Die magischen Jahre (the magic years)

Teil vier (part four)


Fanfiction by Lorelei Lee




"strangers till now"

Kapitel 43

Sarah sah kurz von ihrem Buch auf um einen Blick auf die Wohnzimmeruhr zu werfen. Kurz nach ein Uhr. Jasmina mußte gleich da sein, dann würde sie endlich auch zu Bett gehen können. Es war schon seltsam - inzwischen konnte Sarah ihre eigene Mutter nur zu gut verstehen. Sie konnte einfach nicht einschlafen, bevor ihre Tochter wieder wohlbehalten zu Hause war. Verrückt. Mit einer kleinen Grimasse wandte sie sich wieder ihrem Buch zu.
Als Jasmina um halb zwei immer noch nicht da war, wurde sie unruhig und rief bei Robins Eltern an. Nichts. Sie rief in der Schule an. Nichts. Sie rief einige von Jasminas Freunden an. Nichts. Mittlerweile war es fast zwei Uhr und Sarah war einem Nervenzusammenbruch nahe. Sie war fest davon überzeugt, daß etwas gräßliches passiert sein mußte, denn Jasmina war sonst immer hundertprozentig pünktlich. Den Anruf bei der Polizei hatte sie sich erspart. Sie wußte genau, daß die Polizei vor Morgen abend überhaupt nichts unternehmen würde. Verrückt vor Sorge tigerte sie in ihrer Wohnung auf und ab. Ihr Herz klopfte schwer gegen ihre Brust und ihr Blut floß merkwürdig kalt durch ihre Adern, während sie sich das Hirn zermarterte, was sie unternehmen könnte um Jasmina zu finden. Einmal blieb sie kurz stehen, verblüfft fuhr sie sich mit der Hand durch ihre Haare um gleich darauf ihre rastlose Wanderung wieder aufzunehmen.
Nein. Das war völlig unmöglich. Sie würde einen Teufel tun und in dieser Situation Jareth um Hilfe zu bitten. Aber welcher andere Ausweg blieb ihr denn noch? Verzweifelt rang sie die Hände. Sollte sie... oder lieber doch nicht... Sie fühlte sich hilflos und ausgelaugt und gab schließlich der kleinen verzagten Stimme in ihrem Inneren nach, sie solle doch nicht so ein Dickkopf sein und endlich nach Jareth rufen.

Es war kurz vor zwei Uhr nach irdischer Zeit, als Jareth durch einen mentalen Schrei aus seinem leichten Schlummer gerissen wurde. Desorientiert blickte er sich um. Die Kerzen in der Bibliothek waren fast heruntergebrannt. Stirnrunzelnd blickte er auf das Buch, das ihn vorübergehend in Morpheus' Arme entführt hatte. Er fragte sich gerade, ob er sich den Schrei nur eingebildet hatte, da hörte er ihn wieder. Und diesmal war die Botschaft unmißverständlich.
Sarah? Sarah rief nach ihm?
Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Damit hatte er in seinen kühnsten Träumen nicht mehr gerechnet. Vielleicht sollte er sie ein kleines bißchen warten lassen. Vielleicht sollte er sich auch erst dem Anlaß entsprechend kleiden. Er sah an sich hinunter, als der Ruf wiederholt wurde. Verzweifelter, dringlicher diesmal. Verwirrt lauschte er auf den Klang. Irgendetwas mußte passiert sein. Dann mußten der graue Anzug mit dem weißen Hemd wohl genügen. Leicht beunruhigt machte er sich auf den Weg.

"Jareth, verdammt! Beweg' sofort deinen Hintern hierher!" schrie Sarah ihre Wohnzimmerwände an. Erschöpft sank sie auf das Sofa. Er würde nicht kommen. Was sollte sie nur tun? Verzweifelt raufte sie sich die Haare, als eine vertraute Stimme an ihr Ohr drang.
"Guten Abend Sarah."
Erleichtert drehte sich Sarah um.
"Jareth! Gottseidank!"
Mit Bestürzung bemerkte er ihre rotgeweinten Augen und ihre fahrigen Bewegung. Mit wenigen Schritten war er bei ihr.
"Was ist passiert?"
Sarah warf sich ihm erleichtert in die Arme. "Jasmina ist nicht nach Hause gekommen."
"Jasmina?" Jareths Magen schien sich in einen Eisklumpen verwandelt zu haben. Es war sein Glück, daß Sarah in diesem Moment nicht aufgeblickt hatte, denn sein Gesichtsausdruck hätte ihr mit Sicherheit alles verraten.
So jedoch deutete Sarah seinen Ausruf falsch. "Meine Tochter", ergänzte sie mit zitternder Stimme.
Nach einem kurzen inneren Kampf hatte Jareth seine Erregung wieder unter Kontrolle. Um keinen Preis der Welt durfte er das kleine Geheimnis das er und Jasmina miteinander teilten verraten.
Behutsam löste er ihren Griff um seinen Nacken und setzte sich mit ihr zusammen auf das Sofa.
"Und was habe ich damit zu tun?" fragte er mit einer Ruhe, die er durchaus nicht empfand.
Sarahs Augen weiteten sich. "Du mußt mir helfen, sie zu suchen!"
"Ruf die Polizei."
"Die Polizei wird vor Morgen abend nichts unternehmen, weil Jasmina schon volljährig ist."
"Ruf bei ihren Freunden an."
"Das habe ich schon. Bei denen ist sie auch nicht. Bitte Jareth, ich habe solche Angst." Sie sandte ihm einen flehenden Blick dem er nicht länger standhalten wollte.
"Erzähl mir besser alles von Anfang an", forderte er sie schließlich auf.
"Ich wußte, du würdest mir helfen." Sie lächelte unter Tränen.
"Sie war mit Robin, ihrem Freund, zusammen auf dem Schulfest und sie hat versprochen um ein Uhr wieder hier zu sein. Sie ist immer sehr pünktlich."
"Vielleicht ist sie mit ihrem Freund ja noch dort, oder sie sind noch woanders hin gegangen", schlug er vor, obwohl er selbst nicht wirklich davon überzeugt war, andererseits konnte er sich auch nicht vorstellen, daß Jasmina etwas zugestoßen war, nachdem er erfahren hatte, daß sie in Begleitung eines jungen Mannes war.
"Nein, das glaube ich nicht..." Sarah zögerte und blickte ihn bittend an.
Jareth seufzte. Er konnte Sarahs Hysterie nicht wirklich nachvollziehen und hätte diese Zeit mit ihr lieber anders genutzt als einem wilden Teenager durch die halbe Stadt hinterherzuhetzen.
"Ja, ich gehe mit dir zu diesem Schulfest und frage dort nach ihr."
"Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann. Ich ziehe nur noch schnell ein Paar Schuhe an."

Während sie in einem Taxi zu Jasminas Schule rasten legte Jareth den Arm versuchsweise um Sarah. Er hatte mit einer sofortigen Zurückweisung gerechnet, doch Sarah war vor Sorge und Kummer um ihre Tochter völlig zermürbt, so daß sie sich seine Umarmung gerne gefallen ließ. Bei der Schule angekommen, wartete Jareth im Taxi, während Sarah einem Wirbelwind gleich in die Turnhalle stürmte. Das Fest war augenscheinlich zu Ende, doch einige Unentwegte hingen noch im Eingangbereich herum. Sarah schätzte sich glücklich, daß sie in einer derangierten Minni Mouse eine von Jasminas Klassenkameradinnen erkannte.
"Ginger!"
"Mrs. Williams!" rief Ginger geschockt und versuchte, ihr Kostüm zu ordnen.
"Ginger, Jasmina ist nicht nach Hause gekommen. Weißt du wo sie ist?" fragte Sarah ohne Umschweife.
"Nein, Mrs. Williams. Ich weiß nicht wo sie ist, ich dachte, sie wäre kurz nach Mitternacht gegangen?"
"Aber du bist dir nicht sicher?" drang Sarah in sie.
"Ich habe Jasmina gesehen, Mrs. Williams", mischte sich eine kindliche Vampirin ein. "Ich glaube nicht, daß sie sich Sorgen machen müssen. Sie ist mit Robin zusammen weggegangen."
"Wann war das?" fragte Sarah aufgeregt.
"Ich glaube es war kurz nach Mitternacht..."
Sarah rannte zum Taxi zurück.
"Und?" wollte Jareth wissen.
"Steig aus", wies sie Jareth an. Zum Taxifahrer gewandt fragte sie: "Wieviel bekommen Sie?" Während sie bezahlte, stieg Jareth umständlich aus dem Taxi aus.
"Sie ist nicht mehr da", fuhr Sarah fort. "Eines der Mädchen sah, wie sie mit Robin wegging."
"Und weiter?"
"Nichts und weiter. Wir werden Sie jetzt suchen." Ungeduldig griff sie nach seinem Arm und zerrte ihn mit sich über die Straße.
"Wo willst du denn anfangen zu suchen?"
"Ich habe so eine Ahnung", knurrte Sarah und verzweifelt fügte sie hinzu: "Hoffentlich!"

"Wie spät ist es, Robin?"
"Es ist kurz vor drei. Ich glaub nicht, daß dein Plan funktioniert. Steh auf, ich bring dich nach Hause." Robin erhob sich entschlossen von der Bank auf der sie die letzte Stunde wartend verbracht hatten.
"Ich war mir sooo sicher", maulte Jasmina. "Warten wir doch... Ssht! Hörst du das?"
Beide spitzten die Ohren.

Jareth und Sarah waren mittlerweile in dem Park angekommen, in dem Sarah die Flüchtigen vermutete. Im Eilschritt durchkämmten sie die Hauptwege und wollten gerade einen der Nebenwege wieder verlassen, als Jareth in der Dunkelheit eine Bewegung wahrnahm.
Gehetzt drehte sich Sarah um und folgte Jareths Blick auf eine Bank, die etwas abseits des Weges stand.
"Jasmina!" Die Angst fiel mit einem Schlag von ihr ab. Erleichterung durchflutete sie, als sie ihr einziges Kind wieder vor sich sah. Lebendig und unversehrt. Doch schon in der nächsten Minute stieg unbändiger Zorn in ihr auf und sie war mit wenigen Schritten bei den beiden jungen Menschen.
Jasmina glaubte trotz der Dunkelheit, den Gesichtsausdruck ihrer Mutter zu erkennen und verbarg sich instinktiv hinter Robin's Schulter.
Da die beiden Flüchtigen wohlbehalten wieder aufgetaucht waren, beschloß Jareth, das nun kommende Schauspiel zu genießen und beobachtet amüsiert Jasmina's kleines Manöver. Langsam schlenderte er auf die Dreiergruppe zu. Genauso hatte er sich das vorgestellt. Die Vermißten hatten einfach das Bedürfnis nach etwas Romantik verspürt und die ganze Aufregung war völlig überflüssig gewesen.
"Wie konntest du mir das antun?!"
"Hallo Mommy..."
"Ich bin vor Angst fast gestorben!"
"Aber Mommy..."
"Sonst hast du mir nichts zu sagen?! Warum hast du eigentlich so etwas Dummes getan?!"
"Weißt du, ich..."
"Oh, verdammt, ich weiß wirklich nicht, was ich mit dir machen soll! Sag du doch auch mal was!" herrschte Sarah Jareth an, der die streitenden Gruppe mittlerweile erreicht hatte. Belustigt stellte er fest, daß Robin und Jasmina ihn bislang gar nicht bemerkt hatten und wie ihn Jasmina nun hoffnungsvoll und Robin entsetzt anstarrten.
"Ich?" sagte er ungläubig. "Warum sollte ausgerechnet ich mich hier einmischen?"
"Weil du verdammt nochmal ihr Vater bist!" brach es aus Sarah heraus, für die die nervliche Belastung zu groß gewesen war.
"Weil ich was?!" rief Jareth schockiert aus.
"Ich wußte es, ich wußte es", jubelte Jasmina und klatschte vor Freude in die Hände.
"Wie - du wußtest es?" fuhr Sarah ihre Tochter an.
Jasmina duckte sich sofort wieder hinter Robins Schulter, weil ihr in der Eile keine unverfängliche Antwort einfallen wollte.
"Jasmina ist meine Tochter und du hast es mir nicht gesagt?!!" Jareth starrte fassungslos seine geliebte Elfe an.
"Jareth, freust du dich denn gar nicht?" piepste Jasmina hoffnungsvoll hinter Robins Rücken.
Mit der Schnelligkeit einer Kobra wandte sich Sarah wieder ihrer Tochter zu und sagte gefährlich ruhig: "Woher weißt du seinen Namen?"
Mit weit aufgerissenen Augen erkannte Jasmina ihren Fauxpas.
"Sie weiß ihn, weil ich ihn ihr gesagt habe" unterbrach Jareth das tödliche Schweigen.
"Du hast dich hinter meinem Rücken mit meiner Tochter getroffen?!"
"Unserer Tochter!" korrigierte Jareth sie wütend.
"Das ist doch völlig zweitrangig!" tobte Sarah. "Wie konntest du mich nur so hintergehen!"
"Wie konntest du mir nur verschweigen, daß ich eine Tochter habe!" Jareth war nun ebenfalls völlig außer sich.
Jasmina erkannte blitzschnell ihre Chance und verbündete sich mit ihrem Vater. "Ja, Mommy, weshalb hast du es uns nie gesagt?" äußerte sie vorwurfsvoll.
"Das geht dich gar nichts an! Mich würde viel mehr interessieren, wie lange das schon so geht?" Sarahs Stimme zitterte vor unterdrückter Wut.
"Lenk jetzt nicht ab." Auch Jareths Stimme hatte einen gefährlichen Tonfall angenommen. Nicht eben sanft griff er nach Sarahs Oberarm und hielt sie fest.
Ihre wutsprühenden Blicke trafen sich. Eine Weile sagte keiner etwas. Jasmina hielt vor lauter Spannung sogar die Luft an.
Schließlich brach Sarah das Schweigen.
"Wir müssen reden." Sie hatte ihre Gefühle und ihre Stimme wieder halbwegs unter Kontrolle.
"Das ist die Untertreibung des Jahrtausends, meine Elfe." Widerwillig spielte ein Lächeln um Jareths Lippen. "Ich schlage vor du gehst mit... unserer Tochter schon mal vor. Ich werde mich noch kurz diesem jungen Mann widmen und komme dann nach."
Sarah nickte. "Einverstanden. Und nun komm endlich, mein Fräulein."
Jasmina tauchte hinter Robins Rücken auf und folgte stumm ihrer Mutter.

Robin hatte immer noch das Gefühl, im falschen Film zu sein. Jareth nahm auf der Bank Platz und verschränkte die Arme vor der Brust. Nach einiger Zeit fragte er Robin: "Sind sie weg?"
"Ja, Sir, ich glaube schon."
"Gut, länger hätte ich es nicht mehr ausgehalten", sagte Jareth mit gepreßter Stimme und brach in lautes Gelächter aus. Die Absurdität der Geschehnisse gewann die Oberhand über seinen Ärger. Robin beobachtete ihn beunruhigt. Von Lachkrämpfen geschüttelt lud Jareth ihn mit einen Handbewegung ein, neben ihm Platz zu nehmen. Als er sich wieder etwas beruhigt hatte wandte er Robin seine Aufmerksamkeit zu. "Nun, mein Junge?"
"Ist sie tatsächlich Ihre Tochter, Sir?" platzte Robin mit seiner Frage heraus.
"Du hast Sarah ja gerade gehört. Ich würde sagen, es hat ganz den Anschein." Jareth lachte lautlos in sich hinein. "Halloween war schon immer für eine Überraschung gut, aber das übertrifft wirklich alles."
"Ich hielt Jasminas Idee ehrlich gesagt für reine Idiotie."
"Warum hast du dann trotzdem dabei mitgemacht? Ach, sag nichts. Ich kenne Jasmina. Sie hat dich dazu gezwungen, stimmt's?"
"Naja, gezwungen würde ich nicht gerade sagen. Sind Sie mir sehr böse?"
"Böse? Warum sollte ich dir böse sein, mein Junge? Ich bin dir sogar ausgesprochen dankbar, daß du dich um meine, äh... Tochter gekümmert hast. Du kannst jetzt ruhig nach Hause gehen. Ich habe wirklich nicht das Bedürfnis dir die Leviten zu lesen, auch wenn Sarah das offensichtlich von mir erwartet."
"Danke, Sir. Dann darf ich Ihnen eine gute Nacht wünschen." Robin erhob sich erleichtert von der Bank.
"Du darfst, mein Junge, du darfst."


Kapitel 44

"Gut, dass du da bist", wurde Jareth erleichtert von Sarah begrüsst, als er die Wohnung betreten hatte. Sarah war noch nie so kurz davor gewesen, ihrer Tochter eine Ohrfeige zu verpassen. Jasmina hatte ihre Ängstlichkeit vollständig überwunden und trug nun eine triumphierende Miene zur Schau, die ihrer Mutter gewaltig gegen den Strich ging.
"Und du, mein Fräulein, gehst jetzt auf dein Zimmer und dort bleibst du auch", wies sie ihre störrische Tochter an.
"Nein", antwortete Jasmina gelassen. "Ich werde nicht auf mein Zimmer gehen. Ich habe auch Rechte. Sogar Scheidungswaisen haben Anspruch auf ihren Vater und ich will nicht, dass er einfach wieder aus meinem Leben verschwindet." Ihre Stimme hatte zum Schluss hin etwas an Festigkeit verloren, doch sie beendete ihre kleine Ansprache mit dem nötigen Nachdruck.
"Aber Schatz, ich - ich wusste nicht, dass du so... Warum hast du denn nie gesagt, dass dir ein Vater fehlt", sagte Sarah unangenehm berührt.
Jasmina befeuchtete ihre Lippen. "Weil ich nicht irgendeinen Vater wollte, sondern *meinen* Vater", flüsterte sie mit unsicherer Stimme und einem scheuen Blick zu Jareth, der die beiden Frauen stumm betrachtete.
"Geh bitte auf dein Zimmer Jasmina", bat er sie schließlich. "Ich verspreche, daß ich mich nicht einfach in Luft auflöse", setzte er mit einem Lächeln hinzu.
"Ja, Daddy", wisperte Jasmina und verließ ungewohnt folgsam das Wohnzimmer.
Jareth sah ihr verblüfft nach. "Daddy...", wiederholte er halb zu sich selbst und schüttelte immer noch ungläubig den Kopf. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Sarah zu, die ihn mit leicht schiefgelegtem Kopf beobachtet hatte.
"Wo warst du nur die ganze Zeit?" Sarah empfand seltsamerweise keinen Zorn mehr, allerdings war sie auch meilenweit von jeglichen angenehmeren Gefühlen entfernt. Sie wollte einfach nur noch wissen, was geschehen war um endlich alles zu verstehen.
Jareth seufzte. Sie würde es ihm nicht einfach machen. Immerhin war sie offensichtlich gewillt ihn anzuhören.
"Setz' dich. Es wird eine längere Geschichte." Sarah nahm auf dem Sofa Platz, Jareth blieb lieber stehen. Während der nächsten halben Stunde erzählte er in groben Zügen, was ihn bei seiner Rückkehr in sein Reich erwartet hatte, wie er dem Zerfall Einhalt geboten hatte und wie er hinterher zu schwach war um mit ihr Kontakt aufzunehmen.
"Zeit hat in meinem Reich nicht die gleiche Bedeutung wie hier", er begleitete seine Worte mit einer umfassenden Geste. "Um unsere Zeitläufe parallel zueinander verlaufen zu lassen muß ich meine Magie anwenden. Für die Dauer meiner Genesung entzog sich die Zeit meiner Kontrolle. Deshalb waren hier bereits 16 Jahre verstrichen, während ich dachte, es könnten höchstens einige Monate vergangen sein."
Ihr Blick hing fassungslos an seiner Gestalt und ihr Mund war leicht geöffnet. Jareth hätte sie jetzt wirklich gerne geküßt. Stattdessen fragte er: "Cognac?"
Sarah nickte leicht und Jareth holte zwei Gläser und eine Flasche aus der kleinen Bar. Er schenkte beiden ein und setzte sich neben Sarah. Schweigend nahmen beide den ersten Schluck. Sarah genoß die sanfte Schärfe wie sie langsam ihren Hals hinunterfloß. Sie bemühte sich, Jareths Erklärung zu verarbeiten, doch sie fühlte nur ein unendliches Bedauern und eine unerklärliche Leere.
"Warum waren die Schäden diesmal so groß?" fragte sie schließlich.
"Wenn ein Herrscher zu lange sein Reich verläßt kann es zu kleinen Unregelmäßigkeiten kommen. Größere Schäden können verursacht werden, wenn der Herrscher in einer anderen Welt etwas zurückläßt - wie Blut, Haare, ganze Körperteile oder ähnliches."
Sarah sah ihn interessiert an. "Du meinst..." begann sie, während ihr das Blut in die Wangen schoß.
Jareth lächelte leicht, als er ihre Reaktion bemerkte. "Nein. Das allein hätte eine solche Katastrophe nicht auslösen können. Ich weiß eigentlich erst seit einer Stunde, was die wirkliche Ursache war. Ich habe etwas sehr Wesentliches hier zurückgelassen - meine Tochter." Seine sanfte Stimme hatte bei den letzten Worten einen eindringlichen Klang angenommen.
Sarah war wie betäubt gegen die Rückenlehne des Sofas gesunken und war keiner Reaktion mehr fähig. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf, doch in Wirklichkeit konnte sie an nichts anderes mehr denken, als daß Jareth Jasminas Entstehung beinahe mit seinem Leben bezahlt hätte. Sie hätte gerne geweint, doch ihre Verwirrung war zu groß. Wie sollte ihr Leben nur weitergehen?
Sie konnte aus diesem Dilemma keinen Ausweg finden.
Jareth konnte die flackernde Farbe ihrer Aura fast spüren, so heftig waren ihre Gemütsbewegungen. Er hingegen fühlte sich auf fast schon lächerliche Weise erleichtert, ihr seine Geschichte endlich erzählt zu haben. Er hätte das schon vor zwei Jahren tun sollen, aber damals hatte er ja geglaubt, daß es einen anderen Mann in ihrem Leben gegeben hatte. Doch hatte Jasmina ihm nicht erzählt, ihr Vater wäre der einzige Mann gewesen, den ihre Mutter wirklich geliebt hätte? Und er war so eifersüchtig gewesen. Jetzt sah die Sache schon wieder anders aus. Immerhin war er ja selbst Jasminas Vater!
"Wann hast du eigentlich aufgehört, die Kette zu tragen?" fragte er sie unvermittelt.
"Die Kette?" Ein desorientierter Blick traf Jareth. "Oh, die Kette...An Jasminas siebtem Geburtstag." Sie nahm noch einen Schluck Cognac. Während sie weitersprach drehte sie das leere Glas zwischen ihren Händen. "Es war nicht einfach für mich - ich habe jahrelang auf dich gewartet, doch irgendwann musste ich mein Leben wieder in die Hand nehmen. Zu ihrem sechsten Geburtstag habe ich ihr noch ein Märchenbuch geschenkt..."
"Sie hat mir das Buch gezeigt. Ich habe mich oft gefragt, warum du das wohl getan hast", unterbrach er sie nachdenklich.
"Ich weiß es selbst nicht mehr so genau. Vielleicht wollte ich sie einfach nicht komplett unvorbereitet lassen, falls du doch noch eines Tages auftauchen solltest." Sie lachte nervös. "Ich weiß es wirklich nicht. Aber an diesem Tag habe ich mir geschworen nur noch ein Jahr auf dich zu warten und dann ein neues Leben zu beginnen." Sie hatte plötzlich das unangenehme Gefühl sich rechtfertigen zu müssen. "Ich war es Jasmina schuldig", ergänzte sie nahezu trotzig. "Als das Jahr vorbei war...", sie zögerte und fuhr schließlich mit einem verwunderten Lachen fort: "Aber was ich wirklich nicht begreife - du hast dich zwei Jahre lang mit ihr getroffen und hast nicht gemerkt wie ähnlich sie dir ist? Ist dir nie auch nur der kleinste Verdacht gekommen?"
"Nein", antwortete er ohne zu zögern. "Ich habe immer nur dich in ihr gesehen."
Sarah war von seiner Antwort mehr gerührt als sie zugeben wollte.
"Aber nein, Jareth! Ihre Haarfarbe, ihre Art zu sprechen, ihr Gesichtsausdruck wenn sie lacht oder schmollt..." Sarah lächelte zärtlich und ließ den Satz unbeendet.
"Ihre Art zu gehen und sich zu bewegen, ihre Stimme, die Art wie sie einen manchmal ansieht - das alles hat mich immer unsagbar an dich erinnert." Er fing ihre Hände ein und nahm ihr das Glas weg. "Ich liebe dich immer noch, Sarah", flüsterte er mit zärtlichem Ernst. "Laß uns nochmal von vorne anfangen."
Ihre Augenlider flatterten verwirrt, bevor sie direkt in seine Augen sah. Was sie in ihnen las ließ ihre Knie weich werden und für den Bruchteil einer Sekunde war sie nahe daran ihm nachzugeben - an seine einladende Brust zu sinken und alles, einfach alles vergessen und nur noch... doch dann gewann ihre Vernunft wieder die Oberhand über das Herz und mit eisernem Willen entzog sie ihm ihre Hände. Sie durfte nicht mehr nur an sich selbst denken. Dazu war es zu spät.
"Nehmen wir einmal an, ich würde deinem Vorschlag zustimmen... was soll dann zum Beispiel aus Jasmina werden?" fragte sie traurig.
"Was soll das heissen? *Nehmen wir einmal an*? Willst du denn nicht?" Verletzt war Jareth von ihr abgerückt.
"Ach, Jareth", seufzte Sarah. Manchmal war er wirklich noch ein Kind. "Es geht hier doch nicht nur ums Wollen. Ich kann einfach nicht mit dir kommen. Da ist zum einen Jasmina. Dann gibt es auch noch Tobias und schließlich habe ich auch noch meinen Beruf."
"Jasmina wird demnächst aufs College gehen und Tobias ist ein erwachsener Mann. Er braucht dich also auch nicht mehr. Und du wirst mir doch nicht allen Ernstes weismachen wollen, daß deine Firma gewichtigere Ansprüche auf dich hat als ich", sagte er enttäuscht, obwohl er wußte, daß alles wieder auf die gleiche alte Leier hinauslief. Sarah hatte einfach nicht genug Mut um ihm in sein Reich zu folgen.
"Du würdest unser Kind tatsächlich hier allein zurücklassen?" fragte Sarah ungläubig. "Das - das begreife ich einfach nicht. Weißt du eigentlich, daß ich dir hauptsächlich deshalb verschwiegen habe, daß sie auch deine Tochter ist, weil ich entsetzliche Angst hatte, du könntest sie mir wegnehmen und in dein Reich entführen? Ich verstehe nicht, was es da zu Lachen gibt", sagte sie empört.
Jareth wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. "Keine Bange, du verstehst es gleich. Es ist wirklich der allergrößte Witz. Jasmina hat mich nämlich die ganze Zeit über geplagt, ich solle ihr doch endlich mein Reich zeigen. Und an ihrem letzten Geburtstag war ich wirklich kurz davor es auch zu tun, obwohl ich wußte, daß du es nicht billigen würdest. Also habe ich sie an den Händen gehalten und merkte erst in diesem Moment, daß sie nicht soviel Magie in sich hat." Er schnippte zur Verdeutlichung mit den Fingern. "Ich könnte sie gar nicht mitnehmen. Oder nur für einen kurzen Besuch."
"Gut, das entscheidet die ganze Angelegenheit. Ich bleibe hier bei Jasmina. Nein, versuch nicht, mich davon abzubringen", unterdrückte sie seinen Einwand. "Ich werde meine Tochter nicht allein lassen."
Folgsam klappte Jareth seinen Mund wieder zu. Innerlich allerdings zitterte er vor Erregung. Warum zum Teufel konnte er nicht von dieser Frau lassen, von dieser Frau die ihn schon öfter als einmal zurückgewiesen hatte. Liebe als einzigen Grund konnte und wollte er nun nicht mehr akzeptieren. Hierbei handelte es sich schon eher um geistige Umnachtung im fortgeschrittenen Stadium. Nach allem was zwischen ihnen vorgefallen war, hätte er sie in diesem Moment am liebsten übers Knie gelegt und sie dann einfach in sein Reich entführt. Das wäre die allereinfachste Lösung gewesen. Doch wer hatte schon gesagt, das Leben wäre einfach!
"Also gut, Sarah! Es soll auch diesmal wieder nach deinem Willen gehen. Aber über eines mußt du dir im Klaren sein: so schnell werde ich nicht aufgeben!" Er grinste anzüglich und sah mit Genugtuung, daß sie immer noch auf ihn reagierte -auch wenn sie offensichtlich nicht gewillt war, es auch zuzugeben. "Wie soll es nun also weitergehen?" Er hob fragend eine Augenbraue.
"Du bist einfach unmöglich", schimpfte Sarah zwischen Belustigung und Ärger. "Aber da Jasmina so an dir hängt, werde ich dich ihr nicht vorenthalten. Ich würde sagen, du darfst sie an den Wochenenden besuchen und natürlich bist du auch an allen Feiertagen willkommen."
"Sogar an Thanksgiving?" fragte er mit einem spöttischen Unterton.
"Und sogar an Weihnachten", konterte Sarah spitz.
"Du bist noch der Nagel zu meinem Sarg, meine liebe Elfe", sagte Jareth, stand vom Sofa auf und verabschiedete sich mit einem flüchtigen Handkuß von Sarah. "Bevor ich gehe, werde ich mich noch von Jasmina verabschieden und sie über unser neues Arrangement in Kenntnis setzen."

Zu behaupten, Jareth wäre mit Sarahs Vorschlägen wirklich und wahrhaftig einverstanden gewesen, wäre nahezu einer Lüge gleichgekommen. Doch derzeit fiel ihm nichts besseres ein, als sich fürs Erste zu fügen und auf darauf zu hoffen, daß bald bessere Zeiten anbrechen würden. Soviel war auf jeden Fall sicher: er würde nicht aufgeben! Die Vorzeichen, daß Sarah ihn schließlich erhören würde, standen seiner Ansicht nach ausnehmend günstig. Er wußte, daß sie nie ganz aufgehört hatte, ihn zu lieben. Außerdem hatte er in seiner kapriziösen Tochter eine entschlossene Verbündete.
"Das ist doch Schwachsinn! Warum will sie nicht mit dir gehen?" hatte diese noch am selben Abend ihrer Empörung Luft gemacht. "Ich finde, sie sollte endlich mal an sich selbst denken und damit aufhören immer nur für andere da zu sein", hatte Jasmina geschnaubt. "Denkt sie eigentlich ich wäre immer noch ein kleines Kind für das sie rund um die Uhr sorgen muß?"
Jareth lächelte bei dem Gedanken an diese Unterhaltung. Seine Tochter war ihm tatsächlich ziemlich ähnlich. Er verfolgte keinen bestimmten Plan um Sarahs Zuneigung wieder vollständig zu erringen, dennoch gaben ihm die folgenden Wochen zu berechtigten Hoffnungen Anlaß.


Kapitel 45

"Daddy, findest du eigentlich nicht, daß es langsam an der Zeit wäre, Robin alles zu sagen?"
"Man spricht nicht mit vollem Mund, du Koboldbaby", rügte Jareth sie gutgelaunt. Sarah hatte Wort gehalten und er genoß das erste Thanksgiving im Kreise seiner Familie. "Und kau' richtig, bevor du schluckst, es ist wirklich nicht nötig, daß du an diesem Truthahn erstickst."
"Ich halte es für keine gute Idee, Robin in alles einzuweihen", mischte sich Sarah ein.
"Warum eigentlich nicht? Bei der Gelegenheit könnten wir Tobias auch gleich informieren", stichelte Jareth.
"Du weißt ganz genau, warum ich nicht will, daß Toby irgendetwas erfährt."
"Warum denn nicht?" piepste Jasmina dazwischen.
"Weil es keine Geschichte für kleine Mädchen ist", äußerte Jareth mit Nachdruck. "Ich habe es nicht ernst gemeint, Sarah. Entschuldige. Aber warum sollte man Robin nicht tatsächlich einweihen? Weißt du, je länger ich darüber nachdenke... immerhin ist Jasmina rein faktisch die Erbprinzessin meines Reiches, auch wenn sie meine Nachfolge nie antreten kann. Theoretisch könnte dann Robin eines Tages Prinzregent werden und..."
"Ein für allemal, Jareth! Ich will nicht, daß du unserer Tochter solche Flausen in den Kopf setzt!" schnitt ihm Sarah wütend das Wort ab.
Jareth legte verblüfft das Besteck beiseite. "Die Nachfolgeregelung meines Reiches sind also Flausen?" fragte er ärgerlich.
Sarah seufzte. Sie hatte sich das Leben als komplette Familie einfacher vorgestellt. "Es tut mir leid", versuchte sie Jareth zu besänftigen. "So habe ich es nicht gemeint. Aber habt ihr euch schon mal überlegt, was passieren würde, wenn Robin diese Sache nicht für sich behalten kann?"
Jareth nahm sein Besteck wieder auf. "Was sollte schon groß passieren?" fragte er gleichmütig. "Er kann mir nichts anhaben und abgesehen davon, wer würde ihm diese wirre Geschichte denn schon glauben?"
"Punkt für dich", gab Sarah zu.
"Und ich weiß, daß er es niemals jemanden erzählen wird", steuerte Jasmina sehr selbstsicher bei.
"Also gut", kapitulierte Sarah. "Hier macht ja sowieso jeder was er will."
Jasmina strahlte und Jareth warf seiner Elfe eine Kußhand zu.
Sie kamen überein, Robin am nächsten Wochenende zum Essen einzuladen und ihn bei dieser Gelegenheit in alles einzuweihen. Jareth hatte sich allerdings ausbedungen mit ihm allein zu sprechen. Er wollte nicht, daß seine impulsive Tochter bei diesem Gespräch anwesend war. Obwohl er Robin erst einmal begegnet war, hatte er den Jungen gern, weshalb er ihm einen nahezu ungeschminkten Bericht über die Geschehnisse liefern wollte. Dabei würden Dinge zur Sprache kommen, die Jasmina - hauptsächlich nach Sarahs Willen - nicht erfahren sollte.

Als Robin von der Einladung erfuhr und Jasmina ihm im gleichen Atemzug mitteilte, daß auch ihr mysteriöser Vater an diesem Abendessen teilnehmen würde, platzte er fast vor Neugier. Er hatte Jasmina nach Halloween wohl die eine oder andere Frage gestellt, doch ihre Antworten waren so ausweichend gewesen, daß er sie nicht weiter quälen wollte. Doch jetzt hatte es den Anschein als ob die Geheimniskrämerei um ihren Vater endlich ein Ende nehmen würde. Daher betrat er an dem bewußten Abend in gespannter Erwartung Sarahs Wohnung.

Jareth hatte Robin zuliebe auf allzu auffällige Kleidung verzichtet, doch seine weißes Rüschenhemd, die enge schwarze Hose und die dazu passende halblange Weste waren immer noch extravagant genug um Robin Anlaß zu den wildesten Spekulationen zu geben. Nach dem Essen zogen sich Sarah und Jasmina zurück, um den beiden Männern Gelegenheit zu einem ungestörten Gespräch zu geben. Trotz aller zur Schau getragener Zuversicht war Jasmina nervös und machte sich Sorgen über Robins Reaktion. Während Jasmina unruhig an ihren Haaren herumzupfte versank ihre Mutter tief in ihre eigenen Gedanken. Heute war sie zum ersten Mal Zeuge gewesen, wie ein normaler Mensch auf Jareth reagierte, wenn nicht gerade Halloween war. Sie hatte zuerst nicht darauf geachtet, doch dann hatte sie ihn wachsam beobachtet. Robin hatte die verschiedensten Gefühle erkennen lassen, die von Ablehnung über Faszination bis zu Respekt reichten. Bislang hatte sie nur Neid oder Bewunderung in den Gesichtern der Menschen lesen können, die ihn auf den Partys flüchtig kennen gelernt hatten. Mit diesen eindimensionalen Ansichten hatte sie umgehen können. Sie waren bei einem Mann seines Kalibers schließlich nicht aussergewöhnlich gewesen. Heute abend jedoch hatte sie Jareth zum ersten Mal mit den Augen eines Fremden betrachtet und nun fragte sie sich allen Ernstes, ob sie alle Facetten Jareths wirklich kannte und - was noch viel wichtiger war - ob sie auch mit allem einverstanden sein konnte. Während sie über diese Punkte nachsann, kristallisierte sich mit erschreckender Klarheit die tatsächliche Frage zu diesem Problem heraus: wollte sie unter den jetzigen Umständen ihre Liebe zu Jareth überhaupt wieder aufleben lassen? Behutsam unternahm sie den Versuch ihre Gefühle zu ordnen. Eigentlich war sie sich sicher gewesen, daß sie seinem Charme nicht mehr erliegen würde. Zuviel war inzwischen in ihrem Leben passiert - auch wenn dazu kein neuer Mann gehört hatte - zu lange war er nicht an ihrer Seite gewesen. Doch jetzt war er wieder da und beanspruchte auf seine nonchalante Art einen Platz in ihrer kleinen Familie und in ihrem Herzen, als ob nichts geschehen wäre. Es bestand wirklich kein Zweifel darüber, daß Zeit für ihn eine völlig andere Bedeutung hatte. Obwohl ihr Verstand ihr ständig vorhielt, es wäre endgültig zu spät, lauschte sie auf die Einflüsterung ihres Herzens, daß *endgültig* ein verdammt hartes Wort wäre.


In der Zwischenzeit mühte sich Jareth damit ab, Robin den wahren Sachverhalt zu erklären, ohne ihn in größere Verwirrung zu stürzen.
"Was hat dir Jasmina eigentlich über mich erzählt?" eröffnete er das Gespräch.
Robin rutschte unbehaglich auf seinem Sessel herum. "So gut wie nichts."
Jareth holte tief Luft und überlegte, daß die direkte Methode wahrscheinlich die Beste war. "Ich bin der König der Kobolde und herrsche über ein magisches Reich, das sich in einer anderen Dimension befindet", erläuterte er ohne Umschweife.
Robin hatte das Gefühl als ob sich sein Verstand mit einem leisen *Plopp* verabschiedet hätte. Er konnte den Vater seiner Freundin nur mit offenem Mund anstarren.
Jareth wartete eine Weile, damit sich Robin an diese Neuigkeit gewöhnen konnte. Doch die ersten Worte, die der Junge schließlich äußerte, kamen für Jareth ziemlich überraschend.
"Ich hätte es wissen müssen! Warum konnte ich mich nicht einfach in Betty verlieben - aber nein, es musste ja unbedingt Jasmina sein! Jetzt ist mir klar warum ihre Augen manchmal diesen Schimmer haben." Er fixierte Jareth. "In diesen Momenten ist wahrscheinlich Ihr Erbteil durchgekommen."
Jareth schmunzelte. "Wenn man Sarah Glauben schenken darf, habe ich meiner Tochter noch weit weniger liebenswürdige Eigenschaften vererbt."
"Ja, diesen verfluchten Dickschädel von ihr", stieß Robin hervor, hielt sich dann aber sofort erschrocken die Hand vor den Mund und nuschelte: "Entschuldigung."
"Ich sehe schon, du und Sarah, ihr werdet euch prächtig verstehen", äußerte Jareth trocken.
"Aber ich verstehe nicht... wie war es möglich... ich meine, wo waren Sie die ganze Zeit und warum wußte Jasmina nichts von Ihnen?"
"Es war mir bereits vor Jasminas Geburt nicht mehr möglich mein Reich zu verlassen. Es waren gewisse Umstände eingetreten. Da ich leider auch keine Gelegenheit mehr hatte, Sarah zu informieren, hielt sie es für klüger Jasmina die Identität ihres Vaters zu verheimlichen."
"Hat Mrs. Williams geglaubt, Sie hätten kalte Füße gekriegt?" fragte Robin respektlos.
Jareth nickte ungerührt. "Etwas in der Art - zweifellos. Aber du wirst dich sicher wundern, warum ich dir das alles erzähle."
"Ich habe vor kurzem aufgehört mich zu wundern", antwortete Robin leichthin.
"Kluger Junge", sagte Jareth halb zu sich. "Ich weiß, du liebst Jasmina aufrichtig. Deshalb solltest du wissen, daß Jasmina rein faktisch Ihre Königliche Hoheit, Erbprinzessin des Königreiches der Kobolde ist. Leider wird sie meine Nachfolge nie antreten können, da sie eine wichtige Grundvoraussetzung nicht erfüllt. Sie hat keinerlei Magie in sich." In Jareths Stimme schwang ein leises Bedauern mit, das Robin seltsam anrührte.
"Wow." Das war alles was Robin noch sagen konnte. Das Fassungsvermögens seines menschlichen Gehirns war erschöpft. Umständlich erhob er sich von seinem Platz.
"Ich muß das erst mal, äh, verdauen. Wenn es sonst nichts mehr gibt..." Robin stockte, als er sich bewußt wurde, wie ironisch sein letzter Satz wirken mußte. Da er dies nicht beabsichtigte hatte kratzte er sich verlegen am Hinterkopf. "Also, dann würde ich jetzt gerne gehen."
Jareth stand ebenfalls auf und ließ einen Kristall in seiner rechten Hand erscheinen. "Nur noch einen kleinen Augenblick, Robin. Ich habe hier noch etwas für dich..."

Nachdem Robin die Wohnung verlassen hatte, rief Jareth nach Jasmina und Sarah. Seine Tochter war die erste, die seinem Ruf völlig überstürzt folgte.
"Wo ist er? Er ist doch nicht schon gegangen?"
Jareth nickte. "Doch, ich fürchte, ich habe ihn trotz aller Behutsamkeit etwas überfordert."
Jetzt betrat auch Sarah den Raum. Sie musterte Jareth mit einem seltsamen Gesichtsausdruck. "Dann weiß er jetzt über alles Bescheid?"
Jareth ging auf sie zu. "Ja, er weiß jetzt Bescheid. Ich denke wir haben keinen Grund zur Besorgnis. Den Umständen entsprechend hat er die Neuigkeiten sehr gut aufgenommen." Er hätte Sarah gerne in seine Arme geschlossen, doch obwohl sie merkwürdig verloren wirkte, hielt ihn etwas in ihrer Haltung davon ab.


"love between the stars"

Kapitel 46

Er sollte diese seltsame Haltung an ihr noch öfter entdecken, als ihm lieb war. Unvernünftigerweise setzte er nicht unbeträchtliche Hoffnung auf ihr erstes gemeinsames Silvester. Robin hatte sich mittlerweile mit einem gewissen Fatalismus in die ungewöhnliche Abstammung seiner Liebsten ergeben und hatte die Einladung zu einer Feier "en famille" in Sarahs Wohnung mit allen Zeichen der Begeisterung angenommen. Der Abend verlief harmonisch und Jareths unkonventionelle Antworten während eines Trivial-Pursuit-Spieles riefen heftige Debatten und überströmende Heiterkeit hervor. Sogar Sarah, die dem Abend mit einer gewissen Ruhelosigkeit entgegengesehen hatte entspannte sich zusehends und genoß dieses neuartige Beisammensein in vollen Zügen. Kurz vor Mitternacht standen zwei Pärchen auf dem Balkon um mit gefüllten Sektgläsern das neue Jahr zu begrüßen. Während Jasmina und Robin den Countdown laut mitzählten, legte Jareth einen Arm um Sarahs Schulter und drückte sie leicht an sich. Erst in diesem Moment begriff Sarah, daß er sie in wenigen Sekunden küssen würde und ihr aufgescheuchter Hormonspiegel konnte sich nicht entscheiden, ob es ihr willkommen wäre oder nicht. Wie durch einen Nebel hörte sie ihre Tochter "Happy New Year" kreischen und ließ es geschehen, daß Jareth sie an sich zog und ihren Kopf mit seinem Zeigefinger leicht anhob. Zu ihrem Ärger bemerkte Sarah, wie sich ihre Lippen automatisch ein wenig öffneten. Ihr Puls raste und ihr Herz klopfte so heftig, daß sie glaubte, es würde jeden Moment ihren Brustkorb sprengen. Seltsam losgelöst beobachtete sie, wie sich Jareth langsam zu ihr hinunterbeugte und einen Sekundenbruchteil später stellte sie entsetzt fest, daß sie seinen Kuss erwiderte. "Was ist nur los mit mir", dachte sie verwirrt. Abrupt wand sie sich aus seiner Umarmung und starrte verständnislos in sein lächelndes Gesicht.
"Frohes neues Jahr", wünschte er ihr.

Nach diesem Silvesterabend schöpfte Jareth wieder Hoffnung. Er wußte nun, daß Sarah ihn immer noch liebte. Mochte ihr Mund auch etwas anderes sagen, ihr Kuß sprach Bände. Es galt nun lediglich noch, ihre Dickköpfigkeit zu überwinden, die sie daran hinderte ihre Liebe zu ihm vor sich selbst einzugestehen. Daher verschwendete er einen guten Teil seiner Zeit darauf mit Hilfe seiner Tochter einen Schlachtplan zu entwerfen, der Sarahs Liebe zu ihm wieder ans Tageslicht befördern sollte. Während der ersten Wochen des neuen Jahres hielt sich Jareth streng an die Vereinbarung, seine Tochter nur an den Wochenenden zu treffen. In dieser Zeit wechselte er auch nicht mehr Worte mit Sarah, als unbedingt nötig waren. Einige Zeit später besuchte er Jasmina auch ab und zu - und sehr unregelmäßig - unter der Woche. Dabei sprach er jedes Mal kurz mit Sarah, beschränkte sich aber meist darauf, sich wortreich für sein unangekündigtes Erscheinen zu entschuldigen. Die dritte Stufe seines Vier-Stufen-Planes sah vor, fast bei jedem Besuch etwas zu früh einzutreffen und in der so gewonnenen Zeit mit Sarah unverbindlich zu plaudern. An einem Frühlingstag war es schließlich so weit: Stufe vier konnte in Angriff genommen werden. Er kleidete sich an diesem Tag besonders sorgfältig an. Zu seinen schwarzen Hosen trug er ein cremefarbenes Hemd mit Spitzenmanschetten und Verzierungen aus dünnen weinroten Samtbändern. Aus weinrotem Samt war auch das kurze Cape, das locker über seinen Schultern lag. Mit seinem Aussehen vollständig zufrieden, erschien er in Sarahs Wohnzimmer.

Sarah saß auf dem Sofa und blätterte müßig in einem Magazin als vor ihr mit einem Mal Jareth aus dem Nichts auftauchte. Sie seufzte gedehnt. In letzter Zeit hatten seine guten Manieren beträchtlich gelitten. Früher hätte er es nie gewagt einfach unangemeldet bei ihr aufzutauchen.
"Was gibt es denn, Jareth?"
"Du weißt doch, daß ich Jasmina versprochen habe ihren Text für die Schulaufführung abzuhören", antwortete er mit seiner vorbereiteten Floskel.
Sarah wußte allerdings nichts dergleichen, doch sie ließ sich ihren leichten Unmut nicht anmerken. Jareth war in letzter Zeit einfach schrecklich vergeßlich.
"Dann hast du dich diesmal aber gründlich vertan", rieb ihm Sarah mit leiser Genugtuung unter die Nase. "Jasmina ist heute gar nicht da. Sie ist mit Betty und Adrienne in der Bibliothek. Und du weißt, wie lange das dauern kann."
"Oh." Jareth heuchelte gekonnt Überraschung. Er wußte genau, daß seine Tochter in der Bibliothek war - er hatte sie selbst dorthin geschickt.
"Wie dumm", fügte er nach einer kleinen Pause hinzu. "Ich habe mir diesen Nachmittag extra freigehalten..." Er schien zu zögern und schenkte Sarah einen fragenden Blick. "Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich ein wenig hier bleibe? Ich habe sonst nichts anderes vor."
"Was sollte es mir schon ausmachen", äußerte Sarah arglos und legte ihr Magazin beiseite. "Setz dich doch."
Jareth nickte ihr dankend zu und nahm ebenfalls auf dem Sofa Platz, achtete jedoch sorgsam darauf, noch nicht zu nahe bei ihr zu sitzen.
"Ich hatte in den letzten Tagen Zeit um mir einige Gedanken zu machen", eröffnete er das Gespräch.
Sarah klappte das Magazin zu. "Und worüber, zum Beispiel?" fragte sie mit einem halben Lächeln.
"Darüber, daß ich noch nicht weiß, ob ich dir jemals verzeihen werde, daß du Jasmina erzählt hast, ich wäre tot", neckte er sie.
"Oh, das!" Sie lachte. "Du hast nicht richtig aufgepaßt. Ich habe ihr nie erzählt, du wärest tot. Ich habe ihr immer gesagt, du wärst nicht mehr auf dieser Welt", erwiderte sie gutgelaunt.
Nun lachte auch Jareth. "Wo hast du eigentlich gelernt so zu lügen, liebste Elfe."
"Das war keine Lüge!" entrüstete sich Sarah. "Lediglich eine angepaßte Wahrheit. Ausserdem war das noch gar nichts. Du kennst ja noch gar nicht die Geschichte, die ich Tess und allen anderen über den verschwundenen Kindsvater vorgeflunkert habe."
"Ja, das habe ich mich auch oft gefragt." Jareth nickte ihr aufmunternd zu. "Na los, Miss Münchhausen."
"Du darfst nicht vergessen, daß ich mir sehr schnell etwas einfallen lassen mußte, also habe ich nur gesagt, Mr. King wäre nicht dein richtiger Name, du würdest für eine Regierung arbeiten und ich wüßte nicht, wie ich mit dir Kontakt aufnehmen könnte", schloß Sarah in leicht prahlerischem Tonfall. "Es war ja nicht meine Schuld, wenn dann alle geglaubt haben, ich hätte mich mit einem Geheimagenten eingelassen."
Jareth ließ seiner aufgestauten Heiterkeit freien Lauf und lachte schallend.
Sarah schlug ihm spielerisch auf die Schulter. "Das ist nicht zum Lachen", schalt sie nicht sehr ernsthaft. Während er sich mit einer erschöpften Bewegung die Lachtränen aus den Augen wischte.
"Und wie haben deine Eltern auf diese *der Spion, der mich liebte*-Geschichte reagiert?"
"Meine Eltern? Oh, nein. Meine Eltern wollte ich nicht so anflunkern. Ich habe ihnen einfach nur gesagt, daß ich im Begriff bin eine alleinerziehende Mutter zu werden."
"Und das haben sie einfach so hingenommen?" fragte Jareth ungläubig.
"Einfach würde ich das nicht gerade nennen", erwiderte Sarah versonnen. "Aber es blieb ihnen im Endeffekt nichts anderes übrig."
Es entstand eine kurze Stille zwischen ihnen, in der Sarah bewußt wurde, wie eng sie sich mittlerweile an Jareth schmiegte, was in ihr ein sehr gefährliches Gefühl der Geborgenheit hervorrief. Doch bevor sie sich besinnen konnte, nahm Jareth die Unterhaltung wieder auf.
"Du hast Jasmina noch etwas über ihren Vater erzählt." Jareth's Stimme hatte jenen einschmeichelnden, warmen Klang angenommen, der Sarah's Knie immer noch in Wachs verwandelte.
"Was denn?" fragte sie eine Spur atemlos zurück.
"Etwas sehr aufschlußreiches." Jareth's Lippen vibrierten an ihrer Schläfe und nicht nur Sarah's Knie wurden zu Wachs.
"Jasmina hat mir gesagt, du hättest ihr immer erzählt, daß ihr Vater die große Liebe deines Lebens war. Das ist doch richtig so?"
"Mmhja."
Jareth schien mit ihrer einsilbigen Antwort völlig zufrieden. "Von Jasmina weiß ich auch, daß es in den letzten Jahren keinen anderen Mann in deinem Leben gegeben hat."
"Mmmh", seufzte Sarah mit geschlossenen Augen.
"Und ich wollte schon die ganze Zeit über wissen, warum eigentlich nicht. Mangel an Gelegenheit wird es doch nicht gewesen sein?" Jareth lächelte sanft, während er ihr Kinn leicht anhob.
"Ich weiß nicht", murmelte Sarah undeutlich.
"Aber ich weiß es", flüsterte Jareth entschieden. "Weil ich immer noch die große Liebe deines Lebens bin. Gib es endlich zu, meine geliebte Elfe, gib es zu, solange dein Herz noch die Oberhand über deinen verfluchten Dickschädel hat."
"Ja, ja." Mit einem kleinen Aufschluchzen schlang Sarah ihre Arme um ihren Geliebten und versank in seinem hungrigen Kuß.

Beide hörten nicht, wie Jasmina den Raum betrat.
"Ooops", entfuhr es ihrer Tochter beim Anblick ihrer engumschlungen Eltern. "Bin ich zu früh?" äußerte sie zerknirscht.
Sarah löste sich hastig von Jareth, während dieser lässig erklärte: "Nur unwesentlich, Jasmina. Nur unwesentlich."
Mit flammenden Wangen wandte sich Sarah wieder ihrem Geliebten zu. "Du wußtest, daß sie in der Bibliothek war", stellte sie empört fest.
"Laß uns noch einen Moment allein, du verflixtes Koboldbaby", wies Jareth seine Tochter lächelnd an und verscheuchte sie mit einer flüchtigen Handbewegung.
"Ihr habt euch gegen mich verschworen!" Sarah kochte auf kleiner Flamme.
"Sei nicht böse", bat er sie schmeichelnd. "Wir haben es nur gut gemeint. Jasmina will dich endlich glücklich sehen - und ich auch."
Sie wehrte sich nicht, als er sie zärtlich in seine Arme schloß.
"Komm mit mir", bat er sie schlicht.
Sarah war den Tränen nahe.
"Ich wünschte, es wäre möglich, aber ich kann nicht, du weißt, daß ich nicht kann."
Jareth hatte nicht mit ihrer Ablehnung gerechnet, deshalb traf ihn die Qual, die ihre Worte in ihm auslösten völlig überraschend.
"Es würde nicht gut gehen", schluchzte sie an seiner Brust.
Jareth wunderte sich, wie sie nicht bemerken konnte, daß ihre Worte ihn langsam töteten. Er schob sie von sich und hielt sie auf Armlänge entfernt.
"Was willst du von mir?" fragte er wild. "Was erwartest du von mir? Ich kann ohne dich nicht leben und du weißt das verdammt genau."
"Glaubst du denn, es macht mir Spaß, dich ständig abzuweisen?" gab sie tränenüberströmt zurück.
"Sag mir einfach, was du von mir erwartest, damit das hier ein Ende nimmt. Soll ich aus deinem Leben verschwinden?"
"Nein", rief sie impulsiv und streckte die Hand nach ihm aus.
"Was dann, Sarah? Was verlangst du diesmal von mir?"
Sarah suchte verzweifelt nach Worten. "Ich will, daß alles so bleibt, wie bisher."
Jareth schüttelte fassungslos den Kopf. Sie war wirklich unschlagbar in ihrer Sturheit. Ihr flehender Blick brachte ihm zu Bewußtsein, daß sie immer noch auf seine Antwort wartete.
"Du verstehst es wirklich, einen Mann in den Wahnsinn zu treiben", stieß er hervor. "Also gut. Du willst eine platonische Beziehung zu dem Vater deiner Tochter? Du sollst sie haben. Dein Wille geschehe. Ob du wohl jemals erkennen wirst, daß es unmöglich ist den Kuchen zu essen und ihn gleichzeitig zu behalten?"
"Bitte, Jareth..."
"Schon gut, ich sage nichts mehr", lenkte er ein. Er erhob sich. "Ich fürchte, ich liebe dich mehr, als gut für dich ist." Er unterband ihren Versuch eine Bemerkung zu machen mit einer ungeduldigen Handbewegung. "Bis nächsten Samstag." Er lächelte matt und verschwand.

Zurück in seinem Schlafzimmer legte sich Jareth auf sein Bett und wartete darauf, daß der Schmerz zurückkehrte. Doch nichts geschah. Er fühlte sich enttäuscht, ausgelaugt und erschöpft, aber er fühlte keinen Schmerz. Dennoch kam ihm diese Erschöpfung merkwürdig bekannt vor. Er durchforstete seine Erinnerung und stieß dabei auf den Moment vor vielen, vielen Jahren, als Sarah ihn zum ersten Mal zurückgewiesen hatte um ihren Bruder zu retten. Damals hatte er die gleiche frustrierte Mattigkeit gefühlt, die ihn auch jetzt wie undurchdringlicher Nebel einhüllte. Es wäre wirklich besser gewesen, wenn er sie nach dieser Begegnung nie wieder gesehen hätte, denn genaugenommen war er in diesen ganzen Jahren nicht um einen Schritt weitergekommen. Sie hatte ihn damals zurückgewiesen und sie hatte ihn nun wieder zurückgewiesen. Je länger Jareth über die vergeudeten Jahre seines Lebens nachdachte, desto deprimierte wurde er. Das Schlimmste daran war zweifellos, daß ihm ein Leben ohne sie und ihre Liebe nicht mehr lebenswert erschien. Er stand auf und bewegte sich langsam auf Sarahs Portrait zu. Lange stand er da und betrachtete es, als ob er jedes noch so kleine Detail in sich aufnehmen wollte. Dann hob er das Gemälde leicht an und drehte es zur Wand. Er wandte sich ab und trat auf seinen Balkon. Unter ihm breitete sich sein Reich aus, doch er empfand nichts. Während sich die Dämmerung langsam über das Land senkte, durchströmte seinen Körper eine grenzenlose Leere. Er unternahm nicht einmal den Versuch, dagegen anzukämpfen. Während er sein Reich betrachtete, blieb sein Blick an der entlegensten Region hängen und eine Idee keimte in seinem Gehirn. Je länger er darüber nachdachte, desto faszinierender erschien sie ihm. Schließlich zuckte er leichtfertig mit den Schultern und tat etwas, das vor ihm noch nie ein König der Kobolde gewagt hatte: er begab sich bei anbrechender Dunkelheit in den Wald der Mohocks.


Kapitel 47

Sarah nutzte die nächsten Wochen dazu ihr Herz gegen Jareth zu verhärten. Sie stand immer noch auf dem Standpunkt es wäre für sie zu spät um dieser Beziehung wieder neues Leben einzuhauchen. Mit Genugtuung bemerkte sie auch an Jareth gewisse Veränderungen, die sie zu dem Schluß führten, auch er wäre mittlerweile darüber hinweg und würde sich nicht länger in diesen romantischen Unsinn hineinsteigern. Er schien zwar oft geistesabwesend zu sein, doch befleißigte er sich in ihrer Gegenwart einer ruhigen Freundlichkeit, die ihr half, ihr seelisches Gleichgewicht zu bewahren. Im Gegensatz zu Jasmina fiel ihr auch nicht auf, daß Jareth nun öfter unter Schmerzen zu leiden schien. Seine Tochter bemerkte allerdings sehr wohl, daß er den einen Tag ein wenig humpelte, oder ein paar Wochen später sein Arm etwas steif zu sein schien. Er versuchte augenscheinlich, diese Beschwerden zu verbergen, weshalb ihn Jasmina durch ihre Fragen nicht in Verlegenheit bringen wollte. Ein paar Mal jedoch erwähnte sie diese kleinen Auffälligkeiten Robin gegenüber, der ihr daraufhin lediglich einen seltsamen Blick schenkte und ansonsten schwieg.

Robin fühlte sich trotz allem nicht befugt sich in die Angelegenheiten dieser ungewöhnlichen Familie zu mischen. Obwohl ihm Jareth bei ihrem ersten Gespräch ein magisches Amulett geschenkt hatte, mit dessen Hilfe er Jareth's Reich betreten konnte, hatte er die gleichzeitig ausgesprochene Einladung den König so oft zu besuchen wie er nur wollte, nur selten in Anspruch genommen. Bei den letzten Besuchen war ihm aufgefallen, daß Jareth oft desorientiert und gleichgültig wirkte, obwohl er dennoch ein mustergültiger Gastgeber war, der Robin durchaus das Gefühl vermittelte wirklich willkommen zu sein. Vor zwei Tagen hatte Robin ihn das letzte Mal besucht und bei dieser Gelegenheit einige der leerstehenden Gemächer des Schlosses durchstöbert. Dabei war er auf einige Reste von blutbefleckter und zerfetzter Kleidung gestoßen und seither wußte Robin erst wirklich, was Sorgen waren.

Einige Wochen später an einem ruhigen Sonntag Vormittag wollte Jasmina gerade ihr Zimmer verlassen, als sie hinter sich ein surrendes Geräusch vernahm. Als sie sich neugierig umdrehte, verschlug ihr der Schreck für mehrere Augenblicke die Sprache. Mitten in ihrem Zimmer stand Robin. Sein Shirt hing ihm aus der Hose, seine Haare waren in Unordnung und auf seiner blassen Stirn stand kalter Schweiß. Dennoch war sein Blick entschlossen als er eilig an Jasmina vorbeischritt um mit fester Stimme nach ihrer Mutter zu rufen.
"Mrs. Williams! Mrs. Williams! Wo sind Sie?!"
Jasmina stürmte mit weitaufgerissenen Augen hinter ihm her.
"Ich bin ja da, Robin. Was gibt es denn? Ich habe die Türklingel gar nicht gehört." Mit amüsierter Miene traf Sarah im Wohnzimmer auf Robin, bei dessen Anblick sie eine düstere Vorahnung beschlich. Nervös befeuchtete sie ihre trockenen Lippen.
"Gott sei Dank, dass Sie da sind, Mrs. Williams", stiess Robin atemlos hervor. "Ich würde es Ihnen gern schonender beibringen, aber wir haben keine Zeit zu verlieren. Jareth braucht dringend einen Arzt!"
"Daddy!?" quietschte Jasmina entsetzt. "Was ist mit ihm passiert? Wo bist du überhaupt so plötzlich hergekommen?" Sie trat auf ihren Freund zu und schüttelte ihn unsanft.
Sarah war kalkweiß auf einen Stuhl gesunken. Obwohl ihr Verstand Robins Botschaft aufgenommen hatte, weigerte er sich vehement sie auch zu verarbeiten.
"Laß' mich los, Jasmina. Das kann ich dir alles später erklären." Er wandte sich mit drängender Stimme Sarah zu. "Bitte, Mrs. Williams, Sie kennen doch sicher einen vertrauenswürdigen Arzt?"
Sarah fühlte sich, als hätte ihr jemand den Boden unter den Füßen weggerissen. Sie konnte weder einen klaren Gedanken fassen noch in irgendeiner Form auf ihre Umwelt reagieren. Ihr eigentümlich leerer Blick jagte Robin eine Gänsehaut über den Rücken.
Wie in Trance schüttelte Sarah schließlich den Kopf. "Stirbt er?" murmelte sie tonlos.
Jasmina eilte impulsiv zu ihrer Mutter.
"Aber Mammy, wir kennen doch einen Arzt. Onkel Tob ist doch Arzt!"
"Toby?" Sarah's trübe Augen füllten sich langsam wieder mit Leben.
"Oh, Mrs. Williams, das wäre die allerbeste Lösung. Wir müssen..." Seine Stimme erstarb, als er bemerkte, wie Sarah merkwürdigerweise bei diesen Worten zusehends in Panik geriet.
"Nein", flüsterte sie heiser. "Nicht Tobias."
"Mrs. Williams!" rief Robin ungläubig. "Das kann nicht Ihr Ernst sein! Wir haben keine andere Möglichkeit."
In Sarah's Innerstem tobte ein schrecklicher Kampf. Jareth - ihr Jareth - starb vielleicht, wenn er keine ärztliche Hilfe bekam. Wenn sie aber Toby bat, sich um ihn zu kümmern, dann würde ihm wieder bewußt werden, daß seine eigene Schwester ihn vor etlichen Jahren zu den Kobolden gewünscht hatte. Wie in einem fernen Echo vernahm sie wieder Jareth's Worte, sie dürfe ihrem Bruder gegenüber niemals über Kobolde sprechen, sonst würde Toby sich wieder an alles erinnern. Sie hatte sich damals geschworen, daß sie dies um jeden Preis verhindern würde. Doch wenn sie ihren Schwur hielt, verurteilte sie Jareth damit unweigerlich zum Tode. Plötzlich glaubte sie, sich übergeben zu müssen. Ihre seelische Bedrängnis peinigte ihren Körper, doch der Moment ging vorüber und sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Was würde Toby nur von ihr denken?
Ihre Schultern strafften sich, sie stand auf und faßte Jasmina an der Hand. "Du rufst gleich Onkel Tobias auf seinem Mobiltelefon an uns sagst ihm, er soll seinen Hintern so schnell wie möglich in seine Wohnung bewegen. Robin und ich werden dort auf ihn warten." Energisch drehte sie sich zu Robin um. "Ich fahre uns zu Tobias' Wohnung, dort werde ich ihm alles erklären und dann bringst du uns zu Jareth." Sie zögerte einen Augenblick. "Wie willst du uns eigentlich in sein Reich bringen?" fragte sie.
Robin holte das Amulett unter seinem Shirt hervor, das er an einer Kette um seinen Hals trug und hielt es Sarah hin. "Damit. Es ist ein magisches Amulett." Er räusperte sich verlegen. "Jareth hat es mir gegeben, damit ich sein Reich selbständig betreten kann."
Sarah blickte ihn mit neuem Interesse an.
"Ich will mit", bettelte Jasmina.
"Nein!" sagte Sarah mit Nachdruck. Es klang endgültig genug, so daß Jasmina keinen zweiten Vorstoß wagte.
"Gehen wir, Mrs. Williams?" drängte Robin zum Aufbruch.
"Ja, wir gehen."
Kaum hatte sich die Tür hinter Sarah und Robin geschlossen rannte Jasmina auch schon zum Telefon um ihren Onkel anzurufen. Bereits nach dem dritten Klingeln meldete sich eine tiefe Stimme.
"Williams."
"Hallo Onkel Tob! Ich bin's, Jasmina."
"Das ist noch lange kein Grund mich sonntags zu stören", antwortete Tobias brummig.
"Du wirst gleich noch viel mehr gestört!" stichelte Jasmina. "Mammy hat nämlich gesagt, du sollst deinen Hintern so schnell wie möglich in deine Wohnung schwingen."
"Da bin ich sowieso schon. Was soll der ganze Quatsch?"
"Das wird sie dir selbst sagen."
"Bitte? Soll das heißen meine Schwester kommt hierher?"
"Sie ist schon unterwegs."
Nach einer kurzen Pause fragte Tobias mit veränderter Stimme: "Was ist passiert?"
"Ich glaube, etwas sehr Schlimmes", antwortete Jasmina unglücklich.


Tief beunruhigt von Jasminas vagen Äußerungen und auf das Schlimmste gefaßt, legte Tobias den Hörer auf. Aus dem kleinen Jungen war in den letzten Jahren ein großer, schlanker Mann von 30 Jahren geworden, der sich mit strebsamem Ernst seinem Beruf widmete. Er liebte seine große Schwester sehr, doch am liebsten hielt er sie sich vom Leibe, da sie erschreckende Tendenzen zeigte, ihn zu bemuttern. Seine rötlich-blonden Haare wellten sich trotz des kurzen Haarschnittes noch immer leicht und wegen seiner beginnenden Kurzsichtigkeit hatte er es sich angewöhnt eine kleine Nickelbrille zu tragen, die ihn mehr denn je wie einen Mediziner aussehen ließ.

Die folgenden 15 Minuten bis zu Sarah's Eintreffen blieben Tobias in unangenehmer Erinnerung. Unruhig tigerte er in seiner kleinen Wohnung auf und ab, eine willige Beute für allerlei Schreckensvisionen die sein besorgtes Hirn für ihn inszenierte.
Er empfand die Türklingel als das lieblichste Geräusch der Welt und riß die Tür ungeduldig auf.
"Warum hast du so lange gebraucht?" warf er seiner Schwester nervös vor.
Sarah überging dies und stellte stattdessen ihren Begleiter vor. "Du kennst Robin?"
Verwirrt ließ Tobias die beiden ein. Er erinnerte sich, daß er den Burschen ein paar Mal gesehen hatte.
"Ja - aber sag' mir doch bitte was los ist!"
Sarah zögerte. "Jasmina hat dir nichts gesagt?"
"Sie hat sich nur in nebulösen Andeutungen ergangen. Du kannst dir sicher vorstellen, daß ich mittlerweile etwas aufgeregt bin", versuchte sich ihr Bruder in Sarkasmus.
Sie holte tief Luft. Ihr besorgter Blick ruhte auf Tobias während sie Robin bat, sie einen Augenblick allein zu lassen.
Robin trollte sich unruhig in die Küche, nicht ohne Sarah vorher noch zu bedeuten, daß sie sich beeilen sollte.
"Tobias, ich wünschte, es wäre nie nötig gewesen... ich hoffe, du vergißt nie, daß ich dich sehr liebe." Sie fürchtete sich vor dem was nun folgen mußte und ihr Stimme zitterte als sie fortfuhr: "Jareth braucht einen Arzt."
Sie wollte ihr Augen schließen, nachdem sie ihrem Bruder seine Erinnerung wieder gegeben hatte, doch sie hatte nicht die Kraft dazu. Ihr Blick hing wie gebannt an seinem Gesicht während sie darauf wartete, daß sich die Verwunderung in seiner Miene zu Verachtung oder Haß wandeln würde. Sie hoffte nur noch, er würde Jareth retten, ungeachtet dessen, was er von heute an für seine Schwester empfinden mußte.
Doch nichts dergleichen geschah.
Tobias Blick kehrte sich nach innen. "Jareth", wiederholte er flüsternd. "Jareth!" Die Verwunderung verschwand und machte einem Ausdruck des Verstehens Platz. Schließlich wandte er seinen Blick wieder seiner Schwester zu und lächelte unsicher auf sie herab. "Ich denke, ich erinnere mich gerade an ein paar Dinge..."
"Bist du mir böse?" fragte sie, durch seine unerwartete Reaktion ermutigt.
Er schüttelte leicht den Kopf. "Ich glaube nicht... allerdings verstehe ich noch nicht alles..."
Mit einem leisen Aufschluchzen nahm Sarah ihren Bruder in die Arme und drückte ihn an sich. Sie gestattet sich, dieses unerwartete Glücksgefühl einige Sekunden lang auszukosten, bevor sie sich wieder dem tatsächlichen Problem zuwenden mußte.
"Ich erinnere mich, daß er mich auf seinen Knien geschaukelt hat", flüsterte Tobias leise in ihr Haar.
Sarah hob ruhig den Kopf um ihren großgewachsenen Bruder anzusehen.
"Und jetzt braucht er ärztliche Hilfe - deine Hilfe!"
"Du scheinst zu vergessen, daß ich es in diesem idiotischen Krankenhaus erst bis zum Assistenzarzt gebracht habe."
"Das habe ich keinesfalls vergessen", entgegnete Sarah heftig. "Aber du siehst vielleicht ein, daß ich keinen anderen Arzt zu ihm bringen kann. Du mußt ihm helfen. Bitte! Ich liebe ihn doch so sehr."
Verblüfft bemerkte Tobias die Tränen in den Augen seiner Schwester und verdrängte seine Bedenken hinsichtlich seiner Heilkunst.
"Ich werde mein Bestes tun. Was genau ist denn passiert?"
"Das weiß ich leider nicht... Robin?" wandte sie sich suchend um.
Augenblicklich tauchte Robin in der Küchentür auf. "Ich kann es ihnen leider auch nicht genau sagen. Ich weiß nur, daß er nicht bei Bewußtsein ist, wahrscheinlich ein paar Knochen gebrochen und wohl ziemlich viel Blut verloren hat."
Tobias biß sich auf die Lippen, während er Robin's Aufzählung lauschte. "Besser als nichts", murmelte er schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen und ging ins Badezimmer um eine Tasche mit allen vorhandenen Arzneimitteln und Geräten vollzustopfen. Nach einigen Minuten konzentrierter Arbeit war er fertig und gesellte sich wieder zu den anderen.
"Wir können", äußerte er knapp.
Robin bedeutete ihnen, sich an den Händen zu halten, dann holte er sein Amulett hervor und die Reise begann.


Bevor Sarah noch blinzeln konnte befand sie sich schon in einer ihr fremden Umgebung. Direkt vor ihnen befand sich eine große, dunkle Eichentür. Robin ließ ihre Hand los und klopfte leise an diese Tür. Sofort wurde diese geöffnet und eine vertraute Gestalt schlüpfte hindurch und schloß die Tür wieder behutsam hinter sich.
"Hoggle!" rief Sarah bewegt.
"Sarah?" der Zwerg runzelte die Stirn, dann hellte sich seine Miene auf. "Sarah, du?!"
"Ja, Hoggle, ich bin wieder hier." Von ihren Gefühlen überwältigt, konnte sie nicht verhindern, daß sich ihre Augen mit Tränen füllten.
"Ich habe einen Arzt mitgebracht", mischte sich Robin ein.
"Das wurde auch Zeit", Hoggle musterte Tobias argwöhnisch. "Wer ist der Kerl?"
"Ich bin Sarah's Bruder - Tobias Williams", stellte sich Tobias selbst vor.
Hoggle zog verblüfft seine Augenbrauen in die Höhe. "Das ist Toby?" fragte er mit einem Seitenblick auf Sarah. "Der ist aber gewachsen", sagte er halb zu sich selbst.
"Und du bist Arzt?" fragte er zweifelnd.
Statt einer Antwort deutete Tobias auf seine Tasche.
Hoggle schien diese Legitimation zu genügen, er winkte Tobias näher und öffnete vorsichtig die Tür zu Jareth's Zimmer. Tobias tratt ein und Sarah wollte ihm folgen.
"Oh, nein! Schwesterchen", verwehrte er ihr den Eintritt. "Du wartest schön hier draussen, bis ich die Untersuchung des Patienten abgeschlossen habe", entgegnete Tobias mit Nachdruck, schloß die Tür hinter sich und Hoggle und ließ Robin mit einer
sprachlosen Sarah im Flur zurück.

Tobias verschwendete keinen Blick für seine fremde Umgebung. Durch einen offenen Durchlass erspähte er ein Bett im angrenzenden Zimmer und er ging zielstrebig darauf zu. Er registrierte flüchtig einen alten Mann am Bett des Patienten über den er sich konzentriert beugte.
Jareth lag sehr blass und sehr ruhig mit geschlossenen Augen in seinem Bett. Tobias versuchte ohne viel Erfolg sich daran zu erinnern, ob er früher auch schon so ausgesehen hatte, doch die visuellen Eindrücke waren wohl nicht so stark gewesen, wie das Gefühl der Geborgenheit, das ihn durchströmte, wenn er an Jareth dachte.
"Ist er das?" fragte er deshalb, ohne aufzublicken. Er stellte seine Tasche ab und untersuchte Puls und Pupillen des Patienten.
"Ja, das ist Jareth", antwortete der alte Mann mit gemessener Stimme. "Der König der Kobolde. Und wer seid Ihr?"
"Er ist der Arzt den Robin geholt hat", mischte sich Hoggle ein.
Darius sah Hoggle fragend an, während Tobias sein Stethoskop hervorkramte.
"Er ist in Ordnung", sagte Hoggle leicht ungeduldig. "Es ist Tobias - Sarah's Bruder."
An dieser Stelle fuhr Basilius' Kopf - der bisher ganz in Tobias' Untersuchung vertieft war - so ruckartig zu Hoggle herum, dass Darius beinahe das Gleichgewicht verlor und stiess mit schriller Stimme hervor: "Ihr Bruder?! Das ist ja besser als eine Seifenoper! Ich krieg mich nicht mehr!"
"Willst du wohl den Schnabel halten!" schimpfte Darius mit seinem Hut, der nun haltlos vor sich hin kicherte. "Unser König ist krank, also benimm' dich gefälligst."
"Ich versuch's ja", kicherte Basilius. "Aber das ist einfach zu gut." Langsam beruhigte sich Basilius wieder ein wenig, so dass er wenigstens nur noch ab und zu ein sehr, sehr gedämpftes Kichern von sich gab.
Tobias hatte sich durch Basilius nur für einen Bruchteil von seinem Patienten ablenken lassen und wenn ihn der Anblick dieser fremdartigen Kreatur überrascht hatte, so liess er es sich zumindest nicht anmerken.
Darius beugte sich zu Hoggle hinunter.
"Ist Sarah auch hier?" fragte er flüsternd.
Hoggle nickte stumm und wusste nicht, was er von dem seltsamen Blick halten sollte, den Darius ihm daraufhin zuwarf.
Tobias hatte die ersten Untersuchungen abgeschlossen. Er richtete sich auf und sah Darius an.
"Er scheint einigermassen stabil zu sein. Wir können uns also eine Weile unterhalten. Sie können sich denken, dass ich einige Fragen habe."
Darius lächelte leicht. Augenscheinlich war dies ein tüchtiger junger Mann. "Fragt nur. Ich fürchte nur, ich weiss selbst nicht allzu viel."
"Was ist mit ihm passiert? Wie hat er sich diese Verletzungen zugezogen? Wie lange ist er schon in diesem Zustand? Und wie wurde er bis jetzt behandelt und von wem?"
"Der Junge hat vielleicht ein Tempo drauf'", zwitscherte Basilius anerkennend.
"Ludo hat ihn im Wald der Mohocks gefunden. Da war er bereits bewusstlos. Die Wunden wurden von mir gesäubert und versorgt - es gelang mir auch, ihm einige Schlucke eines Beruhigungstrankes einzuflössen. Mehr habe ich nicht gewagt." Darius seufzte. "Mit dieser Art von Verletzungen bin ich nicht sehr vertraut. Deshalb war es auch so wichtig einen Arzt zu holen."
"Mohocks?" fragte Tobias mit hochgezogenen Augenbrauen.
"Ja, Mohocks. Von ihnen dürften auch die Verletzungen herrühren."
"So wie er zugerichtet ist, hätte ich darauf getippt, dass er unter eine Panzer gekommen ist."
"Mohocks sind wilde Kreaturen", erläuterte Darius. "Wild und äusserst gefährlich. Man könnte sie vielleicht vergleichen mit..." er suchte nach Worten. "Sie sind ungefähr so groß und so stark wie Bären, ihre Reisszähne ähneln denen von Tigern, aber sie sind zehnmal so angriffslustig. Er hätte tot sein können", schloss er mit leiser Stimme.
Tobais atmete tief durch. "Nun, bis jetzt kann ich nicht viel sagen. Die Bewusstlosigkeit hat auch ihr Gutes. Er hat zumindest keine Schmerzen. Einige Knochen und auch ein oder zwei Rippen dürften gebrochen sein. Ich werde sie gleich nachher wieder einrichten. Das schlimmste ist, dass ich nicht genau sagen kann, ob er auch innere Verletzungen hat. Ich hoffe, nicht - aber mit Gewissheit kann ich es nicht sagen. Auf jeden Fall scheint er eine Menge Blut verloren zu haben, nicht wahr?"
"Ja, das befürchtete ich auch."
Tobias kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. "Ich werde eine Blutprobe von ihm entnehmen und sehen, was ich tun kann." Er sah Darius eindringlich an. "Eine letzte Frage habe ich noch, aber vielleicht ist es die wichtigste Frage überhaupt: ist er ein Mensch?"
Darius antwortete nur zögernd. "Er war einmal ein Mensch..."
"Und jetzt?"
"...jetzt besitzt er magische Fähigkeiten."
"Damit muss ich mich wohl zufrieden geben", entgegnete Tobias gezwungen. "Na gut! Ich gebe ihm jetzt noch ein paar Spritzen, nehme die Blutprobe und dann werden Sie mir helfen, die gebrochenen Knochen einzurichten." Er kramte schon wieder in seiner Tasche. "Ach, Hoggle, ich brauche einige gerade Bretter oder Zweige und Verbandszeug um die Gliedmassen zu schienen. Und wenn ich hier fertig bin, dann möchte ich als allererstes mit Robin sprechen und zwar allein."
Hoggle drehte sich missmutig um. War das vielleicht die Geschichte seines Lebens? Dass er nur dazu da war um von anderen herumkommandiert zu werden? Auf jeden Fall war Tobias seiner Schwester wirklich verflixt ähnlich!

Einige Stunden später verliess ein erschöpfter Tobias Jareth's Schlafzimmer und trat durch den offenen Durchgang - der nun allerdings durch einen Vorhang verhängt worden war - in das Arbeitszimmer ein in dem schon Robin auf ihn wartete.
"Du bist dir sicher, dass du mit mir sprechen wolltest?" äußerte dieser zweifelnd.
"Da bin ich mir sogar verdammt sicher", entgegnete Tobias matt schmunzelnd während er sich in einen der Sessel fallen liess. "Bevor ich mit meiner Schwester spreche muss ich einfach wissen was da zwischen ihr und Jareth läuft."
"Jareth ist Jasmina's Vater. Wusstest du das nicht?" fragte Robin gespannt.
"Er ist Jasmina's Vater?" Tobias war völlig perplex. Er hatte alles erwartet, aber nicht das. "Aber Jasmina ist doch schon - äh, über 18! Das muss doch schon ewig laufen..." erregt sprang er von dem Sessel auf.
"Tja, so genau weiss ich das auch nicht..." fing Robin den Gedanken auf, wurde aber gleich wieder von Tobias unterbrochen.
"Wieso leben die beiden dann getrennt? Und warum sagt mir meine liebe Schwester dann, dass ich Jareth unbedingt retten soll, weil sie ihn doch so sehr liebt?" Er fixierte Robin aufgebracht. "Und warum weiss ich von alledem nichts?"
"Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Tobias. Du schreist hier den Falschen an", sagte Robin ungerührt. "Ich habe nur so das Gefühl, dass zwischen den beiden nicht alles so läuft wie es sollte. Mehr sage ich nicht dazu. Es geht mich auch eigentlich gar nichts an", setzte er etwas trotzig hinzu.
Diese Reaktion entlockte Tobias dann doch ein kleines Lächeln. "Ich fürchte, um dich rauszuhalten steckst du schon zu tief drin. Mitgefangen - mitgehangen, lieber Schwiegerneffe in spe. Dir ist doch hoffentlich klar, dass dies nicht das letzte verrückte Abenteuer sein wird, in das dich meine liebe Nichte treibt?"
Doch dieser Scherz entlockte Robin nur ein trübseliges "Ja, ich weiss", was bei Tobias wieder ein kleines lautloses Lachen auslöste. Er klopfte ihm begütigend auf die Schulter. "Nimm's nicht so schwer. Ich werde jetzt ein paar Takte mit meiner Schwester sprechen. Danach solltest du mich aber bitte zurückbringen. Ich muss Jareth's Blutprobe noch im Labor analysieren."
"Mrs. Williams ist in dem Zimmer nebenan."
"Danke, Robin."


Beim ersten Geräusch der sich öffnenden Tür blickte Sarah erwartungsvoll auf. Als sie ihren Bruder erkannte, hielt es sie nicht mehr auf ihrem Sessel. Erregt sprang sie auf. "Wie geht es ihm?!"
"Er lebt", sagte Tobais lakonisch. "Aber es geht ihm nicht besonders gut."
Ohne ein weiteres Wort eilte Sarah auf die Tür zu, wurde jedoch auf halbem Weg von ihrem Bruder aufgehalten.
"Könntest du mir erklären wo du eigentlich hin willst?"
"Zu Jareth natürlich", sagte sie entrüstet. "Wie kannst du nur fragen?"
"Das wirst du schön bleiben lassen."
"Wie bitte?" Sarah glaubte nicht richtig zu hören. "Du willst mir verbieten, ihn zu sehen?"
"Genau das", entgegnete Tobias ungerührt.
"Wie sprichst du eigentlich mit mir? Ich bin immerhin deine Schwester!"
"Ich spreche zu dir wie jeder Arzt, der um seinen Patienten besorgt ist. Du kannst hundertmal meine Schwester sein, aber er ist mein Patient und ich lasse dich erst zu ihm, wenn ich es für richtig halte", äußerte er heftig.
Verblüfft und ratlos starrte ihn Sarah an. So hatte sie ihren Bruder noch nie erlebt.
"Was soll das alles?" fragte sie verwirrt.
"Das ist eine gute Frage. Was soll das alles? Ich begreife es nämlich nicht."
"Was ist denn eigentlich mit ihm passiert? Wirst du mir wenigstens das erzählen?"
"Ich kann es dir nicht genau sagen, aber soweit ich es verstanden habe, hat er sich irgendwann nach Sonnenuntergang in einen Wald begeben, in dem es vor Mohocks nur so wimmelt. Nach dem was ich gehört und gesehen habe, scheint es angenehmer zu sein, in einen Häcksler zu fallen, als von diesen Kreaturen angegriffen zu werden. Am nächsten Morgen wurde er in besagtem Wald von einem gewissen Ludo gefunden und ins Schloß gebracht. Zu diesem Zeitpunkt war er schon bewußtlos. Dann wurde - ach, wie war das noch?" er dachte angestrengt nach. "Ach ja, Hoggle und irgendein Sir haben Ludo gesehen und gleich nach Darius geschickt. In dieses ganze Tohuwabohu platzte dann auch noch Robin herein, den sie aber gleich wieder auf die Suche nach einem Arzt geschickt haben. Jareth hat einige böse Biss- und Kratzwunden und einige Knochenbrüche. Darius hat ihn bis zu meinem Eintreffen allerdings schon mustergültig versorgt und..."
"Wer um alles in der Welt ist dieser Darius?" unterbrach ihn Sarah.
"Ein alter Mann mit so einem komischen Vogel auf dem Kopf und..."
"Das ist Darius?"
"Du kennst ihn?"
"Ja", gab sie zögernd zu. "Ich wußte nur nicht, wie er heißt."
"Na gut", fuhr Tobias fort. "Daß er immer noch bewußtlos ist, ist nicht allzu bedenklich. Ich befürchte allerdings, dass er unter Umständen auch innere Verletzungen davon getragen haben könnte. Ausserdem scheint er viel Blut verloren zu haben."
Sarah sass wie betäubt in ihrem Sessel und versuchte erfolglos irgend etwas von dem was Tobias ihr berichtet hatte auch zu begreifen.
"Aber, was um alles in der Welt hatte er denn in diesem Wald verloren? Er muss doch gewusst haben, wie gefährlich diese - diese Mohocks sind", jammerte sie.
"Liebe Schwester, das ist genau die Frage, die sich hier jeder stellt. Warum?" Wie beiläufig fügte er noch hinzu: "Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass du eine Antwort auf diese Frage hast."
"Wie könnte ich?!" In ihren Augen schimmerten nun die ersten Tränen. "Ich war doch nicht einmal hier."
"Und schon haben wir des Pudels Kern erreicht." Tobias wusste genau, dass sein Verhalten seiner Schwester gegenüber wirklich nicht sehr nett war, aber wenn er die Wahrheit von ihr erfahren wollte, gab es im Moment keine andere Möglichkeit, als sie etwas unter Druck zu setzen. "Du warst nicht da!"
"Soll das etwa heissen, dass ich an allem schuld bin?" schleuderte ihm Sarah entrüstet entgegen.
"Wer denn sonst? Gerade erfahre ich, dass Jareth der Vater meiner Nichte ist. Was ist bloss zwischen euch vorgefallen? Warum seid ihr nicht zusammen und warum weiss ich von alledem nichts?" drang er weiter in sie.
"Weil es dich nichts angeht!"
"Und ob es mich was angeht! Ich bin schliesslich sein Arzt. Ich bin für sein physisches und psychisches Wohlbefinden verantwortlich. Und obwohl Psychologie nicht mein Hauptfach war, erkenne ich einen Lebensmüden, wenn ich ihn vor mir habe, das kannst du mir glauben", äusserte Tobias aufgebracht.
"Was willst du damit sagen?" fragte Sarah mit blassen Lippen und geweiteten Augen.
"Sarah, was soll ich sonst davon halten?" sprach er etwas sanfter weiter. "Er geht ohne jeden ersichtlichen Grund allein in einen Wald voller blutrünstiger Bestien... Oder verstehst du es besser wenn ich dir sage, er hat beschlossen auf der Autobahn in die verkehrte Richtung zu fahren? Wie würdest du das nennen?" Als seine Schwester darauf nicht antwortete versuchte er, sich noch deutlicher auszudrücken. "Ich behaupte ja nicht, dass er sich tatsächlich umbringen wollte, aber dass sein Tod bei dieser Aktion sehr wohl möglich gewesen wäre, das war ihm auf jeden Fall bewusst. Was mich aber noch viel mehr beunruhigt, ist die Tatsache, dass er über den ganzen Körper verteilt alte Narben und Wunden hat - in den unterschiedlichsten Heilungsstadien - er hat es also schon öfter als einmal getan."
"Das glaube ich nicht", flüsterte Sarah heiser. "Das würde er nicht tun. Nicht er."
Tobias seufzte leise. "Was hast du ihm angetan, Sarah? Ich sehe ja, dass du nicht mit ihm zusammengelebt hast, aber ich weiss auch, dass er euch regelmässig besucht hat. Was war da los? Hast du die Heisskalte gespielt?"
"Du verstehst das nicht", sagte Sarah tonlos.
"Dann erklär' es mir", bat er sie.
Sarah schüttelte stumm den Kopf.
"Nun gut, wenn du es mir nicht sagen willst, dann ist das deine Sache. Aber ich werde dich auf keinen Fall zu ihm lassen. Ich bin mir sicher, dass ihm dein Verhalten in der Vergangenheit seelisch sehr geschadet hat. Es ist für ihn besser, wenn er dich nie wiedersieht."
"Nein!" Mit einem gequälten Aufschrei schlang sie ihre Arme um seinen Körper. "Das kannst du mir nicht antun", schluchzte sie an seiner Halsbeuge.
Zögernd schloss er sie in seine Arme. "Sarah, ich muss. Es kann so nicht weitergehen. Du siehst doch, wozu das alles geführt hat. Glaub' mir, besser ein Ende mit Schrecken..."
Doch nichts konnte Sarah's Tränenflut stoppen.


Den restlichen Tag verbrachte Tobias mit den verschiedensten Aktivitäten. Zuerst hatten er und Robin Sarah zurück nach Hause gebracht, wo sie endgültig zusammenbrach. Während ihr Bruder sich um sie kümmerte, informierte Robin seine Jasmina über die Vorkommnisse, woraufhin diese in Tränen ausbrach und von ihrem Freund getröstet werden musste. Danach waren die beiden Männer ins Labor gefahren, wo Tobias die Blutprobe die er Jareth entnommen hatte analysierte. In der Zwischenzeit lieh er sich noch einige Utensilien aus, die er für Jareth benötigte. Als das Ergebnis der Analyse vorlag, weckte er Robin auf, der völlig erschöpft auf einer Liege eingeschlafen war und erteilte ihm den Auftrag Sarah sofort ins Labor zu bringen, da sie und Jareth wunderbarerweise die gleiche Blutgruppe hatten und sie ihm deshalb ihr Blut spenden könnte. Robin führte diesen Auftrag erfolgreich aus und kam nach bemerkenswert kurzer Zeit mit Sarah zurück. Konzentriert entnahm er ihr soviel Blut, wie er verantworten konnte. Dann beugte er sich über sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
"Wofür war der denn?" fragte sie mit schwacher Stimme.
"Dafür, dass du die vernünftigste und tapferste Schwester bist, die ich habe."
"Kunststück! Ich bin ja auch die einzige", murmelte sie.
"Du bleibst jetzt schön hier liegen, bis Robin wieder kommt um dich nach Hause zu bringen. Okay?"
Sarah nickte schläfrig.
Anschliessend war er mit Robin zurück ins Schloss gereist und hatte dort an Jareth sofort die Bluttransfusion vorgenommen.
Darius, der Jareth bislang nicht von der Seite gewichen war, betrachte die Szene nachdenklich.
"Und sie haben tatsächlich die gleiche Blutgruppe?" fragte er schließlich.
"Naja, sagen wir mal so, die Bestandteile, die ich in Jareth's Blut analysieren konnte, sind identisch. Ich muss allerdings zugeben, dass meine Tabellen bei einigen Inhaltsstoffen gestreikt haben. Wir können nur beten, dass es funktioniert. Er braucht das Blut", stellte Tobias fest.
Später wollte Robin Tobias wieder mit zurück nehmen, doch dieser weigerte sich.
"Glaubst du allen Ernstes, ich liesse ihn jetzt einfach allein? Beim Krankenhaus habe ich vorhin schon Bescheid gegeben, dass ich bis auf weiteres aus familiären Gründen meine Überstunden abfeiere."
"Es ist nicht deshalb, es ist nur so, dass Jareth mir einmal gesagt hat, es könne nicht jeder so ohne weiteres dieses Reich betreten. Ich habe genug Magie in mir und Mrs. Williams wohl auch, aber Jasmina hat eben überhaupt keine, deshalb hat er sie auch nie hierher mitgenommen. Was ist, wenn du nicht genügend Magie in dir hast um das alles unbeschadet zu überstehen?" fragte Robin besorgt.
Tobias runzelte die Stirn. "Ich weiss nicht", antwortete er zögernd. "Aber ich habe so ein Gefühl als ob es mir nicht schaden wird. Wie auch immer - das Risiko muss ich eingehen."
Daraufhin hatte Robin ihn - wenn auch nur sehr ungern - zurückgelassen und Tobias richtete sich gemeinsam mit Darius auf eine lange Nachtwache ein. Sie schliefen abwechselnd ein wenig, Darius erzählte von Sarah und dem Labyrinth und Tobias kontrollierte in regelmässigen Abständen Jareth's Puls und Blutdruck. Gegen Morgen stabilisierte sich Jareth's Zustand etwas und seine Werte wurden besser.
"Ich denke, er ist über dem Berg", sagte Tobias mit einem Seitenblick auf Darius. "Wenn er keine Infektionen mehr bekommt, könnte er bald aus dem Koma aufwachen."
"Dem Himmel sei dank", murmelte Darius kaum hörbar.


Doch im Laufe der Tage musste Tobias einsehen, dass seine Prognose voreilig gewesen war. Obwohl Jareth's Heilungsprozess beinahe täglich voranschritt, machte er doch keine Anstalten seinen Dämmerzustand zu durchbrechen. So willkommen Tobias das anfänglich Koma auch war, so beunruhigend war nun die Hartnäckigkeit mit der sein Patient daran festhielt.