Abendstimmung

Wenn sich Planeten umeinander drehten, dann taten sie das für Äonen. Und wenn sie sich berührten, gab es eine Katastrophe von kosmischen Ausmaßen. So ähnlich lief das mit ihr und Snape. Nicht derart gigantisch, aber im Kleinen. Und das war schon schlimm genug.

Frustriert stocherte sie in ihrem Abendessen, doch Nahrungsmittel hatten in den letzten Tagen an Reiz verloren im Angesicht der Vorstellung, wie sie Snapes Körper schmückten. Die ganze Situation - surreal, wie alles, was mit diesem Mann in ihrem Leben geschah - nahm sie mehr mit, als sie sich gegenüber zugeben wollte. Sie schielte zur Seite den Lehrertisch hinunter, wich Albus Dumbledores prüfendem Blick aus und beobachtete, wie das Objekt ihrer Begierde - verdammt! - seinen Kelch an die Lippen führte und einen Schluck trank. Versonnen beobachtete sie, wie sich sein Kehlkopf bewegte, wie seine Haare sein Gesicht beschatteten und wie fest seine langen, geschickten Finger den Pokal umschlossen.

Die Erinnerung an diese Finger auf ihrer Haut ließ sie bis unter den Haaransatz heiß erröten. Zu ihrem fast schon zu erwartenden Pech blickte Snape auf. In seinen dunklen Augen stand nichts, vielleicht gelinde Belustigung. So als wisse er ganz genau, was sie dachte, fuhr er sich ganz langsam mit einem Finger über die Lippen, in einer Geste, die ebenso nachdenklich wie sinnlich wirkte.

Sie musste raus. Unbedingt. Es war nicht mehr auszuhalten. Sie schlichen umeinander herum, beobachteten einander, doch keiner von ihnen beiden konnte auch nur einen Schritt unternehmen, ohne damit ein Zugeständnis zu machen. Sie würde zugeben, wie sehr sie sich nach ein wenig Geborgenheit sehnte - na ja, regelmäßiger Sex wäre auch nicht schlecht. Und er? Wenn er sich auf etwas einließ, dann wäre das ein untrüglicher Beweis dafür, dass er ein menschliches Wesen war. Ob ihm das so recht wäre? Die Chance, McGonagall zum Steppen zu bewegen, stand besser als ein solches Zugeständnis des Zaubertränkelehrers.

Es gab nur eine Lösung. Ungeduldig wartete sie auf das Ende der Mahlzeit, ohne etwas bewusst wahrzunehmen als das Chaos in ihrem Inneren. Als endlich die Schüler lachend und plappernd aus der großen Halle liefen, um sich in ihre Gemeinschaftsräume zurückzuziehen, erhob sie sich ebenfalls. Der Lehrertisch leerte sich etwas würdevoller, und als auch Albus Dumbledore aufstand, ging sie mit zitternden Knien zu ihm. Seine gütigen Augen leuchteten auf, als er sie ansah, doch das Stirnrunzeln, das er zeigte, deutete darauf hin, dass er ahnte, was sie ihm vortragen wollte.

"Albus", sagte sie leise, obwohl alle andere Professoren bereits gegangen waren. "Ich muss Sie sprechen."

"Immer heraus damit, Kind", ermunterte sie der Direktor. "Sie können mir alles sagen!"

Anscheinend wollte er die Wahrheit. Tatsächlich war sie kurz davor, einfach damit herauszuplatzen, ihm alles zu beichten, von dem Fehltritt in ihre Zimmer, ihrem skandalösen Benehmen in der Küche und dem unsagbare Druck, unter dem sie stand. Doch sie konnte das nicht. Sie schämte sich nicht für das, was sie getan hatte. Aber für ihre Schwäche, es auch weiterhin tun zu wollen. Und das konnte sie sich nicht erlauben.

"Es wäre sehr freundlich von Ihnen, meine fristlose Kündigung zu akzeptieren. Sie liegt morgen früh schriftlich auf Ihrem Schreibtisch." Ja, das war es. Sie musste die Schule verlassen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Um über ihr Leben nachdenken, das anscheinend schon elend genug war, um eine gefühllose Verbindung mit einem Kollegen anzustreben. Aus reiner Begierde, Not oder was sonst immer in ihr vorging. "Seien Sie bitte nicht enttäuscht. Aber - ich- es ist der einzige Weg, den ich jetzt gehen kann." Es schmerzte sie, dass ihre Eröffnung den alten Zauberer betroffen machte. Aber sie durfte einfach keine Rücksicht auf die Gefühle anderer nehmen. Sonst würde es mit ihr selbst bergab gehen. "Albus, erfüllen Sie mir diese Bitte."

Dumbledore seufzte und legte ihr die Hand auf die Schulter.

"Ich ahne, um was es Ihnen geht. Aber es ist Ihre Entscheidung und ich pflege mich nicht in das Leben anderer Menschen einzumischen." Er lächelte großväterlich und warm. "Aber lassen Sie es sich gesagt sein, dass ich Ihren Weggang sehr bedauern würde. Vielleicht überlegen Sie es sich in dieser Nacht noch einmal anders."

Mit einem Nicken empfahl er sich und durchschritt den Saal in einer Wolke aus purpurner Robe und wehenden, lohweißen Haaren. Sie blieb stehen und fühlte sich so leer wie der große, magische Himmel, der sich über ihrem Kopf erstreckte.

Langsam, traumwandlerisch, setzte sie sich nach einer langen Zeit in Bewegung. Ihre Schritte führten sie hinaus, durch die vertrauten Gänge der Schule, die ihr eine Heimat geworden war, Treppen empor, immer höher hinaus. Ehe sie es sich versah, öffnete sie die Tür zur Spitze des Astrometrieturmes und trat hinaus in die wirkliche Nacht, die sie kühl und sternenbesprenkelt empfing. Es war ihr Lieblingsplatz, er erlaubte ihr normalerweise stets, ihre Gedanken zu ordnen. Heute Nacht gab es nur Unordnung.

Sie merkte, dass er da war, ohne dass er auch nur ein Wort hätte sagen müssen. Mit einigen wenigen Schritten trat er langsam hinter sie, schweigend. Sie wagte es nicht, sich umzusehen, ihr Rücken verkrampfte sich, als sie spürte, wie wenige Millimeter Luft sie noch trennten. Warum war er nur hier? Ahnte er, was sie Albus gesagt hatte? Das war eigentlich Unsinn, doch das Gefühl ließ sie nicht los, dass er über alles, was sie anging, genau Bescheid wusste.

"Warum so bedrückt heute Abend?", fragte er leise, nur ein Hauch an ihrem rechten Ohr.

"Ich bin nicht bedrückt", antwortete sie harsch und verschränkte die Arme. "Und wenn, wüsste ich nicht, was Sie das angeht." Eine Hand legte sich auf ihren Hals, liebkoste die Furche hinter ihrem Ohr, wanderte tiefer. Mit erstaunlicher Sanftheit schob er ihre Haare beiseite und streichelte ihren Nacken. Sie erzitterte unwillkürlich, versuchte sich der schmerzlichen Verführung zu entziehen. Das durfte nicht geschehen. Das war es doch, dem sie zu entfliehen suchte. Seiner nicht zu leugnenden Anziehungskraft. Ohne es zu wollen entfuhr ihr ein leises Schluchzen und ihre Augen füllten sich unpassenderweise mit Tränen. Sie wusste nicht, was sie wollte und das machte sie verrückt!

Snapes Hand verharrte, glitt dann zu ihrer Schulter und drehte sie zu ihm um. Sie starrte konzentriert auf einen der Knöpfe seiner Robe und wünschte sich, dass ihre Nerven all dem standhalten würden. Ärgerlich versuchte sie, ihre Tränen wegzublinzeln, doch seine Nähe machte sie untröstlich. Warum tat es nur so weh zu wissen, dass sie ihn verlassen musste? Es war doch nur Sex zwischen ihnen gewesen!

"Wollen Sie immer noch behaupten, dass Sie nicht bedrückt sind?" Seine Stimme klang teilnahmslos wie immer und das vertiefte ihre Empfindungen nur noch. Ihm war es gleich, wie es ihr ging. "Ich hätte nie gedacht, dass Sie sich so entwürdigen würden. Kindisches Rumgeheule. Und dann kneifen Sie auch noch den Schwanz ein. Ziemlich lächerlich, Ihre Kündigung!"

"Wenn ich mich nicht irre, dann sind Sie es, der den Schwanz einzieht!", fauchte sie ihn an, nunmehr wütend. Ein Wort von ihm genügte, um sie auf 180 zu bringen. Ihre Tränen trockneten und sie hob störrisch das Kinn. Dass Albus die Finger im Spiel hatte, interessierte nur am Rande. Mit einem Finger begann sie, ein Loch in die Brust seiner Robe zu bohren, während sie ihn wütend anstarrte. "Erst nutzen Sie den Kater meines Leben aus, um mich flachzulegen, dann zeigen Sie mir die kalte Schulter und schließlich - !"

"Bleiben Sie."

"Und schließlich provozieren Sie mich bei jeder sich bietenden - was haben Sie gesagt??" Sie musste sich verhört haben. Oder etwa nicht? Mit einem Mal erstarrte sie. "In Ordnung, wer sind Sie und was haben Sie mit Professor Snape gemacht?"

"Ich finde nicht, dass Ihr seltsamer Sinn für Humor in einer Situation wie dieser angebracht ist." Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er auf sie hinunter wie auf eine ungehorsame Pennälerin, doch seine Augen versprachen keine Strafe. Im Gegenteil, diesen Blick kannte sie und er jagte ihr aufs Neue Schauder über den Rücken.

"Welche Situation?"

"Ich versuche Ihnen gerade beizubringen, dass ich Ihre Gegenwart als absolut unverzichtbar und Ihre Kündigung als absolut unnötig empfinde." Seine Hände legten sich bezwingend auf ihre Oberarme. Die ungewohnte Intensität der Berührung strafte die kühlen Worte Lügen.

Es war keine Liebeserklärung. Kein Versprechen. Aber es war mehr, als sie sich jemals erhofft hatte. Als sie jemals von ihm erwartet hatte. Ein Anfang. Zumindest der einer heißen Affäre? Sie seufzte und warf sich vorwärts in seine Arme. Zum Teufel mit der Kündigung.