Kapitel 19: Exodus


Auf dem Deck der PROMETHEUS landete ein Regierungshubschrauber in der dafür gekennzeichneten Fläche.

Zwei Menschen stiegen aus, ein Mann und eine Frau, beide trugen Koffer in den Händen.

"Na, habe ich dir zuviel versprochen?" fragte Ryoji Kaji.

"Nein."
Misato Katsuragi sah sich mit großen Augen um...
"Das ist das größte Schiff, das ich je gesehen habe..."

"Die PROMETHEUS ist das einzige Schiff ihrer Art, ein Prototyp."

"Aha. Nun, ich konnte mich deinem Angebot, an einer Kreuzfahrt ins Unbekannte teilzunehmen, schlecht entziehen."
Sie lachte.
"Und wo sind die Kinder?"

"Äh, ja..."

Im Aufgang erschien Leutnant Hyuga.
"Der Kommandant erwartet Sie und Ihre Begleiterin, Major Kaji."

"Ah."
Er grinste.
"Bringen Sie uns zu ihm."
Mit einer eleganter Geste deutete er auf die Treppe.
"Nach dir, Katsuragi-chan."

"Oh, ein Kavalier!"


***


Die Szene auf dem Landedeck wurde von sechs Kindern und einer Erwachsenen beobachtet, die sich in der Schiffsmesse an einem Tisch mit Blick auf das Deck befanden.

"Rei, das ist..." flüsterte Shinji mit geweiteten Augen.

"Capt... Misato-sensei."

"Ja. Und Kaji-san... er lebt..."

"He, was tuschelt ihr denn da?" beschwerte sich Asuka.

"Bestimmt Liebesgeflüster", kicherte Kensuke.

"Ah, komm, laß sie." murmelte Touji. Er folgte den Blicken der beiden. "Hey, das ist Misato-sensei!"

"Was? Wo?"
Hikari, die eben noch ein stolzes Lächeln wegen Toujis Bemerkung unterdrückt hatte, verrenkte sich nun ebenfalls den Kopf.
"Tatsächlich. Was macht denn unsere Lehrerin hier?"

"Vielleicht gehört sie auch zu NERV?"

"Hm, glaube ich nicht, Touji."

"Es ist wirklich Misato-sensei!" rief Kensuke, preßte sich die Nase an der Fensterscheibe platt und winkte wie ein Besessener, wurde jedoch nicht bemerkt.
"Aber wer ist der Typ bei ihr?"

"Kenn ich nicht", murmelte Asuka. "Aber irgendwie ist er niedlich..."

"Asuka, der ist doch viel zu alt."

"Ach, Hikari, das verstehst du nicht."

"Nein?"

"Nee, sonst würdest du nicht mit Touji-baka herumhängen."

"Asuka, ich habe dir gesagt, wenn..."

"Sie ist es wirklich!" rief Ritsuko. "Kinder, ich muß mal weg, benehmt euch, ja?"

"Öh, was ist denn mit deiner Mutter los, Rei?"

"Sie und Misato-sensei kennen sich von der Universität her, Shinji."

"Wirklich? Das ist... wieder einer dieser seltsamen... Zufälle..."


***


Hyuga bracht Misato und Kaji in den der Kabine des Kommandaten angegliederten Besprechungsraum, ließ sich dann das Gepäck der Lehrerin geben und versprach mit dem allerfreundlichsten Lächeln, es in ihre Kabine zu bringen.

Thomas Shigen saß hinter seinem schmalen Schreibtisch und musterte seine Besucher schweigend über den Grat seiner gefalteten Hände hinweg, hinter ihm stand Deiko Tamakura.

"Ah, Kommandant, das ist Misato Katsuragi, die Klassenlehrerin der Kinder", erklärte Kaji.

Der Kommandant von NERV schwieg.

Misato lächelte nervös unter dem Blick des Einäugigen und deutete eine Verbeugung an.
"Guten Tag."

Thomas nickte, erhob sich langsam, streckte die Hand aus.
"Ich bin Thomas Shigen, Kommandant von NERV."

Misato ergriff die Hand.

"Und dies ist Deiko Tamakura, Kapitän der PROMETHEUS."

Deiko lächelte knapp.
"Willkommen an Bord."

"Danke."

"Setzen Sie sich doch, Fräulein Katsuragi, damit wir die Angelegenheit in Ruhe besprechen können."
Thomas deutete auf einen Stuhl.

Deiko trat um den Tisch herum.
"Major Kaji, kommen Sie doch mit, meines Wissens waren Sie bisher noch nicht Bord der PROMETHEUS."

"Ähm, ja, das stimmt."

"Dann bekommen Sie jetzt eine Führung."
Sie deutete mit dem Kopf in Richtung der Tür.

"Ja, gehen wir."

Die Lehrerin und der Kommandant blieben zurück.

"Wie war der Flug, Fräulein Katsuragi?"

"Ja, danke... Es war mein erster Flug mit einem Hubschrauber."

"Hm, ja."

"Ich würde gern gleich auf den Punkt kommen, wenn Sie erlauben, Kommandant."

Der Einäugige nickte.

"Kaji... Major Kaji hat mir gegenüber angedeutet, daß sich sechs Schüler aus meiner Klasse in Ihrer Obhut befinden."

"Ja...?"

"Und daß diese Kinder jemanden benötigen, der sie unterrichtet..."

Thomas lächelte.
"Major Kaji ist häufig recht eigenwillig... Sie hierherzubringen, war seine Idee. Nun, ich unterstütze seinen Plan, die Kinder benötigen wirklich jemanden, der dafür sorgt, daß sie in der Schule nicht zurückbleiben. Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie sich um diesen Posten bewerben möchten?"

Sie erwiderte sein Lächeln.
"Ich dachte nicht, daß ich mich bewerben müßte."

"Hm... Vergessen wir die Bürokratie. Ein paar Mitglieder des Verwaltungsstabes werden mir dafür zwar die Pest an den Hals wünschen, aber... Fräulein Katsuragi, da es keine anderen Bewerber gibt - wenn Sie die Stelle wollen, können Sie sie haben."
Er schob eine Mappe über den Tisch.
"Unsere Bedingungen."

"Ja... Hm, Schweigepflicht - kein Problem... Anweisungen der Offiziere befolgen... okay... Dafür sorgen Sie für meine Beurlaubung an der Schule... ja... und das Gehalt..."
Sie sah auf.
"Das ist wirklich großzügig."

"Nein, nur den Gefahren angemessen."

"Gefahr?"

"Fräulein Katsuragi, wir sind im Krieg. Und die Kinder werden an vorderster Front stehen."

"Das..."

"Ich werde Sie und die Kinder in das meiste einweihen, sobald die PROMETHEUS am Ziel ihrer Reise angelangt ist, jedoch nicht vorher. Es ist wichtig, daß die Zahl der Eingeweihten auf einen kleinen Kreis beschränkt bleibt."

"Und jetzt? Wenn ich den Job nicht mehr will, stecken Sie mich dann in den Arrest, weil ich schon zuviel weiß?"

"Nein, wir würden Sie nur umgehend zurückschicken. Und die Kinder werden die Zeit der Überfahrt mit Tests, Trockenübungen und Nichtstun verbringen."

"Hm... Thomas Shigen... Wir sind uns schon einmal begegnet, nicht wahr? In der Antarktis... Sie haben an der Expedition teilgenommen, bei der... bei der mein Vater starb... Geht es darum? Ich erinnere mich an dieses... Monster... diese Reisenspinne..."

"Es stimmt. Ich war damals dabei..."

"Ja... Ich habe jahrelang versucht, die Geschehnisse zu vergessen... weil... weil es solche Wesen nicht geben darf..."

"Sie sind der Feind. Wo der eine Matriel herkam, gibt es noch mehr. Meine Organisation wurde gegründet, um sie aufzuhalten."

"Ich... ich bin dabei."

"Gut."

"Shigen... damals sahen Sie etwas anders aus, nicht wahr?"

Er nickte stumm.


***


In der Messe hatte mittlerweile die Essenausgabe begonnen. Die Besatzungsmitglieder der Freiwache standen mit ihren Tabletts Schlange.

Shinjis Magen knurrte.
"Uhm..."

Rei sah ihn von der Seite an, ergriff dann seine Hand und zog ihn auf die Füße.
"Komm, wir holen uns etwas."

Sie stellten sich ans Ende der Schlange, die relativ schnell vorrückte, die NERV-Soldaten der PROMETHEUS bewiesen, daß sie in scheinbar jeder Lebenslage die Disziplin zu wahren wußten. Es ging in der Messe viel ruhiger und gesitteter zu als beispielsweise in ihrer Schule während der Mittagspause.

Der Koch an der Essensausgabe schob Shinji einen Teller Suppe mit einem Brötchen über die Theke, dann füllte er aus einem anderen Topf einen Teller für Rei.
"Hier, junge Dame, vegetarisch."

"Danke", entgegnete sie überrascht. Die letzten Tage hatte sie sich hauptsächlich von Obst und Brot ernährt und ihre Mutter davon abgehalten, auf die Barrikaden zu gehen, weil das Essensangebot an Bord des Schiffes recht einseitig war.

"Anweisung vom Kommandanten. Naja, endlich lohnt es sich einigermaßen, etwas extra zu kochen."

"Ja?"

"Der Kommandant ißt selbst auch kein Fleisch. ´Fast schon millitanter Vegetarier."

Sie bedankte sich mit einem schmalen Lächeln und kehrte mit ihrem Tablett zu den anderen zurück.

"Ich habe gehört, daß wir heute nachmittag mit Kurs nach Süden auslaufen werden", gab Kensuke bekannt. "Das ist alles so aufregend!"

"Hm, Wasser, nichts als Wasser", brummte Touji. "Ich bin während der ersten Fahrt schon fast seekrank geworden."

"Du klingst ja nicht gerade begeistert. Dabei war die Seeschlacht mit dem Monsterfisch so aufregend!"

"Blaue Flecken habe ich mir geholt, als der Gaghiel uns gerammt hat."

"Tut´s noch sehr weh?" fragte Hikari mitfühlend.

Touji grinste.
"Ah, nein. ´War doch ein Opfer zu einem guten Zweck."

Sie wurde rot.

Als der Gaghiel die PROMETHEUS gerammt hatte, waren jene von ihnen, die sich noch auf der Brücke aufgehalten hatten, quer über die Gallerie geflogen. Touji hatte dabei als unfreiwilliger Puffer zwischen Hikari und einer Wand fungiert. Und wenn sie nicht so gegen ihn geflogen wäre, daß es einen Moment lang so ausgesehen hätte, als würden sie sich küssen, wäre die ganze Sache vielleicht gar nicht mal so peinlich gewesen.

"Außerdem hätte es schlimmer kommen können. - Ich hätte zum Beispiel Asukas Holzschädel ins Gesicht bekommen können", versuchte Touji die Situation zu entschärfen.

"Ha, das hätte bei dir doch nur zur Verschönerung beitragen können!" warf Asuka ein.

"Was willst du damit sagen?"

"Daß du so häßlich bist, daß selbst heftige Schläge nur Verbesserungen darstellen können!"

Hikari versuchte zu schlichten.
"Hört auf zu streiten!"

"Ich bin ja schon so gespannt, wie unsere Geleitsflotte aussieht", brabbelte Kensuke, ohne den anderen am Tisch viel Aufmerksamkeit zu schenken. "Bestimmt schwer bewaffnete Kriegsschiffe... daß ich soetwas mal aus nächster Nähe sehen kann!"

"Der ist im siebten Himmel", flüsterte Shinji leise.

Rei nickte.

"Das Ziel der Reise ist doch der Südpol, wie kommen wir da eigentlich hin, die Antarktis ist doch völlig mit Eis bedeckt...?"

Allgemeines Schulterzucken war die Antwort auf seine Frage.


***


Ritsuko Akagi stand vor der Kabine des Kommandanten und wartete. Gesellschaft leistete ihr Leutnant Makoto Hyuga, oder vielleicht war es auch eher umgekehrt, denn Hyuga hatte Wache vor der Tür.

"Wozu bewachen Sie eigentlich die Tür? Hat der Kommandant Angst gestört zu werden?"

"Nein, wohl nicht, sonst würde er abschließen. Aber ich habe meine Anweisungen von Kapitän Tamakura und solange der Kommandant nichts gegenteiliges sagt, hat sie den Oberbefehl auf der PROMETHEUS."

"Ja, warum dann? Befürchtet sie ein Attentat?"

"Keine Ahnung, Doktor. Aber der Kommandant ist für das Unternehmen zu wichtig, als daß man ihn ungeschützt lassen könnte."

"So?"

"Naja, er hat NERV aufgebaut und die Staatsoberhäupter der Welt über die Gefahr informiert, die uns droht." Er beugte sich ein Stück vor und flüsterte: "Wenn die Gerüchte stimmen, plant der UN-Sicherheitsrat, ihn zum Marschall der Streitkräfte zu ernennen. Aber das ist nur ein Gerücht, verstehen Sie?"

"Natürlich. - Meine Lippen sind versiegelt."

"Ha, danke."

"Wielange gehören Sie zu diesem Verein?"

"Ich wurde vor einem Jahr von der UN nach Tokio ins NERV-HQ versetzt."

"Und Sie kennen sich aus?"

"Hm, wenn Sie mich aushorchen wollen, muß ich Sie darauf hinweisen, daß ich zur Verschwiegenheit verpflichtet bin."

"Nein, nein, ich habe nicht die Absicht, Sie in Schwierigkeiten zu bringen, Leutnant. Hm, der Kommandant, was ist er für ein Mensch?"

"Der Kommandant? Hm, schweigsam, ja. Er behält seine Gedanken für sich, ich glaube, das ganze lastet recht schwer auf seinen Schultern - ich möchte diese Verantwortung jedenfalls nicht tragen müssen."

"Hat er niemanden, mit dem er sie teilen kann - Familie, Kinder..."

"Nein, nicht daß ich wüßte... aber warum wollen Sie das wissen?"

"Nur so, es hat mich halt interessiert, was für einem Menschen ich meine Tochter anvertraut habe..."

"Ich kann Ihnen versichern, daß Kommandant Shigen das Leben seiner Leute nicht unnötig aufs Spiel setzt, er ist mehr der Typ, der selbst an vorderster Front steht und kämpft."

"Aha, nun, Leutnant, Ihr Vertrauen..."

Die Tür des Besprechungsraumes wurde geöffnet. Der Kommandant verließ die Kabine in Begleitung Misato Katsuragis.
"Leutnant Hyuga wird Sie zu Ihrer Kabine bringen... - Oh, Doktor Akagi, wollten Sie zu mir?"

"Nicht direkt."
Ritsuko grinste Misato an.
"Hi, Schnapsdrossel, lange her, was?"

"Wie? - Was, bist du es? Bist du es wirklich, Bücherwurm?"
Misato lachte.

Die beiden alten Freundinnen und früheren Zimmergenossinnen umarmten einander.

Thomas sah Makoto fragend an, der zuckte nur mit millitärischer Knappheit mit den Schultern.

"Was machst du denn hier, Misato?"

"Lehrerin für ein paar Kinder - und du?"

"Mutter eines dieser Kinder."

"Was? Dann... Rei Akagi ist deine Tochter?"

"Genau."

"Lieber Himmel, mir ist die Namensgleichheit doch sofort aufgefallen! Ah, wir haben uns seit vierzehn Jahren nicht mehr gesehen... Ritsuko, du siehst ja kaum älter aus!"

"Tja, seit vierzehn Jahren habe ich ja auch keine Mitbewohnerin mehr, die stockbesoffen in der Nacht heimkommt und mir den Schlaf raubt."

"Oh, so schlimm war ich doch gar nicht!"

"Doch... noch schlimmer." entgegnete Ritsuko knochentrocken. "Wie hast du es nur in den Schuldienst geschafft?!"

Misato schlug ihr lachend auf die Schulter.
"Kein Alkohol seit über zehn Jahren."

"Wirklich?"

"Kannst jeden fragen. So, die kleine Rei ist also deine Tochter. Ich hätte nie gedacht, daß du das Zeug zur Mutter in dir hast, angesichts der Schwierigkeiten, die deine Mutter damals hatte."

"Leutnant, kümmern Sie sich dann um die beiden, ja?" flüsterte Thomas und zog sich unangenehm berührt in seinen Raum zurück.

"Ich auch nicht, Misato, aber ich habe es keinen Moment bereut."

"´Ist ja toll, daß wir uns nach all der Zeit wieder über den Weg laufen..."

"Oh, Misato, du warst schon immer leicht zu begeistern."

"Und, ist da ´was schlimmes dran? Paß auf - ich packe schnell meine Sachen aus und dann treffen wir uns... wo auch immer man sich auf diesem Schiff trifft."

"Das wäre dann in der Messe."

"Gut, gut. Und bring die Kinder mit."


***


"Hm... Misato-sensei..." murmelte Touji mit breitem Grinsen. Mittlerweile war die Nachricht vom Eintreffen der Lehrerin auch in seinem Denkapparat angekommen, etwa eine Viertelstunde, nachdem Reis Mutter die Messe verlassen hatte.

Hikari sah ihn mit einem Anflug von Entsetzen in den Augen von der Seite an.
Oh, oh...

"Paß auf, Hikari, gleich fängt er an zu sabbern... Die Kerle sind doch alle gleich", lästerte Asuka.

"Asuka, ich weiß nicht, ob..."

"Ah, komm, kaum läßt man sie aus den Augen, laufen sie anderen Frauen nach. Sieh dir nur Baka-Shinji an - ich erlaube ihm in meinem unendlichen Großmut, auch andere Mädchen anzusehen, und schon ist er weg und hängt mit Rei ´rum."

"Bist du immer noch sauer? Ich dachte, ihr hättet das geklärt."

Asuka grinste und zwinkerte ihr zu.
"Nein, ich bin nicht mehr sauer. - Aber ein bißchen schlechtes Gewissen tut dem Dummkopf ab und an ganz gut. Ich habe zwar immer noch keine Ahnung, was du an Touji findest, immerhin ist er Gründungsmitglied des Idiotentrios seit der Grundschule, aber wenn er aus der Reihe tanzt, dann bring ihn nach der Soryu-Methode wieder zurück."

"Die Soryu-Methode?"

"Ja. Kräftige Schläge auf den Hinterkopf. Meine Oma schwört darauf... Leider hat Mama sie bei Papa nie anwenden wollen..."
Asuka schluckte heftig, hatte plötzlich Mühe, ihre gute Stimmung zu bewahren.

"Es ist schwer für dich, nicht wahr?"

"Nein. Ich bin Asuka Soryu Langley, das ist für mich alles kein Problem."

"Asuka, hör auf, dir selbst etwas vorzumachen. Du versteckst dich doch hinter diesem Mantra."

"Nein, tue ich nicht... oder... hm, vielleicht ein wenig..."


***


"Aufstehen - Verbeugen - Setzen!" befahl Hikari automatisch, als Misato die Messe betrat und sich suchend umsah.

Die Lehrerin winkte ihnen von der Tür her zu und kam zu ihnen hinüber.
"Ah, alle versammelt."

"Misato-sensei!" riefen Touji und Kensuke wie aus einem Mund.

Hikari blickte auf ihre Hand und überlegte, ob sie Asukas Ratschlag befolgen und versuchen sollte, Ordnung in Toujis Oberstübchen zu schaffen.
Und wenn ich mehr Schaden anrichte, als ohnehin schon da ist...?

Shinji, der eigentlich auch zu den heimlichen Verehrern der gut gebauten Lehrerin gehörte - wie die meisten Jungen an der Schule, sowie wenigstens ein Mädchen - schaffte es, die Ruhe mit einer Mustergültigkeit zu bewahren, welche einen buddistischen Mönch blaß vor Neid hätte werden lassen, während er Hikaris Anweisung befolgte.

"Ach, laßt die Förmlichkeiten, Kinder, wir sind nicht in der Klasse..." sagte Misato, während sie sich einen Stuhl heranzog und an den Tisch setzte.

"Ich denke, du sollst sie unterrichten", warf Ritsuko ein.

"Unterrichten?" echoten Touji und Kensuke, mit Asuka und Shinji etwa einen Sekundenbruchteil hinter ihnen.

Die beiden Erwachsenen nickten sich verschwörerisch zu.
"Das war zu erwarten", lachte Misato.

"Misato-sensei, Sie sind doch nicht wirklich hier, um uns etwas beizubringen?" fragte Kensuke mit viel geübtem leidenden Dackelblick.

"Weshalb sonst? Für meine andere Fähigkeiten hätte NERV wohl keinen Bedarf."

"Andere Fähigkeiten?"
Touji runzelte die Stirn und hatte frühpubertäre Phantasien.

Hikari ballte die Faust...

"Zum Beispiel einen Kühlschrank in Rekordzeit zu leeren oder ein komplettes Wohnheim die ganze Nacht über auf Trab zu halten, weil sie einen Ohrring verloren hat", erklärte Ritsuko mit steinernder Miene.

"Hey, der Ohrring war ein Geschenk! Und was den Kühlschrank angeht - ich hatte Hunger!"

"Wenn´s nur einmal passiert wäre, hätte ich es nicht erwähnt."

"Ah, Ritsuko, wie haben wir es nur miteinander ausgehalten?"

"Ohrenstöpsel."

"Uhm, Rei, mit dem Humor deiner Mutter könnte man ganze Flüsse trockenlegen", flüsterte Shinji in Reis Ohr.

Sie nickte bestätigend, ohne eine Miene zu verziehen.

"Junger Mann, das habe ich gehört!" warnte Ritsuko.

"Uhm, ich... gomen..."

"Weichei." brummte Asuka.

Misato lachte. Schließlich schüttelte sie den Kopf.
"Man hat mich gebeten, euch während der Überfahrt nach Antarktica und während des dortigen Aufenthaltes zu unterrichten. Anscheinend schätzt Kommandant Shigen euch genauso ein wie ich - nämlich daß die meisten an diesem Tisch das ganze als Ferien ansehen und daher meinen könnten, sie müßten nichts tun. - Nun, das ist ein Trugschluß. Und wir wollen doch nicht, daß ein paar von euch die Klasse wiederholen müßten, oder?"
Sie sah in die Runde. Ihr Blick blieb auf jenen der Kinder, welche sich angesprochen fühlen sollten, einen Moment länger ruhen, als auf den anderen - Rei und Hikari waren nicht darunter.

"Nein, Sensei."
Und in die Klasse von der Schreckschraube Kagawara wechseln müssen?

"Nein."
Dann könnte ich nicht am Sommerlagertraining teilnehmen...

"Wiederholen? Mit den Trotteln?"

"Uhm, nein."
Nicht ohne Rei...

"Gut, dann sind wir ja einer Meinung. Morgen vormittag fangen wir an, wir können die Messe als Unterrichtsraum benutzen. So, und bis dahin - kein Streß, ja?"

"Uhm, Sensei, Sie wissen doch, wohin die Reise gehen soll, oder?"

"Doch, zum Südpol, NERV hat dort einen Stützpunkt namens Antarktica, oder einfach nur Festung."

"Das klingt, ähm, als ob, uh, Sie schon einmal dort gewesen wären."

Misatos Gesicht verdunkelte sich.
"Das stimmt. Ich war schon einmal am Südpol... als Teilnehmerin einer Expedition meines Vaters... seiner letzten Expedition..."

"Uhm, Misato-sensei, ist alles in Ordnung?" fragte Shinji, als er die Tränen in ihren Augen bemerkte.

"Ja, ja, es ist nur... er... mein Vater ist damals gestorben..."

"Das... uh, das tut mir leid."

"Uns auch." stimmten Touji und Kensuke mit bedrückten Mienen zu.

"Schon gut, ´ist lange her."

"Es, ah, es hat mit dem Grund zu tun, aus dem auch wir hier sind, nicht wahr?"

"Ja, Shinji. Mein Vater wurde von einem... Matriel getötet..."

Die anderen sieben am Tisch sahen sie ungläubig an.


***


Deiko Tamakura beugte sich in ihrem Kapitänssessel nach vorn.
"Status?"

"Antriebssysteme klar."

"Navigation klar."

"Funk und Ortung klar."

"Perimeterwarnsystem klar."

"Satellitenverbindung steht."

"Waffensysteme klar."
Als letzter der Offiziere auf der Brücke sprach Captain Shigeru Aoba und verdrehte heimlich die Augen. Schon den ganzen Tag über ließ die Kapitänin der PROMETHEUS die Schiffssysteme immer wieder überprüfen, um etwaige bisher unentdeckte Schäden aufgrund des Gaghiel-Angriffes zu finden. Die ersten drei Testläufe war es noch einigermaßen interessant gewesen, doch mittlerweile kannte er die Anzeigen auswendig.

"Kapitän, der Begleitkonvoi ist in Position."

"Ah, gut. Danke, Funker."
Sie stand auf.
"Meine Damen und Herren, werfen Sie einen letzten Blick zurück aufs Festland, es wird lange dauern, bis wir wieder hierher zurückkehren!"
Langsam ging sie nach vorn in den Bereich der Waffenstationen.
"Funker, geben Sie dem Konvoi-Kommandanten durch, daß wir in einer Viertelstunde zu ihnen stoßen!"

"Bestätigt!"


***


"Es schwimmt tatsächlich..." staunte Misato, als die PROMETHEUS mit nicht geringer Geschwindigkeit den Hafen verließ.

Am Horizont zeichneten sich die Silhueten weiterer Schiffe ab.

Die nun auf acht Personen angewachsene Gruppe stand an der Reling des Oberdecks.

Kensuke Aida blickte durch sein Fernglas.
"Das sind zwei Flugzeugträger, vier Zerstörer und... sieben, acht, neun... zehn schwere Kreuzer... alle unter der Flagge der Vereinten Nationen..."

"Ein Gutteil der Pazifik-Flotte", erklärte Kaji, der ein Stück weiter im Schatten eines Radarturmes stand. "Fünf Kreuzer der japanischen Flotte werden uns ebenfalls begleiten... Den Vereinten Nationen liegt viel daran, daß wir unser Ziel erreichen."

"Kaji-san..." flüsterte Shinji fast unhörbar.

Asukas Augen leuchteten auf. Im nächsten Moment stand sie neben Kaji.
"Und wer sind Sie?" fragte sie mit strahlendem Lächeln.

"Asuka, komm zurück, das schickt sich nicht!" protestierte Misato.

"Ah, laß sie doch, Katsuragi", grinste Kaji. "Major Ryoji Kaji. Zu deinen Diensten, junge Dame." Er deutete eine Verbeugung an.

"Kaji!"

Er sah zu Misato hinüber, zwinkerte.
"He, ich habe einen Ruf zu verlieren, schließlich bin ich hier an Bord der Superspion und niemand anders."

Leises Lachen drang von dem Schiff, als es auf die offene See hinaussteuerte, dem Schicksal entgegen...