Kapitel 14: Der Zorn einer Mutter
Rei Akagi öffnete die Tür des Apartments, welches sie mit ihrer Mutter bewohnte, vor der Tür standen ein Mann und eine Frau, beide trugen Armee-Uniformen unter ihren langen Mänteln.
"Ja...?" fragte Rei unsicher. Sie bemerkte den Blick, mit dem der einäugige Mann sie musterte, glaubte, etwas vertrautes zu bemerken.
"Guten Abend. Wir würden gern deine Mutter sprechen." sagte der Fremde höflich.
"Ja."
Es beginnt wieder...
Ihr Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an, als sie den Kopf abwandte und rief:
"Mama, hier sind zwei Offiziere."
"Offiziere?" echote Ritsuko Akagi und kam aus dem Wohnzimmer. "Rei, bist du sicher?"
Sie kam zur Tür, öffnete diese weit, blickte ihre Besucher an, starrte Thomas an, riß die Augen auf.
"Du..." flüsterte sie...
***
Thomas blickte die blonde Frau, bei der es sich um Doktor Ritsuko Akagi handeln mußte, überrascht an. Sein Gedächnis arbeitete auf Hochtouren, um sie einordnen zu können.
Sie kam ihm ziemlich bekannt vor, doch ihre Begegnung mußte schon einige Zeit zurückliegen...
"Du Bastard!" schrie Ritsuko und holte aus, um ihm eine Ohrfeige zu geben.
Der Einäugige war viel zu überrascht, um reagieren zu können.
Dafür handelte Deiko, indem sie die blitzartig zugriff und Ritsukos Hand festhielt.
"Was soll das?"
Gleichzeitig kam Thomas die Erkenntnis, woher er Ritsuko Akagi kannte...
Oh, mein Gott...
Es war wirklich seltsam, wie alle Bausteine zueinanderfanden... manchmal haßte er es, wenn er recht behielt...
Ritsuko funkelte ihn an.
"Du siehst jetzt anders aus, aber irgendwie wußte ich, daß ich dich erkennen würde."
"Kann mir mal jemand sagen, was hier los ist?" fragte Deiko leise.
"Doktor Akagi..." setzte Thomas an, überlegte es sich anders. "Ritsuko, ich wußte nicht..."
"Natürlich. Du konntest dich nicht einmal an meinen Namen erinnern, stimmt´s?"
"Ich... Hören Sie zu, es war damals eine turbulente Zeit und..."
"Und?"
"Und?" kam es zugleich von Deiko. "Das würde mich aber auch interessieren."
"Mama?" fragte Rei verwirrt.
"Geh auf dein Zimmer, Schatz."
Rei blinzelte.
"Ja."
Ritsuko sah Thomas immer noch wütend an.
"Fünfzehn Jahre... Und plötzlich stehst du vor meiner Tür..."
"Das war nicht geplant."
"Oh, dann ist es natürlich in Ordnung", murmelte sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme. "Und was war geplant? Daß du dich für immer vor deiner Verantwortung drückst?"
"Ritsuko, ich habe keine Ahnung!"
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, Wut machte Betroffenheit Platz.
"Du weißt es wirklich nicht?"
"Nein."
Langsam gab sie den Weg frei.
"In der Küche... Sie können auch ´reinkommen."
"Kommandant?" wandte Deiko sich an Thomas, dessen Rangbezeichnung benutzend.
"Folgen Sie mir, Kapitän Tamakura."
***
Wenig später saßen sie in der akagi´schen Küche um den Eßtisch herum, Thomas hatte seinen langen Mantel abgelegt und über die freie Stuhllehne gelegt, während Deiko ihren immer noch trug.
Ritsuko hatte sich ein wenig beruhigt.
"Du siehst anders aus", wiederholte sie.
"Ja. Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit."
"Kontaktlinse?"
Er nickte.
"Für das andere Auge brauche ich keine mehr."
"Die roten Augen waren damals... aufsehenerregend..."
Ein schmales Lächeln huschte über sein Gesicht.
"Ich war nie wieder in dieser Disko... oder überhaupt in einer Disko..."
Er berührte seine Augenklappe.
"Sich hiervon zu erholen, hat recht lange gedauert."
"Ich war noch mehrmals dort, wo wir uns begegnet waren. Hast du nie versucht, mich zu finden?"
"Nein." Er sah ihr in die Augen. "Es gab andere Dinge zu tun."
"Sicher... sicher gibt es viele Dinge, die wichtiger sind, als jemand, der dir nur eine Nacht lang Gesellschaft geleistet hat."
"Deshalb sind wir hier."
"Oh. Und ich dachte... Hm... meinen Namen kennst du inzwischen anscheinend, aber ich wüßte gerne den deinen."
"Ja... Ich habe viele Namen... Damals... hm... Thomas."
"Thomas... und das ist alles?"
"Die einzige Konstante. Nun ja, Thomas Shigen."
"Shigen... ja... Dann kann ich meiner Tochter endlich sagen, wer ihr Vater war."
Deiko begann zu husten.
Thomas riß sein Auge auf.
"Tochter?"
Ritsuko nickte.
"Du hast sie gerade eben gesehen. Rei ist deine Tochter... das Ergebnis dieser einen Nacht."
"Mein Gott... wenn ich das gewußt hätte..."
"Was dann? Wärst du dann hier gewesen? Hätte sie einen Vater gehabt, als sie einen brauchte? Hättest du dich um sie gekümmert?"
"Ritsuko, ich... das kommt alles ziemlich überraschend..."
Er senkte den Blick, starrte brütend auf die Tischplatte.
Deiko seufzte.
"Also, ich finde solche Enthüllungen ja faszinierend... Doktor Akagi, ich bin Kapitän Deiko Tamakura vom UN-Schiff PROMETHEUS. Wie mein vorgesetzter Offizier stehe ich im Dienst von NERV, einer Organisation des militärischen Armes der Vereinten Nationen. Was ich in der Folge mit Ihnen besprechen werde, muß absoluter Stillschweigen unterliegen."
"Was?" entgegnete Ritsuko verwirrt. "Können Sie nicht..."
"Nein. Das kann nicht warten. Wir haben keine Zeit."
"Deiko", flüsterte Thomas.
"Nein, Kommandant, der Zeitplan..."
"Sie ist meine Tochter..."
"Und Shinji Ikari ist Colonel Ikaris Sohn... und Kensuke Aida der Neffe von Leutnant Aida... und..."
Sie verstummte, warf ihm einen mitfühlenden Blick zu.
"Tut mir leid, aber du weißt wohl besser als ich, wie die NERV-Agenda leutet."
"Ich habe sie geschrieben... mach weiter..."
"Danke. - Doktor Akagi, meine Organisation hat sich dem Schutz der Menschheit vor einer Bedrohung von außen verpflichtet. Und Ihre Tochter, Rei, verfügt über Fähigkeiten, die es in dieser Beziehung äußerst wichtig machen, daß sie uns begleitet."
"Rei? Also seid ihr doch wegen ihr hier... Ihr wollt sie mir wegnehmen..."
"Nein..." setzte Thomas an, überließ seiner Begleiterin dann das Feld.
"Das ist nicht unsere Absicht. Aber, um es direkt zu sagen: Die Erde braucht die Hilfe ihrer Tochter."
"Aber..."
"Ihr beide solltet uns ins Hauptquartier begleiten, dort können wir alles belegen."
Thomas stieß einen tiefen Seufzer aus.
"Ritsuko, es kommt für mich sehr überraschend... ich hätte nie auch nur in Erwägung gezogen, daß ich eine Tochter haben könnte..."
"Und ich hätte nie gedacht, daß ich dich noch einmal wiedersehen würde... Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dich umzubringen."
"Das ist hoffentlich nur ein Scherz... kann ich mit ihr sprechen?"
"Mit Rei? Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist... Sag ihr nicht, wer du bist."
"Wenn du es wünschst."
"Ich komme mit."
"Gut."
Sie verließen die Küche, während Deiko zurückblieb.
Könnte das der Grund für Midoris Zusammenbruch gewesen sein? Aber woher sollte sie es gewußt haben, wenn sogar Thomas derart überrascht reagiert hat... Na, auf die Geschichte bin ich gespannt... das ganze muß vor der ersten Expedition zum Südpol stattgefunden haben... hm...
***
Im NERV-HQ herrschte derweil wieder helle Aufregung. Viele der Anwesenden starrten wie gebannt auf den Hauptmonitor.
Colonel Gendo Ikari sprang aus dem Sessel des Kommandanten, als Seléne die Brücke betrat, um ihr Platz zu machen.
"Bericht", forderte Seléne.
"Sehen Sie..."
Gendo deutete auf den übergroßen Hauptmonitor. Dieser zeigte eine Satellitenbild, welches von roten lebendigen Farben dominiert wurde.
"Unsere Werftanlagen wurden völlig vernichtet. Dieser Höllenschlund ist alles, was von dem US-Zweig bei Sunnydale übriggeblieben ist. Geschätzte Zahl an Opfern: etwa 50000 Menschenleben."
Seléne verbarg das Gesicht in den Händen.
"Was ist geschehen?" fragte sie dumpf.
"Der für heute vorgesehene Testlauf der S2-Maschine für den Antrieb der CHRONOS ist laut MAGI problemlos verlaufen. Die letzten Übertragungen deuten vielmehr auf Sabotage hin."
"Sabotage... Erstaunlich, daß der erste Rückschlag in unserem Plan durch Menschenhand verursacht worden sein soll..."
"Chef...!"
Weiter unten war Shigeru Aoba aufgesprungen.
"Sprechen Sie, Captain."
"POLARIS meldet die Existenz eines blauen Musters! Das Hauptsystem in Osaka bestätigt die Analyse, ebenso unser Reservesystem."
"Wo?"
Die Ansicht des Schirmes änderte sich, aus dem Weltall wurde auf Südjapan herangezoomt.
"Ganz in der Nähe von Tokio. Auf dem Festland."
"Das sieht nach einem Nest aus. Setzen Sie die Streitkräfte in Kenntnis, ich spreche mit dem Innenminister."
Sie erhob sich.
"Ikari, kommen Sie mit."
***
Rei saß an ihrem Schreibtisch und las in einem Buch, als es klopfte.
"Ja?"
Ihre Mutter und der einäugige Offizier betraten ihr Zimmer. Der Gesichtsausdruck des Mannes konnte gleichwohl mit traurig, wie auch mit gespannt beschrieben werden.
Beim Anblick ihrer Mutter lief Rei ein Schauder über den Rücken, wie so oft in den letzten Tagen, seit die Erinnerungen zurückgekehrt waren.
Ritsuko Akagi... meine Mutter... in dieser Realität... in der anderen Welt jedoch hat sie mich gehaßt... ebenso wie ihre Mutter... Naoko Akagi hat mich getötet... aber nicht hier... ich... wenn uns unsere Erfahrungen formen, was ist dann geschehen, wie soll ich mich verhalten? Mama... Oma... sie lieben mich... und wenn ich nicht diese Bilder sehen würde...
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Ihr blieb eigentlich nichts anderes übrig, als die Überlegungen in den hintersten Teil ihres Denkens zu verbannen, um nicht den Verstand zu verlieren. Und der einzige Mensch, mit dem sie darüber hätte sprechen können, war nicht erreichbar.
"Rei, das hier ist... Thomas Shigen, er arbeitet für die UN..."
Ritsuko sprach etwas stockend, so als überlege sie jedes Wort zunächst genau.
"Hallo." begrüßte der Mann sie mit warmer Stimme. "Es freut mich, dich kennenzulernen."
Ihr fiel ein Detail an seiner Uniform auf, welches zuvor unter dem Mantel verborgen gewesen war: Auf das linke Schulterstück seiner Jacke war das Symbol eines halbierten Feigenblattes aufgenäht.
"Sie arbeiten für NERV."
Er zögerte kurz.
"Ja."
Rei stand langsam auf.
"Wie kann ich Ihnen helfen?"
***
Thomas stand in einem Korridor des Hauptquartieres, die Stirn gegen eine Fensterscheibe gepreßt, ohne wirklich hinaus zu sehen.
Deiko lehnte sich neben ihn an die Wand.
"Der heutige Tag war voller... Offenbarungen..."
"Das kannst du laut sagen. Zu erfahren, daß ich eine vierzehnjährige Tochter habe, war... hm... ich fühle mich gerade ähnlich wie damals, als Takanawa mir gesagt hat, daß ich unter progessivem Zellverfall leide... und doch ist es anders."
"Willst du mir erzählen, wie es passiert ist?"
"Ja, wie... Kleine Schwester, ich schätze, das ist keine ruhmreiche Erzählung..."
"Erzähl es mir trotzdem, du siehst aus, als müßtest du dir etwas von der Seele reden."
"Vor fünfzehn Jahren... Sicher erinnerst du dich noch, wie das ganze Chaos angefangen hat..."
"Hm, der Matriel?"
"Nein, früher."
"Ah, Midori..."
"Ja, als es zwischen uns in die Brüche ging... ich hatte gedacht, unsere Verbindung würde allem standhalten, aber ich hatte mich getäuscht... nach der Fehlgeburt..."
"Ich weiß..."
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter.
"Sie gab dir die Schuld."
"Mir und dem, was ich bin... und ich gab mir auch die Schuld..."
"Ja. Du bist damals ganz schön abgerutscht, einige von uns hatten Sorge, wir könnten dich verlieren..."
"Ich weiß. Falk hat sogar Vorbereitungen getroffen, um mich aus dem Verkehr zu ziehen, falls ich durchdrehen sollte."
"Oh... das war mir nicht bekannt..."
"Wahrscheinlich hätte er es sogar geschafft. Ich war ziemlich am Boden..."
"Du wolltest weder Hilfe noch Trost."
"Ja... Stattdessen habe ich mich tagelang zugeschüttet, um zu vergessen. Und du weißt, welche Mengen damals noch nötig waren, als mein Heilfaktor noch nicht anderweitig ausgelastet war."
"Du konntest uns alle unter den Tisch saufen und anschließend noch heimfahren."
"Und in diesem Zustand traf ich Ritsuko Akagi... es war der klassische One-Night-Stand."
"Aber mit Folgen."
"Die ich damals nicht erahnen konnte... Und kaum daß ich wieder nüchtern war, stand Falk auf der Matte und schleppte mich zum Flieger..."
"Deine Tochter wurde also in der Nacht gezeugt, bevor wir auf diese unseelige Expedition aufgebrochen sind?!"
"Ja. Und seitdem sind fünfzehn Jahre vergangen... ich fühle mich so schuldig... und ich weiß jetzt, was Ikari durchmacht..."
"Hm..."
"Deiko, ich bin der Kriegsherr, ich sollte solche Gefühle nicht haben, aber sie sind da."
"Das macht dich menschlich... und die Kinder sicher. Thomas, ich bin wohl deine älteste Freundin, ich bin immer für dich da."
"Danke, kleine Schwester."
"Können wir jetzt wieder professionell werden?" fragte sie und grinste.
"Wieder an die Arbeit?"
"Du hast doch sonst auch keine Zeit für Selbstmitleid."
"Das wohl... Also?"
"Langsam nehmen die Zugeständnisse überhand. Jetzt wird uns Doktor Akagi auch noch nach Antarktika begleiten... wieder eine Zivilperson mehr, auf die wir aufpassen müssen, und die eine Ablenkung darstellen kann."
"Wir können die Kinder schlecht kidnappen... Deiko, du warst nicht dabei, aber Reis Reaktion war ebenso unheimlich, wie die des Jungen. Es war, als hätte sie damit gerechnet, daß wir sie rekrutieren würden."
"Da sie deine Tochter ist, ist das gar nicht so unwahrscheinlich... vielleich hat sie deine Fähigkeiten geerbt."
"Hm... Vielleicht..."
Eine Weile herrschte Stille zwischen ihnen. Dann wandte er sich ihr zu, bemerkte, daß ihr Blick an seiner Hand zu heften schien, senkte selbst den Blick.
"Was ist..."
Da sah er, was sie zum Verstummen gebracht hatte - an seinen Fingern hatte sich die Haut abgelöst und hing in langen Streifen herab, einfach ab- und aufgeplatzt.
"Dein AT-Feld..."
"Ja. Wenn ich mich nicht ständig konzentriere, passiert sowas... Dann verliert es an Kraft... Und der heutige Tag..."
Er preßte die Lippen zusammen, lenkte seine Aufmerksamkeit auf seine regenerativen Kräfte, um diese anzuregen, konnte beobachten, wie sich die Haut erneuerte.
"Es ist... unheimlich... Früher habe ich dich um diese Fähigkeiten beneidet, doch heute..."
Thomas nickte nur. Seine Gedankengänge wurden unterbrochen, als seine Schwester in Begleitung Colonel Ikaris und Leutnant Hyugas im Laufschritt den Korridor herabkamen.
"Seléne, was ist los?"
"Die MAGI haben ein Bardiel-Nest in der Nähe Tokios entdeckt. Die JSSDF hat Befehl zum Eingreifen gekommen, ich werde mitfliegen."
"Ein Gehirnparasiten-Nest? Verdammter Dreck..."
"Und die Werftanlage in den Staaten ist zerstört worden."
"Was? Warum erfahre ich das erst jetzt?"
"Du warst in einer Besprechung mit den Eltern, ich wollte keine Unruhe verbreiten."
"Verstehe. Ich übernehme hier das Kommando, paß auf dich auf."
"Natürlich."
Er straffte sich, schien die Sorgen und Bedenken abzustreifen, wurde zu der effizienten Maschinerie, zu der er ausgebildet, als die er geboren worden war...
***
"Das Zielgebiet wurde evakuiert." vermeldete Gendo Ikari vom Rücksitz des Düsenjägers.
Seléne gab ihm ein Handzeichen, daß sie verstanden hatte. Der Jet, in dem die beiden saßen, gehörte zu einer Formation, die von Tokio aus nach Osten aufgebrochen war.
"N2-Bomben zum Abwurf bereit. - Ich möchte das Gebiet erst einmal überfliegen."
*Bestätigt, NERV-01. Fliegen Sie voraus.*
"Colonel, halten Sie die Augen offen."
"Natürlich."
Sie ging tiefer.
"Scanner zeigen nichts an..."
"Der See dort vorn, Colonel... ich fliege zurück..."
"Scanner sprechen an. Die Kolonie muß sich unter Wasser befinden."
"Ideale Lebensbedingungen für einen Bardiel. Ich überfliege den See nocheinmal."
"Ich habe ein Bild. Sieht aus wie ein großes Gehirn... ist das die Brutmutter der Bardiel-Kolonie?"
"Geben Sie es auf meinen Schirm... ja, bestätigt. - An Fliegerstaffel: Ziel identifiziert. Koordinaten werden übermittelt. Bombardierung freigegeben!"
Sie flog eine weitere Kurve, lud die mitgeführten N2-Bomben ab.
***
Die Satellitenbilder, welche auf den Hauptbildschirm der Zentrale übertragen wurden, zeigten die Verwüstungen, welche aus den Bombenabwürfen resultierten.
"Wie sieht es aus, Captain Aoba?"
"Auswertung läuft, Kommandant. MAGI bestätigen Vernichtung des Zieles. Lady Seléne vermeldet, daß es sich tatsächlich um ein Bardiel-Nest gehandelt hat. Es werden wohl neue Karten der Region gezeichnet werden müssen."
"Danke, Captain."
Thomas lehnte sich zurück.
"Wer weiß, wieviele noch existieren..."
Deiko nickte nur.
"Captain, POLARIS soll weitere Tiefenscans durchführen. Mich beunruhigt die Nähe zum Hauptquartier, in der das Nest entdeckt wurde. Und das gesammte Personal soll auf Hirnparasiten überprüft werden."
"Bestätigt."
Makoto tastete nervös über seinen Nacken.
***
In ihrer Arrestzelle öffnete Midori Sekigahama die Augen. Sie leuchteten tiefrot...
Die rotblonde Frau setzte sich auf der Pritsche auf, schien einer unhörbaren Stimme zu lauschen...
***
"Rei, bist du dir wirklich sicher, daß du das machen willst?"
"Ja, Mama."
Ritsuko fiel das kurze Zögern auf, das zwischen den beiden Worten lag. Sie trat neben ihre Tochter und strich ihr über das Haar.
"Was hast du?"
"Ich..."
"Rei, du zitterst ja, hängt es mit dieser Sache zusammen?"
"Nein. Das ist... Hattest du schon einmal das Gefühl, etwas unbedingt tun zu müssen?"
"Egal, wie unsinnig es ist?"
"Ja."
Ritsuko lächelte.
"Oh, ja... Allerdings habe ich es mir seit deiner Geburt zur Gewohnheit gemacht, solche Anwandlungen zu ignorieren."
"Ja."
"Und deine... Entscheidung... ist so etwas?"
"Du würdest es nicht verstehen."
"Rei, du kommst mir so fremd vor... was ist es? Wir können deinem... dem Kommandanten immer noch sagen, daß du..."
"Nein, das ist es nicht. Frag nicht, Mama, bitte, frag nicht."
Rei Akagi öffnete die Tür des Apartments, welches sie mit ihrer Mutter bewohnte, vor der Tür standen ein Mann und eine Frau, beide trugen Armee-Uniformen unter ihren langen Mänteln.
"Ja...?" fragte Rei unsicher. Sie bemerkte den Blick, mit dem der einäugige Mann sie musterte, glaubte, etwas vertrautes zu bemerken.
"Guten Abend. Wir würden gern deine Mutter sprechen." sagte der Fremde höflich.
"Ja."
Es beginnt wieder...
Ihr Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an, als sie den Kopf abwandte und rief:
"Mama, hier sind zwei Offiziere."
"Offiziere?" echote Ritsuko Akagi und kam aus dem Wohnzimmer. "Rei, bist du sicher?"
Sie kam zur Tür, öffnete diese weit, blickte ihre Besucher an, starrte Thomas an, riß die Augen auf.
"Du..." flüsterte sie...
***
Thomas blickte die blonde Frau, bei der es sich um Doktor Ritsuko Akagi handeln mußte, überrascht an. Sein Gedächnis arbeitete auf Hochtouren, um sie einordnen zu können.
Sie kam ihm ziemlich bekannt vor, doch ihre Begegnung mußte schon einige Zeit zurückliegen...
"Du Bastard!" schrie Ritsuko und holte aus, um ihm eine Ohrfeige zu geben.
Der Einäugige war viel zu überrascht, um reagieren zu können.
Dafür handelte Deiko, indem sie die blitzartig zugriff und Ritsukos Hand festhielt.
"Was soll das?"
Gleichzeitig kam Thomas die Erkenntnis, woher er Ritsuko Akagi kannte...
Oh, mein Gott...
Es war wirklich seltsam, wie alle Bausteine zueinanderfanden... manchmal haßte er es, wenn er recht behielt...
Ritsuko funkelte ihn an.
"Du siehst jetzt anders aus, aber irgendwie wußte ich, daß ich dich erkennen würde."
"Kann mir mal jemand sagen, was hier los ist?" fragte Deiko leise.
"Doktor Akagi..." setzte Thomas an, überlegte es sich anders. "Ritsuko, ich wußte nicht..."
"Natürlich. Du konntest dich nicht einmal an meinen Namen erinnern, stimmt´s?"
"Ich... Hören Sie zu, es war damals eine turbulente Zeit und..."
"Und?"
"Und?" kam es zugleich von Deiko. "Das würde mich aber auch interessieren."
"Mama?" fragte Rei verwirrt.
"Geh auf dein Zimmer, Schatz."
Rei blinzelte.
"Ja."
Ritsuko sah Thomas immer noch wütend an.
"Fünfzehn Jahre... Und plötzlich stehst du vor meiner Tür..."
"Das war nicht geplant."
"Oh, dann ist es natürlich in Ordnung", murmelte sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme. "Und was war geplant? Daß du dich für immer vor deiner Verantwortung drückst?"
"Ritsuko, ich habe keine Ahnung!"
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, Wut machte Betroffenheit Platz.
"Du weißt es wirklich nicht?"
"Nein."
Langsam gab sie den Weg frei.
"In der Küche... Sie können auch ´reinkommen."
"Kommandant?" wandte Deiko sich an Thomas, dessen Rangbezeichnung benutzend.
"Folgen Sie mir, Kapitän Tamakura."
***
Wenig später saßen sie in der akagi´schen Küche um den Eßtisch herum, Thomas hatte seinen langen Mantel abgelegt und über die freie Stuhllehne gelegt, während Deiko ihren immer noch trug.
Ritsuko hatte sich ein wenig beruhigt.
"Du siehst anders aus", wiederholte sie.
"Ja. Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit."
"Kontaktlinse?"
Er nickte.
"Für das andere Auge brauche ich keine mehr."
"Die roten Augen waren damals... aufsehenerregend..."
Ein schmales Lächeln huschte über sein Gesicht.
"Ich war nie wieder in dieser Disko... oder überhaupt in einer Disko..."
Er berührte seine Augenklappe.
"Sich hiervon zu erholen, hat recht lange gedauert."
"Ich war noch mehrmals dort, wo wir uns begegnet waren. Hast du nie versucht, mich zu finden?"
"Nein." Er sah ihr in die Augen. "Es gab andere Dinge zu tun."
"Sicher... sicher gibt es viele Dinge, die wichtiger sind, als jemand, der dir nur eine Nacht lang Gesellschaft geleistet hat."
"Deshalb sind wir hier."
"Oh. Und ich dachte... Hm... meinen Namen kennst du inzwischen anscheinend, aber ich wüßte gerne den deinen."
"Ja... Ich habe viele Namen... Damals... hm... Thomas."
"Thomas... und das ist alles?"
"Die einzige Konstante. Nun ja, Thomas Shigen."
"Shigen... ja... Dann kann ich meiner Tochter endlich sagen, wer ihr Vater war."
Deiko begann zu husten.
Thomas riß sein Auge auf.
"Tochter?"
Ritsuko nickte.
"Du hast sie gerade eben gesehen. Rei ist deine Tochter... das Ergebnis dieser einen Nacht."
"Mein Gott... wenn ich das gewußt hätte..."
"Was dann? Wärst du dann hier gewesen? Hätte sie einen Vater gehabt, als sie einen brauchte? Hättest du dich um sie gekümmert?"
"Ritsuko, ich... das kommt alles ziemlich überraschend..."
Er senkte den Blick, starrte brütend auf die Tischplatte.
Deiko seufzte.
"Also, ich finde solche Enthüllungen ja faszinierend... Doktor Akagi, ich bin Kapitän Deiko Tamakura vom UN-Schiff PROMETHEUS. Wie mein vorgesetzter Offizier stehe ich im Dienst von NERV, einer Organisation des militärischen Armes der Vereinten Nationen. Was ich in der Folge mit Ihnen besprechen werde, muß absoluter Stillschweigen unterliegen."
"Was?" entgegnete Ritsuko verwirrt. "Können Sie nicht..."
"Nein. Das kann nicht warten. Wir haben keine Zeit."
"Deiko", flüsterte Thomas.
"Nein, Kommandant, der Zeitplan..."
"Sie ist meine Tochter..."
"Und Shinji Ikari ist Colonel Ikaris Sohn... und Kensuke Aida der Neffe von Leutnant Aida... und..."
Sie verstummte, warf ihm einen mitfühlenden Blick zu.
"Tut mir leid, aber du weißt wohl besser als ich, wie die NERV-Agenda leutet."
"Ich habe sie geschrieben... mach weiter..."
"Danke. - Doktor Akagi, meine Organisation hat sich dem Schutz der Menschheit vor einer Bedrohung von außen verpflichtet. Und Ihre Tochter, Rei, verfügt über Fähigkeiten, die es in dieser Beziehung äußerst wichtig machen, daß sie uns begleitet."
"Rei? Also seid ihr doch wegen ihr hier... Ihr wollt sie mir wegnehmen..."
"Nein..." setzte Thomas an, überließ seiner Begleiterin dann das Feld.
"Das ist nicht unsere Absicht. Aber, um es direkt zu sagen: Die Erde braucht die Hilfe ihrer Tochter."
"Aber..."
"Ihr beide solltet uns ins Hauptquartier begleiten, dort können wir alles belegen."
Thomas stieß einen tiefen Seufzer aus.
"Ritsuko, es kommt für mich sehr überraschend... ich hätte nie auch nur in Erwägung gezogen, daß ich eine Tochter haben könnte..."
"Und ich hätte nie gedacht, daß ich dich noch einmal wiedersehen würde... Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dich umzubringen."
"Das ist hoffentlich nur ein Scherz... kann ich mit ihr sprechen?"
"Mit Rei? Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist... Sag ihr nicht, wer du bist."
"Wenn du es wünschst."
"Ich komme mit."
"Gut."
Sie verließen die Küche, während Deiko zurückblieb.
Könnte das der Grund für Midoris Zusammenbruch gewesen sein? Aber woher sollte sie es gewußt haben, wenn sogar Thomas derart überrascht reagiert hat... Na, auf die Geschichte bin ich gespannt... das ganze muß vor der ersten Expedition zum Südpol stattgefunden haben... hm...
***
Im NERV-HQ herrschte derweil wieder helle Aufregung. Viele der Anwesenden starrten wie gebannt auf den Hauptmonitor.
Colonel Gendo Ikari sprang aus dem Sessel des Kommandanten, als Seléne die Brücke betrat, um ihr Platz zu machen.
"Bericht", forderte Seléne.
"Sehen Sie..."
Gendo deutete auf den übergroßen Hauptmonitor. Dieser zeigte eine Satellitenbild, welches von roten lebendigen Farben dominiert wurde.
"Unsere Werftanlagen wurden völlig vernichtet. Dieser Höllenschlund ist alles, was von dem US-Zweig bei Sunnydale übriggeblieben ist. Geschätzte Zahl an Opfern: etwa 50000 Menschenleben."
Seléne verbarg das Gesicht in den Händen.
"Was ist geschehen?" fragte sie dumpf.
"Der für heute vorgesehene Testlauf der S2-Maschine für den Antrieb der CHRONOS ist laut MAGI problemlos verlaufen. Die letzten Übertragungen deuten vielmehr auf Sabotage hin."
"Sabotage... Erstaunlich, daß der erste Rückschlag in unserem Plan durch Menschenhand verursacht worden sein soll..."
"Chef...!"
Weiter unten war Shigeru Aoba aufgesprungen.
"Sprechen Sie, Captain."
"POLARIS meldet die Existenz eines blauen Musters! Das Hauptsystem in Osaka bestätigt die Analyse, ebenso unser Reservesystem."
"Wo?"
Die Ansicht des Schirmes änderte sich, aus dem Weltall wurde auf Südjapan herangezoomt.
"Ganz in der Nähe von Tokio. Auf dem Festland."
"Das sieht nach einem Nest aus. Setzen Sie die Streitkräfte in Kenntnis, ich spreche mit dem Innenminister."
Sie erhob sich.
"Ikari, kommen Sie mit."
***
Rei saß an ihrem Schreibtisch und las in einem Buch, als es klopfte.
"Ja?"
Ihre Mutter und der einäugige Offizier betraten ihr Zimmer. Der Gesichtsausdruck des Mannes konnte gleichwohl mit traurig, wie auch mit gespannt beschrieben werden.
Beim Anblick ihrer Mutter lief Rei ein Schauder über den Rücken, wie so oft in den letzten Tagen, seit die Erinnerungen zurückgekehrt waren.
Ritsuko Akagi... meine Mutter... in dieser Realität... in der anderen Welt jedoch hat sie mich gehaßt... ebenso wie ihre Mutter... Naoko Akagi hat mich getötet... aber nicht hier... ich... wenn uns unsere Erfahrungen formen, was ist dann geschehen, wie soll ich mich verhalten? Mama... Oma... sie lieben mich... und wenn ich nicht diese Bilder sehen würde...
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Ihr blieb eigentlich nichts anderes übrig, als die Überlegungen in den hintersten Teil ihres Denkens zu verbannen, um nicht den Verstand zu verlieren. Und der einzige Mensch, mit dem sie darüber hätte sprechen können, war nicht erreichbar.
"Rei, das hier ist... Thomas Shigen, er arbeitet für die UN..."
Ritsuko sprach etwas stockend, so als überlege sie jedes Wort zunächst genau.
"Hallo." begrüßte der Mann sie mit warmer Stimme. "Es freut mich, dich kennenzulernen."
Ihr fiel ein Detail an seiner Uniform auf, welches zuvor unter dem Mantel verborgen gewesen war: Auf das linke Schulterstück seiner Jacke war das Symbol eines halbierten Feigenblattes aufgenäht.
"Sie arbeiten für NERV."
Er zögerte kurz.
"Ja."
Rei stand langsam auf.
"Wie kann ich Ihnen helfen?"
***
Thomas stand in einem Korridor des Hauptquartieres, die Stirn gegen eine Fensterscheibe gepreßt, ohne wirklich hinaus zu sehen.
Deiko lehnte sich neben ihn an die Wand.
"Der heutige Tag war voller... Offenbarungen..."
"Das kannst du laut sagen. Zu erfahren, daß ich eine vierzehnjährige Tochter habe, war... hm... ich fühle mich gerade ähnlich wie damals, als Takanawa mir gesagt hat, daß ich unter progessivem Zellverfall leide... und doch ist es anders."
"Willst du mir erzählen, wie es passiert ist?"
"Ja, wie... Kleine Schwester, ich schätze, das ist keine ruhmreiche Erzählung..."
"Erzähl es mir trotzdem, du siehst aus, als müßtest du dir etwas von der Seele reden."
"Vor fünfzehn Jahren... Sicher erinnerst du dich noch, wie das ganze Chaos angefangen hat..."
"Hm, der Matriel?"
"Nein, früher."
"Ah, Midori..."
"Ja, als es zwischen uns in die Brüche ging... ich hatte gedacht, unsere Verbindung würde allem standhalten, aber ich hatte mich getäuscht... nach der Fehlgeburt..."
"Ich weiß..."
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter.
"Sie gab dir die Schuld."
"Mir und dem, was ich bin... und ich gab mir auch die Schuld..."
"Ja. Du bist damals ganz schön abgerutscht, einige von uns hatten Sorge, wir könnten dich verlieren..."
"Ich weiß. Falk hat sogar Vorbereitungen getroffen, um mich aus dem Verkehr zu ziehen, falls ich durchdrehen sollte."
"Oh... das war mir nicht bekannt..."
"Wahrscheinlich hätte er es sogar geschafft. Ich war ziemlich am Boden..."
"Du wolltest weder Hilfe noch Trost."
"Ja... Stattdessen habe ich mich tagelang zugeschüttet, um zu vergessen. Und du weißt, welche Mengen damals noch nötig waren, als mein Heilfaktor noch nicht anderweitig ausgelastet war."
"Du konntest uns alle unter den Tisch saufen und anschließend noch heimfahren."
"Und in diesem Zustand traf ich Ritsuko Akagi... es war der klassische One-Night-Stand."
"Aber mit Folgen."
"Die ich damals nicht erahnen konnte... Und kaum daß ich wieder nüchtern war, stand Falk auf der Matte und schleppte mich zum Flieger..."
"Deine Tochter wurde also in der Nacht gezeugt, bevor wir auf diese unseelige Expedition aufgebrochen sind?!"
"Ja. Und seitdem sind fünfzehn Jahre vergangen... ich fühle mich so schuldig... und ich weiß jetzt, was Ikari durchmacht..."
"Hm..."
"Deiko, ich bin der Kriegsherr, ich sollte solche Gefühle nicht haben, aber sie sind da."
"Das macht dich menschlich... und die Kinder sicher. Thomas, ich bin wohl deine älteste Freundin, ich bin immer für dich da."
"Danke, kleine Schwester."
"Können wir jetzt wieder professionell werden?" fragte sie und grinste.
"Wieder an die Arbeit?"
"Du hast doch sonst auch keine Zeit für Selbstmitleid."
"Das wohl... Also?"
"Langsam nehmen die Zugeständnisse überhand. Jetzt wird uns Doktor Akagi auch noch nach Antarktika begleiten... wieder eine Zivilperson mehr, auf die wir aufpassen müssen, und die eine Ablenkung darstellen kann."
"Wir können die Kinder schlecht kidnappen... Deiko, du warst nicht dabei, aber Reis Reaktion war ebenso unheimlich, wie die des Jungen. Es war, als hätte sie damit gerechnet, daß wir sie rekrutieren würden."
"Da sie deine Tochter ist, ist das gar nicht so unwahrscheinlich... vielleich hat sie deine Fähigkeiten geerbt."
"Hm... Vielleicht..."
Eine Weile herrschte Stille zwischen ihnen. Dann wandte er sich ihr zu, bemerkte, daß ihr Blick an seiner Hand zu heften schien, senkte selbst den Blick.
"Was ist..."
Da sah er, was sie zum Verstummen gebracht hatte - an seinen Fingern hatte sich die Haut abgelöst und hing in langen Streifen herab, einfach ab- und aufgeplatzt.
"Dein AT-Feld..."
"Ja. Wenn ich mich nicht ständig konzentriere, passiert sowas... Dann verliert es an Kraft... Und der heutige Tag..."
Er preßte die Lippen zusammen, lenkte seine Aufmerksamkeit auf seine regenerativen Kräfte, um diese anzuregen, konnte beobachten, wie sich die Haut erneuerte.
"Es ist... unheimlich... Früher habe ich dich um diese Fähigkeiten beneidet, doch heute..."
Thomas nickte nur. Seine Gedankengänge wurden unterbrochen, als seine Schwester in Begleitung Colonel Ikaris und Leutnant Hyugas im Laufschritt den Korridor herabkamen.
"Seléne, was ist los?"
"Die MAGI haben ein Bardiel-Nest in der Nähe Tokios entdeckt. Die JSSDF hat Befehl zum Eingreifen gekommen, ich werde mitfliegen."
"Ein Gehirnparasiten-Nest? Verdammter Dreck..."
"Und die Werftanlage in den Staaten ist zerstört worden."
"Was? Warum erfahre ich das erst jetzt?"
"Du warst in einer Besprechung mit den Eltern, ich wollte keine Unruhe verbreiten."
"Verstehe. Ich übernehme hier das Kommando, paß auf dich auf."
"Natürlich."
Er straffte sich, schien die Sorgen und Bedenken abzustreifen, wurde zu der effizienten Maschinerie, zu der er ausgebildet, als die er geboren worden war...
***
"Das Zielgebiet wurde evakuiert." vermeldete Gendo Ikari vom Rücksitz des Düsenjägers.
Seléne gab ihm ein Handzeichen, daß sie verstanden hatte. Der Jet, in dem die beiden saßen, gehörte zu einer Formation, die von Tokio aus nach Osten aufgebrochen war.
"N2-Bomben zum Abwurf bereit. - Ich möchte das Gebiet erst einmal überfliegen."
*Bestätigt, NERV-01. Fliegen Sie voraus.*
"Colonel, halten Sie die Augen offen."
"Natürlich."
Sie ging tiefer.
"Scanner zeigen nichts an..."
"Der See dort vorn, Colonel... ich fliege zurück..."
"Scanner sprechen an. Die Kolonie muß sich unter Wasser befinden."
"Ideale Lebensbedingungen für einen Bardiel. Ich überfliege den See nocheinmal."
"Ich habe ein Bild. Sieht aus wie ein großes Gehirn... ist das die Brutmutter der Bardiel-Kolonie?"
"Geben Sie es auf meinen Schirm... ja, bestätigt. - An Fliegerstaffel: Ziel identifiziert. Koordinaten werden übermittelt. Bombardierung freigegeben!"
Sie flog eine weitere Kurve, lud die mitgeführten N2-Bomben ab.
***
Die Satellitenbilder, welche auf den Hauptbildschirm der Zentrale übertragen wurden, zeigten die Verwüstungen, welche aus den Bombenabwürfen resultierten.
"Wie sieht es aus, Captain Aoba?"
"Auswertung läuft, Kommandant. MAGI bestätigen Vernichtung des Zieles. Lady Seléne vermeldet, daß es sich tatsächlich um ein Bardiel-Nest gehandelt hat. Es werden wohl neue Karten der Region gezeichnet werden müssen."
"Danke, Captain."
Thomas lehnte sich zurück.
"Wer weiß, wieviele noch existieren..."
Deiko nickte nur.
"Captain, POLARIS soll weitere Tiefenscans durchführen. Mich beunruhigt die Nähe zum Hauptquartier, in der das Nest entdeckt wurde. Und das gesammte Personal soll auf Hirnparasiten überprüft werden."
"Bestätigt."
Makoto tastete nervös über seinen Nacken.
***
In ihrer Arrestzelle öffnete Midori Sekigahama die Augen. Sie leuchteten tiefrot...
Die rotblonde Frau setzte sich auf der Pritsche auf, schien einer unhörbaren Stimme zu lauschen...
***
"Rei, bist du dir wirklich sicher, daß du das machen willst?"
"Ja, Mama."
Ritsuko fiel das kurze Zögern auf, das zwischen den beiden Worten lag. Sie trat neben ihre Tochter und strich ihr über das Haar.
"Was hast du?"
"Ich..."
"Rei, du zitterst ja, hängt es mit dieser Sache zusammen?"
"Nein. Das ist... Hattest du schon einmal das Gefühl, etwas unbedingt tun zu müssen?"
"Egal, wie unsinnig es ist?"
"Ja."
Ritsuko lächelte.
"Oh, ja... Allerdings habe ich es mir seit deiner Geburt zur Gewohnheit gemacht, solche Anwandlungen zu ignorieren."
"Ja."
"Und deine... Entscheidung... ist so etwas?"
"Du würdest es nicht verstehen."
"Rei, du kommst mir so fremd vor... was ist es? Wir können deinem... dem Kommandanten immer noch sagen, daß du..."
"Nein, das ist es nicht. Frag nicht, Mama, bitte, frag nicht."
