- KAPIZEL FÜNFZEHN -
Der Leomagus
An diesem Morgen wurde Nala vom ersten Sonnenstrahl geweckt. Sie fühlte sich
besser, als in den letzten Tagen. Das war zum grössten Teil wohl der Verdienst
von Poppys Tränken. Obwohl es noch sehr früh war, stand sie auf und wollte
etwas tun. Also begann sie Astronomie zu lernen. Über den Büchern vergass sie
ganz die Zeit. Sie musste sich mit dem Duschen beeilen, damit sie noch
rechtzeitig zum Frühstück kam. Dieses Mal hatte sie Glück und musste nicht
neben Severus sitzen. Es waren nicht mehr viele in der Grossen Halle. Am
Lehrertisch sass nur noch Dumbledore, der die Tatsache, dass das Frühstück die
wichtigste Mahlzeit das Tages war, doch etwas zu ernst nahm. Er frühstückte
immer sehr lange. Nala setzte sich neben ihn und wünschte ihm einen guten
Morgen.
"Guten Morgen. Wie ich sehe geht es dir heute etwas besser als gestern.
Das freut mich", antwortete er.
"Hmm ja, ich hatte ja auch Glück und bin Severus noch nicht begegnet heute.
Es ist für mich schwer in seiner Nähe zu sein, geschweige denn mit ihm zu
arbeiten, aber ich werde das schon hinkriegen. Mach dir keine Sorgen. Das Leben
geht weiter, nicht wahr?" sagte sie munter.
"Ja, das geht es gewiss. Schön, dass du die Dinge jetzt so sehen
kannst." Dumbledore war erleichtert, aber er spürte, dass da doch noch
mehr auf sie zu kommen würde im Zusammenhang mit Severus. Das erzählte er ihr
aber nicht. Er wollte ihr momentanes Hoch nicht zerstören.
"Was hast du denn heute vor?" fragte er interessiert.
"Poppy hat mir heute frei gegeben, also habe ich vor mit Orion ein
bisschen durch die Ländereien zu ziehen. Aber zuerst werde ich meine
Astronomieaufgaben zu Ende bringen. Am Nachmittag habe ich dann natürlich
Unterricht. Bei Remus, bei Professor Sprout und dann noch bei Professor
Flitwick. Sechs Stunden hintereinander, da habe ich ganz schön zu tun.
Professor Flitwick hat mir übrigens einen sehr nützlichen Zauber beigebracht.
Mit einem Wisch mit dem Zauberstab kann ich nun Orion satteln und zäumen. Der
gute Orion mag aber die konventionelle Methode lieber, es ist ihm unheimlich,
wenn er plötzlich von einer Sekunde auf die andere eingezäumt ist."
Beide mussten über die Vorstellung von Orions grossen, entsetzten Augen lachen.
Gemütlich frühstückten sie noch zu Ende.
Als Nala in den Stall gehen wollte, kam ihr in den Sinn, dass sie noch zu Poppy
gehen musste. Also machte sie noch einen Abstecher in den Krankenflügel. Dort
waren viele Betten belegt.
"Poppy, brauchst du Hilfe? Ich kann sonst gerne hier bleiben."
"Nein, nein, ich schaffe das schon. Das sind nur Erkältungen und Grippen.
Lass mich mal nach deiner Temperatur sehen."
Poppy untersuchte sie gründlich und Nala liess alles mit sich geschehen. Als
sie endlich damit fertig war, meinte sie: "Dein Husten macht mir immer
noch Sorgen, aber du hast praktisch kein Fieber mehr. Trotzdem solltest du dich
schonen. Geh heute lieber nicht raus in die Kälte."
"Ich muss. Ich will mit Orion ein bisschen Zeit verbringen. Ich werde mich
warm anziehen. Versprochen."
"Dir ist nicht zu helfen", lachte Poppy.
Nala wollte noch kurz nach den Patienten sehen, die alles sehr erfreut waren,
als sie sich um sie kümmerte. Liebenswürdig fragte sie jeden, wie er sich
fühlte und bot ihnen Schokolade an. Gerade als Nala aufstand, klopfte es an der
Tür, dass ihr die Haare zu Berge standen. Dieses Klopfen hätte sie überall
erkannt. Es war das selbe sanfte, aber doch fordernde Klopfen, dass sie immer
vernommen hatte, bevor Severus in ihre Wohnung kam. Blanke Panik erfasste sie.
"Nein, nicht jetzt. Ich möchte nicht hier sein, wenn er hier ist",
brannte es in ihrem Kopf. Sie wollte weg. Einfach nur weg. Geschwind sagte sie
zu Poppy: "Tschüss, ich muss los." Sie eilte zur Tür, in der Severus
schon stand. Einen kurzen Moment überlegte sich Severus, ob er sie festhalten
sollte, liess sie aber dann durch. Als sie den Gang hinunter hastete, rief er
ihr nach: "Nala warte! Ich..." Doch da sah er nur noch ihren Umhang
um die Ecke wehen. Enttäuscht stand er lange mit gesenktem Kopf da und wollte
die Tür schliesslich wieder schliessen, als Poppy neben ihm stand.
"Geh ihr nach! Worauf wartest du?" forderte Poppy ihn auf.
"Zu spät. Weißt du wie schnell sie laufen kann?"
"Hmm, ja. Und mit Orion ist sie noch schneller...", sagte sie
nachdenklich.
"Siehst du", seufzte er.
"Sei doch nicht so kompliziert! Du hast doch einen Besen! Nun mach
schon!"
Severus rannte los, während er sich selbst tadelte, weil er so lange dumm herum
gestanden war. In seinem Kopf hörte er Remus' Worte. Lebe! Kämpfe! Lebe!
Endlich in seiner Wohnung, pfiff er nach seinem Besen, der ihm sofort in die
Hand schnellte. Kaum hatte der Besen seine Hand berührt, hatte er sein Quartier
schon wieder verlassen und rannte die Treppen wieder hoch.
In der Tat war Nala sehr schnell. Sobald sie um die Ecke gebogen war, sprintete
sie los. Beim Stall angekommen, verwendete sie den Zauberspruch um Orion zu
satteln, holte ihn aus dem Stall und sprang auf seinen Rücken. Dann preschte
sie im schnellsten Galopp davon. Zuerst noch dem Waldrand entlang, wo ihr der
Schnee nur so um die Ohren stob, dann bog sie in einen kleinen Weg ein, der in
den Wald führte.
Als Severus ins Freie trat, sah er nur noch, wie Nala im Wald verschwand. Flink
setzte er sich auf seinen Besen und zischte los. Normalerweise wäre es für
Severus kein Problem gewesen mit dem Besen ein Pferd einzuholen, doch im Wald
konnte er nicht mehr so schnell fliegen, da er aufpassen musste, dass er nicht
in die Baumstämme und Äste flog. Ausserdem hatte es eine Weile gedauert, bis er
die genau Stelle gefunden hatte, wo sie in den Wald eingetaucht war. Er
befürchtete schon, dass er sie im dichten Wald nicht mehr finden würde, doch da
war ein schmaler Pfad, an den er sich hielt, weil er hoffte, dass auch Nala auf
diesem Pfad bleiben würde. Der Wald war so schon gefährlich genug, da sollte
man sich nicht auch noch verlaufen.
Severus hatte Nala richtig eingeschätzt, sie blieb auf diesem Pfad. Kurz bevor
Orion ganz ausser Atem war, kamen sie an eine kleine Lichtung, an der Nala
stoppte. Sie stieg ab und liess Orion etwas an einem Busch knabbern. Mitten in
der Lichtung standen ein paar junge, saftig grüne Tannen und viele grosse
Felsblöcke. Da war auch ein Bach, der sich hier zu einem kleinen See sammelte
und dann wieder weiter in den Wald floss. Als Kind hätte sie sicher gerne hier
gespielt, dachte sie. Ihr war speiübel. Sie setze sich auf einen kleineren
Felsen und da überkam es sie wieder. Sie begann zu weinen. Warum war sie
geflüchtet, als er kam? Sie sollte endlich lernen sich wieder normal zu
benehmen in seiner Gegenwart. Aber konnte sie das überhaupt, wenn sie ihn so
sehr liebte? Sie glaubte es nicht und grosse Verzweiflung kam in ihr auf. Alle
erwarteten von ihr, dass sie stark war und über ihn hinwegkam. Doch sie konnte es
beim besten Willen nicht sehen. Es ging ihr gut, solange sie ihn nicht sehen
musste, aber sobald er auftauchte, brach es in ihr wieder zusammen.
Nala war nicht lange mit ihren Gedanken allein, da hörte sie ein Zischen in der
Luft und dann Schritte im Schnee.
Severus hatte sie gefunden. Sie sass auf einem grossen Stein, die Beine fest an
sich gezogen. Ihre Arme hatte sie um die Beine geschlungen und ihren Kopf auf
die Knie gelegt, so dass ihr Gesicht von den Armen verdeckt wurde. Als er sich
ihr nährte, bewegte sie sich nicht, sie sass nur dort und weinte.
Nala brauchte nicht aufzusehen um zu wissen, wer auf sie zukam. Viele Male war
sie mit ihm durch den Schnee spaziert, nun kannte sie seinen Gang und die Art
wie er klang, wenn er durch den Schnee ging. Würde er ihr nun endlich sagen,
weshalb er sie nicht mehr wollte? Wollte sie es überhaupt noch wissen?
Neben ihr blieb er stehen und schaute traurig auf sie hinunter. Immer noch den
Kopf in den Armen vergraben flüsterte sie leise, aber so, dass er es genau
verstand: "Du bist schnell mit deinem Besen."
Severus legte seine Hand auf ihre, während er sich vor sie hin stellte.
"Nala, bitte, hör mich an." Seine Stimme klang noch tiefer als sonst.
Nala merkte, wie sehr sie seine Stimme liebte. Sanft drückte er ihre Hand,
darauf hob sie ihren Kopf. Severus sah in ein tränenüberströmtes Gesicht. Eine
Ewigkeit blickte er ihr in die Augen, bis er die richtigen Worte fand. Als Nala
sich überwunden hatte ihn anzusehen, liefen ihr noch mehr Tränen übers Gesicht.
Da waren sie, diese Augen.
"Nala, du musst mir glauben, ich hatte nie die Absicht dich zu verletzen.
Es war ein Unfall, sozusagen. Als ich nicht wollte, dass du mich küsst und dich
wegstiess, fing der Ball an zu rollen und ich konnte ihn nicht mehr
stoppen." Beschämt starrte er zu Boden. "Remus hat..."
"Remus?" unterbrach sie ihn. "Remus musste sich einmischen,
bevor du die Güte hast mich aufzuklären?" Ihre Stimme klang entsetzt.
"Ja, leider. Ich war ein blinder Narr und wollte mich verkriechen. Du
weißt doch von allen am besten, wie es ist, wenn man sich verkriechen will.
Natürlich sah ich, wie schlecht es dir ging und es tut mir leid, was ich dir
angetan habe. Es tut mir so unendlich leid. Ich möchte dir alles erklären, wenn
du es noch hören willst. Aber, bitte nicht hier. Es ist kalt und vor allem
gefährlich hier. Wir sollten von hier wegkommen."
Nala rührte sich nicht.
"Hör zu, ich verlange nicht von dir, dass du mir verzeihen kannst. Du
brauchst mich nicht anzuhören, ich kann gut verstehen, wenn du nichts mehr von
mir wissen willst, ich bin selbst schuld. Doch bevor alles endgültig vorbei
ist, möchte ich, dass du noch erfährst, dass ich dich liebe."
Zu Severus' Überraschung, stand Nala langsam auf und klammerte sich an seinen
Körper. Sachte umschloss er ihren, leicht zitternden, Körper mit seinen Armen.
"Ich habe dich so vermisst", schluchzte sie in seine Brust. "Ich
habe keine Ahnung, wie es so weit kommen konnte, doch ich wünsche mir nichts
mehr, als dir vergeben zu können. Es tut so weh. ... Natürlich sollst du mir
erzählen, was mit dir los ist..... Ich liebe dich."
Für einen kurzen Moment fühlten sich beide erleichtert und glücklich. Severus
hob ihren Kopf an um ihr die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, da merkte er
wie ihr Gesicht bleich war und glühte. Ihr Zittern war stärker geworden und sie
hatte Mühe sich auf den Beinen zu halten. Severus setzte sie auf den Stein
zurück.
"Nala, wie fühlst du dich?"
"Mir ist so schlecht, Severus, und schwindlig. Kalt ist mir auch. Ich bin
wohl doch noch krank", sagte sie leise.
"So kannst du nicht zurück reiten. Ich nehme dich auf meinem Besen
mit."
"Nein, ich möchte Orion nicht allein lassen. Es wird schon gehen."
"Das kommt nicht in Frage. Dann werde ich auf Orion reiten und du hältst
dich an mir fest. Denkst du das geht?"
"Ja, danke", brachte sie knapp heraus. Schnell schwang sich Severus
in den Sattel und zog Nala hinter sich aufs Pferd. Seinen Besen schickte er
allein zurück zum Schloss. Nala umschlang seine Brust mit ihren Armen und er
hielt sie mit seiner linken Hand zusammen. In der Rechten hatte er die Zügel.
"Ist es dir angenehmer, wenn ich im Schritt reite?" fragte er
bedacht.
"Ich denke schon", krächzte es von hinten.
Im schnellen Schritt marschierten sie mit Orion davon. Nala ging es zwar miserabel,
aber trotzdem fühlte sie sich geborgen bei ihm. Sie hatte ihren Kopf unter
seinem Umhang auf seinen Rücken gelegt. So diente ihr sein Umhang wie eine
wärmende Decke. Als sie eine Weile auf dem Pfad dahin geritten waren, wollte
sich Nala versichern: "Zu Hause wirst du mir alles erklären, ja?"
"Gleich nachdem du im Krankenflügel warst", antwortete er beunruhigt.
"Jetzt kommt doch noch alles gut", schoss es ihr durch den Kopf, als
Orion plötzlich aufgeregt im Trab zu tänzeln begann. Sie strich Severus' Umhang
zu Seite hinunter und schaute sich um.
"Was ist los?"
"Es ist etwas in der Nähe. Wir wurden schon länger verfolgt, das konnte
ich spüren, aber es blieb auf Distanz. Jetzt scheint es aber näher zu kommen.
Wir sollten uns beeilen, dass wir aus dem Wald kommen."
Es schien als hätte Orion verstanden, was Severus gesagt hatte. Er galoppierte
wild zwischen den Bäumen durch, auf der kürzesten Strecke nach Hogwarts. Den
Pfad hatten sie schnell verlassen. Severus liess ihn galoppieren, je schneller
desto besser, dachte er. Severus Umhang flatterte an Nala vorbei und sie sah
immer wieder einen Schatten zwischen den Bäumen. Dann hörte sie ein Brüllen,
worauf Orion noch schneller lief. Nach einer wilden Jagd durch den Wald, bäumte
sich Orion auf und Nala sah den Grund dafür, obwohl sich um ihren Kopf alles
drehte. Vor ihnen stand ein grosser Löwe mit weissen Flügeln, der sie
gefährlich an fauchte. Ehe sie sich recht besann, fiel sie rückwärts vom Pferd
und schlug mit dem Kopf hart auf. Dann wurde es dunkel um sie.
Severus schickte mit seinem Zauberstab eine Blitz auf den Löwen, um ihn
niederzustrecken, aber leider war der Löwe flink genug um auszuweichen.
Wenigstens war er eingeschüchtert und flüchtete zurück in den dichten Wald.
Eilig sprang Severus vom Pferd und rannte zu Nala, die bewegungslos auf dem
Boden lag. Sie hatte ihren Kopf an einer grossen Wurzel gestossen. Ihr Atem war
flach und ihr Puls schwach.
"Los Orion, geh nach Hause zu Hagrid. Ich muss mich jetzt um Nala
kümmern", befahl er dem Pferd, als er Nala in seine Arme hob, dann trug er
sie so schnell er konnte zum Schloss. Es war zum Glück nicht mehr sehr weit,
sie hatten sich nur noch wenig Meter vom Waldrand entfernt befunden. Orion
trabte ein Stück weit neben ihnen her, doch dann bog er ab in Richtung Hagrids
Hütte. Unterwegs begann Nala wieder heftig zu zittern und Severus schien es
eine Ewigkeit, bis er endlich das Schloss erreicht hatte und sie die vielen
Stufen hinauf zum Krankenflügel getragen hatte. Völlig ausser Atem legte er sie
auf ein Bett und erklärte der schockierten Poppy, was geschehen war.
"Beruhige dich, Severus. Hol wieder einmal Luft, ich möchte dich nicht
auch noch vom Boden auflesen müssen. Wir brauchen dich noch hier. Doch jetzt
lass mich Nala in Ruhe untersuchen, du kannst in der Zwischenzeit Dumbledore
aufsuchen und ihn herbitten. Wartet aber bitte so lange draussen, bis ich euch
hole."
Severus gab Nala einen zärtlichen Kuss auf die Stirn und lief dann zu
Dumbledore.
Poppy untersuchte zuerst ihren Kopf und stellte fest, dass sie "zum
Glück" nur eine Hirnerschütterung hatte. Diese war aber sehr schwer. Sie
musste ihr einen starken Trank geben. Dann zog sie ihr vorsichtig die Kleider
aus um ihr eines dieser Patientenhemden anzuziehen. Bestürzt bemerkte sie die
langen Narben auf ihrem Körper. "Woher sie die wohl alle hat?" fragte
sie sich. Sachte liess sie ihren Körper in ein Zimmer nebenan schweben, wo sie
allein war und nicht gleich neben denn Schülern, das war Severus bestimmt auch
recht. Behutsam bettete sie Nala unter die Decke.
"Lass uns jetzt nicht im Stich, Nala", sagte sie traurig, bevor sie
zur Tür ging um den Schulleiter und den Zaubertränkemeister zu empfangen.
"Und? Wie sieht es aus? Wird sie wieder gesund? Sag schon, Pomfrey!"
fragte Severus ungeduldig.
"Das kann ich dir leider nicht sagen, so gerne ich es auch möchte. Nala
hat eine schwere Hirnerschütterung erlitten und ich musste ihr einen Trank
gebe, der sie so lange schlafen lässt, bis sich ihr Gehirn genug erholt hat,
dass sie in wachem Zustand sein kann. Unter normalen Umständen wäre die Chance
recht gross, dass sie wieder vollkommen gesund wird, aber bei Nala kommt da
noch so einiges dazu. In den letzten Tagen hat sie viel zu wenig gegessen, das
hat an ihren Kräften gezerrt und nun wurde sie zusätzlich noch von einer
Lungenentzündung befallen, die ihr Immunsystem noch mehr in Anspruch nimmt. Das
Zittern, der Schwindel und die Übelkeit von der du sprachst, kam von dieser
Lungenentzündung. Ich dachte leider, sie hätte nur eine Grippe und heute Morgen
hatte sie kein Fieber. Ach, ich hätte sie nicht rauslasen dürfen"
Severus war sprachlos. Das konnte doch nicht sein, das war bestimmt nur ein
böser Traum.
"Wird sie wieder aufwachen?" fragte nun Dumbledore.
"Ich weiss es nicht. Ich hoffe es, aber es sie wird bestimmt lange nicht
bei Bewusstsein sein. Im schlimmsten Fall wird sie nicht überleben oder ins
Koma fallen. Es tut mir leid." Einen Moment herrschte betretenes
Schweigen, dann fuhr Poppy fort:
"Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass sie für ein
paar Tage ihr Kurzeitgedächtnis verloren haben wird. Manchmal kann es aber auch
mehrere Wochen dauern, bis es zurückkommt. Doch ich glaube, Nala wird sich
schnell wieder erinnern. Diese Erscheinung ist eine Nebenwirkung des Trankes,
den ich ihr geben musste, doch bis jetzt haben sich die meisten Patienten
früher oder später wieder erinnert."
"Wenn du sagst Kurzzeitgedächtnis, an wie viel wird sie sich dann nicht
erinnern können?" Severus hatte seine Stimme wieder im Griff.
"Das werden ziemlich sicher ungefähr zwei Monate sein, an die sie sich
eine Weile nicht erinnern wird", erklärte Poppy.
"Nun, dann bleibt uns nur noch übrig zu warten und zu hoffen, dass Nala
bald wieder aufwachen wird", sagte Dumbledore und klopfte Severus auf die
Schultern. "Severus, kannst du mir vielleicht erklären, was ein Leomagus
in diesem Wald zu suchen hat?"
"Das habe ich mich auch gefragt, dann sah ich, dass er eine Art Halsband
trug. Diese Bestie muss also jemandem gehören. Ich kann mir gut vorstellen,
dass ihn jemand auf uns losgehetzt hat, denn diese Kreaturen sind sonst eher
friedlich. Sie fressen auch nur sehr selten Fleisch."
"Hmm, sehr eigenartig. Ich werde schauen, was ich herausfinden kann. Ich
nehme an du willst hier bleiben?"
"Ich muss." Dumbledore konnte die Verzweiflung in Severus' Stimme
hören.
"Gut ich komme dann später noch einmal vorbei, um nach ihr zu sehen."
Albus strich Nala über den Kopf und verliess dann den Krankenflügel. Während
Poppy sich um ein Mädchen im anderen Zimmer kümmerte, kniete Severus neben
Nalas Bett nieder, nahm ihre Hand und drückte sein Gesicht in ihre Decke. Nach
einer Weile sah er sie wieder an flüsterte:
"Bitte Nala, du darfst mich nicht verlassen! Ich möchte dir noch so vieles
sagen! Bitte, sei stark... Ich liebe dich."
Als Poppy zurück kam und Severus so sah, tat er ihr leid. Er hatte sich zwar
Nala gegenüber schlecht verhalten in den letzten Tagen, aber er schien sie zu
lieben und solchen Kummer hatte auch er nicht verdient. Zum ersten Mal sah sie,
dass auch der verbitterte Professor Snape verzweifelt sein konnte. Fürsorglich
brachte sie ihm einen Sessel, den sie neben Nalas Bett stellte. Ohne den Blick
von Nala abzuwenden, bedankte er sich und setzte sich in den Sessel. Tiefe
Sorgenfalten waren auf seinem Gesicht zu erkennen.
Vor dem Abendessen kam Dumbledore noch einmal vorbei um nach Nala zu sehen.
Severus sass im Sessel, die Ellbogen hatte er auf die Knie gestützt und den
Kopf in den Hände vergraben.
"Gibt es schon etwas Neues?" fragte Dumbledore. Severus blickte auf
und schüttelte den Kopf.
"Sie hat sich kaum gerührt", sagte er bitter.
"Komm mit hinunter, du kannst nichts tun. Du solltest etwas essen."
"Nein, ich möchte bei ihr sein. ... Ich bin an allem schuld, Albus."
"Was redest du denn da? Das darfst du dir nicht einreden! Die Umstände
waren einfach unglücklich, das ist alles. Ich verstehe, wenn du bei ihr sein
möchtest. Ich nehme an, das wird noch ein paar Tage so bleiben, deshalb werde
ich deinen Unterricht übernehmen."
"Das ist grosszügig von dir, danke."
"Habt ihr euch versöhnen können?"
"Wir wissen, dass wir uns lieben und wollen gemeinsam einen Weg finden,
aber sie hat mir noch nicht verzeihen können, denn ich bin nicht mehr dazu
gekommen ihr alles zu erklären. Aber ich glaube, sie wird nicht mehr
wollen."
Dumbledore legte ihm eine Hand auf die Schulter.
"Ich bin sicher, wenn sie wieder bei uns ist, wird sie dir verzeihen
können. Sie liebt dich und wenn du mit ihr alles geklärt hast, kann sie dir
bestimmt vergeben. Sie ist nicht jemand, der lange nachtragend ist."
"Wenn sie erwacht, wird sie sich gar nicht an uns erinnern. Was ist, wenn
sie sich nie mehr an alles erinnert? Oder nur an...?" Severus' Stimme
brach traurig ab.
"Ja, das ist nicht einfach. Aber jetzt ist es zuerst einmal wichtig, dass
sie wieder gesund wird und dann siehst du, was auf dich zukommt. Wir werden
schon einen Weg finden, dass sie sich wieder an alles erinnert, doch das
braucht Zeit und bis dahin solltest du sie nicht überrumpeln."
Dumbledore bekam ein zustimmendes Nicken als Antwort.
"Ich werde dann mal wieder gehen. Du sollst noch wissen, dass wir alle das
Beste für euch hoffen und euch beiden viel Glück wünschen. Du stehst nicht
alleine da mit deinem Kummer, wir alle sind hier und machen uns auch
Sorgen."
Als Dumbledore, das Zimmer verliess, hatte Severus sein Gesicht schon wieder in
den Händen vergraben.
Wenig später kam Deby, die Hauselfe, und brachte ihm etwas zu essen.
"Entschuldigung, Sir, Master Dumbledore schickt mich mit ihrem
Abendessen", sagte sie schüchtern, als sie ein Tablett mit duftendem
Hähnchen auf den Nachttisch stellte. Dann beobachtete sie Nala und meinte:
"Miss Silver darf nicht sterben, sie ist immer so... sooo gut. Wird sie
wieder gesund werden, Master Snape?"
"Wenn ich das wüsste... Verschwinde jetzt!" knurrte er die kleine
Elfe an. Eingeschüchtert und mit Tränen in den Augen lief sie davon.
Severus zwang sich ein paar Bisse zu nehmen, doch es war ihm ganz und gar nicht
zum Essen zu Mute.
Die Tage vergingen ohne, dass sich bei Nala eine Veränderung zeigte. Severus'
Gesicht sah müde und eingefallen aus. Er ass und schlief so gut wie nie. Nur
selten erlaubte er sich, sich auf dem Bett neben ihr etwas hinzulegen. Er
verliess ihr Zimmer nur um ins Bad zu gehen oder wenn Schüler zu Besuch kamen.
Und Nala bekam viel Besuch. Dumbledore, Lupin und McGonagall kamen regelmässig.
Auch die anderen Lehrer hatten alle schon einmal nach ihr gesehen. Aber es
erstaunte Severus nicht, dass auch viele Schüler einmal kurz bei ihr waren und
ihr kleine Geschenke brachten. Poppy warnte ihn immer zuerst verständnisvoll,
bevor sie die Kinder zu ihr liess, damit er verschwinden konnte, wenn er
wollte. Schon am Freitag Abend war ihr Zimmer überfüllt mit Blumen, Karten und
Süssigkeiten.
Mit Poppys Erlaubnis durfte er Merlin mit hochnehmen, der sein Frauchen
offensichtlich auch sehr vermisste. Severus war froh, dass Merlin hier war,
denn er wusste, dass Nala sich immer besser fühlte, wenn der kleine Kater bei
ihr war. Dazu leistete ihm Merlin gute Gesellschaft und die beiden teilten sich
wie zwei Kumpel ihr Leid. Der Kater schlief meistens eingerollt an Nalas Seite
und manchmal wünschte sich Severus, er wäre an der Stelle des kleinen Katers
neben ihr.
Doch mit oder ohne Merlin war Severus kein schöner Anblick, wie er sich neben
ihr quälte. Man konnte zusehen, wie seine Hoffnung von Tag zu Tag schwand.
