Phase 3 - PROMETHEUS
Kapitel 16: Operation Angeltour
Es ist anders... waren Shinji Ikaris ersten Gedanken, als die Synchronverbindungen geschlossen wurden.
Er befand sich im EntryPlug von EVA-01, zum ersten Mal und zugleich war er unfähig zu sagen, wie oft er schon im Pilotensitz eines EVANGELIONs gesessen hatte.
EVA-01 befand sich auf dem Testgelände im Geosektor unter Tokio, welches an einen überdimensionalen Sportplatz erinnerte.
Shinji sah zur Seite, neben EVA-01 befand sich Einheit-00 in Starthaltung.
Auf seinem Kommunikationsdisplay konnte er Reis Gesicht sehen, weitere kleine Monitore zeigten den Leiter des Testgeländes, einen Doktor Tsara, sowie die Entwicklerin der EVAs, Doktor Takanawa, welche als Hologramm in der Überwachungszentrale anwesend war.
"Seid ihr soweit?"
"Uh, ja."
"Bestätigt, Doktor Tsara."
"Gut. Auf die Plätze... fertig... los!"
Shinji ließ EVA-01 losrennen. Auch EVA-00 startete durch, Seite an Seite rannten sie über das Feld zur Markierung, wendeten dort und kehrten zum Start zurück. An der Wende ließ EVA-01 den Prototypen hinter sich zurück, behielt seinen Vorsprung, lief dementsprechend als erster ins Ziel ein.
Tsara gab ihm den nach oben gestreckten Daumen.
"Gute Zeit. Sehr gute Synchronrate, alle beide! Wir machen noch zwei Läufe, dann wechselt ihr in die Simulatoren über zum Waffentraining."
Shinji wünschte sich, mit Rei reden zu können. Die ganze Zeit über hatten sie es nicht geschafft, allein zu sein, entweder waren Touji und Kensuke bei ihm aufgetaucht, oder Asuka und Hikari waren bei Rei gewesen - oder ihre Mutter, welche sich derzeit ebenfalls in der Überwachungszentrale aufhielt.
Und ob der private Kommunikationskanal wirklich nicht abgehört werden konnte, dafür wollte er seine Hand nicht ins Feuer legen, schließlich waren sie bei NERV, egal wie freundlich der Kommandant und seine Leute sich gaben.
***
Miyuki Takanawa sah von ihren Unterlagen auf und wandte sich den Hologrammen zu, welche in ihrem Labor entstanden waren.
Es waren die Abbilder von NERV-Kommandant Thomas VanHelsing und UN-Colonel Gendo Ikari, letzterer Shigens frischgekürter Stabschef.
"Die Daten sind sehr zufriedenstellend, Kommandant, beim First und Third Children liegen sie außerhalb der Erwartungen, das Second Children liegt an nächster Stelle, die anderen drei Kinder benötigen allerdings erweitertes Training, ich schlage eine weitere Woche Intensivtraining vor."
"Das entspricht meinen Plänen."
In Thomas´ Stimme lag kein Gefühl.
"Ja... Hier in Osaka liegen wir ebenfalls im Zeitplan. Die Einheiten-02 und -03 sind inzwischen in die ODYSSEUS verladen worden, das Schiff wird in Begleitung der UN-Flotte mit dem Sonnenaufgang auslaufen."
"Gut."
"Ich soll Sie von Captain Sanchez grüßen."
"Danke."
Wieder bemerkte sie, daß ihr Gegenüber keine Emotionen zeigte, selbst bei der Erwähnung eines seiner ältesten Freunde.
"Kommandant... ich habe mir Ihre aktuellen medizinischen Daten angesehen - und war überrascht. Der Zellverfall wurde verlangsamt."
"Ja. Doktor, wie ist der Status der anderen beiden Einheiten?"
"Ah... EVA-04 und -05 befinden sich jetzt im Reifungsbecken, der Wachstumsprozeß verläuft nach Plan."
"Versuchen Sie, den Zeitplan zu beschleunigen."
"Das würde das Risiko von Mißbildungen erhöhen..."
"Tun Sie es. Danke, Doktor."
Das Hologramm des Kommandanten erlosch.
Takanawa wechselte einen Blick mit Ikari.
"Seit dem Tod Major Sekigahamas ist er so..."
"Hm... Ich kann riesige humanoide Kampfmaschinen erschaffen, aber ich kann kein gebrochenes Herz heilen..."
***
"Rei, bist du noch wach?" flüsterte Shinji, während er zaghaft im Dunkeln an ihrer Tür klopfte.
Keine Reaktion.
Er lehnte sich gegen den Türrahmen, überlegte.
Mittlerweile waren zehn Tage vergangen, seit NERV sie rekrutiert hatte, zehn Tage voller Testläufe und Training. Doch es war anders, als in seinen Erinnerungen.
Die Synchronisation verlief problemlos, brachte nicht den inneren Schmerz mit sich, an den er sich so gut erinnerte. Es war, als akzeptiere ihn der EVA von Beginn an, als wäre er bereit, seinen Piloten bedingungslos zu akzeptieren. Und doch war da etwas vertrautes, eine Stimme, die zu seinem Herzen zu sprechen schien, doch deren Worte er nicht verstand.
Die Tür wurde unvermittelt geöffnet.
Shinji verlor das Gleichgewicht, stolperte mit den Armen rudernd in Reis Quartier hinein, bekam Rei zu fassen, zog sie ungewollt mit sich.
Im nächsten Moment fand er sich auf dem Boden wieder, Rei lag halb auf ihm, eine Hand auf seine Brust gestützt.
Ihre Blicke trafen sich.
"Ah... Rei, es tut mir leid." stieß er hervor.
"Kein... Problem..."
Er atmete den Duft ihres Haares ein, hatte Schwierigkeiten zu atmen.
"Rei..."
"Ja?"
Sie senkte den Kopf, ihre Lippen näherten sich den seinen.
"Könntest du... dein Knie..."
"Oh."
Sie rollte sich von ihm herunter.
"Danke." preßte er hervor und setzte sich auf, während der Schmerz in seiner Leistengegend nachließ.
"Ja. Ich wollte nicht..."
Sie setzte sich neben ihn, zog die Tür zu.
"Uhm... es war meine Schuld... Rei, ich muß mit dir sprechen."
"Ja."
Er registrierte, daß sie ein weißes ärmelloses Nachthemd trug, wandte rasch den Blick ab.
"Warum bist du hier?"
"Wie meinst du das?"
"Ah... ich... also, ich meine, weshalb hast du zugestimmt, wieder einen EVA zu steuern?"
"Wieder... ja... Weil es meine Pflicht ist."
"Wieso?"
"Ich..."
Sie sah ihn verwirrt an.
"Ich wurde dazu geboren..."
"Aber nicht in dieser Welt... Rei, glaubst du, ich hätte soetwas beabsichtigt? Ich habe mir gewünscht, daß es anders ist... daß du sicher bist..."
"Ja. Ich weiß."
Sie legte ihre Hand auf die seine.
"Aber es sind unsere Erinnerungen, die uns ausmachen."
"Aber das wollte ich nicht. Ich wollte auch nicht, daß Asukas Eltern sich scheiden lassen, ich wollte..."
"Nichts ist perfekt, Shinji..."
"Wir wären besser dran ohne diese Erinnerungen."
"Vielleicht. Aber so verfügen wir über Erfahrungen, welche uns helfen werden."
"Ja... Rei, warum erinnern nur wir uns? Warum nicht auch Asuka?"
"Wir waren die auslösenden Komponenten des Third Impact... Wir waren im Zentrum."
"Ich verstehe..."
***
"Seléne, du hast mich gerufen?"
Seléne Shigen reagierte nicht auf das Eintreffen ihres Bruders auf der Brücke.
Thomas wandte sich Roderick Falk, hob fragend die Augenbrauen.
"Große Probleme", murmelte der grünäugige Ire. "Wir haben die ODYSSEUS verloren."
***
Die Piloten waren aus den Simulatoren zu einer Krisenbesprechung geholt worden.
Im Zentrum des runden Konferenztisches befand sich ein Holoprojektor, welcher gerade die erste - und letzte - Schlacht der ODYSSEUS zeigte, des Schwesterschiffes der PROMETHEUS.
"Vor zwei Stunden wurden die ODYSSEUS und der begleitende Flottenverband von einem Angeloi-Konstrukt angegriffen, welches wir unter der Bezeichnung Gaghiel führen." erklärte NERV-Kommandant Thomas Shingen.
"Bei dem Angeloi handelt es sich um ein ausgewachsenes Exemplar. Unsere Satellitenortung hat ihn nicht bemerkt, bis er angegriffen hat. Die komplette UN-Flotte, bestehend aus fünf schweren Zerstörern, wurde zerstört. Der Kapitän der ODYSSEUS hat die Frachtmodule ausgeklinkt und den Angeloi direkt angegriffen. Ob dieser Angriff irgendeinen Erfolg hatte, ist unklar, fest steht nur, daß die ODYSSEUS mit der gesammten Besatzung untergegangen ist. Die Küstenwache ist noch dabei, Überlebende des Konvois zu retten."
Er stützte sich schwer auf die Tischplatte.
Asuka meldete sich.
"Ja?"
"Heißt das, die EVAs wurden zerstört?"
"Nein. Colonel Ikari, bitte übernehmen Sie."
"Ja, Sir."
Ein nervöses Lächeln glitt über Gendos Gesicht, als er an den Tisch herantrat und sein Blick kurz den seines Sohnes traf.
"Bei den Bildern, die ihr hier seht, handelt es sich um eine computergeschaffene Simulation, bedauerlicherweise verfügt der Gaghiel über die Fähigkeit, unsere Instrumente zu stören. Für die Dauer des Angriffes war der ganze Küstenabschnitt für die Satelliten nicht vorhanden, ebenso war die Funkverbindung zur Flotte unterbrochen. Einige der Überlebenden haben ausgesagt, daß sie nicht wußten, was die Schiffe traf, der Gaghiel ist folglich extrem schnell.
Zu den EVAs: Die Frachtmodule sind den Daten nach unbeschädigt, befinden sich allerdings in einer Tiefe von zweihundert Metern. Wir werden daher eine Bergungsmission durchführen. Die PROMETHEUS wird in einer Stunde auslaufen."
"Uh, wozu werden wir benötigt?"
"Ihr werdet die Bergung durchführen, Shinji. Die PROMETHEUS ist zwar imstande, in diese Tiefe zu tauchen, allerdings können wir dort nur eingeschränkt agieren. Das Schiff wird daher Feuerschutz geben, während ihr mit den beiden EVAs zu den beiden Frachtmodulen vordringen und die Serienmodelle bergen werdet."
"Noch Fragen?" unterbrach der Kommandant.
"Was ist mit dem... dem Fisch?" fragte Touji.
"Wir bemühen uns derzeit, seine Spur zu finden. Anscheinend sind unsere Überwachungssysteme nicht imstande, ihn zu orten. Das Unternehmen wird daher mit der erforderlichen Geschwindigkeit durchgeführt werden - die EVAs werden an ihren Versorgungskabeln in die Tiefe herabgelassen und werden an den Frachtmodulen Zugseile anbringen. Auf dem Deck der PROMETHEUS wird zur Zeit ein entsprechender Kran installiert. Sobald die EVAs geborgen sind, ziehen wir uns in den Schutz des Hafens zurück und überprüfen, ob die Einheiten wirklich unbeschädigt sind.
Die EVANGELION-Einheiten-00 und -01 wurden mit experimentellen Akku-Tornistern ausgestattet, welche ihre Aktionszeit auf eine Stunde erhöhen, wir arbeiten an weiteren Verbesserungen. Die Tornister verfügen ferner über Solarzellen, welche die Akkus bei den hiesigen Bedingungen tagsüber innerhalb einer Viertelstunde wieder auffüllen können, um eine Unabhängigkeit von den Versorgungskabeln zu gewährleisten. Dies..."
"Irrelevant." wurde Ikari unterbrochen. Shigen sah in die Runde. "Operation Angeltour beginnt in exakt 57 Minuten. Meldet euch auf der Brücke der PROMETHEUS. Da es fraglich erscheint, daß wir nach Abschluß der Mission in den Geosektor zurückkehren werden, solltet ihr dann ebenfalls eure Sachen gepackt und an Bord gebracht haben."
"Uhm, wohin fährt das Schiff dann?"
"Bei Gelingen der Operation wird die PROMETHEUS nach Untersuchung der zu bergenden Einheiten nach Süden auslaufen, Kurs Antarktika."
"In die Antarktis?" echote Hikari.
Die Kinder sahen einander an.
"Dort wird die wirkliche Schlacht stattfinden", murmelte der Kommandant. "Das war´s. In einer knappen Stunde auf der Brücke - seid pünktlich."
***
"Roderick, ich möchte, daß du das hier für mich aufbewahrst."
Thomas übergab seinem Schwager einen Umschlag.
"Was ist das?"
"Mein Vermächtnis. Ich werde aus der Antarktis nicht zurückkehren..."
***
"Wir brechen auf? Kommt das nicht etwas plötzlich?"
Ritsuko Akagi runzelte die Stirn.
"Und warum hat mir niemand Bescheid gesagt?"
Rei konnte ihrer Mutter keine Antwort geben.
"Ich fange sofort mit dem Packen an... Hach, kaum habe ich alles ausgepackt und verstaut..."
Sie ist wirklich nicht wie die Ritsuko Akagi aus meinen... Erinnerungen... Ihr Leben ist völlig anders verlaufen, wie auch bei Großmutter...
"Ja."
"Bist du schon fertig?"
"Ja."
Sie deutete auf die beiden Koffer neben der Tür.
"Ich hatte noch nicht ausgepackt."
"Dann hilf mir mal, ja?"
"Ja."
"Übrigens, ich habe vor zwei Nächten gesehen, wie Shinji aus deinem Zimmer kam..."
"..."
"Wir haben doch immer noch eine Abmachung, oder?"
"Mama!"
Ritsuko lächelte verhalten. Solange ihre Tochter empört reagierte, brauchte sie sich keine Gedanken machen...
***
Die Gruppe aus sechs Kindern und einer Erwachsenen fand sich eine halbe Stunde nach der Besprechung an einem der Stege ein, die vom Dock zur PROMETHEUS führten.
Captain Shigeru Aoba nahm sie in Empfang und brachte sie an Bord.
"Dieses Schiff ist riesig", staunte Kensuke. "Wie hat der Gaghiel es nur geschafft, ihr Schwesterschiff zu versenken?"
"Die ODYSSEUS war noch nicht für einen Kampf ausgerüstet", erklärte Aoba, wobei es klang, als hätte er den Satz geübt. Er wirkte nicht gerade von seinen eigenen Worten überzeugt. "Captain Sanchez hat versucht, den Konvoi zu beschützen."
Er deutete den Gang hinab.
"Wir nehmen den Aufzug zu den Quartieren. Das Schiff hat vier Hauptebenen - Waffendeck, Quartiere, Frachtdeck, Maschinendeck. Wir haben eine Besatzungsstärke von 220 Mann, dazu kommen derzeit zwanzig Taucher und die Passagiere, zu denen auch ihr gehört. So... euch stehen insgesamt vier Kabinen mit jeweils zwei Kojen zur Verfügung, macht es unter euch aus, wer wo schläft. Ich hole euch in einer Viertelstunde ab."
Shigeru wollte kehrtmachen, als Ritsuko ihn aufhielt.
"Captain, wann erfahren wir, was genau geschieht?"
"Ah... Der Kommandant wird Ihnen sicher alles erklären."
Aoba lächelte nervös und ergriff die Flucht.
***
Die Kabinen lagen alle an der Außenwand des Schiffes und bereits unter der Wasserlinie. Die Aussicht aus den Bullaugen auf die Kaimauer war alles andere als interessant. Die Einrichtung war zweckmäßig, ein Doppelstockbett und ein am Boden festmontierter Tisch mit zwei gleichermaßen befestigten Stühlen, dazu zwei Spinde.
Und wo soll ich meine Sachen unterbringen?" fragte Asuka, welche neben einem dicken Koffer und einem prallgefüllten Rucksack zwei Taschen mit sich schleppte.
"Rei, wir teilen uns eine Kabine!" bestimmte Ritsuko.
"Ja, Mama."
Reis Stimme schwang ein leiser enttäuschter Unterton mit, als sie kurz in die letzte verbleibende Kabine blickte, in der gerade Shinji verschwand...
***
Die Brücke war ein großer Raum, dessen Grundriß ein halbiertes Oval war.
Die Kinder und Ritsuko traten aus dem Aufzug auf eine Art Galerie, von der zu beiden Seiten eine kurze Treppe zur Hauptebene führte, eine weitere Ebene lag eine Stufe tiefer.
In der Mitte der Hauptebene saß eine schwarzhaarige Frau in einem einzelnen Sessel, die sich jetzt den Besuchern zuwandte. Sie trug eine weiße Uniform.
Auf der unteren Ebene hielt sich Colonel Ikari auf und unterhielt sich leise mit einigen Operatoren.
Die Decke und Wände der Brücke bestanden aus durchsichtigen Panzerglas, so daß der Blick nach draußen frei war.
Die Frau erhob sich.
"Ich bin Kapitän Deiko Tamakura, Kommandantin der PROMETHEUS. Willkommen an Bord."
Gendo Ikari sah auf, nickte seinen bisherigen Gesprächspartner zu und stieg zur Hauptebene hinauf.
"Ihr seid pünktlich", erklang es hinter den Kindern.
Nicht nur Shinji zuckte heftig zusammen.
Thomas Shigen trat zwischen ihnen hindurch.
"Sind wir soweit?"
"Die PROMETHEUS ist bereit zum Auslaufen." erwiderte Deiko. "Wir warten nur noch auf Ihren Befehl, Kommandant."
"Gut... Also, auslaufen."
Deiko nickte, ließ sich wieder in ihrem Sessel nieder, drehte sich mit Sicht in den Bugbereich.
"Navigator?"
"Kurs berechnet und eingegeben", kam es von einer Station zu ihrer Linken.
"Steuermann?"
"Alles bereit."
"Waffen?"
Von den vier Stationen im vorderen Bereich kamen Bestätigungen.
Deiko lächelte. Mit einer raschen Bewegung entfernte sie den Handschuh. Ihre rechte Hand steckte in einer Art metallenen Exoskelett. In der rechten Lehne ihres Sessels befand sich eine entsprechend geformte Mulde, in die sie ihre Hand preßte.
"Steuermann, abtauchen und auf Kurs gehen!"
"Bestätigt."
Langsam sank die PROMETHEUS tiefer, schlugen die Wasser des Flusses über der Brücke zusammen.
Gendo gesellte sich zu den anderen auf der Galerie.
"Wir verlassen jetzt den Geosektor."
"Wie, Vater?"
"Der Geosektor ist über eine Reihe von Höhlen mit der offenen See verbunden. In den letzten Jahren haben wir sie derart erweitert, daß ein Schiff wie die PROMETHEUS sie benutzen kann, um in die Geofront gelangen zu können."
"Das ist ein ziemlicher Aufwand."
"Ja, Doktor Akagi, wir haben uns relativ früh dafür entschieden, die Einrichtungen von NERV so dezentral wie möglich zu errichten... in Osaka befinden sich die Genschmieden und die Produktionsanlagen für die MAGI-Rechner..."
"MAGI? Sie verwenden die von meiner Mutter entwickelten Systeme?"
"Korrekt", warf der Kommandant ein. "Die Biocomputer sind in der Lage, weitaus mehr Szenarien zu berechnen, als dies einem einfachen Rechner möglich ist... wir gehen ein so geringes Risiko wie möglich ein."
Er sah geradeaus, widmete ihnen keinen Blick.
"Der Geosektor beherbergt unsere Trainingseinrichtungen und die Anlagen für Feldtests an den EVAs. Antarktika jedoch ist der Ort, an dem die Entscheidung fallen wird."
"Widerstand der Strömung ausgeglichen. Maschinen auf 12% Leistung, Kapitän."
"Danke."
"Verbindung zum Satellitenleitsystem unterbrochen."
"Bestätigt."
"Verbindung zum internen Orientierungssystem hergestellt. Kurs verglichen und bestätigt."
"Hier herrscht eine ziemlich starke Strömung", erklärte Ikari. "Manchmal kommt es zu Zwischenfällen, die die Route blockieren, wir haben daher eine Reihe von Funkbojen installiert, um die Höhlen zu überwachen, außerdem als Frühwarnvorrichtung."
"Ah, ja, Vater."
"Durch die angekoppelten Frachtmodule ist das Schiff um einiges breiter, deshalb muß vorsichtiger navigiert werden. Und deshalb verbietet sich eine Rückfahrt, wenn wir die beiden anderen Module ebenfalls angedockt haben."
"Können wir es schaffen?"
Ikari sah seinen Sohn erschrocken an.
"Den Berechnungen der MAGI nach stellt die Bergung kein Problem dar. Die EVAs wurden für einen Einsatz unter Kampfbedingungen konstruiert, sie halten einiges aus. Die EntryPlugs sind autark und in dieser Beziehung mit kleinen U-Booten vergleichbar." murmelte Thomas.
"PROMETHEUS auf Kurs. Wir erreichen das Zielgebiet in einer Stunde." meldete Kapitän Tamakura.
"Shinji,... Rei, ihr solltet euch vorbereiten."
"Ja, Kommandant." nickte Shinji.
"Ich bringe euch zu den Umkleideräumen."
Gendo wandte sich dem Aufzug zu.
Reis Blick blieb am Gesicht des einäugigen Kommandanten hängen.
Er trägt eine Kontaktlinse... etwas an ihm ist vertraut...
Er bemerkte ihren Blick, erwiderte ihn.
"Operation Angeltour beginnt mit Ankunft über dem Abwurfort der Frachtmodule."
Kapitel 16: Operation Angeltour
Es ist anders... waren Shinji Ikaris ersten Gedanken, als die Synchronverbindungen geschlossen wurden.
Er befand sich im EntryPlug von EVA-01, zum ersten Mal und zugleich war er unfähig zu sagen, wie oft er schon im Pilotensitz eines EVANGELIONs gesessen hatte.
EVA-01 befand sich auf dem Testgelände im Geosektor unter Tokio, welches an einen überdimensionalen Sportplatz erinnerte.
Shinji sah zur Seite, neben EVA-01 befand sich Einheit-00 in Starthaltung.
Auf seinem Kommunikationsdisplay konnte er Reis Gesicht sehen, weitere kleine Monitore zeigten den Leiter des Testgeländes, einen Doktor Tsara, sowie die Entwicklerin der EVAs, Doktor Takanawa, welche als Hologramm in der Überwachungszentrale anwesend war.
"Seid ihr soweit?"
"Uh, ja."
"Bestätigt, Doktor Tsara."
"Gut. Auf die Plätze... fertig... los!"
Shinji ließ EVA-01 losrennen. Auch EVA-00 startete durch, Seite an Seite rannten sie über das Feld zur Markierung, wendeten dort und kehrten zum Start zurück. An der Wende ließ EVA-01 den Prototypen hinter sich zurück, behielt seinen Vorsprung, lief dementsprechend als erster ins Ziel ein.
Tsara gab ihm den nach oben gestreckten Daumen.
"Gute Zeit. Sehr gute Synchronrate, alle beide! Wir machen noch zwei Läufe, dann wechselt ihr in die Simulatoren über zum Waffentraining."
Shinji wünschte sich, mit Rei reden zu können. Die ganze Zeit über hatten sie es nicht geschafft, allein zu sein, entweder waren Touji und Kensuke bei ihm aufgetaucht, oder Asuka und Hikari waren bei Rei gewesen - oder ihre Mutter, welche sich derzeit ebenfalls in der Überwachungszentrale aufhielt.
Und ob der private Kommunikationskanal wirklich nicht abgehört werden konnte, dafür wollte er seine Hand nicht ins Feuer legen, schließlich waren sie bei NERV, egal wie freundlich der Kommandant und seine Leute sich gaben.
***
Miyuki Takanawa sah von ihren Unterlagen auf und wandte sich den Hologrammen zu, welche in ihrem Labor entstanden waren.
Es waren die Abbilder von NERV-Kommandant Thomas VanHelsing und UN-Colonel Gendo Ikari, letzterer Shigens frischgekürter Stabschef.
"Die Daten sind sehr zufriedenstellend, Kommandant, beim First und Third Children liegen sie außerhalb der Erwartungen, das Second Children liegt an nächster Stelle, die anderen drei Kinder benötigen allerdings erweitertes Training, ich schlage eine weitere Woche Intensivtraining vor."
"Das entspricht meinen Plänen."
In Thomas´ Stimme lag kein Gefühl.
"Ja... Hier in Osaka liegen wir ebenfalls im Zeitplan. Die Einheiten-02 und -03 sind inzwischen in die ODYSSEUS verladen worden, das Schiff wird in Begleitung der UN-Flotte mit dem Sonnenaufgang auslaufen."
"Gut."
"Ich soll Sie von Captain Sanchez grüßen."
"Danke."
Wieder bemerkte sie, daß ihr Gegenüber keine Emotionen zeigte, selbst bei der Erwähnung eines seiner ältesten Freunde.
"Kommandant... ich habe mir Ihre aktuellen medizinischen Daten angesehen - und war überrascht. Der Zellverfall wurde verlangsamt."
"Ja. Doktor, wie ist der Status der anderen beiden Einheiten?"
"Ah... EVA-04 und -05 befinden sich jetzt im Reifungsbecken, der Wachstumsprozeß verläuft nach Plan."
"Versuchen Sie, den Zeitplan zu beschleunigen."
"Das würde das Risiko von Mißbildungen erhöhen..."
"Tun Sie es. Danke, Doktor."
Das Hologramm des Kommandanten erlosch.
Takanawa wechselte einen Blick mit Ikari.
"Seit dem Tod Major Sekigahamas ist er so..."
"Hm... Ich kann riesige humanoide Kampfmaschinen erschaffen, aber ich kann kein gebrochenes Herz heilen..."
***
"Rei, bist du noch wach?" flüsterte Shinji, während er zaghaft im Dunkeln an ihrer Tür klopfte.
Keine Reaktion.
Er lehnte sich gegen den Türrahmen, überlegte.
Mittlerweile waren zehn Tage vergangen, seit NERV sie rekrutiert hatte, zehn Tage voller Testläufe und Training. Doch es war anders, als in seinen Erinnerungen.
Die Synchronisation verlief problemlos, brachte nicht den inneren Schmerz mit sich, an den er sich so gut erinnerte. Es war, als akzeptiere ihn der EVA von Beginn an, als wäre er bereit, seinen Piloten bedingungslos zu akzeptieren. Und doch war da etwas vertrautes, eine Stimme, die zu seinem Herzen zu sprechen schien, doch deren Worte er nicht verstand.
Die Tür wurde unvermittelt geöffnet.
Shinji verlor das Gleichgewicht, stolperte mit den Armen rudernd in Reis Quartier hinein, bekam Rei zu fassen, zog sie ungewollt mit sich.
Im nächsten Moment fand er sich auf dem Boden wieder, Rei lag halb auf ihm, eine Hand auf seine Brust gestützt.
Ihre Blicke trafen sich.
"Ah... Rei, es tut mir leid." stieß er hervor.
"Kein... Problem..."
Er atmete den Duft ihres Haares ein, hatte Schwierigkeiten zu atmen.
"Rei..."
"Ja?"
Sie senkte den Kopf, ihre Lippen näherten sich den seinen.
"Könntest du... dein Knie..."
"Oh."
Sie rollte sich von ihm herunter.
"Danke." preßte er hervor und setzte sich auf, während der Schmerz in seiner Leistengegend nachließ.
"Ja. Ich wollte nicht..."
Sie setzte sich neben ihn, zog die Tür zu.
"Uhm... es war meine Schuld... Rei, ich muß mit dir sprechen."
"Ja."
Er registrierte, daß sie ein weißes ärmelloses Nachthemd trug, wandte rasch den Blick ab.
"Warum bist du hier?"
"Wie meinst du das?"
"Ah... ich... also, ich meine, weshalb hast du zugestimmt, wieder einen EVA zu steuern?"
"Wieder... ja... Weil es meine Pflicht ist."
"Wieso?"
"Ich..."
Sie sah ihn verwirrt an.
"Ich wurde dazu geboren..."
"Aber nicht in dieser Welt... Rei, glaubst du, ich hätte soetwas beabsichtigt? Ich habe mir gewünscht, daß es anders ist... daß du sicher bist..."
"Ja. Ich weiß."
Sie legte ihre Hand auf die seine.
"Aber es sind unsere Erinnerungen, die uns ausmachen."
"Aber das wollte ich nicht. Ich wollte auch nicht, daß Asukas Eltern sich scheiden lassen, ich wollte..."
"Nichts ist perfekt, Shinji..."
"Wir wären besser dran ohne diese Erinnerungen."
"Vielleicht. Aber so verfügen wir über Erfahrungen, welche uns helfen werden."
"Ja... Rei, warum erinnern nur wir uns? Warum nicht auch Asuka?"
"Wir waren die auslösenden Komponenten des Third Impact... Wir waren im Zentrum."
"Ich verstehe..."
***
"Seléne, du hast mich gerufen?"
Seléne Shigen reagierte nicht auf das Eintreffen ihres Bruders auf der Brücke.
Thomas wandte sich Roderick Falk, hob fragend die Augenbrauen.
"Große Probleme", murmelte der grünäugige Ire. "Wir haben die ODYSSEUS verloren."
***
Die Piloten waren aus den Simulatoren zu einer Krisenbesprechung geholt worden.
Im Zentrum des runden Konferenztisches befand sich ein Holoprojektor, welcher gerade die erste - und letzte - Schlacht der ODYSSEUS zeigte, des Schwesterschiffes der PROMETHEUS.
"Vor zwei Stunden wurden die ODYSSEUS und der begleitende Flottenverband von einem Angeloi-Konstrukt angegriffen, welches wir unter der Bezeichnung Gaghiel führen." erklärte NERV-Kommandant Thomas Shingen.
"Bei dem Angeloi handelt es sich um ein ausgewachsenes Exemplar. Unsere Satellitenortung hat ihn nicht bemerkt, bis er angegriffen hat. Die komplette UN-Flotte, bestehend aus fünf schweren Zerstörern, wurde zerstört. Der Kapitän der ODYSSEUS hat die Frachtmodule ausgeklinkt und den Angeloi direkt angegriffen. Ob dieser Angriff irgendeinen Erfolg hatte, ist unklar, fest steht nur, daß die ODYSSEUS mit der gesammten Besatzung untergegangen ist. Die Küstenwache ist noch dabei, Überlebende des Konvois zu retten."
Er stützte sich schwer auf die Tischplatte.
Asuka meldete sich.
"Ja?"
"Heißt das, die EVAs wurden zerstört?"
"Nein. Colonel Ikari, bitte übernehmen Sie."
"Ja, Sir."
Ein nervöses Lächeln glitt über Gendos Gesicht, als er an den Tisch herantrat und sein Blick kurz den seines Sohnes traf.
"Bei den Bildern, die ihr hier seht, handelt es sich um eine computergeschaffene Simulation, bedauerlicherweise verfügt der Gaghiel über die Fähigkeit, unsere Instrumente zu stören. Für die Dauer des Angriffes war der ganze Küstenabschnitt für die Satelliten nicht vorhanden, ebenso war die Funkverbindung zur Flotte unterbrochen. Einige der Überlebenden haben ausgesagt, daß sie nicht wußten, was die Schiffe traf, der Gaghiel ist folglich extrem schnell.
Zu den EVAs: Die Frachtmodule sind den Daten nach unbeschädigt, befinden sich allerdings in einer Tiefe von zweihundert Metern. Wir werden daher eine Bergungsmission durchführen. Die PROMETHEUS wird in einer Stunde auslaufen."
"Uh, wozu werden wir benötigt?"
"Ihr werdet die Bergung durchführen, Shinji. Die PROMETHEUS ist zwar imstande, in diese Tiefe zu tauchen, allerdings können wir dort nur eingeschränkt agieren. Das Schiff wird daher Feuerschutz geben, während ihr mit den beiden EVAs zu den beiden Frachtmodulen vordringen und die Serienmodelle bergen werdet."
"Noch Fragen?" unterbrach der Kommandant.
"Was ist mit dem... dem Fisch?" fragte Touji.
"Wir bemühen uns derzeit, seine Spur zu finden. Anscheinend sind unsere Überwachungssysteme nicht imstande, ihn zu orten. Das Unternehmen wird daher mit der erforderlichen Geschwindigkeit durchgeführt werden - die EVAs werden an ihren Versorgungskabeln in die Tiefe herabgelassen und werden an den Frachtmodulen Zugseile anbringen. Auf dem Deck der PROMETHEUS wird zur Zeit ein entsprechender Kran installiert. Sobald die EVAs geborgen sind, ziehen wir uns in den Schutz des Hafens zurück und überprüfen, ob die Einheiten wirklich unbeschädigt sind.
Die EVANGELION-Einheiten-00 und -01 wurden mit experimentellen Akku-Tornistern ausgestattet, welche ihre Aktionszeit auf eine Stunde erhöhen, wir arbeiten an weiteren Verbesserungen. Die Tornister verfügen ferner über Solarzellen, welche die Akkus bei den hiesigen Bedingungen tagsüber innerhalb einer Viertelstunde wieder auffüllen können, um eine Unabhängigkeit von den Versorgungskabeln zu gewährleisten. Dies..."
"Irrelevant." wurde Ikari unterbrochen. Shigen sah in die Runde. "Operation Angeltour beginnt in exakt 57 Minuten. Meldet euch auf der Brücke der PROMETHEUS. Da es fraglich erscheint, daß wir nach Abschluß der Mission in den Geosektor zurückkehren werden, solltet ihr dann ebenfalls eure Sachen gepackt und an Bord gebracht haben."
"Uhm, wohin fährt das Schiff dann?"
"Bei Gelingen der Operation wird die PROMETHEUS nach Untersuchung der zu bergenden Einheiten nach Süden auslaufen, Kurs Antarktika."
"In die Antarktis?" echote Hikari.
Die Kinder sahen einander an.
"Dort wird die wirkliche Schlacht stattfinden", murmelte der Kommandant. "Das war´s. In einer knappen Stunde auf der Brücke - seid pünktlich."
***
"Roderick, ich möchte, daß du das hier für mich aufbewahrst."
Thomas übergab seinem Schwager einen Umschlag.
"Was ist das?"
"Mein Vermächtnis. Ich werde aus der Antarktis nicht zurückkehren..."
***
"Wir brechen auf? Kommt das nicht etwas plötzlich?"
Ritsuko Akagi runzelte die Stirn.
"Und warum hat mir niemand Bescheid gesagt?"
Rei konnte ihrer Mutter keine Antwort geben.
"Ich fange sofort mit dem Packen an... Hach, kaum habe ich alles ausgepackt und verstaut..."
Sie ist wirklich nicht wie die Ritsuko Akagi aus meinen... Erinnerungen... Ihr Leben ist völlig anders verlaufen, wie auch bei Großmutter...
"Ja."
"Bist du schon fertig?"
"Ja."
Sie deutete auf die beiden Koffer neben der Tür.
"Ich hatte noch nicht ausgepackt."
"Dann hilf mir mal, ja?"
"Ja."
"Übrigens, ich habe vor zwei Nächten gesehen, wie Shinji aus deinem Zimmer kam..."
"..."
"Wir haben doch immer noch eine Abmachung, oder?"
"Mama!"
Ritsuko lächelte verhalten. Solange ihre Tochter empört reagierte, brauchte sie sich keine Gedanken machen...
***
Die Gruppe aus sechs Kindern und einer Erwachsenen fand sich eine halbe Stunde nach der Besprechung an einem der Stege ein, die vom Dock zur PROMETHEUS führten.
Captain Shigeru Aoba nahm sie in Empfang und brachte sie an Bord.
"Dieses Schiff ist riesig", staunte Kensuke. "Wie hat der Gaghiel es nur geschafft, ihr Schwesterschiff zu versenken?"
"Die ODYSSEUS war noch nicht für einen Kampf ausgerüstet", erklärte Aoba, wobei es klang, als hätte er den Satz geübt. Er wirkte nicht gerade von seinen eigenen Worten überzeugt. "Captain Sanchez hat versucht, den Konvoi zu beschützen."
Er deutete den Gang hinab.
"Wir nehmen den Aufzug zu den Quartieren. Das Schiff hat vier Hauptebenen - Waffendeck, Quartiere, Frachtdeck, Maschinendeck. Wir haben eine Besatzungsstärke von 220 Mann, dazu kommen derzeit zwanzig Taucher und die Passagiere, zu denen auch ihr gehört. So... euch stehen insgesamt vier Kabinen mit jeweils zwei Kojen zur Verfügung, macht es unter euch aus, wer wo schläft. Ich hole euch in einer Viertelstunde ab."
Shigeru wollte kehrtmachen, als Ritsuko ihn aufhielt.
"Captain, wann erfahren wir, was genau geschieht?"
"Ah... Der Kommandant wird Ihnen sicher alles erklären."
Aoba lächelte nervös und ergriff die Flucht.
***
Die Kabinen lagen alle an der Außenwand des Schiffes und bereits unter der Wasserlinie. Die Aussicht aus den Bullaugen auf die Kaimauer war alles andere als interessant. Die Einrichtung war zweckmäßig, ein Doppelstockbett und ein am Boden festmontierter Tisch mit zwei gleichermaßen befestigten Stühlen, dazu zwei Spinde.
Und wo soll ich meine Sachen unterbringen?" fragte Asuka, welche neben einem dicken Koffer und einem prallgefüllten Rucksack zwei Taschen mit sich schleppte.
"Rei, wir teilen uns eine Kabine!" bestimmte Ritsuko.
"Ja, Mama."
Reis Stimme schwang ein leiser enttäuschter Unterton mit, als sie kurz in die letzte verbleibende Kabine blickte, in der gerade Shinji verschwand...
***
Die Brücke war ein großer Raum, dessen Grundriß ein halbiertes Oval war.
Die Kinder und Ritsuko traten aus dem Aufzug auf eine Art Galerie, von der zu beiden Seiten eine kurze Treppe zur Hauptebene führte, eine weitere Ebene lag eine Stufe tiefer.
In der Mitte der Hauptebene saß eine schwarzhaarige Frau in einem einzelnen Sessel, die sich jetzt den Besuchern zuwandte. Sie trug eine weiße Uniform.
Auf der unteren Ebene hielt sich Colonel Ikari auf und unterhielt sich leise mit einigen Operatoren.
Die Decke und Wände der Brücke bestanden aus durchsichtigen Panzerglas, so daß der Blick nach draußen frei war.
Die Frau erhob sich.
"Ich bin Kapitän Deiko Tamakura, Kommandantin der PROMETHEUS. Willkommen an Bord."
Gendo Ikari sah auf, nickte seinen bisherigen Gesprächspartner zu und stieg zur Hauptebene hinauf.
"Ihr seid pünktlich", erklang es hinter den Kindern.
Nicht nur Shinji zuckte heftig zusammen.
Thomas Shigen trat zwischen ihnen hindurch.
"Sind wir soweit?"
"Die PROMETHEUS ist bereit zum Auslaufen." erwiderte Deiko. "Wir warten nur noch auf Ihren Befehl, Kommandant."
"Gut... Also, auslaufen."
Deiko nickte, ließ sich wieder in ihrem Sessel nieder, drehte sich mit Sicht in den Bugbereich.
"Navigator?"
"Kurs berechnet und eingegeben", kam es von einer Station zu ihrer Linken.
"Steuermann?"
"Alles bereit."
"Waffen?"
Von den vier Stationen im vorderen Bereich kamen Bestätigungen.
Deiko lächelte. Mit einer raschen Bewegung entfernte sie den Handschuh. Ihre rechte Hand steckte in einer Art metallenen Exoskelett. In der rechten Lehne ihres Sessels befand sich eine entsprechend geformte Mulde, in die sie ihre Hand preßte.
"Steuermann, abtauchen und auf Kurs gehen!"
"Bestätigt."
Langsam sank die PROMETHEUS tiefer, schlugen die Wasser des Flusses über der Brücke zusammen.
Gendo gesellte sich zu den anderen auf der Galerie.
"Wir verlassen jetzt den Geosektor."
"Wie, Vater?"
"Der Geosektor ist über eine Reihe von Höhlen mit der offenen See verbunden. In den letzten Jahren haben wir sie derart erweitert, daß ein Schiff wie die PROMETHEUS sie benutzen kann, um in die Geofront gelangen zu können."
"Das ist ein ziemlicher Aufwand."
"Ja, Doktor Akagi, wir haben uns relativ früh dafür entschieden, die Einrichtungen von NERV so dezentral wie möglich zu errichten... in Osaka befinden sich die Genschmieden und die Produktionsanlagen für die MAGI-Rechner..."
"MAGI? Sie verwenden die von meiner Mutter entwickelten Systeme?"
"Korrekt", warf der Kommandant ein. "Die Biocomputer sind in der Lage, weitaus mehr Szenarien zu berechnen, als dies einem einfachen Rechner möglich ist... wir gehen ein so geringes Risiko wie möglich ein."
Er sah geradeaus, widmete ihnen keinen Blick.
"Der Geosektor beherbergt unsere Trainingseinrichtungen und die Anlagen für Feldtests an den EVAs. Antarktika jedoch ist der Ort, an dem die Entscheidung fallen wird."
"Widerstand der Strömung ausgeglichen. Maschinen auf 12% Leistung, Kapitän."
"Danke."
"Verbindung zum Satellitenleitsystem unterbrochen."
"Bestätigt."
"Verbindung zum internen Orientierungssystem hergestellt. Kurs verglichen und bestätigt."
"Hier herrscht eine ziemlich starke Strömung", erklärte Ikari. "Manchmal kommt es zu Zwischenfällen, die die Route blockieren, wir haben daher eine Reihe von Funkbojen installiert, um die Höhlen zu überwachen, außerdem als Frühwarnvorrichtung."
"Ah, ja, Vater."
"Durch die angekoppelten Frachtmodule ist das Schiff um einiges breiter, deshalb muß vorsichtiger navigiert werden. Und deshalb verbietet sich eine Rückfahrt, wenn wir die beiden anderen Module ebenfalls angedockt haben."
"Können wir es schaffen?"
Ikari sah seinen Sohn erschrocken an.
"Den Berechnungen der MAGI nach stellt die Bergung kein Problem dar. Die EVAs wurden für einen Einsatz unter Kampfbedingungen konstruiert, sie halten einiges aus. Die EntryPlugs sind autark und in dieser Beziehung mit kleinen U-Booten vergleichbar." murmelte Thomas.
"PROMETHEUS auf Kurs. Wir erreichen das Zielgebiet in einer Stunde." meldete Kapitän Tamakura.
"Shinji,... Rei, ihr solltet euch vorbereiten."
"Ja, Kommandant." nickte Shinji.
"Ich bringe euch zu den Umkleideräumen."
Gendo wandte sich dem Aufzug zu.
Reis Blick blieb am Gesicht des einäugigen Kommandanten hängen.
Er trägt eine Kontaktlinse... etwas an ihm ist vertraut...
Er bemerkte ihren Blick, erwiderte ihn.
"Operation Angeltour beginnt mit Ankunft über dem Abwurfort der Frachtmodule."
