Sechstes Kapitel
Singstunde um Mitternacht
Cathèrine war wirklich eine talentierte Sängerin. Erik hatte keine Mühe, ihr Lieder vorzusingen und sie sie dann nachsingen zu lassen. Als er das zweite Mal bei ihr gewesen war, hatte sie ihn gebeten, ihr wieder vorzusingen. Schon nach kurzer Zeit hatte sie eingestimmt und ohne Mühe die Noten getroffen. Seitdem unterrichtete er sie. Er kam mindestens einmal die Woche über den schon gewohnten Weg. Das Spalier hinauf zum Balkon, dessen Türe immer nur angelehnt war, in Cathèrine's Zimmer. Cathèrine selbst lebte für diese Stunden. Den ganzen Tag wurde sie angestarrt und über sie wurde getuschelt. Sie wußte, daß sie sich nicht beliebter machte, wenn sie alles und jedes ihrem Vater petzte, aber ihr verletzter Stolz ließ es nicht anders zu. Mit Erik zu singen, ließ sie alles vergessen, was ihr Kummer machte. Das Singen war auch der Grund, warum sie nicht mehr in ihr altes Zimmer zurückgekehrt war. Dort wäre es unmöglich gewesen, denn Eriks Anwesenheit wäre mit Sicherheit entdeckt worden. Hier oben aber waren sie relativ ungestört. "Das war sehr gut," lobte Erik seine Schülerin als sie ein schwieriges Lied fehlerlos beendete. Cathèrine lächelte. Eine Befreiung war es außerdem für sie, daß sie in Eriks Gegenwart ihre Maske nicht tragen mußte. Diese, aus Pappmachè und Stoff gefertigt, bedeckte die zerstörten dreiviertel ihres Gesichtes. Als sie damals bei dem Essen ohne sie erschienen war, waren die Damen in Ohnmacht gefallen und die Herren hatte es nur zu deutlich gewürgt. Cathèrine liebte ihr Gesicht nicht, aber es war eine mächtige Waffe, wenn sie ihren Willen durchsetzen wollte. Nicht, daß ihr Vater nicht getobt hatte, aber er hatte es nicht gewagt, seine Hand gegen sie zu erheben. Zu sehr fürchtete er, sie könnte es wieder tun. "Du siehst heute abgelenkt aus, Cathèrine. Was bedrückt dich?" Erik setzte sich in den großen Korbstuhl, der neben dem Bett stand. "Alles?" gab Cathèrine als mürrische Antwort. "Manchmal glaube ich, mir fällt bald alles auf den Kopf. Ich haße dieses Haus, sie sperren mich hier ein. Den ganzen Tag das elendige Getuschel der Dienstboten. Das übliche halt. " Erik wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, dem Mädchen zu helfen, aber menschliche Dummheit ließ sich nun mal nicht operieren. 'Auch wenn das die meisten Probleme dieser Welt lösen würde,' dachte Erik. Er strich durch das Haar des Mädchens, das ihm einen Teil Sinn für sein Leben zurückgegeben hatte. "Deine Zeit wird kommen, Cathèrine. Du wirst nicht für immer ein Kind sein und wenn du erwachsen bist, wirst du über dein Leben selbst entscheiden können." "Auch wenn es hart wird?" fragte das Kind. "Ja, auch und gerade dann. Verlier nicht den Mut." Dann begann er für sie zu singen bis das Mädchen eingeschlafen war.
°°°
"Da, hört ihr es? Das ist der Teufel!" sagte eins der Stubenmädchen. "Ja, sie ist mit ihm im Bunde. Wie sonst erklärt ihr euch, daß sie scheinbar alles hier bestimmt?" Die Mädchen tuschelten, aber keins wagte, in den zweiten Stock zu gehen und nachzusehen.
by Felicia 2002
Singstunde um Mitternacht
Cathèrine war wirklich eine talentierte Sängerin. Erik hatte keine Mühe, ihr Lieder vorzusingen und sie sie dann nachsingen zu lassen. Als er das zweite Mal bei ihr gewesen war, hatte sie ihn gebeten, ihr wieder vorzusingen. Schon nach kurzer Zeit hatte sie eingestimmt und ohne Mühe die Noten getroffen. Seitdem unterrichtete er sie. Er kam mindestens einmal die Woche über den schon gewohnten Weg. Das Spalier hinauf zum Balkon, dessen Türe immer nur angelehnt war, in Cathèrine's Zimmer. Cathèrine selbst lebte für diese Stunden. Den ganzen Tag wurde sie angestarrt und über sie wurde getuschelt. Sie wußte, daß sie sich nicht beliebter machte, wenn sie alles und jedes ihrem Vater petzte, aber ihr verletzter Stolz ließ es nicht anders zu. Mit Erik zu singen, ließ sie alles vergessen, was ihr Kummer machte. Das Singen war auch der Grund, warum sie nicht mehr in ihr altes Zimmer zurückgekehrt war. Dort wäre es unmöglich gewesen, denn Eriks Anwesenheit wäre mit Sicherheit entdeckt worden. Hier oben aber waren sie relativ ungestört. "Das war sehr gut," lobte Erik seine Schülerin als sie ein schwieriges Lied fehlerlos beendete. Cathèrine lächelte. Eine Befreiung war es außerdem für sie, daß sie in Eriks Gegenwart ihre Maske nicht tragen mußte. Diese, aus Pappmachè und Stoff gefertigt, bedeckte die zerstörten dreiviertel ihres Gesichtes. Als sie damals bei dem Essen ohne sie erschienen war, waren die Damen in Ohnmacht gefallen und die Herren hatte es nur zu deutlich gewürgt. Cathèrine liebte ihr Gesicht nicht, aber es war eine mächtige Waffe, wenn sie ihren Willen durchsetzen wollte. Nicht, daß ihr Vater nicht getobt hatte, aber er hatte es nicht gewagt, seine Hand gegen sie zu erheben. Zu sehr fürchtete er, sie könnte es wieder tun. "Du siehst heute abgelenkt aus, Cathèrine. Was bedrückt dich?" Erik setzte sich in den großen Korbstuhl, der neben dem Bett stand. "Alles?" gab Cathèrine als mürrische Antwort. "Manchmal glaube ich, mir fällt bald alles auf den Kopf. Ich haße dieses Haus, sie sperren mich hier ein. Den ganzen Tag das elendige Getuschel der Dienstboten. Das übliche halt. " Erik wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, dem Mädchen zu helfen, aber menschliche Dummheit ließ sich nun mal nicht operieren. 'Auch wenn das die meisten Probleme dieser Welt lösen würde,' dachte Erik. Er strich durch das Haar des Mädchens, das ihm einen Teil Sinn für sein Leben zurückgegeben hatte. "Deine Zeit wird kommen, Cathèrine. Du wirst nicht für immer ein Kind sein und wenn du erwachsen bist, wirst du über dein Leben selbst entscheiden können." "Auch wenn es hart wird?" fragte das Kind. "Ja, auch und gerade dann. Verlier nicht den Mut." Dann begann er für sie zu singen bis das Mädchen eingeschlafen war.
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"Da, hört ihr es? Das ist der Teufel!" sagte eins der Stubenmädchen. "Ja, sie ist mit ihm im Bunde. Wie sonst erklärt ihr euch, daß sie scheinbar alles hier bestimmt?" Die Mädchen tuschelten, aber keins wagte, in den zweiten Stock zu gehen und nachzusehen.
by Felicia 2002
