Teil 2
Hogwarts, vor ein paar Jahren
Severus Snape rückte an der Kapuze seines Umhangs und sah sich in der Schenke um. Die Tische waren gut besetzt und eine Tabakwolke waberte unter der niedrigen Holzdecke. Zu vorgerückter Stunde waren die Gespräche zu einem leisen Murmeln verstummt und nur hin und wieder schob der Wirt Krüge mit Butterbier und anderen Getränken über den fleckigen Tresen, an dem schon Generationen von Hogwarts-Schülern gesessen hatten. Severus blickte erst auf die Uhr und dann in sein Bier. Wenn jetzt ein Lehrer den Schankraum betreten und ihn und seinen Gesprächspartner erkennen würde, würde es einen saftigen Punktabzug für Slytherin geben. Mit ihrem Hauslehrer war nicht zu spaßen. Und wenn James Potter, der Kapitän seiner Quidditch - Mannschaft, nicht durch Zufall vom Blitz getroffen würde - bei dem Gedanken hoben sich seine Mundwinkel zu einem zynischen Grinsen - , dann würden sie jeden Punkt brauchen, um gegen Gryffindor die Hausmeisterschaft zu gewinnen. Lucius Malfoy räusperte sich und Severus kehrte zum Geschehen zurück. "Was machst Du, wenn die Prüfungen vorbei sind?" Snape zuckte gelangweilt die Achseln. "Ich denke, ich werde bei Professor Trent zur Ausbildung bleiben. Es gibt kaum einen Ort, an dem so viele geniale Zauberer versammelt sind. Von ihnen kann ich lernen, noch besser zu werden als sie." Lucius schüttelte sich vor Lachen und seine wässrig-blauen Augen leuchteten amüsiert. "Typisch Sev, immer eine Intrige. Ich werde eines Tages das Zaubereiministerium leiten. Und dann werde ich alle, die mir nicht passen, aus dem Weg räumen." Die Tür klappte und eine mächtige Gestalt betrat den Raum. Rubeus Hagrid stapfte direkt zur Theke und ließ sich ächzend auf einem Barhocker nieder, der ebenfalls ächzte. Er bestellte ein Bier und versank in brütendes Schweigen. Lucius zeigte mit dem Daumen auf ihn und fuhr fort: "Solche wie diesen Freak. Obwohl er dieses Ungetüm in die Schule geschmuggelt hat, lebt er noch immer hier in seiner Bruchbüde von Hütte. Und das alles nur, weil Albus Dumbledore ihn beschützt. Mein Vater sagt, dieser senile Greis gehört überall hin, nur nicht an unsere Schule." "Sei es, wie es ist." Severus war auf einmal gelangweilt von Lucius und seiner ewigen "Mein-Vater-sagt-Nummer". Er schätzte eigenständiges Denken. "Ich gehe jetzt. Kommst Du mit?" Malfoy schüttelte den blonden Kopf. "Bin heute Abend noch verabredet. Bis morgen. Und pass auf... !" Er wies mit dem Kopf in Hagrids Richtung. Doch das bekam Severus nur noch auf einem Ohr mit. Er schob die Kapuze so tief wie möglich ins Gesicht und verließ das Gasthaus "Zu den drei Besen". Die Tür fiel hinter ihm zu und die nächtliche Stille umfing ihn. Im See spiegelte sich der blasse Mond, der die Berge und die Zinnen des nahen Schlosses in silbernes Licht tauchte. Einen tiefen Atemzug nehmend, machte er sich auf den Weg. Der schmale Pfad, der von Hogsmeade aus durch den Wald zu einem Geheimgang in der Mauer des Schlosses führte, lag gut sichtbar vor ihm. Die Nacht war kühl und ein scharfer Wind ließ die Bäume rauschen. Severus verschränkte die Hände vor der Brust und legte einen schnellen Schritt vor. Sein Kopf dröhnte von zuviel Alkohol und den Erinnerungen an eine durchlernten Nachmittag in der Bibliothek. Er schwor sich, eines Tages selbst derjenige zu sein, der den Schülern die Aufgaben geben und sie damit zum Schwitzen bringen würde. Es entsprach seiner Vorstellung von Autorität und Kontrolle. Dicht über seinem Kopf rauschte es und er ging instinktiv in Deckung. Er war nicht leicht zu verblüffen, doch der leuchtend weiße Schwan, der über den Bäumen im trudelnden Flug dahinglitt, war schon recht ungewöhnlich. Das Tier flatterte verzweifelt, wurde von einer Böe in die Luft gerissen und verschwand mit etwas, was einem menschlichen Schrei sehr ähnlich war, hinter einer dichten Hecke. Irgendetwas sagte Severus, dass dies kein gewöhnlicher Vorfall war und er beeilte sich, die Absturzstelle zu erreichen. In der Dunkelheit schimmerte etwas weiß im Unterholz. Beim Näherkommen stockte ihm kurzzeitig der Atem. Ein junges Mädchen in seinem Alter lag offenbar bewusstlos auf dem Boden, das weiße Kleid zerfetzt und schmutzig. Es dauerte einige Sekunden, bis er sie erkannte. Eine der Schülerinnen seines Jahrgangs, aus Ravenclaw, wenn es sich nicht irrte. Still, introvertiert und unbeliebt. Dass sie ein Animagus war, überraschte ihn. Eine Sekunde erwog er, sie liegen zu lassen. Ihr Problem, wenn sie zu verbotener Stunde Flugübungen machte. Doch dann siegte seine Neugierde und er kniet sich neben sie ins nasse Laub. Ihr Puls klopfte unter seinen suchenden Fingern relativ kräftig und die flüchtige Berührung wirkte auf sie. Ihre Lider flatterten, dann blickte Severus in die ausdrucksvollsten Augen, die er jemals gesehen hatte. Eine steile Falte erschien zwischen den Brauen des Mädchens, als sie sich aufsetzte. "Dieser verdammte Wind", sagte sie trocken und klopfte einige Blätter von ihrer Robe. So als habe sie Severus überhaupt nicht gesehen, kam sie auf die Beine. "Autsch." "Etwas nicht in Ordnung?" erkundigte sich Severus eher automatisch als wirklich besorgt. Ihr hübsches Gesicht verzerrte sich für einen Moment, als sie nach ihrem Knöchel tastete. "Halb so schlimm. Wenn ich bei der Landung schon in der Verwandlung bin, passiert das manchmal. Menschen haben nun einmal nicht die nötigen Füße für so etwas." "Ehrlich gesagt sah Deine Landung so aus, als würde Dir alles für eine richtige Landung fehlen." Auf seinen offenen Affront reagierte sie erstaunlich gelassen. Die Aura von Ernsthaftigkeit, die sie umgab, hielt ihn zunächst davon ab, eine weitere Bemerkung zu machen. Humpelnd, aber entschlossen ließ sie ihn links liegen und schlug den Pfad Richtung Hogwarts ein. Severus war ehrlich verblüfft. Ein solcher Dickschädel war ihm selten untergekommen. Und sie schien auch gar keine Angst vor ihm zu haben wie die meisten Mädchen ihres Jahrgangs, die sich immer zurückzogen, wenn er an ihnen vorbeiging. Eigentlich machte es ihm nichts aus, schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren. Und das war auch genau der Grund, warum er sich nicht alles von der personifizierten Bruchlandung gefallen lassen wollte. Er beeilte sich, zu ihr aufzuschließen, was aufgrund ihrer Verletzung nicht allzu schwer war. "Du wirst wohl keinen Besuch im Krankenrevier machen, oder?" Noch immer keine Reaktion. "Willst Du Dich selbst heilen?" Langsam wurde er nervös, als er das steinerne Profil des Mädchens betrachtete, die stur weiterhumpelte, als sei er gar nicht vorhanden. "Du weißt, dass es Dich nicht unbedingt beliebt macht, wenn Du potentielle Gesprächspartner derart abfertigst?" Endlich eine Reaktion. Sie zuckte zusammen und innerlich händereibend beeilte sich Severus, weiter auf ihrem wunden Punkt herumzustochern, um seinem Ruf gerecht zu werden. Der Alkohol in seinem Blut gab ihm zusätzlichen Antrieb. "Ach, ich vergaß, Du hast ja sowieso keine Freunde. Jetzt weiß ich, warum." Sie blieb stehen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und als sie sich zu ihm wandte, lag ein seltsamer Ausdruck in ihren Augen, der ihn einen Schritt zurückweichen ließ. "Ich weiß alles über Dich, Severus Snape. Du bist genau wie ich, ein Außenseiter. Deswegen polierst Du Dein Ego auf, indem Du Schwächere quälst. Denn so wie James Potter und seine Freunde, die Dich so behandeln, wie es Dir zusteht, wirst Du niemals sein. Niemals edel, gut oder bewundernswert. Weißt Du, was Du in Wirklichkeit bist? Ein verachtenswerter Feigling, der sich in der Dunkelheit verstecken will. Ein Nichts." Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und verschwand in der Dunkelheit. Severus blieb, wie vor den Kopf geschlagen, stehen und sah ihr hinterher. So etwas hatte ihm in seinem ganzen Leben noch nie jemand gesagt. Und in die Wut, die in ihm aufstieg, mischte sich das unangenehme Gefühl, erkannt worden zu sein.
Kara verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen und zuckte zusammen. Die Verletzung, die sie sich am vergangenen Abend zugezogen hatte, hatte sie zwar mit etwas Eis behandelt, doch der Knöchel war noch immer geschwollen und blau. Sie starrte auf die Tür zu Dumbledores Büro und seufzte. Vor einer Viertelstunde hatte Professor McGonagall sie aus dem Unterricht geholt und seitdem wartete sie darauf, dass die Lehrerin das Büro wieder verließ und sie selber hereingebeten wurde. Ob ihr nächtlicher Ausflug aufgeflogen war? Sie konnte sich vorstellen, dass Snape sie verraten hatte. Obwohl - damit hätte er zugegeben, selbst zu nachtschlafender Zeit unterwegs gewesen zu sein und so dumm war er nicht. Kara grinste unwillig. Aller Zorn, der sich in ihrer Zeit in Hogwarts angesammelt hatte, war am vergangenen Abend losgebrochen und hatte sein Ziel gefunden. Snapes Gesichtsausdruck erschien vor ihrem geistigen Auge. Er hatte sie verletzt und sie daraufhin ihn. Das war nur fair. Trotz allem tat er ihr irgendwie leid, auch wenn sie es sich nicht richtig zugestehen wollte. Severus war erstaunlich erwachsen für sein Alter und immer von einer Aura düsterer Traurigkeit umgeben, die er durch Zynismus und Grausamkeit zu kaschieren suchte. Eine Wahrheit, die sie ihm ins Gesicht geschleudert hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Du bist genau wie ich. Das musste sie wohl oder übel zugeben. Die mit wertvollen Einlegearbeiten ausgestattete Tür vor ihr ging auf und Minerva McGonagall kam, wie stets kühl und würdevoll, heraus. "Sie werden erwartet, Miss Alanee", verkündete die Lehrerin hoheitsvoll und Kara betrat, tief durchatmend, das Büro des stellvertretenden Schulleiters. Einen Ort, den sie sehr gut kannte, da der alte Mann ein Freund ihrer Eltern und ihr Protegé war. Albus Dumbledore saß nicht hinter seinem Schreibtisch, sondern stand an einem Käfig, in dem ein etwas zerrupft wirkender Vogel auf einer Stange saß. "Ah, Kara, setzen sie sich, ich bin gleich bei Ihnen." Liebevoll streichelte er den Schnabel des Tieres, den es zwischen den Gitterstäben hindurch gestreckt hatte. "Diesen Phoenix habe ich von einem Freund geschenkt bekommen. Er muss sich noch etwas an seine neue Umgebung gewöhnen. Sehr selten und manchmal ein wenig temperamentvoll." "Wie kommt es, dass ich das Gefühl habe, dass sie nicht nur von dem Phoenix sprechen?" Kara ließ sich in den Besucherstuhl fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Dumbledore lachte leise, es klang angenehm rostig. Sich den weißen Bart mit einer Hand kraulend, begab er sich hinter seinen Schreibtisch, auf dem sich Dokumente stapelten und setzte sich. "Ich wusste, dass Sie mich verstehen." "Natürlich", gab sie zurück und fühlte Bitterkeit in sich aufsteigen. "Wie oft ich das gehört habe: Sie ist etwas Besonderes, man muss sie in einen Käfig sperren, sonst macht sie Dummheiten." "Das ist..", setzte der Schulleiter an, doch er wurde unterbrochen "Nur zu mein Besten, ich weiß, Professor." "Mir ist klar", begann Dumbledore vorsichtig, "dass dies hier nicht leicht für Sie ist. Aber es sind nur noch zwei Monate bis zu den Abschlussprüfungen und danach sind sie frei, das zu tun, was Sie wollen." "Ich werde niemals frei sein." Kara starrte aus dem Fenster, vor dem der Wind braune Blätter hinwegfegte. "Mein Schicksal steht in den Büchern, die über meine "Art" berichten. Keine Chance, mich zu wehren." Düster starrte sie vor sich hin, doch dann blickte sie, äußerlich wieder völlig ruhig, auf. "Aber diese tiefschürfenden Äußerungen dürften nicht der Grund sein, warum Sie mich sprechen wollen?" "Nein." Albus räusperte sich. "Sie sind heute Nacht mit Severus Snape zusammengetroffen?" "Es hätte wohl keinen Sinn, das zu leugnen. Wir sind uns in der Nähe des Dorfes begegnet. Warum fragen Sie?" "Ich möchte Sie warnen, meine Liebe. Er ist absolut nicht der richtige Umgang für Sie. Seine Loyalität ist nicht eindeutig geklärt." "So?" Kara erhob sich, plötzlich wütend, wie so oft. "Das sagen Sie über jeden, der auch nur die kleinste Anstrengung unternimmt, sich mir zu nähern! Wie oft habe ich das jetzt gehört? Ein Dutzend Mal? Garantiert öfter! Professor, bei allem Respekt, was für eine Angst müssen Sie haben, dass ich unter schlechten Einfluss gerate und mich für die falsche Seite entscheide! Aber gibt es Ihnen das Recht, darüber zu bestimmen, wie ich lebe? Nein! Und ich werde nicht zulassen, dass sie es weiterhin tun." Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte aus dem Raum. Dumbledore sollte nicht sehen, dass sich Tränen in ihren Augen sammelten, die sich nicht verdrängen konnte. Doch es wurde noch schlimmer. Als sie die Tür aufriss, um zu entkommen, prallte sie im Vorraum gegen eine hochgewachsene, düstere Gestalt, die dort wartete. Severus Snapes Hände bewahrten sie davor, zu Boden zu fallen und dafür hasste sie ihn plötzlich. Mit einem Ruck machte sie sich los, vermied es, in sein markantes Gesicht zu blicken und rannte davon. Ihre Füße trugen sie wie von selbst die verwinkelten Gänge entlang, ein, zwei Wendeltreppen empor und schließlich in einen staubigen Raum, in dem eine schmale Leiter zu einer Luke in der Decke führte. Sie stieg hinauf, presste die Hände mit aller Kraft gegen das Holz und mit einem hässlichen Quietschen schwang die Luke nach oben auf. Oberhalb des Zugangs, den wohl die wenigsten Personen in Hogwarts kannten, lag der verbotene Turm. Verboten nicht etwa, weil ein Zauber auf ihm lag; vor Jahren hatten sich zwei Schüler von ihm in den Tod gestürzt. Kara war gern an diesem Ort, trotz seiner belasteten Vergangenheit. Sie konnte, hoch über den Dächern des Schlosses, über die Berge blicken und in den Himmel in seiner ganzen sturmgepeitschten Schönheit. Der Wind riss an ihren Haaren - sie hasste die Farbe, sie fühlte sich wie eine Greisin - und ihrem Umhang, Kälteschauder überfielen sie. Kara fühlte sich frei. So als ob ihre Wut und Trauer davongetragen wurden und am Horizont verschwanden. Mit den Ellbogen lehnte sie sich auf die Zinnen und stützte das Kinn in die Hände. Die Minuten vergingen und ihre Tränen versiegten. In Gedanken kehrte sie zu dem Gespräch mit Dumbledore zurück. Sie schalt sich eine Närrin, so die Kontrolle verloren zu haben. Das war ganz und gar nicht dem Bild von sich, das sie immer zu vermitteln suchte, vor allem ihren Eltern und den Lehrern gegenüber. Sie war siebzehn Jahre alt und kein Kind mehr. Das brachte die Verantwortung, die sie trug, mit sich. Für einen winzigen, sehnsüchtigen und auch selbstsüchtigen Moment wünschte sie sich, eine Tag so zu sein wie die anderen mit ihren Streichen und sorglosen Tagen. Doch das war unmöglich. "Tu das nicht!" "Was?" Aus den Gedanken gerissen, fuhr sie herum und beobachtet, wie Severus Snape hastig aus der Falltür kletterte. "Spring nicht!" In Snapes Gesicht lag tatsächlich so etwas wie Sorge, als er einen Schritt auf sie zumachte. Kara musste wider Willen lächeln. "Nur keine Angst, Severus, ich habe nicht vor, mich umzubringen. Sonst könnte noch jemand auf den Gedanken kommen, Du hättest mich heruntergeworfen!" Angriffslustig stellte sie sich ihm entgegen. "Woher das plötzliche Interesse an meiner Person? Gestern Nacht wolltest Du mich doch mit Vorliebe fertig machen." Stille entstand zwischen ihnen. Kara beobachtete ihr Gegenüber. Seine langen, schwarzen Haare wurden durch die Luft verwirbelt, doch er kümmerte sich nicht darum. Er blickte sie nur an. Seine Augen waren so schwarz, wie sie sie in Erinnerung hatte und seine große Gestalt schien von dem an ihm zerrenden Element nicht im Geringsten bewegt zu werden. Du bist genau wie ich. Jung, und trotzdem alt. Wütend, aber beherrscht. Dann tat er etwas, das sie überraschte. "Ich entschuldige mich", sagte er schlicht. "Es war nicht gerechtfertigt, mich so zu benehmen, ich war angetrunken und hatte schlechte Laune." "Mmh, Du hast immer schlechte Laune. Aber ich nehme die Entschuldigung an. Ich war ja auch nicht ganz fair." Was tat sie da? Sie gab sich eine Blöße vor einem Menschen, den sie kaum kannte. Vor dem Dumbledore sie gewarnt hatte. Ein Slytherin, der garantiert der "falschen" Sorte Magiern angehörte. "Ich habe selten eine interessantere Beschreibung meines Selbst gehört." Er trat neben sie und blickte mit undurchdringlicher Mimik zum Horizont. Dann wechselte er abrupt das Thema, und Kara spürte, dass es ihm ebenso unangenehm war wie ihr, über den vergangenen Abend zu reden. "Professor Dumbledore hat mich gewarnt, mich mit Dir abzugeben." "Ja, das macht er mit jedem, der mir zu nah kommt. Eine Erklärung, warum ich keine Freunde habe", spielte sie ein letztes Mal auf ihre Auseinandersetzung an und konnte nicht verhindern, dass es traurig klang. "Mir kommt es so vor, als ob Du keine Lust mehr hast, dem zu folgen, was Dumbledore Dir sagt, oder?" erkundigte sich Severus nach einer kurzen Pause. "Ich kann Dir nur dazu raten, Deine Freunde selber auszusuchen, weil ich es genauso halte." In diesem Moment begann sie, ihn zu mögen. Er war der erste, der nach der Einmischung des des Professors nicht klein beigegeben und sich von ihr ferngehalten hatte. Das war ihm hoch anzurechnen. "Kommst Du?" fragte er schließlich. "Es ist kalt hier oben."
Hogwarts, vor ein paar Jahren
Severus Snape rückte an der Kapuze seines Umhangs und sah sich in der Schenke um. Die Tische waren gut besetzt und eine Tabakwolke waberte unter der niedrigen Holzdecke. Zu vorgerückter Stunde waren die Gespräche zu einem leisen Murmeln verstummt und nur hin und wieder schob der Wirt Krüge mit Butterbier und anderen Getränken über den fleckigen Tresen, an dem schon Generationen von Hogwarts-Schülern gesessen hatten. Severus blickte erst auf die Uhr und dann in sein Bier. Wenn jetzt ein Lehrer den Schankraum betreten und ihn und seinen Gesprächspartner erkennen würde, würde es einen saftigen Punktabzug für Slytherin geben. Mit ihrem Hauslehrer war nicht zu spaßen. Und wenn James Potter, der Kapitän seiner Quidditch - Mannschaft, nicht durch Zufall vom Blitz getroffen würde - bei dem Gedanken hoben sich seine Mundwinkel zu einem zynischen Grinsen - , dann würden sie jeden Punkt brauchen, um gegen Gryffindor die Hausmeisterschaft zu gewinnen. Lucius Malfoy räusperte sich und Severus kehrte zum Geschehen zurück. "Was machst Du, wenn die Prüfungen vorbei sind?" Snape zuckte gelangweilt die Achseln. "Ich denke, ich werde bei Professor Trent zur Ausbildung bleiben. Es gibt kaum einen Ort, an dem so viele geniale Zauberer versammelt sind. Von ihnen kann ich lernen, noch besser zu werden als sie." Lucius schüttelte sich vor Lachen und seine wässrig-blauen Augen leuchteten amüsiert. "Typisch Sev, immer eine Intrige. Ich werde eines Tages das Zaubereiministerium leiten. Und dann werde ich alle, die mir nicht passen, aus dem Weg räumen." Die Tür klappte und eine mächtige Gestalt betrat den Raum. Rubeus Hagrid stapfte direkt zur Theke und ließ sich ächzend auf einem Barhocker nieder, der ebenfalls ächzte. Er bestellte ein Bier und versank in brütendes Schweigen. Lucius zeigte mit dem Daumen auf ihn und fuhr fort: "Solche wie diesen Freak. Obwohl er dieses Ungetüm in die Schule geschmuggelt hat, lebt er noch immer hier in seiner Bruchbüde von Hütte. Und das alles nur, weil Albus Dumbledore ihn beschützt. Mein Vater sagt, dieser senile Greis gehört überall hin, nur nicht an unsere Schule." "Sei es, wie es ist." Severus war auf einmal gelangweilt von Lucius und seiner ewigen "Mein-Vater-sagt-Nummer". Er schätzte eigenständiges Denken. "Ich gehe jetzt. Kommst Du mit?" Malfoy schüttelte den blonden Kopf. "Bin heute Abend noch verabredet. Bis morgen. Und pass auf... !" Er wies mit dem Kopf in Hagrids Richtung. Doch das bekam Severus nur noch auf einem Ohr mit. Er schob die Kapuze so tief wie möglich ins Gesicht und verließ das Gasthaus "Zu den drei Besen". Die Tür fiel hinter ihm zu und die nächtliche Stille umfing ihn. Im See spiegelte sich der blasse Mond, der die Berge und die Zinnen des nahen Schlosses in silbernes Licht tauchte. Einen tiefen Atemzug nehmend, machte er sich auf den Weg. Der schmale Pfad, der von Hogsmeade aus durch den Wald zu einem Geheimgang in der Mauer des Schlosses führte, lag gut sichtbar vor ihm. Die Nacht war kühl und ein scharfer Wind ließ die Bäume rauschen. Severus verschränkte die Hände vor der Brust und legte einen schnellen Schritt vor. Sein Kopf dröhnte von zuviel Alkohol und den Erinnerungen an eine durchlernten Nachmittag in der Bibliothek. Er schwor sich, eines Tages selbst derjenige zu sein, der den Schülern die Aufgaben geben und sie damit zum Schwitzen bringen würde. Es entsprach seiner Vorstellung von Autorität und Kontrolle. Dicht über seinem Kopf rauschte es und er ging instinktiv in Deckung. Er war nicht leicht zu verblüffen, doch der leuchtend weiße Schwan, der über den Bäumen im trudelnden Flug dahinglitt, war schon recht ungewöhnlich. Das Tier flatterte verzweifelt, wurde von einer Böe in die Luft gerissen und verschwand mit etwas, was einem menschlichen Schrei sehr ähnlich war, hinter einer dichten Hecke. Irgendetwas sagte Severus, dass dies kein gewöhnlicher Vorfall war und er beeilte sich, die Absturzstelle zu erreichen. In der Dunkelheit schimmerte etwas weiß im Unterholz. Beim Näherkommen stockte ihm kurzzeitig der Atem. Ein junges Mädchen in seinem Alter lag offenbar bewusstlos auf dem Boden, das weiße Kleid zerfetzt und schmutzig. Es dauerte einige Sekunden, bis er sie erkannte. Eine der Schülerinnen seines Jahrgangs, aus Ravenclaw, wenn es sich nicht irrte. Still, introvertiert und unbeliebt. Dass sie ein Animagus war, überraschte ihn. Eine Sekunde erwog er, sie liegen zu lassen. Ihr Problem, wenn sie zu verbotener Stunde Flugübungen machte. Doch dann siegte seine Neugierde und er kniet sich neben sie ins nasse Laub. Ihr Puls klopfte unter seinen suchenden Fingern relativ kräftig und die flüchtige Berührung wirkte auf sie. Ihre Lider flatterten, dann blickte Severus in die ausdrucksvollsten Augen, die er jemals gesehen hatte. Eine steile Falte erschien zwischen den Brauen des Mädchens, als sie sich aufsetzte. "Dieser verdammte Wind", sagte sie trocken und klopfte einige Blätter von ihrer Robe. So als habe sie Severus überhaupt nicht gesehen, kam sie auf die Beine. "Autsch." "Etwas nicht in Ordnung?" erkundigte sich Severus eher automatisch als wirklich besorgt. Ihr hübsches Gesicht verzerrte sich für einen Moment, als sie nach ihrem Knöchel tastete. "Halb so schlimm. Wenn ich bei der Landung schon in der Verwandlung bin, passiert das manchmal. Menschen haben nun einmal nicht die nötigen Füße für so etwas." "Ehrlich gesagt sah Deine Landung so aus, als würde Dir alles für eine richtige Landung fehlen." Auf seinen offenen Affront reagierte sie erstaunlich gelassen. Die Aura von Ernsthaftigkeit, die sie umgab, hielt ihn zunächst davon ab, eine weitere Bemerkung zu machen. Humpelnd, aber entschlossen ließ sie ihn links liegen und schlug den Pfad Richtung Hogwarts ein. Severus war ehrlich verblüfft. Ein solcher Dickschädel war ihm selten untergekommen. Und sie schien auch gar keine Angst vor ihm zu haben wie die meisten Mädchen ihres Jahrgangs, die sich immer zurückzogen, wenn er an ihnen vorbeiging. Eigentlich machte es ihm nichts aus, schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren. Und das war auch genau der Grund, warum er sich nicht alles von der personifizierten Bruchlandung gefallen lassen wollte. Er beeilte sich, zu ihr aufzuschließen, was aufgrund ihrer Verletzung nicht allzu schwer war. "Du wirst wohl keinen Besuch im Krankenrevier machen, oder?" Noch immer keine Reaktion. "Willst Du Dich selbst heilen?" Langsam wurde er nervös, als er das steinerne Profil des Mädchens betrachtete, die stur weiterhumpelte, als sei er gar nicht vorhanden. "Du weißt, dass es Dich nicht unbedingt beliebt macht, wenn Du potentielle Gesprächspartner derart abfertigst?" Endlich eine Reaktion. Sie zuckte zusammen und innerlich händereibend beeilte sich Severus, weiter auf ihrem wunden Punkt herumzustochern, um seinem Ruf gerecht zu werden. Der Alkohol in seinem Blut gab ihm zusätzlichen Antrieb. "Ach, ich vergaß, Du hast ja sowieso keine Freunde. Jetzt weiß ich, warum." Sie blieb stehen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und als sie sich zu ihm wandte, lag ein seltsamer Ausdruck in ihren Augen, der ihn einen Schritt zurückweichen ließ. "Ich weiß alles über Dich, Severus Snape. Du bist genau wie ich, ein Außenseiter. Deswegen polierst Du Dein Ego auf, indem Du Schwächere quälst. Denn so wie James Potter und seine Freunde, die Dich so behandeln, wie es Dir zusteht, wirst Du niemals sein. Niemals edel, gut oder bewundernswert. Weißt Du, was Du in Wirklichkeit bist? Ein verachtenswerter Feigling, der sich in der Dunkelheit verstecken will. Ein Nichts." Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und verschwand in der Dunkelheit. Severus blieb, wie vor den Kopf geschlagen, stehen und sah ihr hinterher. So etwas hatte ihm in seinem ganzen Leben noch nie jemand gesagt. Und in die Wut, die in ihm aufstieg, mischte sich das unangenehme Gefühl, erkannt worden zu sein.
Kara verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen und zuckte zusammen. Die Verletzung, die sie sich am vergangenen Abend zugezogen hatte, hatte sie zwar mit etwas Eis behandelt, doch der Knöchel war noch immer geschwollen und blau. Sie starrte auf die Tür zu Dumbledores Büro und seufzte. Vor einer Viertelstunde hatte Professor McGonagall sie aus dem Unterricht geholt und seitdem wartete sie darauf, dass die Lehrerin das Büro wieder verließ und sie selber hereingebeten wurde. Ob ihr nächtlicher Ausflug aufgeflogen war? Sie konnte sich vorstellen, dass Snape sie verraten hatte. Obwohl - damit hätte er zugegeben, selbst zu nachtschlafender Zeit unterwegs gewesen zu sein und so dumm war er nicht. Kara grinste unwillig. Aller Zorn, der sich in ihrer Zeit in Hogwarts angesammelt hatte, war am vergangenen Abend losgebrochen und hatte sein Ziel gefunden. Snapes Gesichtsausdruck erschien vor ihrem geistigen Auge. Er hatte sie verletzt und sie daraufhin ihn. Das war nur fair. Trotz allem tat er ihr irgendwie leid, auch wenn sie es sich nicht richtig zugestehen wollte. Severus war erstaunlich erwachsen für sein Alter und immer von einer Aura düsterer Traurigkeit umgeben, die er durch Zynismus und Grausamkeit zu kaschieren suchte. Eine Wahrheit, die sie ihm ins Gesicht geschleudert hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Du bist genau wie ich. Das musste sie wohl oder übel zugeben. Die mit wertvollen Einlegearbeiten ausgestattete Tür vor ihr ging auf und Minerva McGonagall kam, wie stets kühl und würdevoll, heraus. "Sie werden erwartet, Miss Alanee", verkündete die Lehrerin hoheitsvoll und Kara betrat, tief durchatmend, das Büro des stellvertretenden Schulleiters. Einen Ort, den sie sehr gut kannte, da der alte Mann ein Freund ihrer Eltern und ihr Protegé war. Albus Dumbledore saß nicht hinter seinem Schreibtisch, sondern stand an einem Käfig, in dem ein etwas zerrupft wirkender Vogel auf einer Stange saß. "Ah, Kara, setzen sie sich, ich bin gleich bei Ihnen." Liebevoll streichelte er den Schnabel des Tieres, den es zwischen den Gitterstäben hindurch gestreckt hatte. "Diesen Phoenix habe ich von einem Freund geschenkt bekommen. Er muss sich noch etwas an seine neue Umgebung gewöhnen. Sehr selten und manchmal ein wenig temperamentvoll." "Wie kommt es, dass ich das Gefühl habe, dass sie nicht nur von dem Phoenix sprechen?" Kara ließ sich in den Besucherstuhl fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Dumbledore lachte leise, es klang angenehm rostig. Sich den weißen Bart mit einer Hand kraulend, begab er sich hinter seinen Schreibtisch, auf dem sich Dokumente stapelten und setzte sich. "Ich wusste, dass Sie mich verstehen." "Natürlich", gab sie zurück und fühlte Bitterkeit in sich aufsteigen. "Wie oft ich das gehört habe: Sie ist etwas Besonderes, man muss sie in einen Käfig sperren, sonst macht sie Dummheiten." "Das ist..", setzte der Schulleiter an, doch er wurde unterbrochen "Nur zu mein Besten, ich weiß, Professor." "Mir ist klar", begann Dumbledore vorsichtig, "dass dies hier nicht leicht für Sie ist. Aber es sind nur noch zwei Monate bis zu den Abschlussprüfungen und danach sind sie frei, das zu tun, was Sie wollen." "Ich werde niemals frei sein." Kara starrte aus dem Fenster, vor dem der Wind braune Blätter hinwegfegte. "Mein Schicksal steht in den Büchern, die über meine "Art" berichten. Keine Chance, mich zu wehren." Düster starrte sie vor sich hin, doch dann blickte sie, äußerlich wieder völlig ruhig, auf. "Aber diese tiefschürfenden Äußerungen dürften nicht der Grund sein, warum Sie mich sprechen wollen?" "Nein." Albus räusperte sich. "Sie sind heute Nacht mit Severus Snape zusammengetroffen?" "Es hätte wohl keinen Sinn, das zu leugnen. Wir sind uns in der Nähe des Dorfes begegnet. Warum fragen Sie?" "Ich möchte Sie warnen, meine Liebe. Er ist absolut nicht der richtige Umgang für Sie. Seine Loyalität ist nicht eindeutig geklärt." "So?" Kara erhob sich, plötzlich wütend, wie so oft. "Das sagen Sie über jeden, der auch nur die kleinste Anstrengung unternimmt, sich mir zu nähern! Wie oft habe ich das jetzt gehört? Ein Dutzend Mal? Garantiert öfter! Professor, bei allem Respekt, was für eine Angst müssen Sie haben, dass ich unter schlechten Einfluss gerate und mich für die falsche Seite entscheide! Aber gibt es Ihnen das Recht, darüber zu bestimmen, wie ich lebe? Nein! Und ich werde nicht zulassen, dass sie es weiterhin tun." Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte aus dem Raum. Dumbledore sollte nicht sehen, dass sich Tränen in ihren Augen sammelten, die sich nicht verdrängen konnte. Doch es wurde noch schlimmer. Als sie die Tür aufriss, um zu entkommen, prallte sie im Vorraum gegen eine hochgewachsene, düstere Gestalt, die dort wartete. Severus Snapes Hände bewahrten sie davor, zu Boden zu fallen und dafür hasste sie ihn plötzlich. Mit einem Ruck machte sie sich los, vermied es, in sein markantes Gesicht zu blicken und rannte davon. Ihre Füße trugen sie wie von selbst die verwinkelten Gänge entlang, ein, zwei Wendeltreppen empor und schließlich in einen staubigen Raum, in dem eine schmale Leiter zu einer Luke in der Decke führte. Sie stieg hinauf, presste die Hände mit aller Kraft gegen das Holz und mit einem hässlichen Quietschen schwang die Luke nach oben auf. Oberhalb des Zugangs, den wohl die wenigsten Personen in Hogwarts kannten, lag der verbotene Turm. Verboten nicht etwa, weil ein Zauber auf ihm lag; vor Jahren hatten sich zwei Schüler von ihm in den Tod gestürzt. Kara war gern an diesem Ort, trotz seiner belasteten Vergangenheit. Sie konnte, hoch über den Dächern des Schlosses, über die Berge blicken und in den Himmel in seiner ganzen sturmgepeitschten Schönheit. Der Wind riss an ihren Haaren - sie hasste die Farbe, sie fühlte sich wie eine Greisin - und ihrem Umhang, Kälteschauder überfielen sie. Kara fühlte sich frei. So als ob ihre Wut und Trauer davongetragen wurden und am Horizont verschwanden. Mit den Ellbogen lehnte sie sich auf die Zinnen und stützte das Kinn in die Hände. Die Minuten vergingen und ihre Tränen versiegten. In Gedanken kehrte sie zu dem Gespräch mit Dumbledore zurück. Sie schalt sich eine Närrin, so die Kontrolle verloren zu haben. Das war ganz und gar nicht dem Bild von sich, das sie immer zu vermitteln suchte, vor allem ihren Eltern und den Lehrern gegenüber. Sie war siebzehn Jahre alt und kein Kind mehr. Das brachte die Verantwortung, die sie trug, mit sich. Für einen winzigen, sehnsüchtigen und auch selbstsüchtigen Moment wünschte sie sich, eine Tag so zu sein wie die anderen mit ihren Streichen und sorglosen Tagen. Doch das war unmöglich. "Tu das nicht!" "Was?" Aus den Gedanken gerissen, fuhr sie herum und beobachtet, wie Severus Snape hastig aus der Falltür kletterte. "Spring nicht!" In Snapes Gesicht lag tatsächlich so etwas wie Sorge, als er einen Schritt auf sie zumachte. Kara musste wider Willen lächeln. "Nur keine Angst, Severus, ich habe nicht vor, mich umzubringen. Sonst könnte noch jemand auf den Gedanken kommen, Du hättest mich heruntergeworfen!" Angriffslustig stellte sie sich ihm entgegen. "Woher das plötzliche Interesse an meiner Person? Gestern Nacht wolltest Du mich doch mit Vorliebe fertig machen." Stille entstand zwischen ihnen. Kara beobachtete ihr Gegenüber. Seine langen, schwarzen Haare wurden durch die Luft verwirbelt, doch er kümmerte sich nicht darum. Er blickte sie nur an. Seine Augen waren so schwarz, wie sie sie in Erinnerung hatte und seine große Gestalt schien von dem an ihm zerrenden Element nicht im Geringsten bewegt zu werden. Du bist genau wie ich. Jung, und trotzdem alt. Wütend, aber beherrscht. Dann tat er etwas, das sie überraschte. "Ich entschuldige mich", sagte er schlicht. "Es war nicht gerechtfertigt, mich so zu benehmen, ich war angetrunken und hatte schlechte Laune." "Mmh, Du hast immer schlechte Laune. Aber ich nehme die Entschuldigung an. Ich war ja auch nicht ganz fair." Was tat sie da? Sie gab sich eine Blöße vor einem Menschen, den sie kaum kannte. Vor dem Dumbledore sie gewarnt hatte. Ein Slytherin, der garantiert der "falschen" Sorte Magiern angehörte. "Ich habe selten eine interessantere Beschreibung meines Selbst gehört." Er trat neben sie und blickte mit undurchdringlicher Mimik zum Horizont. Dann wechselte er abrupt das Thema, und Kara spürte, dass es ihm ebenso unangenehm war wie ihr, über den vergangenen Abend zu reden. "Professor Dumbledore hat mich gewarnt, mich mit Dir abzugeben." "Ja, das macht er mit jedem, der mir zu nah kommt. Eine Erklärung, warum ich keine Freunde habe", spielte sie ein letztes Mal auf ihre Auseinandersetzung an und konnte nicht verhindern, dass es traurig klang. "Mir kommt es so vor, als ob Du keine Lust mehr hast, dem zu folgen, was Dumbledore Dir sagt, oder?" erkundigte sich Severus nach einer kurzen Pause. "Ich kann Dir nur dazu raten, Deine Freunde selber auszusuchen, weil ich es genauso halte." In diesem Moment begann sie, ihn zu mögen. Er war der erste, der nach der Einmischung des des Professors nicht klein beigegeben und sich von ihr ferngehalten hatte. Das war ihm hoch anzurechnen. "Kommst Du?" fragte er schließlich. "Es ist kalt hier oben."
