Teil 3
Hogwarts, heute
Harry spähte durch den feinen Stoff seines Tarnmantels und sah, wie die "weißen Frau", wie er sie getauft hatte, zusammen mit Hagrid in leiser Unterhaltung den Gang entlang ging und dann um die Ecke bog. Für eine Sekunde erwog er, den beiden sofort zu folgen, doch das, was um ihn herum vorging, war ebenso interessant Es war später Abend und er hätte eigentlich längst im Bett sein sollen, doch seine Neugierde war entfacht und nur schwerlich zu bezwingen. Im Lehrerzimmer hatte es eine Konferenz gegeben und soweit Harry aus den Stimmen der Lehrer, die noch vor der Türerblieben waren, schließen konnte, war es kein angenehmes Treffen gewesen. Professor McGonagall stand neben Schulleiter Dumbledore und rang besorgt die Hände. "Albus, ich denke nicht, dass es ein guter Zeitpunkt ist, das Schloss zu verlassen." Furchten entstanden auf ihrer Stirn. "Jetzt, wo sie wieder da ist. Das kann doch nur bedeuten.." "Es bedeutet gar nichts, meine Liebe", suchte Dumbledore die Hauslehrerin von Gryffindor zu beruhigen. "Keine Sorge. Und falls tatsächlich etwas geschehen sollte.." Minerva wurde blass und trat einen Schritt zurück. "Wir wollen es alle nicht hoffen. Das arme Mädchen. Es scheint ihr auch nichts vergönnt zu sein." "Und trotzdem ist sie vielleicht die einzige Hoffnung, wenn es hart auf hart kommt." Die beiden Lehrer entfernten sich und Harry starrte ihnen vollkommen verwirrt nach. Er hatte kein Wort der bedeutungsschwangeren Aussagen verstanden; fest stand, dass ihn sein Gespür in Bezug auf den seltsamen Gast nicht getrogen hatte. Irgendetwas Eigenartiges ging vor. Harry betrachtet die übrigen Lehrer, die alle nicht sonderlich angetan schienen, dass der Direktor die Schule verlassen würde. Wie stets stach Severus Snape aus der Menge hervor. Er war der einzige, der nicht diskutierte, sondern nachdenklich den Blick in Dumbledores Rücken bohrte. Harry fragte sich unwillkürlich, ob Snape die Unterhaltung mitangehört hatte. Immerhin schien er ein mehr als ungewöhnliches Interesse für Kara gezeigt, die ebenfalls Teil der Konferenz gewesen sein musste. Die Versammlung zerstreute sich langsam und Harry machte, dass er davonkam, um nicht zufälligerweise mit einem der Erzieher zusammenzustoßen. Er flitzte um die Ecke und als er sich ganz sicher war, dass ihn niemand entdecken konnte, warf er die Kapuze des Umhangs ab und förderte aus seiner Tasche die Karte der Herumtreiber hervor. "Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin", sagte er leise und prompt erschien die magische Schrift. So wie es aussah, waren Hagrid und Kara in der Hütte des Wildhüters. Harry grinste und löschte das Schriftstück. Wenn Hagrid die Frau in Weiß länger kannte, würde es kein Problem sein, ein paar Informationen aus ihm herauszuholen. Harry setzte die Kapuze wieder auf und rannte zu nächste Treppe, auf der er die Trickstufen elegant übersprang. Den Weg bis zu Hagrids ein wenig baufälliger Behausung kannte er im Schlaf. Schnee stob unter Harrys Füßen auf, als er das Schloss verließ und in Richtung des verbotenen Waldes eilte. Die Landschaft war mit einer dicken Schneedecke überzogen und glitzerte wie Kristalle in der Nacht, die inzwischen in mondbeschienener Schönheit hereingebrochen war. Aus dem Schornstein der Hütte stieg Rauch auf und versprach anheimelnde Wärme. Als er am Eingang ankam, verharrte Harry und überlegte sich, was er tun sollte. Warten? Vielleicht war er doch ein wenig übereifrig in der Verfolgung gewesen. Das Bild von ihm als steifgefrorenem Eiszapfen drängte sich ihm auf. Doch in diesem Moment öffnete sich die Tür und Kara Alanee schaute heraus. Und so, als ob sie ihn sehen würde, sagte sie freundlich: "Kommen Sie herein, Potter, sonst holen Sie sich den Tod und Ihr Quidditch-Captain verflucht mich." Beschämt nahm Harry den Mantel ab und stolperte an der jungen Frau vorbei ins Warme. Selbst Snape konnte nicht unter den Umhang schauen, warum dann sie? Drinnen warteten drei dampfende Tassen Tee und Hagrids hausgemachte Plätzchen. Der Hausbesitzer dröhnte ihm entgegen: "Harry, haben schon auf Dich gewartet, setz Dich!" Gehorsam tat Harry das, was ihm aufgetragen wurde und nahm sich seinen Tee, um etwas zu haben, mit dem er sich ablenken konnte. Seltsamerweise schien sich keiner der Erwachsenen darum zu kümmern, dass er nachts das Schulgelände verließ. Kara plauderte mit Hagrid über seine Tiere und kraulte Fang das Fell, der mit verzücktem Augerollen ganz still hielt. Sie lächelte viel und knabberte sogar mühelos an einem der Gebäckstücke, mit denen man Fensterscheiben einwerfen konnte, wenn man wollte. Harry schaute sie immer wieder an und fragte sich, warum sie trotz allem so traurig aussah. Eine Viertelstunde verging, in der sich niemand um ihn kümmerte, dann hatte Kara ihre Tasse geleert und erhob sich. "Danke für die Einladung, Hagrid. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr Zeit habe, aber ich muss noch einen Besuch machen." "Verstehe, verstehe", brummelte Hagrid in seinen Bart. "Viel Glück dabei." "Mr. Potter, würden Sie mich kurz vor die Tür begleiten?" bat Kara höflich und Harry bekam aus irgendeinem Grund rote Ohren, als er ihr widerspruchslos folgte. Nach der Behaglichkeit von Hagrids Hütte traf ihn der Schwall eisiger Luft besonders unangenehm. Die junge Frau zog die Tür hinter sich bis zu einem Spalt zu und lächelte dann auf Harry hinunter, so als wisse sie, dass ihm unwohl war. "Sie müssen Sich keine Sorgen machen, Mr. Potter. Ich bin nicht wütend, dass Sie mir gefolgt sind. Das ist der Umhang Ihres Vaters, nicht wahr? Damit hat er den Lehrern zu seiner Zeit die Hölle heiß gemacht." Ein seltsamer Ausdruck verdunkelte ihre Augen. "Die Potter'sche Neugier ist legendär. Zügeln Sie sie bitte, was mich angeht. Furchtbare Dinge könnten geschehen." "Ich werde niemandem etwas über Sie sagen!" schwor Harry und bemerkte erst, als er die Worte aussprach, dass er sich eine Hintertür offen hielt. Kara erkannte es offensichtlich ebenfalls, doch sie sagte nichts, Für einen Moment legte sie die Hand auf seine Schulter. Die Berührung ließ Harry erschauern, denn es schien, als würde eine Mischung aus Kälte und Kummer in ihn hinein fließen. Dann ging sie davon, die Kapuze ihres Mantels hochschlagend. Böse war sie nicht, dessen war sich Harry sicher. Nachdenklich schob er die Tür zu Hagrids Hütte wieder auf. Der Halbriese stand am Kamin und legte gerade Holz nach. "He", sagte Harry. "Sag mal, woher wusstet Ihr, dass ich komme?" "Sie wusste es einfach, frag mich nicht." Hagrid zuckte die Achseln und kehrte an den Tisch zurück. Schwer ließ er sich in seinen Stuhl fallen und goss Tee nach. "Ein Plätzchen, Harry?" "Äh, nein danke." Eine kurze Pause entstand. "Sag mal, Hagrid, was weißt Du über sie?" Mhh", machte der Angesprochene und senkte seinen Bart in seine überdimensionale Tasse. "Wenn ich mich nicht irre, hast Du ihr versprochen, ihr nicht nachzuschnüffeln, oder?" "Eigentlich habe ich nur gesagt, dass ich niemandem etwas sagen werde. Das ist ein Unterschied." "Na, ja! Findest es ja sowieso raus." Hagrid seufzte schwer und beugte sich zu einem kleinen Regal in Griffweite. Aus einem der Fächer zog er ein Buch mit verblichenem, braunem Ledereinband hervor. So vorsichtig wie möglich blätterte er darin und zog dann ein Blatt hervor, das er Harry schweigend reichte. Es zeigte zwei junge Leute, etwas älter als Harry selbst. Harry erkannte Kara ohne Probleme. Ihr melancholischer Gesichtsausdruck und die Farbe ihrer Haare hatten sich nicht geändert. Bei dem Jungen schaute er jedoch genauer hin und stutzte. Schwarze Haare, ein bleiches, markantes Gesicht, in dem kohleschwarze Augen voller Wut schimmerten. "Ja, Du siehst richtig. Das ist Severus Snape. Die beiden lernten sich einige Monate vor dem Abschlußexamen kennen und sofort wurde ihnen aus irgendeinem Grund der Umgang miteinander verboten. Sie haben sich nicht dran gehalten." "Die beiden waren ein Paar?" Mit einem Mal kam ihm Rons Bemerkung aus dem Speisesaal in den Sinn. Ein so hübsches Mädchen und dann Snape? Hagrid schien seine Gedanken zu erraten. "Er war nicht immer der, der er jetzt ist. Mit Kara und Severus hatten sich zwei wütende, junge Menschen gefunden, die sich gegenseitig Halt geben konnte. Wäre sie damals geblieben, wäre es nicht so weit mit ihm gekommen." "Warum ist sie gegangen?" Harry beugte sich gespannt vor. "Das weiß keiner so richtig, glaub ich, außer ihr und Dumbledore. War von einen Tag auf den anderen fort. Snape hat nie wieder über sie gesprochen." "Aber warum ist sie noch so jung? Sie war doch in einem Jahrgang mit meinen Eltern!" "Keine Ahnung. Kann ich mir auch nicht erklären, muss irgendein Zauber sein, den ich nicht kenne." In Gedanken machte sich Harry eine Notiz, in die Bibliothek zu gehen. Dann machte er sich an die Aufgabe, doch noch einen Keks zu essen und vergaß die "weiße Frau" erst einmal.
Ihre Intuition sagte ihr, dass Severus noch arbeitete. Und so führte sie ihr Weg zu seinem Büro. Albus hatte ihr am Abend gesagt, wo es lag und sie dann eine Zeit lang prüfend angesehen, so als wolle er ihr noch etwas mit auf den Weg geben. Schließlich hatte der Direktor ihr nur zugenickt, doch der Ausdruck in seinen weisen Augen war mitfühlend. Vor der dunklen Holztür verharrte sie einen Moment und spürte eine entsetzliche Leere in ihrem Kopf. Die Worte, die noch vor einer Minute bereit gelegen hatten, waren verschwunden. Ihr Herz klopfte, ihre Handflächen wurden feucht. Doch irgendwann fand sie den Mut und klopfte. Die Tür schwang auf. Das Licht im Inneren des kleinen Zimmers war golden, aber schwach. Es stammte von einigen Kerzen, die auf dem Schreibtisch in einem Leuchter standen. Severus saß hinter dem mit Büchern und Schriftrollen bedeckten Schreibtisch und blickte ihr kurz entgegen, ohne eine sichtbare Regung. Er legte noch nicht einmal den Federkiel ab, den er in der Hand hielt und den er nun wieder auf das Papier vor sich senkte. "Kann ich mit Dir reden?" fragte sie leise. "Natürlich." Er machte keine Anstalten, aufzustehen oder seine Arbeit zu beenden. Das Kratzen der Feder machte sie wahnsinnig. Er wollte sie provozieren. Das hatte sich in all den Jahren nicht geändert. Trotzdem war sie ängstlich. Als sie Tür hinter ihr zuschlug, zuckte sie zusammen und war froh, Platz in einem Stuhl zu finden, einem Monstrum mit hoher, samtgepolsterten Rückenlehne. Die Regale waren vollgestopft mit Phiolen, Reagenzgläsern und anderen durchsichtigen Behältern aller Form und Größe, deren Inhalt entweder einmal gelebt hatte oder verdächtig danach aussah. Er war immer schon nicht besonders ordentlich gewesen. Gewisse Dinge änderten sich nicht. Andere schon. "Es tut mir leid, dass ich heute nicht die Zeit gefunden habe, vorbeizukommen"; begann sie. "Ich hatte meine Gründe." Er blickte nicht auf, als er kurz angebunden entgegnete: "Natürlich hattest Du Deine Gründe. Ich verstehe das. Was gibt es noch?" Sein Verhalten verletzte sie, obwohl es zu erwarten gewesen war. Kara starrte auf ihre krampfhaft ineinander verschränkten Hände und rang nach Worten. Natürlich sprach er nicht nur über das Jetzt. Vor 20 Jahren hatte es auch Gründe gegeben, dass sie gegangen war. Er kannte sie bis heute nicht. Sie hob den Kopf und betrachtet seine unnachgiebige, einschüchternde Gestalt. Sie hatte immer geahnt, dass er so werden würde, so - dunkel. Doch was früher mit etwas Anstrengung zu durchschauen gewesen war, machte ihr jetzt Angst. Sie hatte ihre Verbindung zu ihm verloren. Aber was hatte sie erwartet? Es war keine gute Idee gewesen, herzukommen. Am besten würde es sein, ihm aus dem Weg zu gehen. Es war die beste Lösung für sie beiden. Für sie, weil es sie schmerzte, ihn so zu sehen. Und für ihn, um ihn nicht daran zu erinnern, was gewesen war. "Nein", brachte sie nach längerem Schweigen hervor. "Ich wollte Dich nicht stören." Sie stand auf und ging zur Tür. Einer Eingebung folgend, verharrte sie kurz und sagte, mehr zur Tür als zu ihm: " Es tut mir leid." Dann verließ sie den Raum.
Hogwarts, heute
Harry spähte durch den feinen Stoff seines Tarnmantels und sah, wie die "weißen Frau", wie er sie getauft hatte, zusammen mit Hagrid in leiser Unterhaltung den Gang entlang ging und dann um die Ecke bog. Für eine Sekunde erwog er, den beiden sofort zu folgen, doch das, was um ihn herum vorging, war ebenso interessant Es war später Abend und er hätte eigentlich längst im Bett sein sollen, doch seine Neugierde war entfacht und nur schwerlich zu bezwingen. Im Lehrerzimmer hatte es eine Konferenz gegeben und soweit Harry aus den Stimmen der Lehrer, die noch vor der Türerblieben waren, schließen konnte, war es kein angenehmes Treffen gewesen. Professor McGonagall stand neben Schulleiter Dumbledore und rang besorgt die Hände. "Albus, ich denke nicht, dass es ein guter Zeitpunkt ist, das Schloss zu verlassen." Furchten entstanden auf ihrer Stirn. "Jetzt, wo sie wieder da ist. Das kann doch nur bedeuten.." "Es bedeutet gar nichts, meine Liebe", suchte Dumbledore die Hauslehrerin von Gryffindor zu beruhigen. "Keine Sorge. Und falls tatsächlich etwas geschehen sollte.." Minerva wurde blass und trat einen Schritt zurück. "Wir wollen es alle nicht hoffen. Das arme Mädchen. Es scheint ihr auch nichts vergönnt zu sein." "Und trotzdem ist sie vielleicht die einzige Hoffnung, wenn es hart auf hart kommt." Die beiden Lehrer entfernten sich und Harry starrte ihnen vollkommen verwirrt nach. Er hatte kein Wort der bedeutungsschwangeren Aussagen verstanden; fest stand, dass ihn sein Gespür in Bezug auf den seltsamen Gast nicht getrogen hatte. Irgendetwas Eigenartiges ging vor. Harry betrachtet die übrigen Lehrer, die alle nicht sonderlich angetan schienen, dass der Direktor die Schule verlassen würde. Wie stets stach Severus Snape aus der Menge hervor. Er war der einzige, der nicht diskutierte, sondern nachdenklich den Blick in Dumbledores Rücken bohrte. Harry fragte sich unwillkürlich, ob Snape die Unterhaltung mitangehört hatte. Immerhin schien er ein mehr als ungewöhnliches Interesse für Kara gezeigt, die ebenfalls Teil der Konferenz gewesen sein musste. Die Versammlung zerstreute sich langsam und Harry machte, dass er davonkam, um nicht zufälligerweise mit einem der Erzieher zusammenzustoßen. Er flitzte um die Ecke und als er sich ganz sicher war, dass ihn niemand entdecken konnte, warf er die Kapuze des Umhangs ab und förderte aus seiner Tasche die Karte der Herumtreiber hervor. "Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin", sagte er leise und prompt erschien die magische Schrift. So wie es aussah, waren Hagrid und Kara in der Hütte des Wildhüters. Harry grinste und löschte das Schriftstück. Wenn Hagrid die Frau in Weiß länger kannte, würde es kein Problem sein, ein paar Informationen aus ihm herauszuholen. Harry setzte die Kapuze wieder auf und rannte zu nächste Treppe, auf der er die Trickstufen elegant übersprang. Den Weg bis zu Hagrids ein wenig baufälliger Behausung kannte er im Schlaf. Schnee stob unter Harrys Füßen auf, als er das Schloss verließ und in Richtung des verbotenen Waldes eilte. Die Landschaft war mit einer dicken Schneedecke überzogen und glitzerte wie Kristalle in der Nacht, die inzwischen in mondbeschienener Schönheit hereingebrochen war. Aus dem Schornstein der Hütte stieg Rauch auf und versprach anheimelnde Wärme. Als er am Eingang ankam, verharrte Harry und überlegte sich, was er tun sollte. Warten? Vielleicht war er doch ein wenig übereifrig in der Verfolgung gewesen. Das Bild von ihm als steifgefrorenem Eiszapfen drängte sich ihm auf. Doch in diesem Moment öffnete sich die Tür und Kara Alanee schaute heraus. Und so, als ob sie ihn sehen würde, sagte sie freundlich: "Kommen Sie herein, Potter, sonst holen Sie sich den Tod und Ihr Quidditch-Captain verflucht mich." Beschämt nahm Harry den Mantel ab und stolperte an der jungen Frau vorbei ins Warme. Selbst Snape konnte nicht unter den Umhang schauen, warum dann sie? Drinnen warteten drei dampfende Tassen Tee und Hagrids hausgemachte Plätzchen. Der Hausbesitzer dröhnte ihm entgegen: "Harry, haben schon auf Dich gewartet, setz Dich!" Gehorsam tat Harry das, was ihm aufgetragen wurde und nahm sich seinen Tee, um etwas zu haben, mit dem er sich ablenken konnte. Seltsamerweise schien sich keiner der Erwachsenen darum zu kümmern, dass er nachts das Schulgelände verließ. Kara plauderte mit Hagrid über seine Tiere und kraulte Fang das Fell, der mit verzücktem Augerollen ganz still hielt. Sie lächelte viel und knabberte sogar mühelos an einem der Gebäckstücke, mit denen man Fensterscheiben einwerfen konnte, wenn man wollte. Harry schaute sie immer wieder an und fragte sich, warum sie trotz allem so traurig aussah. Eine Viertelstunde verging, in der sich niemand um ihn kümmerte, dann hatte Kara ihre Tasse geleert und erhob sich. "Danke für die Einladung, Hagrid. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr Zeit habe, aber ich muss noch einen Besuch machen." "Verstehe, verstehe", brummelte Hagrid in seinen Bart. "Viel Glück dabei." "Mr. Potter, würden Sie mich kurz vor die Tür begleiten?" bat Kara höflich und Harry bekam aus irgendeinem Grund rote Ohren, als er ihr widerspruchslos folgte. Nach der Behaglichkeit von Hagrids Hütte traf ihn der Schwall eisiger Luft besonders unangenehm. Die junge Frau zog die Tür hinter sich bis zu einem Spalt zu und lächelte dann auf Harry hinunter, so als wisse sie, dass ihm unwohl war. "Sie müssen Sich keine Sorgen machen, Mr. Potter. Ich bin nicht wütend, dass Sie mir gefolgt sind. Das ist der Umhang Ihres Vaters, nicht wahr? Damit hat er den Lehrern zu seiner Zeit die Hölle heiß gemacht." Ein seltsamer Ausdruck verdunkelte ihre Augen. "Die Potter'sche Neugier ist legendär. Zügeln Sie sie bitte, was mich angeht. Furchtbare Dinge könnten geschehen." "Ich werde niemandem etwas über Sie sagen!" schwor Harry und bemerkte erst, als er die Worte aussprach, dass er sich eine Hintertür offen hielt. Kara erkannte es offensichtlich ebenfalls, doch sie sagte nichts, Für einen Moment legte sie die Hand auf seine Schulter. Die Berührung ließ Harry erschauern, denn es schien, als würde eine Mischung aus Kälte und Kummer in ihn hinein fließen. Dann ging sie davon, die Kapuze ihres Mantels hochschlagend. Böse war sie nicht, dessen war sich Harry sicher. Nachdenklich schob er die Tür zu Hagrids Hütte wieder auf. Der Halbriese stand am Kamin und legte gerade Holz nach. "He", sagte Harry. "Sag mal, woher wusstet Ihr, dass ich komme?" "Sie wusste es einfach, frag mich nicht." Hagrid zuckte die Achseln und kehrte an den Tisch zurück. Schwer ließ er sich in seinen Stuhl fallen und goss Tee nach. "Ein Plätzchen, Harry?" "Äh, nein danke." Eine kurze Pause entstand. "Sag mal, Hagrid, was weißt Du über sie?" Mhh", machte der Angesprochene und senkte seinen Bart in seine überdimensionale Tasse. "Wenn ich mich nicht irre, hast Du ihr versprochen, ihr nicht nachzuschnüffeln, oder?" "Eigentlich habe ich nur gesagt, dass ich niemandem etwas sagen werde. Das ist ein Unterschied." "Na, ja! Findest es ja sowieso raus." Hagrid seufzte schwer und beugte sich zu einem kleinen Regal in Griffweite. Aus einem der Fächer zog er ein Buch mit verblichenem, braunem Ledereinband hervor. So vorsichtig wie möglich blätterte er darin und zog dann ein Blatt hervor, das er Harry schweigend reichte. Es zeigte zwei junge Leute, etwas älter als Harry selbst. Harry erkannte Kara ohne Probleme. Ihr melancholischer Gesichtsausdruck und die Farbe ihrer Haare hatten sich nicht geändert. Bei dem Jungen schaute er jedoch genauer hin und stutzte. Schwarze Haare, ein bleiches, markantes Gesicht, in dem kohleschwarze Augen voller Wut schimmerten. "Ja, Du siehst richtig. Das ist Severus Snape. Die beiden lernten sich einige Monate vor dem Abschlußexamen kennen und sofort wurde ihnen aus irgendeinem Grund der Umgang miteinander verboten. Sie haben sich nicht dran gehalten." "Die beiden waren ein Paar?" Mit einem Mal kam ihm Rons Bemerkung aus dem Speisesaal in den Sinn. Ein so hübsches Mädchen und dann Snape? Hagrid schien seine Gedanken zu erraten. "Er war nicht immer der, der er jetzt ist. Mit Kara und Severus hatten sich zwei wütende, junge Menschen gefunden, die sich gegenseitig Halt geben konnte. Wäre sie damals geblieben, wäre es nicht so weit mit ihm gekommen." "Warum ist sie gegangen?" Harry beugte sich gespannt vor. "Das weiß keiner so richtig, glaub ich, außer ihr und Dumbledore. War von einen Tag auf den anderen fort. Snape hat nie wieder über sie gesprochen." "Aber warum ist sie noch so jung? Sie war doch in einem Jahrgang mit meinen Eltern!" "Keine Ahnung. Kann ich mir auch nicht erklären, muss irgendein Zauber sein, den ich nicht kenne." In Gedanken machte sich Harry eine Notiz, in die Bibliothek zu gehen. Dann machte er sich an die Aufgabe, doch noch einen Keks zu essen und vergaß die "weiße Frau" erst einmal.
Ihre Intuition sagte ihr, dass Severus noch arbeitete. Und so führte sie ihr Weg zu seinem Büro. Albus hatte ihr am Abend gesagt, wo es lag und sie dann eine Zeit lang prüfend angesehen, so als wolle er ihr noch etwas mit auf den Weg geben. Schließlich hatte der Direktor ihr nur zugenickt, doch der Ausdruck in seinen weisen Augen war mitfühlend. Vor der dunklen Holztür verharrte sie einen Moment und spürte eine entsetzliche Leere in ihrem Kopf. Die Worte, die noch vor einer Minute bereit gelegen hatten, waren verschwunden. Ihr Herz klopfte, ihre Handflächen wurden feucht. Doch irgendwann fand sie den Mut und klopfte. Die Tür schwang auf. Das Licht im Inneren des kleinen Zimmers war golden, aber schwach. Es stammte von einigen Kerzen, die auf dem Schreibtisch in einem Leuchter standen. Severus saß hinter dem mit Büchern und Schriftrollen bedeckten Schreibtisch und blickte ihr kurz entgegen, ohne eine sichtbare Regung. Er legte noch nicht einmal den Federkiel ab, den er in der Hand hielt und den er nun wieder auf das Papier vor sich senkte. "Kann ich mit Dir reden?" fragte sie leise. "Natürlich." Er machte keine Anstalten, aufzustehen oder seine Arbeit zu beenden. Das Kratzen der Feder machte sie wahnsinnig. Er wollte sie provozieren. Das hatte sich in all den Jahren nicht geändert. Trotzdem war sie ängstlich. Als sie Tür hinter ihr zuschlug, zuckte sie zusammen und war froh, Platz in einem Stuhl zu finden, einem Monstrum mit hoher, samtgepolsterten Rückenlehne. Die Regale waren vollgestopft mit Phiolen, Reagenzgläsern und anderen durchsichtigen Behältern aller Form und Größe, deren Inhalt entweder einmal gelebt hatte oder verdächtig danach aussah. Er war immer schon nicht besonders ordentlich gewesen. Gewisse Dinge änderten sich nicht. Andere schon. "Es tut mir leid, dass ich heute nicht die Zeit gefunden habe, vorbeizukommen"; begann sie. "Ich hatte meine Gründe." Er blickte nicht auf, als er kurz angebunden entgegnete: "Natürlich hattest Du Deine Gründe. Ich verstehe das. Was gibt es noch?" Sein Verhalten verletzte sie, obwohl es zu erwarten gewesen war. Kara starrte auf ihre krampfhaft ineinander verschränkten Hände und rang nach Worten. Natürlich sprach er nicht nur über das Jetzt. Vor 20 Jahren hatte es auch Gründe gegeben, dass sie gegangen war. Er kannte sie bis heute nicht. Sie hob den Kopf und betrachtet seine unnachgiebige, einschüchternde Gestalt. Sie hatte immer geahnt, dass er so werden würde, so - dunkel. Doch was früher mit etwas Anstrengung zu durchschauen gewesen war, machte ihr jetzt Angst. Sie hatte ihre Verbindung zu ihm verloren. Aber was hatte sie erwartet? Es war keine gute Idee gewesen, herzukommen. Am besten würde es sein, ihm aus dem Weg zu gehen. Es war die beste Lösung für sie beiden. Für sie, weil es sie schmerzte, ihn so zu sehen. Und für ihn, um ihn nicht daran zu erinnern, was gewesen war. "Nein", brachte sie nach längerem Schweigen hervor. "Ich wollte Dich nicht stören." Sie stand auf und ging zur Tür. Einer Eingebung folgend, verharrte sie kurz und sagte, mehr zur Tür als zu ihm: " Es tut mir leid." Dann verließ sie den Raum.
