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Das Vermächtnis der Gründer
+++ Kapitel 4 +++
Konfrontationen
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von Skydancer
Elaine saß hinter dem Pult im Unterrichtsraum für Zaubertrankkunde
und las die Hexenwoche. Am längsten hielt sie sich immer bei den Leserbriefen
auf, darüber konnte man sich am meisten amüsieren. Es war seltsam,
worüber sich manche Leute den Kopf zerbrachen. Eine ältere Hexe
namens Gladys Gudgeon war immer noch zutiefst betrübt über den
Rückzug von Gilderoy Lockhart aus der Öffentlichkeit, obwohl
es schon vier Jahre her war.
Elaine überlegte, wie es wohl bei ihr in ein paar Jahren aussehen
würde. Wäre sie dann auch eine von denen, die voller Verzweiflung
nach Hilfe beim Doktor Winter Team suchte? Sie konnte sich schon genau
die Zusammenfassung ihres Leserbriefes vorstellen: „Die schlimmste Zeit
meines Lebens habe ich in den Kerkern von Hogwarts mit einem Choleriker
verbracht. Davon habe ich einen bleibenden Schaden erlitten! Bitte helft
mir!!!!"
Nein! Das stimmte so nicht. Erstens war Snape kein Choleriker im eigentlichen
Sinne und zweitens würde sie garantiert nicht so enden. Irgendwie
würde sie sich mit Snape schon arrangieren können, und wenn es
nicht mit Freundschaft klappte, dann vielleicht zumindest auf der Basis
von Akzeptanz.
Als Elaine Getuschel im Raum wahrnahm, lugte sie vorsichtig hinter
der Hexenwoche hervor und sah zwei Ravenclaw-Mädchen, die schnell
verstummten und sich dann ihren eigenen Blättern zuwandten. Professor
Laudry verschwand wieder hinter ihrer Zeitschrift und überließ
die Schüler ihrem Schicksal, oder besser gesagt der Leistungskontrolle.
Sie fragte sich erst gar nicht, wie viele Spicker nun hervorgeholt wurden.
Damals, zu ihrer Schul- und Studienzeit, war es auch nicht anders gewesen.
Solange Spicken etwas brachte, wurde es auch „praktiziert", aber bei den
wirklich harten Prüfungen am Ende des Schuljahres, die mehr praktische
Fähigkeiten als Theorie erforderten, halfen Spicker im Endeffekt überhaupt
nichts.
Sie konnte sich gut vorstellen, wie Snape immer während dieser
Leistungskontrollen da saß: Den Blick nicht von den Schülern
abwendend und penibel genau beobachtend, damit ja keiner in die Versuchung
kam zu pfuschen. Solche Lehrer hatte sie in ihrer Jugend immer gehasst.
Wohlmöglich lief Severus auch noch durch den Raum und blickte den
Schülern über die Schultern auf die Blätter. Das hatte sie
damals schon gar nicht leiden können. Ihre Aufsicht erstreckte sich
nur auf das Nötigste, und das war ihre Anwesenheit und die Intervention,
wenn wirklich jemand in dreister Weise gegen die Regeln verstieß.
Elaine warf einen kurzen Blick auf eine Uhr - sie war magisch verändert,
so dass sie auf Hogwarts die richtige Uhrzeit anzeigen konnte -, die an
der Wand über der Eingangstür zum Klassenzimmer hing. Noch zwei
Minuten und die Stunde würde vorbei sein. Das hieß, sie musste
die Leistungskontrollen einsammeln und sich dann nur wenige Minuten später
mit Snape auseinandersetzen. Ihr graute schon davor. Er würde sicherlich
wieder auf der Sache mit dem missglückten Experiment herumreiten und
darauf hatte sie keine Lust. Immer wieder war sie es, die einstecken musste
und allmählich half es ihr auch nicht mehr, sich immer ins Gedächtnis
zu rufen, dass dieser Mann nun mal von Natur aus so war und dass man daran
nichts ändern konnte. Warum zum Teufel hatte er nicht eine Persönlichkeit,
mit der man viel einfacher umgehen konnte?
Sie seufzte und als ihr das bewusst geworden war, blickte sie kurz
über die Hexenwoche hinweg. Ein paar der Schüler, die bereits
mit ihren Leistungskontrollen fertig waren, blickten sie verwundert an,
doch im gleichen Moment läutete die Klingel zur Pause und die Gedanken
der Sechstklässler waren wieder ganz woanders. Einer nach dem anderen
kam nach vorn, legte seine Arbeit auf den Stapel und verließ dann
das Klassenzimmer. Das Getuschel im Raum wurde unüberhörbar laut,
denn schließlich musste beim Zusammenpacken und Hinausgehen jeder
berichten, wie man die Aufgaben gelöst hatte.
„Also, ich hab' geprüft, ob man nicht anstelle von Eisenhut auch
Wolfswurz verwenden könnte", sagte das Hufflepuff-Mädchen Hannah
Abbott.
„Genau, das hab ich auch gemacht!", sagte die Ravenclaw Padma Patil
begeistert und fügte noch hinzu: „Aber irgendwie war da am Ende was
seltsam. Da hat was nicht hingehauen."
„Ist ja auch ganz klar", meinte die Hufflepuff Susan Bones. „Eisenhut
und Wolfswurz bezeichnen ja auch dieselbe Pflanze. Das hatten wir doch
erst letzte Woche wiederholt!"
„Oh nein! Wieviel Abzug wird es wohl dafür geben?", stöhnten
Hannah und Padma im Chor und waren dann gemeinsam mit Susan durch die Tür
verschwunden. Endlich war Ruhe eingekehrt.
Elaine stapelte die Blätter säuberlich übereinander
und schaffte sie dann in ihr Büro, bevor sie sich der nächsten
großen Herausforderung stellen musste. Ein Arrangement mit Snape
und die Frage: Wer trug wohl mehr Verantwortung für das Chaos in den
Labors?
Als sie sich dem Labor näherte, hörte sie schon das Klirren
von verschiedenen Gläsern. Vorsichtig schob sie die Tür zur Seite
und lugte um die Ecke. Es herrschte zwar immer noch Chaos, dieses hatte
aber mittlerweile eine gewisse Ordnung angenommen. In der einen Ecke stapelten
sich die Überreste der Regale, in der anderen Ecke zerstörte
Gläser. Zwischendrin befanden sich Snape, der damit beschäftigt
war, die Aufzeichnungen des Projektes zu sortieren und wenn möglich
wiederherzustellen, sowie zwei Hauselfen, welche die Trümmer zusammenkehrten.
Als der Lehrer für Zaubertrankkunde Elaines Gegenwart bemerkte,
drehte er sich um und musterte sie. „Geht es Ihrem Arm wieder gut?", fragte
er nach einem kurzen, prüfenden Blick, den Elaine nicht einschätzen
konnte. Ohnehin war sie sehr überrascht über diese Frage, war
er doch bei ihrem letzten Beisammensein alles andere als höflich gewesen.
Deshalb brauchte sie auch einige Sekunden, um darauf zu reagieren.
„Mir geht es gut, danke."
Wieder musterte er sie und Elaine glaubte, Müdigkeit und Resignation
in seinem Blick zu finden. Er schien irgendwie verändert. Sonst waren
seine dunklen Augen glanzlos und aus ihnen blitze Abneigung, Rebellion
aber auch Tatendrang. Nun, nur ein paar Stunden später, schien ihm
alles egal zu sein.
Snape nickte kurz und sagte dann: „Ich würde vorschlagen, Sie
begeben sich in die unterste Ebene der Kerker. Dort befinden sich die Abstellkammern
von Hogwarts, wo Sie nach ein paar Regalen und sonstigen Utensilien für
die Labors suchen können."
Dann drehte er sich wieder den Aufzeichnungen zu, ohne Elaine die Gelegenheit
zu geben ihm zu antworten. Verwundert blieb sie noch einen Moment stehen
und bemerkte, wie sich sein Gesicht für einen kurzen Augenblick zu
einer geschockten Miene verzog, während er auf seinen rechten Unterarm
schaute. Dabei blitzte ein weißer Verband hinter seiner dunklen Kleidung
hervor. Wurde er bei der Explosion auch verletzt?
Elaine wollte ihn gerade darauf ansprechen, als er – wieder gefasst
mit kaltem Blick – sie genervt anfuhr: „Warum sind Sie immer noch hier?"
Da Laudry keine Lust hatte, sich auf ein Wortgefecht mit dem Professor
für Zaubertrankkunde einzulassen, sprach sie resigniert: „Ich bin
ja schon auf dem Weg...", machte dann kehrt und verließ das zerstörte
Labor.
Die Kerker von Hogwarts waren über drei Ebenen verteilt. In der
ersten Ebene befanden sich die Büros von Snape und Laudry, sowie die
Unterrichtsräume und die verschiedenen Labors und Abstellräume
für die Utensilien des Faches „Zaubertrankkunde". Über die gesamte
zweite Ebene waren wohl nur die Gemächer von Professor Snape sowie
die Unterkünfte der Slytherins verteilt. Die dritte und unterste Ebene
hatte Elaine – abgesehen von der zweiten Ebene - noch nie betreten. Dort
gab es Abstellräume, in denen alles Mögliche zu finden war, zum
Beispiel alte Schulbänke, Regale und Tafeln, aber auch das Archiv
der Bibliothek, in dem sich unter anderem ausgesonderte Exemplare in Regalen
meterhoch stapelten.
Es kam Elaine nahezu unheimlich vor diese Ebene zu betreten. Nichts
als das Hallen von ihren Schritten an den feuchten, kalten Wänden
war zu hören, als sie die langen und verlassenen Korridore entlang
ging. Sie lief vorbei an den Archiven der Bibliothek und blieb vor der
erstbesten Rumpelkammer – so wie sie es bezeichnete – stehen. Mit größter
Mühe öffnete sie die eingerostete Tür, die mit einem lauten
Knarren ihren Widerstand nachgab. Der Raum war nicht beleuchtet. Man konnte
kaum die Hand vor Augen erkennen, wenn nicht ein schwacher Lichtschimmer
vom Korridor in den Eingangsbereich hineingeschienen hätte.
Elaine zücke ihren Zauberstab und sprach laut und deutlich: „Lumos!"
Die Spitze entzündete sich und spendete nun einen relativ starken
Lichtkegel, der sie ungefähr fünf Meter weit blicken ließ.
Überall standen Regale, Schränke und alte Schulbänke, die
wohl schon seit Jahrhunderten hier standen und darauf warteten, doch irgendwann
einmal wieder das Tageslicht zu erblicken. Das Ende des Abstellraums vermochte
sie jedoch nicht zu erkennen. Er musste wohl riesige Ausmaße haben.
Sie drang weiter in die Kammer, auf der Suche nach der geeigneten Ausstattung
für das zerstörte Labor, vor. Bald darauf wurde sie fündig.
Sie fand verschiedene Regale, Kessel und Reagenzgläser. Es fehlten
eigentlich nur noch die Zutaten und sie hatten ein komplettes Labor zusammen.
Die Lehrerin für Zaubertrankkunde zückte erneut ihren Zauberstab
und kennzeichnete die benötigten Möbel und Utensilien mit dem
Zauberspruch „Indicio". So glühten sie im Dunkeln und die Hauselfen
konnten ohne Probleme das Benötigte ausfindig machen und damit das
Labor einrichten.
Elaine wollte sich gerade auf den Rückweg machen, als sie einige
Meter hinter ihr einen lauten Knall hörte. Erschrocken fuhr sie herum
und kniff die Augen zusammen. Bewegte sich dort etwas in der hinteren Ecke
des Raumes, oder war das nur ein Streich, den ihr Gehirn ihr gespielt hatte?
Sie blieb mucksmäuschenstill stehen und lauschte den Geräuschen
der Dunkelheit... Nichts... Es war unerträglich still, so still, dass
ihr Atem, der sich durch den Adrenalinstoß verschnellt hatte, das
Einzige war, was sie wahrnahm. Ihr Einatmen, ihr Ausatmen, ihr Einatmen...
Nichts weiter. Und er wurde immer langsamer, immer ruhiger, als sich die
Aufregung, welche ihren Körper durchfahren hatte, legte.
Sie hatte sich gerade entschlossen, denn Vorfall zu vergessen – vielleicht
war es nur ein Möbelstück, welches durch den leichten Durchzug
von der Tür aus heruntergefallen war - aber ganz plötzlich war
da doch etwas anderes als ihr Atem und es hörte sich an wie ein Heulen,
kaum wahrnehmbar, als wenn die Geräuschquelle sich hinter einer Tür
befinden würde.
Elaine lief ein paar Schritte voran in die Richtung, von der die Laute
zu kommen schienen. Die Augen zusammengekniffen versuchte sie etwas in
dem Lichtkegel, den ihr Zauberstab weiterhin stetig verursachte, zu erkennen.
Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass unmittelbar rechts von ihr
sich etwas bewegte. Ruckartig drehte sie sich um und merkte nur noch, wie
ihr Arm gegen etwas stieß und es plötzlich einen ohrenbetäubenden
Lärm gab. Sie fühlte, wie sich ein Gewicht über ihren Körper
legte und sie nach unten zu drücken versuchte. Mit einem Male verlor
sie das Gleichgewicht und landete rücklings auf dem Boden, das Gewicht
ihr folgend. Der Zauberstab entwich ihrer Hand und rollte – sein Licht
langsam und stetig schwacher werdend – einige Meter auf dem Boden entlang.
Dann war Ruhe. Das Heulen hatte auch aufgehört. Elaine lag schwer
atmend auf dem Boden. Ihr Körper wurde von irgend etwas nach unten
gedrückt, dass sich kalt wie Metall anfühlte. Es war in der ganzen
Kammer stockdunkel. Nichts konnte man erkennen.
Als ihr klar wurde, was passiert war, rief sie hektisch: „Accio Zauberstab!"
Nachdem sich das weiche Holz in ihrer Hand befand, verspürte sie
augenblicklich Erleichterung. Mit den Worten „Lumos!" entzündete sie
erneut die Spitze ihres Zauberstabes um festzustellen, was passiert war.
Und als sie nach unten blickte, wusste sie endlich, was sie so erschreckt
und zu Fall gebracht hatte. Eine Ritterrüstung! Wie sehr Schatten
in der Dunkelheit einen doch verwirren konnten. Sie schob das metallische
Gebilde zur Seite, stand auf und klopfte sich den Staub von den Kleidern,
um darauf wieder in die Richtung zu blicken, aus der das Heulen gekommen
war. Langsam ging sie wieder darauf zu und sah am Ende des Lichtkegels
eine Tür. Das Heulen hörte sie jedoch nicht mehr, so dass sie
mittlerweile glaubte, ihr Gehirn hätte ihr auch in dieser Hinsicht
einen Streich gespielt. Doch da sie nun schon so weit gekommen war, wollte
sie dem nachgehen.
„Hallo, ist da jemand?", rief sie in Richtung der Tür, blieb dann
still stehen und wartete auf eine Antwort. Als niemand reagierte, wolle
sie sich schon wieder umdrehen, doch mit einem Male klopfte jemand von
innen her mit so einer Wucht gegen die Tür, dass rund herum Staub
aufgewühlt würde.
„Ich will hier raus! Ich will hier raus! Ich will hier raus, ihr verdammten
Schweine!", hörte sie eine schrille Stimme, die ihren Ursprung hinter
der Tür hatte.
Hier war tatsächlich jemand eingesperrt, inmitten der Kerker von
Hogwarts, auf der untersten Ebene, die – wenn überhaupt – regelmäßig
nur einmal im Jahr von Irma Pince betreten wurde, sobald sie die ausgesonderten
Exemplare der Bibliothek im Archiv ablegte, oder von Argus Filch, der alte
Möbelstücke hier herunter brachte.
Argus Filch... Er war ein leidenschaftlicher Verfechter von Folter
und körperlichen Strafen, wenn Schüler gegen die Hausordnung
verstoßen hatten. Hatte er sich gegen die Anweisungen des Direktors
hinweggesetzt und anstatt der herkömmlichen Strafarbeiten einen Schüler
einfach hier in einen Kerkerraum gesperrt? - Nein. So etwas traute sie
dem Hausmeister von Hogwarts nicht zu. Er würde nie den Anweisungen
des Direktors zuwider handeln. Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden,
was passiert war und wer sich hinter dieser Tür verbarg. Elaine nahm
die Türklinke und versuchte die Tür zu öffnen, doch sie
war – wie nicht anders zu erwarten – verschlossen.
„Alohomora!", sprach sie und das Schloss der Tür sprang augenblicklich
auf. Sie lugte vorsichtig um die Ecke und leuchtete dabei mit ihrem Zauberstab
durch den Raum. Und wen erblickte sie? – Peeves, den Poltergeist. Hatte
er die ganzen letzten Wochen hier unten verbracht – war sie ihm doch nie
in den Korridoren begegnet? Nicht, dass sie ihn vermisst hätte, aber
es tat doch gut ihn zu sehen und ihm endlich den wohlverdienten Anpfiff
wegen der Lügen, die er über sie verbreitete, zu verpassen. Doch
bevor sie etwas sagen konnte, kam Peeves angeflogen und gab ihr einen eisigkalten
Schmatz auf die Wange. Igitt! Es war wahrlich nicht ihr Traum, von
einem Poltergeist geküsst zu werden, der dazu noch Mundgeruch hatte.
Nun wieder munter und fröhlich zog Peeves seine Kreise um Elaine
und sang dabei: „Peeves ist frei, Peeves ist frei. Juchhu!"
Es musste wirklich schrecklich für ihn gewesen sein, hier unten
wochenlang eingesperrt zu sein, dass er sie mit solch einem Dank begrüßt
hatte und noch keine abfällige Bemerkung über seine Lippen gekommen
war. Das war eben auch der Nachteil daran, ein Poltergeist zu sein. Man
konnte zwar Tausende von Gegenständen durch die Gegend schmeißen,
einen bösen Streich nach dem anderen spielen, aber durch Türen
und Wände schweben konnte man nicht.
„Peeves, was machen Sie hier unten? Wie sind Sie in diese Kammer gekommen?",
fragte Elaine.
Augenblicklich hielt der Poltergeist inne und setzte sich auf die oberste
Schublade eines circa zwei Meter hohen Schrankes.
„Bäh... Diese verdammten Hausgeister sagten mir, dass es hier
unten einen Schatz geben würde und als ich diese Kammer betrat, flog
die Tür zu. Und... kein Schatz..., kein Schatz... Diese Schweine...
Denen werd' ich's zeigen, was es heißt, Peeves hereinzulegen! Oh
ja, die werden ihr blaues Wunder erleben!"
Peeves rechte Hand hatte sich mittlerweile zu einer Faust geballt und
klopfte unaufhörlich gegen den Schrank. Seine Augen wirkten müde
– wenn man das von einem Geist behaupten konnte – als hätten sich
die Wochen der Gefangenschaft deutlich abgezeichnet. Doch Mitleid verspürte
Elaine nicht. Peeves Tagesablauf bestand darin, Missmut und schlechte Laune
in Hogwarts zu verbreiten und ein paar Wochen Pause hatten sich Schüler
wie Lehrer redlich verdient. Er war wohl den Hausgeistern einfach zu sehr
auf die Nerven gegangen, so dass sie zu diesem Entschluss kamen. Irgendwann
hätte sie sicherlich auch das schlechte Gewissen gepackt und sie hätten
ihn wieder befreit. Diese kleine Lektion schadete dem Poltergeist überhaupt
nichts. Schließlich war er ein Geist. Er brauchte nichts zum Essen
und nichts zum Trinken und was wohl noch wichtiger war: Für ihn stellten
die vergangenen Wochen lediglich ein sehr geringer Teil einer Ewigkeit
dar, in der er die Bewohner von Hogwarts noch belästigen würde.
„Ist gut Peeves, ich schlage vor, Sie verschwinden hier. Sie haben
hoffentlich aus Ihren Fehlern gelernt."
„Wieso Fehler?! Poltergeister machen keine Fehler. Sir Niklas und die
Graue Dame wollten nur nicht, dass ich den Schülern von Slytherin
erzähle, dass Sie in Wirklichkeit früher auch schon Ravenclaw
waren und nicht Gryffindor, wie Sie behaupten", sprach der Geist mit verschränkten
Armen vor der Brust, beugte sich leicht nach hinten und musterte mit zusammengekniffenen
Augen die Lehrerin für Zaubertrankkunde.
„Peeves, das ist der größte Quatsch, der mir je in meinem
Leben untergekommen ist", sagte Elaine und wunderte sich darüber,
wie ruhig ihre Stimme doch klang.
Auch Peeves schien diese Gelassenheit ein wenig zu verwirren, denn
er stotterte nun: „A-Aber ich hab' folgendes Gespräch von Sinistra
und Vector gehört: Vector wunderte sich, warum sie sich nicht an Sie
erinnern konnte. Schließlich sind Sie zu einer Zeit hier in Hogwarts
zur Schule gegangen, da war Vector schon Lehrerin. Aber sie bezweifelt,
dass Sie jemals die Eigenschaften von Gryffindor verkörpert haben
konnten. Dazu fehle Ihnen der Mut, so schreckhaft wie Sie sind. Vielmehr
sind Sie eine waschechte Ravenclaw, deren beste Freunde die Bücher
aus der Bibliothek sind. Sinistra meinte daraufhin, dass sie Sie ebenfalls
so einschätzt. Was sagen Sie nun?" Der Poltergeist hatte es sich mittlerweile
auf der Schulbade bequem gemacht, stützte seinen Kopf auf seine zwei
Hände und starrte Elaine mit einem versuchten Hundeblick an.
„Was ich dazu sagen soll? – Warum machen Sie sich eigentlich Gedanken
darüber? Warum ist das so wichtig zu erfahren, welchem Haus ich vor
Jahren angehört habe? Das sollte für alle uninteressant sein
und geht nur mich etwas an. Und ich weiß, woran ich mich erinnere.
Ich war Gryffindor und jetzt Ravenclaw, da sich meine Eigenschaften im
Laufe der Entwicklung, die ich als Mensch durchgemacht habe, verändert
haben. Ich will jetzt nichts mehr davon hören!"
Jetzt hatte es Peeves doch geschafft, sie aus der Fassung zu bringen
und sie ärgerte sich darüber, die Kontrolle verloren zu haben.
So etwas machte einen verletzlich und angreifbar, Peeves war der Typ, der
dies auf jeden Fall ausnutzen würde.
„Es tut dem Ruf nicht gut, wenn die Lehrer, die die Schüler zu
Ehrlichkeit erziehen sollen, selbst Lügner sind!", sagte Peeves trotzig.
„Sie können doch gar nicht beurteilen, ob ich lüge, aber
ich weiß, dass ich es nicht tue", zischte Elaine und verließ
die Abstellkammer. Es wunderte sie, dass Peeves ihr nichts Widersprüchliches
hinterher rief und sie einfach so gehen ließ. Aber auch ihre Worte
waren es, über die sie sich wunderte. Wusste sie wirklich, dass sie
einmal Gryffindor war? Ihre gesamte Schulzeit war wie ein dunkler Schleier.
Sie hatte zu niemandem Kontakt, mit dem sie in die Schule gegangen war,
davon abgesehen konnte sie sich nur an zwei Personen erinnern, mit denen
sie enger befreundet war: Milly Fletcher und Rubeus Hagrid. Milly war verschwunden
und Hagrid... Zu ihm war der Kontakt langsam abgebrochen, als sie weit
entfernt auf der Universität studierte.
Sie konnte sich noch an ihr erstes Jahr als Lehrerin hier auf Hogwarts
erinnern. Nachdem sie Hauslehrerin von Ravenclaw geworden war, hatte sie
Hagrid zu einem gemeinsamen Tee eingeladen, da sie Olympe näher kennen
lernen sollte. Sie hatte ihm von dem Vorfall mit dem Hut berichtet, der
behauptet hatte, seine Meinung – sie gehöre in das Haus Ravenclaw
– nicht geändert zu haben. Auch Hagrid hatte ihr bestätigt, dass
sie früher Ravenclaw war und dass sich der Hut bestimmt nur in der
Person geirrt hatte. Hagrid war der Einzige aus ihren Jahren als Schülerin
hier in Hogwarts, zu dem sie jetzt noch engeren Kontakt hatte. Ihm vertraute
sie. Er hatte keinen Grund dafür sie in die Irre zu führen. Aber
was, wenn doch?
Bevor sie zu einer Antwort kam, hatte sie das zerstörte Labor
erreicht und betrat den Raum. Snape hatte eine Liste in der Hand, welche
die von der Explosion zerstörten Zutaten für Zaubertränke
beinhaltete. Sie mussten diese in der Winkelgasse besorgen, doch leider
gab es ein kleines, wenn nicht sogar ein sehr großes Problem: Bei
den zerstörten Vorräten handelte es sich um Zutaten, die einzig
und allein für den Unterricht gedacht waren und nicht für das
Projekt. Sie mussten die Zutaten also von dem vom Zaubereiministerium für
dieses Schuljahr bewilligten Geldetat kaufen, und dieser war sehr knapp
bemessen, seitdem Ballermann Zaubereiminister war. Snape hatte errechnet,
höchstens die Hälfte des Kontingents mit den verbleibenden Geldmitteln
bei dem sachlich richtigen Ansatz „Utensilien für das Fach Zaubertrankkunde"
verausgaben zu können. Dumbledore musste also eine überplanmäßige
Ausgabe beim Zaubereiministerium beantragen in der Hoffnung, dass diese
genehmigt werden würde. Ansonsten hatten sie Pech gehabt und mussten
für dieses Jahr nur mit der Hälfte des Kontingents das Experiment
als auch den Unterricht bestreiten.
Also machten sich Elaine und Snape auf den Weg zu Dumbledores Büro.
Der Lehrer für Zaubertrankkunde redete kein Wort und blickte zielstrebig
geradeaus, seine schwarzen, fettigen Haare hingen dabei in sein Gesicht
und ließen keinen genauen Blick in seine Miene und damit auch in
seine vermeintliche Gemütsstimmung zu. Gerade, als sie die Kerker
verlassen hatten, stießen sie beinahe mit Carlos Santana zusammen.
Was trieb er nur andauernd vor dem Eingang der Kerker? Sein Unterrichtsraum
war im dritten Stock!
Im Treppenhaus begegneten sie Vector und Sinistra, die angeregt tuschelten
und – als sie die Anwesenheit von Snape und Laudry bemerkten – abrupt aufhörten
und sie mit einem musternden Blick grüßten. Unwillkürlich
fühlte sich Professor Laudry an die Worte von Peeves erinnert und
sie fragte sich, wie diese zwei Frauen, deren einzige Freizeitbeschäftigung
darin bestand sich über vermeintlich kuriose Verhaltensweisen anderer
Personen zu unterhalten, darauf gekommen waren, dass Bücher das Einzige
war, zu dem sie eine feste Beziehung pflegte. So häufig war sie nun
wirklich nicht in der Bibliothek!
Sinistra und Vector waren zwei „Klatschtanten", wie man es wohl in
der Welt der Muggel bezeichnet hätte, das hatte Elaine schon am ersten
Tag als Lehrerin hier festgestellt. Teilweise fand sie sogar die Art lustig,
wie sie zum Beispiel über Trelawney und Snape herzogen, aber das sie
auch schon das Objekt ihrer Gespräche gewesen war, hätte sie
bis zum heutigen Tage nicht geglaubt. Sie hatte immer das Gefühl gehabt,
dass sie sich gut mit den Zweien verstand, auch wenn sie zugegebenermaßen
keine sonderlich enge Beziehung zu beiden hatte. So konnte man sich täuschen.
Selbst Snape kam ihr jetzt sympathischer als diese beiden vor, denn er
besaß wenigstens eine Eigenschaft, die sie sehr hoch schätze:
Ehrlichkeit. Er sagte immer, was ihn störte und nahm dabei kein Blatt
vor den Mund. Auch wenn es manchmal verletzend war, was er zu einem sagte,
so wusste man wenigstens, woran man war.
Mittlerweile hatten sie den Wasserspeicher erreicht und Snape gab den
Befehl „Flubberplupp", worauf sich der Zugang zu Dumbledores Büro
öffnete. Der Direktor war sichtlich überrascht, Snape und Elaine
um diese Zeit des Tages in seinem Büro zu sehen.
„Severus, Elaine... Was verschafft mir die Ehre dieses Besuches? Ich
hoffe nichts Negatives...", sagte Albus.
„Leider muss ich Sie enttäuschen, Direktor... Es ist doch etwas
Negatives."
Albus nickte und wies beide an sich auf die Stühle, die vor seinem
Schreibtisch standen, zu setzen. Elaine kam dieser Aufforderung nach, Snape
jedoch blieb stehen und fuhr fort, nachdem er den Direktor die Aufstellung
der benötigten Zaubertrankzutaten über den Tisch gereicht hatte.
„Dies ist eine Auflistung der Zaubertrankzutaten, die neu angeschafft
werden müssen. Leider haben wir nicht genug Geldmittel zur Verfügung."
Der Direktor räusperte sich und schob seine Brille etwas höher.
„So etwas hatte ich schon befürchtet. Es war nur eine Frage der
Zeit, bis uns das Geld ausgeht. Leider können wir auch keine Mittel,
die für andere Unterrichtsfächer vorgesehen sind, in Anspruch
nehmen, da diese ebenfalls sehr knapp bemessen sind. Es bleibt wohl nichts
anderes übrig, als bei Ballermann eine überplanmäßige
Ausgabe zu beantragen. Unsere Chancen, dass wir sie bewilligt bekommen,
stehen noch nicht einmal so schlecht. Schließlich kann das Projekt
nicht effektiv fortgesetzt werden ohne einen gewissen Vorrat an Zaubertrankzutaten."
Dumbledore nahm sich Snapes Aufstellung der benötigten Zutaten
und steckte sie in einen Umschlag, nachdem er einen kurzen, prüfenden
Blick darüber geworfen hatte. Danach gab er den Umschlag seiner Eule,
damit sich diese auf den Weg zum Zaubereiministerium machen konnte. Mit
den Worten: „Ich bin gespannt, wie man im Ministerium reagieren wird",
entließ der Direktor die Professoren Snape und Laudry, die sich weiter
um die Einrichtung der Labors kümmerten.
Nach dem Abendessen begab sich Elaine in ihr Büro, um die verbleibende
Zeit bis zu der Lehrerkonferenz, die auf 19:00 Uhr angesetzt war, durch
die Überprüfung einiger Leistungskontrollen der Sechstklässler
zu überbrücken. Weit kam sie aber damit nicht. Bevor sie sich
darüber aufregen konnte, dass Padma Patil, deren Leistungskontrolle
sie sich zuerst vornahm, nicht erkannt hatte, dass Eisenhut und Wolfswurz
ein und dieselbe Pflanze bezeichneten, klopfte es an ihre Tür. Elaine
legte die Arbeiten zur Seite und rief den Besucher herein. Minerva McGonagall
öffnete die Tür zu Elaines Büro und trat ein.
„Minerva, was kann ich für Sie tun?", fragte Elaine.
Die stellvertretende Schulleiterin von Hogwarts huschte ein angedeutetes
Lächeln über die Lippen, während sie näher an Elaines
Schreibtisch heran trat. Durch das schwache Licht der Dämmerung, das
durch das kleine Fenster in das Büro hinein schien und das Leuchten
der Kerzen bildeten sich Schatten auf ihren Gesichtern.
„Ich wollte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten. Es geht um die Band
Ihrer Ravenclaws", sagte Minerva und nahm auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch
Platz, bevor sie fortfuhr. „Einige Gryffindors sind auch sehr musikinteressiert
und fragten mich, ob sie ebenfalls einen Raum für die Proben zur Verfügung
gestellt bekommen würden. Allerdings halte ich das für eine weniger
gute Idee, denn meines Erachtens braucht auf Hogwarts kein Wettbewerb zwischen
den einzelnen Bands der verschiedenen Häuser stattzufinden, so wie
es beim Quidditsch üblich ist. Was halten Sie davon, wenn wir das
Ganze in eine häuserübergreifende Band umwandeln?"
Elaine lehnte sich zurück und überlegte kurz, bevor sie antwortete:
„Die Idee finde ich ausgesprochen gut, obwohl ich bezweifle, dass sich
die Slytherins dort einordnen werden. Sie sind alle sehr eigenbrötlerisch,
versuchen sich immer in den Vordergrund zu stellen."
„Die Slytherins...", murmelte Minerva und ihr Blick wandte sich ins
Leere. „Ja, sie stellen ein Problem dar. Allerdings hat bis jetzt noch
keiner von ihnen musikalisches Interesse gezeigt. Sie sind eher darauf
bedacht, Vorteile für sich und ihr Haus zu verschaffen, und das Mitwirken
an einer solchen Gemeinschaft ist nicht förderlich dafür. Nein,
ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass ein Slytherin sein Interesse an einer
Mitgliedschaft in der Band äußern wird."
Elaine nickte. „Vermutlich haben Sie Recht. Unter diesem Gesichtspunkt
betrachtet, wäre es wirklich das Beste eine große Schulband
zu gründen. Haben Sie schon mit Professor Sprout geredet?"
„Nein, noch nicht, aber ich bin sicher, dass sich auch einige Hufflepuffs
finden werden, die an diesem Projekt gern teilnehmen würden. Ich schätze,
Severus sollten wir ebenfalls noch darauf ansprechen, nicht dass er im
Nachhinein dahinter eine Verschwörung sieht. Slytherins fühlen
sich meiner Meinung nach zu schnell übergangen...."
Bei diesen Worten musste Elaine grinsen und auch Minerva konnte sich
ein kleines Zucken an ihren Mundwinkeln nicht verkneifen.
„Also gut", sagte Minerva mit erhobener Stimme, um von den Slytherins
abzulenken. „Ich spreche diesen Punkt nachher bei der Lehrerkonferenz an.
Albus hat bestimmt nichts dagegen einzuwenden."
„Das denke ich auch", erwiderte Professor Laudry.
„Dann dürfte das geklärt sein. Entschuldigen Sie mich bitte,
Elaine. Ich habe noch einige Dinge für die Konferenz vorzubereiten.
Wir sehen uns nachher..."
Und schon war Professor McGonagall verschwunden. Elaine wollte sich
eigentlich wieder ein paar der Leistungskontrollen vornehmen, doch sie
überfiel das Gefühl von Müdigkeit. Ihre Augen wurden immer
schwerer und den Sinn der Worte vor ihr auf dem Papier konnte sie erst
nach mehrmaligem Durchlesen erfassen. Sie beschloss, dass es definitiv
an der Zeit war, eine kleine Pause zu machen. In weniger als einer halben
Stunde würde ohnehin die Lehrerkonferenz stattfinden. Also begab sich
Professor Laudry hinauf ins Lehrerzimmer. Bis auf Professor Sprout, die
lässig auf einem Stuhl saß, die Hexenwoche las und einen Schockochino
dazu trank, war niemand anwesend.
„Gilderoy Lockhart ist toll...", murmelte sie. „Das ich nicht lache..."
Ihren Blick wandte sie nicht von der Zeitschrift auf. Anscheinend hatte
sie gar nicht gemerkt, dass Laudry den Raum betreten hatte.
„Hallo Helen. Sie lesen wohl gerade den Leserbrief von diesem verrücken
Lockhart-Fan?"
Die Lehrerin für Kräuterkunde blickte erschrocken hinter
der Hexenwoche hervor.
„Ach, Sie sind es. Sie haben mich aber erschrocken!", meinte die kleine
Hexe und legte dann ihre Zeitschrift zur Seite. „Ja, ja... Gilderoy Lockhart,
dieser Wichtigtuer! Sie können von Glück reden, dass Sie ihn
nie persönlich erlebt haben. Er wollte mir doch tatsächlich weiß
machen, wie ich meine Pflanzen zu pflegen habe! Das ich nicht lache. Sobald
man ihn eine Gießkanne in die Hand gegeben hätte, dann wäre
am nächsten Tag keine Pflanze in den Gewächshäusern noch
am Leben, vorausgesetzt, er wäre vorher nicht durch die Alraunen umgebracht
worden..."
„Aber so dumm konnte er doch nicht gewesen sein. Ich habe „Gammeln
mit Ghulen" gelesen und ich muss sagen, dass ich es, abgesehen von der
Selbstdarstellung seiner Persönlichkeit sehr informativ fand", sagte
Elaine. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Helen Sprout dem ehemaligen
Lehrer für die Verteidigung gegen die dunklen Künste unrecht
tat.
„Ach Quatsch! Wie ich sehe, lesen Sie nicht regelmäßig den
Tagespropheten. Im Sommer 1993 war es überall in den Zeitungen zu
lesen: ‚Die Affäre Lockhart'. Es wurde behauptet, dass Gilderoy Lockhart
die Ideen für seine Bücher von anderen Hexen und Zauberern gestohlen
hatte. Beweisen konnte es aber keiner. Es gab nur zwei Zeugen, Schüler
an Hogwarts, die dieses Gerücht in die Welt gesetzt hatten. Und da
Lockhart durch einen Unfall in der Kammer des Schreckens sein Gedächtnis
verloren hatte, war es dem Ministerium auch nicht möglich, die Informationen
von dem Übeltäter selbst über das Veritasium zu erhalten.
Aber wenn Sie mich fragen, traue ich diesen zwei Schülern auch ohne
weitere Beweise. Ich habe mich damals immer gefragt, wie man nur so...
entschuldigen Sie das Wort... blöd sein kann und trotzdem solche Bücher
zustande gebracht hat."
Ehe Elaine etwas erwidern konnte, schrak sie zusammen. Ein paar große
graue Augen waren plötzlich vor ihrem Gesicht erschienen, die sie
müde anblickten. Sie trat einen Schritt zurück, bis sie bemerkte,
dass Professor Binns direkt vor ihr durch den Tisch geschwebt kam und sie
mit einem Teil seines zerschlissenen Fracks durchdrang. Ein kalter Schauder
durchfuhr ihren Körper. Sie musste sich kurz schütteln, bevor
sie wieder etwas tun konnte.
„Professor Binns, bitte passen Sie auf, wohin Sie fliegen. Es ist sehr
unangenehm für Sterbliche, wenn Geister sie berühren", sagte
Elaine, eine Begrüßung ersparte sie sich.
Der Geschichtslehrer schenkte ihr für ein paar Sekunden keine
Beachtung und schwebte gemächlich in die andere Ecke des Lehrerzimmers.
Dort stellte er sich auf und zupfte an seinem langen Bart, bevor er mit
seiner rauhen und monotonen Stimme sehr langsam zu reden begann: „Tut mir
leid, Miss ... ähm ... Loudly."
Binns war bekannt für sein schlechtes Namengedächtnis. Seitdem
er eines Tages seinen Körper verlassen hatte und als Geist zum Unterricht
erschienen war, ‚lebte' er praktisch nur noch für die Geschichte.
„Vor viiiiielen Jahren war ich auch einmal lebendig und mochte es nicht,
wenn Geister mich auf diese Art und Weise quälten... Ach, das
waren noch Zeiten...", erzählte Binns weiter. Sein Blick glitt ins
Leere. Jetzt folgte sicherlich wieder ein sehr langer Vortrag über
Ereignisse, die sich zu seinen Lebzeiten abgespielt hatten. Professor Sprout
konnte einen vielsagenden Blick zu Laudry nicht unterdrücken, bevor
sie geschickt den Lehrer für Geschichte auf ein anderes Thema brachte.
Sie konnte schon auf viele Erfahrungen mit diesem Geist zurückgreifen.
„Rupert... Was ist denn mit Ihnen heute los? Sie sind ganze fünfzehn
Minuten zu früh dran!"
„Ach wirklich, Professor Spring?" Der Geist drehte sich einmal um die
eigene Achse und hielt Ausschau nach einer Uhr, wurde aber nicht fündig,
denn er blickte in eine vollkommen falsche Richtung.
Die Lehrerin für Kräuterkunde unterdrückte sich ein
kurzes Grinsen bevor sie fortfuhr: „Die Besprechung war auf 19:00 Uhr angesetzt
und nicht wie üblich auf 18:30 Uhr. Könnte es vielleicht daran
liegen?"
„... 19:00 Uhr? Könnte sein... Aber warum 19:00 Uhr? ... Entschuldigen
Sie mich... Ich komme nachher wieder", sagte Binns verwirrt und schwebte
durch die Tür hinaus.
„Der Arme!", sagte Sprout mit einem angedeuteten Grinsen auf den Lippen.
„Seitdem er tot ist, kann man mit ihm nichts mehr anfangen. Sie hätten
ihn erleben müssen, als er noch am Leben war! Ich meine, eine Stimmungskanone
war er zwar nicht gerade, er redete genauso monoton und langsam wie jetzt
auch und war ebenso langweilig, aber zumindest war er in der Lage sich
Namen zu merken und veränderten Tagesabläufen anzupassen. Ich
möchte nicht wissen, was wieder zu Halloween passiert. Dann steht
er bestimmt wieder im leeren Klassenzimmer und beschwert sich im Nachhinein,
dass keine Schüler zum Nachmittagsunterricht erschienen sind. Das
macht er schon seit sieben Jahren, seitdem die Regelung eingeführt
wurde, dass an Halloween Nachmittags kein Unterricht stattfindet..." Sprout
seufzte und wandte sich wieder ihrer Hexenwoche zu.
Elaine lief zu einem kleinen Tisch in der Ecke des Lehrerzimmers, auf
dem die Hauselfen für die Lehrer Getränke für die Pausen
aufbewahrten. Sie goss sich einen Schockochino ein und setzte sich dann
an den Tisch in der Mitte des Raumes.
Es dauerte nicht lange, da erschienen nach und nach die anderen Lehrer.
Als alle vollzählig waren (mit Ausnahme von Professor Binns), führte
Dumbledore die Tagesordnungspunkte auf. Gleich zu Anfang regelte McGonagall
die Sache mit der Schulband und die Professoren Sprout und Snape wurden
angewiesen, ihre Schüler zu informieren. Während Sprout voller
Begeisterung wie aus dem Häuschen war, wirkte Snape eher gelangweilt.
Das störte aber keinen, im Gegenteil.
Nachdem Vector die Diskussion auf ein anderes, viel heikleres Thema
– die Veranstaltung eines Tags der offenen Tür - gelenkt hatte, erschien
schließlich Professor Binns, der jedoch nichts Bedeutendes in die
Diskussion einbrachte. Als verschiedene Varianten aufgeführt wurden,
die es den Eltern der muggelstämmigen Schüler von Hogwarts ermöglichen
sollte, Hogwarts zu betreten und nicht eine abbruchreife Ruine anstatt
des prachtvollen Schlosses zu sehen, wurde sich für ein magisches
Halsband entschieden, dass dem Zauberwall der Schule vortäuschte,
die Muggel, die es trugen, seien Zauberer. Da nicht genug Geld in den Schulkassen
vorhanden war, was wiederum Missmut unter den Lehrern gegenüber Ballermann
auslöste, kam man zu dem Schluss, dass man keine Wahl hatte als Eintrittsgelder
von den Eltern zu verlangen. Trotzdem erhoffte man sich enormen Andrang.
Alle waren begeistert von dieser Idee, alle, bis auf Professor Snape. Doch
Professor Snapes Gegenmeinung störte keinen. Seine ständige Rebellion
war etwas, an das man sich gewöhnt hatte und dem man nur noch wenig
Beachtung schenkte.
Der Termin für den Tag der offenen Tür wurde auf Halloween
festgelegt, und noch ein weiteres wichtiges Ereignis sollte am 31.Oktober
stattfinden: Minister Ballermann wollte nach Hogwarts kommen um sich persönlich
über Ergebnisse des Projektes zu informieren. Das bedeutete, dass
sie bis dahin auch Ergebnisse zu präsentieren hatten, die als solche
bezeichnet werden konnten, ansonsten würde es peinlich werden. Ihr
einziger Lichtblick bestand darin, dass vom Minister die erhöhten
Ausgaben genehmigt worden waren, so dass die Professoren Laudry und Snape
sich am nächsten Tag in die Winkelgasse begeben konnten um die Zutaten
für Zaubertankkunde und das Projekt zu besorgen.
Die Konferenz dauerte bis spät in den Abend hinein und als sich
die Lehrer bereits in ihre Gemächer zurückzogen, machte sich
Elaine auf den Weg in die Bibliothek. Seit ihrer Begegnung mit Peeves waren
ihr Zweifel aufgekommen, Zweifel über die Zugehörigkeit zum Hause
Gryffindor. Zweifel... So konnte man es eigentlich nicht nennen. Sie zweifelte
nicht an sich selbst oder an ihren Erinnerungen, die so gut wie nicht mehr
vorhanden waren. Wären es Zweifel, dann hätte sie ein Interesse
daran, das persönliche Bedeutung für sie besaß und so war
es nicht. Im Grunde genommen war es ihr egal, welchem Hause sie früher
angehört hatte – zumal sie sowieso nicht daran glaubte, dass an Peeves
Worten irgendetwas Wahres dran sein könnte –, sie war einfach nur
neugierig.
Als sie den Eingang zur Bibliothek erreicht hatte, schob sie
die Tür, die ein lautes Knarren von sich gab, zur Seite. Um diese
Zeit war die Halle nur schwach beleuchtet. Es wunderte Elaine die Bibliothekarin
Irma Pince immer noch hier anzutreffen. Sie hatte es sich mit einem Stapel
Bücher bequem gemacht, die sie wohl katalogisierte. Immer noch in
ein Schriftstück vertieft sprach die alte Frau ohne aufzublicken:
„Die Bibliothek ist geschlossen. Kommen Sie morgen wieder!"
„Ich wollte eigentlich nichts ausleihen, sondern nur mal kurz etwas
in den Archiven nachschlagen. Ist das in Ordnung? Es dauert auch nicht
lange", sagte die Lehrerin für Zaubertränke und trat ein wenig
näher an den Tisch der Bibliothekarin heran.
Pince blickte auf und ein verwunderter Blick trat auf ihr Gesicht.
Sie hatte wohl erwartet, einen Schüler vor sich zu haben und nicht
eine Lehrerin.
„Na schön, Miss Laudry. Ich gebe Ihnen eine viertel Stunde. Danach
wird hier abgeschlossen."
Das ließ sich Elaine nicht zweimal sagen. Gezielt begab sie sich
in der Richtung der Schülerarchive und suchte sich den Abschlussjahrgang
1981/82 heraus. Doch sie konnte nichts Ungewöhnliches feststellen.
Sie war, wie nicht anders erwartet, bei Gryffindor eingetragen, zusammen
mit vielen anderen Schülerinnen und Schülern, deren Identität
ihr nicht bekannt war. Doch eines verwunderte sie: Unter den Ravenclaws
war jemand eingetragen, dessen Name vor einigen Wochen am Frühstückstisch
gefallen war, Anna Dumbledore. Auch an sie konnte sich Elaine nicht erinnern.
Ohnehin war es seltsam, dass Dumbledore in seinem hohen Alter noch so eine
verhältnismäßig junge Tochter hatte. Elaine schlug ein
paar Seiten weiter zurück, um aus Neugier festzustellen, wer noch
alles mit ihr in Gryffindor gewesen war und beinahe stockte ihr der Atem:
Remus Lupin, der neue Lehrer für die Verteidigung gegen die dunklen
Künste, hatte zwei Jahre vor ihr die Schule verlassen. Warum hatte
er sie nie darauf angesprochen? Fünf Jahre lang hatten sie schließlich
denselben Aufenthaltsraum benutzt. Hatte er sie einfach nicht erkannt?
Weiter darüber nachdenken konnte sie nicht, denn Irma Pince stand
schon ermahnend hinter ihr und wollte die Bibliothek schließen. Bevor
sich Laudry in ihre Gemächer begab, ging sie noch einmal kurz in die
Kerker, um mit Severus zu klären, wann sie sich Morgen auf den Weg
in die Winkelgasse machen sollten. Sie klopfte einmal kurz an Severus'
Tür und wartete darauf, dass er sie herein bat, doch es folgte nichts.
Auch ein zweites Klopfen blieb erfolglos. Mittlerweile glaubte sie, er
wollte einfach keinen Besuch mehr um diese Zeit empfangen. Professor Laudry
wollte sich schon zum Gehen wenden, als sie merkte, dass der Lehrer für
Zaubertrankkunde seine Tür nicht richtig abgeschlossen hatte. Das
passte gar nicht zu ihm. Vorsichtig schob sie die Tür zur Seite und
lugte um die Ecke, wohl im Hinterkopf behaltend, dass gleich ein Donnerwetter
von Snape folgen könnte.
„Severus? Sind Sie hier?" Es folgte nur Stille. Nun betrat Elaine vollends
das Zimmer und schaute sich um: Keine Spur von dem Lehrer für Zaubertrankkunde,
was um diese Zeit sehr seltsam war. In der großen Halle fand zwar
der Tanzunterricht mit den Professoren Sinistra und Vektor statt. Diesem
Ereignis pflegte Snape jedoch nie beizuwohnen.
Elaine zuckte mit den Schultern. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig,
als ihn am nächsten Morgen zu fragen. Letztendlich begab sie sich
in ihre Gemächer und fiel – überschattet von den Ereignissen
des Tages – in einen unruhigen Schlaf.
Am Morgen darauf sollte sie wiederum überrascht werden. In der ganzen Schule herrschte helle Aufregung, beim Frühstück in der Großen Halle war es bei weitem lauter als sonst und als sich Elaine den Tagespropheten zur Hand nahm, war ihr auch klar warum. Die Schlagzeilen sprachen mehr als tausend Worte:
Anschlag auf die „Drei Besen" in Hogsmeade! Die Zaubererwelt trauert um die Opfer.
Es schien wie ein ganz normaler Abend. Die „Drei Besen", eine bekannte
Kneipe im Zaubererdörfchen Hogsmeade, war wie immer gut gefüllt.
Doch es sollte ein Verhängnis für die Gäste werden, an jenem
Tag anwesend zu sein. Es ist noch nicht vollständig geklärt,
was passiert ist, jedoch berichten Augenzeugen, dass es um 21.35 Uhr eine
riesige Explosion gab, die das Haus zum Einstürzen brachte und fünfzehn
Menschen unter sich begrub. Jede Hilfe kam zu spät. Die traurige Bilanz
des Anschlages: zwölf Tote und drei Schwerverletzte, die sofort in
den Krankenflügel der nahegelegenen Schule für Zauberei und Hexerei,
Hogwarts, gebracht wurden und dort immer noch um ihr Leben kämpfen.
Hinter dem Anschlag stecken ohne Zweifel die Todesser. Die Liste
der Menschenleben, denen der Dunkle Lord und seine Handlanger ein Ende
gesetzt haben, wächst zusehends. Der Terror nimmt kein Ende. Die Anhängerschaft
von dem, dessen Name nicht genannt werden darf, wird, aus Angst vor den
Folgen eines Übergriffes, von Tag zu Tag größer und die
Stimmen in der Öffentlichkeit über das Vorgehen von Minister
Ballermann stets kritischer. Mehr dazu in unserem „Todesesser Spezial"
auf den Seiten sieben bis fünfzehn.
Elaine legte den Tagespropheten zur Seite und starrte an den Tisch der
Ravenclaws. Es brauchte eine Weile, bis sie realisiert hatte, was geschehen
war. Die Todesser hatten direkt hier in der Nähe zugeschlagen, an
einem Mittwoch Abend. Dieses Wochenende war wieder ein Besuch in Hogsmeade
angesagt. Wenn der Anschlag nur ein paar Tage später stattgefunden
hätte, dann hätten unter den Toten auch ein paar Schüler
von Hogwarts sein können. Doch auch die Tatsache, dass sie sicher
viele der Personen, die durch die Explosion ums Leben gekommen waren, zumindest
vom Sehen her kannte, bestürzte sie zutiefst. Die bisherigen Übergriffe
der Todesser waren ebenfalls grauenhaft gewesen, doch sie hatten so weit
weg stattgefunden, da waren ihr die Folgen nicht derartig bewusst geworden
wie jetzt. Der Anschlag auf die „Drei Besen" machte ihr mehr als deutlich,
dass man sich nicht in friedlichen Zeiten, sondern im Krieg befand. So
etwas drohte man immer wieder hier auf Hogwarts, fernab von allem Übel,
wo die Zeit fast stillzustehen schien, zu vergessen.
Laudry blickte hinüber zu Snape, der lustlos in seinem Müsli
herumstocherte. Der Lehrer für Zaubertrankkunde hatte dunkle Ringe
unter den Augen und sein glasiger Blick schien ins Leere zu gleiten. Er
sah aus, als hätte er die ganze Nacht kein Auge zugetan und Elaine
überlegte, ob sie ihn darauf ansprechen sollte, entschied sich jedoch
dagegen. Es sah im Moment so aus, als wenn ihm nicht nach reden zumute
war. Abgesehen davon war das nicht nur im Moment der Fall, sondern eigentlich
immer.
Während sie an einer Tasse Schokochino nippte, fragte sie sich,
wo sich Snape gestern Abend herumgetrieben hatte. Für einen kurzen
Moment kam ihr der Gedanke, dass er vielleicht dort gewesen war, in Hogsmeade...
Aber Snape ein Todesser... Das konnte nicht sein. Dumbledore hatte vollstes
Vertrauen in den Lehrer für Zaubertrankkunde und er kannte Snape bei
weitem länger als sie.
Nachdem sich die ersten Schüler und Lehrer von ihren Plätzen
erhoben hatten, um sich zum Unterricht zu begeben, machte sich Elaine Gedanken
über ihre heutigen Aufgaben. Wie sollten sie in die Winkelgasse kommen?
Normalerweise benutzen sie immer den Kamin in den „Drei Besen", doch das
stellte nun keine Option mehr dar. Snape und sie mussten sich wohl in Hogsmeade
einen anderen Kamin suchen. Es war sicherlich schon einer als „öffentliches
Verkehrsmittel" eingerichtet worden. Ansonsten blieb noch die Möglichkeit,
zu Fuß in den Verbotenen Wald zu gehen und in dessen Dickicht weit
ab von Hogwarts, wo das magische Feld keinen Einfluss mehr hatte, zu apparieren.
Gemeinsam verließ Laudry mit Snape das Schloss, um es zuerst über
einen Kamin in Hogsmeade zu versuchen.
Fortsetzung folgt...
A/N: Ach ja, diejenigen, die das glauben, was wohl offensichtlich
scheint, glauben das Falsche! *g*
