***4. Kapitel, Dunkle Träume***

Da ist ein Ruf,

ein Ruf aus der Finsternis.

Ich höre ihn, so deutlich und klar.

Da ist ein Ruf,

ein Ruf aus der Dunkelheit.

Ich höre ihn, es zieht mich dorthin.

„Draco. Draco.

Komm her. Komm hierher.

Sei gemein. Sei gemein, um stark zu sein."

Langsam öffnete Draco die Augen. Die klare, finstere, anziehende Stimme aus dem Traum klang noch immer in seinen Ohren.

Es war doch nur ein Traum, sagte er zu sich. Es war nur ein Traum. Er schloss wieder die Augen, um einzuschlafen.

*****

Valerié lag in ihrem Bett, sie war wach und dachte über ihren Traum nach. Darin hatte sie eine Stimme gehört. Eine Stimme voller Kälte und Grausamkeit.

„Dunkles Herz. Kein Gewissen. Keine Reue. Ich rufe ihn. Ich rufe ihn zu mir.

Dunkle Seele. Keine Gefühle. Keine Moral. Er ist der Schlüssel. Er ist der Schlüssel zu dieser Welt."

Wer, fragte sich Valerié. Wer ist der Schlüssel? Zu welcher Welt? Zur Welt der Finsternis? Der dunklen Seite?

Die Stimme ... sie war so düster und so anziehend zu gleich. Valerié fröstelte etwas.

Es war doch nur ein Traum, sagte sie zu sich.. Es war nur ein Traum.

*****

„Hey, Zeit zum Aufwachen", rief Hermione.

Widerwillig öffnete Valerié die Augen. Schlagartig fiel ihr der merkwürdige Traum ein.

Sie machte sich schnell fertig, um mit Hermione, Lavender und Parvati rechtzeitig zum Frühstück zu gehen.

Am Frühstückstisch hörte sie nur halbherzig den Gesprächen zu. Der Traum beschäftigte sie zu sehr – und das ärgerte sie. Sie versuchte die ganze Zeit, sich einzureden, dass es nur Traum war, aber es half nicht. Sie fühlte, dass es mehr war, als nur ein Traum. Es schien um die dunkle Seite zu gehen ... um das Böse, die Finsternis. Sonst wäre die Stimme nicht so kalt und grausam gewesen. Sonst würde es nicht um „diese Welt" gehen.

„Glaubt ihr an das Böse?", fragte sie unvermittelt und so eindringlich, dass die meisten am Gryffindortisch aufmerksam wurden.

Sie sah verwirrte Gesichter.

„Was?", frage Ron perplex.

„Natürlich ...", sagte Lavender. Schließlich gibt es doch du-weißt.schon- wen."

„Eben", fügte George hinzu. „Wenn der mal nicht böse ist."

Valerié schüttelte den Kopf. „Nein, so meine ich das nicht. Ich meine ... also ... glaubt ihr, dass man so böse, so finster sein kann, ohne es mit Absicht zu sein? Unbewusst? Glaubt ihr, dass man zur dunklen Seite wechseln kann, weil sie einen so derart anzieht, dass man nicht anders kann?"

Sie schaute in die Runde und erwartete Antworten.

Doch zunächst war es still. Sie sah, wie es in ihnen arbeitete. Ihre Frage hatte wirklich gesessen.

„Du meinst - ", fing Harry an, „Du meinst die Reinkarnation des Bösen, quasi? Oder dem Bösen verfallen zu sein ..."

"Ich meine böse zu sein, weil man böse ist, nicht weil man aus irgendwelchen Gründen böse geworden ist, oder es sein will", ergänzte Valerié.

„Hmm ...", machte Hermione. „Ich weiß es nicht, ich - "

„Wie kann man von Natur aus böse sein?", fiel Ron ihr ins Wort, an Valerié gewandt.

„Ja, genau, man ist doch unschuldig", stimmte Dean zu.

„Ich weiß es doch auch nicht", meinte Valerié. „Deshalb will ich eure Meinungen darüber wissen. Aber muss es nicht immer ein Gegengewicht geben?"

"Ja ... die Kehrseite der Münze", sagte Neville in einem flüsternden Ton, so dass ihn alle erstaunt ansahen.

Valerié runzelte die Stirn ... er klang so ... so wissend ...

„Ja", stimmte Valerié zu. „Es muss doch ein Gegengewicht geben. Wenn es das Gute geben soll, so muss doch auch das Böse existieren."

„Und wenn jemand gut ist, ohne darüber nachzudenken, so muss es sich eigentlich auch mit dem Bösen verfahren", fügte Hermione zu.

„Du-weißt-schon-wer, zum Beispiel?", fragte Parvati.

„Vielleicht", sagte Fred.

„Bei du-weißt-schon-wer gab es aber auch zu viele Einflüsse, oder nicht", meinte Seamus.

„Auch, es geht vor allem darum, ob jemand einfach so böse sein kann", fügte George hinzu.

Valerié nickte. „Finster eben. Schwarze Seele, dunkles Herz."

Lavender schüttelte sich leicht. „Brrr, ich hoffe nicht, dass so eine Person existiert."

Valerié sah sie an. „Dann kann es aber auch nicht das reine Gute geben."

„Du weißt-schon-wer gibt es doch", warf Ron ein.

"Mhh, klingt alles sehr philosophisch", meinte Seamus fast zeitgleich.

„Aber was ist, wenn bei Geburt nur die Unschuld herrscht"? fragte Harry. „Wie kann man von Geburt an gut oder böse sein, wenn man unwissend ist?"

„Manche Philosophen behaupten aber auch, dass man in dem Moment der Geburt alles weiß, und es dann sofort danach vergisst", warf Hermione ein.

„Val, wie kommst du überhaupt auf den Gedanken?", fragte Ron.

„Ach ... nur so", wich Valerié aus.. „Wegen du-weißt-schon-wer", log sie.

Sie spürte Harry und Hermiones Blicke.

Sie schienen zu ahnen, dass sie gelogen hatte. Antworten hatte sie bei dem Gespräch heute nicht gerade bekommen. Ob sie Harry, Ron und Hermione von dem Traum erzählen sollte? Zumindest Hermione?

Sie sagte nichts mehr, sie dachte nur noch darüber nach, ob sie Hermione von dem Traum erzählen sollte.

Erst als sie beim Hinausgehen von jemanden angerempelt wurde, wurde sie wieder aufmerksam.

„Hey, pass doch auf", fuhr sie denjenigen an, der sie angerempelt und unsanft aus ihren Gedanken gerissen hatte.

Sie sah in eisgraue Augen.

Sie las Kälte. Spott. Hohn.

Sie hasste ihn.

Draco.

Crabbe und Goyle waren natürlich auch dabei und grinsten sie dümmlich an.

Draco musterte sie aufmerksam. Als ob sie nur durch ihre gestrige, merkwürdige Reaktion für ihn wenigstens etwas interessant geworden wäre. Das konnte man ja nahezu aus seinem Gesichtsausdruck ablesen.

Als ob er besser wäre, als sie. Sie lachte innerlich höhnisch auf. Niemand war besser als sie. Schon gar kein Malfoy.

Aber er schien nahezu perfekt. Und das wusste sie.

„Bereit für Verteidigung gegen die dunklen Mächte, Andrews?", fragte Draco spöttisch.

Und sie hasse es, wie er sie anmaßend mit ihrem Nachnamen ansprach.

„Du brauchst dich gar nicht zu freuen, Draco", entgegnete sie finster. „Es geht hier um Verteidigung. Nicht um das Anwenden dunkler Künste. Und das wird sicher ein Problem für dich werden."

Draco lächelte kühl. „Nehme nie etwas an, ehe du es nicht weißt, Andrews. Falsche Schlüsse bieten dem Feind ungeheure Vorteile, weißt du."

„Dann stell´ es doch klar", forderte Valerié. Innerlich war sie verwirrt. Wieso sagte er so etwas?

Draco sah sie nur ausdruckslos an. „Pass auf, dass du vor lauter Bäumen den Wald nicht siehst", sagte er geheimnisvoll.

Und damit ging er.

Valerié sah ihm nach, jetzt noch viel verwirrter als gerade eben.

Sie wurde aus ihm nicht schlau. Sie hasste es, wenn sie jemanden nicht einschätzen konnte. Und sie hasste es, wenn jemand in Rätseln sprach.

*****

Harry, Ron und Hermione hatten auf Valerié gewartet und machten sich nun mir ihr auf dem Weg zu den Kerkern. Professor Obscuri würde dort seinen Unterricht geben.

Auf dem Flur trafen sie auf die meisten anderen Gryffindors.

Sie waren gespannt, wie der Unterricht beim neuen Lehrer sein würde.

Und vor allem wie es mit den Slytherins verlaufen würde.

„Na, Gryffindors, bereit für eure letzte Stunde?", hörte Harry eine kalte, schleppende Stimme voller Spott.

Wütende Blicke trafen Draco.

Die Slytherins waren angekommen – breit grinsend.

„Freu´ dich nicht zu früh, Malfoy!", zischte Ron.

Draco warf ihm einen höhnischen Blick zu. „Wir werden euch toppen", grinste er und die Slytherins johlten.

„In Verteidigung?", fragte Harry mit hochgezogenen Augenbrauen. „Anscheinend habt ihr den Sinn des Faches noch gar nicht begriffen."

Die Gryffindors lachten.

Draco sah ihn an. Seine Augen blitzten. „Falsch, Potter. Wir scheißen auf Verteidigung. Wir ändern den Sinn der Sache einfach um. Vielleicht wirst du den grünen Lichtstrahl ja schon bald wiedersehen."

Harry starrte ihn an.

Die meisten der Gryffindors zogen hörbar die Luft ein, vor so viel Unverschämtheit und Dreistigkeit an Drohungen.

Die Slytherins grinsten.

Harry umklammerte seinen Zauberstab. Er sah, wie Draco es bemerkte. Am liebsten würde er sich auf ihn stürzen. Aber besser wäre es, ihn in ein weißes Frettchen zu verwandeln, dachte Harry finster und bedauerte es, den Spruch dafür nicht zu beherrschen.

„Du willst ein Duell?", hörte er Draco zischen. „Aber gerne, Potter ... wie wäre es gleich nach dem Abendessen?"

„Harry, lehn´ es ab", sagte Hermione. „Draco wird mit unfairen Mitteln duellieren."

Draco grinste. „Habt ihr etwa einen so schlechten Eindruck von mir?"

„Wo sollte es denn sein?", fragte Harry, abwägend, ob er zu- oder absagen sollte. Er war sich sicher, dass Draco die dunklen Künste beherrschte – es würde hart werden.

„Im Verbotenen Wald?", schlug Draco vor.

Harry starrte ihn verblüfft an.

„Das solltet ihr euch so schnell wie möglich aus dem Kopf schlagen", hörte Harry eine fremde, kühle Stimme.

Er und die anderen wandten sich erschrocken um – Professor Obscuri. Er sah mit vernichtendem Blick in die Runde. Er wirkte verärgert.

Der junge Mann näherte sich Draco. „Ihr könntet sonst ernsthafte Probleme kriegen", fügte er leise warnend hinzu.

„Sie können uns schlecht 24 Stunden am Tag kontrollieren", trotzte Draco.

Harry sah, wie der Professor Draco mit einem kalten Blick bedachte. Er sagte etwas leise zu Draco, was Harry nicht verstand.

*****

„Legen Sie sich besser nicht mit Leuten an, von denen Sie nicht wissen, ob sie überlegen sein werden", zischte Obscuri Draco zu.

Perplex starrte Draco ihn an. Er drohte ihm. Woher nahm er sich diese Dreistigkeit ...

Draco fing sich wieder. „Wie, wollen Sie auch am Duell teilnehmen und sich beweisen?", fragte er höhnisch. Innerlich verfluchte er sich. Wieso sagte er das. Er musste zusehen, dass er gute Noten bekam. Stattdessen verdarb er es sich gerade mit dem neuen Lehrer, der – und das war das Problem an der ganzen Sache, sich anscheinend selbstsicher fühlte und sich nichts gefallen ließ. Nicht so wie Hagrid. Aber es war ihm so rausgerutscht – und schon wurde er am Hemd gepackt und gegen die Steinwand gepresst, so dass Draco sich nicht besonders wehren konnte.

Empörtes Gemurmel bei den Slytherins.

Die rechte Hand des Professors wanderte schnell Richtung Kehle und schnürte Draco die Luft ab. Mit der anderen Hand presste er Draco an die Steinwand.

Draco hatte mit einer Strafpredigt gerettet, Punkteabzug – aber nicht mit so etwas. Rasch packte er die Hand des Professors und versuchte sie von seinem Hals wegzudrücken. Er schaffte es aber nicht.

Obscuri stand so vor Draco, dass die anderen es nicht sehen konnten.

„Merke dir, dass ich mir nichts gefallen lasse. Es wäre ratsam, dir nicht immer sofort Feinde zu machen. Irgendwann könnten es zu viele werden!", sagte Obscuri leise, kühl und drohend.

Draco versuchte immer noch die Hand verzweifelt wegzudrücken – der Professor war aber stärker. Er konnte nichts sagen, er bekam keine Luft.

„Ich hoffe, du bist in Zukunft bedachter", fügte Obscuri hinzu und lächelte ein kaltes Lächeln. Draco spürte, wie der Griff um seine Kehle noch fester wurde.

Langsam wurde ihm schwindelig. Mit aller Kraft versuchte er sich zu befreien.

Und dann ließ der junge Professor los und ging ins Klassenzimmer.

Draco keuchte, das plötzliche Loslassen ließ ihn etwas an der Steinwand runterrutschen.

„Draco!", riefen die Slytherins und eilten zu ihm hin.

Was sollte das, fragte sich Draco und verfluchte den neuen Professor. Er rang immer noch nach Atem und rieb sich die Kehle.

„Was hat er getan?"

„Was hat er mit dir angestellt?", riefen die Slytherins durcheinander, aber Draco winkte sie ab.

Er bemerkte Harrys Blick.

*****

Harry war entsetzt. Was hatte Obscuri bloß getan? Draco sah totenblass aus, leicht bläulich und keuchte. Er hatte Draco offensichtlich die Luft abgeschürt.

„Oh, Harry ... ich will nicht da rein", flüsterte Hermione.

Er sah auf sie herab. Auch er hatte ein mulmiges Gefühl.

„Endlich ein Professor, der Malfoy nicht leiden kann und es auch zeigt", freute sich Ron.

Harry sah ihn ernst an. „Ron ... schau dir doch nur mal Malfoy an. Das ist nicht mehr witzig."

„Außerdem hat er es doch gemacht, nur weil Malfoy eine freche Antwort gegeben hatte.", fügte Hermione hinzu.

„Muss ich euch Punkte abziehen oder ab wann gedenkt ihr euch ins Klassenzimmer zu begeben, hm?", hörten sie Obscuris kühle Stimme.

Schnell rafften sich die Gryffindors und Slytherins auf und eilten in den Raum.

Harry sah, wie Draco sich in die letzte Reihe setzte. Langsam schien er wieder normal zum Atem zu kommen. Valerié hatte sich auch in die letzte Reihe gesetzt.

Professor Obscuri stand vorne und musterte die Schüler.

Er nahm seine Liste und ging die Namen durch.

*****

„Was hat er zu dir gesagt?", fragte Valerié.

Es war Zufall, dass sie neben Draco saß. Sie hatte sich ohne zu Schauen in die letzte Reihe gesetzt, in Gedanken über den Zwischenfall auf dem Flur vertieft, und merkte erst, dass sie neben Draco saß, als sie ein Hauch von Finsternis spürte.

„Geht dich einen scheiß Dreck an", murmelte Draco. Er starrte vor sich hin.

„Oh, natürlich. Verzeih, dass ich es gewagt habe zu fragen", erwiderte Valerié. Der Sarkasmus in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

Jetzt blickte Draco hoch und sah sie an.

Seine kalten, grauen Augen waren ausdruckslos.

„Du könntest damit zu Dumbledore gehen", sagte sie. Sie hasste ihn ... schließlich war er ein Malfoy. Lucius´ Sohn! Aber wenn sie sich ihm gegenüber nett und höflich verhielt, würde sie ihn vielleicht besser kennen lernen. Und das musste sie.

Aber da war auch noch etwas Anderes ... Valerié fing an, ihr es selbst gegenüber nicht mehr so heftig abzustreiten ... er faszinierte sie. Er war schön. Der schönste Junge, der ihr bisher begegnet ist. Und in Frankreich sind ´ne Menge gutaussehender Jungen rumgelaufen. Der Hauch von Kälte und Finsternis, der ihn stets umgab, fühlte sich faszinierend an. Seine Augen ... sie waren schön, geheimnisvoll, klar. Sein Auftreten wirkte cool. - Na und? Er ist ein Malfoy, redete Valerié sich wieder ein. Und sie fühlte wieder Hass bei dem Gedanken, dass er Lucius´ Sohn war.

Draco starrte sie mittlerweile an.

Valerié wurde unsicher. Wieso starrte er sie auf einmal an?

Sie sah, wie sich plötzlich Misstrauen in Dracos Augen wiederspiegelte und sie fragte sich warum. Ihr Ratschlag war jetzt auch schon ´ne Minute her, daran konnte es nicht liegen.

Sie wiederholte ihn.

„Wieso sollte ich, es ist doch nichts passiert", sagte Draco kühl.

„Er hat dich gewürgt", entgegnete Valerié leise.

Draco öffnete den Mund, um darauf etwas zu Erwidern. Seine Augenbrauen hatten sich zusammengezogen, er schien es Abstreiten zu wollen, tat es aber dann doch nicht. Er schloss den Mund. Wahrscheinlich sah er ein, dass es sowieso nicht glaubhaft rüberkommen würde. Stattdessen musterte er Valerié eingehend.

Sie saßen ziemlich nah beieinander, die Köpfe etwas gebeugt, damit niemand ihre Unterhaltung mitbekommen konnte. Valerié konnte seine Kälte noch stärker wahrnehmen. Irgendwie musste sie an Schnee denken.

„Meintest du mit Harry ernst?", fragte Valerié leise.

„Was, das Duell oder den Ort?", fragte Draco ebenso leise zurück.

Valerié grinste. „Beides." Wieso grinste sie eigentlich, verdammt.

Draco grinste nicht. „Das duellieren schon."

„Im Verbotenen Walt gibt es Ungeheuer, nicht wahr", fragte Valerié weiter.

„Hm ... ja, auch. Riesenspinnen und so was. Zentauren. Aber es gibt dort auch Wesen wie Einhörner", antwortete Draco.

„Einhörner?", flüsterte Valerié fasziniert.

„Miss Andrews!", donnerte eine kühle Stimme zu ihnen herüber.

Erschrocken fuhr Valerié auf. Sie merkte, wie auch Draco leicht zusammenzuckte.

„Ich würde es begrüßen, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit meiner Wenigkeit widmen würden. Lenken Sie Mister Malfoy nicht weiter ab, dafür haben Sie nach dem Unterricht Zeit", fuhr Professor Obscuri im spöttischen Unterton fort.

Valerié errötete leicht. „Ja, Professor", murmelte sie.

„Ich möchte, dass ihr mir alles aufschreibt, was ihr bisher gelernt habt", sagte Obscuri nun an die Klasse gewandt. „Es nützt nicht viel, wenn ich euch unterrichte ohne zu wissen, was ihr beherrscht und was nicht. Außerdem möchte ich wissen, was ihr über Lord Voldemort wisst-"

Er brach ab. Valerié sah entsetzte und erstaunte Blicke.

„Ja, ich spreche diesen Namen aus", meinte der Professor, wissend, wieso er so angestarrt wurde. „Als erstes sollte man die Angst überwinden. Und es bringt uns nun wirklich nichts, wenn wir Voldemorts Namen umschreiben."

„Na, wenigstens denkt er logisch"; hörte Valerié Draco murmeln.

Sie war ebensfalls der Meinung. Zu Hause hatte sie nie ein Problem gehabt, Voldemorts Namen auszusprechen, was vielleicht auch daran lag, dass sie es nicht direkt mitbekommen hatte. In Frankreich hatte man nur wilde Geschichten über den dunklen Zauberer gehört.

„Ich möchte, dass ihr euer Wissen über ihn und die Todesser zu Papier bringt", fuhr der junge Mann fort. „Außerdem verlange ich eure Meinung und Beschreibung eurer Gefühle über Voldemorts Rückkehr und der Reaktion der Presse und des Zauberministeriums."

Valerié hörte lautes Stöhnen – es kam aus der Richtung von Ron.

„Mister Weasley?", fragte Professor Obscuri höflich. „Gibt es irgendwelche Probleme?"

„Ähm ... es ... also", stotterte ein hochrot gewordener Ron, „Es ist nur so viel", stieß er endlich hervor.

Das fand Valerié auch.

Der Professor lächelte. „Man kann nie genug Wissen aufnehmen, Mister Weasley."

Er sah in die Runde. „Nun, dafür könnt ihr jetzt schon damit anfangen. Abgabetermin ist am Samstag. Miss Parkinson und Miss Granger – bitte sammelt die Hausaufgaben bis Samstag Abend ein und bringt sie mir dann vorbei. Dann können wir am Montag mit dem richtigen Unterricht anfangen."

Hermione und Pansy nickten.

Leise grummelnd holten die Schüler Blatt und Feder heraus und fingen mehr oder weniger an, nachzudenken und zu schreiben.

Valerié hatte ihren Namen auf das Blatt geschrieben und fing an über die Aufgabe nachzudenken.

Sie sah, wie Draco innerhalb kürzester Zeit eine ganze Seite voll schrieb und das Blatt wendete, um weiterzuschreiben.

„Da scheinst du ja in deinem Element zu sein, was Draco", lachte sie leise.

Draco hielt inne und sah auf. „Fällt dir etwa nichts ein?", fragte er nur stattdessen.

„Hm ... doch. Aber sicher nicht so viel wie dir."

„Wie viel habt ihr in Frankreich denn darüber mitbekommen?"

„Hm, wilde Geschichten gingen rum. Zu viele und zu verschiedene, als das auf einen gemeinsamen Punkt bringen zu können, weißt du", antwortete Valerié.

„Miss Andrews?", hörte sie ihren Namen.

Sie sah auf. „Ja, Sir?"

„Mir ist eingefallen, dass Sie ja erst in den Ferien nach England gekommen sind, richtig?"

Valerié nickte.

„Vielleicht wäre es besser, wenn Sie sich mit jemanden mal zusammensetzen, der Ihnen alles über Voldemort erzählt", sagte Obscuri. „Ich kann davon ausgehen, dass sich die Schüler hier alle auf dem gleichen Wissensstand befinden. Sie sollten da nicht hinterherhinken."

Valerié nickte erneut.

Obscuri sah sich um. „Mister Malfoy?", fragte er schließlich und seine Stimme nahm einen wesentlich kühleren Ton an.

„Ja?"

„Würden Sie das bitte übernehmen?"

Es klang wie ein Befehl.

„Ich ...", fing Draco widerwillig an.

„Gut, dann wäre das geklärt", nickte Obscuri.

Valerié sah, wie Draco den Professor perplex und dann wütend anstarrte.

Jemand von den Gryffindors lachte. Es war Seamus.

„Ehm ... wann hättest du denn Zeit?", fragte Valerié Draco.

Sie fand den Gedanken nicht schlecht, mit Draco eine gewisse Zeit alleine verbringen zu können. Der Hass überkam sie wieder und sie wollte doch so viel wie möglich über ihn erfahren. Je mehr man über jemanden Bescheid wusste, um so intensiver konnte man denjenigen verletzen.

Sie bemerkte Dracos Anstarren. Misstrauen war wieder in seinen Augen zu lesen.

Was war denn nun schon wieder?

„Du hast mir noch keine Antwort gegeben", sagte sie nach einer Weile.

Draco hörte auf, sie misstrauisch anzustarren.

„Heute Abend", antwortete er knapp. „Ich warte um neun vor der Großen Halle."

„Okay", erwiderte Valerié.

*****

"Wie fand ihr ihn bisher?", fragte Harry Hermione und Ron nach dem Unterricht.

„Im Unterricht wirkte er doch recht lässig", meinte Ron.

„Hm, ist eigentlich noch zu früh um ein Urteil zu fällen", sagte Hermione. „Was er mit Draco gemacht hat, fand ich gar nicht gut."

„Er scheint ihn zu hassen", fügte Harry hinzu.

„Vielleicht – aber im Unterricht wirkte er ganz in Ordnung", fuhr Hermione fort. „Aber er hat eine kalte Aura, findet ihr nicht auch?"

„Ja", sagten Harry und Ron gleichzeitig.

Ron schaute sich schnell um. „Man könnte meinen, er wäre ein Todesser", flüsterte er ihnen zu.

„Ron!", rief Hermione entrüstet.

„Was´n jetzt schon wieder?" Ron ging sofort in die Defensivstellung.

„Als ob Dumbledore ihn dann einstellen würde!", sagte Hermione. „Du bist mit deinen voreiligen Unterstellungen einfach nur unmöglich."

"Ach ja? Und du haust einen mit deiner Naivität glatt um!", konterte Ron.

Harry grinste. Nun ging das schon wieder los und er hörte Rons und Hermiones Zankereien zu, bis er von Dean und Seamus abgelenkt wurde.

Sie standen vor dem Klassenraum, wo sie gleich Verwandlung haben werden.

Harry unterhielt sich mit Dean und Seamus über Quidditch.

„Da ist Val"; grinste Seamus plötzlich, als Valerié den Flur betrat.

„Hey Val!"; rief er.

„Hm?"

„Und, wann startet dein Date mit Malfoy?" und Seamus und Dean lachten sich einen ab. Harry musste grinsen, obwohl er eigentlich Mitleid mit Valerié hatte. Er wünschte niemanden einen Abend mit Malfoy.

„Ha-ha, sehr witzig, Seamus", sagte Valerié sarkastisch.

„Das war aber echt nur zu geil, vorhin", erzählte Seamus, noch immer lachend. „Er ließ Malfoy gar nicht ausreden."

Hermione und Ron gesellten sich zu ihnen.

„Aber seine Reaktion vor dem Unterricht war heftig", meinte Dean. „Man darf bei ihm wohl keine freche Antworten geben, sonst schnürt er ja einem die Luft ab" und Dean verzog das Gesicht.

„Ein Professor darf so etwas gar nicht tun", sagte Hermione. „Professoren müssen Vorbilder sein."

„Sag mal, meinte er das eigentlich ernst?", fragte Ron. „Mit dem Verbotenen Wald?"

„Das wüsste ich auch gerne", murmelte Harry nachdenklich.

„Wär´ aber sicher ´ne spannende Sache gewesen", grinste Seamus.

„Yo, mit Malfoy ein Duell ... würde hart werden", sagte Dean.

„So ein Abend mit ihm verbringen zu müssen aber auch", lenkte Harry wieder das Thema zu Valerié und Draco. Er wollte nicht über das Duell reden, da er sich nicht sicher war, ob er angenommen hätte und ob Dracos Herausforderung ernst gemeint war. Er mochte es nicht, über unklare Dinge nachzudenken und das musste er schließlich oft genug tun.

„Wann trefft ihr euch eigentlich?", hörte er Hermione mitfühlend Valerié fragen.

„Heute", antwortete sie.

„Hui ... mein Beleid", meinte Harry.

Valerié zuckte nur mit den Schultern. „Na ja, ich kenne ihn ja eh nicht so."

Die Jungs grinsten.

„Nach heute Abend wirst du Malfoy genauso hassen, wie wir", sagte Ron.

*****

Das tue ich schon längst – und noch viel mehr, dachte Valerié.

„Wieso nennt ihr ihn eigentlich immer beim Nachnamen?", fragte sie. Sie fand diese Art nicht schön. Vornamen waren meist interessanter als Nachnamen und sagten irgendwie mehr aus.

„Na, er tut es doch auch bei uns", entgegnete Ron, verwundert über die Frage.

„Oh", sagte Valerié und ihre Lippen kräuselten sich zu einem spöttischen Lächeln. „Und wenn er in den See springt, springst du hinterher?"

Hermione lachte und Ron schaute beide Mädchen ärgerlich an.

„Nun aber Marsch ins Verwandlungszimmer, der Unterricht fängt an", rief Professor McGonagall zu ihnen herüber und sie beeilten sich in den Klassenraum zu gehen.

*****

Nach der Schule saß Harry mit Ron, Hermione und ein paar anderen Gryffindors im Gemeinschaftsraum.

Hermione schrieb die Hausaufgabe für Professor Obscuri und Harry und Ron spielten Schach.

„Hey, öffnet mal wer das Fenster", rief Fred plötzlich.

Harry schaute auf und sah eine Eule draußen vor dem Fenster.

„Hedwig!", rief er erfreut und hetzte zum Fenster hin.

Endlich eine Antwort von Sirius.

Er öffnete das Fenster und Hedwig flog hinein. Sie ließ den Brief vor Harrys Füße fallen und setzte sich auf seine Schulter.

Harry hob den Brief auf und setzte sich wieder zu Ron und Hermione, die ihn neugierig ansahen.

Harry öffnete den Brief.

Hallo Harry,

ich bin Samstag Abend in Hogsmeade. Lass uns dort treffen.

Gruß

Mehr stand da nicht. Harry hatte schon öfter Briefe von Sirius bekommen, die so kurz waren.

Er bemerkte Rons und Hermiones neugierige Blicke.

„Von Sirius", flüsterte Harry. „Ich soll ihn Samstag Abend in Hogsmeade treffen. Kommt ihr mit?"

Ron nickte sofort begeistert.

„Ist aber ziemlich heikel, er muss sich doch noch verstecken", warf Hermione ein. „Wo denn überhaupt?"

„Hm", machte Harry und schaute ratlos auf den Brief. „Er hat keinen Treffpunkt angebeben. Und auch keine Uhrzeit."

„Na toll", maulte Ron.

„Er muss die Heulende Hütte gemeint haben", sagte Harry. „Ich schreibe ihm, dass wir um 21 Uhr da sein werden."

Schnell schrieb Harry den Brief.

Er streichelte Hedwig und flüsterte ihr zu, dass sie ihn noch mal zu Sirius bringen sollte

„Danach lasse ich dich auch erst mal ausruhen, okay?"

Hedwig fiepte zutraulich. Harry band ihr den Brief ums Bein und ließ sie aus dem Fenster fliegen, hinaus, gen Himmel.

*****

Nach dem Abendessen ging Valerié hoch in den Gryffindorturm. Das heißt, nachdem sie wieder längere Zeit herumgeirrt war. Viel zu lange, wenn man noch die Zeit dazuzählte, die sie mit einem Mädchen aus Ravenclaw quatschend in der Großen Halle verbrachte.

Die Treppen verfluchend hetzte sie schließlich durchs Portraitloch ins Schlafsaal der Mädchen.

Lavender und Parvati waren ebenfalls im Schlafsaal. Lavender saß auf einem Stuhl vor einem Spiegel und Parvati stand hinter ihr. Sie schien eine Hochsteckfrisur bei Lavender auszuprobieren.

„Na, Val, haste gleich dein Date?", grinste Lavender, in den Spiegel schauend.

Valerié schaute in den Spiegel, um Lavender sehen zu können.

„Ha-ha. Seit wann zählt Nachhilfe in Sachen Voldemort zu einem Date?", witzelte Valerié.

Zunächst sahen Parvati und Lavender sie geschockt an. „Du ... du nennst ihn immer beim Namen", stotterte Parvati.

„Oh ... sorry ...nur, in Frankreich, da haben wir es uns angewöhnt gehabt, wisst ihr", entschuldigte sich Valerié.

Parvati nickte. „Schon okay, mir wäre es trotzdem lieber, wenn du ihn nicht beim Namen nennst." Und Lavender nickte.

„Okay, geht klar", sagte Valerié.

„Na ja, stimmt, romantisch dürfte es nicht werden", kam Parvati zum ursprünglichen Thema zurück.

"Na ja, wer weiß ...", giggelte Lavender.

Valerié verdrehte lachend die Augen und fing an, Blätter und Feder rauszukramen, die sie gleich sicher brauchen würde.

„Nun, Val, trotzdem ... genieße es", meinte Parvati.

Valerié sah wieder erstaunt hoch. „Hm?"

„Immerhin ist es Draco", fuhr Parvati fort.

Valerié runzelte die Stirn. „Ich dachte, gerade deswegen sollte ich diesen Abend verfluchen?"

Parvati winkte ab. „Trotz seiner Arroganz und Gemeinheit ist er nun mal der schönste Junge auf Hogwarts. Und einen Abend mit Draco wirst du so schnell nicht wieder erleben."

"Wenn überhaupt noch einmal", ergänzte Lavender. „Slytherins und Gryffindors verkehren eigentlich nie miteinander."

Valerié grinste mittlerweile. „Ihr findet ihn gutausehend?"

„Du etwa nicht??", rief Parvati überrascht aus.

„Klar finden wir ihn gutaussehend", lächelte Lavender.

„Doch, finde ich auch. Hätte ich nur nicht gedacht, dass ihr das so offen sagt", erklärte Valerié. „Bei dem Hass, den hier so viele Gryffindors an den Tag legen."

„Das wird bei Draco nicht anders sein", sagte Lavender unbekümmert.

„Eben", stimmte Parvati zu. „Slytherins hassen Gryffindors. Gryffindors hassen Slytherins. Aber man wird ja mal einen von denen gutaussehend finden dürfen" und sie zwinkerte.

„Bei manchen Jungs ist es auch der Neid", meinte Lavender und grinste. „An Dracos Aussehen können eben die Wenigsten mithalten."

„Schade das er so ist, wie er ist. Und nicht so wie ... wie Harry zum Beispiel."

„Oder Seamus", fügte Lavender hinzu und errötete leicht.

Valerié grinste. Sie schaute noch mal kurz in einen Spiegel und war zufrieden mit dem, was sie sah. Sie wusste, dass sie schön war.

„Ich muss jetzt los, bis nachher", sagte sie.

„Ciao Val", antwortete Parvati.

„Und erzähl´ uns hinterher alles", rief Lavender und sie und Parvati fingen an zu kichern.

*****

Valerié verlief sich natürlich prompt. Sie verfluchte mal wieder die Treppen.

Endlich hatte sie einen Weg hinunter zur Großen Halle gefunden.

Draco stand lässig an der Wand gelehnt und wartete. Sie spürte wieder den Hass, als sie ihn sah.

Langsam ging sie auf ihn zu und versuchte den Hass für heute Abend zu vergessen. Er würde ihr nur im Weg stehen, wenn sie versuchte, mehr über Draco zu erfahren.

„Hui, hast dich mal getraut ohne deine beiden Leibwächter aufzukreuzen?" spottete sie.

Draco löste sich lässig von der Steinwand.

„Auch dir einen schönen Abend", schnarrte er, nicht im Geringsten von ihrem Spruch beeindruckt.

Sie bedachte ihn mit einem finsteren Blick.

„Lass uns zur Bibliothek gehen", sagte Draco.

Er ging an ihr vorbei. Sie spürte wieder den Hauch von Kälte und musste an Schnee denken.

Schnell folgte Valerié ihn, bis sie ihn eingeholt hatte. Schweigend gingen sie nebeneinander her. Valerié schaute sich die Bilder an, die überall an den Wänden hingen.

In der Bibliothek angekommen, steuerte Draco einen Tisch an einem Fenster an.

Sie setzten sich nebeneinander hin.

Valerié holte Blatt und Feder heraus und schaute Draco erwartungsvoll an. Sie unterdrückte den Hass.

Jetzt, wo sie so nah beieinander saßen, spürte sie den Hauch von Kälte, der ihn stets umgab, noch deutlicher. Und wieder musste sie an Schnee denken.

„Also, das Wichtigste was man über Voldemort wissen muss, ist, dass er der wohl gefährlichste Magier dieser Zeit ist", fing Draco im gelangweilten Ton an. „Sein richtiger Name ist Tom Marvolo Riddle und wenn man die Buchstaben seines Namens ein Wenig hin und her verschiebt ergibt sich daraus I am Lord Voldemort. Er wurde nach seinem Vater benannt – ein Muggel. Seine Mutter war aber eine Hexe. Er ist also nur ein Halbblut ..." – und so erzählte Draco alles von Voldemort, was allgemein über ihn bekannt war und Valerié schrieb sich Stichpunkte dazu auf.

„Voldemort tötete auch Harrys Eltern. Lily Potter hätte er wohl noch am Leben gelassen, aber sie opferte sich für ihren Sohn. Ihre Liebe zu Potter schützte ihm das Leben. Irgendwie schlug sein Zauber auf ihn um, so dass er seinen Menschenkörper und fast seine ganze Macht verlor Seitdem wird Potter als Held gefeiert." Dracos Stimme klang dabei sehr finster.

Diesen Teil über Harry kannte Valerié. In Frankreich hatte man auch sehr viel über Harry Potter geredet und dass er es war, der Voldemort als Baby besiegt hatte.

„ ... nun, und jetzt hat er einen neuen Körper wiedergewinnen können. Nun kann er seine alte Machtposition wieder anstreben und vielleicht noch etwas höher hinaus" und mit diesen Worten endete Dracos Vortrag.

Er hatte, trotz seines gelangweilten Tons recht spannend erzählt. Das meiste wusste Valerié zwar, denn natürlich war Voldemort in Frankreich ein ebenso interessantes wie gefürchtetes Thema, aber man wusste nie so genau, was Wahrheit und was Gerücht war.

Dracos letzte Worte ließen Valerié etwas aufstutzen.

„Glaubst du, dass es ihm gelingen wird?", fragte sie.

„Ja", antwortete Draco. Er klang ausdruckslos.

„Was macht dich da so sicher?"

Draco sah sie nachdenklich an. „Die dunkle Seite ist leicht zu beherrschen."

„Wie meinst du das?", fragte Valerié verwirrt.

Draco musterte sie aufmerksam. „Es ist leichter jemanden zu hassen, statt zu vergeben." Valerié starrte ihn an. Weiß er von mir, fragte sie sich panisch. Weiß er, wer ich bin und wieso ich ihn hasse? ... Nein ...nein, das kann ja gar nicht sein!

„Es ist einfacher zu lügen, um bestimmte Ziele zu erreichen, statt den Weg der Wahrheit zu gehen", fuhr Draco fort.

„Findest du das wirklich?", fragte sie und versuchte so ruhig wie möglich zu klingen. Sie beruhigte sich wieder. Draco hatte es wohl nur allgemein hin gemeint.

„Ich denke mal, dass das so ist", wich Draco ihrer Frage aus.

„Und was denkst du persönlich darüber?", bohrte Valerié weiter. Sie wollte wissen, wie finster er wirklich war.

„Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht", sagte Draco kühl.

„Stimmt das ... stimmt das, dass dein Vater ein Todesser war?"

Valerié atmete leise aus. Es hatte sie einige Überwindung gekostet, dass zu fragen.

„Wir sind hier, damit du etwas über Voldemort erfährst. Nicht über meine Familie", wies Draco sie eisern zurecht. Ein kalter und finsterer Blick traf sie. Der Hauch von Kälte nahm stark zu. So stark, dass sie fröstelte.

Schnee.

„`Tschuldige", murmelte Valerié und mahn sich, in Zukunft taktisch klüger voran zu gehen.

„Also, Andrews, sind noch Fragen?", wollte Draco wissen.

Hastig dachte Valerié nach. Sie musste sich etwas einfallen lassen, um den Abend mit Draco noch etwas hinausziehen zu können.

„Und was will Harry nun gegen Voldemort tun?", fragte sie schnell.

„Keine Ahnung, was Potter für Pläne geschmiedet hat, um mal wieder den Helden heraushängen zu lassen", antwortete Draco und seine Stimme klang finster.

„Wieso magst du ihn eigentlich nicht?"

„Ich habe keine Gründe, ihn zu mögen." Dracos Antwort war knapp.

Valerié sah ihn forsch an. „Du hasst ihn aber. Du hasst Harry so sehr, wie man nur einen Menschen hassen kann und vielleicht sogar noch mehr."

Sie sah, wie es in Dracos Augen kalt aufblitzte.

„Du scheinst dich ja gut auszukennen, was", sagte er leise.

„Wie ... wie meinst du das?", fragte Valerié erstaunt.

„Hass", antwortete Draco und stand auf. „Du weißt, was Hass ist, nicht wahr."

Valerié starrte zu ihm hoch. Langsam stand sie auf. „Ich hasse niemanden", log sie und hoffte, dass sie selbstsicher klang. „Wie kommst du denn auf so einen Quatsch?"

Wie kam er darauf? Ihr fielen seine misstrauischen Blicke im Unterricht ein. Sie ließ ihren Hass unterdrückt. Er durfte nichts merken. Zum Glück konnte sie manchmal ihre Gefühle lenken. Sie hatte das von ihrer Schwester gelernt, Gefühle zu unterdrücken, zu kontrollieren, wenn es darauf ankam. So wie jetzt.

*****

Sie log. Sie hasste ihn, dass hatte er im Unterricht heute bemerkt. Sie versuchte ihm etwas vorzuspielen, aber ihm war es schon längst aufgefallen.

Er versuchte in ihren dunkelblauen Augen etwas zu finden, was sie verriet. Aber er fand nichts.

Sie hat sich gut unter Kontrolle, dachte er. Aber er wusste, dass sie den Hass unterdrückte. Anders konnte er es sich nicht erklären. Er wusste, dass sie ihn hasste, er wusste es einfach, und er fragte sich woher dieser Hass kam.

*****

Draco lächelte, aber das Lächeln erreichte nicht seine Augen.

Valerié fragte sich, ob es überhaupt ein Lächeln gab, dass seine Augen erreichen konnte.

„Komm, ich bring dich zurück", sagte er nur.

Valerié nickte. Es war besser so. Sie hatte schließlich drei Fächer mit ihm zusammen, da würden sich vielleicht noch Gelegenheiten ergeben, etwas über ihn zu erfahren.

Sie gingen durch die Flure, über die Treppen zum Gryffindorturm.

Vor dem Portraitloch blieben sie stehen.

Valerié sah Draco in die Augen und lächelte etwas unbeholfen. Keiner von beiden sagte etwas.

„Ich weiß es einfach", sagte Draco schließlich leise.

Valerié hörte auf zu lächeln und sah ihn verwirrt an.

Draco hatte sich aber schon umgedreht und ging.

Ich weiß es einfach, hallte es in ihren Kopf nach.

Es war die Antwort auf ihre Frage gewesen, wieso er annahm, dass sie das Gefühl des Hasses kannte ...

*****

Hermione sah auf, als sich das Portraitloch öffnete und Valerié hereingeklettert kam.

Sie sah etwas blasser aus, als sonst.

„Val?", fragte Hermione besorgt.

Valerié sah zu ihr ihn und näherte sich. „Hi Hermione", sagte sie.

Sie klang müde, fand Hermione.

„Wie war?", fragte Hermione.

Valerié setzte sich zu ihr ihn. „Wo sind Harry und Ron?"

„Im Jungenschlafsaal. Labern mit Seamus und Dean über Quidditch", antwortete Hermione. „Und, wie war, erzähl´ doch mal."

„Es war okay, er hat mir viel über Voldemort erzählt, ist objektiv geblieben und hat mir, glaube ich, leider kein Insiderwissen verraten", erzählte Valerié.

„Er ist objektiv geblieben?", staunte Hermione. „Hätte ich nicht gedacht."

„Darf ich dich mal was fragen?", wollte Valerié plötzlich wissen.

„Ja, klar", antwortete Hermione.

„Ich will deine Meinung zu was Bestimmten wissen ... aber du darfst es niemanden erzählen!", sagte Valerié.

Hermione war erstaunt über ihren eindringlichen Ton. „Ist okay, ich werde es für mich behalten."

"Du darfst es auch nicht Ron oder Harry sagen."

Hermione nickte.

„Also, weißt du ... nun, ehm .., erinnerst du dich an meine Frage heute beim Frühstück?"

Hermione nickte erneut. „Klar." Sie war nun sehr neugierig. Sie war sehr erstaunt über Valeriés Frage heute morgen gewesen und hatte sich gefragt, wieso sie das beschäftigte. Ihre Erklärung, es hätte nur mit dem dunklen Lord zu tun, hatte sie Valerié nicht so richtig abgenommen.

„Also ... ich habe gelogen, als ich gesagt habe, es hätte was mit Volde – du-weißt-schon-wer zu tun", erzählte Valerié zögerlich.

„Habe ich mir schon gedacht", sagte Hermione. „Du kannst ihn übrigens auch ruhig beim Namen nennen, wenn du es nicht anders gewohnt bist", fügte sie hinzu.

„Okay ... in Frankreich hat man ihn öfter beim Namen genannt, weißt du", erklärte Valerié und Hermione nickte.

„Also, ich ... ich hatte das heute morgen gefragt, weil ich einen komischen Traum hatte", fuhr Valerié fort.

„Welchen?", fragte Hermione neugierig.

„Normalerweise gebe ich nichts auf Träume, aber dieser hier, ich weiß nicht, ich habe irgendwie das Gefühl, dass es mehr als nur ein Traum ist", erzählte Valerié. „Kennst du das Gefühl?"

„Nein ... aber Harry kennt so was, glaube ich. Bei ihm ist das meist auf die Narbe bezogen. Narben sollen bei solchen Dingen recht nützlich sein, wenn es um Vorahnungen geht. Dabei meine ich aber nicht diesen Wahrsagereiunsinn", sagte Hermione. Sie hatte selten Albträume und war froh darüber.

Valerié grinste. „Nein, den meine ich auch nicht."

„Erzähl´ mir von deinem Traum", forderte Hermione sie auf.

„Ich hörte eine Stimme ...", sagte Valerié. „Sie war voller Kälte und Grausamkeit, aber hatte auch irgendwie was Anziehendes an sich. Und sie hörte sich so klar an. Als ob das eben kein Traum war. Sie sagte: Dunkles Herz. Kein Gewissen. Keine Reue. Ich rufe ihn. Ich rufe ihn zu mir. Dunkle Seele. Keine Gefühle. Keine Moral. Er ist der Schlüssel. Er ist der Schlüssel zu dieser Welt."

Hermione starrte sie an. Das klang alles sehr unheimlich.

„Verstehst du das?", fragte Valerié sie. „Dieser Rufer ruft jemanden zu sich, jemanden, der finster sein muss. Böse eben. Jemanden, der der Schlüssel zu der Welt ist. Aber wen? Zu welcher Welt, zu der Welt der dunklen Seite? Und wer ist der Rufer?"

„Und wieso hast ausgerechnet du das geträumt", ergänzte Hermione. Sie wusste nicht, ob man den Traum einfach nur als Traum oder als mehr als nur ein Traum bewerten sollte. Es war unheimlich. Sie überlegte. „Ich weiß nicht, ob das nur ein Traum war oder doch etwas mehr", sagte sie. „Aber nehmen wir mal an, es war mehr als nur ein Traum. Dann denke ich mir mal, dass dieser Jemand, der gerufen wurde, der Schlüssel zur dunklen Seite ist, weil dieser Jemand so finster, so böse ist. Und der Rufer braucht ihn anscheinend, um das Tor zur dunklen Seite zu öffnen. Dann kann dieser Rufer eigentlich niemand anderes sein als ..."

„Voldemort", flüsterte Valerié heiser.

Sie starrte Hermione mit weit aufgerissenen Augen an.

Auch Hermione bekam Gänsehaut. Konnte das wirklich sein?

„Aber wieso soll er dir das gerade sagen?", fragte sie. Dafür fand sie keine Erklärung ... außer ... nein, das konnte auch nicht sein. Hermione verwarf schnell den Gedanken, Valerié könnte ein Anhänger der dunklen Seite sein. Dann hätte sie ihr aber auch nicht von dem Traum erzählt.

Sie bemerkte, wie Valerié unruhig auf dem Platz hin und her rutschte und runzelte die Stirn.

„Da ... da gäbe es noch was, was erklären würde, wieso ich das geträumt habe", flüsterte sie.

Hermione sah sie neugierig an.

„Es ... also, nun, das darfst du wirklich niemanden sagen! Schwöre es!", verlangte Valerié eindringlich.

„Ich schwöre es", sagte Hermione. Angespannt wartete sie.

„Also ... es ... es gibt ein paar Hexen und Zauberer, die die Gabe zu Fühlen haben. Das ist - "

„Ich kenne diese Gabe", unterbrach Hermione sie im ungläubigen Ton. Sie ahnte, was jetzt kam. „Ich habe davon gelesen. Menschen, die die Gefühle anderer fühlen können, sollten diese stark genug sein."

Valerié nickte. „Genau ... und ... ich habe diese Gabe."

Valerié atmete hörbar aus. Hermione starrte sie an. „Wow", stieß sie hervor.

„Das würde auch einiges erklären", fuhr Valerié fort.

„Wie ist das Gefühl, andere Gefühle zu fühlen?", fragte Hermione.

„Geht ... da es extreme Gefühle sein müssen, ist es recht gewöhnungsbedürftig", antwortete Valerié.

Hermione zwang sich, ihre Neugier zurückzustellen. Jetzt sollte erst mal Valeriés Traum besprochen werden. Fragen zu ihrer Gabe stellen konnte sie immer noch.

„Ich glaube, dass jemand diesen Traum stark geträumt hat, nur etwas umgewandelt", erzählte Valerié weiter. „ Dass der Rufer zu ihm gesprochen hat, was genau auch immer, weiß ich nicht. Aber es muss so intensiv gewesen sein, dass der Traum auch in meinem Kopf stattfand, nur dementsprechend umgewandelt. Ich könnte mir vorstellen, dass der Rufer denjenigen, den er meinte im Traum direkt angesprochen hat und bei mir erzählte er über ihn, verstehst du?"

Hermione nickte.

„Und ... ich fühle es einfach. Ich fühle es, dass es mehr als nur ein Traum war", ergänzte Valerié.

„Val ... vielleicht sollten wir es Harry uns Ron erzählen", fing Hermione vorsichtig an. „Wenn es wirklich Voldemort war und wenn er wirklich einen zu sich rufen will, mit dessen Hilfe er die Welt beherrschen kann, dann ... also, das ist mir echt unheimlich."

Hermione war froh, als Valerié langsam nickte. „Ich finde es auch unheimlich", sagte sie leise.

Hermione schaute sich um. „Schau, Seamus und Dean sind gerade aus dem Schlafsaal gekommen. Vielleicht sind Harry und Ron ja gerade alleine drin."

„Sie werden es aber für sich behalten?", fragte Valerié sichtlich nervös.

Hermione nickte. „Ja. Wenn du mir eins glauben kannst, dann das. Ihnen kannst du alles anvertrauen."

Valerié schien ihr zu glauben.

„Und vielleicht wissen sie ja weiter", fügte Hermione hinzu.

Hermione und Valerié standen auf und gingen ins Jungenschlafsaal.

Hermione hätte wohl gegrinst, wenn sie nicht so besorgt gewesen wäre, als sie Rons und Harrys überraschten und perplexen Gesichter sah.

„Ey, das ist der Jungenschlafsaal!", entrüstete sich Ron.

„Reg´ dich ab, Ron, seid ihr alleine?", fragte Hermione und sah sich um.

„Glaub´ schon, was ist los?", fragte Harry und etwas besorgt.

Valerié und Hermione setzten sich zu ihnen aufs Bett.

„Wir müssen euch dringend etwas erzählen", sagte Hermione und schaute Valerié an.

„Und was?", fragten die Jungs neugierig.

„Also ... erinnert ihr euch an heute morgen ..." und Valerié erzählte noch einmal alles von vorne. Vom Traum, von ihrer Gabe und von Hermiones und ihren Interpretationen.

Als sie geendet hatte, sahen Harry und Ron blass aus. Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie abwechselnd Hermione und Valerié an.

„Oh mein Gott", murmelte Harry.

„Verdammte scheiße, das war sicher du-weißt-schon-wer", fluchte Ron. „Wer soll das sonst gewesen sein!"

„Und wen hat er zu sich gerufen? Einen seiner Leute?", fragte Hermione.

Harry sah sie ernst an. „Eher einen aus Hogwarts", sagte er leise.

Nein, dachte Hermione. Das konnte doch nicht sein. Sie sprach es laut aus.

„Es muss jemand aus Hogwarts sein ... sonst hätte ich es nicht auch geträumt. Derjenige, der es geträumt hat, muss in der Nähe gewesen sein", wisperte Valerié.

„Vielleicht Snape?", fragte Ron. „Es käme doch nur Snape in Frage!"

„Aber Dumbledore würde sich doch nicht so sehr in Snape irren", wandte Harry ein.

„Aber wer denn sonst?", meinte Ron.

„Ich glaube nicht, dass es Snape war", sagte Hermione. „Snape ist fies ... richtig fies ... aber er wird doch wohl kaum der Schlüssel zu der dunklen Welt sein, oder."

„Was ist mit Obscuri?", fragte Ron.

„Ich weiß nicht ... kann sein ... Ach, es sind noch so viele Fragen offen", grummelte Harry. „Ist wirklich die dunkle Welt gemeint? War es wirklich Voldemort? Und zu wem sprach er? Weiß er, dass es Val gehört hat?"

„Glaube ich nicht", sagte Hermione.

„Ich auch nicht, das liegt doch nur an der Gabe", stimmte Valerié zu.

„Ja, denke ich auch", meinte Harry. „Aber trotzdem. Wir stehen vor einem Rätsel. Ist diese Person wirklich der Schlüssel? Und wie soll das funktionieren?"

„Und wird die Person zu ihm hingehen?", flüsterte Ron.

„Ja ... und dafür müssen wir als erstes herausfinden, wer diese Person ist", warf Harry ein.

„Und wie?", fragte Hermione ratlos. „Was ist, wenn es nicht doch nur ein Traum war? Irgendein Albtraum? Ich würde es mir so sehr wünschen ..."

„Das kann nicht sein", hörte sie plötzlich eine neue Stimme.

Sie und die anderen fuhren erschrocken herum.

Valerié hatte vor Schreck leise aufgeschrieen.

Neville saß in seinem Bett, kreidebleich im Gesicht.

„Neville!", rief Ron erleichtert aus. „Verdammt, hast du mich erschrocken."

Neville hatte im Bett gelegen und alles mitbekommen. Sie hatten ihn nicht gesehen.

„Das kann nicht nur ein Albtraum gewesen sein", wiederholte er leise und seine Stimme klang angsterfüllt. „Denn es waren dunkle Träume."