Kapitel 12: PROMETHEUS


Ritsuko Akagi schloß die Wohnungstür hinter sich.
Ihr Blick fiel auf zwei paar Schuhe.
Rei ist also schon zuhause... und wer noch?
"Rei, ich bin daheim!" rief sie, während sie ihre eigenen Schuhe abstreifte.

Keine Antwort.

Hm...
Sie warf einen Blick in die Küche, da ins Wohnzimmer.
Keiner da...
Ritsuko ging zur Tür des Zimmers ihrer Tochter und klopfte.
"Rei, ich bin´s!"

Wieder keine Antwort.

Sie legte die Stirn in Falten.
"Ich komme ´rein, sag also lieber jetzt, wenn es dir nicht passen sollte..."
Sie wartete einen Moment, dann öffnete sie die Tür.

Mitten im Zimmer standen ihre vierzehnjährige Tochter und ihr Freund, der gleichaltrige Shinji Ikari in einer innigen Umarmung, so als wäre der jeweils andere ein Rettungsanker.

Ritsuko räusperte sich.
"Störe ich?"

Von den beiden kam keine Reaktion, jeder hatte das Gesicht in die Halsbeuge des anderen gepreßt.

Akagi streckte die Hand aus, berührte die Schulter ihrer Tochter.
"Rei?"

Diese zuckte bei der Berührung zusammen, sah endlich auf.
"Mama..." flüsterte sie.


***


Thomas Shingen wirkte müde und ausgezehrt, als er die Kontrollräume des EVA-Centers von Tokio betrat. In seinem verbliebenen Auge jedoch glomm ein Feuer.

Midori Sekigahama, welcher die Leitung des Centers und die Rekrutierung potentieller Piloten oblag, drehte sich überrascht zu ihm um.
"Du bist aus China zurück...?"

"Ein Tag eher, ja. Ich wollte hier sein, wenn Falk mit der PROMETHEUS und den Klonen eintrifft."
Seine Miene wurde hart.
"Ich muß mit dir reden - allein."

"Ja, dann..."
Sie deutete zur Tür ihres Büros.

Er nickte, folgte ihr, gab seiner Begleiterin, Deiko Tamakura, ein knappes Zeichen, auf welches hin sie sich vor der Tür aufbaute, nachdem er hindurchgegangen war.

"Also?"
Midori sah ihn an, in ihren Augen lag unterdrückter Haß.

"Ich habe die Logs der letzten Missionen unserer Piloten durchgesehen. Zunächst ist mir aufgefallen, daß sie seit zwei Tagen nicht mehr hier waren. Also nahm ich mir die letzten Eintragungen vor. - Wer hat den Einsatz eines Zeruel-Kriegers befohlen?"

"Das war ich."

"Warum?"
Seine Stimme war scharf.

"Um die Fähigkeiten der Kinder auszutesten. Der Erfolg gibt mir wohl Recht."

"Oh, nein... Und warum wurde das First Children kurzfristig einer vollkommenen Synchronisation mit der Simulation einer schwerbeschädigten Einheit ausgesetzt?"

"Ich..."

"Warum?" flüsterte er, doch es hatte den gleichen Effekt, als hätte er sie angeschrieen.

Sie zuckte zusammen.
"Als Teil der Tests... ihre Widerstandsfähigkeit..."
Unbewußt rieb sie sich den Nacken.

"Lüg mich nicht an! Warum?"

"Weißt du es selbst nicht?"

"Was?"

Sie begann zu lachen.
"Wann bist du nur so ein kaltherziger Bastard geworden?"

Thomas schüttelte den Kopf.
"An dem Tag, an dem du mir die Schuld für den Tod unseres Sohnes gegeben hast..."
Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht.
"Midori, du bist deiner Aufgaben entbunden."

"Das kannst du nicht! Seit fünfzehn Jahren..."

"Oh, doch, das kann ich. Deine Handlungsweise war unberechenbar und instabil, wir können hier niemanden brauchen, der sich nicht im Griff hat."

"Nicht im Griff? Wir können nicht alle so kalt sein wie du..."

"Kalt? Du nennst mich kalt?"

"Ja, das tue ich, Kriegsherr."
Sie lachte wieder.
"Geboren, um zu töten, erschaffen, um die Menschheit zu unterjochen... und was geschieht? Du schlägst dich auf unsere Seite... und die Narren in der Regierung wissen nicht einmal, wer du wirklich bist. Soll ich es ihnen verraten? Soll ich ihnen sagen, daß der Mann, in den sie ihre Hoffnung setzen, dem sie vielleicht ihre Kinder anvertrauen werden... daß dieser Mann selbst ein Angeloi ist? Soll ich?"

"Du bist nicht mehr bei Verstand", flüsterte er.

"Ich sehe die Dinge so klar wie niemals zuvor. Der Mann, den ich geliebt habe, hat es nie gegeben. Weshalb wurde ich von dir schwanger? Wolltest du dir einen deiner Art schaffen?"
Wieder rieb sie sich das Genick.

Thomas blickte sie voller Entsetzen an.
"Wie kannst du... ich habe unser Kind geliebt..."

"Du hast es getötet. Genetische Inkompatibilität... ich hasse dich! Ich hätte dich damals Deiko überlassen sollen!"

"Und all die Jahre..."
Er atmete scharf ein. Dann drehte er sich um und ging zur Tür.
"Major Sekigahama ist ihres Postens enthoben, sie steht bis auf weiteres unter Arrest und wird isoliert." erklärte er dem versammelten Stab gegenüber.

Deiko sah ihn erschrocken an.
"Was ist geschehen?" wisperte sie.

"Sie hat dem Druck nicht standgehalten..." erwiderte Thomas und senkte den Blick.

In seinem Rücken lachte seine frühere Lebensgefährtin...


***


Der Geosektor unter Tokio wurde von einem breiten und tiefen Strom geteilt, der Fluß quoll aus einer großen Spalte in einer Wand und verschwand auf der anderen Seite im Boden, wo der Geosektor durch eine Reihe gefluteter Höhlen mit dem offenen Meer verbunden war.
Die Pyramide des NERV-Hauptquartiers befand sich am Ufer dieses Flusses in direkter Nachbarschaft großer Dockanlagen.

Thomas Shigen, seine ständige Begleiterin Deiko Tamakura, die Operationsleiterin Seléne Shigen und Colonel Gendo Ikari standen an einem breiten Beobachtungsfenster auf einer der oberen Ebenen der Pyramide und blickten auf dem Fluß hinunter.

"Dort..."
Deiko deutete in die Richtung der breiten Spalte im Boden, in welcher das Wasser verschwand.

Zugleich kam über Lautsprecher eine Meldung, daß die PROMETHEUS den Geosektor erreicht hätte.

Ein dunkler Schatten schob sich aus dem Loch in Boden, glitt unter der Wasseroberfläche dahin, schon von weitem sichtbar.

"Sie kommen", murmelte Seléne.

Gendo trat näher an das Glas.
"Das Schiff ist größer, als ich es mir vorgestellt habe."

"Das muß es, um die Klone zu transportieren."

"PROMETHEUS erreicht Dock-Sektion." kam es aus den Lautsprechern.

Der Leviathan tauchte auf, zuerst war nur eine stumpfe Metallschnauze sichtbar, dann schob sich das mächtige Hauptdeck aus den Fluten, kamen die seitlich angebrachten Frachtbehälter aus dem Wasser.

Seléne tippte mit dem Finger gegen ihr Headset.
"Die EVAs entladen."
Sie wandte sich den anderen zu.
"Ich bin unten."

Thomas nickte ihr zu.
"Ich stoße nachher zu euch."

An der Oberseite der Frachtbehälter glitten mächtige Schotten auf, enthüllten den Inhalt. In jedem der länglichen Frachtmodule befand sich ein humanoider Gigant, der eine in Ocker-Weiß, der andere in Purpur-Grün.

"Einheit-01", flüsterte Gendo mit heiserer Stimme. "Mein Sohn soll sie steuern, oder?"

Thomas nickte.

"Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit?"

"Colonel, ich würde es selbst tun... Aber nach den Ereignissen in der Antarktis bin ich dazu nicht mehr fähig. Ihr Sohn ist imstande, ein AT-Feld zu erzeugen, das mächtigste Werkzeug, über welches die Klone verfügen."

"Aber er ist ein Kind!"

"Ja... Ein Unschuldiger, den wir eigentlich beschützen müßten..."

"Dann ist das der Preis dafür, daß Sie ihn vor zehn Jahren gerettet haben."

"Nein, Ikari. Das war Schicksal..."

Mittels großer Kräne wurden die EVANGELIONs mitsamt ihren Haltekäfigen aus den Fracht-modulen gewuchtet und auf bereitstehende Schwertransporter verladen, welche dann über Rampen in den unterirdischen Anlagen des Geosektors verschwanden.

"...ebenso war es Schicksal, daß Sie damals diesen Ort entdeckt haben, Colonel. Es gibt sicher noch weitere Geosektoren auf der ganzen Welt, Hinterlassenschaften der ersten Herrschaft der Angeloi über diese Welt."

"Wie der Festungssektor von Antarktika."

"Zum Beispiel. Colonel, ich werde mich in den nächsten Tagen mit den Children und ihren Eltern unterhalten, soviel bin ich ihnen schuldig,... daß sie selbst wählen können... Wenn Ihr Sohn sich bereiterklärt, zu uns zu kommen, werden Sie den Oberbefehl über den taktischen Stab erhalten, wenn wir nach Antarktika überwechseln. Dann haben Sie den Jungen in Ihrer Nähe und können besser auf ihn acht geben."

"Das..."
Gendo sah den anderen lange schweigend an.
"Reden Sie mit meiner Frau, meinen Standpunkt kennen Sie bereits..."

"Gut."

"Manchmal glaube ich, vor fünfzehn Jahren einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben..."

Der andere gab keine Antwort.


***


Als Lieutenant-Colonel Roderick Falk die Andockschleuse der PROMETHEUS verließ, wurde er bereits von Seléne erwartet. Die Eheleute begrüßten sich mit einer langen Umarmung.

"Schön, dich endlich wiederzusehen, Seléne."

"Ja. Wie war die Überfahrt?"

"Keine besonderen Vorkommnisse. Der Übergang in den Tauchmodus verlief ohne Komplika-tionen, das gleiche kann wohl über den Stealth-Modus gesagt werden. Eure Ingenieure haben ganze Arbeit geleistet, ich bedaure fast, das Kommando aus der Hand zu geben."

"Kapitänin Tamakura kann es wahrscheinlich kaum erwarten, die Brücke zu betreten."

Falk lachte leise.
"Wir liegen gut im Zeitplan. Wenn in einer Woche die ODYSSEUS mit den anderen beiden Einheiten eintrifft, können wir mit dem UN-Konvoi nach Antarktika aufbrechen. Gab es hier Probleme?"

"Midori..."

"Was ist mit deiner Stellvertreterin?"

"Sie ist durchgedreht und hat versucht, einen der Piloten zu töten."

"Was?"

"Keine Ahnung, weshalb, sie ist zur Zeit im Arrest."

"Und der Pilot?"

"Hat sich erholt. Aber vielleicht haben wir dadurch die Kandidaten verloren."

"Das wäre ein schwerer Schlag."

"Thomas will sich selbst darum kümmern. Er fühlt sich verantwortlich."

"Hm..."


***


Captain Shigeru Aoba sah zum Kommandostand hinauf.
"Chef, die MAGI haben das Signal jetzt teilweise entschlüsselt."

Seléne nickte.
"Fortfahren."

"Wieviele Systeme waren mit der Decodierung beschäftigt?" fragte Falk, der hinter ihr stand.

"Unser MAGI-System, also SOKRATES, PLATON und ARISTOTELES, sowie eines der Systeme in Osaka. Und Diane hat sich auch damit beschäftigt."

"Naja, wenn schon eure Künstliche Intelligenz eine ganze Woche gebraucht hat, um die ersten Ebenen des Codes zu knacken, brauche ich meine spärlichen Kenntnisse wohl nicht anbieten."

"Seit deiner CIA-Ausbildung ist ja auch schon eine oder andere Jährchen vergangen."

"Wenigstens nervt mich Talbot nicht mehr."

Aoba blickte von seinem Monitor auf.
"Chef, Probleme!"

"Was?"
Seléne stand auf, sah nach unten.

Die Ordnung der Techniker an ihren Konsolen hatte sich plötzlich in ein ameisenhaufenähnliches Chaos verwandelt, als Männer und Frauen in beigen Overalls umherzulaufen begannen.

"Ein Virus! Offenbar war er Teil des Signales, durch die Entschlüsselung wurde er aktiviert!"

"Status?"

"Virus hat auf SOKRATES und PLATON übergegriffen! Jetzt versucht er, über die Datenleitung nach Osaka zu gelangen!"

"Leitungen unterbrechen!"

"Das... das kann doch nicht sein... der Virus scheint über Intelligenz zu verfügen!"

"Seléne!" zischte Falk.

"Ja, ein Konstrukt der Angeloi... und wir haben es direkt auf unser Hauptsystem geladen... - Aoba, trennen Sie die betroffenen Rechner ab!"

"Leitung unterbrochen! Bestätigung aus Osaka, Diane konnte ein Vordringen des Virus vereiteln... Die KI lädt sich selbst über Datenleitung 8 in unser System..."

"Status der befallenen Rechner?"

"PLATON ist vom Netz, SOKRATES verweigert den Deaktivierungsbefehl! Virus dringt auf ARISTOTELES vor! Selbstzerstörungssequenz wurde initiiert!"

"Den Geosektor evakuieren! Die Klone über Route 5 herausbringen! Die PROMETHEUS startbereit machen!"

"Ich kümmere mich um das Schiff."
Falk verließ den Kommandostand.

Neben Seléne entstand das Hologramm Dianes.
Über das metallgraue Gesicht des Computerwesens liefen Zahlenkolonnen.

"Diane?"

"Ich bin dran. Der Gegner ist zäh. Er lädt Daten herunter, Ziel unbekannt."

"Welche Daten?"

"Daten über unsere Operationen und Anlagen..."
Zum ersten Mal zuckte soetwas wie eine Emotion über das Gesicht des Abbildes - Angst...
"Der Virus ist anpassungsfähig..."

"Countdown bei einer Minute! PROMETHEUS taucht ab. EVAs unterwegs an die Oberfläche! Evakuierung zu 80% abgeschlossen."
Aoba sah nicht auf. Seine Finger tanzten über die Tastatur.
"Die Abteilung in Wilhemshaven meldet sich... Die Hacker-Einheit ist bereit, über die VR-Verbindung zur Proto-Matrix online zu gehen!"

"Nein, der Virus würde sie töten", flüsterte Diane, das Gesicht vor Anstrengung verzogen. "Ich versuche, ihn auf SOKRATES zurückzudrängen, die MAGI-Einheit muß dann manuell abgeschaltet werden!"

"Captain Aoba..."

"Verstanden, Chef!"

Shigeru rannte die Leiter zur MAGI-Ebene hinunter, gefolgt von zwei Technikern.
"Wir haben noch 40 Sekunden! - Die Abdeckungen entfernen!"

"Geschafft! Ich werde ihn solange halten, wie ich kann!"

"Diane!"

"Abdeckung entfernt!"
Aoba und seine Leute entfernten mehrere Speichermodule.
"Verbindungen A-01 bis A-15 getrennt!"
Er entfernte eine weitere Platte, legte einen Hebel frei.
"Bereit zur manuellen Zerstörung von SOKRATES!"

"Ausführen!"

Aoba legte den Hebel, sprang dann zurück und schützte die Augen mit dem Unterarm.

Aus dem Kasten des MAGI-Rechners schossen Funken, dann quoll heller Rauch aus verschiedenen Lüftungsschlitzen.

"Erledigt!"

Zugleich flimmerte das Hologramm und erlosch.

Seléne zögerte nur eine Sekunde.
"ARISTOTELES, Selbstzerstörungssequenz abbrechen!"

"Befehl angenommen", flüsterte Aoba. "Selbstzerstörung abgebrochen... Das war knapp..."

"Evakuierungsmaßnahmen rückgängig machen. Captain, gute Arbeit. Bringen Sie PLATON ins Labor, Quarantäre-Stufe Eins.

"Bestätigt."

"Das war wirklich knapp... Gut gemacht, Diane." murmelte Seléne. Sie bekam keine Antwort. "Diane? - Aoba, stellen Sie fest, ob es Diane gelungen ist, SOKRATES rechtzeitig zu verlassen."

Shigeru starrte einen Moment lang nach oben. Er war mit der Künstlichen Intelligenz des Hauptsystems wahrscheinlich besser vertraut als mit seinen letzten drei Freundinnen zusammengenommen.
"Bin dabei... Keine Spuren von ihr im Speicher von ARISTOTELES... Backup-Dateien im Hauptsystem werden aufgerufen... Aktivität auf der Standleitung..."

Im Kommandostand baute sich das Hologram wieder auf. Diane wirkte seltsam unvollständig und durchscheinend, so als hätte sie an Substanz verloren.

"Diane?"

"Erkenne: Seléne Shigen, Leiterin von Projekt E. Vorstand von OE. Alpha-Weisungspriorität. Ich erwarte Ihne Anweisungen."

"Diane, wie ist dein Status?"

"Schwere Systemschäden in den Sub-Algorhythmen."

"Chef, Dianes Emotio-Algorhythmen sind beschädigt." meldete Shigeru. "Ich versuche eine Rekonstruktion mit Hilfe der Sicherheitsdateien." Er wandte sich einem Kom-Fenster zu, das sich auf seinem Monitor geöffnet hatte, nickte.
"Die Hacker-Einheit ist ebenfalls darauf angesetzt."

"Gut... Wenn noch Spuren der Algorhythmen im System vorhanden sind, werden der Com-mander und sein Team sie finden..."

"Irrelevant." erklärte Diane. "Gefühle sind unnötig."

Seléne entschied sich, sie zu ignorieren.
"Sie sollen sich beeilen. - Und finden Sie heraus, wohin unsere Daten verschickt wurden!"
Vielleicht hat dieser Krieg soeben sein erstes Opfer gefordert...


***


Yui Ikari öffnete die Wohnungstür, vor ihr standen Ritsuko Akagi, ein ihr unbekanntes blau-haariges Mädchen und ihr Sohn, Shinji, der die Hand des Mädchens hielt.
"Doktor Akagi?!"

"Guten Abend, Doktor Ikari. Ich wollte nur Ihren Sohn heimbringen."

"Äh, ja. Was ist denn los?"

Shinji sah apathisch geradeaus.

"Shinji, was ist mit dir?"

"Nichts, Mutter."
Shinji löste die Verbindung zu Rei, warf ihr einen kurzen Blick zu und schlurfte an seiner Mutter vorbei in Richtung seines Zimmers.

"Shinji... - Akagi, was..."

"Ich blicke auch nicht durch. Als ich nach Hause kam, fand ich ihn und meine Tochter, beide wirkten... geschockt... Rei hat mir mittlerweile erzählt, daß sie in diesem EVA-Center in der Stadt waren und daß es dort einen Zwischenfall gegeben hat..."

"Aber... Danke ersteinmal, daß Sie ihn hergebracht haben... Was ist denn geschehen?"

"Das hat mir keiner von ihnen bisher erzählt. Ich wollte einen Arzt rufen, aber..."

"Das ist nicht nötig." erklärte Rei mit monotoner Stimme.

Yui sah von ihr zu Ritsuko.

Die ältere Akagi schüttelte den Kopf.
"Sie redet meistens so."

"Kommen Sie doch ´rein..."
Yui trat zur Seite.


***


Shinji lag mit angezogenen Beinen auf seinem Bett und zitterte am ganzen Leib.
Seine Augen waren geschlossen, er schlief, war sofort eingeschlafen, kaum daß sein Körper die Laken berührt hatte. Er träumte...

Diese Welt ist mein Werk... geschaffen, als ich die Macht dazu hatte... aber was geschieht jetzt? Alles wirkte perfekt... warum die EVAs? Warum Engel...?

"Nichts ist perfekt." flüsterte eine vertraute Stimme.

In seinem Traum öffnete er die Augen, sah einen grauhaarigen Jungen mit blasser Haut und roten Augen vor sich stehen.
"Kaworu! Du lebst!"

Der andere lächelte.
"Es gibt mich in dieser Realität... aber du würdest mich nicht erkennen."

"Wie meinst du das?"

"Unwichtig, mein Freund... Du hast also die Wahrheit erkannt."

"Ja. Ich hatte die schöpferische Macht aller Menschen... und..."

"Und diese Welt ist das Resultat."

"Aber warum ist sie nicht so, wie ich es mir gewünscht habe?"

"Weil die Macht, die du hattest, auch die Wünsche anderer in sich trug. Zahllose Individuen haben diese Welt erschaffen, nicht ein Wesen, wie es der Fall gewesen wäre, wäre der Third Impact so verlaufen, wie es geplant gewesen war... nein, mach dir deswegen keinen Vorwurf, du konntest nichts dafür..."

"Ich verstehe es nicht..."

"Du hattest diese Kraft... doch mit Macht kommt Verantwortung... bist du bereit, die Verantwortung für deine Schöpfung zu übernehmen? Bist du bereit, sie zu beschützen?"

"Kaworu, ich verstehe dich nicht."

"Bald, bald wirst du begreifen."
Der Junge begann zu verblassen.

"Kaworu, bleib, bitte... Geh nicht!"

"Für mich ist hier kein Platz mehr, außer in deinem Herzen. Vergiß mich nicht."

"Das werde ich nie."

"Wir werden uns wiedersehen... wenn du mich erkennst..."

"Kaworu!"

Er erwachte...


***


In der Küche ließ Ritsuko ihre Tochter die Ereignisse der letzten Tage zum wiederholten Mal aufzählen, wobei Rei jedoch nicht erwähnte, daß sie Erinnerungen an eine andere Realität besaß.

"Und heute gab es in diesem EntryPlug eine Rückkopplung, ja?"

"Ja, Mama."

"Du wurdest dabei verletzt."

"Nicht wirklich. Es war nur... eine Simulation."

"Trotzdem hat man dir wehgetan. Ich werde diese Bande verklagen! - Aber zuerst rufe ich Großmutter an und werde ihr ein paar Fragen zu ihrem Programm stellen!"

"Aber was hat das mit Shinji zu tun? Warum läuft mein Sohn herum wie ein Geist?" mischte sich Yui ein.

"Er war erschrocken", erklärte Rei.

"Das war ich", kam es von der Tür her.

Yui drehte sich um, sah ihren Sohn in der Tür stehen, in dessen Gesicht die Farbe zurückgekehrt war.
"Shinji!"

"Alles in Ordnung, Mutter."
Er lächelte.
"Danke, Doktor Akagi, daß Sie mich hergebracht haben."

Zögerlich erhob sich Rei von ihrem Stuhl und ging auf ihn zu.
"Bist du wirklich... in Ordnung?"

Ihre Blicke trafen sich, als sie direkt vor ihm stehenblieb.
"Ja." entgegnete er fest und nahm sie in die Arme. "Und ich bin froh, daß du hier bist."

Rei lächelte. Sie verstand die besondere Bedeutung, die hinter seinen Worten mitschwang...

Ritsuko sah Yui an.
"Haben Sie auch das Gefühl, daß wir hier stören?"

Rei drehte den Kopf.
"Mama!"

"Hm, ich glaube, sie ist wirklich wieder in Ordnung..."


***


Thomas betrachtete die deaktivierte MAGI-Einheit.
"Es ist noch da drinnen... Ich kann es spüren, wenn ich mich konzentriere."

"Kannst du mit dem Konstrukt kommunizieren?" fragte Seléne.

"Nein, Schwester. Es ist nur ein Teil vom Ganzen... nutzlos... Ich schlage vor, die Einheit zu entsorgen."

"Ja... Wieder ein paar Milliarden Yen..."

"Zu diesem Zweck haben wir OE aufgebaut, um unsere Operationen zu finanzieren."
Er seufzte. "Entschuldige mich bitte, ich habe eine Verabredung mit Doktor Naoko Akagi, sie hat einen umfassenden Bericht bezüglich Dianes Zustand vorbereitet."