***
Gilora Macet schlenderte über das Promenadendeck. Die meisten Ladenflächen waren
bereits vergeben und überall waren die Inhaber dabei, ihre Etablissements
herzurichten. Nur wenige hatten bereits geöffnet, wie der Replimat und ‚Tula's
Restaurant und Bar'. Direkt gegenüber entstand ein Komplex aus mehreren
Holosuiten, die einem flaxianischen Ehepaar gehörten. Außerdem gab es noch
einige kleinere Läden: eine Parfümerie, eine Schneiderei, einen Frisör...und
einige Läden, bei denen sich noch nicht erkennen ließ, was sie einmal anbieten
würden.
Gilora blieb an einer Ecke stehen und beobachtete das Treiben auf dem
Promenadendeck. In wenigen Minuten sollte der Eröffnungsempfang beginnen. Hier
war davon allerdings nicht viel zu merken, was auch kein Wunder war. Schließlich
waren nur geladenen Gäste und Besatzungsmitglieder zugelassen. Allerdings würde
Gul Basra im Anschluss eine kurze Ansprache auf dem Promenadendeck halten,
danach würde es hier vermutlich etwas lustiger zugehen.
Der Grund, warum Gilora Macet sich allein zur Promenade aufgemacht hatte war,
dass die Begegnung mit Glinn L'hrel am Mittag ihr nicht aus dem Kopf ging. Sie
war sich beinah sicher, dass Sie die junge Ingenieurin kannte - allerdings unter
einem anderen Namen. Natima L'hrel erinnerte Gilora an eine junge Frau, mit der
sie vor über neun Jahren zusammengearbeitet hatte. Antia L'hrel war eine
talentierte Computerspezialistin beim Obsidian Order gewesen. Allerdings hatte
sie sie seit neun Jahren nicht mehr gesehen, und das war eine lange Zeit. Vor
allem, wenn man in Betracht zog, dass sie beide damals noch nicht einmal zwanzig
Jahre alt gewesen waren, und sowohl sie, als auch ihre Freundin, sich in der
Zwischenzeit sicher sehr stark verändert hatten.
Geschweige denn, dass Gilora sicher sein konnte, dass Antia L'hrel der wahre
Name ihrer Freundin gewesen war. Decknamen waren im Orden sehr verbreitet, und
Antia war damals schon eine Weile beim Orden gewesen - trotz ihres jungen
Alters.
Gilora schüttelte den Kopf. Glinn L'hrel hatte sich vollkommen anders verhalten,
als eine Agentin des Ordens das getan hätte. Trotzdem erschien ihr die junge
Frau vertraut. Gilora atmete hörbar aus und sah sich um. Es gab nur eine
Möglichkeit, wie sie etwas über L'hrel in Erfahrung bringen konnte. Sie musste
sich die Personaldatei der jungen Ingenieurin ansehen und nach Parallelen zu
ihrer Bekannten suchen.
Gilora sah sich um. Computerterminals gab es überall, es war nur wichtig, eins
zu finden, das nicht von überall einsehbar war. Sie ging ein paar Schritte
weiter und tatsächlich entdeckte sie eines, das ihren Zwecken dienen würde.
Mit geübten Griff aktivierte sie die Besatzungsliste. Diese war für jeden
zugänglich. Aber um an die Personaldateien zu kommen musste man ein Passwort
eingeben - was für jemanden der eine Ausbildung beim Obsidian Order genossen
hatte keine Hürde darstellte. Einen Augenblick später erschien Natimas Datei auf
dem Bildschirm. Gilora überflog die Daten. Natima war 25 Jahre alt, auf
Cardassia Prime geboren und aufgewachsen. Das Alter kam in etwa hin, aber das
hatte sie auch schon vorher gewusst.
Interessiert las Gilora die Informationen über die junge Ingenieurin. Natima war
hochbegabt, es waren mehrere staatliche Förderungsprogramme verzeichnet, an
denen sie teilgenommen hatte. Nach ihrem Schulabschluss hatte sie
Ingenieurswesen studiert und kurz vor dem Angriff des Dominions ihren Abschluss
gemacht. Das passte natürlich nicht zu Antia, allerdings konnte es sich genauso
gut um einen falschen Lebenslauf handeln, der Antia als Tarnung diente, falls es
sich bei Glinn L'hrel überhaupt um ihre Freundin handelte.
Dann war da noch eine leichte Gehbehinderung vermerkt. Laut der Datei war Natima
beim Angriff des Dominions verletzt worden und die Verletzungen an den Beinen
waren nicht vollständig verheilt. Somit war ihr Bewegungsradius eingeschränkt.
Aber auch das half Gilora nicht weiter. Sie versuchte weiter zu scrollen, denn
wirklich aufschlußreich würden nur die familiären Daten sein. Doch offenbar gab
es keine weiteren Informationen zum familiären Hintergrund in Natima L'hrels
Akte, die Datei war bereits vollständig angezeigt. Es waren auch keine Hinweise
auf gesperrte Informationen enthalten. Gilora fluchte. Das war typisch für das
Militär. Diese Leute hatten keine Ahnung, was relevante Informationen waren, und
was nicht. In den Personaldateien des Obsidian Order stand alles über die
betreffende Person. Vom Geburtsdatum bis zur Lieblingsspeise. Und
selbstverständlich der familiäre Hintergrund. Kopfschüttelnd deaktivierte Gilora
das Computerterminal. Leider hatte ihr der unerlaubte Zugriff auf die
Personaldatei keine ihrer Fragen beantwortet. Sie würde sich anderweitig nach
Informationen umsehen müssen. Bei der nächsten Gelegenheit musste sie versuchen
auf die Datenbanken den Ordens zuzugreifen.
Gilora trat wieder auf die Promenade und sah sich um, als sie auf der Ebene über
sich eine bekannte Stimme vernahm. Langsam trat sie aus dem Schatten und
überquerte das Deck um auf die zweite Ebene sehen zu können. Als sie sich
unauffällig umdrehte erschien ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie hatte
sich nicht getäuscht. Ihr alter Mentor im Obsidian Order war also bereits
eingetroffen und absolvierte in Begleitung zweier Männer, die Gilora nicht
kannte, und der Sicherheitschefin Marritza den obligatorischen Rundgang über die
Station. Garaks Stimme war unverwechselbar, es hätte des kurzen Blickes nach
oben eigentlich nicht bedurft.
Noch immer lächelnd machte Gilora Macet sich mit langsamen Schritten auf den Weg
in ihr Quartier. Sie hatte ihren Mentor nicht mehr gesehen, seit sie Cardassia
Prime für ihre erste Off-Planet-Operation verlassen hatte. Das war vor über neun
Jahren gewesen, Monate bevor Tain Garak ins Exil geschickt hatte. Gilora betrat
den Turbolift. Sie würde mit Garak über Antia sprechen. Er würde zumindest
wissen, ob sie auf der Station war, oder nicht.
***
Gul Basra erhob sich von seinem Platz und trat an das Rednerpult. Während es
ruhig wurde ließ er seinen Blick kurz über die Versammlung gleiten.
In der ersten Reihe saßen die Redner: Garak, Elgin Tuspak, ehemals Mitglied des
Detapa-Counsel und jetzt als Diplomat auf Empok Nor, Admiral Jellico - Tuspaks
Pendant von der Föderation - und Botschafter Spock. In der Reihe dahinter saßen
die übrigen hochrangigen Vertreter beider Rassen und Angehörigen der
diplomatischen Corps: Legate Narheel und Gul Torrel, die beide intensiv an den
Friedensverhandlungen teilgenommen hatten. Von der Föderation Admiral Ross und
Botschafterin Lwaxana Troy, eine unmögliche Person. Es war ein Wunder, dass sie
den Friedensvertrag nicht verhindert hatte.
Dahinter saß seine Crew. Glinn Dukat am Gang, neben ihm Marritza, die
Sicherheitschefin des Geheimdienstes. Daneben die Wissenschaftlerin Glinn Daro,
gefolgt von Dr. Mera'ahl und Glinn L'hrel. Neben der schlanken Ingenieurin saß
der rothaarige Austauschoffizier Ltd. Hernandez.
Die hinteren Reihen teilten sich die Teams der Wissenschaftsprojekte. Am Tisch
dahinter warteten drei junge Damen aus Tulas Restaurant darauf, den Gästen
Getränke einzuschenken.
Basra straffte den Rücken und begann.
"Ich möchte Sie alle hier auf Empok Nor willkommen heißen. Empok Nor ist eine
besondere Station, auf der große Hoffnungen liegen..."
Frederik Hernandez versuchte, sich auf die Rede seines Guls zu konzentrieren,
doch es wollte ihm nicht gelingen. Kurz bevor der Empfang begonnen hatte, war
ihm die Crew der Ops vorgestellt worden, bzw. er ihr. Nun, Glinn Dukat kannte er
schon und er hatte das Gefühl, dass er sich mit dem ersten Offizier gut
verstehen würde.
Bei den beiden Frauen auf der Ops war er sich da nicht so sicher. Glinn Daro,
die Wissenschaftlerin, war zwar etwa in seinem Alter, aber sie schien nicht an
einem näheren Kontakt interessiert zu sein, und Glinn L'hrel hatte ihn nahezu
arrogant gemustert. Er war sich nicht sicher, was das zu bedeuten hatte.
Möglicherweise war das für cardassianische Frauen ein ganz normales Verhalten.
Er würde es herausfinden. Zumindest fühlte er sich in Glinn L'hrels Gegenwart
nicht besonders wohl. Um so mehr Unbehagen hatte es ihm bereitet, als er
herausgefunden hatte, dass er beim Empfang neben ihr sitzen würde.
Doch bisher sah die junge Frau starr nach vorn auf das Rednerpult, wie alle
anderen Besatzungsmitglieder auch. Frederik konnte nicht umhin, ihr einen
verstohlenen Blick zuzuwerfen. Zweifelsohne war die junge Frau schön. Nicht nur,
für eine Cardassianerin. Ihre Haut war sogar für cardassianische Maßstäbe hell,
fast weiß, und ihr schmales Gesicht und der lange gebogene Hals gaben ihr eine
Eleganz, die er bei menschlichen Frauen noch nie bemerkt hatte. In Verbindung
mit ihrer schmalen Gestalt schien sie durch die Gänge zu schweben und
tatsächlich erinnerte ihre Art sich zu bewegen Frederik an eine Balett-Tänzerin.
Wären da nicht die leichten Irritationen, die ihre Beine beim Gehen
hervorzurufen schienen. Jetzt, im Sitzen, war davon allerdings nichts zu merken.
Frederik Hernandez sah nach vorn, um L'hrel nicht anzustarren. In diesem Moment
übergab Gul Basra das Wort an Botschafter Spock, der sich daraufhin erhob und an
das Rednerpult trat. Seine Anwesenheit machte deutlich, wie wichtig diese
Station für den Frieden zwischen den Völkern war. Seine Rede über den Verlauf
der Friedensverhandlungen war kurz und knapp. Wahrscheinlich wusste er, dass die
meisten der Anwesenden sich mehr für das Büfett interessierten, als für die
Vorträge. Jetzt trat ein Cardassianer ans Pult, der sich als Elgin Tuspak
vorstellte.
"Ich bin gebeten worden, heute hier über die Lage auf Cardassia zu sprechen,
auch wenn das wahrscheinlich die festliche Atmosphäre in Mitleidenschaft ziehen
wird. Die Lage auf Cardassia ist noch immer besorgniserregend. Die
Aufräumarbeiten dauern an und es ist nicht abzusehen, wann die großen Städte
wieder bewohnbar sind. Die wenigen Überlebenden wurden in Städten untergebracht,
die nicht betroffen sind. Aber auch hier ist die Lage schlecht. Es gibt nicht
genug zu Essen, die Energieversorgung kommt nur schleppend wieder in Gang. Doch
die Hilfsmaßnahmen, die uns die Föderation gewährt und die wir dankbar annehmen,
zeigen erste Erfolge..."
Natima L'hrel kniff die Lippen zusammen. Es war unglaublich, wie Botschafter
Tuspak sich bei der Föderation einschmeichelte. Hatte dieser Mann denn gar
keinen Stolz? Oder war alles nur gespielt, damit er dem Föderationsbotschafter
bei den nächsten Verhandlungen mehr Forderungen stellen konnte?
Edward Jellico beobachtete den Mann am Rednerpult. Er schätzte ihn auf Ende
fünfzig, wobei das bei Cardassianern nichts heißen mochte. Möglicherweise war er
weit älter, als er aussah. Oder jünger. Irgend etwas an ihm gab ihm einen leicht
ehrwürdigen Anschein. Jellico hatte über ihn in Erfahrung gebracht, daß er eher
dem gemäßigten Flügel angehörte, was die Kooperation wahrscheinlich erleichtern
würde. Tuspak kam nun zum Ende und sah Jellico an. Dieser erhob sich und trat
vor.
Ari Benil lehnte sich ein Stück zur Seite, um besser sehen zu können. Da die
Wissenschaftler in den hinteren Reihen saßen, war es schwierig, einen direkten
Blick auf die Redner zu werfen. Er warf einen Blick auf seinen Teampartner, der
neben ihm saß. Aus irgendeinem Grund war er froh, daß die Föderation ihm einen
Vulkanier zugeteilt hatte. Sletek würde in wenigen Minuten ihr Projekt
vorstellen, sobald Botschafter Jellico ihn nach vorn bat. Benil war froh, dass
es den Vulkanier getroffen hatte. Er selbst war kein guter Redner und fühlte
sich in der Rolle des Beobachters weit wohler. Glücklicherweise lehnte sich in
diesem Moment eine ältere Frau vor ihm zurück, so dass er Jellico sehen konnte,
als dieser seine Rede begann.
"Sehr verehrte Damen und Herren!" - was für eine typisch menschliche und
vollkommen unbedeutende Floskel. Soweit Ari Benil über Botschafter Jellico
informiert war, war dieser mit Sicherheit der letzte, der einen Cardassianer
verehrte!
"Ich freue mich, heute hier stehen zu können, um die Wiederinbetriebnahme dieser
Station zu feiern! Empok Nor ist, aufgrund der einzigartigen Handelslage, von
entscheidender Bedeutung für den Aufbau Cardassias. Aber mehr noch: sie ist ein
Symbol für den Frieden zwischen Cardassia und der Föderation! Diese Station ist
ein einzigartiges Projekt der Annäherung zwischen der Föderation und dem
Cardassianischen Imperium, das hoffentlich auf lange Sicht Früchte tragen und
den Frieden zwischen unseren beiden Völkern sichern wird!
Die Zusammenarbeit zwischen cardassianischen und Föderationswissenschaftlern
wird für beide Völker eine Bereicherung sein und zu gegenseitigem Verständnis
beitragen! In langen Diskussionen hat sich die Planungskommission für die
Bereiche Technologie, Biologie und Genetik entschieden, wobei die ersten beiden
Bereiche zwei Projekte, und letzerer ein Projekt bearbeiten werden. Eine
langwierige Vorauswahl hat dazu geführt, dass wir heute hier zehn exzellente
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begrüßen dürfen, die sich entschlossen
haben im Sinne der Völkerverständigung zusammenzuarbeiten. Ich bitte jetzt Ziyal
Fel ans Rednerpult, die uns das Biologie-Projekt Botanik erläutern wird."
Ari Benil beobachtete, wie sich die junge Frau erhob und nach vorn ging. Er
wusste bereits, worum es bei den beiden Biologie Projekten ging, er hatte sich
ebenfalls dafür beworben, war dann aber dem Genetik Projekt zugeteilt worden.
Genaugenommen war er froh darüber, dass es so gekommen war. Genetik war
wesentlich spannender als Biologie, und an einem Biologie-Projekte mitzuarbeiten
hätte entweder eine irdische oder eine andorianische Partnerin bedeutet, in
jedem Fall aber eine Frau. Ari Benil hatte oft genug mit Frauen
zusammengearbeitet, um zu wissen, wie anstrengend das war. Zumindest galt das
für cardassianische Frauen, aber er war froh darüber, das nicht bei diesem
Projekt austesten zu müssen.
Nach und nach traten die anderen Vertreter der Teams vor und erläuterten ihre
Projekte. Mit einiger Überraschung stellte Benil fest, daß die beiden
Föderationsvertreter in den Technologieprojekten beide männlich waren. Offenbar
unterlagen irdische Männer nicht dem weitverbreiteten Vorurteil, Männer hätten
keinen Kopf für die Wissenschaften - insbesondere Technologie. Nun, mit ihren
cardassianischen Partnerinnen würden die zwei sicher noch eine Menge
interessante Erfahrungen machen.
Dann hatte auch Sletek als letzter seinen Vortrag beendet und setzte sich wieder
neben Benil. Als letzter Redner erhob sich Garak, der über die Zukunft
Cardassias sprechen würde. Ari Benil bewunderte diesen Mann. Auch wenn es in
letzter Zeit nicht gerade opportun gewesen war, das offen zuzugeben, änderte das
nichts an Aris Meinung. Er hatte Garak immer für einen großen Politiker
gehalten, dass er von seinem eigenen Mentor ins Exil geschickt worden war,
konnte nur daran gelegen haben, dass jemand Garak an Tain verraten hatte. Aber
nun war er aus dem Exil zurück und zweifelsohne würde er Cardassia wieder zu
neuer Stärke führen!
Paluk Dukat ertappte sich dabei, wie er zum fünften Mal in Gedanken noch einmal
den weiteren Verlauf des Abends durchging. Während Garak vorne am Rednerpult
stand und über die Föderationshilfe auf Cardassia und den kulturellen
Wiederaufbau auf dem Planeten sprach, galten die Gedanken des ersten Offiziers
von Empok Nor bereits dem, was auf die letzte Rede folgen würde.
Sein Posten forderte seine ganze Aufmerksamkeit. In den ersten Tagen, bevor Gul
Basra an Bord gekommen war, hatte Paluk das Kommando auf Empok Nor innegehabt.
Und im Nachhinein schien es ihm, dass jeden Tag mehr Probleme auftraten als
gelöst wurden. Hinzu kam, dass es ziemlich viel organisatorischer Arbeit bedurft
hatte, diesen Empfang vorzubereiten, auch wenn er nur im kleinen Kreis und unter
Ausschluss von Vertretern der Föderations-Presse stattfand. Er konnte nur
hoffen, dass langsam eine gewisse Normalität auf Empok Nor einkehren würde.
Der Glinn warf einen Blick auf die Sicherheitschefin, die neben ihm saß. Alanya
Marritza war ihm in den ersten Tage durchaus eine Stütze gewesen. Die junge Frau
war kompetent und arbeitete schnell und zielstrebig. Egal, was Dukat persönlich
vom Orden halten mochte, sein Personal hatte er immer optimal ausgebildet. Und
Alanya Marritza merkte man ihre Professionalität an. Sie war Sicherheitschefin,
was immer sie auch gerade tat. Und sie hatte stets einen Blick auf die Arbeit
der anderen geworfen, selbst wenn es um Dinge wie die Sitzordnung bei diesem
Empfang ging. Und es war schwer gewesen, ihr einen Kompromiss abzuringen.
Wenn es allein nach Alanya Marritza gegangen wäre, hätte sie selbst einen der
Posten an der Tür eingenommen, an dem zur Zeit zwei ihrer Untergebenen standen.
Ihr hatte es nicht im geringsten gefallen, unter den Zuschauern sitzen zu
müssen. Sie hätte am liebsten gestanden, um immer alles im Auge zu haben. In
Dukats Augen grenzte das fast an Paranoia. Es erinnerte ihn ein wenig an seinen
Vater.
Dabei gab es im Augenblick keinen Grund für übertriebene Vorsichtsmaßnahmen.
Drei Sicherheitskräfte waren im Raum anwesend (für Dukats Geschmack wegen des
betont harmonischen Anlasses des Empfangs bereits zu viele), nur ausgewählte
Gäste waren geladen und selbst diese waren noch einmal auf eventuelle Waffen
untersucht worden. Aber außer Lwaxana Trois zahlreichen Armreifen aus
hochwertigem Duranium-Silber, mit denen man sicherlich einen unliebsamen
Verehrer erschlagen konnte, war nichts Gefährliches entdeckt worden.
Dennoch war Alanya Marritza nicht zufrieden gewesen. Sie fand immer etwas, was
nicht zu ihrer Zufriedenheit war oder was ihren Verdacht weckte, so z.B. die
Tatsache, dass in der Reihe vor ihnen der Stuhl am Rand leer geblieben war. Er
war für Erein Kovat bestimmt gewesen, den Attaché von Diplomat Tuspak. Bis jetzt
war Kovat allerdings nicht aufgetaucht. Natürlich war auch Dukat dies
aufgefallen. Aber er machte daraus keine Staatsaktion. Der Attaché würde
sicherlich einen Grund für seine Abwesenheit haben.
Paluk Dukat sah in Richtung Tür. Von seinem Sitzplatz, in der Nähe des Eingangs
zur Offiziersmesse, aus war ihm das leise Zischen nicht entgangen, mit dem sich
die Tür geöffnet hatte. Die beiden Sicherheitsbeamten, die je rechts und links
von der Tür standen, hielten den Neuankömmling, der gut eine Stunde zu spät zum
Empfang kam, erst zurück. Er redete flüsternd mit ihnen, ohne die Aufmerksamkeit
der übrigen Anwesenden zu erregen, die noch immer Garaks Rede zuhörten, und
wurde schließlich durchgelassen.
Zielstrebig kam Erein Kovat auf Paluk Dukat zu. Dukat konnte spüren, wie auch
Marritza neben ihm zu dem Attaché sah. Der Mann trat zu Dukat und beugte sich
leicht zu ihm vor.
"Es sind romulanische Gesandte auf Empok Nor eingetroffen", flüsterte er Dukat
zu. "Zwei Senatoren mit zehn Begleitern. Ich habe sie bis jetzt vertrösten
können. Aber sie sind sehr aufgebracht und ich halte es nicht für ratsam, sie
länger warten zu lassen."
Mit einem unguten Gefühl sah er zu Marritza. Jetzt hatte sie einen Grund, sich
Sorgen zu machen.
"Was wollen sie?", erkundigte sich Dukat bei dem Attaché.
Erein beugte sich näher zu Dukat. "Sie bestehen darauf, an diesem Empfang
teilzunehmen. Sie beschweren sich, dass sie nicht offiziell geladen worden sind.
Und sie wollen den verantwortlichen Gul sprechen."
Paluk Dukat zog seinen Mund zu einem entschiedenen Strich zusammen. "Ich werde
mich augenblicklich darum kümmern."
Erein Kovat hielt Dukat davon ab, aufzustehen. "Sie haben darauf bestanden, nur
mit dem Gul persönlich zu sprechen."
Paluk Dukat sah zu Gul Basra. Der Kommandant von Empok Nor saß in der ersten
Reihe der Redner. In der entgegengesetzten Ecke des Raumes. Er würde die Blicke
aller Anwesenden auf sich ziehen, wenn er jetzt zu Gul Basra vorging und mit ihm
sprach - ganz davon zu schweigen, wenn der Gul jetzt den Raum verlassen würde.
"Garaks Rede wird kaum noch länger als zehn Minuten dauern", erklärte Dukat dem
Attaché gedämpft. "Können Sie die Romulaner solange noch hinhalten?"
Erein Kovat schüttelte den Kopf. "Ich habe sie schon eine Stunde hingehalten.
Sie müssen mit Gul Basra reden, Glinn. Dies könnte zu einem weitreichenden
diplomatischen Zwischenfall führen."
Ein paar Cardassianer aus der Reihe vor Dukat drehten sich bereits um. Dukat
nickte Kovat zu. "Setzten Sie sich hin und verhalten Sie sich ruhig. Ich werde
zu Gul Basra gehen, und mit ihm sprechen."
Während Kovat Dukats Worten nachkam, wandte sich der erste Offizier von Empok
Nor an Alanya Marritza neben sich. "Halten Sie sich bereit."
Sie warf ihm einen Blick zu, der Dukat verriet, was sie von diesem Befehl hielt.
Vermutlich hielt sie ihn schlichtweg für unnötig. Wenn man sie fragen würde,
würde sie sicherlich sagen, dass sie als Sicherheitschefin immer bereit war.
Unauffällig erhob Paluk Dukat sich von seinem Stuhl und ging zur hinteren
Sitzreihe. Hinter den Anwesenden durchquerte der Glinn den Raum, um auf der
anderen Seite die Reihen nach vorne zu gehen. Ohne sich nach hinten umzudrehen,
wusste er, dass ihn bereits jetzt mehrere Augenpaare interessiert musterten.
Nicht einmal einem Mitglied der Föderation konnte es entgehen, wenn der erste
Offizier der Station bei einem Begrüßungsempfang zur ersten Sitzreihe vorging.
Dukat bildete sich ein, ihre Blicke förmlich zu spüren. In seinem Rücken
flüsterten zwei Föderationsabgeordnete miteinander.
Paluk Dukat erreichte die erste Reihe. Gul Basras Gesicht verriet eine gewisse
Ungehaltenheit, als er neben ihm stehen blieb und sich leicht vorbeugte, wie
Erein Kovat es eben noch bei ihm getan hatte. Inzwischen hatte Dukat die
Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen. Der junge Glinn war sich
verhältnismäßig sicher, dass sogar Garaks Blick auf ihm ruhte, obwohl er seine
Rede natürlich nicht unterbrochen hatte. Trotzdem konnte Dukat den Blick in
seinem Rücken förmlich spüren.
Während Paluk Dukat Gul Basra berichtete, was ihm Tuspaks Attaché soeben
mitgeteilt hatte, hob er versuchsweise seinen Blick in den Raum. Und wie
erwartet sahen alle der Anwesenden in seine Richtung. Manche tuschelten sogar
miteinander. Nur ein einziger Mann im Raum schien für Paluk Dukat keine Augen zu
haben.
Erein Kovat hatte auf dem für ihn bestimmten Stuhl Platz genommen. Er saß jetzt
genau vor Alanya Marritza und hielt den Blick starr nach vorne gerichtet. Aber
er sah nicht Dukat an. Er sah eher ein wenig an ihm vorbei, zu etwas in seinem
Rücken. Paluk Dukat spürte ein seltsames Kribbeln, als ihn die Erkenntnis
überkam. Erein Kovat sah zu Elim Garak, der noch immer in seiner Rede fortfuhr
als ob nichts sei.
Noch bevor Erein Kovat sich erhob, wusste Paluk Dukat, was eigentlich wirklich
im Augenblick vor sich ging. Dadurch, dass er zu Gul Basra nach vorne gegangen
war, hatte er sie alle abgelenkt. Abgelenkt von Erein Kovat. Der Attaché schien
sich wie in Zeitlupe zu erheben. Seine Hand griff an seine rechte Seite.
Fast gleichzeitig drehte sich Dukat nach hinten und machte einen Hechtsprung in
Richtung des Rednerpults. Im selben Augenblick ging ihm durch den Kopf, dass man
ihm auf der Militärakademie immer gesagt hatte, dass man nicht mehr als eine
Sekunde Zeit hatte, um zu reagieren, wenn man sah, dass jemand eine Waffe zog.
Während Glinn Dukat sich gegen Garak warf, der instinktiv seine Hände abwehrend
gegen ihn streckte, ging ihm durch den Kopf, dass man ihm vermutlich einen Orden
mit ins Grab geben würde. Er konnte sich vorstellen, wie seine Großmutter in
Anspielung auf seinen Vater zu seiner Mutter sagen würde, dass wenigstens der
Enkel der Familie Ehre gebracht hätte. Er konnte sie förmlich vor sich sehen.
Und er konnte ihre wegwerfende Handbewegung sehen, nachdem ihre Schwiegertochter
sie darauf hingewiesen hatte, dass ihr Enkel ausgerechnet Garak das Leben
gerettet hatte, dem Mörder ihres Mannes. Paluk Dukat wusste sogar, was seine
Großmutter in belehrendem Unterton sagen würde: "Es ist nicht die Tat, die
zählt, sondern die Ehre, die sie einbringt!"
Der Gedankengang riss abrupt ab, als der junge Glinn gegen Garak prallte und ihn
mit sich zu Boden riss. Während des Falles konnte Paluk das Geräusch des
Phaserschusses hören, der ihn streifte. Im nächsten Augenblick schlugen sie
ziemlich unsanft auf dem Boden auf. Garak fiel rückwärts auf den Boden hinter
das Rednerpult. Dukat fiel direkt auf ihn. Keiner von ihnen hatte mehr die Zeit
gefunden, den Sturz abzufangen. Dukat sah, dass Garak vor Schmerz
zusammenzuckte, als er auf den Boden aufschlug. Er selbst spürte Schmerzen im
linken Schulter-Ridge.
Trotzdem rollte sich Paluk Dukat gekonnt zur Seite und sah in den Raum. Mehrere
Anwesende waren aufgesprungen. Man hörte überraschte Schreie und das zu
erwartende Chaos. Dukat sah zu dem Platz, von dem Erein Kovat gerade auf Garak
geschossen hatte. Der Attaché lag ein Stück weit von ihm entfernt mit dem
Gesicht auf dem Boden. Auf seinem Rücken kniete Alanya Marritza und hielt ihn
nach unten gedrückt. Die Sicherheitsoffiziere an der Tür waren bereits
herbeigeeilt. Einer stellte die Waffe sicher, die nahe der Wand lag.
Langsam wandte Dukat seinen Kopf zu Garak, der auf dem Boden saß und an Dukat
vorbei ebenfalls zu Kovat sah.
"Sind Sie verletzt?", konnte Paluk Dukat sich selbst sagen hören. Ihm war
seltsam schwindelig.
Garak schüttelte den Kopf und zeigte auf Dukat. "Aber Sie."
Dukat den Kopf zu drehen. Überrascht stellte er fest, dass die Uniform oberhalb
der Schulter von einem Phaserstrahl geschmolzen war. Blut lief über sie nach
unten. Dukat fühlte vorsichtig entlang des Halses. Es klaffte eine Lücke von
zwei Ridges. "Nicht mehr als ein Streifschuss", stellte er dann fest.
Die beiden Männer sahen sich auf dem Boden sitzend einen Augenblick schweigend
an. Jeder schien nachzudenken.
Dukat zog seine Hand von der Schulter. Aus den Reihen der Zuschauer konnte er
die Zivilärztin mit besorgtem Gesicht zu ihnen herübereilen sehen konnte. Dass
er Erein Kovat die Geschichte mit den Romulanern geglaubt hatte, hätte Garak
beinahe das Leben gekostet. Aber er hatte schnell genug reagiert. Dukat spürte,
wie ihn der Schock einholte. Sein Körper musste mit Adrenalin überschüttet
worden sein. Aber er hatte Garak das Leben gerettet. Die Absurdität dieses
Gedanken ging ihm durch den Kopf. Gerade er. Ein Dukat. Gul Dukats Sohn. Der
Enkel des Mannes, der die Feindschaft zwischen den Familien ausgelöst hatte. Er
hatte Elim Garak gerettet.
"Mein Vater wird mich enterben, wenn er das erfährt", stellte Paluk Dukat
trocken fest.
In Garaks Augen funkelte es. "Das steht zu vermuten", erwiderte er ebenso
trocken und erhob sich umständlich.
Auch Dukat kam auf die Beine. Yora Mera'ahl kam auf den Glinn zu und kümmerte
sich sofort mit der Selbstsicherheit einer Ärztin um seine Verletzung.
Garak war wieder hinter das Rednerpult getreten. "Meine Damen und Herren." Seine
Stimme übertönte tatsächlich das herrschende Chaos. "Bitte beruhigen Sie sich.
Nehmen Sie wieder Platz. Es ist nichts passiert. Wie Sie selbst sehen haben die
Sicherheitskräfte die Lage vollkommen unter Kontrolle."
Dukat konnte aus dem Augenwinkel wahrnehmen, wie die Anwesenden vereinzelt
Garaks Worten nachkamen und sich wieder setzten. Eine angespannte Ruhe folgte
auf seine Worte. Paluk Dukat wusste, dass er jetzt fehl am Platz war. Yora
Mera'ahl ergriff seinen Arm und deutete in Richtung der Tür.
Dukat folgte ihr in Richtung Ausgang. Vor ihnen wurde Erein Kovat abgeführt.
Bevor Dukat den Raum verließ, konnte er hören, wie Garak seine Rede wieder dort
aufnahm, wo er unterbrochen worden war.
***
"Eine großartige Rede." Legate Narheel stand mit einem Glas Kanar neben dem
Büfett und nickte Garak zu, als er an ihm vorbeiging. "Sie traf genau den Nerv
der Zeit."
"Das freut mich." Garak setzte eine höfliche Miene auf und nickte dem Legate
ebenfalls zu. Bevor Legate Narheel ihn mit weiteren falschen Schmeicheleien
eindecken konnte, ging Garak weiter.
Vor einigen Minuten hatte er seine Rede beendet. Das Büffet war eröffnet worden
und die Gäste standen in kleinen Kreisen und unterhielten sich angeregt. Man gab
sich redliche Mühe, die Unterhaltung dem Anlass gerecht werden zu lassen,
beglückwünschte die Redner, tauschte vorsichtig Meinungen und Prognosen aus und
diskutierte die anstehenden Projekte. Vereinzelt unterhielt man sich sogar über
die Familie.
Garak durchquerte den Raum und stellte sein leeres Glas auf einem Tisch ab. Es
war das obligatorische Glas Kanar zur Büfett-Eröffnung gewesen. Und nun konnte
er den Empfang verlassen, ohne mehr als die nötige Aufmerksamkeit zu erregen. Er
nickte Gul Basra zu, der im Gespräch mit Lwaxana Troi stand und mit einem
unendlichen Ausmaß an cardassianischer Geduld ihren Worten lauschte.
Garak verließ die Offiziersmesse und betrat den Turbolift, der ihn auf die
untere Ebene des Promenadendecks brachte. Auf Empok Nor zu sein war eine
seltsame Erfahrung. Zum einen kannte Garak die Station in einem völlig anderen
Zustand. Und zum anderen erinnerte sie ihn an ihre Schwesterstation Terok Nor,
oder Deep Space Nine. Wie auch dort waren wieder Föderationsmitglieder an Bord,
auch wenn Empok Nor eine cardassianische Station war.
Garak verließ den Turbolift und überquerte die Promenade in Richtung der
Krankenstation. Er war sich bewusst, dass Cardassia die Föderation zur Zeit
brauchte. Aber er war sich auch sicher, dass er persönlich alles daran legen
würde, diesen Zustand so schnell wie möglich zu beenden.
Als Elim Garak die Krankenstation von Empok Nor betrat, fielen ihm die
cardassianischen Schriftzeichen an der Tür besonders ins Auge. Ansonsten sah die
Krankenstation aus wie Dr. Bashirs Arbeitsplatz auf Terok Nor. Nur war die
medizinische Versorgung für Cardassianer hier bedeutend besser als auf Deep
Space Nine - bei allem Respekt das Fachwissen des Doktors.
Die junge Chefärztin der Station sah auf, als Garak eintrat. Auf der
Krankenliege vor ihr saß Paluk Dukat und zeigte erste Anzeichen von Ungeduld.
Sein Nacken war bereits von der Ärztin behandelt worden, wenn auch die Spuren
des Phasereinschusses noch gut zu sehen waren. Unterhalb des Halses, dort wo die
Schulterriffel zum Arm hin ausliefen, klaffte eine Lücke von mehr als zwei
Ridges.
Yora Mera'ahl musterte Garak kurz. "Sie haben eine gebrochene Rippe",
diagnostizierte sie dann anhand der Art, wie er - wohl in einer unbewussten
Schonhaltung - vor ihr stand. "Und mindestens zwei weitere sind angebrochen oder
gestaucht." Ihre Stimme klang vorwurfsvoll. "Sie hätten früher kommen sollen.
Setzten Sie sich dort hin." Ihre Hand wies auf die Krankenliege neben Dukat.
Garak kam den Worten der Ärztin mit einem inneren Schmunzeln nach. Ärzte waren
überall auf der Welt gleich. Für sie war jeder, der in ihre Krankenstation kam,
in erster Linie Patient, und hatte sich so zu benehmen, egal ob er Zivilist war
oder ein mehrfach ausgezeichneter Legate. Oder ein Abgeordneter des Interims-
Rates. Ärzte behandelten sie alle im gleichen kommandierenden Tonfall. Und bei
cardassianische Ärztinnen war diese Eigenart wohl noch einmal besonders stark
ausgeprägt.
Garak nahm auf der Liege neben Dukat Platz und ließ sich von Yora Mera'ahl
untersuchen.
"Ich werde die Rippen richten. Das dauert nur einen Augenblick", erklärte sie.
"Und ich werde vorsichtshalber eine Lungenspiegelung machen." Die junge Ärztin
ging in den Nebenraum, um einige Instrumente zu holen.
Elim Garak und Paluk Dukat saßen sich eine Weile schweigend gegenüber.
"Sie haben heute eine Menge Leute in Erstaunen versetzt", erklärte Garak
schließlich, bevor eine unangenehme Stille entstand.
"Allem voran Erein Kovat." Dukat bewegte probehalber seinen Arm ein wenig.
"Vermutlich hat er gerade mich für sein Ablenkungsmanöver ausgewählt, weil es am
unwahrscheinlichsten war, dass ich eingreifen würde."
"Es wäre eine logische Schlussfolgerung gewesen. Aber meiner Erfahrung nach hat
sich noch kein Dukat so verhalten, wie es sich gehört."
"Es ist lange her, dass mich jemand mit meinem Vater verglichen hat." Paluk
Dukats Worte klangen ein wenig verbittert.
"Es ist das Los der Söhne, an ihren Vätern gemessen zu werden." Garak verzog
seinen Mund zu einem selbstironischen Ausdruck. "Genauso wie es der Lauf der
Dinge ist, dass Söhne alles tun, um dagegen anzukämpfen."
Yora Mera'ahl kam mit verschiedenen medizinischen Geräten zurück und hielt Paluk
Dukat von einer Antwort ab.
"Ich würde ganz gerne zu meiner Arbeit zurück", wandte sich Glinn Dukat an die
Ärztin.
Yora Mera'ahl musterte ihn kurz. "Das könne Sie, sobald ich Ihnen eine
Stützklemme angelegt habe, die ihren Hals stabilisiert."
"Solange ich dadurch diensttauglich bin - bitte. Nur eine Schönheitsoperation
würde ich gerne auf später verschieben."
Yora Mera'ahl sah ihn mit ernstem Gesicht an. "Der Regenerationsprozess ist weit
mehr als eine Schönheitsoperation! Wir beginnen heute Abend. Kommen sie nach
Dienstschluss vorbei!"
Dukat nickte und erhob sich, um die Krankenstation zu verlassen. Er war
allerdings noch nicht weit gekommen, als Garak ihn zurückrief.
"Glinn Dukat?"
"Ja?"
"Bevor Sie gehen, würde ich Sie gerne etwas fragen."
Dukat sah Garak wartend an.
"Würden Sie mir verraten, warum Sie Kovats Erwartungen und die der wohl meisten
Anwesenden nicht erfüllt haben?"
Dukat blieb stehen. "Ich vermute, Sie wissen, wie mein Vater von Ihnen und
meinem Großvater gesprochen hat?"
Garak nickte.
"Dann wissen Sie, dass man uns immer wieder erzählt hat, dass Sie meinen
Großvater hintergangen haben. Dass Sie selbst ihn zu Tode gefoltert haben. Dass
er einen unwürdigen und grausamen Tod gestorben ist."
Garak hielt es nicht für nötig, dazu etwas zu sagen.
"Ich habe das jahrelang von meinem Vater zu hören bekommen", fuhr Dukat auch
fort. "Aber nie hat er mir gesagt, warum. Ich weiß, was sie getan haben. Aber
ich kenne den Grund nicht. Und solange ich den nicht kenne, werde ich Sie nicht
danach beurteilen." Dukat sah Garak fest an. "Ich stehe im Dienste Cardassias.
Erst danach stehe ich im Dienst meiner Familie. Es wäre uncardassianisch
gewesen, anders zu handeln als ich es getan habe."
Erneut wandte sich der erste Offizier von Empok Nor zum Gehen.
"Angenommen, Sie erfahren den Grund eines Tages..."
Dukat drehte sich aufgrund von Garaks Worten erneut um. Allerdings versah er den
Cardassianer nur mit einem stummen Blick. Dann wandte er sich endgültig zum
Gehen und verließ die Krankenstation.
"Ein vielversprechender junger Mann", meinte Garak munter zu Yora Mera'ahl.
Die Ärztin blickte nicht von ihrer Arbeit auf, während sie Garaks Rippen
richtete. "Er hat ein gutes Führungszeugnis", sagte sie lapidar und sah Garak
dann an. "Das wäre dann auch alles. Ich habe die Rippen gerichtet. Die Lunge ist
nicht beschädigt worden. Sie hatten Glück. In den nächsten Tagen werden sie in
ihrer Bewegungsfreiheit noch eingeschränkt sein."
"Ich werde versuchen, es mir zu merken." Garak erhob sich von der Krankenliege
und bedankte sich bei der Ärztin mit einem kurzen Nicken.
Dann folgte er Paluk Dukat aus der Krankenstation. Nicht nur der erste Offizier
von Terok Nor hatte jetzt besseres zu tun, als in der Krankenstation zu sitzen.
Garak wollte zu gerne wissen, wie weit Alanya Marritza bereits mit dem Verhör
von Erein Kovat war.
Mit einem kurzen Blick zurück überquerte Garak die Promenade und betrat das Büro
der Sicherheitschefin von Terok Nor.
***
Gilora Macet schlenderte über das Promenadendeck. Die meisten Ladenflächen waren
bereits vergeben und überall waren die Inhaber dabei, ihre Etablissements
herzurichten. Nur wenige hatten bereits geöffnet, wie der Replimat und ‚Tula's
Restaurant und Bar'. Direkt gegenüber entstand ein Komplex aus mehreren
Holosuiten, die einem flaxianischen Ehepaar gehörten. Außerdem gab es noch
einige kleinere Läden: eine Parfümerie, eine Schneiderei, einen Frisör...und
einige Läden, bei denen sich noch nicht erkennen ließ, was sie einmal anbieten
würden.
Gilora blieb an einer Ecke stehen und beobachtete das Treiben auf dem
Promenadendeck. In wenigen Minuten sollte der Eröffnungsempfang beginnen. Hier
war davon allerdings nicht viel zu merken, was auch kein Wunder war. Schließlich
waren nur geladenen Gäste und Besatzungsmitglieder zugelassen. Allerdings würde
Gul Basra im Anschluss eine kurze Ansprache auf dem Promenadendeck halten,
danach würde es hier vermutlich etwas lustiger zugehen.
Der Grund, warum Gilora Macet sich allein zur Promenade aufgemacht hatte war,
dass die Begegnung mit Glinn L'hrel am Mittag ihr nicht aus dem Kopf ging. Sie
war sich beinah sicher, dass Sie die junge Ingenieurin kannte - allerdings unter
einem anderen Namen. Natima L'hrel erinnerte Gilora an eine junge Frau, mit der
sie vor über neun Jahren zusammengearbeitet hatte. Antia L'hrel war eine
talentierte Computerspezialistin beim Obsidian Order gewesen. Allerdings hatte
sie sie seit neun Jahren nicht mehr gesehen, und das war eine lange Zeit. Vor
allem, wenn man in Betracht zog, dass sie beide damals noch nicht einmal zwanzig
Jahre alt gewesen waren, und sowohl sie, als auch ihre Freundin, sich in der
Zwischenzeit sicher sehr stark verändert hatten.
Geschweige denn, dass Gilora sicher sein konnte, dass Antia L'hrel der wahre
Name ihrer Freundin gewesen war. Decknamen waren im Orden sehr verbreitet, und
Antia war damals schon eine Weile beim Orden gewesen - trotz ihres jungen
Alters.
Gilora schüttelte den Kopf. Glinn L'hrel hatte sich vollkommen anders verhalten,
als eine Agentin des Ordens das getan hätte. Trotzdem erschien ihr die junge
Frau vertraut. Gilora atmete hörbar aus und sah sich um. Es gab nur eine
Möglichkeit, wie sie etwas über L'hrel in Erfahrung bringen konnte. Sie musste
sich die Personaldatei der jungen Ingenieurin ansehen und nach Parallelen zu
ihrer Bekannten suchen.
Gilora sah sich um. Computerterminals gab es überall, es war nur wichtig, eins
zu finden, das nicht von überall einsehbar war. Sie ging ein paar Schritte
weiter und tatsächlich entdeckte sie eines, das ihren Zwecken dienen würde.
Mit geübten Griff aktivierte sie die Besatzungsliste. Diese war für jeden
zugänglich. Aber um an die Personaldateien zu kommen musste man ein Passwort
eingeben - was für jemanden der eine Ausbildung beim Obsidian Order genossen
hatte keine Hürde darstellte. Einen Augenblick später erschien Natimas Datei auf
dem Bildschirm. Gilora überflog die Daten. Natima war 25 Jahre alt, auf
Cardassia Prime geboren und aufgewachsen. Das Alter kam in etwa hin, aber das
hatte sie auch schon vorher gewusst.
Interessiert las Gilora die Informationen über die junge Ingenieurin. Natima war
hochbegabt, es waren mehrere staatliche Förderungsprogramme verzeichnet, an
denen sie teilgenommen hatte. Nach ihrem Schulabschluss hatte sie
Ingenieurswesen studiert und kurz vor dem Angriff des Dominions ihren Abschluss
gemacht. Das passte natürlich nicht zu Antia, allerdings konnte es sich genauso
gut um einen falschen Lebenslauf handeln, der Antia als Tarnung diente, falls es
sich bei Glinn L'hrel überhaupt um ihre Freundin handelte.
Dann war da noch eine leichte Gehbehinderung vermerkt. Laut der Datei war Natima
beim Angriff des Dominions verletzt worden und die Verletzungen an den Beinen
waren nicht vollständig verheilt. Somit war ihr Bewegungsradius eingeschränkt.
Aber auch das half Gilora nicht weiter. Sie versuchte weiter zu scrollen, denn
wirklich aufschlußreich würden nur die familiären Daten sein. Doch offenbar gab
es keine weiteren Informationen zum familiären Hintergrund in Natima L'hrels
Akte, die Datei war bereits vollständig angezeigt. Es waren auch keine Hinweise
auf gesperrte Informationen enthalten. Gilora fluchte. Das war typisch für das
Militär. Diese Leute hatten keine Ahnung, was relevante Informationen waren, und
was nicht. In den Personaldateien des Obsidian Order stand alles über die
betreffende Person. Vom Geburtsdatum bis zur Lieblingsspeise. Und
selbstverständlich der familiäre Hintergrund. Kopfschüttelnd deaktivierte Gilora
das Computerterminal. Leider hatte ihr der unerlaubte Zugriff auf die
Personaldatei keine ihrer Fragen beantwortet. Sie würde sich anderweitig nach
Informationen umsehen müssen. Bei der nächsten Gelegenheit musste sie versuchen
auf die Datenbanken den Ordens zuzugreifen.
Gilora trat wieder auf die Promenade und sah sich um, als sie auf der Ebene über
sich eine bekannte Stimme vernahm. Langsam trat sie aus dem Schatten und
überquerte das Deck um auf die zweite Ebene sehen zu können. Als sie sich
unauffällig umdrehte erschien ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie hatte
sich nicht getäuscht. Ihr alter Mentor im Obsidian Order war also bereits
eingetroffen und absolvierte in Begleitung zweier Männer, die Gilora nicht
kannte, und der Sicherheitschefin Marritza den obligatorischen Rundgang über die
Station. Garaks Stimme war unverwechselbar, es hätte des kurzen Blickes nach
oben eigentlich nicht bedurft.
Noch immer lächelnd machte Gilora Macet sich mit langsamen Schritten auf den Weg
in ihr Quartier. Sie hatte ihren Mentor nicht mehr gesehen, seit sie Cardassia
Prime für ihre erste Off-Planet-Operation verlassen hatte. Das war vor über neun
Jahren gewesen, Monate bevor Tain Garak ins Exil geschickt hatte. Gilora betrat
den Turbolift. Sie würde mit Garak über Antia sprechen. Er würde zumindest
wissen, ob sie auf der Station war, oder nicht.
***
Gul Basra erhob sich von seinem Platz und trat an das Rednerpult. Während es
ruhig wurde ließ er seinen Blick kurz über die Versammlung gleiten.
In der ersten Reihe saßen die Redner: Garak, Elgin Tuspak, ehemals Mitglied des
Detapa-Counsel und jetzt als Diplomat auf Empok Nor, Admiral Jellico - Tuspaks
Pendant von der Föderation - und Botschafter Spock. In der Reihe dahinter saßen
die übrigen hochrangigen Vertreter beider Rassen und Angehörigen der
diplomatischen Corps: Legate Narheel und Gul Torrel, die beide intensiv an den
Friedensverhandlungen teilgenommen hatten. Von der Föderation Admiral Ross und
Botschafterin Lwaxana Troy, eine unmögliche Person. Es war ein Wunder, dass sie
den Friedensvertrag nicht verhindert hatte.
Dahinter saß seine Crew. Glinn Dukat am Gang, neben ihm Marritza, die
Sicherheitschefin des Geheimdienstes. Daneben die Wissenschaftlerin Glinn Daro,
gefolgt von Dr. Mera'ahl und Glinn L'hrel. Neben der schlanken Ingenieurin saß
der rothaarige Austauschoffizier Ltd. Hernandez.
Die hinteren Reihen teilten sich die Teams der Wissenschaftsprojekte. Am Tisch
dahinter warteten drei junge Damen aus Tulas Restaurant darauf, den Gästen
Getränke einzuschenken.
Basra straffte den Rücken und begann.
"Ich möchte Sie alle hier auf Empok Nor willkommen heißen. Empok Nor ist eine
besondere Station, auf der große Hoffnungen liegen..."
Frederik Hernandez versuchte, sich auf die Rede seines Guls zu konzentrieren,
doch es wollte ihm nicht gelingen. Kurz bevor der Empfang begonnen hatte, war
ihm die Crew der Ops vorgestellt worden, bzw. er ihr. Nun, Glinn Dukat kannte er
schon und er hatte das Gefühl, dass er sich mit dem ersten Offizier gut
verstehen würde.
Bei den beiden Frauen auf der Ops war er sich da nicht so sicher. Glinn Daro,
die Wissenschaftlerin, war zwar etwa in seinem Alter, aber sie schien nicht an
einem näheren Kontakt interessiert zu sein, und Glinn L'hrel hatte ihn nahezu
arrogant gemustert. Er war sich nicht sicher, was das zu bedeuten hatte.
Möglicherweise war das für cardassianische Frauen ein ganz normales Verhalten.
Er würde es herausfinden. Zumindest fühlte er sich in Glinn L'hrels Gegenwart
nicht besonders wohl. Um so mehr Unbehagen hatte es ihm bereitet, als er
herausgefunden hatte, dass er beim Empfang neben ihr sitzen würde.
Doch bisher sah die junge Frau starr nach vorn auf das Rednerpult, wie alle
anderen Besatzungsmitglieder auch. Frederik konnte nicht umhin, ihr einen
verstohlenen Blick zuzuwerfen. Zweifelsohne war die junge Frau schön. Nicht nur,
für eine Cardassianerin. Ihre Haut war sogar für cardassianische Maßstäbe hell,
fast weiß, und ihr schmales Gesicht und der lange gebogene Hals gaben ihr eine
Eleganz, die er bei menschlichen Frauen noch nie bemerkt hatte. In Verbindung
mit ihrer schmalen Gestalt schien sie durch die Gänge zu schweben und
tatsächlich erinnerte ihre Art sich zu bewegen Frederik an eine Balett-Tänzerin.
Wären da nicht die leichten Irritationen, die ihre Beine beim Gehen
hervorzurufen schienen. Jetzt, im Sitzen, war davon allerdings nichts zu merken.
Frederik Hernandez sah nach vorn, um L'hrel nicht anzustarren. In diesem Moment
übergab Gul Basra das Wort an Botschafter Spock, der sich daraufhin erhob und an
das Rednerpult trat. Seine Anwesenheit machte deutlich, wie wichtig diese
Station für den Frieden zwischen den Völkern war. Seine Rede über den Verlauf
der Friedensverhandlungen war kurz und knapp. Wahrscheinlich wusste er, dass die
meisten der Anwesenden sich mehr für das Büfett interessierten, als für die
Vorträge. Jetzt trat ein Cardassianer ans Pult, der sich als Elgin Tuspak
vorstellte.
"Ich bin gebeten worden, heute hier über die Lage auf Cardassia zu sprechen,
auch wenn das wahrscheinlich die festliche Atmosphäre in Mitleidenschaft ziehen
wird. Die Lage auf Cardassia ist noch immer besorgniserregend. Die
Aufräumarbeiten dauern an und es ist nicht abzusehen, wann die großen Städte
wieder bewohnbar sind. Die wenigen Überlebenden wurden in Städten untergebracht,
die nicht betroffen sind. Aber auch hier ist die Lage schlecht. Es gibt nicht
genug zu Essen, die Energieversorgung kommt nur schleppend wieder in Gang. Doch
die Hilfsmaßnahmen, die uns die Föderation gewährt und die wir dankbar annehmen,
zeigen erste Erfolge..."
Natima L'hrel kniff die Lippen zusammen. Es war unglaublich, wie Botschafter
Tuspak sich bei der Föderation einschmeichelte. Hatte dieser Mann denn gar
keinen Stolz? Oder war alles nur gespielt, damit er dem Föderationsbotschafter
bei den nächsten Verhandlungen mehr Forderungen stellen konnte?
Edward Jellico beobachtete den Mann am Rednerpult. Er schätzte ihn auf Ende
fünfzig, wobei das bei Cardassianern nichts heißen mochte. Möglicherweise war er
weit älter, als er aussah. Oder jünger. Irgend etwas an ihm gab ihm einen leicht
ehrwürdigen Anschein. Jellico hatte über ihn in Erfahrung gebracht, daß er eher
dem gemäßigten Flügel angehörte, was die Kooperation wahrscheinlich erleichtern
würde. Tuspak kam nun zum Ende und sah Jellico an. Dieser erhob sich und trat
vor.
Ari Benil lehnte sich ein Stück zur Seite, um besser sehen zu können. Da die
Wissenschaftler in den hinteren Reihen saßen, war es schwierig, einen direkten
Blick auf die Redner zu werfen. Er warf einen Blick auf seinen Teampartner, der
neben ihm saß. Aus irgendeinem Grund war er froh, daß die Föderation ihm einen
Vulkanier zugeteilt hatte. Sletek würde in wenigen Minuten ihr Projekt
vorstellen, sobald Botschafter Jellico ihn nach vorn bat. Benil war froh, dass
es den Vulkanier getroffen hatte. Er selbst war kein guter Redner und fühlte
sich in der Rolle des Beobachters weit wohler. Glücklicherweise lehnte sich in
diesem Moment eine ältere Frau vor ihm zurück, so dass er Jellico sehen konnte,
als dieser seine Rede begann.
"Sehr verehrte Damen und Herren!" - was für eine typisch menschliche und
vollkommen unbedeutende Floskel. Soweit Ari Benil über Botschafter Jellico
informiert war, war dieser mit Sicherheit der letzte, der einen Cardassianer
verehrte!
"Ich freue mich, heute hier stehen zu können, um die Wiederinbetriebnahme dieser
Station zu feiern! Empok Nor ist, aufgrund der einzigartigen Handelslage, von
entscheidender Bedeutung für den Aufbau Cardassias. Aber mehr noch: sie ist ein
Symbol für den Frieden zwischen Cardassia und der Föderation! Diese Station ist
ein einzigartiges Projekt der Annäherung zwischen der Föderation und dem
Cardassianischen Imperium, das hoffentlich auf lange Sicht Früchte tragen und
den Frieden zwischen unseren beiden Völkern sichern wird!
Die Zusammenarbeit zwischen cardassianischen und Föderationswissenschaftlern
wird für beide Völker eine Bereicherung sein und zu gegenseitigem Verständnis
beitragen! In langen Diskussionen hat sich die Planungskommission für die
Bereiche Technologie, Biologie und Genetik entschieden, wobei die ersten beiden
Bereiche zwei Projekte, und letzerer ein Projekt bearbeiten werden. Eine
langwierige Vorauswahl hat dazu geführt, dass wir heute hier zehn exzellente
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begrüßen dürfen, die sich entschlossen
haben im Sinne der Völkerverständigung zusammenzuarbeiten. Ich bitte jetzt Ziyal
Fel ans Rednerpult, die uns das Biologie-Projekt Botanik erläutern wird."
Ari Benil beobachtete, wie sich die junge Frau erhob und nach vorn ging. Er
wusste bereits, worum es bei den beiden Biologie Projekten ging, er hatte sich
ebenfalls dafür beworben, war dann aber dem Genetik Projekt zugeteilt worden.
Genaugenommen war er froh darüber, dass es so gekommen war. Genetik war
wesentlich spannender als Biologie, und an einem Biologie-Projekte mitzuarbeiten
hätte entweder eine irdische oder eine andorianische Partnerin bedeutet, in
jedem Fall aber eine Frau. Ari Benil hatte oft genug mit Frauen
zusammengearbeitet, um zu wissen, wie anstrengend das war. Zumindest galt das
für cardassianische Frauen, aber er war froh darüber, das nicht bei diesem
Projekt austesten zu müssen.
Nach und nach traten die anderen Vertreter der Teams vor und erläuterten ihre
Projekte. Mit einiger Überraschung stellte Benil fest, daß die beiden
Föderationsvertreter in den Technologieprojekten beide männlich waren. Offenbar
unterlagen irdische Männer nicht dem weitverbreiteten Vorurteil, Männer hätten
keinen Kopf für die Wissenschaften - insbesondere Technologie. Nun, mit ihren
cardassianischen Partnerinnen würden die zwei sicher noch eine Menge
interessante Erfahrungen machen.
Dann hatte auch Sletek als letzter seinen Vortrag beendet und setzte sich wieder
neben Benil. Als letzter Redner erhob sich Garak, der über die Zukunft
Cardassias sprechen würde. Ari Benil bewunderte diesen Mann. Auch wenn es in
letzter Zeit nicht gerade opportun gewesen war, das offen zuzugeben, änderte das
nichts an Aris Meinung. Er hatte Garak immer für einen großen Politiker
gehalten, dass er von seinem eigenen Mentor ins Exil geschickt worden war,
konnte nur daran gelegen haben, dass jemand Garak an Tain verraten hatte. Aber
nun war er aus dem Exil zurück und zweifelsohne würde er Cardassia wieder zu
neuer Stärke führen!
Paluk Dukat ertappte sich dabei, wie er zum fünften Mal in Gedanken noch einmal
den weiteren Verlauf des Abends durchging. Während Garak vorne am Rednerpult
stand und über die Föderationshilfe auf Cardassia und den kulturellen
Wiederaufbau auf dem Planeten sprach, galten die Gedanken des ersten Offiziers
von Empok Nor bereits dem, was auf die letzte Rede folgen würde.
Sein Posten forderte seine ganze Aufmerksamkeit. In den ersten Tagen, bevor Gul
Basra an Bord gekommen war, hatte Paluk das Kommando auf Empok Nor innegehabt.
Und im Nachhinein schien es ihm, dass jeden Tag mehr Probleme auftraten als
gelöst wurden. Hinzu kam, dass es ziemlich viel organisatorischer Arbeit bedurft
hatte, diesen Empfang vorzubereiten, auch wenn er nur im kleinen Kreis und unter
Ausschluss von Vertretern der Föderations-Presse stattfand. Er konnte nur
hoffen, dass langsam eine gewisse Normalität auf Empok Nor einkehren würde.
Der Glinn warf einen Blick auf die Sicherheitschefin, die neben ihm saß. Alanya
Marritza war ihm in den ersten Tage durchaus eine Stütze gewesen. Die junge Frau
war kompetent und arbeitete schnell und zielstrebig. Egal, was Dukat persönlich
vom Orden halten mochte, sein Personal hatte er immer optimal ausgebildet. Und
Alanya Marritza merkte man ihre Professionalität an. Sie war Sicherheitschefin,
was immer sie auch gerade tat. Und sie hatte stets einen Blick auf die Arbeit
der anderen geworfen, selbst wenn es um Dinge wie die Sitzordnung bei diesem
Empfang ging. Und es war schwer gewesen, ihr einen Kompromiss abzuringen.
Wenn es allein nach Alanya Marritza gegangen wäre, hätte sie selbst einen der
Posten an der Tür eingenommen, an dem zur Zeit zwei ihrer Untergebenen standen.
Ihr hatte es nicht im geringsten gefallen, unter den Zuschauern sitzen zu
müssen. Sie hätte am liebsten gestanden, um immer alles im Auge zu haben. In
Dukats Augen grenzte das fast an Paranoia. Es erinnerte ihn ein wenig an seinen
Vater.
Dabei gab es im Augenblick keinen Grund für übertriebene Vorsichtsmaßnahmen.
Drei Sicherheitskräfte waren im Raum anwesend (für Dukats Geschmack wegen des
betont harmonischen Anlasses des Empfangs bereits zu viele), nur ausgewählte
Gäste waren geladen und selbst diese waren noch einmal auf eventuelle Waffen
untersucht worden. Aber außer Lwaxana Trois zahlreichen Armreifen aus
hochwertigem Duranium-Silber, mit denen man sicherlich einen unliebsamen
Verehrer erschlagen konnte, war nichts Gefährliches entdeckt worden.
Dennoch war Alanya Marritza nicht zufrieden gewesen. Sie fand immer etwas, was
nicht zu ihrer Zufriedenheit war oder was ihren Verdacht weckte, so z.B. die
Tatsache, dass in der Reihe vor ihnen der Stuhl am Rand leer geblieben war. Er
war für Erein Kovat bestimmt gewesen, den Attaché von Diplomat Tuspak. Bis jetzt
war Kovat allerdings nicht aufgetaucht. Natürlich war auch Dukat dies
aufgefallen. Aber er machte daraus keine Staatsaktion. Der Attaché würde
sicherlich einen Grund für seine Abwesenheit haben.
Paluk Dukat sah in Richtung Tür. Von seinem Sitzplatz, in der Nähe des Eingangs
zur Offiziersmesse, aus war ihm das leise Zischen nicht entgangen, mit dem sich
die Tür geöffnet hatte. Die beiden Sicherheitsbeamten, die je rechts und links
von der Tür standen, hielten den Neuankömmling, der gut eine Stunde zu spät zum
Empfang kam, erst zurück. Er redete flüsternd mit ihnen, ohne die Aufmerksamkeit
der übrigen Anwesenden zu erregen, die noch immer Garaks Rede zuhörten, und
wurde schließlich durchgelassen.
Zielstrebig kam Erein Kovat auf Paluk Dukat zu. Dukat konnte spüren, wie auch
Marritza neben ihm zu dem Attaché sah. Der Mann trat zu Dukat und beugte sich
leicht zu ihm vor.
"Es sind romulanische Gesandte auf Empok Nor eingetroffen", flüsterte er Dukat
zu. "Zwei Senatoren mit zehn Begleitern. Ich habe sie bis jetzt vertrösten
können. Aber sie sind sehr aufgebracht und ich halte es nicht für ratsam, sie
länger warten zu lassen."
Mit einem unguten Gefühl sah er zu Marritza. Jetzt hatte sie einen Grund, sich
Sorgen zu machen.
"Was wollen sie?", erkundigte sich Dukat bei dem Attaché.
Erein beugte sich näher zu Dukat. "Sie bestehen darauf, an diesem Empfang
teilzunehmen. Sie beschweren sich, dass sie nicht offiziell geladen worden sind.
Und sie wollen den verantwortlichen Gul sprechen."
Paluk Dukat zog seinen Mund zu einem entschiedenen Strich zusammen. "Ich werde
mich augenblicklich darum kümmern."
Erein Kovat hielt Dukat davon ab, aufzustehen. "Sie haben darauf bestanden, nur
mit dem Gul persönlich zu sprechen."
Paluk Dukat sah zu Gul Basra. Der Kommandant von Empok Nor saß in der ersten
Reihe der Redner. In der entgegengesetzten Ecke des Raumes. Er würde die Blicke
aller Anwesenden auf sich ziehen, wenn er jetzt zu Gul Basra vorging und mit ihm
sprach - ganz davon zu schweigen, wenn der Gul jetzt den Raum verlassen würde.
"Garaks Rede wird kaum noch länger als zehn Minuten dauern", erklärte Dukat dem
Attaché gedämpft. "Können Sie die Romulaner solange noch hinhalten?"
Erein Kovat schüttelte den Kopf. "Ich habe sie schon eine Stunde hingehalten.
Sie müssen mit Gul Basra reden, Glinn. Dies könnte zu einem weitreichenden
diplomatischen Zwischenfall führen."
Ein paar Cardassianer aus der Reihe vor Dukat drehten sich bereits um. Dukat
nickte Kovat zu. "Setzten Sie sich hin und verhalten Sie sich ruhig. Ich werde
zu Gul Basra gehen, und mit ihm sprechen."
Während Kovat Dukats Worten nachkam, wandte sich der erste Offizier von Empok
Nor an Alanya Marritza neben sich. "Halten Sie sich bereit."
Sie warf ihm einen Blick zu, der Dukat verriet, was sie von diesem Befehl hielt.
Vermutlich hielt sie ihn schlichtweg für unnötig. Wenn man sie fragen würde,
würde sie sicherlich sagen, dass sie als Sicherheitschefin immer bereit war.
Unauffällig erhob Paluk Dukat sich von seinem Stuhl und ging zur hinteren
Sitzreihe. Hinter den Anwesenden durchquerte der Glinn den Raum, um auf der
anderen Seite die Reihen nach vorne zu gehen. Ohne sich nach hinten umzudrehen,
wusste er, dass ihn bereits jetzt mehrere Augenpaare interessiert musterten.
Nicht einmal einem Mitglied der Föderation konnte es entgehen, wenn der erste
Offizier der Station bei einem Begrüßungsempfang zur ersten Sitzreihe vorging.
Dukat bildete sich ein, ihre Blicke förmlich zu spüren. In seinem Rücken
flüsterten zwei Föderationsabgeordnete miteinander.
Paluk Dukat erreichte die erste Reihe. Gul Basras Gesicht verriet eine gewisse
Ungehaltenheit, als er neben ihm stehen blieb und sich leicht vorbeugte, wie
Erein Kovat es eben noch bei ihm getan hatte. Inzwischen hatte Dukat die
Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen. Der junge Glinn war sich
verhältnismäßig sicher, dass sogar Garaks Blick auf ihm ruhte, obwohl er seine
Rede natürlich nicht unterbrochen hatte. Trotzdem konnte Dukat den Blick in
seinem Rücken förmlich spüren.
Während Paluk Dukat Gul Basra berichtete, was ihm Tuspaks Attaché soeben
mitgeteilt hatte, hob er versuchsweise seinen Blick in den Raum. Und wie
erwartet sahen alle der Anwesenden in seine Richtung. Manche tuschelten sogar
miteinander. Nur ein einziger Mann im Raum schien für Paluk Dukat keine Augen zu
haben.
Erein Kovat hatte auf dem für ihn bestimmten Stuhl Platz genommen. Er saß jetzt
genau vor Alanya Marritza und hielt den Blick starr nach vorne gerichtet. Aber
er sah nicht Dukat an. Er sah eher ein wenig an ihm vorbei, zu etwas in seinem
Rücken. Paluk Dukat spürte ein seltsames Kribbeln, als ihn die Erkenntnis
überkam. Erein Kovat sah zu Elim Garak, der noch immer in seiner Rede fortfuhr
als ob nichts sei.
Noch bevor Erein Kovat sich erhob, wusste Paluk Dukat, was eigentlich wirklich
im Augenblick vor sich ging. Dadurch, dass er zu Gul Basra nach vorne gegangen
war, hatte er sie alle abgelenkt. Abgelenkt von Erein Kovat. Der Attaché schien
sich wie in Zeitlupe zu erheben. Seine Hand griff an seine rechte Seite.
Fast gleichzeitig drehte sich Dukat nach hinten und machte einen Hechtsprung in
Richtung des Rednerpults. Im selben Augenblick ging ihm durch den Kopf, dass man
ihm auf der Militärakademie immer gesagt hatte, dass man nicht mehr als eine
Sekunde Zeit hatte, um zu reagieren, wenn man sah, dass jemand eine Waffe zog.
Während Glinn Dukat sich gegen Garak warf, der instinktiv seine Hände abwehrend
gegen ihn streckte, ging ihm durch den Kopf, dass man ihm vermutlich einen Orden
mit ins Grab geben würde. Er konnte sich vorstellen, wie seine Großmutter in
Anspielung auf seinen Vater zu seiner Mutter sagen würde, dass wenigstens der
Enkel der Familie Ehre gebracht hätte. Er konnte sie förmlich vor sich sehen.
Und er konnte ihre wegwerfende Handbewegung sehen, nachdem ihre Schwiegertochter
sie darauf hingewiesen hatte, dass ihr Enkel ausgerechnet Garak das Leben
gerettet hatte, dem Mörder ihres Mannes. Paluk Dukat wusste sogar, was seine
Großmutter in belehrendem Unterton sagen würde: "Es ist nicht die Tat, die
zählt, sondern die Ehre, die sie einbringt!"
Der Gedankengang riss abrupt ab, als der junge Glinn gegen Garak prallte und ihn
mit sich zu Boden riss. Während des Falles konnte Paluk das Geräusch des
Phaserschusses hören, der ihn streifte. Im nächsten Augenblick schlugen sie
ziemlich unsanft auf dem Boden auf. Garak fiel rückwärts auf den Boden hinter
das Rednerpult. Dukat fiel direkt auf ihn. Keiner von ihnen hatte mehr die Zeit
gefunden, den Sturz abzufangen. Dukat sah, dass Garak vor Schmerz
zusammenzuckte, als er auf den Boden aufschlug. Er selbst spürte Schmerzen im
linken Schulter-Ridge.
Trotzdem rollte sich Paluk Dukat gekonnt zur Seite und sah in den Raum. Mehrere
Anwesende waren aufgesprungen. Man hörte überraschte Schreie und das zu
erwartende Chaos. Dukat sah zu dem Platz, von dem Erein Kovat gerade auf Garak
geschossen hatte. Der Attaché lag ein Stück weit von ihm entfernt mit dem
Gesicht auf dem Boden. Auf seinem Rücken kniete Alanya Marritza und hielt ihn
nach unten gedrückt. Die Sicherheitsoffiziere an der Tür waren bereits
herbeigeeilt. Einer stellte die Waffe sicher, die nahe der Wand lag.
Langsam wandte Dukat seinen Kopf zu Garak, der auf dem Boden saß und an Dukat
vorbei ebenfalls zu Kovat sah.
"Sind Sie verletzt?", konnte Paluk Dukat sich selbst sagen hören. Ihm war
seltsam schwindelig.
Garak schüttelte den Kopf und zeigte auf Dukat. "Aber Sie."
Dukat den Kopf zu drehen. Überrascht stellte er fest, dass die Uniform oberhalb
der Schulter von einem Phaserstrahl geschmolzen war. Blut lief über sie nach
unten. Dukat fühlte vorsichtig entlang des Halses. Es klaffte eine Lücke von
zwei Ridges. "Nicht mehr als ein Streifschuss", stellte er dann fest.
Die beiden Männer sahen sich auf dem Boden sitzend einen Augenblick schweigend
an. Jeder schien nachzudenken.
Dukat zog seine Hand von der Schulter. Aus den Reihen der Zuschauer konnte er
die Zivilärztin mit besorgtem Gesicht zu ihnen herübereilen sehen konnte. Dass
er Erein Kovat die Geschichte mit den Romulanern geglaubt hatte, hätte Garak
beinahe das Leben gekostet. Aber er hatte schnell genug reagiert. Dukat spürte,
wie ihn der Schock einholte. Sein Körper musste mit Adrenalin überschüttet
worden sein. Aber er hatte Garak das Leben gerettet. Die Absurdität dieses
Gedanken ging ihm durch den Kopf. Gerade er. Ein Dukat. Gul Dukats Sohn. Der
Enkel des Mannes, der die Feindschaft zwischen den Familien ausgelöst hatte. Er
hatte Elim Garak gerettet.
"Mein Vater wird mich enterben, wenn er das erfährt", stellte Paluk Dukat
trocken fest.
In Garaks Augen funkelte es. "Das steht zu vermuten", erwiderte er ebenso
trocken und erhob sich umständlich.
Auch Dukat kam auf die Beine. Yora Mera'ahl kam auf den Glinn zu und kümmerte
sich sofort mit der Selbstsicherheit einer Ärztin um seine Verletzung.
Garak war wieder hinter das Rednerpult getreten. "Meine Damen und Herren." Seine
Stimme übertönte tatsächlich das herrschende Chaos. "Bitte beruhigen Sie sich.
Nehmen Sie wieder Platz. Es ist nichts passiert. Wie Sie selbst sehen haben die
Sicherheitskräfte die Lage vollkommen unter Kontrolle."
Dukat konnte aus dem Augenwinkel wahrnehmen, wie die Anwesenden vereinzelt
Garaks Worten nachkamen und sich wieder setzten. Eine angespannte Ruhe folgte
auf seine Worte. Paluk Dukat wusste, dass er jetzt fehl am Platz war. Yora
Mera'ahl ergriff seinen Arm und deutete in Richtung der Tür.
Dukat folgte ihr in Richtung Ausgang. Vor ihnen wurde Erein Kovat abgeführt.
Bevor Dukat den Raum verließ, konnte er hören, wie Garak seine Rede wieder dort
aufnahm, wo er unterbrochen worden war.
***
"Eine großartige Rede." Legate Narheel stand mit einem Glas Kanar neben dem
Büfett und nickte Garak zu, als er an ihm vorbeiging. "Sie traf genau den Nerv
der Zeit."
"Das freut mich." Garak setzte eine höfliche Miene auf und nickte dem Legate
ebenfalls zu. Bevor Legate Narheel ihn mit weiteren falschen Schmeicheleien
eindecken konnte, ging Garak weiter.
Vor einigen Minuten hatte er seine Rede beendet. Das Büffet war eröffnet worden
und die Gäste standen in kleinen Kreisen und unterhielten sich angeregt. Man gab
sich redliche Mühe, die Unterhaltung dem Anlass gerecht werden zu lassen,
beglückwünschte die Redner, tauschte vorsichtig Meinungen und Prognosen aus und
diskutierte die anstehenden Projekte. Vereinzelt unterhielt man sich sogar über
die Familie.
Garak durchquerte den Raum und stellte sein leeres Glas auf einem Tisch ab. Es
war das obligatorische Glas Kanar zur Büfett-Eröffnung gewesen. Und nun konnte
er den Empfang verlassen, ohne mehr als die nötige Aufmerksamkeit zu erregen. Er
nickte Gul Basra zu, der im Gespräch mit Lwaxana Troi stand und mit einem
unendlichen Ausmaß an cardassianischer Geduld ihren Worten lauschte.
Garak verließ die Offiziersmesse und betrat den Turbolift, der ihn auf die
untere Ebene des Promenadendecks brachte. Auf Empok Nor zu sein war eine
seltsame Erfahrung. Zum einen kannte Garak die Station in einem völlig anderen
Zustand. Und zum anderen erinnerte sie ihn an ihre Schwesterstation Terok Nor,
oder Deep Space Nine. Wie auch dort waren wieder Föderationsmitglieder an Bord,
auch wenn Empok Nor eine cardassianische Station war.
Garak verließ den Turbolift und überquerte die Promenade in Richtung der
Krankenstation. Er war sich bewusst, dass Cardassia die Föderation zur Zeit
brauchte. Aber er war sich auch sicher, dass er persönlich alles daran legen
würde, diesen Zustand so schnell wie möglich zu beenden.
Als Elim Garak die Krankenstation von Empok Nor betrat, fielen ihm die
cardassianischen Schriftzeichen an der Tür besonders ins Auge. Ansonsten sah die
Krankenstation aus wie Dr. Bashirs Arbeitsplatz auf Terok Nor. Nur war die
medizinische Versorgung für Cardassianer hier bedeutend besser als auf Deep
Space Nine - bei allem Respekt das Fachwissen des Doktors.
Die junge Chefärztin der Station sah auf, als Garak eintrat. Auf der
Krankenliege vor ihr saß Paluk Dukat und zeigte erste Anzeichen von Ungeduld.
Sein Nacken war bereits von der Ärztin behandelt worden, wenn auch die Spuren
des Phasereinschusses noch gut zu sehen waren. Unterhalb des Halses, dort wo die
Schulterriffel zum Arm hin ausliefen, klaffte eine Lücke von mehr als zwei
Ridges.
Yora Mera'ahl musterte Garak kurz. "Sie haben eine gebrochene Rippe",
diagnostizierte sie dann anhand der Art, wie er - wohl in einer unbewussten
Schonhaltung - vor ihr stand. "Und mindestens zwei weitere sind angebrochen oder
gestaucht." Ihre Stimme klang vorwurfsvoll. "Sie hätten früher kommen sollen.
Setzten Sie sich dort hin." Ihre Hand wies auf die Krankenliege neben Dukat.
Garak kam den Worten der Ärztin mit einem inneren Schmunzeln nach. Ärzte waren
überall auf der Welt gleich. Für sie war jeder, der in ihre Krankenstation kam,
in erster Linie Patient, und hatte sich so zu benehmen, egal ob er Zivilist war
oder ein mehrfach ausgezeichneter Legate. Oder ein Abgeordneter des Interims-
Rates. Ärzte behandelten sie alle im gleichen kommandierenden Tonfall. Und bei
cardassianische Ärztinnen war diese Eigenart wohl noch einmal besonders stark
ausgeprägt.
Garak nahm auf der Liege neben Dukat Platz und ließ sich von Yora Mera'ahl
untersuchen.
"Ich werde die Rippen richten. Das dauert nur einen Augenblick", erklärte sie.
"Und ich werde vorsichtshalber eine Lungenspiegelung machen." Die junge Ärztin
ging in den Nebenraum, um einige Instrumente zu holen.
Elim Garak und Paluk Dukat saßen sich eine Weile schweigend gegenüber.
"Sie haben heute eine Menge Leute in Erstaunen versetzt", erklärte Garak
schließlich, bevor eine unangenehme Stille entstand.
"Allem voran Erein Kovat." Dukat bewegte probehalber seinen Arm ein wenig.
"Vermutlich hat er gerade mich für sein Ablenkungsmanöver ausgewählt, weil es am
unwahrscheinlichsten war, dass ich eingreifen würde."
"Es wäre eine logische Schlussfolgerung gewesen. Aber meiner Erfahrung nach hat
sich noch kein Dukat so verhalten, wie es sich gehört."
"Es ist lange her, dass mich jemand mit meinem Vater verglichen hat." Paluk
Dukats Worte klangen ein wenig verbittert.
"Es ist das Los der Söhne, an ihren Vätern gemessen zu werden." Garak verzog
seinen Mund zu einem selbstironischen Ausdruck. "Genauso wie es der Lauf der
Dinge ist, dass Söhne alles tun, um dagegen anzukämpfen."
Yora Mera'ahl kam mit verschiedenen medizinischen Geräten zurück und hielt Paluk
Dukat von einer Antwort ab.
"Ich würde ganz gerne zu meiner Arbeit zurück", wandte sich Glinn Dukat an die
Ärztin.
Yora Mera'ahl musterte ihn kurz. "Das könne Sie, sobald ich Ihnen eine
Stützklemme angelegt habe, die ihren Hals stabilisiert."
"Solange ich dadurch diensttauglich bin - bitte. Nur eine Schönheitsoperation
würde ich gerne auf später verschieben."
Yora Mera'ahl sah ihn mit ernstem Gesicht an. "Der Regenerationsprozess ist weit
mehr als eine Schönheitsoperation! Wir beginnen heute Abend. Kommen sie nach
Dienstschluss vorbei!"
Dukat nickte und erhob sich, um die Krankenstation zu verlassen. Er war
allerdings noch nicht weit gekommen, als Garak ihn zurückrief.
"Glinn Dukat?"
"Ja?"
"Bevor Sie gehen, würde ich Sie gerne etwas fragen."
Dukat sah Garak wartend an.
"Würden Sie mir verraten, warum Sie Kovats Erwartungen und die der wohl meisten
Anwesenden nicht erfüllt haben?"
Dukat blieb stehen. "Ich vermute, Sie wissen, wie mein Vater von Ihnen und
meinem Großvater gesprochen hat?"
Garak nickte.
"Dann wissen Sie, dass man uns immer wieder erzählt hat, dass Sie meinen
Großvater hintergangen haben. Dass Sie selbst ihn zu Tode gefoltert haben. Dass
er einen unwürdigen und grausamen Tod gestorben ist."
Garak hielt es nicht für nötig, dazu etwas zu sagen.
"Ich habe das jahrelang von meinem Vater zu hören bekommen", fuhr Dukat auch
fort. "Aber nie hat er mir gesagt, warum. Ich weiß, was sie getan haben. Aber
ich kenne den Grund nicht. Und solange ich den nicht kenne, werde ich Sie nicht
danach beurteilen." Dukat sah Garak fest an. "Ich stehe im Dienste Cardassias.
Erst danach stehe ich im Dienst meiner Familie. Es wäre uncardassianisch
gewesen, anders zu handeln als ich es getan habe."
Erneut wandte sich der erste Offizier von Empok Nor zum Gehen.
"Angenommen, Sie erfahren den Grund eines Tages..."
Dukat drehte sich aufgrund von Garaks Worten erneut um. Allerdings versah er den
Cardassianer nur mit einem stummen Blick. Dann wandte er sich endgültig zum
Gehen und verließ die Krankenstation.
"Ein vielversprechender junger Mann", meinte Garak munter zu Yora Mera'ahl.
Die Ärztin blickte nicht von ihrer Arbeit auf, während sie Garaks Rippen
richtete. "Er hat ein gutes Führungszeugnis", sagte sie lapidar und sah Garak
dann an. "Das wäre dann auch alles. Ich habe die Rippen gerichtet. Die Lunge ist
nicht beschädigt worden. Sie hatten Glück. In den nächsten Tagen werden sie in
ihrer Bewegungsfreiheit noch eingeschränkt sein."
"Ich werde versuchen, es mir zu merken." Garak erhob sich von der Krankenliege
und bedankte sich bei der Ärztin mit einem kurzen Nicken.
Dann folgte er Paluk Dukat aus der Krankenstation. Nicht nur der erste Offizier
von Terok Nor hatte jetzt besseres zu tun, als in der Krankenstation zu sitzen.
Garak wollte zu gerne wissen, wie weit Alanya Marritza bereits mit dem Verhör
von Erein Kovat war.
Mit einem kurzen Blick zurück überquerte Garak die Promenade und betrat das Büro
der Sicherheitschefin von Terok Nor.
***
