Mein erstes Mal
Ich weiß es noch, als wäre es erst gestern gewesen. Ich traf sie in einer kleinen Buchhandlung in Düsseldorf-Unterrath. Das war 1979. Eigentlich hatte ich das düstere Geschäft nur betreten, um mich vor einem sturzbachartigen Gewitterregen in Sicherheit zu bringen. Und dann konnte ich natürlich nicht einfach nur herumstehen, sondern ich begann unter den Augen des griesgrämig dreinblickenden alten Buchhändlers an den Regalen entlang zu schlendern. "Theologie", "Philosophie", "Lebensweisheiten" (das Schlagwort "Esoterik" war damals noch nicht erfunden) - alles Themen, die einen Jungen meines Alters herzlich wenig interessierten. Trotzdem zog ich hier und da ein Buch heraus und blätterte ein wenig darin, um meinen Aufenthalt zu rechtfertigen.
Und dann hörte der Regen auf und die Sonne brach durch die Wolken. Ich stand in der hintersten Ecke des Ladens und schaute zum Fenster, das plötzlich in helles Licht getaucht war. Da sah ich sie. Sie stand ganz allein auf einem Podest und das Gegenlicht zauberte einen Strahlenkranz um den Umriß ihrer schlanken Gestalt. Voller Verwunderung näherte ich mich zaghaft und da sie mich nicht gleich zurückwies, blieb ich bei ihr stehen und ließ meine Augen auf ihr ruhen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich wußte es sofort - die oder keine!
Sie kam gleich mit zu mir nach Hause. Und kaum war sie im Zimmer, da sah meine kleine Studentenbude gleich viel bunter und freundlicher aus als zuvor. Ich wies ihr einen Ehrenplatz an und machte es ihr gemütlich.
In dieser Nacht geschah es dann. Ich zündete Kerzen an, denn diesen Augenblick wollte ich nicht durch eine profane Glühbirne entweihen. Wir legten uns zusammen ins Bett und - ich schlug ihre erste Seite auf. Sie war wie eine Offenbarung für mich. Ich tauchte tief in sie ein, ich versenkte mich in sie und vergaß alles um uns herum. Sie war die Erfüllung all meiner Wünsche. Und sie schien wie durch Mag(g)ie ganz genau zu wissen, was ich brauchte. Wir waren wie eine Seele, ein Gedanke. Wir konnten uns nicht voneinander losreißen. Wir hielten uns fest bis zum Morgengrauen. Ach, meine Geliebte! - meine dreibändige grüne Ausgabe im Schuber! - meine Carroux-Übersetzung!
Viele Nächte verbrachten wir so und nach einiger Zeit, als wir uns sehr, sehr gut kennengelernt hatten, da wollten wir eine Familie gründen. Neun Monate später war es dann soweit - wir bekamen die Anhänge! Ich kann es gar nicht beschreiben, wieviel Freude uns diese Kleinen bereitet haben und immer noch bereiten.
Und was soll ich euch sagen? Wir sind heute noch zusammen. Ja, wir sind beide älter geworden und das Leben hat uns einige Falten beschert, aber wir haben uns immer noch so lieb wie am ersten Tag - meine dreibändige grüne Ausgabe und ich.
