Viertes Kapitel
Ein Schutzengel für Cathèrine
Dieser Tag war wirklich zum Kotzen gewesen fand Cathèrine. Das Dienstmädchen, daß ihr das Mittagessen gebracht hatte, hatte bei Cathèrine's Anblick einen spitzen Schrei ausgestoßen und das Tablett fallen lassen. Danach war sie davongerannt. 'Dumme Gans,' dachte Cathèrine. 'Inzwischen wird sie allen, ob sie es hören wollen oder nicht, ihr Schauermärchen erzählt haben. Soll sie doch an ihrem Klatsch ersticken!' Cathèrine fühlte nur noch Abscheu vor all diesen Menschen. Vor ihrer Mutter, die ihr immer auswich, ihrem Vater, der sich hinter irgendwelchen Geschäften versteckte und sie deshalb nicht besuchen kam, und dem Personal, das hinter ihrem Rücken tuschelte. Sie war verzweifelt. 'Gibt es denn keinen, dem mein Gesicht egal ist?' Sie zog ihr Nachthemd über, öffnete die Balkontür und legte sich danach zum Schlafen ins Bett.
°°°
'Verdammt! Kommt dieses Haus denn nicht zur Ruhe? Das ist jetzt schon das vierte Pärchen, das sich in den Park verdrückt,' fluchte Erik im Stillen. Er beobachtete, wie die junge Frau einen Mann umarmte. 'Was für ein Personal! Raoul muß wirklich wenig Verstand haben, wenn er solche Affären nicht bemerkt. Aber das ist ja nicht verwunderlich bei diesem Holzkopf,' dachte Erik mißmutig. Er verzog sein Gesicht, als ein scharfer Schmerz sein Rückgrat hinauffuhr. 'Ich werde langsam zu alt, um mich hinter Büschen zu verstecken.' Endlich verschwand das Liebespaar und Erik richtete sich auf. Durch seinen schwarzen Umhang wurde er eins mit der Nacht. Geduckt schlich er sich hinter das Haus und sah an der Fassade hoch. 'Du bist wirklich genial. Woher willst du wissen, welches ihr Zimmer ist?' flüsterte eine leise Stimme in Eriks Kopf. Der Schrei war gedämpft, aber zu hören. Zuerst dachte Erik, eines der Mädchen im Park hätte ihn ausgestoßen. Doch dann hörte er auf einmal eine beruhigende Stimme. Es war über ihm. Er sah noch einmal hoch und entdeckte das flackernde Licht einer einzelnen Kerze, das auf einen der Balkone hinausfiel. 'Glück muß der Mensch haben!' dachte Erik grinsend. Er wartete so lange bis das Licht verlosch und er sich sicher war, daß das Mädchen wieder eingeschlafen war. Auf den Balkon zu kommen war kein großes Problem. An dem Haus rankten Rosen hinauf bis ans Dach. Diese wurden durch ein Spalier gestützt. Ein prüfendes Rütteln und Erik wußte, daß das Spalier sein Gewicht tragen würde. Vorsichtig kletterte er nach oben und zog sich schließlich erleichtert über das Balkongeländer. Die Tür war nur angelehnt, was erklärte, warum er das Mädchen hatte hören können. Er öffnete sie leise und trat in das geräumige Zimmer. Sein Blick blieb an der kleinen zusammengerollten Form hängen, die sich in weiche Decken gewickelt hatte. Vorsichtig trat er näher. Wellen braunen Haares waren über die Kissen verteilt. Sie bewegte sich und die Decken verrutschten, gewährten Erik einen Blick auf ihr Gesicht. Ein scheußlicher Schmerz schoß durch seine Brust. Er erinnerte sich an das Bild in der Zeitung. Der Kontrast war furchtbar. 'Armes Mädchen!' dachte sich Erik. Langsam, seinen Blick immer auf Cathèrine gerichtet, schlich er zur Balkontür. Er wußte, er würde ihr nicht helfen können. 'Sie sagen, ich wäre ein Zauberer und übersehen dabei völlig, daß ich solche Dinge nicht wegzaubern kann.' Er seufzte. Diese Welt war zum Schreien ungerecht und keinen scherte es, solange das Unrecht einen selbst nicht traf. Erik drehte sich um und wollte das Zimmer wieder verlassen, doch eine kleine, verschlafene Stimme hielt ihn auf. "Wer bist du?" Erik sah sich um. Cathèrine hatte sich aufgesetzt und erwidert seinen Blick. "Wer bist du?" wiederholte sie. "Hast du keine Angst vor mir?" gab er zurück. "Nein, du siehst nicht böse aus." 'Sie fürchtet mich tatsächlich nicht.' Das war eine merkwürdige Feststellung für ihn, der immer gefürchtet wurde. "Ich heiße Erik," sagte er schließlich. "Ich bin Cathèrine," stellte sie sich vor. Sie schwiegen für einige Minuten. Dann sagte das Mädchen: "Du mußt bald wieder gehen, nicht wahr?" "Ja." "Das ist schade. Du läufst nämlich nicht vor mir davon so wie die anderen."
Sie deutete auf ihr Gesicht. "Sie sind Idioten, wenn sie dich schon kennen und dann davonlaufen, nur weil du anders aussiehst," stimmte Erik ihr zu. Cathèrine gähnte und legte sich wieder hin. "Besuchst du mich mal wieder? Ich mag dich, weißt du!" "Das werde ich." "Versprochen?" "Versprochen," lächelte Erik. Er zog die Decke hoch zum Kinn des Mädchens. Leise sang er ein Schlaflied für das Kind. Als sie schlief, ging er, wie er gekommen war.
by Felicia 2002
Ein Schutzengel für Cathèrine
Dieser Tag war wirklich zum Kotzen gewesen fand Cathèrine. Das Dienstmädchen, daß ihr das Mittagessen gebracht hatte, hatte bei Cathèrine's Anblick einen spitzen Schrei ausgestoßen und das Tablett fallen lassen. Danach war sie davongerannt. 'Dumme Gans,' dachte Cathèrine. 'Inzwischen wird sie allen, ob sie es hören wollen oder nicht, ihr Schauermärchen erzählt haben. Soll sie doch an ihrem Klatsch ersticken!' Cathèrine fühlte nur noch Abscheu vor all diesen Menschen. Vor ihrer Mutter, die ihr immer auswich, ihrem Vater, der sich hinter irgendwelchen Geschäften versteckte und sie deshalb nicht besuchen kam, und dem Personal, das hinter ihrem Rücken tuschelte. Sie war verzweifelt. 'Gibt es denn keinen, dem mein Gesicht egal ist?' Sie zog ihr Nachthemd über, öffnete die Balkontür und legte sich danach zum Schlafen ins Bett.
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'Verdammt! Kommt dieses Haus denn nicht zur Ruhe? Das ist jetzt schon das vierte Pärchen, das sich in den Park verdrückt,' fluchte Erik im Stillen. Er beobachtete, wie die junge Frau einen Mann umarmte. 'Was für ein Personal! Raoul muß wirklich wenig Verstand haben, wenn er solche Affären nicht bemerkt. Aber das ist ja nicht verwunderlich bei diesem Holzkopf,' dachte Erik mißmutig. Er verzog sein Gesicht, als ein scharfer Schmerz sein Rückgrat hinauffuhr. 'Ich werde langsam zu alt, um mich hinter Büschen zu verstecken.' Endlich verschwand das Liebespaar und Erik richtete sich auf. Durch seinen schwarzen Umhang wurde er eins mit der Nacht. Geduckt schlich er sich hinter das Haus und sah an der Fassade hoch. 'Du bist wirklich genial. Woher willst du wissen, welches ihr Zimmer ist?' flüsterte eine leise Stimme in Eriks Kopf. Der Schrei war gedämpft, aber zu hören. Zuerst dachte Erik, eines der Mädchen im Park hätte ihn ausgestoßen. Doch dann hörte er auf einmal eine beruhigende Stimme. Es war über ihm. Er sah noch einmal hoch und entdeckte das flackernde Licht einer einzelnen Kerze, das auf einen der Balkone hinausfiel. 'Glück muß der Mensch haben!' dachte Erik grinsend. Er wartete so lange bis das Licht verlosch und er sich sicher war, daß das Mädchen wieder eingeschlafen war. Auf den Balkon zu kommen war kein großes Problem. An dem Haus rankten Rosen hinauf bis ans Dach. Diese wurden durch ein Spalier gestützt. Ein prüfendes Rütteln und Erik wußte, daß das Spalier sein Gewicht tragen würde. Vorsichtig kletterte er nach oben und zog sich schließlich erleichtert über das Balkongeländer. Die Tür war nur angelehnt, was erklärte, warum er das Mädchen hatte hören können. Er öffnete sie leise und trat in das geräumige Zimmer. Sein Blick blieb an der kleinen zusammengerollten Form hängen, die sich in weiche Decken gewickelt hatte. Vorsichtig trat er näher. Wellen braunen Haares waren über die Kissen verteilt. Sie bewegte sich und die Decken verrutschten, gewährten Erik einen Blick auf ihr Gesicht. Ein scheußlicher Schmerz schoß durch seine Brust. Er erinnerte sich an das Bild in der Zeitung. Der Kontrast war furchtbar. 'Armes Mädchen!' dachte sich Erik. Langsam, seinen Blick immer auf Cathèrine gerichtet, schlich er zur Balkontür. Er wußte, er würde ihr nicht helfen können. 'Sie sagen, ich wäre ein Zauberer und übersehen dabei völlig, daß ich solche Dinge nicht wegzaubern kann.' Er seufzte. Diese Welt war zum Schreien ungerecht und keinen scherte es, solange das Unrecht einen selbst nicht traf. Erik drehte sich um und wollte das Zimmer wieder verlassen, doch eine kleine, verschlafene Stimme hielt ihn auf. "Wer bist du?" Erik sah sich um. Cathèrine hatte sich aufgesetzt und erwidert seinen Blick. "Wer bist du?" wiederholte sie. "Hast du keine Angst vor mir?" gab er zurück. "Nein, du siehst nicht böse aus." 'Sie fürchtet mich tatsächlich nicht.' Das war eine merkwürdige Feststellung für ihn, der immer gefürchtet wurde. "Ich heiße Erik," sagte er schließlich. "Ich bin Cathèrine," stellte sie sich vor. Sie schwiegen für einige Minuten. Dann sagte das Mädchen: "Du mußt bald wieder gehen, nicht wahr?" "Ja." "Das ist schade. Du läufst nämlich nicht vor mir davon so wie die anderen."
Sie deutete auf ihr Gesicht. "Sie sind Idioten, wenn sie dich schon kennen und dann davonlaufen, nur weil du anders aussiehst," stimmte Erik ihr zu. Cathèrine gähnte und legte sich wieder hin. "Besuchst du mich mal wieder? Ich mag dich, weißt du!" "Das werde ich." "Versprochen?" "Versprochen," lächelte Erik. Er zog die Decke hoch zum Kinn des Mädchens. Leise sang er ein Schlaflied für das Kind. Als sie schlief, ging er, wie er gekommen war.
by Felicia 2002
