. Ihre Wangen waren leicht gerötet, die Lippen geöffnet, sie atmete schwer. Ihre Brüste hoben und senkten sich in ihrem Gefängnis aus dunkelroter Spitze. Dazwischen funkelte ihr Medaillon. An die weichen Rundungen ihrer Hüften schmiegte sich ein Slip aus demselben Material. Sie trug noch ihre halterlosen Strümpfe und ihre hochhackigen Schuhe. Sie war schön wie die Sünde. Plötzlich hatten beide keine Eile mehr. Langsam streichelte sie über seine Brust, öffnete schließlich seine Hose um mit ihren Händen an seinem Rücken entlang hineinzugleiten. Sanft zog er ihre Hüften näher zu sich. Sie fühlte die Wölbung an ihrer Haut, preßte und rieb ihren Unterkörper dagegen und spürte, wie die Wölbung heißer und größer wurde. Sie streifte seine Hose mit geschickten Bewegungen weiter hinab und zog sie ihm aus. Er war jetzt vollkommen nackt. Ihre Blicke wanderten hungrig über seinen Körper, verhielten kurz an den zarten roten Striemen, die ihre Fingernägel hinterlassen hatten und blieben dann wie gebannt zwischen seinen Beinen hängen. Jareth war hochgradig erregt. Ihre bewundernde Musterung peitschte seine Sinne nur noch mehr auf. Sie schmiegte sich an ihn. "Komm", hauchte sie in sein Ohr. Gleichzeitig streichelte sie wie zufällig über seine Männlichkeit. Ihm jagte diese Berührung heiße Schauer über den Rücken. Sie zog ihn mit sich auf ihr Bett, wo sie sich ihm bereitwillig überließ. Sanft streichelte und massierte er ihren Oberkörper, zog ihren BH aus und senkte seine Lippen auf ihre Brüste. Ihr Stöhnen verriet ihm ihre Lust und stachelte auch sein Verlangen an. Geschickt streifte er ihren Slip ab und liebkoste ihr empfindliches Fleisch mit seinen Fingern. Es war heiß und feucht. Jede ihrer Reaktionen teilte ihm mit, daß sie mehr als bereit für ihn war. Doch er wartete noch. Seine Zähne kniffen leicht ihn ihre steifen Brustwarzen während sein Finger langsam tiefer glitt, bis er seinen Weg in sie fand. Vorsichtig erkundete er sie. Sarah hatte nun angefangen, sich instinktiv zu bewegen. Jede Faser ihres Körpers fieberte ihm entgegen. Sie keuchte vor Lust, doch sie konnte nichts dagegen tun -nur Jareth konnte etwas dagegen tun. Als hätte er ihre Gedanken erraten, zog er sich ein wenig zurück. Er legte sich halb auf sie, stützte sich mit seinen Händen ab und sah sie eindringlich an.
"Willst du es?" seiner Stimme war die unterdrückte Erregung anzuhören. "Willst du es wirklich?"
"Ja, ja!" stöhnte Sarah und schlang ihre Arme um seinen Körper. Sie fühlte wie sich sein Glied zwischen ihre Beine schob. Es fühlte sich heiß und sehr hart an. Er fand ihren Eingang und preßte sich dagegen. Die Spitze seines pulsierenden Fleisches glitt hinein. Jareth hätte seine Gefühle in diesem Moment nicht beschreiben können. Allmählich erhöhte er den Druck und glitt tiefer hinein, bis er bemerkte, daß über Sarahs Wangen Tränen hinabliefen. Erschreckt hielt er inne. "Oh mein Gott!" stieß er hervor. "Ich wollte dir nicht weh tun." Hastig wollte er sich zurückziehen, doch Sarah hielt ihn fest.
"Das ist schon okay", stammelte sie und versuchte zu lächeln. "Beim ersten Mal gehört das dazu. Mach einfach weiter. Schnell."
Jareth atmete tief durch und tat was sie von ihm verlangte. Kontinuierlich glitt er tiefer in sie hinein bis er eine Art Barriere spürte. Er holte nochmals tief Luft, zog sich ein wenig zurück und stieß heftig zu. Der plötzliche Schmerz trieb Sarah Tränen in die Augen. Obwohl sie beschlossen hatte, sich zusammenzureißen, stieß sie einen kleinen Schrei aus. Jareth hatte keine Ahnung, was er jetzt zu tun hatte, doch instinktiv tat er das einzig Richtige. Er fuhr mit den sanften Liebkosungen ihrer Brüste fort, und als ihre Tränen versiegten, schob er seine Hand zwischen ihre Körper und streichelte ihr empfindsames Fleisch so gut es ging. Es dauerte nicht lang, bis Sarah wieder auf seine Zärtlichkeiten reagierte und ihr Becken verlangend bewegte. Von neuem erregt, glitt er tief in sie hinein und wieder hinaus... und wieder... und wieder. Seine Leidenschaft riß sie mit sich in ein Meer der Gefühle. Auf dem Höhepunkt ihrer Ekstase spürte sie undeutlich, wie er sich versteifte und heiß in sie ergoß, bevor eine dunkle Woge der Lust über ihr zusammenbrach und die Welt um sie herum versank.
Im anschließenden Schaumbad sann Jareth mit geschlossenen Augen über diese Nacht nach. Er hätte nicht gedacht, daß die körperliche Vereinigung alle anderen sexuellen Erfahrungen um Längen schlug. Sein Gedankenflug wurde durch Sarah unterbrochen.
"Es war wundervoll", murmelte sie.
Er öffnete seine Augen halb, um sie anzusehen. Sie lag ihm gegenüber in der Wanne. Ihre Haare ringelten sich durch die Feuchtigkeit leicht. Dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie wurde ernst. "Ich hoffe, du kannst mir verzeihen."
"Das habe ich schon längst", beruhigte er sie. "Die Frage ist vielmehr, ob du mir jemals verzeihen kannst."
"Oh ja, das kann ich." Sie seufzte. "Wir waren beide schrecklich dumm."
"Ganz schrecklich dumm."
"Laß uns nie wieder so dumm sein." Sie strich mit ihrem Fuß an der Innenseite seiner Oberschenkel entlang.
"Nie wieder", bestätigte er.
Spielerisch umschmeichelte sie ihn mit ihren Zehen, bis sie seine Schwellung deutlich spürte.
Er biß sich auf die Unterlippe. "Was zum Teufel tust du da?"
Sie lächelte kokett. "Nichts."
"Ach, wirklich?"
Sie drehte sich vorsichtig in der Wanne, damit kein Wasser überschwappte und glitt sacht zu ihm. Behutsam nahm sie seine Beine in die Mitte und senkte ihren Körper langsam ab. Jareth überließ ihr die Kontrolle und genoß ihre ruhigen, wiegenden Bewegungen. Sie hatten keine Eile. Zärtlich streichelte er ihren Körper und beobachtete, wie einzelne Wassertropfen an ihren sanft schwingenden Brüsten hinabliefen. Sarah hielt immer wieder inne, um den Moment hinauszuzögern, doch schließlich war für beide der Punkt gekommen, an dem es kein zurück mehr gab.
Später tanzten sie in Bademänteln und feuchten Haaren engumschlungen im Wohnzimmer, das nur durch eine einzelne Kerze erhellt wurde.
"Eigentlich wollte ich dir sagen, wie sehr ich dich liebe", flüsterte Jareth.
"Warum tust du es dann nicht?"
"Es klingt so abgedroschen - so verbraucht." Er schwieg für einen Augenblick. "Du bist für mich mein Leben, meine kleine Elfe."
Sie schwiegen.
"Auch wenn es abgedroschen klingt - ich kann mir nicht helfen, Jareth. Ich liebe dich. Und ich bin sehr glücklich - denn du hast mich endlich zur Frau gemacht."
Er fühlte, daß sie lächelte.
"Und du hast mich heute zum Mann gemacht", hauchte er ihr ins Ohr.
Sie kicherte. "Ach, tatsächlich?"
"Muß ich es dir erst beweisen?" fragte er mit vibrierender Stimme.
Sarah war froh, daß er sie sehr fest hielt, denn ihre Beine versagten ihr bei dem Klang seiner Stimme fast den Dienst.
"Oh ja, bitte!" hörte sie sich noch sagen, da hatte sie Jareth zum zweitenmal in dieser Nacht auf seine Arme genommen. Als ob er ihre Gedanken erraten hätte, warf er sie mit Schwung auf ihr Bett und war im Nu über ihr. Sie sehnte sich nach harten, besitzergreifenden Händen und Jareth gab ihr, was sie brauchte. Grob riß er den Bademantel von ihrem Körper und küßte sie wild. Sein Mund wanderte tiefer und als er sein Ziel erreicht hatte, stellte er fest, daß nicht mehr viel fehlte, um sie völlig bereit für ihn zu machen. Als seine Zunge rauh über ihr heißes Fleisch glitt, glaubte sie, vor Ekstase zu zerfließen. Nach einer kleinen Ewigkeit beendete er seine erregende Tätigkeit abrupt. Ruckartig drehte er sie um und stieß mit seiner pochenden Männlichkeit rücksichtslos zu. Dann stoppte er.
"Ist dir das Beweis genug?" fragte er heiser. "Ist es das, was du willst?"
"Ja, ja!" beantwortete sie seine Frage leidenschaftlich.
Seine Hände legten sich wie eiserne Klammern um ihre Taille und er nahm sie, so hart und wild wie er nur konnte. Sarah genoß seine Behandlung und quittierte jeden seiner Stöße mit lustvollem Seufzen. Er trieb sie weiter und weiter, bis sie den Höhepunkt ihrer Lust erreicht hatte. Ihre Schenkel bebten und Jareth fühlte, wie sie sich verkrampfte. Dann empfand auch er eine tiefe Befriedigung.
Kapitel 37
"Schläfst du?" Er küßte sie leicht auf die Stirn. Zusammengekuschelt lag sie in seinen Armen. Draußen war es schon hell. Er war noch nie so glücklich gewesen. Eine innere Ruhe war in ihn eingekehrt, die fast schon unglaublich war. Dennoch mußte er sie für einen kurzen Moment verlassen. In der Vergangenheit hatte seine Abwesenheit in seinem Reich immer wieder kleinere Schäden verursacht. Er mußte sich kurz darum kümmern.
"Was ist?" murmelte Sarah.
"Ich muß kurz zurück um nach dem Rechten zu sehen."
"Nein, geh nicht. Bitte!"
"Ich komme ja gleich wieder. Es dauert nicht lang."
"Ehrenwort?"
Er küßte sie sanft auf den Mund. "Ehrenwort!"
Er war noch keine fünf Minuten weg, als bei Sarah das Telefon klingelte. Das konnte nur ihre Mutter sein, dachte Sarah bei sich und hob den Hörer ab.
"Na, wie ist es gelaufen?!"
"Tess?"
"Wer denn sonst! Und? Hat alles geklappt?"
"Tess, du bist unmöglich!"
"Nein, ich bin nur neugierig."
"Na schön. Ja, es hat alles geklappt. Wir haben uns wieder versöhnt und gerade eben ist kurz weggegangen um eine Kleinigkeit zu erledigen. Bist du jetzt zufrieden?"
"Er war die ganze Nacht bei dir?" fragte Tess ungläubig.
"Ja. Aber jetzt muß ich Schluß machen, er kann jeden Augenblick wieder hier sein. Wir sehen uns ja sowieso morgen im Büro."
"Ist gut. Bis morgen. Und noch viel Spaß!"
"Tess!"
Doch Tess kicherte nur noch und legte den Hörer auf. Sarah streckte sich wohlig in ihrem Bett aus. Wenn ihr Geliebter wieder da war, würde sie eine Überraschung für ihn haben. Sie hatte sich in dieser Nacht endgültig dazu entschlossen ihm in sein Reich zu folgen. Für immer!
Am nächsten Tag kam Tess sehr früh ins Büro, doch Sarah war trotzdem schon vor ihr da. Sorgfältig schloß Tess die Tür hinter sich, damit sie niemand bei ihrem Schwätzchen stören würde. Sie wollte unbedingt alles erfahren!
"Guten Morgen, Schätzchen! Na, du bist heute ja schon früh da", begrüßte sie Sarah.
"Guten Morgen, Tess."
Tess musterte Sarah eindringlich. "Sag mal, wie siehst du denn aus?"
Sarah spielte nervös mit einem Bleistift. "Er ist nicht mehr zurückgekommen. Vor 22 Stunden und 40 Minuten hat er meine Wohnung verlassen und ist seither nicht mehr zurückgekommen!"
Tess war sprachlos. Allerdings nur kurz. "Was meinst du mit 'er ist nicht zurückgekommen'?"
Sarah brach unvermittelt in Tränen aus. "Das, was ich sage! Er wollte noch kurz etwas erledigen und dann gleich wieder kommen. Was soll ich nur tun? Womöglich ist ihm etwas zugestoßen!"
"Hast du schon bei ihm angerufen?" fragte Tess mitfühlend. Ihm mußte tatsächlich etwas passiert sein, denn wie einer dieser Gigolos war er ihr eigentlich nicht vorgekommen.
Diese gutgemeinte Frage löste bei Sarah tiefste Bestürzung aus. Was sollte sie nur darauf antworten? Natürlich hatte sie den halben Tag und die ganze Nacht in wachsender Verzweiflung nach ihm gerufen, aber wie sollte sie Tess erklären, daß sie dann nicht einfach mit einem Taxi zu ihm gefahren war, um nach dem Rechten zu sehen. Eine plausible Geschichte mußte her und zwar schnell! Durch Sarahs Adern pumpte genug Adrenalin, daß es für eine ganze Werbeabteilung gereicht hätte.
"Weißt du Tess, das ist so eine Sache", fing sie stockend an. "Ich kann dir nicht alles erzählen, ich kann dir nur soviel sagen, daß er für - für eine Regierung arbeitet. Wir haben uns vor Jahren zufällig getroffen. Ich habe verschiedene Möglichkeiten um mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber ich kenne weder seine Adresse, noch seine Telefonnummer." Sie seufzte. "Und Mr. King ist auch nicht sein richtiger Name."
Diese Geschichte schlug bei Tess wie eine Bombe ein. Mit offenem Mund starrte sie Sarah an. Doch so unwahrscheinlich das Ganze auch klang, Tess zweifelte keinen Moment daran, daß es die Wahrheit war. Sarah beschloß daraufhin, bei dieser Geschichte zu bleiben. Wer konnte schon wissen, was die Zukunft bringen würde.
In den folgenden Wochen hatte Sarah das Gefühl in einem Alptraum gefangen zu sein. Bei der Arbeit mußte sie sich sehr zusammenreißen, doch sobald sie nicht direkt angesprochen wurde, versank sie in eine Art Dämmerzustand, in dem ihre Gedanken unaufhörlich um die immer gleiche Frage kreisten: 'Warum kommt er nicht?'. Nachts rief sie unermüdlich nach ihm, bis sie im Morgengrauen völlig erschöpft für kurze Zeit in einen unruhigen Halbschlaf fiel. Sie verlor an Gewicht, bekam dunkle Augenringe und sah allgemein so schlecht aus, daß hinter ihrem Rücken bereits spekuliert wurde, ob sie Krebs hatte oder einfach nur magersüchtig geworden war. Zu allem Unglück blieb auch noch ihre monatliche Blutung aus, doch Sarah wollte sich zuerst nichts dabei denken, und schob es auf ihre schlechte körperliche Verfassung und versuchte ihre zunehmende Nervosität zu ignorieren. Doch als die Tage verstrichen, ohne daß sich ihr Zustand geändert hätte gelang ihr das immer schlechter. Irgendwann konnte sie nicht mehr umhin, ihren Gynäkologen aufzusuchen.
Bei der Anmeldung hatte sie lediglich allgemeines Unwohlsein angegeben und versucht, die abschätzenden Blicke der Sprechstundenhilfe kühl zu übergehen. Die kurze Zeit, die sie im Wartezimmer zubringen mußte, zerrte zusätzlich an ihren Nerven, so daß sie schließlich krank vor Angst die Untersuchung über sich ergehen ließ. Nach wenigen Minuten, die ihr wie eine Ewigkeit erschienen, gab ihr Arzt, Doktor Rogers, sein Urteil ab.
"Ich gratuliere Ihnen, Miss Williams. Sie sind in der sechsten Woche schwanger." Er setzte sich auf, zog die Handschuhe aus und lächelte sie aufmunternd an. Er hätte zwar nicht behauptet, seine Patientin gut zu kennen, doch ihm gegenüber hatte sie sich immer sehr beherrscht und gelassen gegeben. Um so unerwarteter war für ihn ihre Reaktion.
"Das ist nicht wahr! Sagen Sie mir, daß das nicht wahr ist!" Auf sein Kopfnicken schlug sie die Hände vors Gesicht. "Oh, mein Gott! Wie konnte das nur passieren!"
Dr. Rogers räusperte sich. "Miss Williams, Sie können sich wieder anziehen. Gehen Sie bitte schon in mein Büro vor. Ich komme gleich nach."
Wie betäubt kam sie seiner Bitte nach. Währenddessen verließ Dr. Rogers das Untersuchungszimmer um sich mit seiner Sprechstundenhilfe abzusprechen.
"Haben wir heute noch Termine, Marian?"
"Nein, Miss Williams war die letzte für heute."
"Danke. Ich bin mit Miss Williams noch in meinem Büro. Bitte stellen Sie keine Telefonate durch."
Marian bedachte ihn mit einem langen Blick.
"Es kann länger dauern", beantwortete er ihre unausgesprochene Frage und ging in sein Büro zurück. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und wartete auf seine deprimierte Patientin. Seine Geduld wurde auf keine lange Probe gestellt. Niedergeschlagen betrat Sarah das Büro ihres Arztes und nahm wie ein Häufchen Elend ihm gegenüber Platz.
"Ich entnehme Ihren Äußerungen, daß Sie Verhütungsmittel benutzt haben?" Er wußte aus Erfahrung, daß er hier behutsam vorgehen mußte, wenn er Miss Williams wirklich helfen wollte. Und das wollte er. Doch zuvor mußte er von ihr möglichst viele Einzelheiten erfahren.
"Ich verstehe wirklich nicht, wie das passieren konnte, ich habe regelmäßig die Pille genommen! Und immer pünktlich. Ich habe sie nie vergessen. Nie!"
"Sie wissen doch sicher, daß es auch bei der regelmäßigen Einnahme von Verhütungspillen rein statistisch gesehen bei einer von tausend Frauen trotzdem zu einer Schwangerschaft kommt."
"Oh mein Gott. Was habe ich eigentlich verbrochen?" murmelte Sarah vor sich hin.
"Ich nehme an, daß diese Schwangerschaft nicht nur unerwartet, sondern auch ungelegen kommt?" tastete sich Dr. Rogers vorsichtig weiter.
Sarah reagierte äußerst heftig. "Ungelegen? Das können Sie laut sagen!"
"Dann wäre dies der geeignete Zeitpunkt, um Sie darauf hinzuweisen, daß es für einen Schwangerschaftsabbruch noch nicht zu spät ist."
Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihren Arzt an. "Eine Abtreibung? Oh, nein. Nein. Das würde er mir nie verzeihen."
Dr. Rogers atmete erleichtert aus. "Sie leben also mit dem Vater des Kindes in einer Partnerschaft?" Vielleicht war es doch nicht so schlimm, wie es im ersten Moment ausgesehen hatte.
"In einer Partnerschaft?" druckste Sarah herum. "So kann man das nicht unbedingt nennen. Wir treffen uns regelmäßig, aber wir leben nicht zusammen."
"Aber Sie können doch sicher mit ihm darüber sprechen?"
Wieder brach seine Patientin unvermittelt in Tränen aus.
"Ich wünschte, ich könnte es", schluchzte sie.
"Ja, aber was hindert Sie denn daran?" fragte Dr. Rogers völlig perplex.
"Er ist seit dieser Nacht spurlos verschwunden", gelang es ihr noch zu sagen, bevor sie weiter in ihr zerknülltes Taschentuch weinte.
"Verschwunden?" Dr. Rogers kannte sich nun überhaupt nicht mehr aus.
"Wie soll ich Ihnen das nur erklären?" Sarah wischte sich mit dem Taschentuch über die Augen. "Sehen Sie, das Ganze ist ein bißchen ungewöhnlich. Mein.. mein..." Sie suchte nach Worten, gab es aber auf und sagte stattdessen. "Der Vater des Kindes arbeitet für eine Regierung", wiederholte sie Wort für Wort das Märchen, das sie bereits Tess aufgetischt hatte. Zu ihrer Überraschung schluckte es auch ihr Arzt, ohne besonders überrascht zu wirken. Warum nahmen es eigentlich alle widerspruchslos hin, daß Sarah Williams augenscheinlich die Geliebte eines Spions war? Als sie ihre Geschichte beendete hatte, herrschte für einen Moment völlige Stille.
"Sie sollten in drei Wochen zu einer zweiten Untersuchung kommen, Miss Williams."
"Gut, Herr Doktor." Doch dann fiel ihr etwas ein. "In drei Wochen?! Das ist unmöglich, da besuche ich meine Eltern. Oh Gott! Meine Eltern! Ich kann nicht..."
"Dann lassen Sie sich von Marian einen späteren Termin geben. Aber... wenn Sie in der Zwischenzeit irgend etwas benötigen", er gab ihr eine Visitenkarte, "zögern Sie bitte nicht, mich anzurufen."
Sarah genügte ein flüchtiger Blick, um zu erkennen, daß auf der Karte auch seine private Telefonnummer verzeichnet war. Sie lächelte ihn unter Tränen dankbar an.
"Vielen Dank, Herr Doktor. Das werde ich."
Tage später klingelte es an Sarahs Wohnungstür. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt breit. Draußen stand eine ungeduldige Tess.
"Guten Tag, Sarah. Läßt du mich rein?"
"Tess, das paßt mir im Moment aber gar nicht."
"Das ist mir völlig egal, ob es dir paßt oder nicht! Ich bin hier, weil ich wissen will, was zur Hölle eigentlich mit dir los ist! Vor vier Tagen hast du in der Firma angerufen und aus familiären Gründen ein paar Tage Urlaub beantragt. Seitdem bist du nicht mehr ans Telefon gegangen und kein Mensch hat dich seither auf der Straße gesehen. Also sagst du mir jetzt, was mit dir los ist, oder muß ich erst die Polizei rufen?"
Sarah sah sie lange mit einem seltsam leeren Blick an. "Ich bin schwanger, Tess." Dann trat sie beiseite und ließ ihre Freundin herein. Es war schwer zu sagen, was Tess mehr erschreckte: diese Neuigkeit oder der Zustand von Sarahs Wohnung. Überall lagen Kleidungsstücke verstreut herum. In der Küche häuften sich dreckiges Geschirr, die Pflanzen waren kurz vor dem Verdursten, auf dem Wohnzimmertisch lagen fettige Pizzakartons und der Fußboden hatte schon lange keine Staubsauger mehr gesehen. Es bestand kein Zweifel, Sarah war kurz davor, völlig zu verwahrlosen.
Mit einer ausholenden Geste wandte sich Tess an Sarah. "Hör mal, was soll das? Daß du schwanger bist, ist natürlich ärgerlich, aber das ist noch lange kein Grund, sich so gehen zu lassen."
"Das ist deine Meinung", erklärte Sarah verstockt.
Tess merkte, wie sie ärgerlich wurde, bei einem Blick in Sarahs verhärmtes Gesicht wurde sie jedoch wieder weich. "Wie kann ich dir helfen?" fragte sie warm.
"Mir kann keiner helfen." War Sarahs tonlose Antwort.
Tess beschlich das Gefühl, daß es besser wäre wieder zu verschwinden. "Kommst du übermorgen wieder ins Büro?" fragte sie und sah Sarah dabei eindringlich an.
Sarah hielt ihrem Blick stand. "Keine Sorge. Ich werde da sein."
Sarah kam tatsächlich wieder in die Firma, doch alle waren sich einig, daß sie sich verändert hatte. Sie wirkte teilnahmslos, verfiel jedoch nie wieder in diese seltsame Starre, wie in den Tagen vor ihrem Urlaub. Sie nahm ihren Urlaubsantrag für Weihnachten zurück und erklärte sich dazu bereit, an den Feiertagen durchzuarbeiten. Anschließend rief sie ihre Eltern an und log ihnen vor, sie hätte dieses Jahr keinen Urlaub bekommen. Es fiel ihr nicht leicht, ihre Eltern anzulügen, doch sie hätte nicht die Kraft gehabt, ihnen unter die Augen zu treten - noch nicht. Ihre körperlich Verfassung besserte sich kaum, wurde jedoch wenigstens nicht schlechter. An Weihnachten arbeitete sie in der Firma wie eine Verrückte, nur um nicht daran zu denken, daß im ganzen Land das Fest der Liebe gefeiert wurde und sie nicht nur ledig sondern auch noch schwanger war. Den Neujahrstag begann sie mit einer neuen Erfahrung: morgendliche Übelkeit. Von da an verging kein Tag, an dem sie das Kind in ihrem Leib nicht verfluchte.
Bei ihrem nächsten Arzttermin ging es ihr so schlecht, daß Dr. Rogers fast zu Tode erschrak. Hier kam er mit gewöhnlichen Methoden nicht weiter. Er mußte sich etwas Dramatisches einfallen lassen, um seine Patientin zu erreichen.
"Miss Williams, ich gratuliere Ihnen. Sie sind wirklich auf dem besten Wege zu einer Fehlgeburt."
"Eine Fehlgeburt? Herr Doktor, ich verstehe sie nicht..." Sarah blickte ihren Arzt verwirrt an.
"Ach, Sie hatten nicht vor die Schwangerschaft durch eine geplante Fehlgeburt zu beenden?" fragte er betont ruhig zurück.
Sarah wurde erst blaß, rang nach Atem und schleuderte ihm schließlich mit flammenden Wangen entgegen: "Wie könne Sie so etwas von mir denken!"
"Dann hören Sie augenblicklich damit auf, ihren Körper so zu vernachlässigen, wie Sie es seit Wochen tun!"
Die neue Erkenntnis, daß Jareths' Kind möglicherweise nie geboren werden würde, raubte ihr für einen kurzen Moment die Sprache. Instinktiv legte sie eine Hand beschützend über ihren kaum gewölbten Leib.
"Eine Fehlgeburt?" flüsterte sie kaum hörbar. "Oh nein. Ich will dieses Kind. Es ist wahrscheinlich das einzige, was mir noch von ihm bleibt. Er würde es mir nie verzeihen, wenn ich es verlöre." Tränen rannen ihre Wangen hinab, doch Dr. Rogers war nicht unzufrieden mit dem Ergebnis. Sie wirkte insgesamt wieder gefaßt und seelisch einigermaßen stabil.
Mit einer entschlossenen Bewegung wischte sie die Tränen aus ihrem Gesicht und blickte Dr. Rogers direkt in die Augen.
"Was muß ich tun, damit mein Kind das gesündeste Baby wird, das je geboren wurde?"
Dr. Rogers gestattete sich ein leises Lächeln.
Kapitel 38
Der errechnete Geburtstermin für Sarahs' Baby fiel auf den 31. Juli. Sie würde also noch genug Zeit haben um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die morgendliche Übelkeit verging im Laufe der Zeit und sie legte stetig an Gewicht zu. Ihr Frauenarzt war sehr zufrieden mit ihr. Im großen und ganzen hatte Sarah nur noch drei Sorgen: Ihre Arbeit - die sie nicht verlieren durfte, ihre Eltern - die von der Schwangerschaft noch nichts wußten und Jareth - der wie vom Erdboden verschluckt blieb, egal was sie auch unternahm.
In der Firma verbarg sie ihre Schwangerschaft unter großzügig geschnittenen Blusen und Jacken, bis es einfach zu offensichtlich war, daß diese allmählich anschwellende Wölbung nicht auf zu viele Süßigkeiten zurückgeführt werden konnte. Als der fünfte Monat ihrer Schwangerschaft angebrochen war, nahm sie einen Termin bei ihrem Vorgesetzten, Mr. Shaw, wahr, den sie einige Tage vorher mit seiner Sekretärin verabredet hatte.
"Guten Tag, Mr. Shaw."
"Miss Williams! Aber nehmen Sie doch bitte Platz. Was kann ich für Sie tun?" Mr. Shaw erwiderte ihr offenes Lächeln.
"Mr. Shaw, ich hätte mir keinen offiziellen Termin bei Ihnen geben lassen, wenn es sich nicht um eine besonders delikate Angelegenheit handeln würde," tastete sich Sarah langsam heran.
"Das dachte ich mir bereits, Miss Williams. Ich hoffe, wir stehen nicht kurz vor dem Konkurs?" scherzte er gutgelaunt.
"Nein. Es handelt sich um etwas völlig anderes." Sie machte eine kurze Pause um sich vor der eigentlichen Eröffnung zu sammeln. Sie mochte Mr. Shaw, doch es war nicht vorauszusehen, wie er auf ihre Neuigkeit reagieren würde. "Mr. Shaw, ich bin im fünften Monat schwanger und brauche deshalb Ihre Hilfe."
"M-meine H-hilfe?" Mr. Shaw rang mühsam um Fassung.
"Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich brauche Ihre Hilfe, weil ich es mir nicht leisten kann, meine Arbeit zu verlieren. Sehen Sie, es wird keine Eheschließung zu dieser Schwangerschaft geben." Sie faltete die Hände unbewußt in einer typisch mütterlichen Haltung in ihrem Schoß und blickte ihn abwartend an.
Etwas in ihrer Haltung rührte Mr. Shaw zutiefst. So jung und doch so entschlossen, sich nicht vom Schicksal unterkriegen zu lassen. Eine Idee nahm in seinem Gehirn langsam Gestalt an.
"Ich muß zugeben, ich könnte mir die Abteilung ohne Sie nicht mehr vorstellen. Sie haben in der relativ kurzen Zeit, die Sie nun bei uns sind hervorragende Arbeit geleistet. Ich könnte nur schwer auf Sie verzichten. Ich hätte da eine Idee, die uns beiden entgegenkommen dürfte. Was würden Sie davon halten, wenn wir...." zuerst zögernd, doch dann immer flüssiger legte er ihr seinen Vorschlag dar und Sarah war mehr als glücklich damit.
Abends gönnte sie sich ein großes Stück Schokoladentorte, dicht gefolgt von einigen rohen Karotten, die sie großzügig in Senf tauchte, um diesen phänomenalen Erfolg bei Mr. Shaw zu feiern. Vorausgesetzt, daß die Erde nicht unterging, würde sie sich um ihre finanzielle Zukunft keine Sorgen mehr machen müssen. Erleichtert ließ sie sich auf ihr Sofa sinken und biß krachend in ein Stück Karotte. Gott sei dank sah sie niemand, wenn sie ihren Schwangerschaftsgelüsten frönte. Jareth würde sich wahrscheinlich mit Grausen von ihr abwenden. Es hatte entschieden seine Vorteile, alleine zu leben. Und doch verging kein Tag, an dem sie nicht an Jareth dachte. Ihre Gedanken waren allerdings nur oberflächlicher Natur. Sie konnte den Schmerz nicht ertragen, der entstand, wenn sie ihren Gefühlen zu sehr nachgab. Frisch gestärkt ging sie das zweite Problem auf ihrer Liste an. Sie zog das Telefon zu sich heran um sich bei ihren Eltern für einen Osterbesuch anzumelden.
Die Autofahrt zu ihren Eltern hatte sie doch mehr angestrengt, als sie angenommen hatte. So ließ sie die stürmische Begrüßung ihrer Familie mehr oder weniger regungslos über sich ergehen um kurz darauf erschöpft auf das Wohnzimmersofa zu fallen, mit dem finsteren Entschluß, sich in den nächsten zwei Stunden nicht mehr zu bewegen, komme, was da wolle. Mit einer Handbewegung winkte sie ihre Eltern zu sich.
"Mom, Dad, setzt euch bitte kurz zu mir. Ich habe euch einiges mitzuteilen."
Ihre Mutter folgte Sarahs' Bitte mit gemischten Gefühlen, bei ihrer Begrüßungsumarmung war es ihr fast so vorgekommen, als...
"Da es keinen Zweck hat, lange darum herum zu reden, kann ich es euch genauso gut mit der direkten Methode beibringen: Ich bin im sechsten Monat schwanger und werde nicht heiraten."
Mit einer perversen Freude sah sie zu, wie diese Nachricht auf ihre Eltern wirkte.
Beiden hatte es für die ersten Minuten völlig die Sprache verschlagen. Ihre Mutter war die erste, die sich wieder gefaßt hatte.
"Aber wie..." stotterte sie
"Ach, Mom, *das* weißt du doch," grinste Sarah.
"Sei nicht so frech!" schalt sie automatisch, dann sprang sie plötzlich auf, setzte sich neben Sarah und drückte diese mit den Worten: "Mein armes, armes Kind" an sich. Aus der erdrückenden Umarmung heraus riskierte Sarah einen Blick auf ihren Vater. Er saß immer noch schweigend in seinem Sessel, den Blick nachdenklich nach innen gerichtet. Schließlich richtete er sich langsam auf und pflückte seine Frau von Sarah, die ihm dafür mehr als dankbar war.
"Es sieht so aus, meine Liebe," sagte er zärtlich zu seiner Frau, "als ob wir Großeltern würden."
"Großeltern! Ach du liebe Zeit." Sie lächelte schwach.
"So, Prinzessin!" wandte er sich dann an seine Tochter. "Du hast jetzt deinen Spaß gehabt. Die letzten 100 grauen Haare gehen auf dein Konto. Könntest du uns nun gnädigerweise erklären, wie das alles passiert ist?" Seine Worte klangen streng, aber seine Augen konnten ein Zwinkern nicht unterdrücken. Immerhin hatte sich ihre Mutter wieder einigermaßen beruhigt.
"Komm, setz' dich wieder hin. Vielleicht ist ja alles gar nicht so schlimm," riet Sarahs' Vater seiner Frau.
"Nicht so schlimm? Robert, das ist doch dummes Zeug. Was könnte eine Schwangerschaft weniger schlimm machen? Noch dazu eine uneheliche?"
"Wenn wir Sarah nicht zu Wort kommen lassen, werden wir es nie erfahren," erwiderte ihr Mann lakonisch.
"Danke, Dad," sagte Sarah. Es war erstaunlich, wie schnell ihr Vater sich mit der Situation abgefunden hatte. Ihre Mutter hingegen... nun eigentlich hatte sie ja nichts anderes erwartet.
"Ich habe vor einigen Jahren einen Mann kennengelernt. Wir haben uns in Phoenix sehr oft getroffen. Er ist der Vater der Kindes."
Mit einem Seitenblick sah sie, daß ihr Vater wie zur Bestätigung kurz genickt hatte. Er erinnerte sich also noch an ihr Gespräch. Ihre Mutter hingegen hatte offensichtlich keine Ahnung.
"Warum willst du ihn denn nicht heiraten?" fragte sie.
"Mom, es geht nicht ums wollen, sondern ums können."
"Ist er womöglich schon verheiratet?" hakte ihre Mutter nach.
"Nein, Mom. Das ist es auch nicht. Wir können eben nicht heiraten und damit basta." Aus einem ihr selbst unerklärlichen Grund hatte sich Sarah dagegen entschieden ihren Eltern die Spionagegeschichte aufzutischen, mit der sie alle anderen abgespeist hatte. Sie hatte vorgehabt, ihnen die unverfänglichen Details zu erzählen und den Rest einfach zu verschweigen. Sie hatte aber nicht gedacht, daß das so schwierig werden würde.
"Und wer ist dieser Kerl?" wollte nun ihr Vater wissen.
"Auch das kann ich euch nicht sagen," sagte Sarah mit trotziger Miene.
"Warum kannst du uns das nicht sagen?" stocherte ihre Mutter. "Was stimmt nicht mit ihm. Ist er womöglich ein Verbrecher?" Entsetzt über ihre eigene Vermutung legte sie die Hand vor den Mund.
"Nein. Nichts dergleichen. Mit ihm ist alles in Ordnung und mit mir ist alles in Ordnung. Könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?!"
Fast zwei Stunden lang bettelten, tobten, schrien und schmeichelten ihre Eltern, um hinter das Geheimnis von Sarahs' Schwangerschaft zu kommen. Doch Sarah blieb hart. Sie war von der Streiterei zwar genauso erschöpft wie ihre Eltern, aber ihr angeborener Dickkopf bewahrte sie davor zu früh die Segel zu streichen.
Es war ihr Vater der schließlich einlenkte.
"Laß' es gut sein. Wir werden uns wohl damit abfinden müssen," sagte er resigniert zu seiner Frau.
Der Blick, den sie daraufhin ihrer Tochter zuwarf war unergründlich, doch schließlich gab sie durch einen Seufzer zu verstehen, daß sie sich ebenfalls geschlagen gab.
"Also schön, mein Kleines. Behalte dein Geheimnis für dich, solange du magst. Aber wie hast du dir denn vorgestellt, wie es jetzt mit dir und dem Baby weitergehen soll?"
"Ich habe bereits mit meinem Chef alles besprochen. Er hält glücklicherweise große Stücke auf mich und wird alles regeln, wenn es soweit ist," äußerte Sarah stolz. "Für den Anfang werden wir eine Vereinbarung über einen Telearbeitsplatz treffen und wenn das Kind größer ist, hat er mir versprochen, eine annehmbare Regelung für mich zu treffen."
"Hoffen wir, daß er sich auch daran hält," brummte ihr Vater, aber sein Blick sagte Sarah, daß er die Zukunft seiner Tochter nicht mehr in den düstersten Farben betrachtete.
"Kleines, du weißt, daß du dich jederzeit an uns wenden kannst. Wir haben immer einen Platz für dich," versicherte ihre Mutter.
"Danke Mom." Sarah blinzelte, um die aufsteigenden Tränen der Rührung zu unterdrücken.
In diesem Moment betrat Toby, von einem Besuch bei seinem besten Freund zurückgekehrt, das Wohnzimmer und stürzte sich voll Wiedersehensfreude auf seine große Schwester.
"Sarah!!"
"Vorsicht, du kleiner Wirbelwind!" wehrte ihn Sarah lachend ab. "In Zukunft mußt du ein bißchen besser aufpassen, wohin du trittst."
"Wieso das denn?" fragte er verdutzt zurück und lockerte seine affenartige Umklammerung, in der er Sarah gefangen hielt.
"Sarah bekommt ein Kind," erklärte ihre Mutter nachsichtig.
"Woah! Ich werde Onkel, ich werde Onkel!" Er sprang vom Sofa herunter und führte einen wahren Indianertanz auf. "Damit schlage ich sie alle! Keiner aus meiner Klasse ist schon Onkel!!" Wie ein Blitz war er wieder auf dem Sofa. "Wann ist es denn soweit? Wann, wann, wann?"
"Ende Juli, du kleiner Teufel." Sarah zerzauste ihm liebevoll die Haare.
"Was? So lange noch?" Bestürzung malte sich auf sein junges Gesicht. "So ein Mist," fluchte er unzufrieden.
Nach dieser Feststellung konnte Sarah die restlichen Feiertage in einem harmonischen Elternhaus genießen. Sie führte endlose "Mutter-Tochter-Gespräche" und auch einige "Vater-Tochter-Gespräche". Obwohl es wundervoll war, sich wieder so richtig von den Eltern und neuerdings auch von Toby, verwöhnen zu lassen, freute sie sich doch wieder auf ihre eigene kleine Wohnung. Es gab ja noch so viel zu tun!
Bei Mr. Shaw unterschrieb sie einen neuen Arbeitsvertrag, der ihre besondere Situation angemessen berücksichtigte, gemeinsam mit Tess kaufte sie ihre Baby-Ausstattung ein, bei ihrer Hausverwaltungsgesellschaft reichte sie ein Gesuch ein, ob sie die benachbarte zwei-Zimmer-Wohnung und ihre eigene Mietwohnung käuflich erwerben könnte, mit ihrem Arzt wählte sie ein Krankenhaus für die Entbindung aus und in jeder freien Minute machte sie Schwangerschaftsgymnastik. Im Prinzip war sie rundum glücklich. Doch manchmal wachte sie mitten in der Nacht auf, weil das Kind sie getreten hatte. Dann flüsterte sie unter Tränen: "Jareth, wo bist du?"
Eine gute Woche vor dem errechneten Geburtstermin hielten Sarahs' Eltern es nicht mehr zu Hause aus und fuhren nach Phoenix. Da die Sommerferien bereits begonnen hatten, war auch Toby mit von der Partie. Sarah hatte, da ihre Familie in einem Hotel wohnen würde, nichts gegen diesen Besuch. Im Gegenteil! Seit der letzte Schwangerschaftsmonat angebrochen war, ging sie nicht mehr zur Arbeit und langweilte sich trotz Tess' häufiger Telefonate, die sich samt und sonders um deren baldige Hochzeit mit Henry drehten. Tess hatte Sarah inständig gebeten ihre Brautjungfer zu sein - Bauch hin, Bauch her - doch der Hochzeitstermin war bereits in drei Wochen und Sarah hatte den leisen Verdacht, daß sie an diesem Tag todsicher im Krankenhaus liegen würde. Abgesehen davon verfiel sie immer mehr dem Glauben, daß sie kein Baby, sondern einen Rekord-Kürbis austrug. Sie wurde zusehends unbeweglicher und fühlte sich aufgrund der Sommerhitze zunehmend unbehaglicher. Ihr Arzt nahm ihre Beschwerden gelassen entgegen und riet ihr dann lakonisch, sie solle heiße Bäder nehmen, das würde manchmal die Geburt beschleunigen.
"Heiße Bäder!" beschwerte sich Sarah gleich nach der Begrüßung bei ihrer Mutter. "Dieser Mann muß verrückt geworden sein! Heiße Bäder bei diesem Wetter - ich bitte dich!"
"Nun reg' dich doch nicht so auf, Kindchen. Es sind doch nur noch zwei Wochen," versuchte ihre Mutter sie zu beruhigen.
"Zwei Wochen - schön wär's. Ich glaube nicht, daß dieser Kürbis je schlüpft," brummelte Sarah.
Doch zur Überraschung aller setzten die Wehen pünktlich zum errechneten Termin im Morgengrauen ein und bereits fünf Stunden später hielt Sarah ihr Baby in den Händen. So leicht die Empfängnis gewesen war, so schwer hatte sie die Mühen der Geburt ohne Jareths Beistand empfunden - und doch war alles in dem einzigartigen Augenblick vergessen, in dem Dr. Rogers sagte: "Ich gratuliere! Es ist ein Mädchen!" und ihr ein kleines, glitschiges, schreiendes Bündel auf den Bauch legte. Fassungslos vor Glück murmelte Sarah immer wieder: "Meine Tochter. Meine wundervolle kleine Tochter", während ihr Freudentränen die Wangen hinab liefen.
Drei Tage später hatte sie schon jede Menge Gratulationsbesuche und Geschenke erhalten, aber der eine Besuch auf den sie insgeheim und mit wehem Herzen gewartet hatte war nicht gekommen. Dabei wurden die Behörden langsam ungeduldig, weil sie immer noch keinen Namen für ihre kleine Tochter angegeben hatte. Wie gerne hätte sie mit Jareth gemeinsam einen Namen ausgesucht. Sie seufzte melancholisch. So wie es aussah, mußte sie fürs Erste wohl tatsächlich eine alleinerziehende Mutter sein. Doch sie war fest entschlossen, die Hoffnung nicht aufzugeben, daß er eines Tages wieder bei ihr und ihrer Tochter sein würde. Bis dahin mußte sie eben versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen und dazu gehörte im Moment eben auch, alleine einen Namen für das Baby zu bestimmen. Sarah hatte flüchtig an Jaretha gedacht, den Gedanken aber sogleich kopfschüttelnd von sich gewiesen. Das arme Mädchen sollte in der Schule nicht wegen ihres Namens ausgelacht werden. In der Schule... Sarah ließ sich die Worte auf der Zunge zergehen. Wie lange würde sie ohne Jareth leben müssen? Und wenn er wieder kam - wie sollte ihr Leben dann weitergehen? Unschlüssig wog sie die Möglichkeiten gegeneinander ab ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Schließlich entschied sie, sich über derlei Fragen erst den Kopf zu zerbrechen, wenn es tatsächlich soweit war und daß ihre Tochter Jasmina heißen sollte.
Kapitel 39
Von dem Moment an, in dem Jareth sein Herrschaftsgebiet erreicht hatte, tobte um ihn herum ein unvorstellbares Chaos. Er war immer noch in Eulengestalt und schwebte über seinem Reich. Fassungslos mußte er seine ganze Kraft aufbringen um sicher sein Schloß zu erreichen. Die Elemente waren wie entfesselt. Obwohl es schon lange nach Sonnenaufgang war, hüllte sich der Himmel in undurchdringliche Finsternis, die lediglich durch wild zuckende Blitze erhellt wurde. Sturmwinde fegten über die Wälder und Täler. Trotz der Gefahr, von einem der Blitze getroffen zu werden, flog Jareth eine große Schleife über sein Labyrinth, um sich ein möglichst genaues Bild von der Lage zu machen. Worte wie Götterdämmerung und Weltuntergang rasten durch seinen Kopf als er das Ausmaß der Schäden erkannte. Dies waren nicht die üblichen Kleinigkeiten, die sich ereigneten, wenn er für längere Zeit bei Sarah gewesen war. Es war sogar schlimmer als die Katastrophe, die passiert war, als er damals von Sarah besiegt worden war. Dies war etwas völlig anderes. Er brauchte nur kurze Zeit um zu begreifen, was hier gerade geschah: sein Reich fing an sich aufzulösen!
Ein Zweifel war ausgeschlossen. Außerhalb den engen Grenzen des Labyrinths konnte er bereits nichts mehr erkennen. Noch während er über den äußeren Mauern kreiste, lösten sich diese vor seinen Augen in Nichts auf und verschmolzen mit der undurchdringlichen Finsternis. Er spürte eine merkwürdige Schwäche in sich aufsteigen. In höchster Eile flog er nun seinem Schloß entgegen. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Auf dem kurzen Flug dorthin nahm er unter sich flüchtig eingestürzte Mauern und entwurzelte Bäume wahr über die der nun heftig einsetzende Regen peitschte. Mit Müh und Not erreichte er eines der unteren Turmfenster. Schnell flog er hindurch und ebenso schnell verwandelte er sich in seine menschliche Gestalt zurück. Wie von tausend Furien gehetzt rannte er die letzten Treppen hinauf bis in das oberste Turmzimmer. Sein Herz klopfte, als wollte es in seiner Brust zerspringen, auf seiner Stirn bildete sich kalter Schweiß.
"Sei ein König", sagte er zu sich selbst. "Sei ein König." Er holte ein letztes Mal tief Luft und formte in seinen Händen eine große Kristallkugel. Er schluckte hart, denn die Kugel war pechschwarz und genauso undurchdringlich wie die Dunkelheit die sein Reich verfinsterte und aufzulösen drohte. Jareth nahm all seine Konzentration, all seine Kraft und all seine Magie zusammen und lenkte sie auf die Kristallkugel, die in seinen Händen zitterte wie etwas Lebendiges. Er wußte nicht, wie lange er schon so gestanden hatte, mit ausgestreckten Händen den Kristall haltend. Er wußte auch nicht, wie lange es noch dauern würde, er wußte nur, daß dies die einzige Möglichkeit war sein Reich und damit sich selbst vor dem sicheren Untergang zu bewahren. Endlich lichtete sich das Schwarz der Kristallkugel und zerfloß in eine mattgraue Färbung. Der König gestattete sich einen Seufzer der Erleichterung, bevor er fortfuhr seine ganze Energie in den Kristall zu leiten. Er konnte nur hoffen, daß ihn seine Kräfte nicht vorzeitig verließen, denn dann wäre alles verloren.
Ein letzter Regentropfen zerplatzte auf dem Schnabel des Vogels.
"Meine Güte, so ein Sauwetter!" kreischte er.
"Sei endlich still, Basilius!" wies ihn Darius ärgerlich zurecht. "Hilf mir lieber, wir müssen unbedingt den König finden." So rasch es ging schritt der alte Mann durch das Schloßtor. "Er muß hier irgendwo sein."
Es war schon unendlich lange her, daß er das letzte Mal das Schloß betreten hatte, doch er fand sich noch immer gut zurecht. Als er den Thronsaal erreicht hatte, war er allerdings schon ziemlich außer Atem. Erschöpft wischte er sich über die Stirn. Hier war der König also auch nicht.
"Junge, Junge, du keuchst nicht schlecht", spöttelte sein Hut.
Darius öffnete gerade den Mund um seinen vorlauten Hut erneut zurechtzuweisen, als er vom Eingang her ein Geräusch vernahm. Humpelnd drehte er sich um und sah Hoggle, der wie angewurzelt in dem Eingang zum Thronsaal stand.
"Ah, du bist es. Hoggle, nicht wahr?" sprach Darius den verwirrten Zwerg an. "Du kommst mir wie gerufen. Rasch, hilf mir den König zu finden."
"Wieso das denn?"
"Er wird unsere Hilfe brauchen. Los, frag nicht so viel. Lauf! Er wird wahrscheinlich in einem der Turmzimmer sein."
Hoggle rannte also los. Unterwegs fragte er sich, was er hier eigentlich tat. Er wußte selbst nicht so genau, warum er nach dem Unwetter ins Schloß gegangen war, aber bestimmt nicht, um seine Majestät zu suchen. Da war er sich sicher. Oder nicht? Auf jeden Fall war alles sehr verwirrend. Er verstand auch nicht, warum der alte Mann plötzlich so wache Augen hatte und so energisch war. Das letzte Mal als er ihn gesehen hatte, hatte er auf ihn den üblichen vertrottelten Eindruck gemacht. Eifrig nahm der die Stufen, die zu den Turmzimmern führten. Hinter sich hörte er den alten Mann die Treppen hinaufkeuchen, während sein Hut - oder war es eher sein Vogel? - äußerst unmelodisch eine Melodie vor sich hinsummte.
"La cucaracha, la cucaracha, la la la la la...", krächzte Basilius mit wachsender Begeisterung. Das Echo in diesem Turm war aber auch klasse!
"Wie kannst du in einem solchen Moment singen?" schimpfte der alte Mann.
"Ich laaaaangweile mich", maulte der Vogel.
"Eines Tages werde ich dir doch noch den Hals umdrehen!"
"Pustekuchen! Dann hättest du nämlich keinen Hut mehr und dann würdest du dich ganz schön erkälten", bemerkte der Vogel süffisant.
Hoggle hatte mit halbem Ohr den Zänkereien der beiden gelauscht und war mittlerweile beim obersten Turmzimmer angekommen, nachdem in den anderen Räumen keine Spur von ihrem König gewesen war. Hoggle öffnete die Tür und blieb zum zweitenmal an diesem Tag wie angewurzelt stehen. Vor ihm auf dem Boden lag seine Majestät der Koboldkönig. Die untergehende Sonne warf einen letzten Strahl in diesen Raum und fing sich in seinen langen blonden Haaren. Er lag da wie tot. Die Augen geschlossen, die Haut von tödlicher Blässe, die Finger immer noch um eine Kristallkugel gekrampft, die so klar und rein war, daß ihre Durchsichtigkeit unendlich zu sein schien.
"Ach herrje!" japste Hoggle erschrocken.
Darius hatte diesen Ausruf gehört und beschleunigte seine Schritte so gut es eben ging und stand gleich darauf völlig außer Atem hinter Hoggle. Mit zwei raschen Schritten war er bei dem leblosen Körper des Königs und fühlte an einem erschreckend weißen und schmalen Handgelenk nach dem Puls.
"Ist... ist er tot?" flüsterte Hoggle, als er die Sprache wiedergefunden hatte.
"Nein. Gott sei Dank." Sachte legte Darius den Arm zurück. "Aber sein Zustand ist ernst. Wir müssen ihn sofort zu Bett bringen. Hier kann ich mich nicht um ihn kümmern."
Mittels einer ausgehängten Tür gelang es den beiden schließlich mehr schlecht als recht, den König auf sein Zimmer und in sein Bett zu bugsieren. Hoggle mühte sich nun damit ab, den immer noch bewußtlosen König in ein Nachthemd zu kleiden, während Darius davongeeilt war um Medizin und andere Utensilien, die er für die Pflege des Königs brauchen würde zu holen.
Es war schon tiefe Nacht, als sich beide endlich ein wenig Ruhe gönnten. Basilius schlief schon eine ganze Weile und schnarchte ab und zu im Schlaf.
"Hoggle, ich danke dir. Ohne dich hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft. Ich bin leider nicht mehr der Jüngste", sagte Darius nachdenklich. "Ich hoffe darauf, daß du mir auch weiterhin bei der Pflege des Königs helfen wirst. Ich möchte mich dabei nicht unbedingt auf die Kobolde verlassen müssen."
Hoggle wollte schon damit herausplatzen, daß er nicht im Traum daran denke, bei der Pflege dieses Leuteschinders zu helfen und daß er sowieso nicht wüßte, was da in ihn gefahren wäre, heute hier aufzukreuzen. Doch dann fiel ihm ein, daß Jareth gesagt hatte, er und Sarah würden sich lieben. Und dann dachte er an die Freundschaft die ihn mit Sarah verband und was Sarah sagen würde wenn sie erfahren würde, daß er sich geweigert hatte... Nein. Das war gar nicht gut. Also seufzte er und sagte schicksalsergeben: "Na gut, einverstanden. Ich werde euch helfen ihn wieder auf die Beine zu kriegen."
Und Darius lächelte.
Mehrere Tage lang war Jareths Zustand äußerst kritisch. Er hatte hohes Fieber und war immer noch bewußtlos. Sein schlanker Körper magerte zusehends ab und Darius fürchtete bereits, daß der König dem Tode näher wäre als dem Leben. Doch nach einigen bangen Tagen und Nächten wirkte die Medizin, die Darius ihm regelmäßig einflößte und das Fieber sank ein wenig. Nach zwei Wochen kam es nochmals zu einem schweren Rückfall mit hohem Fieber doch danach brach der König endlich in Schweiß aus und Darius atmete erleichtert auf. Das schlimmste war überstanden. Der König bekam kein Fieber mehr, doch er erwachte immer noch nicht aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit. Darius hätte auch dafür ein Mittel gehabt, doch er scheute davor zurück es auch anzuwenden. Der Körper des Königs brauchte immer noch sehr viel Ruhe, es war nicht klug, ihn vorzeitig zu stören. Bei einer der langen Nachtwachen bemerkte Darius eine Veränderung an seinem Patienten. Besorgt fühlte er den Puls und beobachtete die Pupillenbewegung unter den Augenlidern. Hoggle hatte im Nebenzimmer geschlafen doch sein Schlaf war leicht und eine unbestimmte Ahnung hatte ihn geweckt. Als Darius seinen Blick von seinem Patienten löste sah er Hoggle neben sich stehen.
"Was ist mit ihm?" Unbehaglich trat Hoggle von einem Fuß auf den anderen.
"Es geht ihm jetzt besser", flüsterte Darius. "Er schläft jetzt."
Seit dieser Nacht hielten Hoggle und Darius einen Trank bereit, den der König zu sich nehmen sollte, sobald er erwachen würde. Doch es dauerte noch mehrere Tage, bis dieses ungeduldig erwartete Ereignis eintrat.
Jareth fühlte sich einfach beschissen. Er fand in seinem schmerzenden Kopf einfach kein anderes Wort dafür. Mühsam öffnete er die Augen. Mein Gott! Seine Lider fühlten sich an, als wögen sie eine Tonne. Was war nur los mit ihm? Er versuchte sich zu erinnern, doch die Anstrengung war zuviel für ihn. Er stöhnte und schaffte es schließlich doch, ein wenig durch seine Wimpern zu blinzeln. Jemand stand vor ihm - es war... verdammt, wie hieß er doch gleich... Darius! Ja, Darius. Was zum Teufel hatte der hier verloren? Und warum nur hatte er so gräßliche Kopfschmerzen?
"Hier, trinkt das, Majestät." Darius hielt ihm ein Glas mit einer trüben Flüssigkeit an die Lippen.
Jareth merkte, daß er schrecklichen Durst hatte und schluckte die Hälfte der Flüssigkeit. Pfui Teufel, was war das für ein Gesöff? Wollte Darius ihn vergiften? Er wollte noch fragen, was eigentlich mit ihm los war, aber bevor er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, war er auch schon wieder eingeschlafen.
Als er das nächste Mal wieder zu sich kam, fühlte er sich ein wenig besser. Zwar wogen seine Augenlider immer noch eine Tonne, doch er konnte sie immerhin ganz öffnen. Seine Kopfschmerzen brachten ihn zwar immer noch um, doch er erkannte Darius diese Mal auf Anhieb.
"Darius, was ist los mit mir?" Jareth brachte trotz aller Anstrengung nur ein heiseres Flüstern zustande und das erschreckte ihn viel mehr als alle seine Schmerzen.
"Regt Euch nicht auf, Majestät. Trinkt noch ein wenig von der Medizin. Sie wird Euch gut tun."
Jareth war viel zu schwach und zu verwirrt, um mit Darius über Medizin zu streiten, so schluckte er gehorsam die bittere Flüssigkeit. Aus den nebelhaften Erinnerungen drängte sich eine empor.
"Sarah", murmelte er noch und versank augenblicklich wieder in einen erholsamen Schlaf.
Doch schließlich fand auch dieser Schlaf ein Ende und Jareth wachte eines Morgens auf. Die Sonne schien in sein Zimmer und Jareth wollte gerade die Decke zurückschlagen um sein Bett zu verlassen, da betrat Darius das Zimmer.
"Aber Majestät! Ihr dürft noch nicht aufstehen." Eilig humpelte der alte Mann zum Bett um Jareth zurückzuhalten, doch der hatte bereits gemerkt, daß er kränker war, als er gedacht hatte. Er hatte nicht einmal genug Kraft gehabt um seinen Arm unter der Bettdecke zu bewegen. Unsicher blickte er zu Darius auf.
"Was ist los mit mir?"
"Könnt ihr Euch an gar nichts mehr erinnern, Eure Majestät?"
"Nein." Jareth dachte angestrengt nach. "Nicht wirklich... Oh doch! Dieses Unwetter - das Turmzimmer - der Kristall! Und... und Sarah! Oh mein Gott!"
"Beruhigt Euch. Es ist weiter nichts geschehen. Ihr habt das Reich gerettet", sagte der alte Mann sanft.
"Sarah! Ich muß sofort zu ihr! Wie lange liege ich hier schon?!"
"Ihr wart viele Tage bewußtlos", sagte der alte Mann diplomatisch. "Aber ihr könnt jetzt trotzdem nicht zu diesem Mädchen."
"Das versteht ihr nicht! Ich muß sie sehen! Sie wird sich schreckliche Sorgen machen!"
"Trotzdem kann ich es nicht erlauben. Laßt es mich erklären, Majestät. Ihr habt bei der Wiederherstellung des Reiches Eure ganze Kraft verbraucht. Ihr dürft Eure Magie deshalb so lange nicht anwenden bis ihr wieder ganz gesund seit. Und da ihr mit diesem Mädchen nicht anders in Kontakt treten könnt, als mit magischen Fähigkeiten, kann ich es Euch wirklich nicht gestatten. Ihr würdet dabei Euer Leben aufs Spiel setzten."
Darius hatte langsam und eindringlich gesprochen und langsam dämmerte es Jareth, wie ernst seine augenblickliche Lage tatsächlich war und welch großes Glück er gehabt haben mußte. Seine Nerven beruhigten sich wieder und sein gehetzter Blick verschwand. Es war bitter, daß er Sarah über seinen Verbleib im Ungewissen lassen mußte, aber im Moment nicht zu ändern.
"Ich erinnere mich wieder... der Kristall war schwarz wie die Nacht. Ich habe alle Energie in ihn fließen lassen und er wurde heller... dann weiß ich nichts mehr." Er richtete seinen Blick fragend auf Darius.
"Der Kristall ist hier. Urteilt selbst." Mit diesen Worten hob Darius den Kristall in Jareths Blickfeld der ihn lange ohne ein Wort betrachtete.
"Schön", flüsterte er schließlich und seine Gesichtszüge entspannten sich. "Es besteht also keine Gefahr mehr?"
"Keine Gefahr. Das Reich hat sich wieder regeneriert und gefestigt. Wir alle sind Euch zu großem Dank verpflichtet, Eure Majestät. Ihr habt uns vor dem sicheren Untergang bewahrt."
Jareth lächelte schwach. "Ja, mir scheint nur, daß ich ein kleines bißchen darunter gelitten habe."
"Das ist weiter kein Wunder. Wir fanden Euch bewußtlos in dem Turmzimmer, die Kristallkugel hieltet ihr noch umklammert. Wir brachten Euch in Euer Zimmer und..."
"... und habt mich mit widerlicher Medizin vollgestopft", unterbrach der König ihn mit einem boshaften Lächeln.
"Immerhin hat diese Medizin Euch am Leben erhalten. Eine ganze Zeitlang stand Euer Leben auf Messers Schneide", fuhr Darius ernst fort. "Doch jetzt wage ich zu behaupten, daß ihr an nichts mehr leidet, was nicht Bettruhe und gute Pflege heilen könnte."
"Na, ich weiß nicht", zweifelte Jareth. "Ich fühle mich, wie wenn eine Steinlawine über mich hinweggerollt wäre und kein einziger Knochen in meinem ganzen Körper heilgeblieben wäre."
"Das wird vergehen", tröstete der alte Mann. "Ich werde Euch noch etwas Medizin gegen die Schmerzen geben." Darius wandte sich ab, um auf dem Nachttisch das richtige Fläschchen herauszusuchen und Jareth grübelte über eine Äußerung nach, die ihm komisch vorgekommen war.
"Ihr habt vorhin gesagt ´Wir fanden Euch´. Ihr wart also nicht allein?"
"Nein, ich hatte sehr wertvolle Hilfe." Darius hob lauschend den Kopf. "Ah, da kommt er ja gerade. Hoggle, wir sprachen gerade davon, was für eine große Hilfe du für mich warst."
Hoggle kam mit einem frischen Stapel Wäsche durch die Tür und musterte den König halb ängstlich, halb herausfordernd.
"Ach", sagte Jareth schwach, da er zu mehr nicht fähig war. Dann, als der Gesichtsausdruck des Zwerges wechselte und eindeutig mitleidig wurde, fühlte sich Jareth so elend wie in seinem ganzen Leben nicht und schluckte fügsam die Medizin die ihm Darius reichte.
Hoggle war von seiner mitleidigen Regung selbst überrascht, doch als er den König wieder bei Bewußtsein fand und dieser immer noch so totenbleich und schwach in seinem Bett lag, da war es einfach über ihn gekommen. Irgendwie hatte Hoggle gedacht, daß der König, sobald er wieder wach war, gleich wieder gesund und genauso boshaft sein würde wie früher. Mit einem kränklichen und schwachen König hatte er einfach nicht gerechnet und deshalb empfand er Mitleid.
Darius beobachtete die Genesungsfortschritte des Königs in den folgenden Tagen mit Argusaugen. Als er sicher war, daß bei entsprechender Schonung kein Rückfall zu erwarten war, sagte er dies seinem Patienten auch.
"Es geht bergauf mit Euch, Eure Majestät."
"Ach ja? Ich wünschte, ich könnte Euch glauben. Ich habe gerade genug Kraft um meinen Arm zu heben."
"Vertraut mir", erwiderte Darius. "Es ist nun nicht mehr notwendig, daß ich Tag und Nacht bei Euch bin. Ich werde jeden Tag um die Mittagszeit nach Euch sehen. Den Rest des Tages wird Euch Hoggle als Pfleger gute Dienste leisten."
"Wenn es Eurer Majestät genehm ist", brummelte Hoggle, der gerade die Kissen aufschüttelte, nicht gerade begeistert. Allein mit dem König! Na, das konnte ja etwas werden. Doch wenn es darauf ankam, dann konnten sich der König und auch Sarah auf ihn verlassen. Er würde den König gesund pflegen und wenn es ihn umbringen würde!
"Ja, es ist mir durchaus genehm", äußerte Jareth nicht gerade freudig erregt. Doch er war immer noch zu schlapp um mit irgend jemand und sei es auch nur mit Hoggle, zu streiten. So ergab er sich in sein Schicksal.
Jareth erholte sich nicht so schnell, wie er es sich gewünscht hätte. Doch zu Hoggles Verwunderung war er ein durchaus gefügiger und angenehmer Patient. Er schlief viel, aß was man ihm vorsetzte, schluckte die Medizin, die man ihm verabreichte und starrte ansonsten nachdenklich auf Sarahs Portrait. Das alles tat er, ohne je die Fassung oder ein überflüssiges Wort zu verlieren.
Darius war sehr zufrieden mit ihm. Dennoch hätte er sich gewünscht, daß der König seine Kräfte schneller zurückerlangen möge. Da dies allerdings nicht der Fall war, machte er sich insgeheim wieder Sorgen und beschloß daher nun einen anderen Weg bei der Behandlung einzuschlagen.
So befahl er Hoggle eines Morgens, er solle zwei bequeme Stühle an das offene Fenster im Studierzimmer seiner Majestät stellen und begrüßte den König mit der Aufforderung, er möge ruhig aufstehen und sich zu ihm setzen.
"Aufstehen? Ich soll wirklich aufstehen?"
Darius ließ sich nicht anmerken, daß ihn der Zweifel und die Unsicherheit in Jareths Stimme beunruhigt hatten. "Und ob. Es ist wirklich an der Zeit, Eure Majestät", entgegnete er streng. "Wenn ihr Euch noch zu schwach fühlt, dann nehmt diesen Stock zur Hilfe. Hoggle wird Euch in Euren Morgenmantel helfen." Mit diesen Worten ging Darius wieder in das angrenzende Zimmer, setzte sich auf einen der Stühle und wartete.
Jareth hatte sich inzwischen aufgesetzt und seine Füße aus dem Bett geschwungen. Hoggle war hinter ihm auf das Bett geklettert und half ihm nun in seinen Morgenmantel aus weinrotem Samt. Jareth registrierte, wie dünn seine Beine und Arme durch die lange Bettruhe geworden waren und seufzte leise auf. Mutlosigkeit drohte ihn zu übermannen.
"Darius wartet auf Euch, Eure Majestät", sagte Hoggle leise und kletterte wieder von dem Bett herunter.
Jareth nickte. Langsam stand er auf und stützte sich dabei dankbar auf den Stock. Schließlich stand er und Hoggle konnte den Morgenmantel schließen. Jareth sah für seine Begriffe immer noch sehr schmal, blaß und zerbrechlich aus. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, doch Schritt für Schritt bewältigte er mit Hilfe des Stockes und zusammengebissenen Zähnen die Strecke bis zu dem für ihn bereitgestellten Stuhl. Erschöpft und ausgepumpt ließ er sich darauf sinken und versuchte erfolglos, das durch die ungewohnte Anstrengung verursachte Zittern seiner Knie zu unterdrücken.
Darius sah das alles und nickte ihm nach einer Weile wohlwollend zu. Jareth schenkte ihm statt einer Antwort ein schiefes Lächeln und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
"Wie konnte das eigentlich alles geschehen?" fragte Jareth nach einer Weile nachdenklich. "Ich habe lange darüber nachgedacht, aber ich kann es mir einfach nicht erklären."
Darius wiegte bedächtig den Kopf, wodurch sich Basilius in der Betrachtung des Bücherregals gestört fühlte.
"He! Sind wir hier auf einem Karussell? Wackel gefälligst nicht so!"
"Es hängt wohl mit Eurer Abwesenheit zusammen", fuhr Darius unbeeindruckt fort.
"Da habt Ihr sicher recht, Darius", sagte Jareth in einem heldenhaften Versuch, den Vogel ebenfalls zu ignorieren. "Ich kann es mir dennoch nicht erklären. Es war nicht das erste Mal, daß ich abwesend war und noch nie hat es derartige Auswirkungen gehabt. Die Schäden, die sonst entstanden sind, waren nicht der Rede wert und wurden jedesmal durch meine reine Anwesenheit wieder behoben."
"Es gibt da noch eine andere Theorie", sagte Darius langsam. "Wenn ein König in einer anderen Welt einen Teil von sich zurückläßt, kann es unter Umständen zu solchen Untergangs-Szenarien kommen."
"Einen Teil von sich?" fragte Jareth verblüfft. "Ach so! Haare, Fingernägel und so weiter."
Darius nickte. "Oder bei einem Kampf auch ganze Gliedmaßen. Euch ist nicht bewußt, daß Ihr etwas dergleichen in der anderen Welt zurückgelassen habt?"
Jareth verfiel in dumpfes Brüten. In Gedanken ging er Schritt für Schritt jede seiner Aktionen dieser letzten Nacht noch einmal durch. Im fiel absolut nichts ein. Resigniert wollte er schon den Kopf schütteln, da bemerkte Darius zu seinem Erstaunen, wie eine leichte Röte das Gesicht seiner Majestät überzog und er betont beiläufig fragte: "Gilt das Gleiche auch für den Verlust von... äh... Körperflüssigkeiten?"
"Körperflüssigkeiten?" fragte der alte Mann zurück.
"Naja, Tränen oder Blut oder so..." äußerte Jareth vage und sah aus dem Fenster.
"Ja, ich denke, daß dafür das Gleiche gilt."
Jareth rutschte auf seinem Sessel unbehaglich hin und her. Dies war eigentlich kein Thema, das er in dieser Runde zu diskutieren wünschte.
"Wenn das so ist, dann schätze ich, daß ich weiß, wie es zu dieser ganzen Sache kommen konnte." Er versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen, aber es war ihm immer noch nicht möglich, seinen Blick von dem Fenster zu lösen.
Darius verstand nun gar nichts mehr.
"Tatsächlich? Aber ich verstehe nicht, wie... Wie meint Ihr das?"
Der Vogel hatte die Unterhaltung aufmerksam verfolgt und brach nun in ein schrill pfeifendes Gelächter aus.
"Erde an Darius! Erde an Darius! Kapierst du's denn nicht? Hah! Ich lach mich tot!"
"Könntest du bitte etwas präziser werden?" Darius war über die Unterbrechung ärgerlich geworden. Dieser Vogel hatte einfach keinen Benimm.
"Mann! So verkalkt kann man doch gar nicht sein", spöttelte der Vogel. "Unser Junge hier hat den horizontalen Mambo getanzt." Gespannt schielte der Vogel nach unten.
"Du meinst..." Darius dämmert die Wahrheit.
"Gong! Bingo! Der Kandidat hat hundert Punkte."
Darius riß die Augen auf. "Ist das wahr? Ihr... Ihr habt..." Ihm fehlten die Worte.
Jareth wich verlegen seinen Blicken aus.
"Ja, es ist wahr", äußerte er beinahe trotzig. Dieser Vogel war entschieden zu vorlaut. "Ich habe auf der Erde etwas Sperma verloren."
Darius holte tief Luft, der Vogel kicherte lautlos in sich hinein und Jareth wünschte sich in diesem Moment weit, weit fort.
Sie gaben sich mit der Erklärung zufrieden, daß der Verlust dieser besonderen Körperflüssigkeit der Auslöser für die Katastrophe gewesen war. Was Darius und besonders Jareth bis zu diesem Augenblick nicht wußten: Jareth hatte etwas viel Wesentlicheres auf der Erde zurückgelassen.
Seine Tochter!
"I'll be there for you"
Kapitel 40
Jareths Genesung machte langsame, aber stetige Fortschritte. Zu seinem Verdruß war er sehr lange auf seinen Stock angewiesen, wenn er weiter gehen wollte als zwei oder drei Schritte. Seine magischen Kräfte stellten sich hingegen schon recht bald wieder ein, aber auf den Rat von Darius hin benutzte der König der Kobolde diese bis auf weiteres nicht. Erst als er sich wirklich wieder gut fühlte, er auf den Stock verzichten konnte und Darius ihn für geradezu unverschämt gesund erklärte, begann er mit Übungen um seine magischen Kräfte wieder voll nutzen zu können. Er hatte sie lange nicht gebraucht, deshalb war es unbedingt notwendig ein gründliches Training zu absolvieren, bevor er sich auf den riskanten Weg in Sarahs Welt machte. Wer ihn beobachte, wie diszipliniert Jareth sich während seiner Krankheit und seines Trainings verhielt, hätte im Traum nicht daran gedacht, daß es unter dieser ruhigen Oberfläche brodelte, als ob ein Vulkanausbruch bevorstehen würde. Er war kurz davor, vor lauter Sehnsucht nach Sarah verrückt zu werden. Endlich, endlich war es eines Tages so weit. Er fühlte sich sicher genug um die Reise anzutreten. Konzentriert verwandelte er sich in eine weiße Eule und machte sich mit starken, gleichmäßigen Flügelschlägen auf den Weg.
Sarah stand gerade in der kleinen Küche ihrer Wohnung, in der sie immer noch lebte und hackte Kräuter mit der sie die Dosensuppe die es zum Abendessen geben sollte etwas aufwerten wollte. Sie summte eine unbestimmte Melodie vor sich hin als sie plötzlich eine merkwürdige Vibration spürte.
"Nein", dachte sie und schüttelte unwillig den Kopf. "Das ist schlichtweg unmöglich."
"Hallo Sarah."
Sarah fühlte, wie ihre Knie schwach wurden als sie die Stimme hinter ihrem Rücken hörte. Das Messer entglitt ihr und sie bedeckte den Mund mit ihrer Hand, als ob sie einen Aufschrei unterdrücken wollte. Das konnte doch einfach nicht sein! Nicht nach so vielen Jahren! Doch die Stimme war unverkennbar. Weich, kräftig, voller Liebe und Sehnsucht. Sarah atmete einmal tief durch, straffte den Rücken und drehte sich um.
"Hallo Jareth", begrüßte sie ihn äußerlich ruhig. Er hatte sich nicht verändert. Sie konnte nicht umhin festzustellen, daß er fabelhaft aussah. Dunkelgrüne Hosen, hellgrünes Hemd, ein dunkelgrünes, schillerndes knielanges Jacket. All das schien nur dazu gemacht um seine natürliche Würde und Grazie aufs angenehmste zu unterstreichen. Jareth stand einige Schritte entfernt von ihr, bereit, auf sie zuzugehen und in seine Arme zu schließen. Doch in dem Moment als sie sich zu ihm umgedreht hatte, war das Lächeln auf seinem Gesicht erstorben und er blieb einfach stehen, als ob er gegen eine unsichtbare Wand geprallt wäre. Sarah seufzte lautlos. Sie hatte diese Reaktion erwartet, doch jetzt, wo es tatsächlich dazu gekommen war tat es ihr trotzdem weh. Jareth wollte nicht glauben, was er da sah. Sarah war gealtert! Sicher, sie war immer noch wunderschön, die Figur immer noch genauso vollendet, lediglich die Haare hatte sie wieder etwas wachsen lassen und zu einem flüchtigen Knoten im Nacken gedreht, aber ihr Gesicht ließ keinen Zweifel zu. Sie war kein junges Mädchen mehr. Lange Zeit herrschte Schweigen. Bis Jareth schließlich mit leiser Stimme fragte: "Wie lange war ich weg?"
"Sechzehn Jahre." Ihre Stimme war so melodisch wie immer. Dennoch glaubte Jareth Resignation und Kummer herauszuhören. Sechzehn Jahre! Es kam ihm so vor als ob jemand den Boden unter seinen Füßen weggezogen hätte. Sein Verstand war unfähig ihre Worte tatsächlich zu begreifen. Sicher konnte er als König mit über den Verlauf der Zeit bestimmen. Sicher hatte er seit er Sarah kannte, Wert darauf gelegt, daß die Zeit in seinem Reich parallel zu Sarahs Zeit verlief. Sicher hatte er während seiner Krankheit die Kontrolle über die Zeit in seinem Reich verloren. Aber es konnte doch einfach nicht wahr sein, daß in der Zwischenzeit auf der Erde ganze sechzehn Jahre vergangen waren! Sechzehn Jahre... dann mußte sie jetzt... vierzig! Sarah mußte jetzt vierzig Jahre alt sein!
"Wo warst du?" Sarahs klare Stimme holten ihn wieder in die Gegenwart zurück.
Er öffnete den Mund um ihr alles zu erzählen, schloß ihn dann aber gleich darauf wieder, weil er nicht wußte was er ihr eigentlich erzählen konnte. Sollte er ihr sagen, daß die Liebesnacht mit ihr fast Schuld gewesen wäre an seinem Tod und dem Untergang seines Reiches? Nein, das konnte er ihr nicht antun. Er konnte nicht zulassen, daß sie sich die Schuld an etwas geben würde, was über kurz oder lang unvermeidlich gewesen wäre. Stattdessen sagte er einfach: "Ich kann es dir nicht sagen. Gewisse Umstände... Ich konnte einfach nicht kommen."
"Warum sollte ich dir glauben?" fragte sie tonlos. Es klang nicht einmal besonders neugierig.
"Vertrau mir, Sarah! Komm mit mir und wir fangen noch einmal von vorne an!" Ihn beschlich das unangenehme Gefühl, daß er bereits auf verlorenem Posten kämpfte. Fast flehend streckte er ihr seine Arme entgegen.
Sie sah ihn mit einer Mischung aus Zweifel und Resignation an. Bevor sie antwortete preßte sie kurz die Lippen aufeinander. Ach, wenn doch nur...
"Wenn du es mir nicht sagen willst...", sie stockte, "Aber eigentlich spielt es keine Rolle mehr." Ihre Augen bekamen einen harten, metallischen Glanz. "Es ist zu spät, Jareth. Zu spät. In meinem Leben ist kein Platz mehr für dich."
Jareth sah sie an, wie sie da stand. Die Arme vor der Brust verschränkt, die Lippen schmal zusammengepreßt. Hart. Unerbittlich. Er konnte es nicht glauben. Er starrte sie an, bis seine Augen zu brennen anfingen. Etwas war anders... was war es nur? Es war etwas wichtiges gewesen... es konnte ihr doch nicht ernst mit dem sein, was sie gerade gesagt hatte... die Kette! Plötzlich wurde ihm klar, daß sie die Kette nicht mehr trug! In diesem Moment begriff er, daß es ihr tatsächlich bitterernst war. Sie liebte ihn nicht mehr!
Sarah hatte seinen Blick bemerkt und wußte, daß ihm das Fehlen ihrer Kette aufgefallen war.
"Ich habe vor vielen Jahren aufgehört sie zu tragen." In ihrer Stimme schwang ein Hauch Wehmut mit, doch sie riß sich zusammen und fuhr mit fester Stimme fort. "Es hat keinen Sinn mehr, Jareth. Es ist vorbei. Es... es ist besser, wenn du nicht mehr hierher kommst. Ich... ich habe jetzt eine Tochter... Sie weiß nichts von dir und ich will auch, daß das so bleibt."
Eine Tochter! Das hieß auch: ein anderer Mann! Jareth war wie betäubt. Alle Gefühle und Empfindungen schienen in ihm abgestorben zu sein. Es war seltsam. Er fühlte gar nichts. Es war einem Alptraum ähnlich, doch er wußte genau, daß er hier keine Hoffnung auf ein frühes Erwachen haben konnte.
"Hast du mich verstanden, Jareth? Ich will, daß du gehst!"
Jareth konnte nur stumm nicken. Danach wirkte sie wieder etwas entspannter. Er mußte sich zusammenreißen. Er hätte ihr noch so vieles zu sagen... er...
Jareth schluckte krampfhaft. "Es soll so sein, wie du es wünscht. Aber eines sollst du wissen, Sarah. Egal, wie deine Gefühle sein werden, ich werde nie aufhören dich zu lieben. Ich werde immer für dich da sein... wann immer du mich brauchst..." Er verbeugte sich ein letztes Mal vor ihr und war im nächsten Augenblick auch schon verschwunden.
Sarah starrte lange auf den leeren Fleck, auf dem er eben noch gestanden hatte.
"Es war richtig, daß ich ihn fortgeschickt habe. Es war richtig, daß ich ihm verschwiegen habe, daß sie seine Tochter ist. Es war richtig." Doch während sie noch vor sich hinflüsterte liefen ihr merkwürdigerweise heiße Tränen die Wangen hinab.
In seinem Thronsaal verwandelte sich Jareth wieder in seine menschliche Gestalt zurück. Darius und Hoggle waren da und natürlich auch einige Kobolde. Seltsamerweise entdeckte er auch Sir Dydimus und Ludo, die ihn erwartungsvoll ansahen. Auch alle anderen hatten ihre Augen neugierig auf ihn gerichtet. Jareth musterte sie. Ihre Haltung war ihm unverständlich.
"Laßt mich allein", äußerte er schließlich unwirsch. Und hört auf, mich so anzustarren, setzte er in Gedanken noch hinzu. Seine Untertanen machten jedoch keine Anstalten, seinen Wunsch in die Tat umzusetzen. Unschlüssig verharrten sie im Thronsaal. Hin und hergerissen, zwischen ihrer Neugier und dem Befehl ihres Königs.
"Seid ihr taub?! Ihr sollt verschwinden!" schrie Jareth wütend. Seine Zuhörer zuckten zwar zusammen, bewegten sich wohl auch ein oder zwei Schritte hin zur Tür, verließen den Saal aber nicht. Schließlich hielt es Hoggle nicht mehr aus. Er wußte selbst nicht, woher er den Mut nahm, seinen König in dieser Laune etwas zu fragen, doch er atmete tief durch und trat einen Schritt vor.
"Was ist mit Sarah?" fragte er leise aber bestimmt.
In der Stille die dieser schlichten Frage folgte hätte man eine Stecknadel fallen hören können. In angstvoller Erwartung sahen alle, wie sich im Gesicht ihres Königs ein Wutanfall abzeichnete. Doch urplötzlich verschwand dieser Ausdruck, als wäre er weggewischt worden. Jareth öffnete seine Hände, die er zu Fäusten geballt hatte und machte eine abwehrende Geste.
"Ihr wollt wissen, was mit Sarah ist?" sagte er müde. "Ich werde euch sagen, was mit ihr ist: es ist vorbei. Und jetzt laßt mich endlich allein."
Ein Raunen ging durch die Menge, doch sie verließen den Thronsaal ohne weitere Verzögerung und ließen ihren König einsam zurück.
Jareth saß ermattet in seinem Thronsessel, den Kopf auf seine rechte Hand aufgestützt und versuchte nachzudenken. Zu seiner Überraschung fühlte er nichts, außer einem unendlichen Bedauern. Er bedauerte, wie alles gekommen war und wie ihre Beziehung hatte enden müssen. Jareth glaubte Sarah gut genug zu kennen, um ihren Wunsch nach seinem endgültigen Abgang für bare Münze zu nehmen. Es war tatsächlich vorbei, es war besser, wenn er sich darüber keinen Illusionen mehr hingab. Dann erging er sich in Selbstvorwürfen, die in der Feststellung gipfelten, daß *alles* seine Schuld war. Doch schließlich ging auch diese Phase vorbei und er mußte zugeben, daß er alles wieder genauso machen würde, bekäme er noch eine zweite Chance. Mittlerweile war er aber von dem Gedanken beseelt, seine Fehler irgendwie wieder gutzumachen. Nur wie? Sarah hatte sich klar genug ausgedrückt: sie wollte ihn nie wieder sehen. Und er hatte es ihr versprochen. Egal, wie schwer es ihm fallen würde, er hatte nicht vor, diese Versprechen zu brechen. Wenigstens an seine Ehrenhaftigkeit sollte sie sich noch mit Wohlwollen erinnern. Doch wie sollte er sonst... Nachdenklich biß er auf seinem Zeigefinger herum, da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er richtete sich in seinem Thronsessel auf und schnippte mit den Fingern. Natürlich! Ihre Tochter! Er würde an ihrer Tochter gutmachen, was er an Sarah verbrochen hatte. Eine glänzende Idee. Seine Laune hob sich wieder. Er würde dem Kind gleich heute nacht einen ersten Besuch abstatten und sich als ihr neuer Beschützer vorstellen. Hoffentlich hatte Sarah das kleine Mädchen nicht mit Geschichten von schwarzen Männern geplagt. Er mußte unbedingt daran denken, daß er für seinen Antrittsbesuch helle Kleidung anzog.
Kapitel 41
Jasmina machte die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich zu. Nachdenklich schüttelte sie den Kopf. Irgend etwas mußte ihrer Mutter heute passiert sein.
"Du hast zwar gedacht, ich merke es nicht", murmelte sie halblaut vor sich hin während sie einen frischen Pyjama aus ihrem Schrank holte, "Aber ich bin ja nicht von gestern. Ich merke es immer, wenn was nicht mit dir stimmt, Mommy." Jasmina gähnte herzhaft. Unglaublich, wie müde sie heute abend war. Träge schob sie das Problem ihrer Mutter beiseite. Wenn es tatsächlich etwas Ernstes war, dann würden sie über kurz oder lang miteinander darüber sprechen. Jasmina liebte ihre Mutter abgöttisch, hätte sich aber eher ein Bein abhacken lassen, als es zuzugeben. Mutter und Tochter hatten ein sehr enges Verhältnis zueinander. Auch wenn Jasmina es gerne gesehen hätte, wenn es einen Mann im Leben ihrer Mutter gegeben hätte, machte sie doch keine Andeutungen in diese Richtung, seit Sarah einmal zu ihr gesagt hatte, sie bräuchte keine Männer um glücklich zu sein. Jasmina seufzte leise. Manchmal dachte sie noch daran, wie sehr sie sich als kleines Mädchen einen Vater gewünscht hatte. Gerade noch rechtzeitig erinnerte sie sich daran, daß sie mittlerweile kein kleines Mädchen mehr war und folglich auch keinen Vater mehr brauchte und kickte deshalb ihre Turnschuhe unter ihr Bett. Plötzlich spürte sie, daß etwas nicht stimmte. Die Luft in ihrem Zimmer war von einem merkwürdigen Vibrieren erfüllt und Jasmina hielt unwillkürlich den Atem an. Vor ihrem Fenster schwebte ein leuchtender Kreis. Der Kreis flog durch ihr geschlossenes Fenster, wo er wenige Schritte von ihr entfernt lautlos zerplatzte und vor ihr stand ein schlanker, blonder Mann, ganz in blau gekleidet. Jasmina japste nach Luft, dann stutzte sie. Irgendwie kam ihr der Mann bekannt vor. Die engen Hosen, das weite Hemd, das Cape, die blonde Mähne... ihre Augen weiteten sich.
"Ich werd' verrückt! Der Typ aus meinem Buch!" rief Jasmina mehr amüsiert, als verängstigt.
Jareth hatte sich auf alle möglichen Reaktionen gefaßt gemacht, doch damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.
"Buch?" fragte er völlig perplex zurück.
"Ja, mein altes Bilderbuch!" sprudelte Jasmina hervor. "Das muß noch hier irgendwo sein." Dann runzelte sie die Stirn, legte den Kopf ein wenig schief und sah ihn seltsam an. "Das heißt... du bist doch Jareth, der König der Kobolde?"
Jareth nickte stumm.
"Dann kann das nur bedeuten, daß ich entweder schon schlafe, oder daß ich völlig übergeschnappt bin", überlegte Jasmina laut.
"Nein, ich kann dir versichern, daß weder das eine noch das andere der Fall ist", sagte Jareth der endlich seine Verblüffung überwunden hatte. Jasmina hatte von ihrer Mutter augenscheinlich die Unbekümmertheit gegenüber übersinnlichen Phänomenen geerbt.
"Was zum Teufel willst du dann hier? Ich kann mich nicht erinnern, dich gerufen zu haben."
"Das ist eine etwas komplizierte Geschichte. Darf ich mich setzen?"
"Äh, ja. Klar!" Äußerlich unbekümmert schob sie ihm ihren einzigen Stuhl hin während sie sich selbst im Schneidersitz auf ihrem Bett niederließ. Allmählich wurde ihr die Sache jedoch unheimlich. So muß das wohl sein, wenn man irgendwelche Drogen nimmt, dachte sie bei sich. Na, darauf kann ich gerne verzichten. Jareth nahm langsam und umständlich auf dem Stuhl Platz, den sie ihm angeboten hatte. Er versuchte ganz einfach Zeit zu schinden. Sarahs Tochter war wesentlich älter, als er erwartet hatte. Sie mußte zwischen vierzehn und fünfzehn sein. Ein Stich voller Eifersucht ging durch sein Herz, wenn er daran dachte, daß Sarah nicht lange gewartet hatte, um sich von einem anderen Mann trösten zu lassen.
"Wie heißt du eigentlich?"
"Jasmina", antwortete sie etwas unwillig.
Jasmina... ein wundervoller Name. Er gefiel ihm ausnehmend gut. Genauso, wie ihm dieses Mädchen ausnehmend gut gefiel. Sie war mittelgroß und zierlich gebaut. Trotzdem wirkte sie kräftig und energisch und keineswegs zerbrechlich. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß sie einmal eine wirklich hübsche Frau werden würde. Ihre weiblichen Rundungen waren noch nicht voll entwickelt, aber doch schon vorhanden. Sie hatte die gleichen sanften Wellen in ihrem Haar, wie ihre Mutter und genau wie Sarah als junges Mädchen trug auch sie es schulterlang. Jasminas Haare hatten jedoch im Gegensatz zu ihrer Mutter eine hellere Farbe, die in ihrer Tönung an dunklen Honig erinnerte. Unter diesem honigblonden Haar leuchteten ein paar Augen in dem reinsten Smaragdgrün, das Jareth je gesehen hatte. Ihre Wangen waren noch ein wenig rundlich und verwischten den ersten Eindruck der Katzenhaftigkeit. Um Jasminas Mund lag trotz ihrer Jugend bereits ein Zug der Entschlossenheit und ihr Kinn hob sich ihm in diesem Moment herausfordernd entgegen. Auf Jareth wirkte sie wie ein kleines Ebenbild seiner geliebten Sarah.
"Wie alt bist du eigentlich?"
"Fünfzehn. Aber jetzt mal im Ernst. Was willst du wirklich hier?" Jasmina war nun wirklich unbehaglich zumute.
Fünfzehn. Da war wieder dieser Stich. Oh, nein. Sarah hatte wirklich nicht sehr lange gewartet.
"Du brauchst wirklich keine Angst vor mir zu haben", versuchte er Jasmina zu beruhigen. Er hatte bemerkt, daß ihre Augenlider begonnen hatten, nervös zu flattern. "Ich habe nichts Böses vor. Im Gegenteil. Ich bin hier, weil ich dein Freund sein möchte."
Jasminas weit aufgerissene Augen sagten ihm, daß er es mal wieder völlig falsch angepackt hatte.
"Was?" japste sie atemlos.
"Bitte, nicht so laut", bat er sie nervös. "Deine Mutter könnte uns hören."
"Das muß ganz einfach ein Traum sein! Oder ich bin übergeschnappt. Oh, mein Gott! In der Pilzsuppe war bestimmt ein giftiger dabei. Scheiße!"
"Bitte, reg' dich nicht so auf." Jareth seufzte. "Ich sehe schon. Ich muß dir die ganze Geschichte erzählen."
"Darum möchte ich doch sehr gebeten haben!" Jasmina war außer sich.
"Ich habe deine Mutter kennengelernt, als sie so alt war, wie du jetzt. Ich... äh, wir... Also, wir verliebten uns ineinander." Er machte eine kurze Pause da Jasmina keuchend nach Atem rang. Als sie sich wieder beruhigt hatte, fuhr er fort. "Durch gewisse Umstände... war es mir nicht möglich in den letzten Jahren Kontakt mit ihr aufzunehmen. Bis heute nachmittag."
Da er nichts mehr sagte fragte Jasmina neugierig: "Und? Wie ist es gelaufen?" Sie hatte die Außergewöhnlichkeit dieser Szene inzwischen erfolgreich verdrängt und empfand sogar eine gewisse angenehme Spannung.
Jareth lächelte traurig und schüttelte den Kopf. "Es ist nicht gut gelaufen. Ich hatte keine Ahnung, daß während meiner Abwesenheit hier bereits sechzehn Jahre vergangen waren."
"Laß mich raten!" unterbrach ihn Jasmina. "Sie hat dich rausgeschmissen."
"Ja, so könnte man es auch sagen." Er grinste über ihre unverblümte Interpretation der Geschehnisse.
"Tja, und was hat das alles mit mir zu tun?"
"Ich habe erst heute nachmittag von deiner Existenz erfahren und ich habe lange nachgedacht." Er sah lange in ihre irritierenden grünen Augen. "Ich habe in der Beziehung zu deiner Mutter viele Fehler gemacht... Ich möchte diese Fehler wieder gutmachen", sagte er schlicht.
"Und da *sie* dich nicht läßt..." Jasmina zog ihre Nase kraus und sah plötzlich viel jünger aus. "Dann soll ich also der Lückenbüßer für dein schlechtes Gewissen sein?"
"Äh... also, so würde ich es nicht gerade ausdrücken..."
"Aber es trifft den Kern der Sache", äußerte sie freimütig. "Ach, was soll's!" Jasmina grinste breit. "Das ist mit Abstand die abgefahrenste Sache, die mir je passiert ist", rief sie aus und ihre Augen blitzten, als sie Jareth ihre Hand hinhielt. "Es würde mich sehr freuen, dich zum Freund zu haben", sagte sie sanft.
Jareth ergriff ihre Hand und schüttelte sie. "Du ahnst nicht, wie glücklich du mich damit machst", sagte er bewegt.
"Ich denke, ich werde höllisch viel Spaß dabei haben", sagte Jasmina mit einem Lächeln, das ihr Gesicht aufleuchten ließ. In diesem Moment wurde Jareth bewußt, daß sie ihn bereits um den kleinen Finger gewickelt hatte.
Er schärfte ihr noch ein, daß sie auf gar keinen Fall ihrer Mutter von diesem und den folgenden Treffen erzählen durfte und sie versprach es feierlich. Dann zeigte er ihr noch, wie sie sein mentales Klopfen beantworten konnte. Schließlich wollte er sich für diesen Abend verabschieden, doch Jasmina wollte ihn erst gehen lassen, als er ihr hoch und heilig versprochen hatte, sie schon am nächsten Abend wieder zu besuchen. Als Jasmina wieder allein war, fand sie lange keinen Schlaf. Sie witterte ein dunkles Geheimnis hinter dieser mysteriösen Liebesgeschichte und brannte vor Ungeduld alles bis ins kleinste Detail zu erfahren. Dann fiel ihr ein, daß sie Jareth ihr Bilderbuch zeigen wollte und fing an es zu suchen. Als sie es gefunden hatte, legte sie sich damit wieder ins Bett und wollte es nochmal lesen um ihr Gedächtnis etwas aufzufrischen, doch schon auf der zweiten Seite forderten die Aufregungen des Abends ihren Tribut und sie schlief ein.
Der nächste Tag verging für Jasmina viel zu langsam. Es kam ihr so vor, als hätte er durch eine Laune der Natur plötzlich doppelt soviel Stunden wie normalerweise, so gespannt war sie auf ein Wiedersehen mit dem Koboldkönig. Als es dann endlich Abend war und er sich mental bei ihr angekündigt hatte, zögerte sie keine Minute, ihn hereinzubitten. Während er vor ihr aus dem Nichts erschien, stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, daß sie sich in der vorigen Nacht nicht getäuscht hatte. Sie verspürte ihm gegenüber eine Vertrautheit, die durch ihre kurze Bekanntschaft nicht zu rechtfertigen war, Jasmina aber trotzdem erwärmte wie ein Tasse heißen Tees. Sie war begierig, die Bekanntschaft mit ihm zu vertiefen, denn sie wußte instinktiv, daß ihr dieser Mann nie Kummer bereiten würde. Er mochte sie zwar noch nicht um ihrer selbst Willen, sondern lediglich, weil sie die Tochter der Liebe seines Lebens war, aber sie war sich sicher, daß er früher oder später wirkliche Sympathien für sie entwickeln würde. Nicht, daß Jasmina in ihm einen potentiellen Liebhaber gesehen hätte - denn er war so gar nicht ihr Typ - aber sie vermißte in ihrem tiefsten Innersten immer noch etwas, das sie nie gehabt hatte: einen Vater. Und wenn sie schon keinen Vater bekommen konnte, dann war es sicher nicht verkehrt, Freundschaft mit einem Koboldkönig zu schließen, den sie sich als eine Art Onkel vorstellen konnte.
"Guten Abend, Jasmina", begrüßte er sie freundlich.
"Hi! Ich habe das Buch für dich herausgesucht. Das Buch in dem du drin bist."
Jareth versah Jasminas Zimmer für den Dauer seiner Besuche mit einer magischen Membran, so daß sie vor Entdeckung sicher sein konnten und so nahm er ruhig auf dem gleichen Stuhl Platz, auf dem er schon am Abend vorher gesessen hatte. Jasmina reichte ihm aufgeregt das Buch und er betrachtete es aufmerksam. Es war ein handgebundenes Heftchen.
"Woher hast du das?"
"Mommy hat es mir geschenkt, als ich in die Schule kam. Ein Designer aus ihrer Firma hat die Bilder gemalt und Mommy hat die Geschichte dazu geschrieben." Jasmina stand hinter Jareth und sah ihm über die Schulter.
"Und sie hat sonst nichts dazu gesagt?"
"Nein, nie. Aber nun mach es schon auf. Ich will wissen, ob es tatsächlich so war, wie in diesem Buch."
Jareth schlug das Buch also gehorsam auf. Schon auf der ersten Seite prangte eine Zeichnung von ihm. Er war überrascht, daß er so genau getroffen war. Sarah mußte dem Designer eine sehr genaue Beschreibung geliefert haben. Langsam blätterte er Seite für Seite um, las dabei die Geschichte und studierte die Bilder. Als er fertig war konnte sich Jasmina nicht mehr länger bezähmen. Die ganze Zeit war kein Wort über seine Lippen gekommen. "Und? War es so?"
"Nein." Er schüttelte leicht den Kopf und mußte lächeln, als er Jasminas enttäuschtes Gesicht sah, die sich wieder auf ihr Bett zurückgezogen hatte. "Nein, es war überhaupt nicht so. Das hier..." er hob das Buch leicht in die Höhe, "ist eine reizende Geschichte über einen Koboldkönig der seine Kristallkugel verloren hat und über eine reizende Elfe namens Sarah, die ihm gemeinsam mit ihren Freunden Ludo, Hoggle und Sir Dydimus hilft, diese Kristallkugel wiederzufinden. Es ist eine Geschichte für Kinder. Das was Sarah und mich zusammengeführt hat, ist wirklich nichts für kleine Kinder. Und ich werde es dir deshalb auch nicht erzählen", schloß er mit Bestimmtheit, als er Jasminas sensationslüsternen Blick bemerkte.
Jasmina schob ihre Unterlippe hervor und wollte gerade anfangen ernsthaft zu schmollen, als ihr eine andere Frage einfiel. "Aber dein Labyrinth, das sieht doch so aus, wie auf den Bildern, oder?"
"Ja, mein Reich sieht so aus. Die Zeichnungen sind wirklich sehr gut."
"Zeigst du es mir? Bitte?" fragte Jasmina und sah ihn dabei mit ihrem patentreifen Dackelblick an. Jareth war es schwer, diesem flehenden Blick zu widerstehen, doch er war sich sicher, daß es Sarah garantiert nicht gerne sehen würde, wenn er ihrer Tochter das Labyrinth zeigte.
"Nein", sagte er deshalb.
"Oh, bitte!" bettelte Jasmina weiter.
"Nein! Und jetzt Schluß damit. Du bist schlimmer als ein Koboldbaby", wies er sie lachend zurecht.
"Koboldbaby! Das gefällt mir!" sie grinste vergnügt von einem Ohr zum anderen.
"Das hatte ich befürchtet. Aber jetzt erzähl etwas über dich. Wo ist zum Beispiel dein Vater?"
In Sekundenschnelle hatte sich Jasminas Gesicht wieder verdüstert.
"Ich habe keinen Vater", antwortete sie leise. "Er starb vor meiner Geburt. Er starb sogar noch, bevor er etwas von mir erfahren hat. Ich weiß noch nicht mal seinen Namen."
Jareth war durch diese Offenbarung verunsichert und schockiert.
"Aber du mußt doch wissen, wie er hieß. Du trägst doch sicher seinen Namen."
"Nein. Mein Nachname ist Williams. Ich weiß nicht, wer mein Vater war." Mit einer kindlichen Geste wischte sie sich eine Träne aus den Augenwinkeln.
Jareth ergriff ihre Hand und hielt sie fest. "Wenn es dir zu weh tut... du mußt es mir nicht erzählen..."
"Nein, nein. Ist schon gut. Ich möchte es dir ja erzählen. Ich weiß bloß selbst nicht allzuviel."
Jareth spürte wieder diesen unangenehmen Stich und machte Anstalten, seine Hand zurückzuziehen, ließ sie dann jedoch, wo sie war. Nicht, daß Jasmina sie festgehalten hätte - sie hatte seine Hand lediglich nicht gleich freigegeben - wobei ihm durch den Kopf schoß, wie vertrauensvoll sie ihre kleinen Finger in seine schlanke Hand gelegt hatte... nicht fordernd, oder klammernd... es war etwas anderes. Dann fiel sein Blick auf ihre seltsamen grünen Augen, die eine stumme Bitte aussprachen und seine Hand blieb, wo sie war. Durch den Blick eines verlorenen Mädchens gefesselt, der stärker war, als jede Kette. Auch wenn sie es nie zugegeben würde, ihr vaterloses Dasein hatte ihr schon immer sehr zugesetzt. Zwar war es durchaus nicht ungewöhnlich, daß ihre Mutter alleinerziehend war, mehr als die Hälfte der Eltern ihrer Schulkameraden waren geschieden oder lebten getrennt, so war ihr Status - gar keinen Vater zu haben - doch einmalig. Alle anderen hatten einen Vater, auch wenn er - nach Aussage der Mütter - ein Bastard, ein Säufer oder schlicht und einfach ein Hurensohn war, nur sie nicht.
"Wenn ich als kleines Kind nach meinem Vater gefragt habe, hat meine Mutter immer gesagt, er wäre nicht mehr auf dieser Welt. Ich habe nie ein Foto von ihm gesehen und Mommy hat nie von sich aus über ihn gesprochen. Sie hat mir auch nie gesagt, wie er ausgesehen hat, oder ob ich ihm irgendwie ähnlich bin. Aus ein paar Sachen, die sie mal gesagt hat, habe ich mir dann zusammengereimt, daß mein Vater wohl bei der Marine oder beim Geheimdienst oder so was gewesen ist. Sie müssen sich kennengelernt haben, als er Urlaub hatte... Irgendwie habe ich mir das immer unglaublich romantisch vorgestellt, denn kurz darauf war ich unterwegs, aber mein Vater war wohl auch schon nicht mehr da. Tja, und kurz darauf, bevor Mommy ihm von mir erzählen konnte, war er wohl auch schon tot. Sie konnten nicht mehr heiraten, deshalb habe ich auch keinen anderen Nachnamen. Wir waren auch nie an seinem Grab. Mommy sagte immer, daß es keines gibt, deshalb habe ich mir das mit dem Geheimdienst ausgedacht. Das einzige was sie je über ihn gesagt hat, war, daß er der einzige Mann in ihrem Leben war, den sie wirklich geliebt hatte." In Jasminas Augenwinkeln schimmerte es feucht und Jareth versuchte erfolglos, sich damit abzufinden, daß nicht er, sondern ein anderer die große Liebe seiner Sarah gewesen war. Es war für ihn ein schwacher Trost, daß dieser Kerl nun wenigstens nicht mehr lebte.
"Ja, aber haben denn Sarahs Eltern nichts über deinen Vater gewußt?" Ihm kam die ganze Angelegenheit äußerst mysteriös vor. Daß seine Sarah ein Faible für ungewöhnlich Männer hatte, wußte er zwar aus eigener Erfahrung, aber daß sie sich mit einem Agenten eingelassen haben sollte, ging über seinen Verstand. Und doch gab es für Jasminas Geschichte tatsächlich keine andere Erklärung.
"Ich weiß nicht, was sie gewußt haben, aber sie haben auch nie darüber gesprochen."
"Vielleicht solltest du sie einfach noch einmal fragen", schlug Jareth vor.
"Das wird schlecht gehen. Sie sind vor vier Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Hast du sie gekannt?"
"Nein, nicht persönlich... was ist mit Toby?"
"Toby? Du meinst Onkel Tobias? Kennst du ihn?" fragte Jasmina überrascht.
"Nicht direkt", versuchte Jareth, sich herauszuwinden.
"Onkel Tob war nicht in dem Flugzeug. Er studiert jetzt Medizin. Er will nämlich Arzt werden", bemerkte sie mit Stolz in der Stimme.
"Er wohnt aber nicht bei euch, oder?"
"Nein, um Himmels Willen!" wehrte sie lachend ab. "Er ist zwar danach auch hierher nach Phoenix gezogen, aber nachdem er zwei Wochen hier kampiert hat, bis er eine eigene Wohnung gefunden hatte, war er weg, bevor jemand Mississippi sagen konnte."
"Er wird sich doch nicht mit seiner großen Schwester gestritten haben." Jareth lächelte bei dem Gedanken.
"Streiten? Oh, nein! Onkel Tob liebt Mommy abgöttisch. Er hat es hier nur deshalb nicht mehr ausgehalten, weil sie ihn nach Strich und Faden verwöhnt und verhätschelt hat. Er hat mir mal gesagt, sie wäre schlimmer gewesen als Oma."
"Sarah als Glucke", er schüttelte verwundert den Kopf, "das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen."
"Du kennst sie nicht!" forderte ihn Jasmina lachend heraus.
"Vielleicht stimmt das sogar."
"Danke, daß du mir zugehört hast", äußerte sie unvermittelt. "Ich konnte das mit meinem Vater nie jemand so richtig erzählen. Jetzt fühle ich mich besser."
Jareth fühlte sich außerstande, darauf etwas zu erwidern. Stattdessen küßte er sie auf die Stirn und sagte: "dann gute Nacht, Koboldbaby."
Sooft Jareth dieses Gespräch mit Jasmina im Geiste Revue passieren ließ, er verspürte jedesmal diesen unendlichen Schmerz bei dem Gedanken, daß Sarah ihn offensichtlich nicht so geliebt hatte, wie er sie immer noch liebte. Er wartete vergeblich darauf, daß der Schmerz irgendwann nachlassen würde und der Gedanke an Sarah ihm nicht mehr das Herz zerreißen würde. Verzweifelt wartete der darauf, daß der Schmerz sich wandeln würde, abstumpfen würde zu einem leichten Brennen, oder einem kleinen Stich. Doch es geschah nichts derartiges. Schließlich gab er das Warten auf. Er fügte sich in das Unvermeidliche, daß diese Wunde die sie ihm geschlagen hatte, nie heilen würde. Es war also besser, sich daran zu gewöhnen. Doch auch das wollte ihm nur schwer gelingen. Jasmina war ihm in dieser Zeit merkwürdigerweise ein Trost. Ihre Bekanntschaft vertiefte sich in den folgenden Monaten ebenso wie ihre Zuneigung zueinander. Sie behandelte ihn bald genauso respektlos, wie sie ihren jungen Onkel Tob behandelte und er gewöhnte sich immer mehr an den Gedanken, sie könnte die Tochter sein, die ihm das Schicksal vorenthalten hatte.
Kapitel 42
Jasmina betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Ihr achtzehnjähriger Körper steckte in einem nagelneuen Halloweenkostüm, das keinen Zweifel mehr daran ließ, daß sie kein Kind mehr war. Ihre Mutter hatte beim Anblick der Nixenverkleidung nur leise geseufzt, ansonsten aber nichts dazu gesagt. Sarah schien sich mit dem Gedanken zu trösten, daß ihre Tochter immerhin nur auf die Halloweenparty ihrer Schule ging und darüberhinaus noch von ihrem Freund Robin begleitet würde. Robin war ein äußerst zuverlässiger junger Mann, der Jasmina sicher bestens vor etwaigen Zudringlichkeiten bewahren konnte, die ihre Kostümierung wahrscheinlich hervorrufen würde. Jasmina grinste, denn sie hatte aus einer unbedachten Bemerkung ihrer Mutter deren Gedanken erraten. Sie hoffte doch, daß sich zumindest Robin zu ein paar Zudringlichkeiten würde hinreißen lassen. Er war immer so schrecklich anständig!
Robin und sie waren nun schon über ein Jahr befreundet. Sie hatten sich bei der Theatergruppe ihrer Schule kennengelernt. In Robins Erinnerung hatte sich das Bild einer glitzernden Sternschnuppe geprägt, die ihm aus Gründen, die er nicht begriff, in seinen Schoß gefallen war. Als sich ihre Beziehung vertiefte, wurde ihm zwar bewußt, daß er sie oft vor ihrem eigenen impulsiven Wesen bewahren mußte und sie manchmal einen Dickkopf hatte, auf dem man Holz spalten könnte, sie aber auch ein sehr liebevolles und fürsorgliches Mädchen war. Robin liebte sie schrecklich, ohne für ihre Fehler blind zu sein. Für Jasmina war das alles nicht so wundersam gewesen. Sie hatte diesen mittelgroßen, kräftigen jungen Mann mit seinen halblangen braunen Haaren gesehen und sofort Atemnot bekommen. Als sie dann noch entdeckte, daß sich unter der sehr ansehnlichen Schale ein sehr sanfter und kluger Kern verbarg, war es völlig um sie geschehen. Im Gegensatz zu Robin hatte sie keine Sekunde daran gezweifelt, daß er für sie bestimmt war, daß sie ihn auch bekommen würde und daß sie ihn auch verdient hatte.
Ihr Selbstbewußtsein war enorm gestiegen, seit sie den Koboldkönig zum Freund hatte. Als sie ihm von ihrem Wunsch erzählte, Sängerin zu werden, hatte er sie nicht ausgelacht, sondern sie sogar dazu ermuntert, es zu versuchen. Er war der erste, der ihr gesagt hatte, daß sie eine wunderschöne Stimme hatte. Dadurch hatte sie den Mut gefunden, sich für ein paar Kurse anzumelden. Anfangs hatte er sogar noch mit ihr geübt, wobei Jasmina feststellen konnte, daß er selbst ein sehr begabter Sänger war. Mittlerweile war sie in ihrem Schulchor zur Solistin aufgestiegen und ihre Lehrer waren von ihr hellauf begeistert. Sogar ihre Mutter hatte nichts mehr dagegen, daß sie sich in den Kopf gesetzt hatte Gesang zu studieren. Jasminas Ziel war es, auf den großen Musicalbühnen aufzutreten und sogar Robin, der sonst gern ein großer Zweifler war, mußte zugegeben, daß sie das Zeug dazu hatte. Nicht ganz so überzeugt war er allerdings von ihrer neuesten Idee. Erst vor einer Woche war sie damit herausgerückt. Robin erinnerte sich noch lebhaft an ihren Wortwechsel.
"Jasmina, dieser Plan ist völlig hirnrissig. Das wird nie funktionieren."
"Das wird doch funktionieren", insistierte sie hartnäckig. "Mein Plan ist unschlagbar. Und du wirst sehen, daß ich mit meiner Vermutung richtig liege."
"Das ist doch idiotisch", Robin versuchte es mit sanfter Logik. "Du hast also vor ein paar Jahren einen völlig dubiosen Typen kennengelernt, der mal mit deiner Mutter befreundet war und mit dem du dich seither regelmäßig triffst und jetzt behauptest du allen Ernstes, daß dieser Typ dein Vater sein soll?"
"Das behaupte ich nicht - ich weiß es!"
"Woher?"
"Ich weiß es einfach, verdammt noch mal!" Ungeduldig stampfte sie mit dem Fuß auf, als Robin darauf jedoch nicht reagierte, änderte sie ihre Taktik. "Vertrau mir, Robin", sagte sie mit schmeichelnder Stimme und Robin gab widerstrebend seine ablehnende Haltung auf.
"Na schön. Versuchen wir es eben. Du läßt mir ja doch sonst keine Ruhe damit. Obwohl es mir wirklich nicht gefällt, daß du dich ohne mein Wissen mit wildfremden Männern getroffen hast."
"Aber ich sagte dir doch, daß er mein Vater sein muß. Er ist auch wirklich alt genug, um mein Vater zu sein. Du siehst also, es ist überhaupt nichts dabei."
"Erzähl mir lieber nochmal, warum du dir so sicher bist, daß er dein Vater sein könnte", bat Robin.
"Ich weiß nicht genau, aber den Verdacht habe ich schon länger. Die Geschichten meiner Mutter über meinen Vater haben einfach zu viele Lücken und er würde perfekt in diese Lücken passen. Auch wenn er mir selbst nicht gerade viel darüber erzählt hat." Ihr Gesichtsausdruck verdüsterte sich kurz. Flüchtig dachte sie daran, daß er sich tatsächlich immer geweigert hatte bei seinen Erzählungen mehr ins Detail zu gehen. Er hatte dazu immer gesagt, er sehe nicht ein, ihr etwas zu erzählen, von dem ihre Mutter augenscheinlich nicht wollte, daß sie es erfuhr. Genauso hatte er sich auch immer gesträubt, ihr sein Reich zu zeigen, bis sie ihn an ihrem letzten Geburtstag fast soweit gehabt hätte. Sie hatte auch reichlich lange dafür gequengelt und er hatte schließlich nachgegeben, nur um ihre Hände in seine zu nehmen und ihr dann zu erklären, daß es nicht ginge, weil sie keine Magie in sich habe und er dieses Risiko nicht eingehen wollte.
"Wenn er tatsächlich dein Vater ist, warum hat er sich dann nicht schon früher bei dir gemeldet?"
"Weil er doch selbst nicht weiß, daß er mein Vater ist!" und ihr Blick fügte noch ein *du Dummkopf* hinzu.
Robin bedachte sie mit einem Blick, der klar besagte, daß er es ohne Zweifel mit einer geistig Verwirrten zu tun hatte.
"Laß mich lediglich eines klarstellen: ich halte nichts von deinem Plan. Aber auch schon gar nichts. Trotzdem werde ich dir dabei helfen. Denn wenn ich nicht mitmache, dann machst du es bestimmt allein. Und ich bin wirklich lieber in deiner Nähe, wenn du wieder Dummheiten machst."
Mit einem Freudenschrei warf sich Jasmina ihm an den Hals.
"Oh, danke! Ich wußte, du würdest mich nicht im Stich lassen."
Robin schloß gottergeben die Augen.
Jasmina hielt ihren Plan für einfach aber genial. Wenn sie mit Robin auf die Halloweenparty ging, würde sie einfach nicht zum vereinbarten Zeitpunkt wieder nach Hause kommen. Stattdessen würden sie sich in einem Park in der Nähe versteckt halten. Jasminas Mutter würde zweifellos Jareth zu sich rufen, damit er ihr half ihre Tochter wiederzufinden. Dabei müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn Jasmina bei dieser Gelegenheit nicht die Wahrheit über ihren Vater erfahren würde. Robin hatte zwar allerhand an diesem Plan auszusetzen gehabt, beschränkte sich aber lediglich auf einen Einwand: "Was ist, wenn deine Mutter nicht diesen Typ ruft, sondern die Polizei?"
"Das wird sie nicht tun", äußerte Jasmina selbstgefällig. "Weil ich schon 18 bin. Die Polizei sucht mich nicht, wenn ich erst ein paar Stunden überfällig bin."
Robin mußte widerwillig zugeben, daß dies wirklich ein sehr gutes Argument war.
Während sich Jasmina vor dem Spiegel drehte und wendete, ging sie in Gedanken noch einmal alle Punkte ihres Planes durch. Es mußte einfach klappen. In ihrem tiefsten Innersten stimmte sie sogar mit Robins Zweifeln überein, doch wenn sie die Wahrheit über ihre Herkunft erfahren wollte, durfte sie nicht zimperlich sein. Die Stimme ihrer Mutter holte Jasmina wieder in die Wirklichkeit zurück.
"Ich denke, es paßt. Oder muß es noch irgendwo geändert werden?"
"Nein, du kannst die Stecknadeln wegräumen, Mommy. Es ist perfekt."
"Perfekt - ja. Nur wofür?" spöttelte Sarah, wobei sie sich mit Wehmut an einige ihrer eigenen Halloweenkostüme erinnerte.
"Wer viel fragt geht viel fehl", murmelte Jasmina. Vorsichtig fing sie an ihr Kostüm auszuziehen. Noch drei Tage bis Halloween.
Jasmina war in diesen drei Tagen mehr als einmal davon überzeugt, sie würde vor Ungeduld sterben müssen. Doch endlich war der große Tag gekommen und sie tanzte mit Robin engumschlungen auf dem Schulball.
Über die Kostümierung ihres Freundes als Robin Hood hatte Jasmina etwas ungehalten reagiert, doch Robin hatte auf ihren Unmut nur mit der Bemerkung, es wäre bei seinem Vornamen schließlich naheliegend, reagiert und sie auf die Wange geküßt. Jasmina blieb nichts anderes übrig, als über diesen neuerlichen Beweis seines trockenen Humors resigniert zu seufzen und sich von ihm ein Glas Punsch bringen zu lassen. Obwohl sie sich den ganzen Abend nach Kräften bemühte ihre Nervosität zu vertuschen, so wußte Robin - als ihr unfreiwilliger Komplize - doch ganz genau, was sie bewegte.
Kurz vor Mitternacht konnte er dann auch nicht länger an sich halten.
"Jasmina, bist du immer noch entschlossen, diesen Quatsch durchzuführen?"
"Ob ich... das ist kein Quatsch!"
"Gut, dann ist es eben kein Quatsch..." lenkte Robin ein.
"Ich muß es einfach wissen, ich muß! Verstehst du das denn nicht?"
Bestürzt bemerkte Robin, daß in ihren Augenwinkeln ungeweinte Tränen schimmerten, die auf völlig überreizte Nerven zurückzuführen waren.
"Ich denke, wir gehen jetzt besser", erklärte er mit fester Stimme. Ungewohnt fügsam ließ sich Jasmina von ihm von der Tanzfläche führen. Mittlerweile hatte sie Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen. Allerdings hätte sie sich eher die Zunge abgebissen, als dies zuzugeben.
"Wann hättest du zuhause sein sollen?" fragte Robin, während er ihr in ihren Mantel half.
"Um ein Uhr."
"Gut, dann gehen wir jetzt erst noch in ein Cafe und dort trinkst du einen Kamillentee."
"Ja, Robin" antwortete sie dankbar.
Gestärkt durch einen Kaffee - den Kamillentee hatte sie denn doch verächtlich abgelehnt - schlenderten sie kurz nach ein Uhr durch einen Park, der in der Nähe von Sarah's Wohnung lag. Robin hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt und Jasmina schmiegte sich vertrauensvoll an ihn. Die Zuversicht, daß ihr genialer Plan funktionieren würde war zurückgekehrt und mit einer würdevollen Ruhe, die Robin erstaunte, harrte sie der Dinge, die da kommen sollten.
