- KAPITEL VIERZEHN -

Lebe!


Nala war Severus bisher erfolgreich aus dem Weg gegangen. Am Morgen war sie extra früh aufgestanden, damit sie ihn beim Frühstück nicht antreffen würde. Doch Severus war auch ein Frühaufsteher, er hatte ohnehin nicht geschlafen in dieser Nacht. Sie sah ihn am Tisch sitzen, aber sie ging mutig zu ihrem Platz. Während sie hastig zwei Brötchen mit Marmelade bestrich, würdigte sie ihn keines Blickes. Dann schnappte sie sich noch einen Apfel und ging mit ihrem Frühstück hinunter in den Stall. Orions Gesellschaft war ihr im Moment lieber als die von Severus. Er würde bestimmt nicht mit ihr sprechen. Zudem würde es seltsam aussehen, wenn sie praktisch alleine nebeneinander in der Grossen Halle sassen und sich anschwiegen. Sie hasste dieses Schweigen, aber sie war nicht gewillt nachzugeben. Bei einem Menschen wie Poppy oder Remus hätte sie gewusst, dass er früher oder später versuchen würde mit ihr zu reden, aber Severus konnte ebenso trotzig sein wie sie und das machte ihr Sorgen. Bei ihr war es eine Frage des Stolzes, dass sie auf ihn wartete. Wenn es bei ihm die selbe Frage war, konnte sie sicher sein, dass er nie eine Entschuldigung oder wenigstens eine Erklärung bei ihr abliefern würde. Ausserdem hatte er es ja gesagt: Er wollte sie nicht mehr sehen.

Orion freute sich zumindest über ihre Gesellschaft und nahm den Apfel dankend an. Er war aufgeweckt, wie immer, wenn draussen Schnee lag. Also entschloss sich Nala noch einen kurzen Ausritt mit ihm zu machen, bevor sie hinauf gehen würde um Poppy zu helfen. Mit Orion durch den Schnee zu galoppieren war für sie das Grösste. Sie fühlte sich befreiter, als sie mit Elan an die Arbeit ging. Sie stürzte sich geradezu in die Arbeit, denn sie lenkte ihre Gedanken von Severus ab.
Leider verging der ruhige Morgen viel zu schnell und sie sah der Tatsache ins Auge, dass sie nun hinunter in sein Labor müsste. Doch beeilen wollte sie sich auf keinen Fall, er sollte auch ein wenig auf sie warten müssen. Eine Viertelstunde später als üblich betrat sie das Labor ohne anzuklopfen. In der dunkelsten Ecke sitzend sah sie ihn und seine Augen funkelten gefährlich.

"Du kommst zu spät", grollte er kalt.
"Er kann sich doch denken, weshalb ich nicht gerade willig bin hier zu sein", dachte sie. Sein blöder Kommentar brachte sie schon wieder fast zur Weissglut.
"Schade, dass du mir keine Punkte abziehen kannst, hmm?" sagte sie schnippisch.
Severus ging nicht auf sie ein. Er erklärte ihr knapp, was zu tun war und sprach dann kein Wort mehr mit ihr. Erst als sie fertig waren, stellte er sich hinter ihr auf, worauf Nala sofort ein paar Schritte zur Seite ging, weil er ihr zu nah war.
"Severus, ich...", begann sie.
"Ich denke, wir lassen den Unterricht heute Nachmittag ausfallen. Du schreibst mir anstelle einen Aufsatz über Traumtränke", sagte er mit belegter Stimme.
Nala konnte nicht antworten, denn sie versuchte krampfhaft die Tränen zu unterdrücken. Im ersten Moment war sie erleichtert gewesen, dass ihr zwei weitere solche Stunden erspart blieben, aber dann wurde ihr bewusst, wenn er ihr keinen Unterricht geben würde, würde er auch nicht mit ihr über das Vorgefallene sprechen. Sie lief davon und stoppte erst wieder, als sie vor der Grossen Halle stand. Sie wischte sich die Tränen ab, atmete tief durch und machte sich dann auf an ihren Platz. Auch Poppy merkte jetzt, dass etwas nicht stimmen konnte, denn Nala war wortkarg und ihr Blick immer traurig gesenkt.
"Was ist denn los mit dir? Stimmt etwas nicht?" fragte sie besorgt.
"Lass nur, Poppy. Ich kann jetzt nicht darüber sprechen."
Poppy akzeptierte diese Antwort und liess Nala in Frieden.
Bald kam auch Severus an den Tisch. Ohne ein Wort setzte er sich neben sie. Genau wie vorhin, herrschte zwischen den beiden beklemmendes Schweigen. Severus beobachtete, wie sie lustlos in ihrem Essen stocherte und er konnte ihr ansehen, dass sie geweint hatte. In seinem Herzen spürte er einen Stich. "Warum gerade sie?" dachte er.

Nachdem Essen verschwand Severus schnell wieder, um seine letzten Stunden des Tages vorzubereiten. Als diese endlich vorüber waren, wollte er eine Weile schlafen. Bevor er sich ins Bett legte, betrachtete er traurig die Estrella-Kerze, deren Flamme wild flackerte, aber er wollte sie nicht auslöschen.


Nala tat etwas anderes. Sie wollte Severus aufsuchen und ging zu seinem Büro. Sie wusste selbst nicht wieso, aber plötzlich hatte sie den Drang ihm die Meinung zu sagen. Als niemand auf ihr Klopfen antwortete, ging sie hinein und bekam einen ziemlichen Schock. Severus war nicht anwesend, aber es war sehr offensichtlich, dass er hier gewesen war. Alle Regale in seinem Büro waren leer gefegt und die Gläser und Flaschen lagen alle zertrümmert auf dem Boden. An den Wänden waren überall Flecken, er musste wohl einige Phiolen an die Wand geschleudert haben. Nala dachte, dass er wirklich wütend auf sie sein musste, wenn er in seiner Rage sogar seine Zaubertränke und Zutaten zerschmetterte. Ihr Mut mit ihm zu sprechen verflog. Er war ganz klar zu wütend auf sie. Sie ging in ihre Wohnung und verkroch sich dort.


Als Remus sah, dass beide nicht zum Abendessen erschienen waren, hoffte er, sie hätten sich versöhnt und würden es zusammen geniessen. Doch diese Vorstellung wurde am nächsten Tag schnell zerschlagen. Nalas Augen waren verquollen und dunkel umrandet. Sie sprach kaum und ihr Blick war leer. Zum Essen war sie den ganzen Tag nicht aufgetaucht. Severus' Augen waren auch mit tiefen, schwarzen Augenringen geschmückt, aber abgesehen davon, hatte er seine verbitterte, kalte Fassade aufgesetzt. Im Gegensatz zu Nala konnte man ihm nicht ansehen, wie er sich fühlte. Der alte Severus war wieder da. Die Schüler würden keinen Unterschied merken, aber Remus sah ihn.
Auch nach noch zwei weiteren Tagen war Nala nicht ein einziges Mal zum Essen gekommen. Nun, entschied sich Dumbledore mit Nala eine Wörtchen unter vier Augen zu reden. Als der Nachmittagsunterricht begann, klopfte er an ihre Tür. Immer noch in der Hoffnung, es sei Severus, öffnete sie die Tür.
"Hallo, Nala. Lässt du mich rein? Ich glaube, wir müssen uns einmal unterhalten."
"Bitte, setz dich doch", sagte Nala mit hängendem Kopf.
Sie stellte ihm eine Tasse Tee hin und setzte sich in den Sessel neben ihn.
"Willst du dich eigentlich zu Tode hungern?" begann er.
"Mir ist einfach nicht nach essen."
"Genau wie Severus. Er kommt zwar zum Essen, aber er rührt es kaum an. Hör zu, Nala, ich wollte mich da nicht einmischen, aber ich kann nicht zusehen, wie es dir von Tag zu Tag schlechter geht."
Nala liefen schon wieder die Tränen hinunter. Langsam zog sie ihre Beine fest an sich und umklammerte sie.
"Du weißt Bescheid?"
"Ja, ich weiss es", stimmte er zu.
"Wenigstens habe ich etwas dazu gelernt. Nächstes Mal komme ich gleich zu dir, denn du weißt ohnehin schon immer alles. Wie konnte ich glauben, dass es dieses Mal anders sein würde?"
"Das will ich hoffen, dass du das nächste Mal gleich zu mir kommst."
"Wie lange weißt du es schon?" wollte Nala wissen.
"So lange wie du." Dumbledores Ohrenspitzen färbten sich rosa. "Ich bin im Krankenflügel vorbei gegangen und Poppy schickte mich hinunter um zu sehen, was da solange dauerte. Als ich an die Tür klopfen wollte, hörte ich, wie Severus sagte, dass es dich nichts angehen würde. Da wollte ich euch beide nicht stören, aber weghören konnte ich auch nicht. Verzeih mir. Von da an habe ich alles mitbekommen."
"Wieso habe ich dich nicht gesehen, als ich davon rannte?"
"Nun ich hielt es damals für besser, dass du mich nicht ertapptest", gab er zu. "Sei mir bitte nicht böse, dass ich gelauscht habe."
"Nein, das ist jetzt auch egal. Wenn ich dich gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich auch nicht widerstehen können."
Albus' Miene wurde wieder ernst. "Ich hoffe, du verstehst, dass es so nicht weitergehen kann. Ihr beide müsst euch irgendwie zusammenraufen. Zumindest so, dass ihr ohne Kummer nebeneinander leben könnt. Sonst zerfrisst es dich."
"Das ist nicht so einfach. Bitte mach' Severus keine Vorwürfe, es würde alles nur noch schlimmer machen. Du musst mich das alleine machen lassen", bat Nala.
"Du liebst ihn sehr, nicht wahr?"
Noch mehr Tränen kullerten über ihr Gesicht und sie nickte.
"Ja natürlich, ich werde nichts unternehmen. Aber ich bitte dich, komm wieder zu den Mahlzeiten. Das musst du mir versprechen. Sonst hast du bald noch ein Problem mehr."
Nala atmete tief durch. "Gut. Ich verspreche es dir."
"Danke." Dumbledore stand auf und Nala begleitete ihn zur Tür.
"Ich glaube, du bleibst besser hier. Du brauchst nicht in den Unterricht zu gehen heute nachmittag. Bei wem hättest du heute? Bei Remus?"
"Ja. Ach, Albus, du darfst mir auch nicht böse sein, aber Remus weiss schon, was zwischen mir und Severus vorgefallen ist", seufzte sie.
"Nein. Das ist in Ordnung. Schön zu sehen, dass du schon Freunde gefunden hast, denen du dich anvertrauen kannst. Mit Poppy scheinst du auch gut auszukommen." Er lächelte sie an.
"Ja das stimmt. Darf ich dich um einen Gefallen bitten? Kannst du Poppy noch aufklären? Sie hat mich schon vor ein paar Tagen gefragt, was los ist. Ich mag diese Geschichte nicht noch einmal erzählen, verstehst du?"
"Klar, das kann ich machen. Also, ich werde dann mal gehen. Ruh dich aus. Und Kopf hoch! Es kommen wieder schöner Zeiten, das kannst du mir glauben."
"Danke. Es ist schön zu wissen, dass ich auch hier gute Freunde habe, die sich um mich kümmern. Vielen Dank für alles." Ein flüchtiges Lächeln berührte ihre Lippen. Dumbledore lächelte zurück und schloss dann die Tür hinter sich.
Seufzend legte sich Nala aufs Sofa. Merlin kam herbei, um ihr Gesellschaft zu leisten. Auch der kleine Kater merkte, dass es seinem Frauchen nicht gut ging und war besonders lieb zu ihr. Er leckte ihre Hand und ihre Wange, rieb seinen Kopf liebevoll an ihr und schnurrte leise vor sich hin. Sein Schnurren hatte schon immer eine beruhigende Wirkung auf sie und so döste sie bald zusammen vor dem Kamin.
Es war vier Uhr nachmittags, als es wieder klopfte. Dieses Mal war es Poppy Pomfrey. Sie wusste nun auch, was los war und versuchte Nala etwas aufzumuntern. Schliesslich brachte sie ihr wieder eine kleine Phiole mit dem Schlaftrank, damit sie in der Nacht wenigstens schlafen konnte, denn sie musste wieder Kraft sammeln. "Du siehst gar nicht gut aus, Kind", hatte Poppy gemeint.
Kaum war sie gegangen kam auch noch Remus, um sie zu besuchen. Er brachte ihr ein paar Blumen, die sie aufheitern sollen und Nala freute sich wirklich darüber. Sie tat ihm sehr leid. Als er wieder gehen wollte, stand sie bei der Tür zitternd und entkräftet vor ihm und weinte wieder leise. Er umarmte sie und sagte: "Komm, lass es raus."
Sie schluchzte lange in seine Robe, worin sie ihren Kopf vergraben hatte. Als sie sich wieder beruhigt hatte, versprach er ihr, dass es ihr bestimmt bald wieder besser gehen würde. Nachdem er gegangen war, zog sich Nala wärmer an, damit sie mit Orion noch etwas auf dem Dressurplatz arbeiten konnte.


Remus traf Nala, als sie unterwegs zu ihrem Orion war, und war einmal mehr schockiert über ihr Aussehen. Er hatte sie schon ein paar mal besucht und jedes Mal sah schlimmer aus. Ihre Augen schienen jetzt gross und rot und ihr Gesicht wirkte eingefallen. Ihr sonst so strahlendes Lächeln fehlte immer noch und ihre Augen waren zwar nicht mehr trüb, dafür glänzten sie fast fiebrig. Es kam ihm vor, als müsste sie sich zu jedem Schritt mühsam zwingen. Jetzt war es genug, er konnte das nicht mehr länger mit ansehen. So bald wie möglich musste er mit Severus sprechen und ihm einmal ins Gewissen reden.

Die Gelegenheit bot sich schon zwanzig Minuten später. Einsam blickte Severus zum Fenster eines Flurs hinaus. Als Remus ihn erspähte, ahnte er gleich, was er dort draussen beobachtete. Langsam näherte er sich ihm und sprach ihn von hinten an.
"Es würde sie mit Sicherheit freuen, wenn sie wüsste, dass du ihr immer noch beim Reiten zusiehst."
Mit einer geschmeidigen Bewegung drehte sich Severus zu ihm um. Remus hatte ihn nicht überrascht. Seine Präsenz hatte er schon lang gespürt. Zum ersten Mal sah Remus so etwas wie Trauer in seinen Augen.
"Du musst es ja wissen", brummte Severus zurück.
"Komm, sei nicht so. Ich möchte mit dir reden. Kommst du mit zu mir?"

Wortlos folgte Severus ihm zu seiner Wohnung. Remus bot ihm einen Sessel und ein Glas Wein an, was Severus beides still annahm. Auch Remus setzte sich und fing an.
"Nala hat mir ihre Version der Geschichte erzählt. Jetzt würde ich gerne deine hören. Warum bist du wütend auf sie? Sie hat sich doch entschuldigt."
"Es liegt nicht an ihr. Nicht direkt. Ich bin auch nicht mehr wütend auf sie", sagte er leise.
"Das habe ich mir gedacht. Was ist denn los mit dir? Warum weist du sie auf einmal ab?"
"Na schön, ich werde es dir erzählen. Ich bin nicht fähig meine Beziehung zu ihr vor den Schülern zu zeigen, deshalb bin ich so ausgerastet, als sie mir einen Kuss geben wollte."
"Da ist doch noch mehr, das kann nicht schon alles gewesen sein", erkannte Remus richtig.
"Ja, du hast recht. Es steckt noch mehr dahinter. Schau, du weißt, was für ein Mensch ich bin. Du hast meine dunkle Seite schon immer gekannt. So war ich und es ist auch jetzt noch ein grosser Teil von mir. Nala sieht sie nicht. Sie sieht immer nur das Gute, was schön wäre, aber irgendwann wird sie aufwachen und feststellen, dass sie neben einem Monster liegt. Und das bin ich. Ein Monster. Sie möchte doch gar nicht mit jemandem wie mir zusammen sein. Ich habe auch Angst, dass die dunkle Seite in mir wieder ausbrechen könnte. Sie würde als Erste davon Leid tragen, da bin ich mir sicher, denn sie ist es, die mich ausser Kontrolle bringen kann. Es ist besser so für sie." Severus verstummte und vergrub seinen Kopf in den Händen.
"Jetzt hör mir mal zu. Nala würde dein Problem mit den Schülern verstehen. Sie ist zwar nicht gerade der Typ, der gerne seine Gefühle versteckt, aber sie liebt dich und ihr würdet bestimmt einen Weg finden, womit ihr beide leben könntet. Weiter bist du im Unrecht, wenn du denkst, sie sehe immer nur das Gute. Sie sieht das Böse sehr wohl. Nur lässt sie sich in der Regel davon nicht auffressen und betont lieber die schöne Seite im Leben. Sie ist ein Sonnenkind. Aber glaub mir, sie weiss sehr wohl, wann sie die schlechten Seiten, wie ernst nehmen muss. Übrigens hast du uns Lehrern in den letzten paar Wochen gezeigt, dass du keineswegs ein Monster bist. Die bist ein Mensch, der lieben kann, auch wenn er eine etwas sehr raue Schale besitzt." Remus musste schmunzeln. Dann fuhr er fort:
"Und wenn du Nala deine Befürchtungen von deiner dunklen Seite erklärst, wird sie dich bestimmt verstehen. Sie sollte es erfahren, wenn du mit ihr zusammen sein willst. Danach liegt es an ihr zu entscheiden, ob sie mit diesem "Risiko" leben kann. Glaub mir, sie ist alt genug, so etwas zu entscheiden und die Konsequenzen ihrer Entscheidung tragen zu können. Und so, wie es jetzt ist, ist es auf keinen Fall besser für sie. Sie ist sehr sensibel und sie weiss nicht einmal, woran sie ist bei dir. Sie beginnt sich einzureden, sie hätte etwas falsch gemacht. Langsam verkümmert sie vor Schmerz. Seit Tagen hat sie weder gegessen, noch gesund geschlafen. Es wird Zeit, dass du endlich mit ihr sprichst."
"Ich weiss", sagte Severus betroffen. "Ich weiss nicht, weshalb ich das vorher nicht so sehen konnte und ich hoffe, du hast recht mit dem, was du sagst. Ich werde es wohl nur herausfinden, wenn ich mit ihr spreche. Es war mir schon immer klar, dass ich mich mit ihr aussprechen muss, aber das ist nicht einfach. Als ich sie so plötzlich weggestossen habe, habe ich sie gewiss sehr verletzt. Ich schäme mich dafür, auch weil ich ihr Vertrauen so zerstört habe. Sie wird mir nicht verzeihen. Es wird nie mehr so sein wie früher, sie wird Angst haben vor mir. Sie sieht mich nicht und ich bin ihrer nicht Wert."
"Du kannst nicht besser sagen, was kommen wird als Sibyll Trelawney", lachte Remus. "Vielleicht kommt alles anders, als du denkst. Ich könnte mir das gut vorstellen. Aber gib doch nicht so schnell auf, das tust du doch sonst auch nicht! Wenn du sie liebst, lohnt es sich um ihre Vergebung und ihr Vertrauen zu kämpfen! Das ist nie einfach und es soll auch nicht einfach sein. Also, kämpfe!"
Severus nickte und starrte nachdenklich auf den Boden.
"Remus, wenn du uns zusammen siehst, kommt dir dann der Gedanke von der Schönen und dem Biest?"
"Wie meinst du das? Woher hast du denn das?"
"Ich habe das zufällig bei zwei Schülerinnen aufgeschnappt. Ich meine, da ist schon etwas wahres dran. Wir sind in vielen Dingen sehr gegensätzlich. Ich werde von den Schülern gefürchtet, sie wird von ihnen geliebt, von gewissen Jungen sogar fast vergöttert. Du nennst sie ein Sonnenkind und ich bin immer vom Dunkeln umgeben. Sie ist jung, ich bin alt..."
"Liebst du sie?" fragte Remus ernst.
"Ja, ich denke schon", murmelte Severus.
"Siehst du, und das ist das Einzige, was zählt. Es kommt doch nicht darauf an, was die anderen in dir sehen, sondern nur, was Nala in dir sieht. Und man kann nicht immer vom Dunkeln umgeben sein, auch wenn man es mag. Genauso wenig kann man immer in der Sonne stehen. Lass doch Nala deine Sonne sein. Was ist daran nicht in Ordnung? Mit dem Alter musst du mir nicht kommen, mein Lieber. So viele Jahre sind das nun auch wieder nicht. Gerade einmal dreizehn Jahre. Bei uns Zauberern ist das noch lange nichts unübliches. Ihr seid beide erwachsen, ihr werdet wohl wissen, was ihr tut."
"Ich sehe, was du meinst. Gegensätzliches kann sich anziehen und optimal ergänzen und Gleiches kann miteinander geteilt werden. Ist es das?"
"Ja genau. Aber das hätte ich dir doch nicht erklären müssen. Im Grunde hättest du das alles selbst gewusst. Was hat dich dazu gebracht, es zu vergessen?"
"Alle und alles. Nala brachte mich um den Verstand, im positiven Sinn natürlich, das Getratsche der Schüler verunsicherte mich zum ersten Mal in meinem Leben und dann raubte ich mir selbst den letzten Nerv mit meinem Zorn auf mich selbst." Severus schmunzelte, als er jetzt darüber nachdachte.
"Mein Junge, du bist wirklich verliebt!" lachte Remus. "Also was wirst du jetzt unternehmen?"
"Wie gesagt, ich werde mit Nala sprechen, ihr alles erklären und hoffen, dass sie mir vergibt. Aber zuerst werde ich noch eine Nacht darüber schlafen."
"Das klingt vernünftig. Ich wünsche dir viel Glück. Und noch etwas: Ergreife doch das Leben, wenn es dich ruft! Mein Gott, Severus, mach dir nicht so viele Gedanken! Lebe!"
Severus stand auf und wollte gehen, doch drehte sich noch einmal zu Remus um und sagte:
"Vielen Dank für alles! Du hast mir den Kopf gewaschen. Ich erkenne wieder, dass ich schon mehr als genug Gelegenheiten hatte um zu sehen, dass du mir jetzt ein guter Freund bist. Immerhin haben wir Seite an Seite gegen Voldemort gekämpft. Doch heute erscheint es mir klarer denn je. Gut, dass wir unsere Streitereien aus unserer Jugend endlich abgelegt haben."
"Das finde ich auch. Ich hoffe ich konnte dir und Nala helfen. Wir sehen uns beim Essen, Severus."
"Ja, bis dann."

*

Die Arbeit mit Orion hatte Nala gut getan. Im Schnee war es einfach traumhaft. Es half ihr die Dinge klarer zu sehen. Seit bald einer Woche hatte sich nun Severus nicht gemeldet. Es war nun Zeit, die Sache zu akzeptieren, wie sie war. Sie hatten Streit und sie konnte nicht mit ihm darüber sprechen, auch wenn Dumbledore und Remus es für notwendig hielten. Severus war offensichtlich auch nicht gewillt, noch ein weiteres Wort darüber zu verlieren. Für Nala war die Sache klar. Er wollte sie nicht mehr sehen, was auch immer der Grund dafür war. Also war es aus. Dass sie aber keine Erklärung bekam, schmerzte sie immer noch. Doch nun musste sie nach vorne schauen und versuchen so gut wie möglich an ihm vorbei zu leben. Es wäre für sie einfacher gewesen, wenn sie ihn hätte hassen können, aber sie liebte ihn trotz allem. Ob er sie noch liebte, wusste sie nicht. Nach aussen zeigte er nichts. In seinen Augen hätte sie es wahrscheinlich erkennen können, aber in diese hatte sie schon so lange nicht mehr sehen dürfen. Ihr Verstand zweifelte daran, dass er sie noch liebte, denn sonst würde er sie bestimmt nicht so leiden lassen und ihr Herz sagte ihr im Moment gar nichts. Es war gerade zu beschäftigt damit, sich aus den vielen kleinen Bruchstücken, in die es zersprungen war, wieder zusammen zu setzen.

*

Vor der Tür zur Grossen Halle stand sie lange, während sie tief durchatmete. Sie wusste, dass alle schon drin waren. Wenn sie hineinging, würden sie alle anstarren. Aber sie musste es tun, denn sie hatte es Albus versprochen. Tatsächlich waren viele Augen auf sie gerichtet, als sie durch die Grosse Halle zu ihrem Platz schritt. Mühsam versuchte sie ihren Kopf hochzuhalten, weil sie wollte etwas Würde zeigen. Sie durfte nicht mit hängendem Kopf dort herumgehen. So war sie schon lange genug durch die Gänge des Schlosses geschlichen. Kühn setzte sie sich neben Severus, doch sie wollte ihn nicht ansehen. Ihr Gesicht wandte sie zu Poppy.
"Nala! Schön, dass du doch noch gekommen bist. Albus wird sich auch freuen", lächelte Poppy sie an.
"Ich hatte es ihm versprochen", sagte Nala nur.

Allen guten Vorsätzen zum Trotz, konnte sie sich am Anfang kaum rühren auf ihrem Stuhl. Nur beschwerlich gelang es ihr mit Poppy ein bisschen zu sprechen. Doch dann ging es besser und sie ass auch wieder einigermassen gut. Aber immer wieder wurde sie von einem beissenden Husten geschüttelt.
"Das hört sich aber sehr nach einer Erkältung an. Deine Augen sehen auch etwas fiebrig aus. Du kommst am besten nachher mit mir nach oben in den Krankenflügel", meinte Poppy fürsorglich.
"Wie du meinst", stammelte Nala. Es war ihr unangenehm, dass Severus das wahrscheinlich gehört hatte. Sie wollte nicht noch mehr Schwäche vor ihm zeigen, als sie es ohnehin schon getan hatte. Es war wirklich hart in seiner Gegenwart zu sein. Doch dann gelang es ihr plötzlich bestens, sich mit Poppy zu unterhalten. Sie sprudelte geradezu drauflos. Jetzt spürte sie wieder den Stolz und die Kraft in ihr. Soll doch Severus mit ihr sprechen oder nicht, sie wollte sich nicht mehr davon herunterziehen lassen. Sie schaffte es sogar, Dumbledore ein ehrliches Lächeln zu schenken.


Während der gleichen Zeit hatte Severus Nala die ganze Zeit beobachtet. Ihm war nichts entgangen. Insgeheim hatte er gehofft, sie würde ihn einmal ansehen, doch das hatte sie nicht und er fand, er hätte es auch nicht verdient. Zu gerne hätte er ihr die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: "Ich bin froh, dich hier zu sehen." Aber er brachte das nicht fertig und Nala hätte das auch bestimmt nicht geschätzt. Jedes Mal, als sie hustete, durchzuckten ihn brennende Blitze. "Was habe ich ihr nur angetan?!" dachte er. Er wollte nun mehr denn je mit ihr sprechen, aber er musste unbedingt noch eine Nacht darüber schlafen um seine Gedanken zu ordnen. Jedoch morgen würde er gleich nach den beiden Unterrichtsstunden, die er geben musste, zu ihr gehen.
Seine Hoffnungen wurden aber wieder etwas zerstört, als er bemerkte, wie leicht es ihr fiel, ihn nicht zu beachten. Jetzt sprach sie heiter mit Poppy und drehte ihm hart den Rücken zu. Sie schaute sogar einmal in seine Richtung, als sie Dumbledore und Minerva zuwinkte, aber ihr Blick ging an ihm vorbei. Er wusste, er musste es ihr sagen, aber nicht, wie Remus dachte, um sie wieder zurückzugewinnen. Ihr würde dann klar werden, dass sie wirklich nicht mit ihm zusammen sein konnte. Da es nun keinen Unterschied mehr machte, ob sie wegen dem Streit auseinander waren, oder weil sie vor ihm Angst haben musste wegen seiner mangelnde Kontrolle, konnte er ihr nun die Wahrheit sagen. Es würde fairer sein, als sie einfach so zu meiden.

*

"Du hast Fieber, Nala!" stellte Poppy entsetzt fest, als sie im Krankenflügel Nalas Temperatur mass. "Wenn das wieder los werden willst, solltest du dich schleunigst ins Bett legen. Ich gebe dir noch einen Trank gegen das Fieber und einen, damit du gut schlafen kannst. Ach und hier noch etwas gegen deinen Husten." Poppy drückte ihr drei kleine Phiolen in die Hand, die feinsäuberlich angeschrieben waren. Nala erkannt die Handschrift sofort. Es war die von Severus. Poppy bemerkte sofort Nalas traurigen Blick auf die Schrift.
"Wie geht es dir sonst?"
"Ein ganz klein wenig besser. Ich habe mich damit abgefunden, dass es schon wieder vorbei ist und werde jetzt nach vorne sehen. Aber es tut immer noch weh. Ich liebe ihn, Poppy." Tränen sammelten sich in Nalas Augen. Schnell wischte sie diese ab und schluckte kräftig.
"Das machst du gut so. Es bleibt dir ja gar nichts anderes übrig. Nun geh und leg dich hin. Kommst du morgen vorbei, damit ich sehen kann, wie es dir geht?"
"Ja ist gut. Ich werde kommen. Vielen Dank, Poppy. Also, bis morgen."
"Gute Besserung!" rief ihr Poppy noch nach, als sie zur Tür hinausging. "Tapferes Mädchen", flüsterte sie leise, doch Nala hatte es nicht mehr gehört.