Kapitel 26: Auf den Schwingen von Engeln
Am Himmel über dem Festungsstützpunkt erstrahlten am hellichten Tage zwölf Sterne.
Sie waren ohne Vorwarnung erschienen, waren einfach aufgetaucht, nachdem die PROMETHEUS in einer selbstverstörerischen Kamikaze-Aktion auf die eintreffende Invasionsstreitmacht der Angeloi herabgestürzt und diese mit sich in den Untergang gerissen hatte.
Die subpolare Geofront lag teilweise offen, die Eisdecke war unter der Wucht der Explosion der S2-Maschine der PROMETHEUS geschmolzen oder in den Hohlraum herabgestürzt. Mehrere der Gebäude der alten Angeloi-Stadt wiesen schwere Schäden auf, das spindelförmige Bauwerk, welches die Portalsteuerung beherbergt hatte, war nur noch ein geschwärzter Klumpen Beton.
In der Pyramide, in der der taktische Stab von NERV sein Kommandozentrum eingerichtet hatte, war es empfindlich kalt geworden. Die geothermischen Kraftwerke hatten die Arbeit eingestellt, so daß keine Wärme mehr aus dem Erdinneren in die Geofront gepumpt wurde, dazu kam die antarktische Kälte, die sich allmählich erobernd im bis dahin abgeschirmten Bereich ausbreitete.
Colonel Gendo Ikari und die nun in Abwesenheit oder nach Versterben aller höherrangigeren Offiziere seinem Kommando unterstehenden NERV-Mitarbeiter trugen dicke pelzgefütterte Jacken, während sie sich bemühten, den Kontakt zur Außenwelt wiederherzustellen, welcher während der Invasion abgebrochen war.
"Sir, Satellitenverbindung steht. Wir haben einen Direktlink zu POLARIS!" vermeldete einer der Techniker.
"Auf den Hauptschirm."
POLARIS, das satellitengestützte Beobachtungssystem, welches in den letzten Monaten sehr hilfreich beim Aufspüren alter Angeloi-Hinterlassenschaften und -Nester gewesen war...
"Colonel, POLARIS steht derzeit unter der Kontrolle des tokioter Hauptquartiers. Die Beobachtungsressourcen sind auf das Phänomen über uns gerichtet."
"Gut. Arbeiten Sie als nächstes an einer Wiederherstellung des Kontaktes mit Tokio."
"Bild kommt."
Auf dem Hauptmonitor erschienen zwölf bienenkorbähnliche Objekte, welche Feuerschweife hinter sich herzogen.
"MAGI identifizieren Objekte als Kriegsschiffe der Angeloi... das sind Raumschiffe, Sir!"
Ikari hörte die aufsteigende Panik in der Stimme des Operators, spürte selbst Furcht.
"Eine Armada..." flüsterte er, fing sich wieder. "Werden vom Hauptquartier aus bereits Gegenmaßnahmen ergriffen?"
"Kontakt mit Hauptquartier steht. Unsere MAGI übermitteln einen Bericht über die Ereignisse an das dortige System. Abwehrmaßnahmen werden eingeleitet. Waffenträgershuttles der DEFENDER-Klasse starten. NIMROD enttarnt sich und erhält über POLARIS die Zielkoordinaten! Waffenplattformen werden ausgerichtet!"
Das Bild der sich nähernden Invasionsflotte wurde von einem computergenerierten dreidimensionalen Bild von Erde und Mond abgelöst. Rund um die Erde erschienen mehrere Punkte, wurden in der Vergrößerung dargestellt. Es waren künstliche Satelliten, die mit Raketenabschußvorrichtungen und Geschützen bestückt waren, orbitale Waffenplattformen.
NIMROD war aktiv geworden...
Zugleich wurden noch in der Atmosphäre befindliche, sich bewegende Objekte gezeigt und als Shuttle der DEFENDER-Klasse identifiziert, dreizehn an der Zahl.
Die letzte Schlacht sollte im Erdorbit ausgefochten werden...
*** NGE ***
"Sir, Lieutenant-Colonel Falk für Sie."
Ikari nickte und schaltete das Gespräch auf den Bildschirm seines Terminals.
Das Gesicht des Europäers mit den grünen Augen wirkte versteinert, nur das Gewebe um die verästelte Narbe auf der einen Gesichtshälfte zuckte ständig, als hätte es ein Eigenleben entwickelt.
"Colonel Ikari, wie sieht es bei Ihnen aus?"
"Der Bericht der MAGI dürfte Ihnen zugegangen sein. Wir haben die PROMETHEUS und Kapitän Tamakura verloren, dazu leichte Schäden am Festungsring und in der Geofront, sowie etwa fünfzig Leichtverletzte. Ich habe Anweisung zur Räumung des Stützpunktes gegeben, da das Portal vernichtet wurde."
"Ja. Ich muß Ihnen für Ihren Spürsinn gratulieren. Doktor Akagi ist es gelungen, den Bardiel auszuschalten, bevor dieser NIMROD lahmlegen konnte."
"Also doch..."
Falk schluckte.
"Allerdings ist es ihm zuvor gelungen, meine Frau zu töten..."
"Das... das tut mir sehr..."
Der Grünäugige schüttelte den Kopf.
"Nein, Colonel, dazu ist jetzt keine Zeit. Ich kann trauern, wenn wir die Gefahr abgewendet haben."
"Verstehe."
Die beiden tauschten einen Blick aus, der mehr sagte als Worte. Beide hatten einen geliebten Menschen verloren, der eine die Ehefrau, der andere den einzigen Sohn. Und beide verschlossen ihre Herzen bis zu dem Moment, an dem die Pflicht von ihren Schultern genommen werden würde...
"Ikari, laut MAGI kommen die Schiffe der Angeloi in etwa zehn Stunden in den Erfassungsbereich der Waffenplattformen. Die Shuttle werden den Orbit zur selben Zeit erreichen. Allerdings stehen die Erfolgsaussichten sehr schlecht, nachdem wir Ihre Aufzeichnungen über die kombinierten AT-Felder der Angeloi analysiert haben."
"Sir?"
Gendo sah den Höherrangigen fragend an, erwartete Anweisungen.
"Der Kursvektor der Schiffe zielt auf Ihren Standort. Wahrscheinlich werden sie in der Antarktis einen Brückenkopf errichten wollen, weil sie davon ausgehen, daß die Matriel-Streitmacht Sie überrannt hat."
"Ich verstehe. Unter diesen Umständen werde ich das kampffähige Personal und die UN-Streitkräfte hierbehalten und alle anderen mit den zur Verfügung stehenden Transportmitteln zum Stützpunkt an der Küste evakuieren."
"Ikari, so..."
"Ich werde die Angeloi hier erwarten."
"Ihre Überlebenschancen sind sehr gering."
"Genau wie an jedem anderen Ort der Welt, wenn sie erst einmal gelandet sind."
Falk nickte.
"Gut, dann habe ich Sie richtig eingeschätzt. Ich habe gerade mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gesprochen und ihn über den Tod Marschal Shigens in Kenntnis gesetzt. Sie werden sich gleich mit Ihnen in Verbindung setzen."
"Ich... in Ordnung."
"Jetzt liegt es nicht mehr in unserer Hand. NIMROD wurde von Diane übernommen, die MAGI werden die letzte Schlacht schlagen. Und falls unsere Abwehrmaßnahmen scheitern... Viel Glück, Colonel."
"Ihnen auch, Sir, Ihnen auch..."
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Gendo lehnte sich zurück, atmete tief ein, gab die Anweisungen bezüglich der Räumung des Stützpunktes und der Vorbereitung eines Hinterhaltes...
"Colonel, ein Anruf aus dem UN-Hauptquartier auf der Sicherheitsleitung."
"Legen Sie ihn auf den Hauptschirm."
"Sir?"
"Machen Sie schon, wir stecken ohnehin alle mitten drin."
Das Bild des Hauptmonitors wechselte, zeigte einen halbrunden Tisch mit dem Symbol der UN auf der Stirnseite, um den mehrere Männer und Frauen saßen, der UN-Sicherheitsrat, welcher in dieser Krisensituation das Kommando übernommen hatte.
Der Vorsitzende des Rates stand auf, beugte sich vor.
"Colonel Gendo Ikari?"
Auch Gendo stand mittlerweile.
"Ja."
"Ich will es kurz machen. Wir wurden gerade vom Tod Marschal Shigens in Kenntnis gesetzt."
"Ja. Mir ist bekannt, daß wir den Oberkommandierenden verloren haben."
"Colonel, der Marschal hat Sie als seinen Nachfolger vorgeschlagen."
Automatisch trat Ikari einen Schritt zurück.
"Mich?"
"Ja. Für den Fall, daß er ausfallen sollte, hat er Herrn Naga eine Liste mit potentiellen Nachfolgern übergeben. Sie befinden sich an erster Stelle. Akzeptieren Sie?"
"Sicher gibt es fähigere als mich..."
Er spürte, wie die Blicke der Brückencrew auf ihm ruhten, zwang sich zu innerer Ruhe.
"Nicht, wenn es nach ihm geht. Wir sind gewillt, seinen letzten Willen auszuführen und auf sein Urteil zu vertrauen. Also?"
Gendo nickte.
"Akzeptiert - bis zum Ende der Krise."
"Wir übermitteln Ihren die Autorisierungscodes. Sie kennen Ihren Auftrag."
"Natürlich."
"Gut... Marschal Ikari."
Die Verbindung erlosch, das Bild wurde wieder von der sich nähernden Flotte ersetzt, in der unteren rechten Ecke lief der Countdown bis sie in den Erfassungsbereich der orbitalen Waffensysteme kommen würde.
Und in der Kommandozentrale brandete spontaner Applaus auf...
*** NGE ***
Der Countdown war abgelaufen. Wie berechnet erreichte die Invasionsflotte den von NIMROD abgedeckten Bereich.
Die Satellitensysteme wurden aktiv, längst waren sie so ausgerichtet, daß die Waffen nicht mehr auf die Erde gerichtet waren, wo sie eigentlich dazu gedacht gewesen waren, Angeloi-Bodentruppen unter Beschuß zu nehmen, sondern in die Weite des Alls. Längst waren alle Berechnungen getätigt, alle Zielvektoren berechnet worden. Die orbitalen Positronengeschütze eröffneten das Feuer, zugleich starteten Langstreckenraketen mit N2-Sprengköpfen.
Den Raketen folgten die ebenfalls im Orbit eingetroffenen DEFENDER-Shuttles, welche ihre Frachtluken geöffnet und selbst schwere Geschütze in Position gebracht hatten.
Die DEFENDER-Shuttles, in einem geheimen Programm gebaute manövrierfähige Waffenplattformen, ausgelegt auf Wendigkeit und Feuerkraft, nicht dazu gedacht, wieder zur Erdoberfläche zurückzukehren...
*** NGE ***
Auf breiter Front zuckten weitgefächerte Energiestrahlen der Angeloi-Flotte entgegen, verpufften wirkungslos an den vor der Besatzung generierten AT-Feldern. Ihnen folgten zahllose Raketen, denen es nicht besser erging.
Eine Handvoll im Vergleich zu den Schwarmschiffen winzige Shuttles rasten zwischen die riesigen Bienenkörben, aus allen Rohren feuernd.
Ein kurzes Aufflackern der Angeloi-Geschütze später war der Verteidigungsstreitmacht auf vier flugfähige Shuttle reduziert worden.
"Sie wissen, daß sie keine Chance haben... und dennoch kämpfen sie..." flüsterte Imperatrix Sal-Lilith von ihrem Thron auf der Brücke des Flaggschiffes.
"Bewundernswert, diese Energie", wisperte das Oberste Gehirn, welches neben ihr schwebte.
"Nein, Dummheit. Dummheit und Verschwendung."
"Natürlich, Majestät, natürlich."
"Wurden diese lästigen... Scheußlichkeiten bereits vernichtet?"
"Noch nicht. Die beiden... Konstrukte der Lillim befinden sich noch immer in Bewegung. Aber die Imperiale Garde selbst wird sie aufhalten."
"Gut. Fortfahren."
Sie lehnte sich zurück, ein Lächeln auf den Lippen. In wenigen Stunden würde ihre Streitmacht die Erde erreichen. Und dann würde das Ende der Menschheit eingeläutet werden und ihr Volk sich an der Lebenskraft der Lillims nähren.
"Majestät..."
Die piepsige Stimme des Bardiels neben ihr riß sie aus ihren Gedanken.
"Was?" fuhr sie das Oberste Gehirn an.
Dieses wies mit einem seiner Tentakelarme auf die große Sichtscheibe - und den einarmigen purpur-grünen Giganten, welcher gerade davor zum Schlag ausholte.
Mit lautem Knall zerbarst die Scheibe, schoß die Faust des Riesen in die Kommandozentrale hinein. Die Druckwelle genügte, um die Imperatrix von ihrem Thron zu fegen. Ihr Schrei wurde von ihren Lippen gerissen, als die Luft aus der Zentrale in die Leere des Weltraum gesogen wurde...
*** NGE ***
"Beschuß wirkungslos!" - "DEFENDER-Einheiten Zwei, Fünf, Sechs, Sieben, Neun und Elf
zerstört! Einheiten Acht und Dreizehn manövrierunfähig. Kontakt zu Einheit Drei verloren!"
Mehrere Punkte auf dem Monitor erloschen.
Gendo ballte die Fäuste, spürte einen leichten Schmerz, als sich seine Fingernägel hart in die Haut bohrten.
"Sir, die Amerikaner übermitteln die Kommandocodes für ihren Raketenschild!"
"An NIMROD weiterleiten! Diane soll den Beschuß koordinieren!"
"Weitere Übermittlungen! Die Russen... China... ich hätte nie gedacht, daß sich soviele bewaff-nete Satelliten im Orbit befinden..."
"Alles weiterleiten!"
"Ja, Marschal!"
Plötzlich brach der Verband der Schwarmschiffe auseinander, die Bienenkörbe drifteten von-einander weg, nahmen sich gegenseitig unter Beschuß.
"Was passiert da?" brüllte Gendo, der einen Anflug von Hoffnung verspürte.
"Sir, MAGI weisen auf eine Übertragung von DEFENDER-Zwei hin, direkt bevor die Einheit
zerstört wurde."
"Abspielen!"
Die Aufnahme zeigte das größte der Schwarmschiffe aus unmittelbarer Nähe.
Auf der Oberfläche befand sich eine unüberschaubare Zahl von Satchiels, die einen Nahkampf mit einem roten Giganten verstrickt waren. Ein zweiter Riese, dieser in Purpur und Grün, durchbrach die Reihen der Satchiels, rannte direkt auf die Brückensektion des Schwarmschiffes zu, holte mit geballter Faust aus...
Die Übertragung brach ab.
"EVA-02 und -01..." flüsterte Gendo. Dann schrie er: "Sie leben!"
"Auswertung von Daten des Hubble-Teleskopes, Sir: Der Schlag des EVANGELION hat mit
ziemlicher Sicherheit die Brückensektion des Schwarmschiffes verwüstet!"
"MAGI liefern ersten Erklärungsansatz. Ich lese vor:
1.Hypothese: Bei dem größten Schiff der Flotte handelte es sich um das Schiff der Imperatrix.
2.Hypothese: Die anderen Schiffe unterstehen jeweils dem Befehl einer Schwarmmutter.
3.Hypothese: Die Imperatrix wurde bei dem Angriff durch EVA-01 getötet.
Schlußfolgerung aufgrund der genannten Hypothesen: Unter den Schwarmmüttern ist ein Nachfolgekrieg um den Thron der Imperatrix ausgebrochen."
"Jetzt? Mitten im Angriff?" warf ein anderer Offizier ein.
Zugleich zerplatzte das mittlerweile dritte Schwarmschiff unter dem Beschuß anderer Angeloi-Schiffe.
"MAGI bestätigen. Es liegt in der Natur der Angeloi, einem einzigen Oberhaupt zu folgen."
Gendo warf den Kopf herum.
"NIMROD soll die Schwarmschiffe unter Punktbeschuß nehmen! Nicht aufgeben, bis das jeweilige AT-Feld geknackt ist!"
"Bestätigt, Sir!"
Erneut nahmen die orbitalen Geschütze die Arbeit auf, spieen die Satelliten den Invasoren einen guten Teil des irdischen Kriegspotentiales entgegen.
Und diesesmal funktionierte es.
Das Schirmfeld des zuerst anvisierten Bienenkorbes gab unter dem Beschuß nach, glühenden
Fingern gleich bohrten sich die Strahlen in das Schwarmschiff, brachten es zur Explosion.
Der Zielfokus NIMRODs wechselte, wandte sich dem nächsten Schiff zu...
Ein Schiff der Invasoren nach dem anderen verschwand vom taktischen Schirm.
"Was ist mit den EVAs?" fragte Ikari.
"DEFENDER-Vier meldet Sichtkontakt!"
Ein kleiner grüner Punkt markierte die EVAs im Trümmerfeld der Schlacht.
"Letztes Schwarmschiff vernichtet."
Die Stimme des vermeldenden Operators klang ungläubig, so als ob er an dem Sieg zweifelte.
"Wir haben alle... NIMROD hat..."
"Geben Sie mir eine Verbindung mit Tokio."
"Kommt, Sir."
Wieder hatte Gendo Roderick am anderen Ende.
Der Lieutenant-Colonel salutierte knapp.
"Marschal."
"Auftrag ausgeführt. Das können Sie dem Rat melden."
"Wir haben es auch gesehen."
"Haben Sie auch die EVAs bemerkt?"
"Ja. Wir leiten gerade Phase 2 ein, die noch flugfähigen Shuttles sind unterwegs zum Sammelpunkt bei der I.S.S. Von Canaveral starten in wenigen Stunden zwei Rettungsfähren, um die Piloten der DEFENDER-Einheiten an Bord zu nehmen."
"Ich weiß, daß die Shuttles nie für einen Rückflug gebaut worden sind. Wie bekommen wir die Piloten der EVAs wieder auf die Erde?"
"Ich mache mich gleich auf den Weg nach Baikonur, die Russen scheinen eine Lösungsmöglichkeit zu haben."
"Halten Sie mich auf dem Laufenden."
"Natürlich... Sir."
*** NGE ***
EVA-01 verlor den Magnetkontakt mit der Schiffshülle, ruderte mit dem Armstumpf, versuchte, sich mit der intakten Hand festzuhalten, vergeblich.
Etwas packte ihn am Bein.
Shinji sah nach unter, sah, daß es EVA-02 war, der sich mit einem Sprung aus der Masse der Satchiels gelöst hatte, und EVA-01 gefolgt war.
EVA-02 sah äußerst mitgenommen aus, ein Bein fehlte gänzlich, die Brustpanzerung hing in Fetzen und beim Kopfsegment zeigten sich die nackten Knochen.
"Shinji, Rei, hört ihr mich?"
Asukas Gesicht erschien auf einem der kleinen Bildschirme der Kommunikationsphalanx.
"Ja."
Shinji atmete auf.
Die beiden EVAs trieben fort von dem Schwarmschiff.
"Das war´s dann wohl", murmelte Asuka. "Auf dem Schiff hätten wir wenigstens noch per Anhalter zur Erde gelangen können..."
"Wir schaffen es schon... irgendwie..."
In diesem Moment explodierte das Flaggschiff der Angeloi.
"Ah... ah... so fest habe ich doch gar nicht zugeschlagen..." stotterte Shinji.
"Das kam von dort."
Rei zeigte auf den blauen Ball zur Linken des EVA, welcher nach einer entsprechenden
Kopfdrehung mehr als das halbe Sichtfeld ausfüllte.
Eine Anzeige vor ihnen leuchtete auf.
"Jemand ruft uns."
"Ja."
Rei drückte einen Knopf, schaltete den Sender ein.
"DEFENDER-Vier... Rettungsshuttle unterwegs... Kurs halten..."
Langsam zog ein Weltraumshuttle an ihnen vorbei, entfernte sich zusehenst.
Der Kontakt brach wieder ab.
"He, warum fliegen die weiter?" rief Asuka.
"Hm, vielleicht weil die EVAs zum Abschleppen zu groß sind?" brummte Touji und verzog schmerzhaft das Gesicht, als Asuka ihm den Ellenbogen in den Magen rammte.
"Wir sollen warten."
"Klar, Wondergirl. Etwas anderes können wir auch gar nicht. Zumindest meine Jetpacks
sind ausgebrannt. Und Energie ist auch nicht mehr viel da."
"Uhm, Asuka, wie lange hält euer Lebenserhaltungssystem durch?"
"Etwa dreißig Stunden. Bis dahin müßten die es doch geschafft haben, uns Hilfe zu schicken, oder?"
Sie wurde mit jedem Wort leiser.
"Ja, das werden sie."
Shinji zwang sich zu einem Lächeln.
"Wir sollten den ständigen Kontakt unterbrechen, um Energie zu sparen", schlug Rei vor. "Dazu Abschaltung der taktischen Computer und aller überflüssigen Anlagen, damit die Lebenserhaltung auf weitere Energiereserven zurückgreifen kann."
"Ist gut."
Asuka ging ohne weitere Worte auf Reis Vorschlag ein.
"Merkt ihr auch, daß es kälter wird?"
"Uhm, ja."
Das Lächeln auf Shinjis Lippen löste sich auf.
Rei überprüfte die Anzeigen.
"Wir haben für fünfundzwanzig Stunden Luft, die Umwälzanlage ist beschädigt."
Shinji schluckte. Da half auch ein S2-Organ, welches EVA-01 unbegrenzt mit Energie versorgen konnte, nichts mehr.
Fünfundzwanzig Stunden...
Rei sprach weiter, als berühre sie das nicht sonderlich.
"Die Kälte, die wir spüren, ist die Kälte des Alls, sie dringt langsam durch die isolierte Hülle des EntryPlugs. Die Wahrscheinlichkeit, ob wir erfrieren oder zuerst ersticken ist etwa gleich groß."
"Und... und das sagst du einfach so, Rei?"
Asuka blinzelte heftig.
"Wie kannst du einfach so sagen, daß wir in ein paar Stunden steifgefroren sind?"
"Weil ich darauf vertraue, daß man uns vorher retten wird, deshalb. Was die Kälte angeht - in der Rückenlehne unter dem Fach des Notfallpacks befindet sich eine Thermodecke, damit solltet ihr es etwas länger aushalten können, wenn vorher das LCL abgepumpt wird."
Sie nahm die nötigen Schaltungen vor. Der EntryPlug leerte sich.
Asuka nickte.
"Daß ich eines Tages mit Touji unter eine Decke..." Sie drehte den Kopf. "Suzuhara, wenn du dich nicht benimmst, werfe ich dich aus der Luke!"
Touji zog den Kopf zwischen die Schultern und nickte hastig.
*** NGE ***
Kaum daß Lieutenant-Colonel Rodrick Falks Hubschrauber in der Nähe des Kontrollzentrums des russischen Weltraumbahnhofes Baikonur gelandet war, hatte ihn der Direktor der Anlage, Major Wassili Garinov, in Empfang genommen und zum Hauptgebäude gelotst.
"Sie haben gesagt, Sie wüßten eine Möglichkeit, unsere Piloten zu bergen?"
"Ja, ja, Colonel. Das Unterfangen hat höchste Priorität, gleich nach der Bergung der DEFENDER-Crews."
Sie hasteten durch lange unterirdische Korridore, die in einen Kontrollraum führten.
"Dort, sehen Sie..."
Durch die Beobachtungsfenster des Kontrollraumes konnte Falk auf eine Startrampe blicken.
"Das ist ein altes Space-Shuttle."
"Ja, die Endeavor, die NASA hat sie uns für den Museumsbereich zur Verfügung gestellt, als sie die alten Shuttles ausrangierten. Wir haben sie in zwei Stunden startbereit und in etwa fünfzwanzig Stunden im Zielbereich."
"Ausgezeichnet."
"Um wieviele Personen geht es eigentlich? Die Informationen, die wir bekommen haben, waren etwas spärlich."
"Im Zielgebiet befinden sich zwei Einheiten der EVANGELION-Baureihe..."
"Riesenroboter unseren Analysen nach."
"Ja. Mehr darf ich Ihnen ohne Erlaubnis Marschal Ikaris nicht über sie mitteilen, außer der Bergungsprozedur für die EntryPlugs."
"Die was?" kam es von einem älteren grauhaarigen Mann.
"Die Steuerkapseln. Ist die Endeavor mit einem... Greifarm ausgerüstet?"
"Ist sie."
"Ursprünglich hatten wir vier dieser Einheiten mit jeweils einem Piloten. Wir wissen nicht, wieviele unserer Piloten überlebt haben."
"Also maximal vier Personen, gut." murmelte der Grauhaarige.
"Ah, Colonel, das ist übrigens Commander Jurij Shernow, unser bester Pilot. Er wird die Endeavor nach oben bringen."
"Naja, alle anderen sind schon oben. Also hat man mich geholt. Captain Vladimir Eristoi, mein Copilot, befindet sich schon an Bord."
"Commander, bei den Piloten handelt es sich um vierzehnjährige Kinder."
"Kinder?"
"Die einzigen, welche als Piloten in Frage kamen, stellen Sie keine weiteren Fragen."
Shernow nickte.
"Das einzige, was uns noch einen Strich durch die Rechnung machen kann, ist das Wetter", erklärte der Direktor. "Sehen Sie, über der Startanlage ziehen sich Gewitterwolken zusammen. Wahrscheinlich hängt es mit der Explosion am Südpol zusammen - das komplette Wettersystem ist leicht durcheinandergekommen."
"Und?"
"Wahrscheinlich wird das den Start verzögern..."
Shernow räusperte sich.
"Dann versäumen wir das Startfenster. Wie steht es um die Sauerstoffreserven dieser... EVANGELIONs?"
"Etwa dreißig Stunden... von denen inzwischen fünf verstrichen sind."
"Bis zum nächsten Startfenster vergeht zuviel Zeit", erklärte der Pilot. "Ich schlage vor, wir beschleunigen die Startvorkehrungen und bringen die Kiste so schnell wie möglich in die Luft."
"Commander, das Risiko..."
"Es geht um Kinder", knurrte der zweite Russe. "Da sollte kein Risiko zu groß sein..."
Garinov gab ein Zeichen der Einverständnis.
Falk nickte dem Piloten zu.
"Danke, Commander Shernow."
"Kinder sind unsere Zukunft."
*** NGE ***
Der Countdown bis zum Versagen der Lebenserhaltung raste unaufhaltsam herunter.
Shinji und Rei saßen in eine Thermodecke gewickelt im Pilotensitz von Einheit-01, eng aneindergepreßt. Es war kalt geworden in den letzten Stunden...
Der Junge hatte die Augen geschlossen, sein Atem ging ruhig, er schlief.
Sie hatten sich darauf geeinigt, abwechselnd nach eintreffenden Rettern ausschauzuhalten.
Reis Blick wanderte zum wiederholten Mal zur Ausstiegsluke. Zwei Personen verbrauchten mehr Sauerstoff als eine. Wenn sie schnell war, konnte sie den Plug verlassen, und Shinji mehr Zeit gewinnen...
Sanft streichelte sie seine Wange. Seine Haut war so kalt...
Wieder sah sie zur Luke, begann vorsichtig, von seinem Schoß herunterzurutschen, um ihn nicht zu wecken.
Shinji öffnete die Augen, sah sie an, folgte dann ihrem Blick.
"Rei, was hast du vor?"
"Zeit gewinnen... für dich..."
Er hielt sie fest, zog sie zurück. Seine Arme waren wie Stahlklammern, als er sie an sich preßte.
"Nein, denk nicht einmal daran."
"Aber du würdest leben."
"Und was für ein Leben wäre das? Erkauft mit dem deinen?! Wir schaffen es, hörst du, wir schaffen es. Sicher bekommen wir gleich Hilfe..."
"Das hast du schon vor zehn Stunden gesagt."
"Ja, und ich glaube auch jetzt noch daran", flüsterte er eindringlich. "Glaube, Hoffnung, Vertrauen, alles ist eins."
"Wahrheit..."
"Ja. Deshalb kann ich das nicht zulassen... eher würde ich es tun."
Sie blickte ihn entsetzt an, schluckte.
"Nein... niemals... Das darfst du nicht."
"Dann sind wir uns ja einig."
Er zog die Decke wieder über ihre Schultern, verzog das Gesicht.
"Was ist?"
"Eingeschlafene Beine."
Er saß im Schneidersitz, die Decke war an einem Ende zwischen seine Beine und die Sitzfläche geklemmt. Shinji konnte Reis Herzschlag durch den Stoff ihrer PlugSuits spüren. Die Anzüge fühlten sich kalt an.
Ihr beider Atem stieg in hellen Wölkchen auf.
Wenn er nicht festgeschnallt gewesen wäre, wäre er schwerelos im Plug herumgeschwebt.
So hielt er noch Rei fest.
"Shinji..."
Sie brachte ihren Kopf ganz nah an den seinen, so daß er ihren warmen Atmen auf dem Gesicht spürte.
"Rei-chan?"
"Ich will so nicht sterben."
"Wir werden nicht sterben."
In ihren Augen standen Tränen.
"Ich will hoffen, aber es geht nicht. Wir haben unseren Zweck erfüllt."
"Rei, bitte, sag das nicht."
Sie legte ihre Arme um ihn und küßte ihn. Shinji erwiderte die Umarmung, zog sie noch mehr an sich heran, spürte jetzt ihre Körperwärme durch den Stoff hindurch.
Eine ganze Weile verharrten sie so, Wange an Wange, dem jeweils eigenem Herzschlag und der Atmung des anderen lauschend.
"Shinji..."
"Ja, Rei?" wisperte er in ihr Ohr.
"Willst du eins mit mir werden?"
"Agh... agh... eins?"
"Körper, Geist und Seele?"
"Rei, ich..."
Er schob eine Hand unter der Decke hervor, bewegte zugleich den Kopf nach hinten, so daß er ihr besser in die Augen sehen konnte, berührte ihre Wange mit den Fingerspitzen.
"Möchtest du?"
Shinji schluckte.
"Du meinst... Sex?"
"Ja."
Sie berührte den am Handgelenk befindlichen Dekompressionsschalter ihrer PlugSuit, drückte ihn. Das Material des Anzuges verlor seine Straffheit. Schon begann sie damit, die Schulterstücke zurückzustreifen.
Er legte die Hand auf die ihre, schob den Stoff wieder auf die Schulter zurück.
"Das hieße jetzt aufzugeben. Glaub mir, Rei, ich möchte es... aber nicht so... nicht unter diesen Umständen... Wenn wir... wenn wir es tun, dann nicht aus Verzweiflung... oder weil wir glauben, sonst keine Gelegenheit mehr zu haben..."
"Ich verstehe."
Wieder zog er sie an sich, vergrub das Gesicht in der Beuge ihres Halses, wiederholte leise die drei Worte.
"Ich liebe dich..."
"Ich weiß. Ich habe es schon immer gewußt... Mein Herz gehört dir."
Rei zog die Decke fester um sie zusammen.
Wieder verging Zeit.
Diesesmal war es Shinji, der die Stille brach.
"Was wohl Touji und Asuka machen?"
*** NGE ***
Im EntryPlug von EVA-02 bot sich gar kein so anderes Bild, nur hockten hier die beiden Kinder aneinandergepreßt am Boden der Kapsel, die Decke um sich gewickelt, jeweils einen Arm um die Schulter des anderen gelegt, die Füße unter der Steuerung verhakt, um nicht unabsichtigt fortzuschweben.
Asukas Kopf lag auf Toujis Schulter.
"Suzuhara, wenn du mich im Schlaf befummelst... zzz... zzz... zzz..."
Touji verdreht nur die Augen und blickte zum Hauptbildschirm empor, der immer noch die fernen Sterne zeigte.
"Ich wollte nie Astronaut werden... vielleicht Lokomotivführer... aber niemals Astronaut..."
*** NGE ***
Gendo Ikari ging in der Kommandozentrale von Antarktica unruhig auf und ab, blickte immer wieder auf den Countdown, der die von den MAGI berechnete voraussichtliche Zeitspanne anzeigte, welche den Piloten der EVAs noch verblieb. Und dabei wußte er nicht einmal, ob sein Sohn unter den Überlebenden war.
Mittlerweile hatten die Rettungsshuttles den Orbit erreicht und die überlebenden Crewmitglieder der DEFENDER-Einheiten übernommen. In den nächsten Tagen würden zwei weitere Starts nötig sein, um auch den letzten der Astronauten von der Raumstation zur Erde zurückzubringen.
"Wir haben so verdammt hoch gepokert", bemerkte einer der Offiziere, die sich in der Zentrale versammelt hatten, ein Syrier.
"Und dennoch haben wir es geschafft", murmelte ein weiterer Mann mit hebräischen Akzent.
"Ja. Die Wege Allahs sind unergründlich."
"Amen."
"Sir, Kontakt zur Endeavor! Baikonur verbindet uns!"
Ikari gab dem Funkoffizier nur ein knappes Zeiches, indem er auf den großen Bildschirm zeigte. Er fühlte sich plötzlich sehr erschöpft und schwach, nach über drei Tagen ohne Pause auf den Beinen eigentlich kein Wunder. Sein Herz schlug schneller, als das Gesicht des russischen Piloten auf dem Monitor erschien.
"Wir sind jetzt in Sichtweite Ihrer EVAs. Bisher keine Reaktion auf unsere Kontaktversuche. Bereiten Bergung wie beschrieben vor."
Damit wurde die Verbindung wieder unterbrochen, stattdessen erschien Roderick Falk auf dem Schirm.
"Es wird knapp."
"Ja", krächzte Gendo.
*** NGE ***
Auf der Kom-Phalanx leuchtete wieder ein Licht auf.
Shinji blinzelte. War es nur ein Licht, oder mehrere, oder sah er doppelt?
Das Atmen fiel ihm schwer. Und ihm war so kalt.
"Rei..."
Er schüttelte sie leicht.
"Hm..."
Quälend langsam tastete sich seine Hand über die Konsole, drückte den Knopf.
"Ja?"
Und zugleich sah er das Shuttle, welches sich aus seinem Blickwinkel oberhalb von EVA-01 befand.
"Rei, sie sind da... sie holen uns..."
Tränen liefen über sein Gesicht.
*** NGE ***
"Bergung der EntryPlugs abgeschlossen", meldete Captain Eristoi. "Wir haben vier Personen an Bord geholt."
"Vier?" wiederholte Gendo, um sicherzugehen, daß er richtig gehört hatte.
"Bestätige, vier Personen. Alle gesund, leicht unterkühlt und etwas orientierungslos, aber ansonsten in Ordnung."
"Danke, Captain... Kehren Sie zur Erde zurück. POLAIRS schickt Ihnen einen Leitstrahl."
"Verstanden. Wir melden uns vor dem Eintritt in die Atmosphäre wieder."
Das Bild erlosch.
Ikari brach in die Knie.
"Sie leben... sie leben alle vier!" brüllte er und warf die Fäuste in die Luft.
Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Auf einer anderen Ebene der Zentrale begannen zwei Operatoren zu applaudieren. Mit einem Mal war sämtliche Spannung aus dem Raum gewichen.
Ikari zog sich an einer Schaltkonsole wieder auf die Beine.
"Ich brauche sofort Kontakt zu Falk!"
"Wird hergestellt, Marschal!"
Roderick Falks Gesicht erschien auf dem Schirm. Er schien nicht weniger müde zu sein als Gendo.
"Ein gutes Ende... noch müssen sie wieder ´runterkommen, aber das schaffen die beiden Russen, da bin ich ganz sicher."
"Ich komme zu Ihnen."
"Hm... ich werde die Leute hier anweisen, Sie in Empfang zu nehmen..."
"Was haben Sie vor, Falk?"
"Ich muß meine Frau beerdigen."
Der Ire salutierte.
"Marschal."
"Ja, tun Sie das."
Er erwiderte den Gruß.
*** NGE ***
Shinji bekam von einem der Russen eine Metallflasche an die Lippen gedrückt.
"Trinken."
Er nahm einen Schluck, mußte husten.
"Was ist das?"
"Wodka, guter russischer Wodka, echtes Lebenselixier. Wärmt von innen. Nimm noch einen
Schluck!"
Die Kinder hockten alle vier zusammengepreßt wie die Sardinen auf einer Bank im hinteren Teil des Cockpits der Endeavor, der russische Commander hockte vor ihnen, ohne daß seine Füße den Boden berührten, und grinste sie an.
*** NGE ***
Das Wetter über Baikonur hatte sich verschlechtert. Über den Anlagen tobte ein schweres Unwetter. Ähnlich sah es über den meisten Landebahnen aus, auf denen das Shuttle, dem gegenwärtigen Kursvektor folgend, hätte landen können.
Shernow entschied sich daher für eine Wasserung im Pazifik.
*** NGE ***
In der Nähe von Hawaii trieb ein Motorfischerboot auf den Wellen, im Gegensatz zum Rest der Welt war hier der Himmel klar und wolkenlos.
In dem Boot saßen zwei Männer und angelten.
Der eine sah zum Himmel.
"Du, Sladdi, ich glaub, ich seh´ eine Sternschnuppe."
"Echt, Jürgen? Aber es ist doch heller Tag."
Der andere verreckte sich den Hals, um in die Richtung zu blicken, in die sein Freund zeigte.
Ein Schatten fiel über das Motorboot wie der Schatten eines großen Bruders, der Schatten eines Flugzeugträgers.
Eine Stimme bellte:
"Verlassen Sie sofort diese Gewässer!"
*** NGE ***
Gendo stand an der Reling des Flugzeugträger Ronald Reagan und beobachtete den Himmel.
Das Schiff gehörte zur Pazifikflotte der Vereinigten Staaten, fuhr an diesem Tage aber nicht nur unter der Flagge der UN, sondern auch von NERV. Durch die Anwesenheit des Marschals an Bord wurde es zum Flaggschiff der irdischen Streitkräfte.
In der Nähe standen seine Frau und die anderen Eltern, sogar Asukas Eltern waren beide Gendos Aufforderung nachgekommen. Ebenfalls anwesend waren Misato, Kaji, Kensuke und Hikari, sowie der ihnen zugelaufene Pinguin, welcher sich als blinder Passagier an Bord des Fluges geschmuggelt hatte, mit dem Gendo zuerst von der Antarktis nach Rußland und dann weiter nach Hawaii gereist war.
Am Himmel tauchte ein einzelner Stern auf, kam rasch näher.
Eine Ordonanz meldete, daß ein Fischerboot aus dem Landegebiet verscheucht worden war.
Ein leises, stetig näherkommendes Donnern war zu hören.
Dann schoß die Endeavor umtanzt von glühendheißer Luft vom Himmel.
*** NGE ***
"Da gehen die Hitzeschilde", knurrte Shernow als Reaktion auf ein Scheppern.
"Korrekturschubdüsen versagen."
Eristoi fluchte.
"Nicht vor den Kindern, Vladimir!"
"Die haben wahrscheinlich Schlimmeres durchgemacht. Die rechte Tragfläche löst sich!"
"Ganz ruhig."
"Hochziehen! Zieh sie hoch!"
*** NGE ***
Im scheinbar letzten Moment wurde die Nase des Shuttles hochzogen und die Endeavor legte eine Bauchlandung hin, verschwand im nächsten Moment hinter einer Wand aus Dampf, als das Wasser des Ozeans mit der heißen Hülle in Kontakt kam.
Von den nächsten Schiffen des Verbandes, zu dem die Reagan gehörte, wurden Boote zu Wasser gelassen, ein Kreuzer navigierte vorsichtig näher an das Shuttle heran, um es in Schlepp zu nehmen.
Die Sicht wurde wieder klar. Eine Ausstiegsluke wurde aufgestoßen, ein roter Haarschopf erschien in der Öffnung, dazu ein winkender Arm.
Gendo sah zu seiner Frau hinüber.
"Sie haben es geschafft."
Er lächelte.
*** NGE ***
Irgendwo in einer nur spärlich erleuchteten Kammer starrte Lorenz Keel auf einen von innen heraus leuchtenden Würfel aus Kristall. Im inneren des Kristall eingeschlossen war ein mensch-licher Finger. Über dem Kristall drehte sich die Projektion einer Doppelhelix.
"So beginnt es also... der Schlüssel zur Unsterblichkeit..."
ENDE...
Am Himmel über dem Festungsstützpunkt erstrahlten am hellichten Tage zwölf Sterne.
Sie waren ohne Vorwarnung erschienen, waren einfach aufgetaucht, nachdem die PROMETHEUS in einer selbstverstörerischen Kamikaze-Aktion auf die eintreffende Invasionsstreitmacht der Angeloi herabgestürzt und diese mit sich in den Untergang gerissen hatte.
Die subpolare Geofront lag teilweise offen, die Eisdecke war unter der Wucht der Explosion der S2-Maschine der PROMETHEUS geschmolzen oder in den Hohlraum herabgestürzt. Mehrere der Gebäude der alten Angeloi-Stadt wiesen schwere Schäden auf, das spindelförmige Bauwerk, welches die Portalsteuerung beherbergt hatte, war nur noch ein geschwärzter Klumpen Beton.
In der Pyramide, in der der taktische Stab von NERV sein Kommandozentrum eingerichtet hatte, war es empfindlich kalt geworden. Die geothermischen Kraftwerke hatten die Arbeit eingestellt, so daß keine Wärme mehr aus dem Erdinneren in die Geofront gepumpt wurde, dazu kam die antarktische Kälte, die sich allmählich erobernd im bis dahin abgeschirmten Bereich ausbreitete.
Colonel Gendo Ikari und die nun in Abwesenheit oder nach Versterben aller höherrangigeren Offiziere seinem Kommando unterstehenden NERV-Mitarbeiter trugen dicke pelzgefütterte Jacken, während sie sich bemühten, den Kontakt zur Außenwelt wiederherzustellen, welcher während der Invasion abgebrochen war.
"Sir, Satellitenverbindung steht. Wir haben einen Direktlink zu POLARIS!" vermeldete einer der Techniker.
"Auf den Hauptschirm."
POLARIS, das satellitengestützte Beobachtungssystem, welches in den letzten Monaten sehr hilfreich beim Aufspüren alter Angeloi-Hinterlassenschaften und -Nester gewesen war...
"Colonel, POLARIS steht derzeit unter der Kontrolle des tokioter Hauptquartiers. Die Beobachtungsressourcen sind auf das Phänomen über uns gerichtet."
"Gut. Arbeiten Sie als nächstes an einer Wiederherstellung des Kontaktes mit Tokio."
"Bild kommt."
Auf dem Hauptmonitor erschienen zwölf bienenkorbähnliche Objekte, welche Feuerschweife hinter sich herzogen.
"MAGI identifizieren Objekte als Kriegsschiffe der Angeloi... das sind Raumschiffe, Sir!"
Ikari hörte die aufsteigende Panik in der Stimme des Operators, spürte selbst Furcht.
"Eine Armada..." flüsterte er, fing sich wieder. "Werden vom Hauptquartier aus bereits Gegenmaßnahmen ergriffen?"
"Kontakt mit Hauptquartier steht. Unsere MAGI übermitteln einen Bericht über die Ereignisse an das dortige System. Abwehrmaßnahmen werden eingeleitet. Waffenträgershuttles der DEFENDER-Klasse starten. NIMROD enttarnt sich und erhält über POLARIS die Zielkoordinaten! Waffenplattformen werden ausgerichtet!"
Das Bild der sich nähernden Invasionsflotte wurde von einem computergenerierten dreidimensionalen Bild von Erde und Mond abgelöst. Rund um die Erde erschienen mehrere Punkte, wurden in der Vergrößerung dargestellt. Es waren künstliche Satelliten, die mit Raketenabschußvorrichtungen und Geschützen bestückt waren, orbitale Waffenplattformen.
NIMROD war aktiv geworden...
Zugleich wurden noch in der Atmosphäre befindliche, sich bewegende Objekte gezeigt und als Shuttle der DEFENDER-Klasse identifiziert, dreizehn an der Zahl.
Die letzte Schlacht sollte im Erdorbit ausgefochten werden...
*** NGE ***
"Sir, Lieutenant-Colonel Falk für Sie."
Ikari nickte und schaltete das Gespräch auf den Bildschirm seines Terminals.
Das Gesicht des Europäers mit den grünen Augen wirkte versteinert, nur das Gewebe um die verästelte Narbe auf der einen Gesichtshälfte zuckte ständig, als hätte es ein Eigenleben entwickelt.
"Colonel Ikari, wie sieht es bei Ihnen aus?"
"Der Bericht der MAGI dürfte Ihnen zugegangen sein. Wir haben die PROMETHEUS und Kapitän Tamakura verloren, dazu leichte Schäden am Festungsring und in der Geofront, sowie etwa fünfzig Leichtverletzte. Ich habe Anweisung zur Räumung des Stützpunktes gegeben, da das Portal vernichtet wurde."
"Ja. Ich muß Ihnen für Ihren Spürsinn gratulieren. Doktor Akagi ist es gelungen, den Bardiel auszuschalten, bevor dieser NIMROD lahmlegen konnte."
"Also doch..."
Falk schluckte.
"Allerdings ist es ihm zuvor gelungen, meine Frau zu töten..."
"Das... das tut mir sehr..."
Der Grünäugige schüttelte den Kopf.
"Nein, Colonel, dazu ist jetzt keine Zeit. Ich kann trauern, wenn wir die Gefahr abgewendet haben."
"Verstehe."
Die beiden tauschten einen Blick aus, der mehr sagte als Worte. Beide hatten einen geliebten Menschen verloren, der eine die Ehefrau, der andere den einzigen Sohn. Und beide verschlossen ihre Herzen bis zu dem Moment, an dem die Pflicht von ihren Schultern genommen werden würde...
"Ikari, laut MAGI kommen die Schiffe der Angeloi in etwa zehn Stunden in den Erfassungsbereich der Waffenplattformen. Die Shuttle werden den Orbit zur selben Zeit erreichen. Allerdings stehen die Erfolgsaussichten sehr schlecht, nachdem wir Ihre Aufzeichnungen über die kombinierten AT-Felder der Angeloi analysiert haben."
"Sir?"
Gendo sah den Höherrangigen fragend an, erwartete Anweisungen.
"Der Kursvektor der Schiffe zielt auf Ihren Standort. Wahrscheinlich werden sie in der Antarktis einen Brückenkopf errichten wollen, weil sie davon ausgehen, daß die Matriel-Streitmacht Sie überrannt hat."
"Ich verstehe. Unter diesen Umständen werde ich das kampffähige Personal und die UN-Streitkräfte hierbehalten und alle anderen mit den zur Verfügung stehenden Transportmitteln zum Stützpunkt an der Küste evakuieren."
"Ikari, so..."
"Ich werde die Angeloi hier erwarten."
"Ihre Überlebenschancen sind sehr gering."
"Genau wie an jedem anderen Ort der Welt, wenn sie erst einmal gelandet sind."
Falk nickte.
"Gut, dann habe ich Sie richtig eingeschätzt. Ich habe gerade mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gesprochen und ihn über den Tod Marschal Shigens in Kenntnis gesetzt. Sie werden sich gleich mit Ihnen in Verbindung setzen."
"Ich... in Ordnung."
"Jetzt liegt es nicht mehr in unserer Hand. NIMROD wurde von Diane übernommen, die MAGI werden die letzte Schlacht schlagen. Und falls unsere Abwehrmaßnahmen scheitern... Viel Glück, Colonel."
"Ihnen auch, Sir, Ihnen auch..."
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Gendo lehnte sich zurück, atmete tief ein, gab die Anweisungen bezüglich der Räumung des Stützpunktes und der Vorbereitung eines Hinterhaltes...
"Colonel, ein Anruf aus dem UN-Hauptquartier auf der Sicherheitsleitung."
"Legen Sie ihn auf den Hauptschirm."
"Sir?"
"Machen Sie schon, wir stecken ohnehin alle mitten drin."
Das Bild des Hauptmonitors wechselte, zeigte einen halbrunden Tisch mit dem Symbol der UN auf der Stirnseite, um den mehrere Männer und Frauen saßen, der UN-Sicherheitsrat, welcher in dieser Krisensituation das Kommando übernommen hatte.
Der Vorsitzende des Rates stand auf, beugte sich vor.
"Colonel Gendo Ikari?"
Auch Gendo stand mittlerweile.
"Ja."
"Ich will es kurz machen. Wir wurden gerade vom Tod Marschal Shigens in Kenntnis gesetzt."
"Ja. Mir ist bekannt, daß wir den Oberkommandierenden verloren haben."
"Colonel, der Marschal hat Sie als seinen Nachfolger vorgeschlagen."
Automatisch trat Ikari einen Schritt zurück.
"Mich?"
"Ja. Für den Fall, daß er ausfallen sollte, hat er Herrn Naga eine Liste mit potentiellen Nachfolgern übergeben. Sie befinden sich an erster Stelle. Akzeptieren Sie?"
"Sicher gibt es fähigere als mich..."
Er spürte, wie die Blicke der Brückencrew auf ihm ruhten, zwang sich zu innerer Ruhe.
"Nicht, wenn es nach ihm geht. Wir sind gewillt, seinen letzten Willen auszuführen und auf sein Urteil zu vertrauen. Also?"
Gendo nickte.
"Akzeptiert - bis zum Ende der Krise."
"Wir übermitteln Ihren die Autorisierungscodes. Sie kennen Ihren Auftrag."
"Natürlich."
"Gut... Marschal Ikari."
Die Verbindung erlosch, das Bild wurde wieder von der sich nähernden Flotte ersetzt, in der unteren rechten Ecke lief der Countdown bis sie in den Erfassungsbereich der orbitalen Waffensysteme kommen würde.
Und in der Kommandozentrale brandete spontaner Applaus auf...
*** NGE ***
Der Countdown war abgelaufen. Wie berechnet erreichte die Invasionsflotte den von NIMROD abgedeckten Bereich.
Die Satellitensysteme wurden aktiv, längst waren sie so ausgerichtet, daß die Waffen nicht mehr auf die Erde gerichtet waren, wo sie eigentlich dazu gedacht gewesen waren, Angeloi-Bodentruppen unter Beschuß zu nehmen, sondern in die Weite des Alls. Längst waren alle Berechnungen getätigt, alle Zielvektoren berechnet worden. Die orbitalen Positronengeschütze eröffneten das Feuer, zugleich starteten Langstreckenraketen mit N2-Sprengköpfen.
Den Raketen folgten die ebenfalls im Orbit eingetroffenen DEFENDER-Shuttles, welche ihre Frachtluken geöffnet und selbst schwere Geschütze in Position gebracht hatten.
Die DEFENDER-Shuttles, in einem geheimen Programm gebaute manövrierfähige Waffenplattformen, ausgelegt auf Wendigkeit und Feuerkraft, nicht dazu gedacht, wieder zur Erdoberfläche zurückzukehren...
*** NGE ***
Auf breiter Front zuckten weitgefächerte Energiestrahlen der Angeloi-Flotte entgegen, verpufften wirkungslos an den vor der Besatzung generierten AT-Feldern. Ihnen folgten zahllose Raketen, denen es nicht besser erging.
Eine Handvoll im Vergleich zu den Schwarmschiffen winzige Shuttles rasten zwischen die riesigen Bienenkörben, aus allen Rohren feuernd.
Ein kurzes Aufflackern der Angeloi-Geschütze später war der Verteidigungsstreitmacht auf vier flugfähige Shuttle reduziert worden.
"Sie wissen, daß sie keine Chance haben... und dennoch kämpfen sie..." flüsterte Imperatrix Sal-Lilith von ihrem Thron auf der Brücke des Flaggschiffes.
"Bewundernswert, diese Energie", wisperte das Oberste Gehirn, welches neben ihr schwebte.
"Nein, Dummheit. Dummheit und Verschwendung."
"Natürlich, Majestät, natürlich."
"Wurden diese lästigen... Scheußlichkeiten bereits vernichtet?"
"Noch nicht. Die beiden... Konstrukte der Lillim befinden sich noch immer in Bewegung. Aber die Imperiale Garde selbst wird sie aufhalten."
"Gut. Fortfahren."
Sie lehnte sich zurück, ein Lächeln auf den Lippen. In wenigen Stunden würde ihre Streitmacht die Erde erreichen. Und dann würde das Ende der Menschheit eingeläutet werden und ihr Volk sich an der Lebenskraft der Lillims nähren.
"Majestät..."
Die piepsige Stimme des Bardiels neben ihr riß sie aus ihren Gedanken.
"Was?" fuhr sie das Oberste Gehirn an.
Dieses wies mit einem seiner Tentakelarme auf die große Sichtscheibe - und den einarmigen purpur-grünen Giganten, welcher gerade davor zum Schlag ausholte.
Mit lautem Knall zerbarst die Scheibe, schoß die Faust des Riesen in die Kommandozentrale hinein. Die Druckwelle genügte, um die Imperatrix von ihrem Thron zu fegen. Ihr Schrei wurde von ihren Lippen gerissen, als die Luft aus der Zentrale in die Leere des Weltraum gesogen wurde...
*** NGE ***
"Beschuß wirkungslos!" - "DEFENDER-Einheiten Zwei, Fünf, Sechs, Sieben, Neun und Elf
zerstört! Einheiten Acht und Dreizehn manövrierunfähig. Kontakt zu Einheit Drei verloren!"
Mehrere Punkte auf dem Monitor erloschen.
Gendo ballte die Fäuste, spürte einen leichten Schmerz, als sich seine Fingernägel hart in die Haut bohrten.
"Sir, die Amerikaner übermitteln die Kommandocodes für ihren Raketenschild!"
"An NIMROD weiterleiten! Diane soll den Beschuß koordinieren!"
"Weitere Übermittlungen! Die Russen... China... ich hätte nie gedacht, daß sich soviele bewaff-nete Satelliten im Orbit befinden..."
"Alles weiterleiten!"
"Ja, Marschal!"
Plötzlich brach der Verband der Schwarmschiffe auseinander, die Bienenkörbe drifteten von-einander weg, nahmen sich gegenseitig unter Beschuß.
"Was passiert da?" brüllte Gendo, der einen Anflug von Hoffnung verspürte.
"Sir, MAGI weisen auf eine Übertragung von DEFENDER-Zwei hin, direkt bevor die Einheit
zerstört wurde."
"Abspielen!"
Die Aufnahme zeigte das größte der Schwarmschiffe aus unmittelbarer Nähe.
Auf der Oberfläche befand sich eine unüberschaubare Zahl von Satchiels, die einen Nahkampf mit einem roten Giganten verstrickt waren. Ein zweiter Riese, dieser in Purpur und Grün, durchbrach die Reihen der Satchiels, rannte direkt auf die Brückensektion des Schwarmschiffes zu, holte mit geballter Faust aus...
Die Übertragung brach ab.
"EVA-02 und -01..." flüsterte Gendo. Dann schrie er: "Sie leben!"
"Auswertung von Daten des Hubble-Teleskopes, Sir: Der Schlag des EVANGELION hat mit
ziemlicher Sicherheit die Brückensektion des Schwarmschiffes verwüstet!"
"MAGI liefern ersten Erklärungsansatz. Ich lese vor:
1.Hypothese: Bei dem größten Schiff der Flotte handelte es sich um das Schiff der Imperatrix.
2.Hypothese: Die anderen Schiffe unterstehen jeweils dem Befehl einer Schwarmmutter.
3.Hypothese: Die Imperatrix wurde bei dem Angriff durch EVA-01 getötet.
Schlußfolgerung aufgrund der genannten Hypothesen: Unter den Schwarmmüttern ist ein Nachfolgekrieg um den Thron der Imperatrix ausgebrochen."
"Jetzt? Mitten im Angriff?" warf ein anderer Offizier ein.
Zugleich zerplatzte das mittlerweile dritte Schwarmschiff unter dem Beschuß anderer Angeloi-Schiffe.
"MAGI bestätigen. Es liegt in der Natur der Angeloi, einem einzigen Oberhaupt zu folgen."
Gendo warf den Kopf herum.
"NIMROD soll die Schwarmschiffe unter Punktbeschuß nehmen! Nicht aufgeben, bis das jeweilige AT-Feld geknackt ist!"
"Bestätigt, Sir!"
Erneut nahmen die orbitalen Geschütze die Arbeit auf, spieen die Satelliten den Invasoren einen guten Teil des irdischen Kriegspotentiales entgegen.
Und diesesmal funktionierte es.
Das Schirmfeld des zuerst anvisierten Bienenkorbes gab unter dem Beschuß nach, glühenden
Fingern gleich bohrten sich die Strahlen in das Schwarmschiff, brachten es zur Explosion.
Der Zielfokus NIMRODs wechselte, wandte sich dem nächsten Schiff zu...
Ein Schiff der Invasoren nach dem anderen verschwand vom taktischen Schirm.
"Was ist mit den EVAs?" fragte Ikari.
"DEFENDER-Vier meldet Sichtkontakt!"
Ein kleiner grüner Punkt markierte die EVAs im Trümmerfeld der Schlacht.
"Letztes Schwarmschiff vernichtet."
Die Stimme des vermeldenden Operators klang ungläubig, so als ob er an dem Sieg zweifelte.
"Wir haben alle... NIMROD hat..."
"Geben Sie mir eine Verbindung mit Tokio."
"Kommt, Sir."
Wieder hatte Gendo Roderick am anderen Ende.
Der Lieutenant-Colonel salutierte knapp.
"Marschal."
"Auftrag ausgeführt. Das können Sie dem Rat melden."
"Wir haben es auch gesehen."
"Haben Sie auch die EVAs bemerkt?"
"Ja. Wir leiten gerade Phase 2 ein, die noch flugfähigen Shuttles sind unterwegs zum Sammelpunkt bei der I.S.S. Von Canaveral starten in wenigen Stunden zwei Rettungsfähren, um die Piloten der DEFENDER-Einheiten an Bord zu nehmen."
"Ich weiß, daß die Shuttles nie für einen Rückflug gebaut worden sind. Wie bekommen wir die Piloten der EVAs wieder auf die Erde?"
"Ich mache mich gleich auf den Weg nach Baikonur, die Russen scheinen eine Lösungsmöglichkeit zu haben."
"Halten Sie mich auf dem Laufenden."
"Natürlich... Sir."
*** NGE ***
EVA-01 verlor den Magnetkontakt mit der Schiffshülle, ruderte mit dem Armstumpf, versuchte, sich mit der intakten Hand festzuhalten, vergeblich.
Etwas packte ihn am Bein.
Shinji sah nach unter, sah, daß es EVA-02 war, der sich mit einem Sprung aus der Masse der Satchiels gelöst hatte, und EVA-01 gefolgt war.
EVA-02 sah äußerst mitgenommen aus, ein Bein fehlte gänzlich, die Brustpanzerung hing in Fetzen und beim Kopfsegment zeigten sich die nackten Knochen.
"Shinji, Rei, hört ihr mich?"
Asukas Gesicht erschien auf einem der kleinen Bildschirme der Kommunikationsphalanx.
"Ja."
Shinji atmete auf.
Die beiden EVAs trieben fort von dem Schwarmschiff.
"Das war´s dann wohl", murmelte Asuka. "Auf dem Schiff hätten wir wenigstens noch per Anhalter zur Erde gelangen können..."
"Wir schaffen es schon... irgendwie..."
In diesem Moment explodierte das Flaggschiff der Angeloi.
"Ah... ah... so fest habe ich doch gar nicht zugeschlagen..." stotterte Shinji.
"Das kam von dort."
Rei zeigte auf den blauen Ball zur Linken des EVA, welcher nach einer entsprechenden
Kopfdrehung mehr als das halbe Sichtfeld ausfüllte.
Eine Anzeige vor ihnen leuchtete auf.
"Jemand ruft uns."
"Ja."
Rei drückte einen Knopf, schaltete den Sender ein.
"DEFENDER-Vier... Rettungsshuttle unterwegs... Kurs halten..."
Langsam zog ein Weltraumshuttle an ihnen vorbei, entfernte sich zusehenst.
Der Kontakt brach wieder ab.
"He, warum fliegen die weiter?" rief Asuka.
"Hm, vielleicht weil die EVAs zum Abschleppen zu groß sind?" brummte Touji und verzog schmerzhaft das Gesicht, als Asuka ihm den Ellenbogen in den Magen rammte.
"Wir sollen warten."
"Klar, Wondergirl. Etwas anderes können wir auch gar nicht. Zumindest meine Jetpacks
sind ausgebrannt. Und Energie ist auch nicht mehr viel da."
"Uhm, Asuka, wie lange hält euer Lebenserhaltungssystem durch?"
"Etwa dreißig Stunden. Bis dahin müßten die es doch geschafft haben, uns Hilfe zu schicken, oder?"
Sie wurde mit jedem Wort leiser.
"Ja, das werden sie."
Shinji zwang sich zu einem Lächeln.
"Wir sollten den ständigen Kontakt unterbrechen, um Energie zu sparen", schlug Rei vor. "Dazu Abschaltung der taktischen Computer und aller überflüssigen Anlagen, damit die Lebenserhaltung auf weitere Energiereserven zurückgreifen kann."
"Ist gut."
Asuka ging ohne weitere Worte auf Reis Vorschlag ein.
"Merkt ihr auch, daß es kälter wird?"
"Uhm, ja."
Das Lächeln auf Shinjis Lippen löste sich auf.
Rei überprüfte die Anzeigen.
"Wir haben für fünfundzwanzig Stunden Luft, die Umwälzanlage ist beschädigt."
Shinji schluckte. Da half auch ein S2-Organ, welches EVA-01 unbegrenzt mit Energie versorgen konnte, nichts mehr.
Fünfundzwanzig Stunden...
Rei sprach weiter, als berühre sie das nicht sonderlich.
"Die Kälte, die wir spüren, ist die Kälte des Alls, sie dringt langsam durch die isolierte Hülle des EntryPlugs. Die Wahrscheinlichkeit, ob wir erfrieren oder zuerst ersticken ist etwa gleich groß."
"Und... und das sagst du einfach so, Rei?"
Asuka blinzelte heftig.
"Wie kannst du einfach so sagen, daß wir in ein paar Stunden steifgefroren sind?"
"Weil ich darauf vertraue, daß man uns vorher retten wird, deshalb. Was die Kälte angeht - in der Rückenlehne unter dem Fach des Notfallpacks befindet sich eine Thermodecke, damit solltet ihr es etwas länger aushalten können, wenn vorher das LCL abgepumpt wird."
Sie nahm die nötigen Schaltungen vor. Der EntryPlug leerte sich.
Asuka nickte.
"Daß ich eines Tages mit Touji unter eine Decke..." Sie drehte den Kopf. "Suzuhara, wenn du dich nicht benimmst, werfe ich dich aus der Luke!"
Touji zog den Kopf zwischen die Schultern und nickte hastig.
*** NGE ***
Kaum daß Lieutenant-Colonel Rodrick Falks Hubschrauber in der Nähe des Kontrollzentrums des russischen Weltraumbahnhofes Baikonur gelandet war, hatte ihn der Direktor der Anlage, Major Wassili Garinov, in Empfang genommen und zum Hauptgebäude gelotst.
"Sie haben gesagt, Sie wüßten eine Möglichkeit, unsere Piloten zu bergen?"
"Ja, ja, Colonel. Das Unterfangen hat höchste Priorität, gleich nach der Bergung der DEFENDER-Crews."
Sie hasteten durch lange unterirdische Korridore, die in einen Kontrollraum führten.
"Dort, sehen Sie..."
Durch die Beobachtungsfenster des Kontrollraumes konnte Falk auf eine Startrampe blicken.
"Das ist ein altes Space-Shuttle."
"Ja, die Endeavor, die NASA hat sie uns für den Museumsbereich zur Verfügung gestellt, als sie die alten Shuttles ausrangierten. Wir haben sie in zwei Stunden startbereit und in etwa fünfzwanzig Stunden im Zielbereich."
"Ausgezeichnet."
"Um wieviele Personen geht es eigentlich? Die Informationen, die wir bekommen haben, waren etwas spärlich."
"Im Zielgebiet befinden sich zwei Einheiten der EVANGELION-Baureihe..."
"Riesenroboter unseren Analysen nach."
"Ja. Mehr darf ich Ihnen ohne Erlaubnis Marschal Ikaris nicht über sie mitteilen, außer der Bergungsprozedur für die EntryPlugs."
"Die was?" kam es von einem älteren grauhaarigen Mann.
"Die Steuerkapseln. Ist die Endeavor mit einem... Greifarm ausgerüstet?"
"Ist sie."
"Ursprünglich hatten wir vier dieser Einheiten mit jeweils einem Piloten. Wir wissen nicht, wieviele unserer Piloten überlebt haben."
"Also maximal vier Personen, gut." murmelte der Grauhaarige.
"Ah, Colonel, das ist übrigens Commander Jurij Shernow, unser bester Pilot. Er wird die Endeavor nach oben bringen."
"Naja, alle anderen sind schon oben. Also hat man mich geholt. Captain Vladimir Eristoi, mein Copilot, befindet sich schon an Bord."
"Commander, bei den Piloten handelt es sich um vierzehnjährige Kinder."
"Kinder?"
"Die einzigen, welche als Piloten in Frage kamen, stellen Sie keine weiteren Fragen."
Shernow nickte.
"Das einzige, was uns noch einen Strich durch die Rechnung machen kann, ist das Wetter", erklärte der Direktor. "Sehen Sie, über der Startanlage ziehen sich Gewitterwolken zusammen. Wahrscheinlich hängt es mit der Explosion am Südpol zusammen - das komplette Wettersystem ist leicht durcheinandergekommen."
"Und?"
"Wahrscheinlich wird das den Start verzögern..."
Shernow räusperte sich.
"Dann versäumen wir das Startfenster. Wie steht es um die Sauerstoffreserven dieser... EVANGELIONs?"
"Etwa dreißig Stunden... von denen inzwischen fünf verstrichen sind."
"Bis zum nächsten Startfenster vergeht zuviel Zeit", erklärte der Pilot. "Ich schlage vor, wir beschleunigen die Startvorkehrungen und bringen die Kiste so schnell wie möglich in die Luft."
"Commander, das Risiko..."
"Es geht um Kinder", knurrte der zweite Russe. "Da sollte kein Risiko zu groß sein..."
Garinov gab ein Zeichen der Einverständnis.
Falk nickte dem Piloten zu.
"Danke, Commander Shernow."
"Kinder sind unsere Zukunft."
*** NGE ***
Der Countdown bis zum Versagen der Lebenserhaltung raste unaufhaltsam herunter.
Shinji und Rei saßen in eine Thermodecke gewickelt im Pilotensitz von Einheit-01, eng aneindergepreßt. Es war kalt geworden in den letzten Stunden...
Der Junge hatte die Augen geschlossen, sein Atem ging ruhig, er schlief.
Sie hatten sich darauf geeinigt, abwechselnd nach eintreffenden Rettern ausschauzuhalten.
Reis Blick wanderte zum wiederholten Mal zur Ausstiegsluke. Zwei Personen verbrauchten mehr Sauerstoff als eine. Wenn sie schnell war, konnte sie den Plug verlassen, und Shinji mehr Zeit gewinnen...
Sanft streichelte sie seine Wange. Seine Haut war so kalt...
Wieder sah sie zur Luke, begann vorsichtig, von seinem Schoß herunterzurutschen, um ihn nicht zu wecken.
Shinji öffnete die Augen, sah sie an, folgte dann ihrem Blick.
"Rei, was hast du vor?"
"Zeit gewinnen... für dich..."
Er hielt sie fest, zog sie zurück. Seine Arme waren wie Stahlklammern, als er sie an sich preßte.
"Nein, denk nicht einmal daran."
"Aber du würdest leben."
"Und was für ein Leben wäre das? Erkauft mit dem deinen?! Wir schaffen es, hörst du, wir schaffen es. Sicher bekommen wir gleich Hilfe..."
"Das hast du schon vor zehn Stunden gesagt."
"Ja, und ich glaube auch jetzt noch daran", flüsterte er eindringlich. "Glaube, Hoffnung, Vertrauen, alles ist eins."
"Wahrheit..."
"Ja. Deshalb kann ich das nicht zulassen... eher würde ich es tun."
Sie blickte ihn entsetzt an, schluckte.
"Nein... niemals... Das darfst du nicht."
"Dann sind wir uns ja einig."
Er zog die Decke wieder über ihre Schultern, verzog das Gesicht.
"Was ist?"
"Eingeschlafene Beine."
Er saß im Schneidersitz, die Decke war an einem Ende zwischen seine Beine und die Sitzfläche geklemmt. Shinji konnte Reis Herzschlag durch den Stoff ihrer PlugSuits spüren. Die Anzüge fühlten sich kalt an.
Ihr beider Atem stieg in hellen Wölkchen auf.
Wenn er nicht festgeschnallt gewesen wäre, wäre er schwerelos im Plug herumgeschwebt.
So hielt er noch Rei fest.
"Shinji..."
Sie brachte ihren Kopf ganz nah an den seinen, so daß er ihren warmen Atmen auf dem Gesicht spürte.
"Rei-chan?"
"Ich will so nicht sterben."
"Wir werden nicht sterben."
In ihren Augen standen Tränen.
"Ich will hoffen, aber es geht nicht. Wir haben unseren Zweck erfüllt."
"Rei, bitte, sag das nicht."
Sie legte ihre Arme um ihn und küßte ihn. Shinji erwiderte die Umarmung, zog sie noch mehr an sich heran, spürte jetzt ihre Körperwärme durch den Stoff hindurch.
Eine ganze Weile verharrten sie so, Wange an Wange, dem jeweils eigenem Herzschlag und der Atmung des anderen lauschend.
"Shinji..."
"Ja, Rei?" wisperte er in ihr Ohr.
"Willst du eins mit mir werden?"
"Agh... agh... eins?"
"Körper, Geist und Seele?"
"Rei, ich..."
Er schob eine Hand unter der Decke hervor, bewegte zugleich den Kopf nach hinten, so daß er ihr besser in die Augen sehen konnte, berührte ihre Wange mit den Fingerspitzen.
"Möchtest du?"
Shinji schluckte.
"Du meinst... Sex?"
"Ja."
Sie berührte den am Handgelenk befindlichen Dekompressionsschalter ihrer PlugSuit, drückte ihn. Das Material des Anzuges verlor seine Straffheit. Schon begann sie damit, die Schulterstücke zurückzustreifen.
Er legte die Hand auf die ihre, schob den Stoff wieder auf die Schulter zurück.
"Das hieße jetzt aufzugeben. Glaub mir, Rei, ich möchte es... aber nicht so... nicht unter diesen Umständen... Wenn wir... wenn wir es tun, dann nicht aus Verzweiflung... oder weil wir glauben, sonst keine Gelegenheit mehr zu haben..."
"Ich verstehe."
Wieder zog er sie an sich, vergrub das Gesicht in der Beuge ihres Halses, wiederholte leise die drei Worte.
"Ich liebe dich..."
"Ich weiß. Ich habe es schon immer gewußt... Mein Herz gehört dir."
Rei zog die Decke fester um sie zusammen.
Wieder verging Zeit.
Diesesmal war es Shinji, der die Stille brach.
"Was wohl Touji und Asuka machen?"
*** NGE ***
Im EntryPlug von EVA-02 bot sich gar kein so anderes Bild, nur hockten hier die beiden Kinder aneinandergepreßt am Boden der Kapsel, die Decke um sich gewickelt, jeweils einen Arm um die Schulter des anderen gelegt, die Füße unter der Steuerung verhakt, um nicht unabsichtigt fortzuschweben.
Asukas Kopf lag auf Toujis Schulter.
"Suzuhara, wenn du mich im Schlaf befummelst... zzz... zzz... zzz..."
Touji verdreht nur die Augen und blickte zum Hauptbildschirm empor, der immer noch die fernen Sterne zeigte.
"Ich wollte nie Astronaut werden... vielleicht Lokomotivführer... aber niemals Astronaut..."
*** NGE ***
Gendo Ikari ging in der Kommandozentrale von Antarktica unruhig auf und ab, blickte immer wieder auf den Countdown, der die von den MAGI berechnete voraussichtliche Zeitspanne anzeigte, welche den Piloten der EVAs noch verblieb. Und dabei wußte er nicht einmal, ob sein Sohn unter den Überlebenden war.
Mittlerweile hatten die Rettungsshuttles den Orbit erreicht und die überlebenden Crewmitglieder der DEFENDER-Einheiten übernommen. In den nächsten Tagen würden zwei weitere Starts nötig sein, um auch den letzten der Astronauten von der Raumstation zur Erde zurückzubringen.
"Wir haben so verdammt hoch gepokert", bemerkte einer der Offiziere, die sich in der Zentrale versammelt hatten, ein Syrier.
"Und dennoch haben wir es geschafft", murmelte ein weiterer Mann mit hebräischen Akzent.
"Ja. Die Wege Allahs sind unergründlich."
"Amen."
"Sir, Kontakt zur Endeavor! Baikonur verbindet uns!"
Ikari gab dem Funkoffizier nur ein knappes Zeiches, indem er auf den großen Bildschirm zeigte. Er fühlte sich plötzlich sehr erschöpft und schwach, nach über drei Tagen ohne Pause auf den Beinen eigentlich kein Wunder. Sein Herz schlug schneller, als das Gesicht des russischen Piloten auf dem Monitor erschien.
"Wir sind jetzt in Sichtweite Ihrer EVAs. Bisher keine Reaktion auf unsere Kontaktversuche. Bereiten Bergung wie beschrieben vor."
Damit wurde die Verbindung wieder unterbrochen, stattdessen erschien Roderick Falk auf dem Schirm.
"Es wird knapp."
"Ja", krächzte Gendo.
*** NGE ***
Auf der Kom-Phalanx leuchtete wieder ein Licht auf.
Shinji blinzelte. War es nur ein Licht, oder mehrere, oder sah er doppelt?
Das Atmen fiel ihm schwer. Und ihm war so kalt.
"Rei..."
Er schüttelte sie leicht.
"Hm..."
Quälend langsam tastete sich seine Hand über die Konsole, drückte den Knopf.
"Ja?"
Und zugleich sah er das Shuttle, welches sich aus seinem Blickwinkel oberhalb von EVA-01 befand.
"Rei, sie sind da... sie holen uns..."
Tränen liefen über sein Gesicht.
*** NGE ***
"Bergung der EntryPlugs abgeschlossen", meldete Captain Eristoi. "Wir haben vier Personen an Bord geholt."
"Vier?" wiederholte Gendo, um sicherzugehen, daß er richtig gehört hatte.
"Bestätige, vier Personen. Alle gesund, leicht unterkühlt und etwas orientierungslos, aber ansonsten in Ordnung."
"Danke, Captain... Kehren Sie zur Erde zurück. POLAIRS schickt Ihnen einen Leitstrahl."
"Verstanden. Wir melden uns vor dem Eintritt in die Atmosphäre wieder."
Das Bild erlosch.
Ikari brach in die Knie.
"Sie leben... sie leben alle vier!" brüllte er und warf die Fäuste in die Luft.
Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Auf einer anderen Ebene der Zentrale begannen zwei Operatoren zu applaudieren. Mit einem Mal war sämtliche Spannung aus dem Raum gewichen.
Ikari zog sich an einer Schaltkonsole wieder auf die Beine.
"Ich brauche sofort Kontakt zu Falk!"
"Wird hergestellt, Marschal!"
Roderick Falks Gesicht erschien auf dem Schirm. Er schien nicht weniger müde zu sein als Gendo.
"Ein gutes Ende... noch müssen sie wieder ´runterkommen, aber das schaffen die beiden Russen, da bin ich ganz sicher."
"Ich komme zu Ihnen."
"Hm... ich werde die Leute hier anweisen, Sie in Empfang zu nehmen..."
"Was haben Sie vor, Falk?"
"Ich muß meine Frau beerdigen."
Der Ire salutierte.
"Marschal."
"Ja, tun Sie das."
Er erwiderte den Gruß.
*** NGE ***
Shinji bekam von einem der Russen eine Metallflasche an die Lippen gedrückt.
"Trinken."
Er nahm einen Schluck, mußte husten.
"Was ist das?"
"Wodka, guter russischer Wodka, echtes Lebenselixier. Wärmt von innen. Nimm noch einen
Schluck!"
Die Kinder hockten alle vier zusammengepreßt wie die Sardinen auf einer Bank im hinteren Teil des Cockpits der Endeavor, der russische Commander hockte vor ihnen, ohne daß seine Füße den Boden berührten, und grinste sie an.
*** NGE ***
Das Wetter über Baikonur hatte sich verschlechtert. Über den Anlagen tobte ein schweres Unwetter. Ähnlich sah es über den meisten Landebahnen aus, auf denen das Shuttle, dem gegenwärtigen Kursvektor folgend, hätte landen können.
Shernow entschied sich daher für eine Wasserung im Pazifik.
*** NGE ***
In der Nähe von Hawaii trieb ein Motorfischerboot auf den Wellen, im Gegensatz zum Rest der Welt war hier der Himmel klar und wolkenlos.
In dem Boot saßen zwei Männer und angelten.
Der eine sah zum Himmel.
"Du, Sladdi, ich glaub, ich seh´ eine Sternschnuppe."
"Echt, Jürgen? Aber es ist doch heller Tag."
Der andere verreckte sich den Hals, um in die Richtung zu blicken, in die sein Freund zeigte.
Ein Schatten fiel über das Motorboot wie der Schatten eines großen Bruders, der Schatten eines Flugzeugträgers.
Eine Stimme bellte:
"Verlassen Sie sofort diese Gewässer!"
*** NGE ***
Gendo stand an der Reling des Flugzeugträger Ronald Reagan und beobachtete den Himmel.
Das Schiff gehörte zur Pazifikflotte der Vereinigten Staaten, fuhr an diesem Tage aber nicht nur unter der Flagge der UN, sondern auch von NERV. Durch die Anwesenheit des Marschals an Bord wurde es zum Flaggschiff der irdischen Streitkräfte.
In der Nähe standen seine Frau und die anderen Eltern, sogar Asukas Eltern waren beide Gendos Aufforderung nachgekommen. Ebenfalls anwesend waren Misato, Kaji, Kensuke und Hikari, sowie der ihnen zugelaufene Pinguin, welcher sich als blinder Passagier an Bord des Fluges geschmuggelt hatte, mit dem Gendo zuerst von der Antarktis nach Rußland und dann weiter nach Hawaii gereist war.
Am Himmel tauchte ein einzelner Stern auf, kam rasch näher.
Eine Ordonanz meldete, daß ein Fischerboot aus dem Landegebiet verscheucht worden war.
Ein leises, stetig näherkommendes Donnern war zu hören.
Dann schoß die Endeavor umtanzt von glühendheißer Luft vom Himmel.
*** NGE ***
"Da gehen die Hitzeschilde", knurrte Shernow als Reaktion auf ein Scheppern.
"Korrekturschubdüsen versagen."
Eristoi fluchte.
"Nicht vor den Kindern, Vladimir!"
"Die haben wahrscheinlich Schlimmeres durchgemacht. Die rechte Tragfläche löst sich!"
"Ganz ruhig."
"Hochziehen! Zieh sie hoch!"
*** NGE ***
Im scheinbar letzten Moment wurde die Nase des Shuttles hochzogen und die Endeavor legte eine Bauchlandung hin, verschwand im nächsten Moment hinter einer Wand aus Dampf, als das Wasser des Ozeans mit der heißen Hülle in Kontakt kam.
Von den nächsten Schiffen des Verbandes, zu dem die Reagan gehörte, wurden Boote zu Wasser gelassen, ein Kreuzer navigierte vorsichtig näher an das Shuttle heran, um es in Schlepp zu nehmen.
Die Sicht wurde wieder klar. Eine Ausstiegsluke wurde aufgestoßen, ein roter Haarschopf erschien in der Öffnung, dazu ein winkender Arm.
Gendo sah zu seiner Frau hinüber.
"Sie haben es geschafft."
Er lächelte.
*** NGE ***
Irgendwo in einer nur spärlich erleuchteten Kammer starrte Lorenz Keel auf einen von innen heraus leuchtenden Würfel aus Kristall. Im inneren des Kristall eingeschlossen war ein mensch-licher Finger. Über dem Kristall drehte sich die Projektion einer Doppelhelix.
"So beginnt es also... der Schlüssel zur Unsterblichkeit..."
ENDE...
