Kapitel 17: Blaue Tiefen


Das Material der PlugSuit fühlte sich kühl an. Shinji betätigte den am Handgelenk angebrachten Kontakt für die Dekompression, mit einem leisen ´pffft´ legte sich die Pilotenkombination hauteng an.

Er betrachtete sich in dem schmalen Spiegel, der neben der Tür der Umkleidekabine hing. Die Plugsuit war dunkelblau mit weißen Absätzen an den Schultern, der Stoff an Unterarmen und -schenkel war von einem etwas helleren Blau.
Anders... schoß es ihm durch den Kopf.

"Shinji, bist du fertig?" kam es vom Gang her.

"Sofort, Vater."
Er schloß den Spind mit seiner normalen Kleidung, an der Tür des Spindes befand sich ein kleines Magnetschild mit seinem Namen, an zwei weiteren Türen waren die Namensschilder für Touji und Kensuke angebracht, welche momentan im Gang bei seinem Vater warteten.
Wir haben nur zwei EVAs, brauchen also nur zwei Piloten - und Rei und ich sind die besten von uns... weil wir uns erinnern... sonst wären es Asuka und ich...
Wie so oft in den letzten Wochen versuchte er die Erinnerungen durch heftiges Kopfschütteln zu vertreiben, besser ein leichtes Schwindelgefühl, als wieder die Bilder von Tod und Zerstörung sehen zu müssen...

Shinji verließ den kleinen Raum, trat auf den Gang.

Kensuke fing an zu kichern, als er ihn sah.
"Schick, Ikari, todschick..."

"Für dich gibt es sicher auch noch einen, Aida", grinste Asuka.

"Äh..."

Aus der benachbarten Tür kam Rei, ihre PlugSuit wies dasselbe Farbschema auf wie Shinjis, es hätte dasselbe Modell sein können, wären nicht gewissen Geschlechtsspezifische Modifikationen vorhanden gewesen.

"Argh, Partnerlook!" rief Touji.

Shinji und Rei sahen einander an und wurden rot.

"Und rot werden sie auch noch beide!"

"Hm, ich weiß nicht, ob mir die Farben stehen", kam es von Asuka.

Kensukes Blick hing an Reis Oberweite, es sah aus, als würde er in Kürze anfangen zu sabbern.

"Aida, hast du gar keinen Respekt?" schrie Asuka und versetzte ihm eine Kopfnuß.

"Au..."

Gendo hatte Mühe, nicht breit zu grinsen.
"Das sind die ersten Modelle, eure kommen aus der Serienfertigung... äh, ja, wir ankern jetzt über den Modulen, ich bringe Rei und Shinji zu den EVAs, Asuka und Touji, zieht euch um, ihr werdet euch in Bereitschaft halten."

"Wozu? Es gibt doch nur zwei funktionsfähige Einheiten."

"Weil, Asuka, wir möglicherweise die beiden zu bergenden Einheiten schnellstens in Betrieb nehmen müssen, falls der Gaghiel auftaucht."

"Verstehe." Sie sah Touji an. "EVA-02 ist meiner, verstanden?"

"Klar."
Er zögerte, bis sie in der Umkleidekabine verschwunden war.
"Ich werde den Teufel tun und Satans Erstgeborener widersprechen..."

"Weise, mein Freund, sehr weise", stimmte Kensuke zu. "Äh, Colonel Ikari, was sollen wir", er deutete auf sich und Hikari, "machen?"

"Wenn die beiden fertig sind, kommt ihr mit ihnen auf die Brücke und beobachtet die Bergung von dort aus. - So, gehen wir."


***


Fünf Minuten später saß Shinji wieder im EntryPlug von EVA-01. Mit leichter Panik bemerkte er, wie sich am Boden der Kapsel eine langsam steigende klare Flüssigkeit ansammelte.
"Vater?"

"Kein Grund zur Panik. Die Flüssigkeit ist mit Sauerstoff und diversen anderen Komponenten angereichert, die dir das Atmen erleichtern und den Druckausgleich bewerkstelligen sollen, es geht immerhin in 200m Tiefe."

Einer der Wissenschaftler an Bord schaltete sich ein.
"Einfach einatmen und den Panikreflex unterdrücken."

"Ja, verstanden."
Er lehnte sich zurück und wartete, während die Flüssigkeit erst bis auf Brusthöhe anstieg und schließlich über seinem Kopf zusammenschlug. Der erste Atemzug kostete Überwindung, dann gab es keine Probleme mehr.
"Bereit."
Seine Stimme klang seltsam dumpf in seinen Ohren.

"Bestätigt. Wir öffnen jetzt die unteren Schleusen der Frachmodule und lassen euch hinunter. Schaltet die Scheinwerfer ein."

Auf der Kom-Phalanx erschien Rei, sie lächelte ihm aufmunternd zu.

Er erwiderte die Geste mit einem entschlossenen Nicken.

Die EVAs lösten sich aus ihren Halterungen, wurden aus der liegenden Position, die sie in den Frachtbehälten einnahmen, langsam in die Senkrechte gedreht, versanken dabei bis zu den Hüften im Wasser.

Shinji trat Wasser, als er keinen Grund verspürte.
Vielleicht hätte ich doch Schwimmen lernen sollen...

"Ganz ruhig, wir haben euch an den Halteseilen", redete der Wissenschaftler auf ihn ein.

"Ja, ja..."

Jeweils ein starkes Kabel verband die Tornister der EVAs mit den Energieaggregaten der PROMETHEUS, dazu kamen je acht Sicherheitsleinen, an denen sie nun langsam in die Tiefe gelassen wurden.

Shinji schaltete die Scheinwerfer ein, die sich an den Handgelenken und seitlich des Kopfes befanden, sah, daß Rei bei EVA-00 dasselbe getan hatte.

"Die Frachtmodule sind direkt unter uns, wenn ihr sie erreicht habt, befestigt ihr an jedem Modul sechs Sicherheitsleinen, so daß wir sie hochholen können."

"Verstanden."

"Gut, Rei. Shinji?"

"Uhm, verstanden... Vater, da sind Taucher im Wasser..."

"Sie sind zum Wrack der ODYSSEUS unterwegs, um verschiedene Dinge zu bergen."

"Ja... Können wir nicht schneller nach unten gelassen werden?"

"Nein, das hängt mit dem Druckausgleich in den Kapseln zusammen. Ihr geht langsam nach unten und taucht mit der gleichen Geschwindigkeit wieder auf, wir wollen diesbezüglich kein Risiko eingehen."

"Ja..."
Er richtete den Blick auf Reis Bild.
"Das wird ein langer Abstieg."

"Zeit unterliegt subjektiver Wahrnehmung, Shinji."

"Äh?"

"Mal scheint es, als verginge sie sehr langsam und dann wieder, als fliege sie nur so dahin."

"Ja..."


***


Auf der Brücke stand Thomas Shigen neben Deiko Tamakuras Kapitänssessel und beobachtete die Bilder der Außenübertragung. Die Decke der Brücke war in mehrere Segmente unterteilt, die jedes ein anderes Bild zeigten.

"Perimeter-Funkbojen an Ort und Stelle", meldete der Navigator.

Deiko bestätigte mit einem Nicken, nahm dann eine Schaltung vor.
"Flüsterfeld aktiviert", murmelte sie. "Thomas, was ist los?"

Er preßte die Lippen zusammen.

"Sanchez?"

"Ja, Miguel war einer meiner ältesten Freunde... ich kannte ihn schon, bevor wir uns über den Weg gelaufen sind..."

"Ich weiß."

"Daß er auf diese Art stirbt... wenn ich das gewußt hätte..."

"Wenn, wenn, wenn... Niemand kann die Zukunft sehen."

"Nein?"

"Nein - und apokalyptische Visionen zählen nicht. Kapitän Sanchez hätte mit der ODYSSEUS fliehen können, nachdem er die Last ausgeklinkt hatte, aber er blieb und kämpfte, sonst hätte es wahrscheinlich überhaupt keine Überlebenden gegeben."

"Ja, ich weiß, aber... es ist, als würden alle, die ich in diese Sache hineingezogen habe, den Preis für meine Hybris zahlen."

"Weil du dich der Imperatrix widersetzt hast? Weil du deine Schwester nicht hinrichten konntest, wie es von dir verlangt wurde?"

"Ja... in gewisser Weise schon. Miguel, Midori..."

"Midori wurde von dem Bardiel getötet, das..."

"Nein, ich habe es getan, ich habe ihr den Todeskuß gegeben, als ich die Energie des Bardiel in mich aufnahm."

"Du hast versucht, sie zu retten!"

"Ja... aber ich weiß nicht, ob... ob ich... wenn ich den Kontakt eher angebrochen hätte... es war so berauschend..."

Sie sah ihn entsetzt an.
"Thomas..."

"Deiko, um unser aller willen - vergiß niemals, was ich wirklich bin..."
Er wandte sich ab, verließ den Bereich des akkustischen Dämmfeldes und dann die Brücke.


***


Ritsuko Akagi und die vier ihr anvertrauten Kinder standen wieder auf der Gallerie der Brücke.

Sowohl Asuka wie auch Touji trugen rote PlugSuits. Asuka hatte das Arme vor der Brust verschränkt und warf Kensuke tödliche Blicke zu, der sich vorsichtshalber von ihr fernhielt, während er sich zugleich am Geländer festhielt und vor Lachen krümmte, dabei immer wieder das Wort "Partnerlook" hervorstieß.

Touji derweil bemühte sich, möglichst würdevoll zu wirken, während er sich Hiraki in einer roten Pilotenkombination vorstellte...

Diese kannte seine Gedanken glücklicherweise nicht.

Ritsuko schließlich wirkte, als fragte sie sich langsam, worauf sie sich nur eingelassen hatte.

Captain Aoba gesellte sich zu ihnen - immerhin war es eigentlich seine Aufgabe, die Gruppe von Zivilisten an Bord im Auge zu behalten.

Kapitän Tamakura fragte in kurzen Abständen immer wieder den Status der einzelnen Stationen ab, wobei sie ständig den Hauptbildschirm im Auge behielt.

"Taucher und Mini-U-Boot erreichen das Wrack der ODYSSEUS" - "EVA-01 hat Frachtmodul-03 erreicht." - "Alle Waffensysteme klar." - "Taucher betreten das Wrack." - "EVA-00 hat ebenfalls das Zielgebiet erreicht." - "Perimeterortung frei." - "Hubschrauber sind in der Luft. - "Hauptantrieb bereit für Notstart." - "Waffensysteme bereit." - "Erste Verbindung zum Frachtmodul hergestellt."

Einer der vielen kleinen Monitore an der Decke zeigte die Kameraübertragung aus den optischen Systemen von Einheit-01.

"Ist das EVA-00?" fragte Ritsuko Aoba leise, als der große ocker-weiße Riese mit dem einen blauen Auge ins Bild kam.

"Ja. Sehen Sie, sie haben schon drei Leinen befestigt, bei dem Tempo können wir bald von hier verschwinden."
Auf Aobas Stirn stand eine dicke Schweißschicht.

"Könnte das Wesen, das das andere Schiff versenkt hat, noch hier sein?"

"Die Instrumente sagen nein, aber Kapitän Tamakura ist lieber wachsam."

Ritsuko musterte die Kommandantin der PROMETHEUS von hinten.
"Was ist mit ihrer Hand geschehen?"

"Darf ich nicht sagen. Bei der PROMETHEUS wird die neue Smartlink-Technologie verwand, Kapitän Tamakura ist imstande, im Notfall das Schiff allein von ihrem Sessel aus zu steuern."

"Wir empfangen erste Daten vom Computer der ODYSSEUS. Auswertung läuft. Es ist das Logbuch, Kapitän."

"Den letzten Eintrag auf Schirm 11."

"Sofort, Sir."

Einer der Bildschirme wechselte das Bild, anstelle des offenen Meeres zeigte er das Gesicht eines Mannes mit sonnengebräunter dunkler Haut, der hastig sprach. Das Bild war verzerrt.
"...überraschend. Gegner zielt allein auf die ODYSSEUS. Konventionelle Waffen wirkungslos, Existenz eines AT-Feldes bestätigt... Ich lasse die Frachtmodule ausklinken... Gegner folgt den Modulen... Der Gegner scheint verwirrt... Er kehrt zurück... Begleitschiffe eröffnen Beschuß... Die Flotte wurde vernichtet, ich versuche, den Feind von den Rettungsbooten wegzulocken... Feuer im hinteren Maschinendeck... Rammangriff... Wassereinbruch... Sekundärer Rumpf beschädigt... Sensorphalanx zerstört... keine Fluchtmöglichkeit mehr... Rettungsboote verklemmt..."
Das Bild wurde plötzlich klar. In den Augen des Mannes, dessen Uniform ihn mittels Rangabzeichen und des an der Brusttasche angebrachten Namenszuges als Kapitän Sanchez auswies, lag ein gefährliches Funkeln.
"Ich werde diesen Riesenfisch mit der ODYSSEUS rammen und zugleich die S2-Maschine hochjagen. Wir gehen nicht ohne Kampf unter... Für die Menschheit..."
Das Bild erlosch.

"Ist das alles?"

"Hier endet der letzte Eintrag."

"Und die S2-Maschine der ODYSSEUS?"

"Erloschen. Wir werten weitere Aufzeichnungen aus. Demnach verlor die Maschine an Energie, als der Gaghiel auftauchte."

"Die Abschirmung..." murmelte Deiko. "Maschinenraum..."

"Ja?"

"Schalten Sie die S2-Maschine ab. Wir gehen auf Reaktorenergie."

"Sir?"

"Tun Sie es."

"Bestätigt."

Thomas Shigen betrat die Brücke kurz darauf.
"Warum wurde die S2-Maschine abgeschaltet?"

"Der Gaghiel ist imstande, ihr die Energie zu entziehen. Wenn er hier irgendwo sein sollte, werde ich ihn nicht auch noch füttern... Hier..."
Sie spielte erneut die Aufzeichnung ab.

Mit steinernem Gesicht beobachtete Shigen die letzten Momente im Leben Miguel Sanchez´, nickte dann.
"Hm... ja... Nur sind damit die EVAs von ihren eigenen Energieakkus abhängig."

"Wir sind bereits dabei, Frachmodul-03 hochzuholen. Modul-04 wird gerade vertäut. Die Energiereserven sind mehr als ausreichend."

"Gut."
Er wandte sich wieder zum Gehen, als plötzlich mehrere der Bildschirme an der Decke schwarz wurden.

"Perimeter wurde verletzt! Bojen sind offline! Satellitenverbindung gestört! Kein Kontakt zu den Hubschraubern! Alle Frequenzen sind tot!" - "Dasselbe Muster - wie beim Angriff auf die ODYSSEUS!"

Deiko unterdrückte einen Fluch.
"Roter Alarm! Volle Gefechtsbereitschaft!"
Sie wirbelte einmal mit ihrem Sessel um die eigene Achse, sah zu den Kindern auf der
Gallerie.
"Festhalten!"

Thomas sah Asuka an.
"Captain Aoba, bringen Sie Pilotin Langley zur Andockschleuse von Modul-03. - Kapitän, die Bergung des Frachmoduls beschleunigen und die EVAs einholen."
Er rannte zum nächsten Ausgang.


***


"Wir holen euch hoch, der Gaghiel ist aufgetaucht!"

Die Stimme seines Vaters riß Shinji aus seinen Gedanken.
"An Modul-04 muß nur noch eine Verbindung hergestellt werden."

"Stellt die Arbeit ein!"

EVA-00 richtete sich auf und stieß sich vom Boden ab.

"Was? - Shinji, Rei, um den Aufstieg zu beschleunigen, wagen wir einen Versuch, eure EVAs an die Umgebung anzupassen."

"Vater, wie meinst du das?"

Ein Zittern lief durch Einheit-01.

Shinjis Hände begannen zu jucken, zugleich hatte er das Gefühl, was würde sich unter der Haut seines Rücken etwas bewegen.
"Was...?"
Er sah auf seine Hände, bemerkte keinen Unterschied.
Zugleich sah EVA-01 auf seine Hände. Zwischen den Fingern bildeten sich Schwimmhäute aus.
"Ahm... das..."

"Wir trennen die Verbindungsleinen."

"Vater..."
Die Anzeige vor ihm leuchte auf, teilte ihm mit, daß EVA-01 Energie für 59 Minuten hatte.

Von Westen her näherte sich ein großer Schatten, wenigstens doppelt so groß wie die PROMETHEUS.

"Da ist er!" stieß Shinji hervor.

EVA-01 war jetzt frei von den Verbindungen zum Schiff. Neben ihm landete EVA-00 auf dem Meeresboden, wirbelte Schlick und Algen auf.

Der riesige Fisch kam direkt auf sie zu.

Shinji schrie auf. Im nächsten Moment fiel Rei in seinen Schrei ein.

Beide sahen mächtige Zähne in einem noch mächigeren Rachen, dann verschlang sie die Dunkelheit...


***


Asuka stand ungeduldig vor der Andockschleuse, wartete darauf, daß der Zugang zum Fracht-modul endlich freigegeben wurde.

Colonel Ikari erschien neben ihr. Sein Gesicht war kreidebleich.
"Asuka, der Gaghiel hat EVA-00 und EVA-01 verschlungen!"

"Was? Was ist mit Shinji?"

"Wir bekommen noch schwache Lebenszeichen. Sie haben Energie für etwa eine Stunde, danach versagen die Sauerstoffgeneratoren in den EntryPlugs."

"Wo ist der Fisch?"

Als wäre dies die Antwort auf ihre Frage, setzte sich die PROMETHEUS mit einem Ruck in Bewegung.

"Wie es scheint, nehmen wir die Verfolgung auf."

Weitere Erschütterungen durchliefen das Schiff.

Die Andockluke glitt auf. Dahinter war es stockfinster.

"Wir brauchen Licht!" brüllte Gendo in die Richtung, aus der er gekommen war.

Im nächsten Moment wurde das Innere des Frachtmodules in blendende Helligkeit getaucht.

Asuka stieß einen Laut des Erstaunens aus.

"Offenbar... hat der Anpassungsbefehl auch bei Einheit-02 angesprochen..." flüsterte Gendo.

Der EVA in den Halterungen des Frachmodules hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Fisch als mit einem Menschen. Er befand sich mit dem Gesicht nach unten in seinen Halterungen, aus dem Rücken wuchs eine große Flosse, Hände und Füße ähnelten ebenfalls mehr Schwimmflossen.
Über der Nackenpartie hing der EntryPlug in seiner Halterung...


***


"Entfernung verringert sich!" meldete der Steuermann der PROMETHEUS.

Deiko sah auf die Zeitanzeige. Seit über einer halben Stunde verfolgten sie den Riesenfisch nun schon. In der Zwischenzeit war die PROMETHEUS in den Tauchmodus gewechselt. Frachmodul-04 und die meisten Taucher waren beim Wrack des Schwesterschiffes zurückgeblieben, letztere sollten von der Küstenwache aufgelesen werden.
"Eine weitere Salve Positronenladungen direkt vor seine Schnauze! Geschütze auf dem Hauptdeck bereitmachen!"

"Bestätigt. Positronenladungen abgefeuert! Ziel wird langsamer!" - "EVA-02 meldet Einsatzbereitschaft!"

"Warten."

"Ziel ändert Kurs! Kapitän, er kommt auf uns zu!"

"Festhalten!"

Ein heftiger Schlag erschütterte das Schiff, schleuderte die Kinder auf der Gallerie gegeneinander.

"Torpedos bereitmachen!" flüstere Deiko. Dann fiel ihr Blick auf den Bildschirm der Außenübertragung, welcher den sich rasch entfernenden Gaghiel zeigte - und den roten EVANGELION, der verglichen mit dem Angeloi wie ein Zwerg wirkte, der sich an der Außenhaut des Monsterfisches festhielt...


***


"Wo sind wir?"
Shinji sah sich um.

EVA-01 befand sich in einer großen Höhle, deren unregelmäßige Wände mit Schleim bedeckt waren. Neben ihm richtete sich gerade EVA-00 auf.

"Im Magen des Gaghiel." diagnostizierte Rei.

"Oh, Scheiße."

"Ja."

Der Boden erbebte, schlug Wellen.

"Was...?"

"Schluckbewegungen. Er will uns in den Verdauungstrakt schieben."

"Nein!"

EVA-01 klammerte sich an der Wandung der Magenkammer fest.

"Rei, wie kommen wir hier wieder ´raus?"

"Keine Ahnung."

Er konnte die Angst in ihrer Stimme hören.
"Das... so darf es nicht enden... nein, ich weigere mich. Ich weigere mich zu glauben, daß wir im Magen eines Riesenfisches sterben werden!"
Mit steigender Wut schlug er auf die Wandung ein - und durchstieß sie.
"Rei!"

"Ich sehe es."

Ein Zucken durchlief den Gaghiel.

"Das hat ihm nicht sonderlich gefallen..."

In der Magenwand klaffte ein Riß, dahinter konnte Shinji einen weiteren Hohlraum sehen.

"Rei, das sind Fischgräten! Ich sehe seine Wirbelsäule!"
Er blickte auf den kleinen Bildschirm und sah in ihren Augen, daß sie dasselbe dachte wie er.


***


Asuka hielt den Griff ihres einen Messers mit der linken Hand umklammert, um nicht den Kontakt zu ihrem Ziel zu verlieren. Die PROG-Klinge steckte tief in der Außenhaut des Gaghiel. Zugleich hackte sie mit ihrem zweiten Messer auf den Fisch ein, konnte allerdings kaum etwas gegen die dicke Panzerung ausrichten.

Der Gaghiel versuchte zudem, seinen ungebetenen Passagier loszuwerden, indem er rasche Kehrtwendungen und ähnliches vollzog.

"Blöder Fisch, laß das! Warum drehst du dich nicht einfach auf den Rücken und krepierst?" fluchte sie. Irgendwie hatte sie sich das ganze anders vorgestellt, als sie im Moment kurz nach dem Rammangriff auf den Rücken des Gaghiel gesprungen war.
"Ich mach dich platt, hörst du? Und dann werde ich deinen Kadaver an Land schleppen und mit ihm für ein Anglermagazin posieren!"
Und zu allem Überfluß lief ihre Zeit langsam ab. EVA-02 war nicht mit einem Akku-Tornister ausgestattet, sondern verfügte nur über eine Aktivitätszeit von fünf Minuten, von denen drei inzwischen verstrichen waren.


***


"Hauptschleuse auf meine Anweisung hin öffnen." befahl Thomas über die interne Kom-Verbindung.

Deiko blickte auf den entsprechenden Bildschirm, sah den Kommandanten von NERV in einem schwer gepanzerten Taucheranzug in der Schleuse stehen, sein Khadja in der Hand.
"Was hast du vor?"

"Deiko, der Fisch hat die ODYSSEUS angegriffen, weil er die S2-Maschine gespürt hatte. Dann hat er sich den Frachtmodulen zugewandt. Und er hat die EVAs gefressen... Ich kann ihn ablenken."

"Warum?"

"Er will mich... Ich verstehe jetzt den Aktivierungsbefehl. Die EVAs verwirren ihn, weil sie nicht mit seinem Wissen übereinstimmen. ich versuche, ihn wegzulocken, so daß ihr ein freies Schußfeld bekommt, nehmt ihn unter Punktbeschuß!"
Er unterbrach die Verbindung.

Aus der anderen Seite der Innenschleuse erschien Gendo Ikaris Gesicht an der Scheibe.
"Kommandant, das ist Selbstmord..."

"Colonel, ich bin ersetzbar... Wenn ich falle, wird ein anderer meinen Platz einnehmen, das ist das Wesen einer Befehlskette. Diese Kinder jedoch sind nicht ersetzbar."
Lächeln schloß er den Helm seines Anzuges und öffnete die Außenschleuse.


***


Der Gaghiel schien im Wasser zu verharren, als würde er etwas wittern. Dann schoß er mit raschen Schlägen seiner Schwanzflosse nach vorn, auf die PROMETHEUS zu...

...und kam zuckend vom Kurs ab...


***


Im Inneren des Riesenfisches bearbeiteten die EVANGELIONs die Wirbelsäule mit ihren Messern, lösten damit starke Zuckungen aus.

Schließlich hatten sie das Rückgrat durchtrennt.

Die Zuckungen wurden stärker...


***


Der Gaghiel schien die Orientierung verloren zu haben. Plötzlich stellte er alle Bewegungen ein und sackte in die Tiefen des Meeres wie ein Stein.


***


"Wir haben kaum noch Energie..."

EVA-01 und -00 hockten nebeneinander auf einer Rippengräte des Gaghiel in der Finsternis.

"Ja. Aber wir haben ihn besiegt. Und... ich bin bei dir..."

"Rei, ich..."
Shinji schnifte.
"Ich wollte dir sagen, daß ich..."

In diesem Momment stieß direkt zwischen ihnen die Klinge eines PROG-Messers durch die dicke Außenhaut des Gaghiel, gefolgt von einem roten Arm.

"Asuka!" rief Shinji, bemerkte, daß eines der Feldes der Kom-Phalanx aufleuchtete.

"Antwortet ihr beiden endlich? Los, helft mal mit, den Riß zu erweitern, ich bin schon auf Reserve-Strom und zapfe die Reserven des Überlebenssystems an."


***


"Kapitän, wir haben Kontakt zu den EVAs! Sie bitten um schleunigste Unterstützung!" - "Colonel Ikari bittet um Erlaubnis, ihnen gewichtete Versorgungskabel schicken zu dürfen."

"Erlaubnis erteilt."

"Was ist mit dem Kommandanten?"

Deiko lächelte.
"Die EVAs haben Vorrang."
Soll er etwas schwimmen, vielleicht kommt er dann auf andere Gedanken... Wir brauchen einen lebenden Kriegsherren, keinen Märtyrer...