Seine Erfahrung mit Vampiren beschränkte sich auf deren Bekämpfung und hin und wieder einen gut organisierten Rückzug. Vor einigen Jahren war er zum ersten Mal einer Gruppe von ihnen begegnet, in London, wo sie ihr Unwesen trieben und Zauberer und Muggel gleichermaßen jagten und töteten. Bestien mit bleichen Gesichtern und Fangzähnen, schärfer als jede von Menschenhand geschaffene Waffe. Ihr Anblick jagte selbst hartgesottenen Zauberern Furcht ein und ihre Kraft war der ihrer Jäger oftmals überlegen.

Remus erinnerte sich genau an den Moment, in dem er unversehens in sie hineingestolpert war, in einer der dunkelsten Ecken der Nokturngasse. Wie sich der Fokus einiger Dutzend glimmender Augenpaare auf ihn richtete und Bewegung in die schwarze Meute kam, die ihn schneller als er wahrnehmen konnte umzingelte. Todesangst hatte ihn befallen und gelähmt, reichlich unrühmlich, wie er im Nachhinein festgestellt hatte. Doch nichts war geschehen. Sie hatten sich von ihm abgewandt und er war aus der Gasse herausgerannt, ohne auch nur einen Gedanken an Gegenwehr zu verschwenden. Erst einige Tage später hatte er sich die Vorfälle dieses Abends erklären können. Sie hatten ihn verschmäht, weil er ein Werwolf war. Der Makel seines Blutes reizte sie nicht. Seine unerklärliche Handlungsunfähigkeit resultierte aus der Gabe der Vampire, die Seelen der Menschen zu beeinflussen und Schrecken dort zu pflanzen, wo der Willen brachlag.

Und aufgrund genau dieser Erfahrung gelang es ihm, die Starre seines Körpers zu überwinden, die die Anwesenheit der Vampirin in ihm auslöste, indem er seinen Geist verschloss und sich konzentrierte. Tatsächlich schaffte er es, selbst die Angst zu überwinden und der Frau voll ins Gesicht zu sehen, was sie mit einem Lächeln quittierte. Trotz allem schien sie genau zu wissen, was er dachte. Der Moment kam und ging und nichts geschah. Kein Angriff, kein Wort. Sie sah ihn nur an und er sie. Die Macht, die sie umgab, war nicht zu leugnen. Sie schien in jede von Remus Poren zu dringen, doch er fühlte sich nicht mehr bedroht. Fast war es, als wäre die Verlockung, die von der Vampirin ausging, nun nicht mehr böse und gefährlich. Er konnte keine genauen Worte dafür finden.

Sie entsprach völlig dem Bild, das er von ihrer Art hatte und gleichzeitig auch nicht. Sie trug Schwarz, einen bodenlangen, engen Mantel und hohe Stiefel. Auf einen Umhang oder ein gerüschtes Hemd, klassische Requisiten der Vampire in der Vorstellung der Muggel und oftmals auch in der Wirklichkeit, verzichtete sie. Doch auch ohne diese Details wusste sie sich in Szene zu setzen. Als Mensch musste sie schön gewesen sein, ihre Züge unter den sehr kurz geschnittenen, schwarzen Haaren waren fein wie die einer Puppe. Doch ihr Gesicht hatte einen durchscheinenden Ton angenommen, der noch einmal unterstrich, was sie war. Ein Grenzgänger zwischen Leben und Tod. Nur ihre Augen waren lebendig und warm, und obwohl sie bernsteinfarben glühten, ging nichts Bedrohliches von ihnen aus.

"Professor, Sie hatten mir versichert, dass niemand von meiner Anwesenheit erfahren würde", waren ihre ersten Worte nach einer langen Zeit und sie waren an Snape gerichtet. Remus war fast ein wenig beleidigt, dass sie ihn nach dem seltsam intensiven Moment einfach überging.

"Er ist ein Kollege", schnaubte Snape. "Gegen hirnlose Herumschnüffelei bin selbst ich nicht gefeit."

"Wir hatten eine Verabredung, Snape. Bloß weil Sie wieder einmal eines Ihrer lächerlichen Machtspiele spielen wollten, heißt das noch lange nicht, dass ich mich auch darauf einlassen werde. Wenn der Trank fertig ist, bringen Sie ihn einfach vorbei!"

"Vorsicht, Lupin, Sie sollten nicht vergessen, wer hier der Bittsteller ist." Die Zornfalte auf der Stirn des Zaubertrankslehrers vertiefte sich, ein untrügliches Anzeichen dafür, dass Remus nun nicht mehr so leicht aus der Angelegenheit herauskommen würde. "Ich möchte nur allzu gern sehen, was Sie ohne mich tun würden. Also ist es immer noch an mir, Termine einzuhalten oder nicht."

"Entschuldigung", unterbrach die Vampirin höflich und musterte Remus, diesmal unverhohlen interessiert. Sie hatte die Arme verschränkt, und obwohl dies bei einer Frau ihrer Größe normalerweise wenig Wirkung zeigte, verstummte Snape, der aussah, als wollte er eine weitere Hasstirade vorbringen. Sie flößt ihm Respekt ein, dachte Remus verblüfft. Das war etwas sehr Seltenes. Wahrscheinlich machte Snape die Tatsache unsicher, dass es zwei Menschen im Raum gab, aber nur einer davon ein potentielles Opfer war. Er. "Professor Snape sprach von einem Werwolf, für den er einen Banntrank entwickelt hat. Gehe ich Recht in der Annahme, dass Sie dieser Mann sind?"

"Remus Lupin, Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste", stellte er sich vor und neigte leicht den Kopf. Sie lächelte und für eine Sekunde blitzten ihre blendend weißen Eckzähne auf. Der Anblick war wie ein Eimer kalten Wassers, der direkt über Remus Kopf ausgegossen wurde. Fast hätte er sich in Sicherheit gewägt, sich von ihrer nunmehr friedlichen Ausstrahlung hinreißen lassen. Es war ziemlich leicht zu vergessen, dass vor ihm ein Wesen stand, dass mit einer Bewegung seiner Hand Genicke brechen oder Herzen herausreißen konnte.

"Dann bin ich wohl ein lebendes Exemplar für Ihren Unterrichtsstoff, nicht wahr?" Ihre Sprechweise war ein wenig gestelzt, so als sei Englisch nicht ihre Muttersprache, doch es ließ sich kein Akzent erkennen. Unwillkürlich fragte er sich, wie alt sie sein mochte. Wahrscheinlich sprach sie mehrere Sprachen fließend, denn irgendetwas an ihr sagte ihm, dass sie schon sehr alt war. Legenden sprachen davon, dass die ältesten noch lebenden Vampire über zweitausend Jahre alt waren. Eine Menge Zeit, um zu lernen. Eine Menge Zeit, die irgendwann stillstehen musste, wenn es nichts mehr zu lernen, zu erleben gab. "Nun, Professor Lupin, Gegner der schwarzen Künste, es wäre sehr freundlich, wenn Sie uns wieder allein ließen. Es war sehr aufschlussreich, Sie kennenzulernen."

Ein charmant vorgebrachter Rauswurf, aber ein Rauswurf, der ihn noch mehr wurmte, als wenn Snape ihn ausgesprochen hätte. Seine Neugier war geweckt. Was konnte diese beiden düsteren Gestalten zusammenbringen, dass sie friedlich in einem Labor standen und sich nicht gegenseitig umbrachten? Nach einer Sekunde, in der er in die ausdrucksvollen Augen der Frau gesehen hatte, entschied er, sich zu zügeln. Oder besser gesagt, er spürte ganz genau, wie sie es ihm nahe legte, genau das zu tun. Und mit ihr wollte er scih nicht auf eine Diskussion einlassen.

Entschlossen wandte er den beiden den Rücken zu und verließ mit einem mulmigen Gefühl den Kerker. Doch nichts sprang ihn an und so wagte er es, die Tür ein wenig fester ins Schloss zu werfen als gewöhnlich. Die Aura der Vampirin verfolgte ihn den ganzen Weg die Treppe hinauf und noch viel weiter, nun, da er wusste, dass sie da war. Es würde keine gute Nacht werden.