Schulalltag war eine Sache, die man jahrelang nicht erlebt haben und die doch innerhalb weniger Tage wieder auftauchen konnte. Remus erfuhr diese Wahrheit am eigenen Leib. Irgendjemand zündete im hinteren Teil seines Klassenzimmers einen Böller von Filibuster, der die Haare zweier Slytherin- Erstklässler in Brand setzte, Brandspuren auf den Tischen hinterließ und in einem Topf voller Langzahn-Würmer seine letzte Ruhe fand. Nicht zu vergessen Neville Longbottom, dem es trotz aller Fortschritte gelungen war, sich von einem Nachtmahr beißen zu lassen, woraufhin sein ganzer Körper schwarz geworden war und ihm Klauen und Zähne wuchsen. Zum Glück hielt die Wirkung nur zwei Stunden an, doch vor seiner Rückverwandlung gelang es Neville noch, aus dem Klassenzimmer zu entkommen, Hermines Kater Krummbein auf einen Baum zu jagen und Minerva McGonagall an den Rand eines Herzanfalls zu treiben. Ansonsten war alles in Ordnung.

An einem Abend am Ende seiner ersten Woche machte sich Remus auf den Weg in den Kerker, um Snapes "Einladung" nachzukommen und sich den Trank zu holen. Während er die Stufen hinunterging, nahm er ganz bewusst jene subtile Veränderung war, die sich mit jedem Schritt vollzog. Die sonst klare, warme Luft des Schlosses wurde kühl und es roch nach Moder, der sich seit Jahrhunderten in den Ritzen zwischen den grob behauenen Mauersteinen gefangen hatte. Das Auftreffen seiner Schuhe auf den Stufen erzeugte dumpfe Geräusche, die sich noch in weiter Ferne fortzusetzen schienen. Feuchtigkeit traf auf seine Haut, unangenehm und klebrig. Absolut unverständlich, wie sich ein Mensch seine Räumein dieser Umgebung suchen konnte. Aber Snape war auch nicht das, was Remus normalerweise als einen Menschen bezeichnen würde.

Auf dem mittleren Absatz der Treppe lag eine schwere, eisenbeschlagene Tür, die in ihrer imposanten Schwere noch einmal zu betonen schien, dass Besucher nicht gern gesehen waren. Tatsächlich rührte sich auf Remus Klopfen hin rein gar nichts und auch als er die massive Klinke nach unten drückte, öffnete sich die Tür nicht. Snape musste ihn also vergessen haben. Oder er ließ ihn wieder einmal auflaufen, so wie es seine Art war. Remus beschloss, sich von diesem neuerlichen Unbill nicht den Tag verderben zu lassen.

"Also geht es abwärts mit mir", sagte er mehr zu sich als zu den Steinwänden und grinste in sich hinein. Die Muggel hätten diesen Satz als sehr metaphorisch empfunden, da ihre sakrale Welt in Oben, Mitte und Unten aufgeteilt war. Und unten saß nun einmal der Teufel, was sich mit seiner aktuellen Situation verdächtig deckte. Die Parallelen zwischen Snape und dem Fürsten der Finsternis zu ziehen war vielleicht ungehörig, aber unterhaltsam, dachte er, während er die Treppe weiter hinabstieg. Er hatte beschlossen, im Zaubertränke-Klassenzimmer nachzusehen, denn es konnte sehr wohl sein, dass Snape in der großen Steinhalle, die ihm auch als Labor diente, die Zeit vergessen hatte.

Je weiter er nach unten kam, desto mehr umschloss ein Gefühl der Beklemmung sein Innerstes. Die eigentümliche Stille, die ihm vorher schon aufgefallen war, grenzte nun an ein ohrenbetäubendes Schweigen und die Luft vibrierte von einer Macht, die er nicht einzuordnen wusste. Das war nicht Snapes bedrohliche Leere, die von allem aufgenommen worden zu sein schien, das ihn umgab. Das war etwas ganz anderes. Das war wie das Pulsieren eines gewaltigen, schwarzen Seins, das seine Fühler nach ihm ausstreckte und ihn umschlang.

Remus zog seinen Zauberstab hervor und hastete weiter in die von rußenden Fackeln geschwängerte Dunkelheit hinein. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Voldemort? Oder war eines von Snapes Experimenten fehlgeschlagen, ein Versuch mit schwarzer Magie, die nun die Überhand gewonnen hatte? Angespannt bis aufs Äußerste erreichte er die Tür zum Klassenzimmer, wissend, dass die Antwort, die er suchte, hinter dieser verborgen sein musste. Ohne lange nachzudenken, nicht im Bestreben, Snape das Leben zu retten oder irgendeine Heldentat zu vollbringen, sondern schlichtweg hinweggerissen von seiner Eile stieß er die Tür auf und stürmte in den Raum. Dort herrschte Ruhe und fast war es, als wäre Remus eingetaucht in die allumfassende Aura der Macht, die ihn erwartete. Für einen Moment nahm er nichts wahr außer der umfassenden Kraft, die ihn willkommen hieß. Dann sah er Snape und ließ seinen Zauberstab sinken. Der wie stets ganz in Schwarz gekleidete Professor stand an seinem Labortisch und hielt eine Phiole in der Hand, in der er eine grüne Flüssigkeit geschwungen haben musste, bis Remus in den Raum platzte. In seinem Gesicht war deutliche Entrüstung zu erkennen.

"Machen Sie die Tür zu!", herrschte er Remus an und dieser reagierte in seiner Verblüffung prompt. Mit einem Knall fiel die Tür ins Schloss. Remus blinzelte in die Dämmerung des Raumes, konnte aber nichts erkennen außer dem im Kamin lodernden Feuer, dem sanften Glühen der Ingredienzien, die auf dem Arbeitstisch verteilt waren und der schemenhaft umrissenen Gestalt des anderen Lehrers.

"Ich habe etwas gespürt", verteidigte er sich. "Sie müssten es doch auch bemerkt haben! Ein sehr mächtiges Wesen befindet sich hier unten."

Snape zögerte, einen winzigen Moment nur, unmerklich für den, der ihn nicht kannte. Doch Remus bemerkte es und fast kam es ihm vor, als warte er darauf, dass vor ihm noch jemand zu Wort kam. Und das geschah auch. Zwei glühende Lichtpunkte erschienen urplötzlich in dem Schlagschatten des riesigen Kamins und dann sagte eine seidig-kühle Frauenstimme, in der Spott mitschwang:

"Gut geraten."

Mit federleichten Schritten trat das Wesen ins Licht hervor und Remus erstarrte. Sie war ein Vampir.