Als er einige Stunden später aus dem Schulzug stieg und den Bahnsteig unter den Füßen spürte, erfüllte ihn Vorfreude beim Anblick der wild durcheinanderlaufenden Schüler. Die Erstklässler drängten sich in kleinen Grüppchen zusammen und warfen furchtsame Blicke auf eine Welt, die auf einen Schlag noch größer zu sein schien, als sie es erwartet hatten. Dass Hagrid, der Wildhüter von Hogwarts und Halbriese, das Empfangskomitee darstellte, war dem Nervenkostüm der Schüler auf den ersten Blick nicht sonderlich förderlich, doch spätestens als Hagrid lächelte und die Arme ausbreitet, entspannten sich alle ein wenig.

"Erstklässler zu mir!", rief Hagrid polternd und winkte dann zu ihm herüber. "Hallo Professor, hatte mich schon gefragt, wie Sie herkommen."

Remus unterdrückte ein Lächeln und hob grüßend die Hand. Er hatte große Lust, sich den Neulingen anzuschließen und noch einmal über den See zu fahren, wie er es vor vielen Jahren bereits einmal getan hatte. Damals waren die Ausläufer eines Gewitters über die Berge gezogen, hatten das dunkle, gurgelnde Wasser wie auch die grauen Wolken aufgepeitscht. Die Boote waren über die Oberfläche des Gewässers getanzt und Remus erinnerte sich, dass er eine Heidenangst gehabt hatte. Er schwamm nicht sonderlich gut, oder um es genauer zu sagen: sein einziger Schwimmstil war Hundekraul. Mit zitternden Händen hatte er sich damals an die Bootswand geklammert und in Gedanken die Stimme seines Vaters gehört, der ihm gut zuredete. Seine ganze Familie bestand aus ehemaligen Hogwarts-Schülern, ständig erzählten seine Eltern Anekdoten aus alten Zeiten, wie sie sich bei Kräuterkunde- Unterricht kennengelernt oder in Hogsmeade Süßigkeiten gekauft hatten. Und dann die Enttäuschung und der Schmerz jenes Moments, als sie erfahren hatten, dass es Probleme geben könnte. Immerhin war ihr Sohn ja nicht so "normal" wie andere Kinder. Wenn nicht Albus Dumbledore ein Wort für ihn eingelegt hätte, wären wohl seine Eltern noch mehr von ihm enttäuscht gewesen, als sie es sowieso schon waren.

Spontan bahnte sich Remus einen Weg zwischen den Schülern hindurch. Hie und da wurde er erkannt und begrüßt. Eine Gruppe von Ravenclaws, unter ihnen Cho Chang und Lisa Turpin, winkte ihm ebenso fröhlich zu wie Hagrid. Er erinnerte sich an diese Schüler als arbeitsame, intelligente Menschen, mit denn der Unterricht doppelt Spaß machte. Doch neben jedem Wunschschüler gab es auch jenen Typus, der alles dafür tat, um einem Lehrer das Leben schwer zu machen. Warum sich die Angehörigen dieser besonderen "Spezies" im Haus der Slytherins sammelten, war ihm seit seiner eigenen Zeit in Hogwarts ein Rätsel. Manchmal dachte er, dass der Ruf, den das Haus besaß, die Slytherin- Schüler blendete und sie sich auf ihrem Potential ausruhten, ohne zu erkennen, dass hinter jeder Macht, guter wie böser, neben Talent auch noch eine Menge Arbeit steckte.

An seinem ersten Schultag hatte er einen Slytherin kennengelernt, der diese Notwenigkeit als einer der wenigen begriffen hatte - und zu einem seiner ärgsten Feinde geworden war. Bei dem bloßen Gedanken an Severus Snape machte sich wieder einmal ein flaues Gefühl in Remus Magengrube breit. Snape war ebenso unbeliebt, geheimnisvoll und düster wie einst. Irgendjemand sollte ihm mal wieder in den Hintern beißen. Sie hatten sich schon einmal miteinander arrangieren müssen, was dazu führte, dass Snape ihn verriet und er seine Koffer packen musste, um der Entrüstung der Eltern zu entgehen. Einer seiner persönlichen Alpträume war damals Wirklichkeit geworden. Dumbledore hatte ihm eine Chance gegeben, doch das, was er war, sein Makel, hatte alles zerstört. Menschen fürchteten Werwölfe nun einmal und daran gab es nichts zu rütteln. Er hatte die Schule, die ihn in dem einen Jahr als Lehrer erneut zu einem wahren Zuhause geworden war, verlassen, bevor die zu erwartende Flut von Elternbriefen eintraf. Und auch wenn es Snapes Schuld gewesen war, im Endeffekt war niemand als er selbst der Stein des Anstoßes.

"Hagrid!", rief er. "Ist noch Platz bei Ihnen? Ich möchte die Strecke noch einmal machen, aber dieses Mal, ohne hineinzufallen."

Hagrid lachte schallend.

"Na klar, Professor", gluckste er. "Aber dieses Mal muss ich Sie wohl herausziehen."

"Wenn Sirius und James nicht da sind, muss es wohl so sein", beschied ihm Remus scheinbar gleichgültig, doch die alleinige Erwähnung der alten Gemeinschaft machte ihn traurig. Die starken Arme seiner beiden Freunde, die ihn vor fast 30 Jahren aus dem Wasser gerettet hatten, in das er von einer heftigen Woge geschleudert worden war, würde er nie vergessen. Es war, als wäre in genau diesem Augenblick die Verbindung zwischen ihnen entstanden, die nur von James Tod zu lockern gewesen war. Hagrid, in vielen Dingen unbedarft und linkisch, schien zu spüren, was in ihm vorging und räusperte sich.

"Also, ähm, na, ja, Professor, machen Sie sich keine Gedanken, das wird schon schief gehen. Ich glaube, dass sich jeder einzelne Schüler in die Fluten werfen würde, falls sich Ihr Sturz wiederholen sollte." Hagrids gewichtiger Tonfall wirkte sofort. Remus klopfte dem Halbriesen freundschaftlich auf den Oberam, wofür er sich gewaltig strecken musste.

"Danke sehr, das beruhigt mich ungemein. Ich schätze, falls es dieses Mal gut geht, fällt mein Koffer aus einer der Kutschen. Die Welt ist ziemlich unfair."