Am nächsten Tag begann der Unterricht und zu seiner Freunde hatte er gleich in den ersten zwei Stunden die Fünftklässler von Gryffindor und Ravenclaw, eine hervorragende Kombination aus Wissbegierde und Leidenschaft. Remus stand an eine Säule gelehnt in seinem dämmrigen Klassenzimmer und beobachtete versonnen, wie die Schüler lachend und scherzend hereinströmten.

Er hatte sich nie etwas anderes vorstellen können, als Lehrer zu werden, jedem die Chance zu geben, sich auf das Leben vorzubereiten. James Potter hatte ihn einst gutmütig ausgelacht, als er ihm seinen Entschluss mitgeteilt hatte. Das war am Tag ihres Abschlusses gewesen, als sie alle, James, Sirius, Peter und er selbst, einen letzten Spaziergang am Ufer des Sees gemacht hatten. Es war, abgesehen von James Hochzeit, einer ihrer letzten gemeinsamen Momente gewesen. Sirius, zu dieser Zeit ein Rebell mit langen Haaren und einem ruppigen Auftreten, wollte die Welt erforschen und sich mit allem anlegen, das sich mit ihm anlegte. James, bis über beide Ohren verliebt in die hübsche Lily Evans, überlegte sich, Auror zu werden oder eine Stelle im Ministerium anzunehmen. Er musste wohl schon damals geplant haben, eine Familie zu gründen. Und Peter - Remus wunderte sich, dass er sich nicht mehr erinnerte, was Peter geplant hatte. Dass er, der kleinste und schwächste von ihnen, zum Verräter geworden war, erschien erst jetzt, aus der Distanz von mehr als 20 Jahren, fast einleuchtend. Voldemort zog diejenigen an, die ein Schattendasein führten, welcher Art auch immer.

Die Bänke waren besetzt und die letzten Gespräche verstummten nach und nach. Die wissbegierigen Gesichter von Harry, Ron und Hermine wandten sich ihm zu und sogar Neville Longbottom brachte er fertig, interessiert auszusehen. Auch der Tollpatsch der Gryffindors hatte sich verändert, wie Remus bei näherer Betrachtung feststellte. Er wirkte selbstsicherer, so als habe er erfahren, dass er nicht überall der Letzte oder der Langsamste war. Es würde interessant sein, auch das näher zu erforschen. Remus hatte sich für seinen ersten Tag nicht viel vorgenommen. Zunächst erkundigte er sich nur nach den Fortschritten der Klasse im vergangenen Jahr und machte hier und dort ein paar Zusatzbemerkungen. Zwanzig Minuten vor dem Ende der zweiten Stunde hob sich im hinteren Bereich des Raumes ein Finger. Dean Thomas grinste ihn an, als Remus ihn aufrief.

"Wollen Sie uns nicht erzählen, wo Sie das ganze Jahr gewesen sind?", erkundigte sich der Junge und konnte seine Neugierde kaum zügeln. Bewegung kam in die Klasse, Hefte wurden demonstrativ geschlossen und Federkiele weggelegt. Remus seufzte. Also blieb ihm wohl nichts anders übrig, als mit einer spannenden Geschichte aufzuwarten, um die Aufmerksamkeit seiner Schüler zu fesseln.

"Es begann mit einer Tour über die sanften Hügel von Schottland, wo ich mit einigen Vetteln Tee trank und später mit einigen anderen Werwölfen eine Partie Rugby anzettelte." Er sagte das todernst, doch es ertönten bereits einige Lacher. "Dann fuhr ich nach Frankreich, wo ich eine Veela heiratete, doch als sie entdeckte, dass ich leider hin und wieder ziemlich behaart bin, verließ sie mich für einen Rauhaardackel. Aber nun ja, man kann eben im Leben nicht alles haben." Wieder wurde gelacht, doch Remus bemerkte, dass Hermine ihn scharf musterte. Sicherlich, er hatte ein klein wenig Bitterkeit nicht aus dem Schauermärchen verbannen können, jenes Gefühl, das ihn sein ganzes Leben lang begleitet hatte. Doch dass Miss Granger gleich glaubte, ihn durchschauen zu können, fand er doch relativ arg. Also scheuchte er die Schüler schließlich ohne Hausaufgaben aus der Klasse und machte sich daran, die Einrichtung des Klassenzimmers unter die Lupe zu nehmen. Er hatte es am vergangenen Abend nicht mehr geschafft, da ihn nach dem Bankett die bleierne Müdigkeit eines langen Reisetages übermannt hatte und er wie ein Stein ins Bett gefallen war. In den Käfigen und Terrarien an den Wänden des langgestreckten Raumes, die alle peinlich sauber waren, befand sich eine Anzahl von Kleintieren und Insekten, an denen der letzte Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste wohl Flüche demonstriert hatte. Remus hatte mit Wohlwollen aufgenommen, dass Mad- Eye Moody die Stelle zu Beginn des vergangenen Schuljahres angetreten hatte. Dass der echte Moody allerdings dieses Jahr als Gefangener in einem magischen Koffer verbrachte hatte, hatte die Situation in der Welt der Zauberer noch ein Stück mehr kompliziert. Wer hätte auch ahnen können, dass sich ein Todesser bis in die Hallen von Hogwarts schmuggeln konnte, ohne entdeckt zu werden. Niemand war mehr sicher.

Gläser klirrten, als Remus in einem Schrank Ordnung zu machen begann und Phiolen mit ungewissem Inhalt unschlüssig hin und her schob. Eher ein Fall für den Meister der Zaubertränke als für einen übermüdeten Magier, dem die Erschöpfung der letzten Vollmondnacht noch in den Knochen saß.

"Und.heimatliche Gefühle?", erkundigte sich eben jene Person, an die er gerade gedacht hatte, spöttisch hinter ihm. Remus bemühte sich, nicht herumzufahren, da er nicht gehört hatte, wie sich Snape näherte. Drohend, aber elegant stand Snape in der Mitte des Raums und sah sich um, so als suche er in Remus Gestalt oder dem Zustand des Zimmers einen Fehler, den er gnadenlos ausnutzen konnte. Doch er schien nichts zu finden und seine obsadinschwarzen Augen verdunkelten sich noch ein wenig mehr, als er in arroganter Geste die Arme verschränkte. "Ich hoffe doch sehr, dass Ihr aktuelles Gastspiel länger andauert als das letzte Mal."

Remus musste sich sehr beherrschen, um in seiner Antwort keine Wut erkennen zu lassen.

"Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie mich aufsuchen?"

Um Snapes schmale Lippen kräuselte sich ein böses Lächeln.

"Ich wollte Ihnen lediglich sagen, dass in drei Tagen Ihr Trank bereit ist. Sie können ihn dann abholen."

Wie überaus freundlich von ihm, ihr Abhängigkeitsverhältnis noch einmal klarzustellen. Remus ballte eine Hand zur Faust und atmete tief durch. Im ganzen letzten Jahr hatte er nach einem weiteren Menschen gesucht, dem es gelang, den Wolfsbann-Trank zu brauen. Doch nur Snape war es gelungen, und er hatte nicht die Absicht, das Rezept aus der Hand zu geben geschweige denn es Remus zu verraten.

"Zu freundlich, Severus", gab er möglichst höflich zurück. "Ich werde es nicht vergessen."

Einige Schüler betraten den Klassenraum und erstarrten angesichts der Szene auf der Stelle. Sie schienen die Feindseligkeit, die in der Luft lag, zu spüren und wussten nicht, wie sie reagieren sollten. Da drehte sich Snape um und stolzierte aus dem Raum, wohl wissend, dass er einen Sieg davongetragen hatte.