- KAPITEL
ACHTUNDZWANZIG -
Flieg!
Nala hatte kaum eine paar Sekunden so dagelegen, da legte sich eine Hand auf
ihre Schulter und sie blickte auf. Verschwommen erkannte sie Miromir. Er nahm
ihren Kopf zwischen beide Hände und küsste sie auf die Stirn.
Da geschah es. Während wenigen Sekunden strömte das Bewusstsein eines ganzen
Elfenvolkes auf Nala ein. Ihre Geschichte des Elfenvolkes, ihre eigene
Herkunft, die ganze Macht, die eine Elfe besass ging auf sie ein. Tausende von
Eindrücken und Gedanken schwirrten in Nalas Kopf, was ihr grosse Kopfschmerzen
bereitete.
Bevor Nala wusste, was eigentlich geschah, ergriff Miromir ihre Hand und legte
ihre andere Hand auf Severus' Brust.
"Denk jetzt nicht nach", sagte er. "Versuch es noch einmal, es
besteht noch eine kleine Hoffnung. Eine sehr kleine jedoch."
Auch er legte seine rechte Hand auf Severus' Brust und schloss die Augen. Nala
tat es ihm gleich und war wieder von Severus' Blut umgeben. Doch dieses Mal war
sie stark und Miromir gab ihr noch mehr Kraft. Das rote Blut verschwand ganz
langsam. Es wurde von einem grellen, weissen Licht verdrängt. Je mehr von dem
Licht da war, desto stärker wurden ihre Kopfschmerzen und sie glaubte, ihr Kopf
würde gleich platzen. Eine Weile hielt sie es noch aus, ohne eine Ahnung zu
haben, was sie eigentlich gerade tat oder wo sie war. Da war nur noch dieses
weisse Licht, doch es wurde nicht mehr heller. Seine Intensität blieb nun so,
wie sie war, aber es schien, als würde das Licht nun zu einem immer kleineren
Punkt, der langsam in die Dunkelheit hinaus flog und dann war plötzlich alles
schwarz. Nala verlor ihr Bewusstsein.
**
Als Nala erwachte, wusste sie zuerst nicht, wo sie war. Sie
war in einem halbdunklen Zimmer, die Sonne würde gleich aufgehen und sie lag in
einem grossen, behaglichen Bett. Sie blinzelte vorsichtig um sich und erkannte,
dass sie in ihrem Zimmer war. In Hogwarts. Was war denn nur geschehen? Langsam
kehrten die Erinnerungen an die letzten Ereignisse zurück. Dann wurde ihr
bewusst, was mit Severus geschehen war und sie begann zu schluchzen und viele
Tränen strömten über ihr Gesicht. Wie konnte es sein, dass er tot war? Warum
hatte er sie einfach verlassen? Sie konnte das einfach nicht fassen. Immerzu
hatte sie dieses Bild im Kopf, als sie ihren Kopf auf seine Brust gelegt hatte
und hörte, wie sein Herz immer langsamer schlug. Hätte sie ihm doch nur helfen
können.
Wie lange war sie eigentlich schon hier? Sie erinnerte sich noch an etwas
anderes... Konnte das denn wirklich sein? Konnte es sein, dass sie eine Elfe
war?...
Und sie hatte viel geträumt. Ein Traum war ihr aber besonders präsent. Severus
hatte an ihrem Bett gesessen, ihre Hand gehalten und über ihr Gesicht
gestreichelt. Noch mehr Tränen weinte sie jetzt.
Sie strengte sich an und erinnerte sich an die letzten Sekunden, bevor alles
dunkel geworden war. "Severus ist ins Licht gegangen", drang es in
ihren Kopf. Sie hatte es nicht geschafft ihn zu retten.
Ein unerträglicher Schmerz durchbohrte ihr Herz. "Warum nur?!" schrie
es in ihr. Ihre Augen waren so verschleiert von den vielen Tränen und sie
schaffte es kaum sich zu bewegen, aber sie wollte aufstehen. Hinaus an die
Luft. Sie wollte den Himmel sehen.
Auf wackeligen Beinen ging sie in ihr Wohnzimmer und erblickte Merlin, der auf
dem Sofa noch schlummerte. Sie setzte sich neben ihn, hob ihn dann hoch und
drückte ihn an sich. Eine Weile weinte sie in sein schwarzes Fell. Schliesslich
machte sie ihm sein Frühstück, aber bevor sie ihn fressen liess, gab sie ihm
noch einen Kuss auf seinen weissen Fleck.
Dann ging sie hinaus und während sie durch ihre Tür ging, legte sie einen
Zauber auf sich, damit sie unsichtbar wurde.
Ganz allein ging sie durch die Gänge von Hogwarts. Niemand hätte sie sehen
können und niemand hätte ihre stillen Tränen gehört. Der Boden war eiskalt
unter ihren nackten Füssen, aber es war ihr egal. Sie ging ihren Weg zum
Astronomieturm.
Als sie endlich oben war, machte sie sich wieder sichtbar, lehnte sich an die
Burgzinnen und schaute hinunter zum Wald.
"Dort", dachte sie, "dort hat er mich verlassen!"
Graue Wolken hingen am Himmel, aber von der aufgehenden Sonne wurden sie leicht
orange gefärbt. Sie konnte die Strahlen der Sonne in den Wolken sehen. Immer
noch war alles verschleiert. Ihre Tränen wollten nicht stoppen. Eine kleine,
weisse Feder flog plötzlich an ihrer Nase vorbei und Nala sah ihr nach.
"Flieg, kleine Feder, flieg zu ihm."
Fliegen! Jetzt kannst du wieder fliegen, Severus
Du wirst Frieden finden, aber behalte die Erinnerung,
bis wir uns wieder sehen
Deine Seele ist frei, finde das Licht
Du bist auf deinem Weg, warte nicht auf mich
Aber ich werde dich nicht vergessen
Flieg, wohin die Engel singen
Flieg, warte nicht auf mich...
"Nein! Warte!" flüsterte Nala in den Himmel. "Ich will nicht
ohne dich sein. Ich werde kommen."
Es war, als wäre ihre Lunge mit Steinen gefüllt. Ihr war das Atmen noch nie
schwerer gefallen und sie wurde immer wieder von diesen Schluchzern
geschüttelt.
Langsam stieg sie auf eine der Burgzinnen. "Ich habe dich immer geliebt,
Severus. Ich werde es immer tun." Sie sah nicht hinunter, sondern nur
hinauf in die Wolken. Sie schaute der kleinen Feder nach. Sie wollte einen
Schritt nach vorne machen, aber...
...jemand hielt sie an den Knöcheln fest. Sie wurde hinuntergezerrt und landete
in zwei starken Armen. Es waren nicht die von Severus, sondern es war Remus,
der sie gerade umklammerte.
"Zum Glück habe ich eine "Karte des Rumtreibers", sonst hätte
ich dich nicht rechtzeitig gefunden", sagte Remus sanft. "Ich kann
nicht glauben, dass du das tun wolltest!"
"Nein, lass mich gehen, Wolfsfreund. Ich will nicht mehr!" Ihre
Stimme klang schwach und traurig.
"Nala komm zu dir! Das glaube ich dir nicht! Natürlich willst du noch!
Jetzt doch mehr denn je!"
Nala stemmte sich von ihm weg und sah in verwirrt an. "Spinnst du? Severus
ist weg! Ich will nicht ohne ihn sein!" Erneut kamen Tränen in ihr hoch.
"Nala! Hör mir doch zu! Severus ist nicht weg! Du hast ihn doch
gerettet!"
Jetzt musste Remus sie heftig durchschütteln, aber sie starrte ihn einfach nur
fassungslos an. Warum sagte Remus das? Wie war es möglich? Nach langem
Schweigen meinte sie: "Du sollst mich nicht anlügen! Das kann nicht
sein... Wo ist er?"
"Nala, bitte! Es ist wahr. Ich nehme an, er schläft noch." Remus
hatte noch nicht einmal sein letztes Wort zu Ende gesprochen, da war Nala schon
losgerannt.
Sie lief so schnell sie ihre Beine trugen, hinunter zu den Kerkern. Sie stürmte
in Severus' Räume und weiter in sein Schlafzimmer. Wie vom Blitz getroffen,
blieb sie stehen. Sein Zimmer war dunkel, aber sein Bett war leer. Jetzt fühlte
sie zum ersten Mal, seit sie heute erwacht war, Kälte in sich und um sie herum.
Sie hatte kalt am ganzen Körper und begann zu zittern.
Ihr wurde schlecht, aber es war nicht die Art von Übelkeit, die von einem
abliess, sobald man sich übergeben hatte. Diese Übelkeit lag noch viel tiefer.
Sie hätte jetzt nicht einmal mehr springen können, ein Leben ohne ihn wollte
sie sich aber auch nicht vorstellen.
Ohne zu wissen, was sie hier überhaupt noch machte, ging sie zu seinem Schank
um einen Umhang zu holen, weil ihr so kalt war. Als sie daran roch, lief ihr
ein Schauer über den Rücken. Er roch nach ihm. Alles hier roch nach ihm.
Sie zog den Umhang an, aber es half ihr nicht wirklich. Langsam ging sie zu
seinem Bett und setzte sich hin. Tränen tropften auf sein Kissen und sie erkannte
den Abdruck seines Kopfes darin. Sie stutzte plötzlich, weil sie merkte, dass
sein Bett noch warm war.
Sie schüttelte sich innerlich zurecht. Was sass sie hier herum, wenn sie doch
genau wusste, dass er irgendwo hier sein musste? Remus würde sie doch nicht
belügen. Also musste sie ihn suchen. Eine Welle der Hoffnung kam wieder in ihr
auf. "Vielleicht ist er zu mir gegangen?" hoffte sie. Erst jetzt kam
ihr der Ring in den Sinn, den sie am Finger trug. Er leuchtete schwach und Nala
versuchte dem Leuchten zu Folgen, so dass es stärker wurde.
Ohne sich um Schuhe oder Kleidung zu kümmern führte sie ihre Suche zum See.
"Warte!" schrie sie und Severus blieb am anderen Ende das Sees
stehen.
*
Severus war aufgewacht und hatte seinen Kopf voller
Gedanken. Er erinnerte sich gut an die letzte Nacht. Er hatte gedacht, er würde
sterben und war jetzt doch noch hier. Das sollte ihn glücklich machen und
eigentlich war er ja auch froh, aber weshalb fühlte er sich dann so seltsam?
Nala hatte ihn gerettet. Eigentlich hatte er nicht mehr auf eine Rettung
gehofft, doch sie hatte es wider jeder Erwartung geschafft. Ihm war klar, dass
sie ihm dieses Mal wirklich das Leben gerettet hatte und nur sie konnte so
etwas. Es war nicht wie bei seinem Unfall beim Quidditch. Da hätte Poppy schon
noch helfen können, aber letzte Nacht... Er verfluchte diese Nacht und seinen
Bruder. "Es hätte niemals so weit kommen dürfen", sagte er sich. Aber
sein Bruder war jetzt tot. Severus konnte nicht sagen, dass sein Bruder den Tod
verdient hätte. Wäre es so, stände ihm das gleiche zu. Er hatte seinen Bruder
schon lange gehasst, aber den Tod hätte er ihm nie an den Hals gewünscht. Sie
existierte wohl doch, diese Hassliebe, an die er eigentlich nie recht hatte
glauben wollen.
Er wusste gar nicht, wie er sich jetzt fühlen sollte. Da war dieses Gefühl von
Glück in ihm, weil er noch bei Nala war, aber da war auch dieser Schock, die
Wut und die Trauer. Trauer war ein Gefühl, dass er schon seit langem aus sich
verbannt gehabt hatte, aber jetzt war es wieder da und alles verwirrte ihn.
Er beschloss einen Spaziergang zum See zu machen, das würde ihm helfen seine
Gedanken zu ordnen.
Es war noch so früh am Morgen, dass er in Ruhe ein wenig zum See spazieren
konnte. Er glaubte, dass um diese Zeit noch niemand wach sein würde. Die Sonne
war gerade erst aufgegangen.
Er hatte gerade die Hälfte des Sees umrundet, als jemand rief. Er blickte auf
und sah Nala am anderen Ufer. Sie kam auf ihn zu, aber nicht so, wie er es
eigentlich erwartet hätte. Sie legte einen Zauber auf sich und ging geradewegs
übers Wasser. Sie rannte nicht, nein sie ging einfach in normalem Tempo über
den See. Sie beherrschte ihre Zauberkunst tatsächlich schon sehr gut. Da kam
doch wirklich eine Elfe über den See auf ihn zu. Hinter sich liess sie eine
silberne Spur, die durch die leichten Wellen wieder verschwand nach einer
Weile. Bei dem Anblick blieb ihm einfach die Sprache weg. Es war wie in einem
Traum, aber je näher er kam, desto mehr erkannte er, dass nichts in Ordnung
war. Nala hatte ihr Nachthemd an und ihre Füsse waren nackt. Dazu trug sie
einen schwarzen Umhang... Das war doch alles äusserst merkwürdig. Dann erkannte
er, dass es sein Umhang war und das riss in wieder aus seinen Gedanken.
"Los geh ihr entgegen! Du kannst das doch auch!" sagte die kleine
Stimme in ihm.
Er belegte sich mit dem selben Bann und ging ihr vorsichtig entgegen.
Mitten auf dem See trafen sie sich und fielen sich in die Arme. Nala konnte gar
nicht mehr aufhören zu weinen. Dann begann sie mit den Fäusten auf seine Brust
zu trommeln.
"Wie konntest du nur?!" schluchzte sie. "Ich dachte, du wärst
tot! Du wolltest mich verlassen! Wie konntest du nur?! Und wäre Remus nicht
gekommen..."
Severus zog sie fester in seine Arme. Er wusste, dass es für sie ein grosser
Schock war, aber so ganz konnte er nicht verstehen, was sie da sagte.
Severus konnte aber so viel verstehen, dass sie wütend auf ihn war, weil er sie
um ein Haar einfach so verlassen hätte. Beide wussten aber, dass er aus Liebe
gehandelt hatte.
Nala war wirklich wütend auf ihn, aber nicht so wie sie jemals sonst wütend auf
ihn gewesen war. Es war eine andere Wut. Sie wusste genau, weshalb er von ihr
gegangen wäre, aber es machte sie trotzdem so zornig, dass er sie so traurig
machen wollte. Klar, wollte er sie nur retten und hätte er es nicht getan, wäre
er allein zurück geblieben. Ihr war auch klar, dass sie an seiner Stelle
genauso gehandelt hätte. Sie wusste schon vorher, dass sie beide dazu im Stande
wären. Schliesslich hatte sie es ihm auf dem Balkon bei sich zu Hause gesagt,
dass sie für ihn sterben würde. Aber sie war auch wütend auf ihn, weil er nicht
bei ihr war, als sie aufwachte und weil sie sich um ein Haar das Leben genommen
hätte. Das alles machte ihr Angst. Angst vor ihm, Angst vor sich selbst. Natürlich
hatte er nicht gewusst, dass sie aufgewacht war und dass sie springen wollte,
aber sie war ihm böse. Gleichzeitig liebte sie ihn mehr denn je.
Sie fühlte sich so anders. Sie war nicht sie selbst. Da waren so viele Gefühle
in ihr, dass sie einfach nur froh war, wenn sie jemand festhielt. Umso froher
war sie, dass es Severus war, der sie in seinen Armen hielt, trotzdem half es
ihr nicht, dass sie sich besser fühlte. Sie war alles zusammen: verwirrt,
schockiert, erleichtert, zornig, ängstlich, traurig, verunsichert, kalt. Sie
wusste nicht mehr recht, wer sie war oder was sie hier eigentlich tat, aber an
ihrer Liebe zu Severus würde sie nie mehr zweifeln.
Lange standen sie "auf" auf dem See und hielten sich einfach nur
fest. Es schien, als gäbe es keine Worte mehr. Was hätte Severus auch sagen
sollen? Es gab nichts, wofür er sich im Moment hätte entschuldigen wollen und
er wusste nicht, was er Nala sagen konnte. Sie wusste doch bereits alles. Er
hatte sie gerettet und wäre bereit gewesen zu sterben. Durch grosses Glück
konnte sie ihn schliesslich retten und jetzt sollte doch eigentlich alles gut
sein. Doch Severus hatte Verständnis für Nalas Verzweiflung. Auch er hatte
nicht das Gefühl, dass alles gut war.
Er liess sie weinen und schreien und wiegte sie in seiner Umarmung. Irgendwann
wurden ihre Schluchzer weniger und sie war verstummt. Nur noch stille Tränen
kullerten über ihre Wangen.
Sie sah zu ihm auf und meinte: "Warum musst du ein Held sein?"
Severus antwortete nichts. Er blickte ihr tief in die Augen und Nala verspürte
plötzlich diese bekannte innere Ruhe, doch nur für einen ganz kurzen Moment. Er
legte eine Hand auf ihre Wange und wischte mit dem Daumen die Tränen weg.
"Es tut mir leid", flüsterte Nala.
Endlich beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie zärtlich.
Sie wollte gerade wieder ihren Kopf in seiner Brust vergraben, da hielt er
ihren Kopf in beiden Händen.
"Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast." Severus machte eine
Pause um nach Worten zu suchen. "Danke, dass du mich liebst und bitte vergib
mir, ich kann nicht aufhören dich zu lieben."
Jetzt flog ein winzig kleines Lächeln über Nalas Lippen. "Das sollst du
doch auch nicht. Ich danke dir, dass du noch da bist."
Sie küssten sich noch einmal, dann nahm Severus sie bei der Hand und führte sie
zum Ufer. Aber er merkte, wie blockiert sie war. Sie hatte ihn zwar geküsst,
doch so hatte es sich noch nie vorher angefühlt. Es war, als hätte sie Angst,
als würde sie es nicht wirklich wollen. Sie war kalt.
Da gab es Dinge, die sie ihm noch nicht gesagt hatte und er wollte das jetzt
hören. Deshalb setzte er sich mit ihr auf die nächste Bank und schaute sie
fragend an.
"Warum hast du meinen Umhang an und noch dein Nachthemd?"
Nala blickte betrübt zu Boden, dann sagte sie leise: "Als ich aufgewacht
bin, glaubte ich, dass du gestorben bist. Ich bin in deine Wohnung,
weil..." Sie machte eine kurze Pause, damit sie anders weiterfahren
konnte. "Mir wurde kalt und ich habe deinen Umhang angezogen, dann bin ich
hier hinaus gekommen."
"Es tut mir leid. Wir haben nicht damit gerechnet, dass du nicht wissen
wirst, dass du mich gerettet hast. Offensichtlich bist du ein wenig zu früh
bewusstlos geworden letzte Nacht."
"Offensichtlich", sagte Nala nur.
"Es tut mir leid. Ich war doch gestern nicht wirklich bei mir. Ich wollte
nur noch schlafen und heute Morgen... ich weiss nicht, ich musste einfach
spazieren gehen. Einfach an die frische Luft." Er machte eine kurze Pause,
dann fragte er vorsichtig weiter: "Weißt du, dass du eine Elfe bist?"
"Ja. Ich bin aber immer noch eine Hexe, oder?"
"Ja, das bist du. Dumbledore will mit dir sprechen. Er kennt sich da
besser aus, er wird dir Genaueres sagen."
"Hmm", hauchte sie.
Nach einer Weile wollte Severus noch etwas wissen.
"Was hast du damit gemeint, als du sagtest 'Wäre Remus nicht
gekommen...'?"
Sie sah ihm kurz traurig in die Augen, dann starrte sie wieder auf den Boden.
"Na gut, ich werde es dir sagen, du wirst es sowieso erfahren",
sprach sie noch leiser. "Nachdem ich aufgewacht bin heute Morgen bin ich
hinauf auf den Astronomieturm um zu springen. Remus hat mich im letzten Moment
gefunden, bevor es zu spät gewesen wäre."
Sie stand auf und wollte gehen, drehte sich aber noch einmal um.
"Verzeih!" sagte sie niedergeschlagen und liess dann einen
schockierten Severus hinter sich.
Nachdenklich blieb Severus sitzen und ging ihr nicht nach. Jetzt erst verstand
Severus, wie sich Nala fühlen musste und er fühlte sich selbst auch schlecht
deswegen. Er ärgerte sich, dass er nicht bei ihr war, als sie aufgewacht war.
Es hätte ihr und ihm so viel Kummer erspart. Kein Wunder war sie so seltsam.
Sie hätte sich fast getötet, weil sie dachte er wäre tot. Wie sehr sie lieben
ihn musste, wenn sie so weit gegangen wäre. Und sie musste sich ziemlich
hintergangen gefühlt haben, als sie herausgefunden hatte, dass er noch lebte.
Endlich war ihm klar, was in ihr vorgehen musste, aber es war eines dieser
seltenen Gefühle, die man einfach nicht recht greifen oder benennen konnte.
Nala brauchte jetzt Zeit für sich, damit sie das alles verarbeiten konnte.
Vorerst musste sie einfach allein sein und den Schock überwinden, den sie jetzt
noch hatte und er würde sie in Ruhe lassen, aber er würde trotzdem auf sie
aufpassen. Das schwor er sich.
Auch er selbst brauchte zuerst etwas Zeit für sich um das alles zu verstehen,
aber er war sich sicher, dass sie bald wieder füreinander da sein konnten.
Severus atmete tief durch, als er sich erhob, denn er hatte noch eine andere
Aufgabe zu tun. Heute noch würde er zu seiner Schwägerin gehen und ihr erzählen
müssen, weshalb Salem tot war. Elena wusste zwar schon, was für ein Schwein
Salem eigentlich war, aber sie würden ihn trotzdem gemeinsam beerdigen und sie
waren beide traurig, das es so enden musste.
*
Nala war unter der Dusche gewesen und hatte sich angezogen.
Gerade als sie auf dem Weg zu Dumbledore war, lief ihr Remus über den Weg.
"Wie geht es dir, Nala?" wollte er wissen.
"Ich weiss es nicht recht, aber ich danke dir, dass du mich nicht hast
springen lassen. Ich will nicht mehr daran denken, was passiert wäre, wenn du
nicht gekommen wärst." Nala hatte sich wieder etwas gefangen. Wenigstens
war sie jetzt nicht mehr so aufgelöst, sondern dachte jetzt wieder ein bisschen
klarer.
"Ich möchte auch nicht daran denken. Bist du auf dem Weg zu Albus?"
"Ja."
"Darf ich dich begleiten?"
"Ja, ich glaube, das wäre mir sogar sehr recht."
Remus nahm sie am Arm und ging mit ihr zu Dumbledores Büro. Dort machten es
sich die beiden auf dem Sofa vor dem Kamin bequem.
Albus nahm in einem Sessel Platz und musterte Nala besorgt.
"Wie fühlst du dich?"
"Ein wenig besser."
"Sicher?"
"Ich werde nie mehr versuchen mich zu töten, wenn du das meinst",
sagte Nala ernst.
"Versprochen?" fragte Albus erleichtert.
"Versprochen."
Mit einem Schmunzeln zauberte Dumbledore ein Frühstück herbei.
"Klasse!" rief Nala.
Auch die anderen liessen es sich schmecken und erzählten abwechslungsweise, was
eigentlich alles geschehen war.
Sie hatten gegen die Todesser erfolgreich gekämpft. Sieben Todesser waren
getötet worden, fünf sind nach Azkaban geschickt worden und Salem ist von Nala
getötet worden. Der Auror, der verletzt wurde hatte sich noch nicht ganz
erholt, war aber auf dem Weg der Besserung.
Nala erfuhr, dass ihre Urgrossmutter die Tochter einer Hexe und einem Elf war.
Weil ihr Vater eine Elfe gewesen war, war es auch so schwierig irgendwelche
Informationen über sie zu finden. Niemand hatte gewusst, dass ihr Vater eine
Elfe war, bis Miromir es Dumbledore erzählt hatte. Das machte auch Nala in
gewissen Masse zu einer Elfe. Sie war lange eine "schlafende Elfe"
und ist deshalb nicht entdeckt worden. Erst später begann ihre Magie zu
wachsen, ausgelöst durch schlimme Angstzustände. Durch den Kuss hatte Miromir
in ihr ihre ganze Macht geweckt und ihr das ganze Wissen der Elfen
weitergegeben.
"Aber, Albus, was bin ich denn nun? Eine Hexe oder eine Elfe?"
unterbrach Nala. "Und meine Eltern sind Muggel. Wie soll das alles gehen?
Und ich sehe, doch auch nicht aus, wie eine Elfe!"
"Nun, deine Eltern sind Menschen, das kann man nicht leugnen, aber deine
Urgrossmutter war halb Hexe und halb Elfe. Auch du bist nun so zu sagen eine
Halbelfe, aber in den Augen der Elfen wirst du wahrscheinlich nicht so
angesehen. Für sie bist du praktisch genauso eine Elfe wie jede normale Elfe.
Natürlich gibt es Ausnahmen, aber bei den meisten zählen die inneren Werte, wie
man so schön sagt, somit giltst du für sie als Elfe. Deine Urgrossmutter muss
sehr mächtig gewesen sein und offensichtlich hast du alles von deiner
Urgrossmutter geerbt, deswegen besitzt du die Magie der Hexen und Zauberer und
die Magie der Elfen. Du bist eigentlich ein Glückspilz in dieser
Beziehung."
Nala spürte, welche Macht sie besass und dass sie nun den erwachsenen Zauberern
und Hexen in nichts mehr nachstand. Diese Tatsache machte sie glücklich und
erfüllte sie mit Stolz.
"Ausserdem, wenn ich mir deine Ohren recht betrachte, kann ich schon eine
gewisse Ecke dort oben feststellen und auch deine Haut ist fast
aussergewöhnlich hell", schmunzelte Remus.
"Schon gut." Sie rollte mit den Augen, schenkte Remus aber ein kleines
Lächeln.
Dumbledore fuhr fort und erklärte, was geschehen war, nachdem Miromir
dazugekommen war. Nachdem er Nala den Kuss gegeben hatte, konnte sie mit
Miromirs Hilfe Severus retten. Severus war wieder zu sich gekommen und war
sogar schon wieder so fit gewesen von dieser regelrechten Wunderheilung, dass
er mit der Hilfe von Dumbledore und Miromir zum Schloss zurückhumpeln konnte.
Die völlig entkräftete Nala war von Remus in ihr Bett gebracht worden und auch
Severus schlief erschöpft ein, als er endlich in seinem Bett lag. Miromir hatte
seine kleine Schwester bei Poppy gleich abgeholt und sie mit nach Hause
genommen.
"Was habt ihr mit Salem gemacht?" fragte Nala vorsichtig und
Dumbledore erkannte ihren schuldigen Blick richtig.
"Die Auroren haben ihn mitgenommen wie alle anderen Todesser. Er wird
heute zu seiner Frau gebracht für die Beerdigung."
"Oh", brachte Nala nur heraus.
"Hör mir zu, Nala. Salem hat ganz genau gewusst, worauf er sich einlässt,
wenn er ein Todesser ist. Du musstest gegen ihn kämpfen. Übrigens habe ich noch
gestern Abend mit Severus gesprochen und er hat mir erzählt, wie er euch
angegriffen hat und du dich gewehrt hast. Es ist nicht deine Schuld, er hat es
selbst so gewählt."
"Trotzdem war er Severus' Bruder..."
"Ja, der Bruder, der ihn töten wollte!"
"Da hast du recht." Nala sah ein, dass sie sich nichts vorzuwerfen
hatte, aber sie hoffte gleichzeitig, dass Severus es auch nicht tat und dass er
die Dinge so sehen würde wie Albus.
"Jetzt hast du aber einiges zu tun, Nala" meinte Dumbledore.
"Zuerst will dich Poppy sehen, dann solltest du dich bei deinen Eltern
melden, ich habe Ihnen gestern Abend aber noch geschrieben und Ihnen kurz das
Wichtigste erklärt. Severus hatte mich darum gebeten. Er hätte es selbst getan,
aber er war zu fertig. Und Miromir erwartet dich heute Abend. Übrigens
interessiert es mich sehr, was deine Animagus-Gestalt ist."
"Das wirst du schon noch erfahren" gab Nala zurück. Sie wusste es
irgendwie schon, aber sie war sich noch nicht ganz sicher und wollte deshalb lieber
noch nicht darüber sprechen. Allerdings bemerkte sie das seltsam Zwinkern, das
Albus Remus zuschickte.
"Ich denke, du weißt schon, wie du dich verwandeln musst, trotzdem ist es
mir lieber, wenn Minerva bei deiner ersten Verwandlung dabei ist, nur für alle
Fälle."
"In Ordnung. Ich werde sie fragen, ob sie heute Nachmittag Zeit hat.
Vielen Dank. Also, dann werde ich jetzt mal zu Poppy gehen",
verabschiedete sie sich.
