- KAPITEL SECHZEHN -
Ohne Erinnerung
Erst in der sechsten Nacht nach dem Unfall sah Severus ein wenig Licht am
dunklen Horizont. Nala schien zu träumen und flüsterte leise seinen Namen. Er
streichelte ihr liebevoll über den Kopf, während sein Herz Purzelbäume schlug.
Sie träumte von ihm!
Von da an ging es mit Nalas Gesundheit wieder aufwärts. Sie schlief anders als
bis dahin. Jetzt machte sie den Eindruck eines schlafenden, lebenden Menschen,
während sie vorher mehr tot als lebendig ausgesehen hatte.
Endlich am Montagmorgen, gerade als er wieder einmal neben ihr kniete und ihr
eine Strähne aus dem Gesicht strich, öffnete sie langsam die Augen. Ein schwaches
Lächeln lag auf ihren Lippen.
Nala sah als Erstes diese zwei tief schwarzen Augen, welche sie als diese von
Professor Snape erkannte, aber den Ausdruck in diesen Augen, hätte sie nicht
Professor Snape zugeordnet. Sie strahlten Freude aus und in der äusseren Ecke
des linken Auges bemerkte sie eine winzig kleine Träne.
"Nala, endlich bist du wach! Wie fühlst du dich?" fragte er mit
seiner tiefen Stimme, doch man hörte die erleichterte Freude darin.
Sie konnte ihren Ohren nicht trauen. War das wirklich der selbe Snape, der sie
sonst immer anknurrte und runtermachte? Warum kniete er neben ihrem Bett? Was
machte sie eigentlich im Krankenflügel? Sie konnte sich an nichts erinnern.
"Wieso bin ich hier, Professor Snape?" fragte sie mit krächzender
Stimme. Severus spürte einen Stich im Herzen. Sie hatte ihn "Professor
Snape" genannt, sie konnte sich also tatsächlich nicht mehr erinnern, was
er beinahe vergessen hatte.
Da kam Poppy herein, die sofort überglücklich zu ihr hinüberlief.
"Nala, Kind! Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Wie geht es dir?"
Sie drängte sich an Severus vorbei und meinte: "Komm, du musst jetzt Platz
machen, damit ich sie untersuchen kann!"
Nachdenklich verliess Severus das Zimmer, während Poppy sie genau durchcheckte.
"Was ist geschehen, Poppy? Was ist mit mir?" fragte sie noch einmal
schon etwas kräftiger.
"Ihr wurdet von einem Leomagus im Wald überrascht und du bist vom Pferd
gefallen. Dabei hast du dir eine schwere Hirnerschütterung zugezogen und bist
nun seit genau einer Woche hier. Hast du Kopfschmerzen?"
"Nein."
"Gut. Fieber hast du auch keines, deine Lungenentzündung scheint also auch
weg zu sein. Du bist schon wieder ziemlich bei Kräften. Ein guter Schlaf kann
eben doch Wunder wirken", lachte Poppy.
"Was ist heute für ein Tag, Poppy?" wollte Nala wissen.
"Ach, heute ist der 28. Januar, ein Montag."
"Was? Poppy! Ich kann mich nicht einmal an Weihnachten erinnern!"
rief Nala entsetzt.
"Ich weiss, aber beruhige dich. Du sollst dich nicht schon so aufregen,
das tut dir nicht gut. Mach dir keine Sorgen, du wirst dein Gedächtnis
zurückgewinnen", versuchte Poppy sie zu beruhigen.
"Aber..."
"Shh, ich werde dir noch ein kleines Geheimnis verraten. Wenn du wieder
eine erste Erinnerung zurückerlangst, dann merke dir die Personen, die darin
vorkommen, denn sie sind der Schlüssel zu deinem Gedächtnis. Wenn du dich an
sie hältst, etwas Zeit mit ihnen verbringst, wirst du bald wieder jede
Einzelheit, der letzten beiden Monate wissen." Poppy musste schmunzeln,
denn sie konnte sich denken, wer das sein würde.
"Ich hoffe, du hast recht. Es ist kein gutes Gefühl, nicht zu wissen, was
in einer so langen Zeit passiert ist", seufzte Nala.
"Natürlich, aber es wird nicht lange dauern. Betrachte es doch einmal von
der positiven Seite, dein Leben ist so noch spannender!" scherzte sie.
"Bist du hungrig?"
"Ein wenig."
"Sehr gut, ich werde dir etwas holen. Leg du dich wieder hin und schone
deinen Kopf."
Nala folgte ihrer Anweisung und kuschelte sich wieder in die warme Decke.
In ihrem Büro wartete Severus schon auf Poppy.
"Was soll ich jetzt machen? Sie hält mich für Professor Snape",
murmelte er.
"Ich weiss nicht, ob sie es verstehen würde, wenn du ihr sagst, dass ihr
eine Beziehung habt. Ich denke, es würde sie eher abschrecken, denn im Moment
kennt sie nur den Professor Snape, der nie viel für sie übrig hatte. Kümmere
dich um sie! Zeig ihr, den liebenden Severus und wenn du das Gefühl hast, du
kannst es ihr sagen, dann tu es."
"Kann ich zu ihr gehen? Ist sie wieder gesund?"
"Aber natürlich darfst du zu ihr. Ja, sie scheint so weit wieder gesund zu
sein, aber sie sollte noch ein paar Tage Bettruhe haben und sich sicher noch so
lange schonen, bis sie ihr Gedächtnis wieder hat. Selbstverständlich wird sie
jetzt noch etwas schwach auf den Beinen sein."
"Ich verstehe" waren seine Worte, dann schlüpfte er schon durch die
Tür in Nalas Zimmer.
"Prima, dass du schon wieder so gut beieinander bist. Du hast mir einen
ganz schönen Schrecken eingejagt", sagte er verlegen, während er sich in
den Sessel neben ihrem Bett setzte.
Nalas Wangen röteten sich leicht, sie konnte nichts dagegen tun. Ihr gefiel es,
wenn er nett zu ihr war und fragte sich, ob das schon länger so war oder erst
seit sie hier im Krankenflügel war. War er nur jetzt nett zu ihr oder würde das
so bleiben? Wie seltsam das alles war... So war er doch nicht, oder?
"Entschuldigung, Professor Snape", antwortete sie noch verlegener,
aber ihre Augen wichen nicht von seinen ab. Sie war wie hypnotisiert von ihnen.
"Du musst dich für nichts entschuldigen, Nala, und in der Zwischenzeit
haben wir uns beim Vornamen genannt, ich möchte es dabei belassen."
Da hatte Nala plötzlich das Gefühl, dass sie ein Déjà-vu hatte. Hatte sie das
schon einmal von ihm gehört?
Eine Weile lag ein beklemmendes Schweigen in der Luft, dann meinte Severus:
"Hagrid hat mich gebeten, dir gleich zu sagen, dass es Orion gut geht. Er
hat ihn ab und zu etwas longiert auf dem Dressurplatz. Und Merlin war
eigentlich die ganze Zeit hier bei dir, jetzt ist er wohl gerade auf seiner
Runde durchs Schloss. Die unternimmt er jetzt jeden Morgen, da er sich schon
ziemlich gut auskennt hier."
"Dieser kleine Gauner hat bestimmt gedacht, das Schloss und sein ganzes
Areal sei sein Revier und marschierte stolz durch die Gänge. Da wird er auf die
Welt gekommen sein, als er Mrs. Norris begegnet ist", lachte Nala.
"Oh, da irrst du dich! Er ist der Erste, der dieser arroganten Katze
einmal zeigt, wo es lang geht. Sie hat jetzt grossen Respekt vor Merlin und
macht einen Bogen um ihn, wenn sie ihn sieht", lächelte Severus
verschmitzt.
Als Poppy mit dem Essen kam, verabschiedete sich Severus. Er war erstaunt, wie
gut es gelaufen war dort drin.
Nala wollte im Zimmer mit den anderen Patienten sein, deshalb half ihr Poppy
ins andere Zimmer zu zügeln. Alle Schüler freuten sich, als sie Nala auf den
Beinen sahen. Die vielen Geschenke liessen sie in Nalas Krankenzimmer zurück,
Poppy würde sie später in ihre Wohnung zaubern.
Der Nachmittag verging für Nala sehr schnell, denn einer nach dem anderen kam,
um sie zu besuchen und ihr eine schnelle Genesung zu wünschen.
Dumbledore war der Erste aller Besucher, nach Snape, und man konnte ihm
deutlich ansehen, wie erleichtert und glücklich er war.
"Nala, ich habe mir grosse Sorgen gemacht! Wir fürchteten, du würdest
nicht mehr aufwachen! Was bin ich froh, dich so munter zu sehen! Wie fühlst du
dich?", schrie er fast durch den Saal.
Als er sich wieder beruhigt hatte, antwortete ihm Nala: "Danke, ich fühle
mich noch ein bisschen schwach, aber sonst ganz okay. Naja, mal abgesehen von
der kleinen Sache, die ich verloren habe."
"Ach, das wird schon wieder und bis dahin lass es dir gut gehen",
sagte er freundlich.
"Ja, dass du weißt, wie man das Leben geniessen kann, habe ich nicht
vergessen." Sie lachte ihn glücklich an. Mittlerweile hatte sie sich schon
ziemlich gut damit abgefunden, dass sie für einige Zeit keine Erinnerung an die
letzten paar Wochen hatte und fand es jetzt spannend, das alles wieder zu
entdecken, wie es Poppy ihr geraten hatte. Sie beschloss die Dinge einfach zu
nehmen, wie sie kommen, etwas anderes blieb ihr eigentlich auch nicht übrig.
"Es ist schön, dich wieder lachen zu sehen. Das haben wir alle
vermisst!"
"Hey, ich war zwar in Lebensgefahr und alles, aber jetzt bin ich wieder
hier und ihr braucht mir nicht alle diesen Honig ums Maul zu schmieren",
scherzte sie.
"In der Tat, du bist zurück", schmunzelte Dumbledore.
Nachdem Dumbledore wieder gegangen war, herrschte ein wilder Betrieb in der
Krankenstation, der erst gestoppt wurde, als Poppy energisch mit dem Fuss
aufstampfte und niemanden mehr hineinliess, weil sich Nala schliesslich
ausruhen sollte hier. Sogar Merlin war so erschrocken, dass er davon stürmen
wollte aber Poppy hielt ihn zurück und sagte: "Nein, du musst nicht gehen,
kleiner Kerl." Merlin hatte wohl verstanden, denn er rollte sich am
Fussende von Nalas Bett wieder ein.
Während Poppy bei ihr noch einmal Fieber mass, fragte Nala: "Poppy,
weshalb kniete Severus neben mir, als ich aufgewacht bin?"
Poppy überlegte lange, bevor sie antwortete: "Severus hat sich die ganze
Woche um dich gekümmert, er ist kaum von deiner Seite gewichen."
"Lass mich raten. Der Grund dafür liegt irgendwo in den letzten paar
Wochen."
"Ja, Nala, aber stell mir bitte keine Fragen mehr. Ich bin nicht diejenige,
die sie dir beantworten kann. Das kann vielleicht Severus, aber vor allem nur
du selbst."
"Was ist denn das für eine Antwort?" wunderte sich Nala, sagte aber
nichts mehr. Nala fand, dass die Sache mit Snape immer mysteriöser wurde.
Eigentlich hätte sie es stören sollen, dass er sich plötzlich um sie kümmerte,
aber seit heute, war es ihr sogar irgendwie angenehm. Es war irgendetwas mit
seinen Augen und mit seinem Benehmen, dass ihr früher nie aufgefallen war, doch
an diesem Tag erkannte sie es sofort.
In ihren Gedanken versunken, schlief sie schliesslich ein.
Am Abend erwachte sie wieder. Die Schüler hatten alle schon ihr Abendessen vor
der Nase, da begann auch Nalas Magen zu knurren. Aufmerksam brachte Poppy auch
ihr Essen uns setzte sich auf den Bettrand.
"Nala, wenn du möchtest, kannst du nach dem Essen in dein Quartier gehen,
aber ich möchte dich noch nicht unbeaufsichtigt lassen. Was hältst du
davon?"
"Das wäre schön. Wen hast du den als Aufpasser in Aussicht?" fragte
Nala forsch.
"Nun, ich hatte da eigentlich an Severus gedacht, er wäre sicher bereit
dazu, aber wenn es dir nicht recht ist, sag es bitte." Ein rosa Schatten
schlich über Poppys Wangen, der von Nala nicht unbemerkt blieb.
Gelassen stellte Nala fest, dass sie diese Antwort gar nicht überraschte. Mit
einem Lächeln sagte sie: "Das ist schon in Ordnung. Wir sind erwachsen,
ich bin sicher, dass wir beide uns irgendwie verstehen werden." Nala
kicherte leise. "Bis heute Morgen hätte ich wohl nie gedacht, dass ich das
einmal sagen würde."
"Fein, dann werde ich nun auch essen gehen. Tissy wird hier aufpassen,
solange ich weg bin. Wenn etwas ist, wird sie mich holen kommen."
Tissy war eine weitere Hauselfe, die meistens während den Mahlzeiten in der
Krankenstation war, um Acht zu gebe, dass alles in Ordnung war. Als Poppy davon
rauschte, wurde sie von Nala scharf beobachtet, die dachte: "Meine liebe
Poppy Pomfrey, du versuchst doch nicht etwa mich zu verkuppeln?" So sehr
sich Nala auch den Kopf zermarterte, sie konnte sich beim besten Willen nicht
erinnern, was da zwischen ihr und Severus geschehen war. Etwas musste doch
geschehen sein, warum würden sie sich sonst plötzlich duzen und weshalb würde
er sonst auf einmal so zuvorkommend und freundlich sein. Bevor sie noch
Kopfschmerzen von der Grübelei bekam, wurde sie von Jane Sanchez, einer
Gryffindor-Drittklässlerin in ein Gespräch verwickelt. Jane war ihre
Bettnachbarin und ein sehr angenehmes Mädchen.
"Schmeckt Ihnen das Essen, Miss Silver?" fragte Jane höflich.
"Ja prima. Und dir?"
"Ja, heute ist es ganz köstlich. Sie können fast froh sein, dass sie
gestern nichts essen konnten, denn es gab mir viel zu viel Gemüse."
"Hmm, das ist wirklich zu schade", lachte Nala.
"Wie schön, dass sie heute Abend in ihrem eigenen Bett schlafen dürfen.
Ich muss noch hier bleiben, weil ich sonst die anderen anstecken könnte. Aber
tauschen würde ich mit Ihnen trotzdem nicht. Snape als Aufpasser stelle ich mir
ganz fürchterlich vor", sagte das Mädchen mitleidig.
"Ach, ich denke, ich werde es überleben. Wir sollten nicht vergessen, dass
auch in Professor Snape ein Mensch steckt und nicht ein Drache oder so."
Nala musste grinsen. Auch das hätte sie zumindest vor ihrer Gedächtnislücke
nicht so einfach über die Lippen gebracht.
"Trotzdem, ich bewundere ihren Mut. Alle Achtung!" staunte Jane.
Dann erzählte Jane ihr von den Quidditch-Spielen, die sie verpasst oder
vergessen hatte. Dieses Jahr würde es noch ein ganz besonderes Quidditch-Spiel
geben. Am Wochenende nach dem Valentinstag würde eine Schüler-Mannschaft gegen
die Lehrer antreten und wenn sie gewinnen, würden sie 50 Punkte für ihr Haus
bekommen. Die Ehre gegen die Lehrer zu spielen, wurde dieser Mannschaft zu
Teil, dessen Haus im Kampf um die Punkte am weitesten zurück lag. Im Moment war
das Hufflepuff und es sah nicht so aus, als ob sich das bis zum Spiel noch
ändern würde.
Als Nala sich nach dem Essen ihre eigenen Kleider wieder anzog, klappte das
schon ganz gut, doch ihr graute es vor dem Weg in ihre Wohnung, denn sie konnte
sich noch nicht wirklich auf ihre Beine verlassen. Dann kam Poppy zurück mit
Severus im Schlepptau.
"So, bist du bereit?" fragte Poppy.
"Ja", schoss es sofort aus ihr heraus.
Severus machte ein paar Schritte auf sie zu und reichte ihr seine Hand. Ohne zu
Zögern gab sie ihm ihre Hand und stand langsam auf, aber da versagten ihre Knie
auch schon und sie wäre zu Boden gefallen, hätte Severus sie nicht flink mit
dem anderen Arm auch noch gehalten und sie so aufgefangen.
"Vorsicht, willst du dir schon wieder etwas antun? Du bist
unmöglich", sagte er, während Nala ihren Retter nur anlächeln konnte. Wenn
er das sonst zu ihr gesagt hätte, wäre sie wahrscheinlich wieder sehr zornig
auf ihn geworden, aber jetzt klang alles, was er sagte , so... freundlich.
"Wie ich sehe, macht sich dein Aufseher schon bezahlt", kicherte
Poppy. "Hier ist noch eine Flasche von dem Trank gegen Husten. Du solltest
viermal täglich einen Löffel davon nehmen, dann wird er im Nu verschwunden
sein. Doch ich glaube, es ist besser, wenn ich ihn gleich in dein Zimmer
zaubere, wie die anderen Sachen, denn sicher werdet ihr um jede freie Hand froh
sein."
"Gut. Wollen wir?" Galant hielt ihr Severus seinen Arm hin, so dass
sie sich bei ihm einhacken konnte. Einen Schritt nach dem anderen arbeiteten
sie sich zur Tür. Bei ihr angelangt, winkte Nala den anderen Patienten zum
Abschied und wünschte ihnen, dass sie auch bald hier rauskommen würden.
Unterwegs musste sich Nala fest konzentrieren, um richtig gehen zu können, doch
etwa auf halbem Weg stolperte sie trotzdem.
"Warte, so geht es besser", sagte Severus, während er ihren rechten
Arm auf seinen Schultern legte und sie behutsam mit seinem linken Arm oberhalb
der Taille stützte. Ein wenig überrascht merkte sie, dass es sich vertraut
anfühlte.
Die letzte Strecke konnten sie so ganz gut überwinden und endlich in ihrem
Zimmer, legte Severus sie ins Bett.
"So, du kannst dich jetzt umziehen. Ich werde in der Zwischenzeit ein Buch
holen gehen und deinen Trank", sagte Severus, bevor er Nala allein liess.
"Okay", war ihre Antwort.
Sie zog sich ihr T-Shirt und ihre kurzen Hosen an, die ihr schon in der
Muggelwelt als Pyjama dienten. Wie immer lagen ihre Sachen unter dem
Kopfkissen.
Als Severus zurückkehrte, klopfte er zuerst an ihre Schlafzimmertür.
"Du kannst rein kommen!", rief Nala.
Severus trat ein und im gleichen Moment zischte Merlin an seinen Beinen vorbei.
Er sprang auf Nalas Bett und begrüsste sie freundlich mit einem leichten
Kopfstoss an ihrem Arm. Severus hatte sich in den Sessel im Zimmer gesetzt. Da
marschierte Merlin zu ihm hinüber und wollte es sich auf seinem Schoss bequem
machen, aber Severus platzierte ihn zurück auf Nalas Bett. Erstaunt machte Nala
Notiz davon.
"Er scheint sich ja mit dir schon ziemlich gut angefreundet zu
haben", meinte sie.
"In der Tat", gab er zurück.
"Also, was willst du hier jetzt machen? Das ist doch bestimmt langweilig
für dich? Poppy ist auch wieder einmal zu besorgt. Aber wenn ich dich so
ansehe, siehst du auch aus, als könntest du etwas gesunden Schlaf vertragen.
Den wirst du hier im Sessel sicher nicht bekommen."
"Nun ja, du sollst jetzt vor allem schlafen. Ich werde hier ein wenig
lesen, denn ich sollte jede Stunde deine Temperatur messen, aber wenn sie
konstant bleibt, kann ich schon eine Weile schlafen gehen. Ich werde dann
Morgenfrüh wieder vorbei kommen, um nach dir zu sehen und vielleicht kann ich
dich dann schon in die grosse Halle zum Frühstück mitnehmen."
Nala konnte ein kleines Lächeln auf seinen Lippen entdecken, das ihr Herz für
einen kurzen Moment aussetzten liess.
"Na schön, ich bin wirklich müde. Dann werde ich jetzt versuchen zu
schlafen."
"Genau. Aber warte, nimm noch etwas von dem Hustentrank."
Er nahm die Flasche vom Nachttisch, füllte einen Löffel davon, den er so kurz
hergezaubert hatte, und streckte ihn ihr hin. "Hier."
Artig schluckte sie alles hinunter. "Danke. Also dann, gute Nacht."
"Schlaf gut."
In ihrem Bett fühlte sich Nala so wohl, wie schon lang nicht mehr. Sie wickelte
sich in ihre Decke und legte den Kopf auf die Seite, auf der Severus sehen
konnte. Eigentlich wollte sie ihn noch etwas beobachten, doch sie war so
erschöpft, dass sie schon wenige Minuten später tief eingeschlafen war.
Als Nala morgens um vier erwachte, stellte sie amüsiert fest, dass es Severus
wohl nicht mehr in sein Bett gereicht hatte. Friedlich schlief er im Sessel,
das Buch lag noch offen auf seiner Schoss. Er hatte seinen Umhang abgelegt, der
nun schön zusammengelegt auf ihrem Nachttisch lag. Nala konnte nicht
widerstehen, sondern musste einfach daran riechen. Dieser Geruch kam ihr so
wohlbekannt vor, dass sie ein warmes Gefühl im Magen verspürte. Vorsichtig
stellte sie sich auf ihre Beine und versuchte ein paar Schritte zu gehen.
Erleichtert merkte sie, dass das schon prima funktionierte. Leise schlich sie
an ihm vorbei, hinüber zum Schrank, wo sie eine Decke herausholte. Achtsam
deckte sie Severus mit der Decke zu und legte sich danach selbst noch einmal
ins Bett, um ein wenig zu schlafen.
Das nächste Mal war es Severus, der die Augen öffnete, als die ersten Sonnenstrahlen
ins Zimmer schienen. Verwundert sah er sich um und fand sich, sorgfältig in
eine Decke eingebettet, in Nalas Zimmer vor. Sein erster Gedanke war:
"Verdammt, ich bin eingeschlafen", doch dieser verrauchte schnell,
als er Nala erblickte, deren friedliches Gesicht von den Sonnenstrahlen berührt
wurde. Es sah aus, wie wenn sie direkt vom Himmel hierher geschickt worden
wäre. Severus hoffte, dass sie sich bald an etwas erinnern würde, und wünschte,
dass es nicht ihr Streit sein würde, an das sie sich zuerst entsinnte.
Geräuschlos stand er auf, um zu gehen, aber vor ihrem Bett musste er einfach
stehen bleiben und ihr über die Haare streicheln. Er zog seine Hand aber gleich
wieder zurück. Durch seine Präsenz geweckt, sahen ihr seine schwarzen Augen geradewegs
in die Seele.
"Das Buch war wohl nicht all zu spannend, hmm?" flüsterte sie und ein
wundervolles Lächeln erhellte ihr Gesicht.
"Offensichtlich nicht. Tut mir leid, wenn ich deinen Schlaf irgendwie
gestört habe, Nala", murmelte er.
"Nein, das ist total in Ordnung. Ist schon gut. Aber du hast bestimmt
nicht all zu bequem geschlafen in diesem Sessel."
"Ich bin ans Schlafen ausserhalb meines Bettes inzwischen gewöhnt. Wie
geht es dir heute Morgen?" fragte er interessiert.
"Sehr gut. Ich glaube, ich habe mich auch schon wieder an einige Dinge
erinnert." Nala strahlte geradezu.
"So? Lass hören." Dass Nala so fröhlich war, konnte nur ein gutes
Zeichen sein, dachte er.
"Nun ja, ähm...", druckste Nala herum, "Ich glaube, als erstes
erinnerte ich mich daran, dass du dich geschnitten hast und ich dich verarztet
habe. Anfangs dachte ich, ich hätte das nur geträumt. Weiter weiss ich auch
wieder, wie dieses Löwen-Dings ausgesehen hat und wie ich gefallen bin."
Severus atmete tief durch, bevor er antwortete: "Siehst du, das wird schon
wieder. Und auf den Beinen bist du auch schon wieder ganz gut, wenn du mir eine
Decke hast bringen können. Das war lieb von dir, danke."
"War doch klar." Jetzt fühlte es Nala ganz deutlich, wie es zwischen
ihnen knisterte. Was auch immer in diesen Wochen passiert war, sie wusste, dass
sie jetzt mächtig von ihm angezogen wurde, doch sie versuchte cool zu bleiben.
Dann fiel ihr aber doch noch etwas ein, was sie ihm sagen wollte.
"Severus, ich... also ähm... ich weiss nicht recht, wie man sich in einer
solchen Situation verhält, aber... danke, dass du mich gerettet hast." Sie
wusste nicht recht, wie man sich bedankte, wenn einem das Leben gerettet wurde,
deshalb sagte sie nicht mehr.
"Schon gut. Was hätte ich sonst tun sollen?...", sagte Severus mit
einem Unterton, den Nala nicht erklären konnte.
Severus wusste so gut wie Nala, dass er ihr "Schlüssel" war, aber
keiner von beiden hatte dieses Thema zur Sprache gebracht. Trotzdem gingen sie
zusammen frühstücken.
Während Severus den Unterricht wieder aufnahm, trollte Nala im Schloss herum
und fand an der einen oder anderen Ecke eine Erinnerung wieder. Schliesslich
leistete sie Poppy etwas Gesellschaft im Krankenflügel und machte ein paar
Spiele mit den kranken Kindern. Jane war immer noch dort und zeigte Nala das
Spiel "Snape explodiert", doch Nala machte es nicht so viel Spass,
sie verlor immer. Woran das wohl lag?...
Snape schaute am Abend noch kurz nach ihr und am nächsten Tag besuchte er mit
ihr zusammen die Ställe. Es war schön und Nala genoss es. Leider durfte sie
noch nicht auf Orion reiten, aber er freute sich trotzdem über ihren Besuch.
Die ganze Zeit über war Severus still. Er sprach zwar mit ihr, aber es war
meistens Nala, die das Gespräch antrieb. Nala wurde aus ihm nicht schlau, denn
sie spürte, da war etwas, doch sie wusste unglücklicherweise nicht mehr, was es
war, und er wollte es ihr offensichtlich nicht sagen. Natürlich, er war überaus
freundlich und zuvorkommend zu ihr, aber Remus behandelte sie genauso. Auch er
war häufig bei ihr, seit sie wieder wach war. Und doch war es irgendwie anders,
da musste etwas mehr sein als "nur" Freundschaft, Severus gab jedoch
nicht das geringste Zeichen dafür, dass er sie auch mehr als nur gerne hatte.
Es war nur so ein Gefühl im Bauch.
Während dem Essen an diesem Abend war es aber Nala, die sich mit dem Sprechen
einschränkte. Kaum waren die Dessertplatten verschwunden, ging sie. Als Severus
am Abend noch einmal nach ihr sehen wollte und an die Tür klopfte, kam keine
Antwort. Nach kurzem Zögern entschloss er sich, trotzdem hineinzugehen, doch
die Wohnung war dunkel und er konnte niemanden sehen.
