- KAPITEL SECHS -

Der Weihnachtsball


Die Tage bis zu den Ferien vergingen schleppend. Severus war ihr nicht mehr näher gekommen. Nur einmal hatte er ihre Hand kurz berührt, als sie ihm im Labor half. Nala wusste, dass sie sich mächtig in ihn verliebt hatte, aber sie wurde aus seinem Verhalten nicht schlau. Deshalb, versuchte sie sich abzulenken und nicht zu viel darüber nachzudenken. Sie würde ja sehen, was kommt, redete sie sich immer ein. Sie respektierte einfach seinen unausgesprochenen Wunsch der Distanz.

Severus zerbrach sich auch den Kopf. In einem schwachen Moment hatte er Dumbledore angedeutet, dass er etwas für sie empfand. Aber seit da hatte er immer wieder dagegen angekämpft. Er spürte, dass sie ihn mochte, aber er wusste nicht, ob das alles richtig war. Einmal hatte er sogar geträumt, dass er sie küsste. Was hatte das zu bedeuten? Konnte, wollte, durfte er denn das?

Am Morgen des Balls fühlte sich Nala frisch und aufgestellt. Sie freute sich auf den Ball und natürlich besonders auf Severus. Den ganzen Tag war sie kribbelig. Sie musste sich beherrschen, um nicht die ganze Zeit zu singen. Auch die Schüler freuten sich darauf. Sie hörte die Mädchen darüber reden, was sie anziehen werden. Da fiel es ihr wieder ein. Was sollte sie anziehen? Vor lauter Aufregung hatte sie sich das gar noch nicht überlegt.
Doch am Abend, als sie sich zurecht machen wollte, wusste sie plötzlich welches Kleid sie wollte. Es war das blaue Abendkleid, das aussah, wie das einer Prinzessin. Es war nicht voller kitschiger Rüschen, aber der Rock war auch nicht nur ein Stofffetzen, der um die Beine gewickelt war. Er ging vorne nicht ganz bis zu den Knöcheln, aber hinten ging er auf den Boden, wie eine kleine Schleppe. Das Oberteil des Kleides ging natürlich bis über die Brust, doch hinten war ein schönes Stück Rücken frei. Da waren nur noch zwei feine Träger, damit das Ganze nicht hinunter rutschte. Der Stoff war aber das aller Schönste. Er war so leicht und im Licht glitzerte das helle Blau in allen Farben. So ein Kleid würde es in der Muggelwelt nicht geben. Als sie das Kleid anzog, fühlte sie sich stolz, es tragen zu dürfen. Sie schminkte sich noch und steckte ihre Haare etwas hoch. Dazu trug sie ein kleines Diadem, dass sie von ihrer Grossmutter geerbt hatte und an den Füssen hatte sie feine Sandaletten mit, nicht all zu hohen, dünnen Absätzen.

In der grossen Halle wurde zuerst ein riesiges Festessen veranstaltet. Als sie sich an den Tisch setzte wurde sie von den Lehrern freundlich begrüsst. Hagrid machte grosse Augen und sagte: "Nala, du siehst hinreissend aus!"
Sie bekam etwas rote Wangen und bedankte sich bei Hagrid für das Kompliment. Ob ihr Severus auch so ein schönes Kompliment machen würde? Sie hatte sich falsche Hoffnungen gemacht. Severus sagte nichts zu ihrem Aussehen. Er sprach auch sonst sehr wenig. Er wirkte auf sie irgendwie nervös.
Als alle das Essen beendet hatten, erhoben sich alle und Dumbledore zauberte die Tische der Schüler aufeinander in eine Ecke und ihre Stühle wurden den Wänden entlang verteilt. So entstand in der Mitte eine mächtige Tanzfläche. An eine Wand zauberte er eine Bühne mit einem Schlagzeug, Gitarren und weiteren Instrumenten. Auch Mikrofone und Lautsprecher waren da. Die Band ging auf die Bühne und richtete sich ein.
"Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten und denen die morgen nach Hause gehen, wünsche ich eine gute Heimreise. Es ist euch nun freigestellt, hier zu sein oder in euren Gemeinschaftsräumen. Geniesst das Fest sage ich nur noch." Nachdem Dumbledore sich wieder setzte wünschten alle Schüler wild durcheinander schöne Weihnachten und ein paar Gruppen von Schülern verliessen die Halle. Als die Musik zu spielen begann, trauten sich ein paar Sechstklässler zuerst auf die Tanzfläche, doch bald folgten auch alle anderen, die tanzen wollten. Von da an war es ein richtiger Ball so wie ihn Nala kannte. Es wurde getanzt und es war ein Kommen und Gehen. Sie schaute sich nach Severus um, doch er war verschwunden. Sie dachte sich, er komme schon wieder. Später tanzte sie etwas mit Professor Lupin und dieser wurde dann von Albus abgelöst.
"Weißt du, wo Severus ist?" fragte sie ihn.
"Ich glaube, er ist draussen vor der Schlosstür", antwortete Dumbledore.
"Was macht er denn dort draussen? Ich würde gerne einmal mit ihm tanzen!"
"Ich weiss es nicht, doch wie ich meinen Zaubertränkemeister kenne, sind ihm wahrscheinlich zu viele Leute hier." Er schien sich daran sehr zu amüsieren.

Etwas später tanzte Nala wieder mit Remus und er merkte, dass sie nicht ganz glücklich war. Er hatte auch keine Tomaten auf den Augen, er wusste, dass Nala schrecklich gerne mit Snape tanzen würde. Sie hatte ihm von ihrem mitternächtlichen Treffen erzählt und er stellte fest, dass sie mächtig für den Zaubertränkemeister schwärmte.
"Enttäuscht?" fragte er Nala vorsichtig.
"Ein wenig", gab sie mit leicht rosa Wangen zu und sie wirkte traurig.
"Wo ist er denn?"
"Albus meint, er sei draussen vor dem Schloss."
"Lass mich nur machen."
Bevor Nala ihn daran hindern konnte, war Remus auch schon auf dem Weg zur Tür. Nala tanzte weiter und zwar mit dem Fast Kopflosen Nick. Es war seltsam, mit einem Geist zu tanzen. Sie spürte nichts ausser seiner Kälte. Sie sehnte sich nach Severus. Er würde nicht mehr so kalt sein, hoffentlich.

In der Zwischenzeit hatte Remus Snape gefunden. Er sass auf der Steintreppe vor dem Eingang. Draussen lag Schnee und es war kalt.
"Was machst du hier draussen ganz allein, während alle anderen feiern? Ich glaube, da wartet eine wundervolle junge Frau auf dich, die gerne mit dir tanzen würde. Was ist los mit dir?" fragte er ihn fast etwas besorgt.
Severus überlegte sich zuerst gut, ob er es Remus wirklich sagen wollte. Aber Remus war jetzt sein Freund, der ihm schon ein paar Mal geholfen hatte und ihn respektierte. Schliesslich entschloss er sich doch dazu: "Sie möchte doch gar nicht wirklich mit mir tanzen. Schau sie dir doch an! Sie ist die schönste Frau im Saal, sie kann mit jedem tanzen. Jeder schaut sie an. Ich mag es nicht, unter so vielen Leuten zu sein und schon gar nicht, wenn es meine Schüler sind, die mich tanzen sehen. Dann auch noch mit ihr! Ich habe sie gar nicht verdient!"
"Aber Severus, du kriegst doch jetzt nicht kalte Füsse! Stell dich nicht so an. Jeder tanzt. Warum solltest du das nicht tun? Sie möchte es doch so gerne."
"Na schön. Aber geh jetzt wieder hinein. Ich werde gleich nachkommen", sagte Severus.
Als Remus wieder in der Grossen Halle war, nickte er Nala aufmunternd zu. Sie verstand nicht ganz, was das zu bedeuten hatte. Entweder würde er gleich kommen oder Remus wollte sie aufmuntern, weil er nicht kommen würde. Er machte keine Anstalten, zu ihr hinüber zu kommen, sondern forderte Minerva zum Tanz auf. Nala liess den Kopf etwas hängen und tanzte weiter mit Nick.
Plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter und eine bekannte, tiefe Stimme fragte: "Gestatten Sie?"
Freudig drehte sie sich um und als sie in seine schwarzen Augen blickte, meinte sie: "Aber natürlich, gnädiger Herr!"
Sie tanzten in der Mitte der Tanzfläche. Es waren tatsächlich viele Blicke auf sie gerichtet. Jeder konnte merken, dass sie mit ihm ganz anders tanzte, als sie gerade eben noch mit Nick, Lupin oder Dumbledore tanzte. Es lag auch daran, dass Severus ein ausgezeichneter Tänzer war. Es kam ihr alles so federleicht vor.
"Wo bist du gewesen?" wollte sie wissen.
Er gab ihr darauf keine Antwort. Er beugte sich weiter zu ihr nach vorn und flüsterte ihr ins Ohr: "Du siehst wunderschön aus!"
Sie lächelte ihn an und sie tanzten weiter, bis die Band ihr Kuschellied zu Ende gespielt hatte. Alle gaben der Band Applaus, aber Nala hatte das Gefühl, dass ein ganz klein wenig vom Applaus ihnen beiden gebührte. Auch sie applaudierte zur Band und als sie sich zu Severus umdrehen wollte, war er wieder verschwunden. Doch diesmal würde sie ihn nicht einfach wieder verschwinden lassen. Sie ging hinaus und suchte nach ihm vor der Eingangstür des Schlosses. Dort stand er auch, an die Schlossmauer gelehnt.
"Weshalb verschwindest du einfach wieder? Wenn ich etwas falsch gemacht habe, dann sag es mir bitte!" fuhr sie ihn aufgebracht an. Sie stellte sich nahe vor ihm auf.
"Du hast nichts falsch gemacht. Das verstehst du nicht", sagte er leise, aber Nala verstand genau, was er sagte.
"Was würde ich nicht verstehen? Sag es mir! Ich kann wenigstens versuchen es zu verstehen!" sagte sie und hatte grosse Mühe ihre Verwirrung und den anschwellenden Zorn zu verbergen.
"Es haben uns alle angestarrt", sagte er noch leiser.
Sie strich ihm kurz mit der Hand über seine Wange, einerseits aus Mitleid andererseits um ihm ein wenig spüren zu lassen, was er verpasste.
"Verstehe ich das richtig? Du schämst dich also, mit mir zu tanzen!?! Ja, dann hat es keinen Zweck mehr, hier draussen in der Kälte zu stehen. Ich gehe. Tschüss!"

Ein bisschen wütend drehte sie sich um und wollte gehen, doch schon nach ein paar Schritten packte er ihre Hand und zog so daran, dass sie wieder zu ihm herumwirbelte. Sie landete direkt an ihm, so dass sich ihre Körper berührten. Er hielt sie an den Schultern fest. Alle seine Bedenken hatte er mit einem Mal über Bord geworfen. Er wollte ihre Nähe, ihre Berührungen. Er wollte sie. Sie wurde halb unter seinen Umhang eingewickelt. Er schaute ihr tief in die Augen und hob mit der einen Hand ihr Kinn etwas an. Dann küsste er sie sanft auf den Mund. Es war wundervoll, doch Nala zögerte und löste sich von seinen Lippen. Sie schaute ihn liebevoll an. Sein Gesicht, seine Lippen. Und in seinen Augen sah sie, dass er sie genauso liebevoll anblickte. Sie legte eine Hand in seinen Nacken, die andere auf seine Wange und erwiderte seinen Kuss. Das war das, worauf sie beide schon so lange gewartet hatten. Es begann zu schneien, wie im Märchen. Sie küssten sich lange, bis es ihnen zu kalt wurde draussen.

"Komm, lass uns zu mir ins Wohnzimmer sitzen. Dort ist es wärmer", schlug sie vor.
Als Antwort bekam sie einen Kuss auf die Stirn. Hand in Hand gingen die beiden die Treppen hinauf zu ihrer Wohnung.