***
Alanya Marritza sah auf den zusammengesunkenen Cardassianer vor sich. Sein Atem
ging stockend und wurde ab und zu von einem leises Wimmern unterbrochen. Alanya
war keine Befürworterin von Gewalt bei einem Verhör. Sie wusste, dass man auf
diese Weise nur zu schnell das zu hören bekam, was man wollte und nicht das, was
man eigentlich hören sollte. Davon abgesehen war sie Garaks Schülerin und Garak
hatte schon immer die psychische Folter der physischen vorgezogen.
Gewalt wendete Alanya Marritza nur an, wenn sie sich sicher sein konnte, so
schneller zum Erfolg zu kommen - oder es keinen anderen Weg gab. Letzteres war
bei Erein Kovat der Fall. Die junge Sicherheitschefin hatte den Attaché
inzwischen gut drei Stunden verhört und war keinen Schritt weiter. Fast hatte
sie den Eindruck, dass Erein Kovat ihr nichts sagen konnte, weil er selbst nicht
wusste, warum er es getan hatte.
Natürlich musste es einen Grund für dieses Attentat geben. Aber nachdem Alanya
zu einer verschärften Form des Verhörs übergegangen war, hatte sie nur eine
Menge Gründe zu hören bekommen, die man vielleicht erwartet hätte. Allerdings
war sie sich ziemlich sicher, dass keiner davon der wahre Grund war. Zwar hatte
Erein Kovat eine gute Ausbildung beim Obsidian Order hinter sich, dass man
dadurch aber schmerzunempfindlich wurde, war ein weit verbreiteter Mythos. Einen
Agenten des Obsidian Order zu verhören war genauso einfach, wie jeden anderen
Verdächtigen zu verhören. Man musste nur damit rechnen, dass er sämtliche Tricks
selbst kannte. Am Prinzip änderte dies jedoch wenig.
Alanya Marritza wandte sich zu einem der Sicherheitsbeamten, der im Raum stand.
"Machen Sie weiter. Ich werde später wieder selbst mit dem Verhör fortfahren."
Der Mann nickte und Alanya wandte sich zum Gehen. Der kleine Raum, in welchem
sie das Verhör durchgeführt hatte, war extra dafür vorgesehen. Er war nicht sehr
groß und im Normalfall mit allem ausgestattet, was man für ein gutes Verhör
benötigte. Allerdings hatte es seit der Ablösung des Obsidian Order durch das
Intelligence-Bureau Verbote für einige Verhörmethoden gegeben. Es war allerdings
eines der Dinge, das Alanya weniger störte. Für ein ordentliches Verhör
benötigte man im Grunde ohnehin keine Hilfsmittel, es reichte, den Delinquenten
psychisch zu destabilisieren. Und falls man doch körperliche Gewalt anwenden
musste... nun, Alanya Marritza mochte von schmalem und zierlichem Körperbau
sein. Aber sie wusste, wie man jemanden systematisch zusammenschlagen konnte,
ohne ihn gleich bewusstlos werden zu lassen.
Sie hatte in ihrer Kindheit - obwohl sie nur ungern daran dachte - bereits viel
in diese Richtung gelernt und der Orden hatte diese Ausbildung konsequent
vervollständigt. Alanya verfügte über genug Kampftechniken, dass sie sich mit
einem Klingonen oder Jem'Hadar angelegt hätte, wenn es nötig gewesen wäre.
Die Sicherheitschefin von Terok Nor trat aus dem hellen Lichtkegel, der einen
Teil des Raumes erhellte in den hinteren Teil, der im Dunkeln lag. Dies hatte
einen rein praktischen Grund. Im Dunkel dieses Teils des Raumes konnte man
unbemerkt vom Delinquenten ein Verhör mit ansehen. Oft standen Vorgesetzte dort,
um ein Verhör zu überwachen, oder um einfach nur zu sehen, wie gut der
Verhörende seine Aufgabe meisterte.
So hatte auch Garak das Verhör verfolgt. Wortlos verließ er mit Alanya den Raum,
als diese aus dem Lichtkegel trat. Die Tür schloss sich zischend hinter ihnen.
Die Sicherheitschefin blieb in dem Zwischenraum stehen und sah ihn abwartend an.
"Nun, Marritza." Garak lächelte leicht. "Du scheinst keinen Erfolg gehabt zu
haben."
Alanya trat näher zu ihm. "Wenn Du das ganze Verhör gesehen hast, solltest Du
wissen, dass das nicht an mir liegt."
Garak nickte bedächtig. "Woran liegt es Deiner Meinung nach dann?"
"Fast sieht es so aus, als ob er selbst den Grund für sein Handeln nicht kennt."
"Dir ist klar, dass dies der unwahrscheinlichste aller Gründe ist."
"Warum habe ich den Eindruck, dass Du mehr weißt als ich, Garak?" Alanya sah den
Cardassianer von der Seite an.
Garaks Mund verzog sich zu einem sarkastischen Lächeln. "Lass uns in Dein Büro
gehen."
Alanya folgte Garak schweigend aus dem Zwischenraum. Wieder hatte sie dieses
seltsame Gefühl, als wäre seit ihrer letzten Begegnung keine Zeit verstrichen.
Als hätte es die Jahre von Garaks Exil nicht gegeben, die Jahre, in welchen sie
für Tain gearbeitet hatte.
Sie dachte nicht gerne an diese Jahre, obwohl sie wusste, dass Garak ihr daraus
keinen Vorwurf machte. Wenn sie versucht hätte wegen ihm, den Obsidian Order zu
verlassen, hätte er sie selbst vermutlich für dumm gehalten. Sie mochte Garak
besonders nahe gestanden haben, aber im Ende arbeiteten sie alle für Cardassia,
nicht für sich oder irgendjemand anderen. Es war kein Wunder, dass kaum einer
der Top-Agenten Kontakte zu seiner Familie hatte. Die Prioritäten verschoben
sich, wenn man zum Orden ging.
Alanya betrat ihr Büro und nahm hinter dem Schreibtisch Platz. Garak setzte sich
ihr gegenüber und reichte ihr einen isolinearen Stab. "Du solltest Dir dies hier
ansehen."
Alanya legte den Datenträger ein und warf einen ersten Blick auf die Daten. Die
meisten waren Lebensläufe.
"Agenten des Obsidian Order", stellte sie selbst fest.
Garak nickte. "Das ist die eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen", sagte er ruhig.
"Die andere ist, dass sie alle versucht haben Vertreter der neuen Regierung zu
ermorden. Die wenigsten waren erfolgreich. Aber wir hatten viel zu tun, diese
Morde unauffällig zu Unfällen oder natürlichen Toden zu ändern."
Alanya war während seiner Worte die Akten genauer durchgegangen. "Was haben sie
zu ihren Gründen gesagt?"
Garak sah Alanya fragend an. "Was meinst Du, was ihre Gründe waren?"
Alanya kniff kurz ihre Lippen aufeinander und antwortete schließlich: "Sie
wussten keine Gründe."
Garak nickte und lehnte sich zurück. "Und dabei habe ich zwei, drei von ihnen
selbst verhört, vor allem denjenigen, der es letzte Woche schon einmal auf mich
abgesehen hatte."
Alanya scrollte durch die Liste. "Haben wir überhaupt keinen Anhaltspunkt?"
"Nun ja." Garak sah Alanya an. "Natürlich waren die meisten Mitglieder des
Ordens in der Gefangenschaft des Dominions..."
Alanya erkannte, dass er Recht hatte, während sie noch einmal durch die
Lebensläufe sah. "Alle der Attentäter waren Gefangene des Dominions." Sie
stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch und versuchte nachzudenken. "Auch ich war
beim Dominion."
Garak schnaubte belustigt. "Dann gibt es etwas, das Du mir verraten kannst,
Marritza?"
Die Sicherheitschefin verzog ihren Mund als Antwort zu einem unwilligen Strich.
"Wenn das Dominion der ausschlaggebende Faktor sein sollte, bin ich mir nicht
sicher, warum Du damit zu mir kommst. Immerhin könnte in diesem Fall auch ich
eine potentielle Attentäterin sein."
"Du bist eine potentielle Attentäterin", erklärte Garak trocken. "Genauso wie
ich ein potentieller Attentäter bin. Auch ich war beim Dominion, wenn auch nicht
lange. Aber, wer weiß." Er lächelte leichthin. "Der Punkt ist jedoch, dass
niemand außer dem Obsidian Order in der Lage sein wird, Licht in diese
Angelegenheit zu bringen. Ich kann damit kaum zum Interims-Rates gehen, noch
nicht einmal zum Intelligence-Bureau. Du weißt selbst, welches Niveau der
Nachfolger unseres Ordens hat."
Alanya musste zugeben, dass sie sich dies hätte denken können. "Was soll ich
weiter tun?", wollte sie von Garak wissen.
"Nicht viel." Garak stützte die Arme auf den Tisch und legte die Fingerspitzen
aneinander, um darüber hinweg Alanya Marritza anzusehen. "Ich wollte, dass Du
Bescheid weißt. Vorerst wird sich jemand anderes darum kümmern. Aber behalte
Kovat im Auge. Vielleicht, wenn man lange genug wartet, bekommen wir doch noch
etwas aus ihm heraus. Etwas, das er selbst nicht weiß. Du solltest ihn rund um
die Uhr bewachen lassen. Er ist der einzige unserer Attentäter, der noch am
Leben ist. Überhaupt haben nur wenige von ihnen lang genug gelebt, dass sie
verhört werden konnten. Leider verfügen unsere Agenten über die manchmal etwas
unpraktische Angewohnheit, sich das Leben zu nehmen, wenn sie es für nötig
erachten."
Alanya Marritza wusste, worauf Garak anspielte. Jeder Agent des Obsidian Order
wurde während seiner Ausbildung mehrfach darauf hingewiesen, dass der Tod in
manchen Fällen für Cardassia das geringere Übel war. Zu diesem Zweck war jeder
Agent des Ordens mit einer Giftpille ausgerüstet, die ihn in kürzester Zeit
tötete und für die es kein Gegenmittel gab.
Alanya verdrängte den Gedanken an diese Art zu sterben und nickte Garak einfach
zu. "Ich werde Kovat keinen Moment aus den Augen lassen."
"Gut." Garak erhob sich. "Falls sich doch noch Neuigkeiten ergeben sollten,
wendest Du Dich bitte unverzüglich an mich. Ich werde noch eine Weile auf Empok
Nor sein."
Alanya nickte Garak zu und sah ihm nach, wie er ihr Büro verließ. Das waren
Nachrichten, die Grund zur Beunruhigung gaben. Der Orden hatte eine Unzahl von
Mitgliedern und die meisten waren in der Gefangenschaft des Dominions gewesen.
Kein Staat konnte sich eine solche Vielzahl an potentiellen Attentätern
erlauben.
Alanya Marritza sah nachdenklich auf die Personaldaten, die noch in ihrem
Computer gespeichert waren. Sie fragte sich, wer für die weiteren
Nachforschungen vorgesehen war. Ihr selbst hatte man vor ihrem Dienstantritt
deutlich gesagt, dass man eventuell von verschiedenen Seiten auf sie
zurückkommen würde. Es wäre interessant, herauszufinden, wer noch eine solche
Nachricht bekommen hatte. Aber, wenn man versuchen wollte, die geheimen Wege des
Nachrichtensystems des Obsidian Order zurückzuverfolgen, musste man schon mehr
als ein begabter Order-Agent sein. Im Grunde würde selbst ein Computergenie
damit seine Schwierigkeiten haben.
***
Natima L'hrel saß in ihrem Quartier an der Computereinheit und war in einige
Daten vertieft. Die junge Ingenieurin hatte seit einer halben Stunde ihre
Schicht beendet und sich gleich in ihr Quartier zurückgezogen. Sie hatte sich
einen kleinen Eintopf repliziert und war noch einmal das Steuerprogramm für den
Turbolift durchgegangen.
Als Natima auf Empok Nor eingetroffen war, hatte sich die Station in einem
miserablen Zustand befunden. Jetzt, nach Wochen der Arbeit, war fast alles im
normalen Bereich. Sogar die Turbolifts, die bis vor wenigen Stunden noch
Probleme bereitet hatten, schienen inzwischen wieder einwandfrei zu
funktionieren. Trotzdem sah Natima L'hrel das Programm noch einmal prüfend
durch.
Der Teller mit Eintopf stand neben der Konsole, während sie die Befehlszeilen
hinunter scrollte. Die Programme für Turbolifts gehörte zu den komplizierteren
Dingen einer Station. Sie waren oft derart verschachtelt, dass man tagelang nach
kleinen Fehlern suchen konnte, vor allem, wenn man nicht wusste, was genau man
suchte. Auch wenn das Problem zur Zeit nicht die höchste Priorität hatte, war es
für Natima L'hrel keine Frage, sich das Programm dennoch sofort vorzunehmen. Es
war eine Frage der Professionalität, sich trotzdem daran zu setzten. Es gab kein
Programm, dessen Fehler sie am Ende nicht gefunden hätte - mochte es noch so
kompliziert sein.
Die junge Ingenieurin nahm einen weiteren Löffel ihres Gemüseeintopfs und
scrollte eine weitere Reihe nach unten. Urplötzlich jedoch wurde der Bildschirm
schwarz. Natima L'hrel ließ den Löffel auf den Teller zurücksinken. Die junge
Frau wollte gerade dem Computer einen neuen Befehl geben, als das Emblem des
Obsidian Order auf dem Bildschirm aufleuchtete und sofort einer Com-Übertragung
Platz machte.
Auf dem Monitor erschien das Gesicht eines Cardassianers Ende Dreißig. Er trug
einfache Zivilkleidung und wirkte auf den ersten Blick erstaunlich schmächtig.
Natimas erster Blick galt seinen Haaren, welche deutliche Locken aufwiesen. Im
Grunde waren Locken für Cardassianer nichts ungewöhnliches. Nur entfernten die
meisten sie, da sie nicht dem als normal angesehenen Erscheinungsbild
entsprachen.
"Glinn L'hrel." Der Mann sah Natima bestimmend an. "Ich habe Arbeit für Sie."
Natima war ehrlich überrascht, ließ es sich aber nicht anmerken. "Wer sind Sie?"
"Ich habe Ihnen vor zwei Wochen bereits eine Nachricht zukommen lassen."
Natima spürte, wie ihr Herz ein wenig schneller schlug. Darauf hatte sie schon
die letzten Tage gewartet. Bevor sie ihre Einberufung vom Militär bekommen
hatte, war sie bereits durch eine kurze Nachricht darauf hingewiesen worden,
dass Cardassia sie auf Empok Nor brauchen würde und sie ihrer Einberufung auf
alle Fälle zu folgen hatte. Sie hatte mehrere Stunden lang versucht, die
Herkunft der Nachricht herauszubekommen. Aber alles, was sie hatte feststellen
können, war gewesen, dass derjenige, der diese Nachricht geschickt hatte, über
ein bemerkenswertes Verschlüsslungssystem verfügte und sich nicht mehr
identifizieren ließ. Bereits da war ihr klar gewesen, dass nur eine einzige
Institution auf Cardassia über solche Möglichkeiten verfügte und das Emblem das
dieser Nachricht nun vorausgegangen war, räumte die letzten Zweifel beiseite:
Der Obsidian Order hatte sich mit ihr in Kontakt gesetzt.
Natürlich gab es keinen Orden mehr. Jeder wusste das. Aber es gab auf Cardassia
ein Sprichwort, das besagte, dass nichts aufhörte zu existieren, solange es noch
Anhänger hatte. Das galt wohl auch für den Obsidian Order.
"In zwei Stunden wird ein Frachter Empok Nor verlassen", unterbrach der Mann
ihre Gedanken. "Gehen Sie an Bord. Man wird Ihnen dort alles Weitere mitteilen.
Sie finden einen offiziellen Grund für Ihre Abwesenheit in ihrem Arbeitsplan.
Viel Erfolg."
Ohne ein weiteres Wort oder eine Reaktion von Natima L'hrel abzuwarten,
deaktivierte der Unbekannte die Verbindung und sein Bild verschwand von Natimas
Monitor, um wieder dem Programm des Turbolifts Platz zu machen.
Natima nahm sich nicht die Zeit, überrascht auf ihren Bildschirm zu sehen.
"Computer, Rückverfolgung der letzten Nachricht."
"Die letzte Nachricht stammte von Elandra L'hrel, Cardassia Prime."
Die junge Ingenieurin rieb sich nachdenklich die Nase. Diese Nachricht hatte ihr
ihre Mutter am vorigen Abend geschickt.
"Zeige mir seitdem eingegangene Nachrichten an."
"Keine neueren Nachrichten."
"Zeige mir das Nachrichtenprotokoll an."
"Nachrichtenprotokoll wird geladen."
Natima sah die Daten durch. Der Kontakt zu dem unbekannten Anhänger des Obsidian
Order war nicht protokolliert. Angeblich war sie überhaupt nicht kontaktiert
worden. Um sicher zu gehen probierte Natima L'hrel noch einige ihrer speziellen
Tricks an der Konsole aus. Aber auch sie brachten nicht das gewünschte Ergebnis.
"Meine Hochachtung", murmelte sie. Ein wenig Ärger schwang in ihren Worten mit.
Eigentlich sollte sie sich so etwas nicht bieten lassen. Auf alle Fälle sollte
sie das nächste Mal besser vorbereitet sein. Während sie aufstand und den Teller
mit ihrem Eintopf beiseite stellte, kamen ihr bereits ein paar Ideen für
mögliche Abfangprogramme. Irgendwie musste sich dieser Cardassianer
zurückverfolgen lassen. Das war eine Frage der Ehre.
Natima nahm wieder Platz und erstellte eine neue Datei, um die erste Idee in ein
Programm umzuwandeln. Bevor sie aber begann, ging ihr noch etwas anderes durch
den Kopf. Der Unbekannte hatte ihr gesagt, dass sie in zwei Stunden an Bord
eines Frachters gehen sollte. Nur hatte er keinen Namen genannt. Aber den sollte
man schnell herausfinden können.
In Gedanken schon bei ihren Abfangprogrammen, lud Natima L'hrel den Flugplan für
den heutigen Tag auf ihren Monitor.
***
Gilora Macet trat in das Quartier ihres ehemaligen Mentors. Dieser stand
gegenüber der Tür an einem Fenster und drehte sich um, als sich die Tür hinter
ihr schloss.
"Du hast also meine Nachricht bekommen."
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, und eigentlich hätte es nicht
einmal derer bedurft, denn wenn Garak jemandem eine Nachricht übermitteln
wollte, dann stellte er sicher, dass diese auch ankam. Gilora beschloss daher,
den Kommentar zu ignorieren.
"Hallo Elim. Ich gratuliere Dir zu Deiner Rückkehr nach Cardassia!"
"Vielen Dank. Du hast doch nicht etwa daran gezweifelt, dass ich zurückkehren
würde?"
"Nein. Ich wusste, Du würdest nicht so schnell aufgeben."
Garak lächelte und wies auf das Sofa. "Setz Dich. Möchtest Du etwas trinken? Wir
sollten auf unser Wiedersehen anstoßen, nicht wahr?"
Gilora erwiderte das Lächeln und ließ sich auf dem Sofa nieder. "Wenn Du einen
guten Kanar da hast, sage ich nicht nein."
Elim Garak lachte in sich hinein. "Du hast Dich nicht verändert!"
"Woher willst Du das wissen?"
Garak sah sie fragend an.
"Womöglich habe ich mich nur in dieser Beziehung nicht verändert."
Garak goss Kanar in zwei Gläser und setzte sich neben sie. "Und in welcher
Beziehung hast Du Dich verändert, Gilora?"
Gilora lächelte das nichtssagende Lächeln, das sie von ihrem Mentor gelernt
hatte. "Wer weiß?", sie hob das Glas und prostete Garak zu, "das wirst Du
herausfinden müssen."
Beide tranken einen Schluck, dann sah Garak seine ehemalige Schülerin
nachdenklich an. "Leider fürchte ich, mir fehlt die Zeit dazu."
"Lass mich raten: Du verlässt Empok Nor."
"Nein. Du verlässt Empok Nor."
Gilora sah Garak abwartend an. Sie wusste, dass er ihr die Informationen geben
würde, die sie benötigte. Es hatte keinen Sinn danach zu fragen.
"Ich vermute, Dir ist bewusst, dass es kein Zufall war, dass Dir das Kommando
über die Lavok angeboten wurde."
"Allerdings. Mir ist auch bewusst, dass die Lavok kein normaler Frachter ist,
und dass es kein Zufall ist, dass Anan Entek mein Pilot ist."
Garak nickte. "Es gibt eine ganze Reihe von fähigen Agenten des Obsidian Order,
die nichts mit dem neuen Geheimdienst zu tun haben wollen. Es wäre doch eine
Schande all diese Talente brach liegen zu lassen."
Gilora versuchte aus Garaks stahlblauen Augen die Wahrheit zu lesen, als sie
erwiderte: "Du willst den Obsidian Order wieder aufbauen!"
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Garak erhob sich und trat an das
Fenster.
"So weit würde ich noch nicht gehen. Zunächst brauche ich eine flexible Truppe
von hochqualifizierten Leuten, deshalb habe ich eine Zelle aus fünf Personen
zusammengestellt." Er drehte sich wieder zu Gilora. "Du gehörst dazu."
"Das habe ich mir gedacht. Ich vermute, Entek ebenfalls?"
Garak nickte. "Ich habe einen ersten Auftrag für Euch. Ihr werdet mit der Lavok
in den Gamma-Quadranten fliegen. Es geht um Nachforschungen auf einem
Asteroiden, der vom Dominion als Gefangenenlager genutzt wurde."
"Irgend etwas Konkretes, nach dem wir suchen sollen?"
"Nein. Ihr sollt Euch dort nur umsehen. Ich habe das Gefühl, dass hinter diesem
Attentat mehr steckt, als die persönliche Rache eines verwirrten Agenten."
Gilora erhob sich ebenfalls und trat neben ihren Mentor. Ihre Hand streifte mehr
seinen Arm, als dass sie ihn berührte. "Ich bin froh, dass Dir nichts passiert
ist."
Garak lächelte. "So würde ich das nicht nennen. Ich habe drei gebrochenen Rippen
und muss meinen Anzug in die Intensivreinigung geben. Er ist voll Blut!"
Gilora lächelte über die sarkastische Bemerkung. "Du hast Dich wirklich nicht
verändert, Elim."
"Oh, nur in dieser Beziehung nicht."
Gilora atmete hörbar ein und aus und sah aus dem Fenster. Ohne ihren Mentor
anzusehen fragte sie: "Wer ist noch in der Zelle?"
"Das wirst Du früh genug erfahren." Garaks Stimme klang scharf. Der persönliche
Moment war vergangen und Gilora hatte den Fehler gemacht, nach Informationen zu
fragen, die ihr noch nicht zustanden. Doch es musste sein. Wenn sie etwas über
Antia in Erfahrung bringen wollte, war dies ihre einzige Chance. Also ignorierte
sie Garaks Bemerkung und sah ihm ins Gesicht. "Was ist mit Antia L'hrel? Ist sie
dabei?"
Garak erwiderte ihren stechenden Blick mit derselben Intensität. "Ich weiß
nichts über Antia L'hrel!"
Gilora war nicht sicher, ob sie ihm glauben sollte. War da nicht für den
Bruchteil einer Sekunde ein Funken echter Überraschung in seinen Augen gewesen?
Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Gilora atmete aus und trat zurück.
Offenbar war Garak nicht willens, ihr die Informationen zu geben, die sie
wollte. Sie würde schon noch einen anderen Weg finden.
"Ich nehme an, die Koordinaten des Asteroiden sind bereits im
Navigationscomputer der Lavok?"
"Das sind sie."
"Gut. Dann brechen wir am besten gleich auf."
Garak sagte nichts, sondern sah sie nur mit ernstem Blick an. Dann hielt er ihr
zum Abschied die Handfläche entgegen. Mit einem Lächeln legte Gilora ihre an die
seine. Dann drehte sie sich wortlos um und ging zur Tür. Kurz bevor sie den
Türöffner betätigte fügte Garak hinzu: "Ach, Gilora. Natima L'hrel wird Euch
begleiten!"
Gilora öffnete die Tür und nickte ihm zu. Dann trat sie auf den Gang. Die Tür
schloss sich hinter ihr und Gilora blieb einen kurzen Moment stehen. Was hatte
nur diese letzte Bemerkung zu bedeuten? Hieß das, dass Natima doch Antia war?
Hatte Garaks Bemerkung, er wisse nichts über Antia, nur bedeutet, dass er nicht
über sie sprechen wollte, da sie gerade eine andere Identität hatte? Nämlich die
von Natima L'hrel?
Und dass Natima sie und Anan auf dem Flug begleiten würde, hieß das nicht, dass
sie ebenfalls der Zelle angehörte? Sprach das nicht dafür, dass Natima Antia
war? Und wenn sie es nicht war, hätte Garak dann nicht eher gesagt ‚Glinn L'hrel
wird Euch begleiten', anstatt Natima L'hrel wird Euch begleiten?
Gilora schüttelte den Kopf und machte sich auf den Weg zu ihrem Schiff. Leider
hatte die Begegnung mit ihrem Mentor so gar nicht die Erwartungen erfüllt, die
sie daran gehabt hatte.
***
Alanya Marritza schlug die Augen im selben Moment auf, als das Com-Signal ihr
mitteilte, dass jemand sie sprechen wollte. Die junge Sicherheitschefin rollte
sich aus dem Bett und warf einen kurzen Blick auf die Zeitanzeige auf ihrem Weg
zur Com-Einheit. Es war zwei Stunden vor ihrem Schichtbeginn. Sie hatte gerade
drei Stunden geschlafen und hätte eigentlich noch eine weitere Stunde schlafen
müssen, um ihre Regenerierungsphase abzuschließen. Beim Orden hatte sie gelernt,
ihren Körper an wenig Schlaf und lange Arbeitsphasen zu gewöhnen. Aber sie hatte
auch gelernt, Regenerierungsphasen einzuhalten wann immer möglich.
Alanya Marritza erreichte ihr Computerterminal und betätigte die Sprechanlage.
"Ja, Marritza hier?"
"Glinn Yarek hier", meldete sich einer der jungen Sicherheitsoffiziere aus
Alanyas Truppe. "Können Sie in Ihr Büro kommen? Dem Gefangenen Kovat geht es
anscheinend nicht besonders gut. Ich habe bereits Doktor Mera'ahl angefordert."
"Ich werde sofort kommen. Marritza Ende."
Alanya streifte in Eile ihre Uniform über, schloss ihre Uniformstiefel und
verließ ihr Quartier. Mit dem Turbolift war sie im Handumdrehen auf dem
Promenadendeck. Zügig bahnte sich die schmächtige junge Frau den Weg durch die
wenigen Passanten, welche zu der frühen Stunde bereits zwischen den neu
eröffneten Geschäften umherbummelten.
An zwei Legates vorbei, die sich über den unmöglichen Preis für rigatonischen
Schokoladenreis unterhielten, eilte Alanya Marritza in ihr Büro. Durch den hell
beleuchteten Korridor ging sie mit schnellen Schritten in den Zellenbereich. Die
Schiebetür zischte leicht, als Alanya in den Raum eintrat.
Drei Zellen mit einfachen Energiefeldern waren in dem Raum untergebracht. Sie
waren alle leer. Mitten im Raum stand ein junger Sicherheitsoffizier mit leicht
nervösem Gesichtsausdruck.
Alanya Marritza sah an ihm vorbei zu einer der leeren Zellen, deren Energiefeld
aufgehoben worden war. "Wo ist der Gefangene?"
"Doktor Mera'ahl sagte, sein Zustand sei kritisch." Der junge Glinn sah nicht
sehr glücklich aus. "Sie hat darauf bestanden, ihn unverzüglich in die
Krankenstation zu beamen."
Alanya Marritzas Gesichtsausdruck verhärtete sich. "Hatte ich Ihnen dazu die
Erlaubnis erteilt?"
Der junge Glinn biss die Zähne zusammen. "Nein, Chief."
"Wer hat auf dieser Station mehr Befehlsgewalt: Zivilärztin Mera'ahl oder ich?"
"Sie, Chief." Der junge Glinn zögerte sichtbar. "Ich habe Glinn Khalar mit auf
die Krankenstation beamen lassen, zur Verstärkung", fügte er dann hinzu.
"Danach habe ich nicht gefragt." Alanya Marritzas Blick wirkte undurchdringlich.
"Sie werden jetzt die Abfallentsorgung überwachen und dokumentieren, bis ich
komme, und Ihnen mitteile, welche Maßnahmen ich wegen ihres Ungehorsams
verhängen werde."
Der junge Glinn gab sich Mühe, sich sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen.
"Ja, Chief", erwiderte er zerknirscht.
Während der junge Mann sich zurückzog, atmete Alanya Marritza einmal kräftig
durch. Sie konnte nicht glauben, dass jemand, der durch eine cardassianische
Ausbildung gegangen war, einen solchen Dilettantismus an den Tag legen konnte.
Sie betätigte ihren Kommunikator: "Marritza an Khalar."
Außer Rauschen bekam Alanya Marritza keine Antwort.
Sie zog ihre Lippen zu einem unwilligen Strich zusammen. Im Gehen betätigte sie
ihren Kommunikator erneut: "Marritza an Doktor Mera'ahl."
Erneut bekam sie keine Antwort.
"Marritza an Krankenstation."
Dieses Mal erwartete Alanya Marritza eigentlich schon keine Antwort mehr. Die
Sicherheitschefin verließ in sichtlicher Eile ihre Büro: "Marritza an
Sicherheit. Ich brauche zwei Sicherheitsoffiziere in der Krankenstation,
sofort."
Fast schon im Laufschritt erreichte Alanya Marritza die Krankenstation. Als sie
eintreten wollte, öffnete sich die Tür nicht. Sie betätigte den Türöffner, doch
anscheinend war die Tür gesperrt worden, was nichts Gutes erwarten ließ. Zwar
konnten die Türen zur Krankenstation wie alle anderen Türen auf Empok Nor auch
verriegelt werden. Aber es entsprach nicht dem Normalzustand.
Innerlich fluchend gab die Sicherheitschefin den Öffnungscode ein. Doch die
Türanzeige wies sie darauf hin, dass der Öffnungsmechanismus diesen Code nicht
annahm. Jemand hatte den Code geändert.
Einer der angeforderten Sicherheitsbeamten eilte aus dem Turbolift, als Alanya
Marritza die Ops kontaktierte und die Freischaltung der Türen zur Krankenstation
anforderte.
Es dauerte einen Moment, dann hörte man, wie die Verriegelung der Tür aufgehoben
wurde. Die zwei Flügel der Tür glitten zurück und gaben den Weg in die
Krankenstation frei. Ein weiterer Sicherheitsoffizier kam herbeigeeilt.
Alanya zog ihre Waffe. "Erein Kovat befindet sich in der Krankenstation",
erklärte sie den beiden Männer. "Stellen Sie die Phaser auf Betäubung."
Die beiden stellten ihre Waffen ein und folgten Alanya durch die Tür in die
Krankenstation. Im Inneren war es stockdunkel. Irgend jemand schien die Energie
abgeschaltet zu haben.
"Beheben Sie das", befahl Alanya Marritza einem der Männer und glitt an der Wand
entlang weiter in den Raum. Schließlich blieb sie stehen und lauschte. Doch es
ließ sich kein Geräusch ausmachen.
Das Licht flammte auf, als der Sicherheitsoffizier die Energiezufuhr
wiederherstellte. Alanya Marritza hatte die Augen zusammengekniffen, um durch
das aufflackernde Licht nicht zu sehr geblendet zu werden. Langsam umrundete sie
die schweren Krankenliegen am Ende des Raumes.
"Marritza."
Alanya drehte sich um, als einer der Sicherheitsbeamten sie zu sich winkte.
"Hier ist Doktor Mera'ahl."
Alanya Marritza trat neben den Mann, der neben der Ärztin in die Hocke gegangen
war.
"Sie lebt. Anscheinend ist sie nur bewusstlos", stellte er fest.
Die Ärztin blinzelte bei den Worten des Mannes.
"Sie kommt gerade wieder zu Bewusstsein."
Alanya schnaubte in Gedanken. Das konnte sie selbst sehen. Sie beugte sich zu
der Ärztin herunter. "Doktor Mera'ahl können Sie mich hören?"
Die Ärztin stöhnte leicht und fuhr sich mit der Hand gegen die Stirn. Dann sah
sie Alanya an. Sie schien nachzudenken.
Alanya Marritza sah die Frau fest an. "Wo ist Erein Kovat?"
"Kovat." Die Augen der Zivilärztin weiteten sich erschrocken. "Er hat
versucht..."
Sie beendete ihren Satz nicht. Alanya Marritza folgte dem Blick der Ärztin zur
gegenüberliegenden Wand. Dort befand sich der Eingang zu den Wartungsschächten.
Und obwohl sich das Gitter vor dem Schacht befand, zweifelte Alanya Marritza
nicht im Geringsten daran, dass Kovat in den Schacht gestiegen war und das vor
seiner Flucht das Gitter wieder eingesezt hatte. Alanya Marritza stand einen
Augenblick wie gelähmt da. Über das System der Wartungsschächte konnte Erein
Kovat aus praktisch überall hin gelangen.
Die junge Sicherheitsoffizierin betätigte mechanisch ihren Kommunikator. Bevor
sie irgend etwas anderes tat, würde sie Garak verständigen müssen: Erein Kovat
war entkommen.
***
Alanya Marritza sah auf den zusammengesunkenen Cardassianer vor sich. Sein Atem
ging stockend und wurde ab und zu von einem leises Wimmern unterbrochen. Alanya
war keine Befürworterin von Gewalt bei einem Verhör. Sie wusste, dass man auf
diese Weise nur zu schnell das zu hören bekam, was man wollte und nicht das, was
man eigentlich hören sollte. Davon abgesehen war sie Garaks Schülerin und Garak
hatte schon immer die psychische Folter der physischen vorgezogen.
Gewalt wendete Alanya Marritza nur an, wenn sie sich sicher sein konnte, so
schneller zum Erfolg zu kommen - oder es keinen anderen Weg gab. Letzteres war
bei Erein Kovat der Fall. Die junge Sicherheitschefin hatte den Attaché
inzwischen gut drei Stunden verhört und war keinen Schritt weiter. Fast hatte
sie den Eindruck, dass Erein Kovat ihr nichts sagen konnte, weil er selbst nicht
wusste, warum er es getan hatte.
Natürlich musste es einen Grund für dieses Attentat geben. Aber nachdem Alanya
zu einer verschärften Form des Verhörs übergegangen war, hatte sie nur eine
Menge Gründe zu hören bekommen, die man vielleicht erwartet hätte. Allerdings
war sie sich ziemlich sicher, dass keiner davon der wahre Grund war. Zwar hatte
Erein Kovat eine gute Ausbildung beim Obsidian Order hinter sich, dass man
dadurch aber schmerzunempfindlich wurde, war ein weit verbreiteter Mythos. Einen
Agenten des Obsidian Order zu verhören war genauso einfach, wie jeden anderen
Verdächtigen zu verhören. Man musste nur damit rechnen, dass er sämtliche Tricks
selbst kannte. Am Prinzip änderte dies jedoch wenig.
Alanya Marritza wandte sich zu einem der Sicherheitsbeamten, der im Raum stand.
"Machen Sie weiter. Ich werde später wieder selbst mit dem Verhör fortfahren."
Der Mann nickte und Alanya wandte sich zum Gehen. Der kleine Raum, in welchem
sie das Verhör durchgeführt hatte, war extra dafür vorgesehen. Er war nicht sehr
groß und im Normalfall mit allem ausgestattet, was man für ein gutes Verhör
benötigte. Allerdings hatte es seit der Ablösung des Obsidian Order durch das
Intelligence-Bureau Verbote für einige Verhörmethoden gegeben. Es war allerdings
eines der Dinge, das Alanya weniger störte. Für ein ordentliches Verhör
benötigte man im Grunde ohnehin keine Hilfsmittel, es reichte, den Delinquenten
psychisch zu destabilisieren. Und falls man doch körperliche Gewalt anwenden
musste... nun, Alanya Marritza mochte von schmalem und zierlichem Körperbau
sein. Aber sie wusste, wie man jemanden systematisch zusammenschlagen konnte,
ohne ihn gleich bewusstlos werden zu lassen.
Sie hatte in ihrer Kindheit - obwohl sie nur ungern daran dachte - bereits viel
in diese Richtung gelernt und der Orden hatte diese Ausbildung konsequent
vervollständigt. Alanya verfügte über genug Kampftechniken, dass sie sich mit
einem Klingonen oder Jem'Hadar angelegt hätte, wenn es nötig gewesen wäre.
Die Sicherheitschefin von Terok Nor trat aus dem hellen Lichtkegel, der einen
Teil des Raumes erhellte in den hinteren Teil, der im Dunkeln lag. Dies hatte
einen rein praktischen Grund. Im Dunkel dieses Teils des Raumes konnte man
unbemerkt vom Delinquenten ein Verhör mit ansehen. Oft standen Vorgesetzte dort,
um ein Verhör zu überwachen, oder um einfach nur zu sehen, wie gut der
Verhörende seine Aufgabe meisterte.
So hatte auch Garak das Verhör verfolgt. Wortlos verließ er mit Alanya den Raum,
als diese aus dem Lichtkegel trat. Die Tür schloss sich zischend hinter ihnen.
Die Sicherheitschefin blieb in dem Zwischenraum stehen und sah ihn abwartend an.
"Nun, Marritza." Garak lächelte leicht. "Du scheinst keinen Erfolg gehabt zu
haben."
Alanya trat näher zu ihm. "Wenn Du das ganze Verhör gesehen hast, solltest Du
wissen, dass das nicht an mir liegt."
Garak nickte bedächtig. "Woran liegt es Deiner Meinung nach dann?"
"Fast sieht es so aus, als ob er selbst den Grund für sein Handeln nicht kennt."
"Dir ist klar, dass dies der unwahrscheinlichste aller Gründe ist."
"Warum habe ich den Eindruck, dass Du mehr weißt als ich, Garak?" Alanya sah den
Cardassianer von der Seite an.
Garaks Mund verzog sich zu einem sarkastischen Lächeln. "Lass uns in Dein Büro
gehen."
Alanya folgte Garak schweigend aus dem Zwischenraum. Wieder hatte sie dieses
seltsame Gefühl, als wäre seit ihrer letzten Begegnung keine Zeit verstrichen.
Als hätte es die Jahre von Garaks Exil nicht gegeben, die Jahre, in welchen sie
für Tain gearbeitet hatte.
Sie dachte nicht gerne an diese Jahre, obwohl sie wusste, dass Garak ihr daraus
keinen Vorwurf machte. Wenn sie versucht hätte wegen ihm, den Obsidian Order zu
verlassen, hätte er sie selbst vermutlich für dumm gehalten. Sie mochte Garak
besonders nahe gestanden haben, aber im Ende arbeiteten sie alle für Cardassia,
nicht für sich oder irgendjemand anderen. Es war kein Wunder, dass kaum einer
der Top-Agenten Kontakte zu seiner Familie hatte. Die Prioritäten verschoben
sich, wenn man zum Orden ging.
Alanya betrat ihr Büro und nahm hinter dem Schreibtisch Platz. Garak setzte sich
ihr gegenüber und reichte ihr einen isolinearen Stab. "Du solltest Dir dies hier
ansehen."
Alanya legte den Datenträger ein und warf einen ersten Blick auf die Daten. Die
meisten waren Lebensläufe.
"Agenten des Obsidian Order", stellte sie selbst fest.
Garak nickte. "Das ist die eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen", sagte er ruhig.
"Die andere ist, dass sie alle versucht haben Vertreter der neuen Regierung zu
ermorden. Die wenigsten waren erfolgreich. Aber wir hatten viel zu tun, diese
Morde unauffällig zu Unfällen oder natürlichen Toden zu ändern."
Alanya war während seiner Worte die Akten genauer durchgegangen. "Was haben sie
zu ihren Gründen gesagt?"
Garak sah Alanya fragend an. "Was meinst Du, was ihre Gründe waren?"
Alanya kniff kurz ihre Lippen aufeinander und antwortete schließlich: "Sie
wussten keine Gründe."
Garak nickte und lehnte sich zurück. "Und dabei habe ich zwei, drei von ihnen
selbst verhört, vor allem denjenigen, der es letzte Woche schon einmal auf mich
abgesehen hatte."
Alanya scrollte durch die Liste. "Haben wir überhaupt keinen Anhaltspunkt?"
"Nun ja." Garak sah Alanya an. "Natürlich waren die meisten Mitglieder des
Ordens in der Gefangenschaft des Dominions..."
Alanya erkannte, dass er Recht hatte, während sie noch einmal durch die
Lebensläufe sah. "Alle der Attentäter waren Gefangene des Dominions." Sie
stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch und versuchte nachzudenken. "Auch ich war
beim Dominion."
Garak schnaubte belustigt. "Dann gibt es etwas, das Du mir verraten kannst,
Marritza?"
Die Sicherheitschefin verzog ihren Mund als Antwort zu einem unwilligen Strich.
"Wenn das Dominion der ausschlaggebende Faktor sein sollte, bin ich mir nicht
sicher, warum Du damit zu mir kommst. Immerhin könnte in diesem Fall auch ich
eine potentielle Attentäterin sein."
"Du bist eine potentielle Attentäterin", erklärte Garak trocken. "Genauso wie
ich ein potentieller Attentäter bin. Auch ich war beim Dominion, wenn auch nicht
lange. Aber, wer weiß." Er lächelte leichthin. "Der Punkt ist jedoch, dass
niemand außer dem Obsidian Order in der Lage sein wird, Licht in diese
Angelegenheit zu bringen. Ich kann damit kaum zum Interims-Rates gehen, noch
nicht einmal zum Intelligence-Bureau. Du weißt selbst, welches Niveau der
Nachfolger unseres Ordens hat."
Alanya musste zugeben, dass sie sich dies hätte denken können. "Was soll ich
weiter tun?", wollte sie von Garak wissen.
"Nicht viel." Garak stützte die Arme auf den Tisch und legte die Fingerspitzen
aneinander, um darüber hinweg Alanya Marritza anzusehen. "Ich wollte, dass Du
Bescheid weißt. Vorerst wird sich jemand anderes darum kümmern. Aber behalte
Kovat im Auge. Vielleicht, wenn man lange genug wartet, bekommen wir doch noch
etwas aus ihm heraus. Etwas, das er selbst nicht weiß. Du solltest ihn rund um
die Uhr bewachen lassen. Er ist der einzige unserer Attentäter, der noch am
Leben ist. Überhaupt haben nur wenige von ihnen lang genug gelebt, dass sie
verhört werden konnten. Leider verfügen unsere Agenten über die manchmal etwas
unpraktische Angewohnheit, sich das Leben zu nehmen, wenn sie es für nötig
erachten."
Alanya Marritza wusste, worauf Garak anspielte. Jeder Agent des Obsidian Order
wurde während seiner Ausbildung mehrfach darauf hingewiesen, dass der Tod in
manchen Fällen für Cardassia das geringere Übel war. Zu diesem Zweck war jeder
Agent des Ordens mit einer Giftpille ausgerüstet, die ihn in kürzester Zeit
tötete und für die es kein Gegenmittel gab.
Alanya verdrängte den Gedanken an diese Art zu sterben und nickte Garak einfach
zu. "Ich werde Kovat keinen Moment aus den Augen lassen."
"Gut." Garak erhob sich. "Falls sich doch noch Neuigkeiten ergeben sollten,
wendest Du Dich bitte unverzüglich an mich. Ich werde noch eine Weile auf Empok
Nor sein."
Alanya nickte Garak zu und sah ihm nach, wie er ihr Büro verließ. Das waren
Nachrichten, die Grund zur Beunruhigung gaben. Der Orden hatte eine Unzahl von
Mitgliedern und die meisten waren in der Gefangenschaft des Dominions gewesen.
Kein Staat konnte sich eine solche Vielzahl an potentiellen Attentätern
erlauben.
Alanya Marritza sah nachdenklich auf die Personaldaten, die noch in ihrem
Computer gespeichert waren. Sie fragte sich, wer für die weiteren
Nachforschungen vorgesehen war. Ihr selbst hatte man vor ihrem Dienstantritt
deutlich gesagt, dass man eventuell von verschiedenen Seiten auf sie
zurückkommen würde. Es wäre interessant, herauszufinden, wer noch eine solche
Nachricht bekommen hatte. Aber, wenn man versuchen wollte, die geheimen Wege des
Nachrichtensystems des Obsidian Order zurückzuverfolgen, musste man schon mehr
als ein begabter Order-Agent sein. Im Grunde würde selbst ein Computergenie
damit seine Schwierigkeiten haben.
***
Natima L'hrel saß in ihrem Quartier an der Computereinheit und war in einige
Daten vertieft. Die junge Ingenieurin hatte seit einer halben Stunde ihre
Schicht beendet und sich gleich in ihr Quartier zurückgezogen. Sie hatte sich
einen kleinen Eintopf repliziert und war noch einmal das Steuerprogramm für den
Turbolift durchgegangen.
Als Natima auf Empok Nor eingetroffen war, hatte sich die Station in einem
miserablen Zustand befunden. Jetzt, nach Wochen der Arbeit, war fast alles im
normalen Bereich. Sogar die Turbolifts, die bis vor wenigen Stunden noch
Probleme bereitet hatten, schienen inzwischen wieder einwandfrei zu
funktionieren. Trotzdem sah Natima L'hrel das Programm noch einmal prüfend
durch.
Der Teller mit Eintopf stand neben der Konsole, während sie die Befehlszeilen
hinunter scrollte. Die Programme für Turbolifts gehörte zu den komplizierteren
Dingen einer Station. Sie waren oft derart verschachtelt, dass man tagelang nach
kleinen Fehlern suchen konnte, vor allem, wenn man nicht wusste, was genau man
suchte. Auch wenn das Problem zur Zeit nicht die höchste Priorität hatte, war es
für Natima L'hrel keine Frage, sich das Programm dennoch sofort vorzunehmen. Es
war eine Frage der Professionalität, sich trotzdem daran zu setzten. Es gab kein
Programm, dessen Fehler sie am Ende nicht gefunden hätte - mochte es noch so
kompliziert sein.
Die junge Ingenieurin nahm einen weiteren Löffel ihres Gemüseeintopfs und
scrollte eine weitere Reihe nach unten. Urplötzlich jedoch wurde der Bildschirm
schwarz. Natima L'hrel ließ den Löffel auf den Teller zurücksinken. Die junge
Frau wollte gerade dem Computer einen neuen Befehl geben, als das Emblem des
Obsidian Order auf dem Bildschirm aufleuchtete und sofort einer Com-Übertragung
Platz machte.
Auf dem Monitor erschien das Gesicht eines Cardassianers Ende Dreißig. Er trug
einfache Zivilkleidung und wirkte auf den ersten Blick erstaunlich schmächtig.
Natimas erster Blick galt seinen Haaren, welche deutliche Locken aufwiesen. Im
Grunde waren Locken für Cardassianer nichts ungewöhnliches. Nur entfernten die
meisten sie, da sie nicht dem als normal angesehenen Erscheinungsbild
entsprachen.
"Glinn L'hrel." Der Mann sah Natima bestimmend an. "Ich habe Arbeit für Sie."
Natima war ehrlich überrascht, ließ es sich aber nicht anmerken. "Wer sind Sie?"
"Ich habe Ihnen vor zwei Wochen bereits eine Nachricht zukommen lassen."
Natima spürte, wie ihr Herz ein wenig schneller schlug. Darauf hatte sie schon
die letzten Tage gewartet. Bevor sie ihre Einberufung vom Militär bekommen
hatte, war sie bereits durch eine kurze Nachricht darauf hingewiesen worden,
dass Cardassia sie auf Empok Nor brauchen würde und sie ihrer Einberufung auf
alle Fälle zu folgen hatte. Sie hatte mehrere Stunden lang versucht, die
Herkunft der Nachricht herauszubekommen. Aber alles, was sie hatte feststellen
können, war gewesen, dass derjenige, der diese Nachricht geschickt hatte, über
ein bemerkenswertes Verschlüsslungssystem verfügte und sich nicht mehr
identifizieren ließ. Bereits da war ihr klar gewesen, dass nur eine einzige
Institution auf Cardassia über solche Möglichkeiten verfügte und das Emblem das
dieser Nachricht nun vorausgegangen war, räumte die letzten Zweifel beiseite:
Der Obsidian Order hatte sich mit ihr in Kontakt gesetzt.
Natürlich gab es keinen Orden mehr. Jeder wusste das. Aber es gab auf Cardassia
ein Sprichwort, das besagte, dass nichts aufhörte zu existieren, solange es noch
Anhänger hatte. Das galt wohl auch für den Obsidian Order.
"In zwei Stunden wird ein Frachter Empok Nor verlassen", unterbrach der Mann
ihre Gedanken. "Gehen Sie an Bord. Man wird Ihnen dort alles Weitere mitteilen.
Sie finden einen offiziellen Grund für Ihre Abwesenheit in ihrem Arbeitsplan.
Viel Erfolg."
Ohne ein weiteres Wort oder eine Reaktion von Natima L'hrel abzuwarten,
deaktivierte der Unbekannte die Verbindung und sein Bild verschwand von Natimas
Monitor, um wieder dem Programm des Turbolifts Platz zu machen.
Natima nahm sich nicht die Zeit, überrascht auf ihren Bildschirm zu sehen.
"Computer, Rückverfolgung der letzten Nachricht."
"Die letzte Nachricht stammte von Elandra L'hrel, Cardassia Prime."
Die junge Ingenieurin rieb sich nachdenklich die Nase. Diese Nachricht hatte ihr
ihre Mutter am vorigen Abend geschickt.
"Zeige mir seitdem eingegangene Nachrichten an."
"Keine neueren Nachrichten."
"Zeige mir das Nachrichtenprotokoll an."
"Nachrichtenprotokoll wird geladen."
Natima sah die Daten durch. Der Kontakt zu dem unbekannten Anhänger des Obsidian
Order war nicht protokolliert. Angeblich war sie überhaupt nicht kontaktiert
worden. Um sicher zu gehen probierte Natima L'hrel noch einige ihrer speziellen
Tricks an der Konsole aus. Aber auch sie brachten nicht das gewünschte Ergebnis.
"Meine Hochachtung", murmelte sie. Ein wenig Ärger schwang in ihren Worten mit.
Eigentlich sollte sie sich so etwas nicht bieten lassen. Auf alle Fälle sollte
sie das nächste Mal besser vorbereitet sein. Während sie aufstand und den Teller
mit ihrem Eintopf beiseite stellte, kamen ihr bereits ein paar Ideen für
mögliche Abfangprogramme. Irgendwie musste sich dieser Cardassianer
zurückverfolgen lassen. Das war eine Frage der Ehre.
Natima nahm wieder Platz und erstellte eine neue Datei, um die erste Idee in ein
Programm umzuwandeln. Bevor sie aber begann, ging ihr noch etwas anderes durch
den Kopf. Der Unbekannte hatte ihr gesagt, dass sie in zwei Stunden an Bord
eines Frachters gehen sollte. Nur hatte er keinen Namen genannt. Aber den sollte
man schnell herausfinden können.
In Gedanken schon bei ihren Abfangprogrammen, lud Natima L'hrel den Flugplan für
den heutigen Tag auf ihren Monitor.
***
Gilora Macet trat in das Quartier ihres ehemaligen Mentors. Dieser stand
gegenüber der Tür an einem Fenster und drehte sich um, als sich die Tür hinter
ihr schloss.
"Du hast also meine Nachricht bekommen."
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, und eigentlich hätte es nicht
einmal derer bedurft, denn wenn Garak jemandem eine Nachricht übermitteln
wollte, dann stellte er sicher, dass diese auch ankam. Gilora beschloss daher,
den Kommentar zu ignorieren.
"Hallo Elim. Ich gratuliere Dir zu Deiner Rückkehr nach Cardassia!"
"Vielen Dank. Du hast doch nicht etwa daran gezweifelt, dass ich zurückkehren
würde?"
"Nein. Ich wusste, Du würdest nicht so schnell aufgeben."
Garak lächelte und wies auf das Sofa. "Setz Dich. Möchtest Du etwas trinken? Wir
sollten auf unser Wiedersehen anstoßen, nicht wahr?"
Gilora erwiderte das Lächeln und ließ sich auf dem Sofa nieder. "Wenn Du einen
guten Kanar da hast, sage ich nicht nein."
Elim Garak lachte in sich hinein. "Du hast Dich nicht verändert!"
"Woher willst Du das wissen?"
Garak sah sie fragend an.
"Womöglich habe ich mich nur in dieser Beziehung nicht verändert."
Garak goss Kanar in zwei Gläser und setzte sich neben sie. "Und in welcher
Beziehung hast Du Dich verändert, Gilora?"
Gilora lächelte das nichtssagende Lächeln, das sie von ihrem Mentor gelernt
hatte. "Wer weiß?", sie hob das Glas und prostete Garak zu, "das wirst Du
herausfinden müssen."
Beide tranken einen Schluck, dann sah Garak seine ehemalige Schülerin
nachdenklich an. "Leider fürchte ich, mir fehlt die Zeit dazu."
"Lass mich raten: Du verlässt Empok Nor."
"Nein. Du verlässt Empok Nor."
Gilora sah Garak abwartend an. Sie wusste, dass er ihr die Informationen geben
würde, die sie benötigte. Es hatte keinen Sinn danach zu fragen.
"Ich vermute, Dir ist bewusst, dass es kein Zufall war, dass Dir das Kommando
über die Lavok angeboten wurde."
"Allerdings. Mir ist auch bewusst, dass die Lavok kein normaler Frachter ist,
und dass es kein Zufall ist, dass Anan Entek mein Pilot ist."
Garak nickte. "Es gibt eine ganze Reihe von fähigen Agenten des Obsidian Order,
die nichts mit dem neuen Geheimdienst zu tun haben wollen. Es wäre doch eine
Schande all diese Talente brach liegen zu lassen."
Gilora versuchte aus Garaks stahlblauen Augen die Wahrheit zu lesen, als sie
erwiderte: "Du willst den Obsidian Order wieder aufbauen!"
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Garak erhob sich und trat an das
Fenster.
"So weit würde ich noch nicht gehen. Zunächst brauche ich eine flexible Truppe
von hochqualifizierten Leuten, deshalb habe ich eine Zelle aus fünf Personen
zusammengestellt." Er drehte sich wieder zu Gilora. "Du gehörst dazu."
"Das habe ich mir gedacht. Ich vermute, Entek ebenfalls?"
Garak nickte. "Ich habe einen ersten Auftrag für Euch. Ihr werdet mit der Lavok
in den Gamma-Quadranten fliegen. Es geht um Nachforschungen auf einem
Asteroiden, der vom Dominion als Gefangenenlager genutzt wurde."
"Irgend etwas Konkretes, nach dem wir suchen sollen?"
"Nein. Ihr sollt Euch dort nur umsehen. Ich habe das Gefühl, dass hinter diesem
Attentat mehr steckt, als die persönliche Rache eines verwirrten Agenten."
Gilora erhob sich ebenfalls und trat neben ihren Mentor. Ihre Hand streifte mehr
seinen Arm, als dass sie ihn berührte. "Ich bin froh, dass Dir nichts passiert
ist."
Garak lächelte. "So würde ich das nicht nennen. Ich habe drei gebrochenen Rippen
und muss meinen Anzug in die Intensivreinigung geben. Er ist voll Blut!"
Gilora lächelte über die sarkastische Bemerkung. "Du hast Dich wirklich nicht
verändert, Elim."
"Oh, nur in dieser Beziehung nicht."
Gilora atmete hörbar ein und aus und sah aus dem Fenster. Ohne ihren Mentor
anzusehen fragte sie: "Wer ist noch in der Zelle?"
"Das wirst Du früh genug erfahren." Garaks Stimme klang scharf. Der persönliche
Moment war vergangen und Gilora hatte den Fehler gemacht, nach Informationen zu
fragen, die ihr noch nicht zustanden. Doch es musste sein. Wenn sie etwas über
Antia in Erfahrung bringen wollte, war dies ihre einzige Chance. Also ignorierte
sie Garaks Bemerkung und sah ihm ins Gesicht. "Was ist mit Antia L'hrel? Ist sie
dabei?"
Garak erwiderte ihren stechenden Blick mit derselben Intensität. "Ich weiß
nichts über Antia L'hrel!"
Gilora war nicht sicher, ob sie ihm glauben sollte. War da nicht für den
Bruchteil einer Sekunde ein Funken echter Überraschung in seinen Augen gewesen?
Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Gilora atmete aus und trat zurück.
Offenbar war Garak nicht willens, ihr die Informationen zu geben, die sie
wollte. Sie würde schon noch einen anderen Weg finden.
"Ich nehme an, die Koordinaten des Asteroiden sind bereits im
Navigationscomputer der Lavok?"
"Das sind sie."
"Gut. Dann brechen wir am besten gleich auf."
Garak sagte nichts, sondern sah sie nur mit ernstem Blick an. Dann hielt er ihr
zum Abschied die Handfläche entgegen. Mit einem Lächeln legte Gilora ihre an die
seine. Dann drehte sie sich wortlos um und ging zur Tür. Kurz bevor sie den
Türöffner betätigte fügte Garak hinzu: "Ach, Gilora. Natima L'hrel wird Euch
begleiten!"
Gilora öffnete die Tür und nickte ihm zu. Dann trat sie auf den Gang. Die Tür
schloss sich hinter ihr und Gilora blieb einen kurzen Moment stehen. Was hatte
nur diese letzte Bemerkung zu bedeuten? Hieß das, dass Natima doch Antia war?
Hatte Garaks Bemerkung, er wisse nichts über Antia, nur bedeutet, dass er nicht
über sie sprechen wollte, da sie gerade eine andere Identität hatte? Nämlich die
von Natima L'hrel?
Und dass Natima sie und Anan auf dem Flug begleiten würde, hieß das nicht, dass
sie ebenfalls der Zelle angehörte? Sprach das nicht dafür, dass Natima Antia
war? Und wenn sie es nicht war, hätte Garak dann nicht eher gesagt ‚Glinn L'hrel
wird Euch begleiten', anstatt Natima L'hrel wird Euch begleiten?
Gilora schüttelte den Kopf und machte sich auf den Weg zu ihrem Schiff. Leider
hatte die Begegnung mit ihrem Mentor so gar nicht die Erwartungen erfüllt, die
sie daran gehabt hatte.
***
Alanya Marritza schlug die Augen im selben Moment auf, als das Com-Signal ihr
mitteilte, dass jemand sie sprechen wollte. Die junge Sicherheitschefin rollte
sich aus dem Bett und warf einen kurzen Blick auf die Zeitanzeige auf ihrem Weg
zur Com-Einheit. Es war zwei Stunden vor ihrem Schichtbeginn. Sie hatte gerade
drei Stunden geschlafen und hätte eigentlich noch eine weitere Stunde schlafen
müssen, um ihre Regenerierungsphase abzuschließen. Beim Orden hatte sie gelernt,
ihren Körper an wenig Schlaf und lange Arbeitsphasen zu gewöhnen. Aber sie hatte
auch gelernt, Regenerierungsphasen einzuhalten wann immer möglich.
Alanya Marritza erreichte ihr Computerterminal und betätigte die Sprechanlage.
"Ja, Marritza hier?"
"Glinn Yarek hier", meldete sich einer der jungen Sicherheitsoffiziere aus
Alanyas Truppe. "Können Sie in Ihr Büro kommen? Dem Gefangenen Kovat geht es
anscheinend nicht besonders gut. Ich habe bereits Doktor Mera'ahl angefordert."
"Ich werde sofort kommen. Marritza Ende."
Alanya streifte in Eile ihre Uniform über, schloss ihre Uniformstiefel und
verließ ihr Quartier. Mit dem Turbolift war sie im Handumdrehen auf dem
Promenadendeck. Zügig bahnte sich die schmächtige junge Frau den Weg durch die
wenigen Passanten, welche zu der frühen Stunde bereits zwischen den neu
eröffneten Geschäften umherbummelten.
An zwei Legates vorbei, die sich über den unmöglichen Preis für rigatonischen
Schokoladenreis unterhielten, eilte Alanya Marritza in ihr Büro. Durch den hell
beleuchteten Korridor ging sie mit schnellen Schritten in den Zellenbereich. Die
Schiebetür zischte leicht, als Alanya in den Raum eintrat.
Drei Zellen mit einfachen Energiefeldern waren in dem Raum untergebracht. Sie
waren alle leer. Mitten im Raum stand ein junger Sicherheitsoffizier mit leicht
nervösem Gesichtsausdruck.
Alanya Marritza sah an ihm vorbei zu einer der leeren Zellen, deren Energiefeld
aufgehoben worden war. "Wo ist der Gefangene?"
"Doktor Mera'ahl sagte, sein Zustand sei kritisch." Der junge Glinn sah nicht
sehr glücklich aus. "Sie hat darauf bestanden, ihn unverzüglich in die
Krankenstation zu beamen."
Alanya Marritzas Gesichtsausdruck verhärtete sich. "Hatte ich Ihnen dazu die
Erlaubnis erteilt?"
Der junge Glinn biss die Zähne zusammen. "Nein, Chief."
"Wer hat auf dieser Station mehr Befehlsgewalt: Zivilärztin Mera'ahl oder ich?"
"Sie, Chief." Der junge Glinn zögerte sichtbar. "Ich habe Glinn Khalar mit auf
die Krankenstation beamen lassen, zur Verstärkung", fügte er dann hinzu.
"Danach habe ich nicht gefragt." Alanya Marritzas Blick wirkte undurchdringlich.
"Sie werden jetzt die Abfallentsorgung überwachen und dokumentieren, bis ich
komme, und Ihnen mitteile, welche Maßnahmen ich wegen ihres Ungehorsams
verhängen werde."
Der junge Glinn gab sich Mühe, sich sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen.
"Ja, Chief", erwiderte er zerknirscht.
Während der junge Mann sich zurückzog, atmete Alanya Marritza einmal kräftig
durch. Sie konnte nicht glauben, dass jemand, der durch eine cardassianische
Ausbildung gegangen war, einen solchen Dilettantismus an den Tag legen konnte.
Sie betätigte ihren Kommunikator: "Marritza an Khalar."
Außer Rauschen bekam Alanya Marritza keine Antwort.
Sie zog ihre Lippen zu einem unwilligen Strich zusammen. Im Gehen betätigte sie
ihren Kommunikator erneut: "Marritza an Doktor Mera'ahl."
Erneut bekam sie keine Antwort.
"Marritza an Krankenstation."
Dieses Mal erwartete Alanya Marritza eigentlich schon keine Antwort mehr. Die
Sicherheitschefin verließ in sichtlicher Eile ihre Büro: "Marritza an
Sicherheit. Ich brauche zwei Sicherheitsoffiziere in der Krankenstation,
sofort."
Fast schon im Laufschritt erreichte Alanya Marritza die Krankenstation. Als sie
eintreten wollte, öffnete sich die Tür nicht. Sie betätigte den Türöffner, doch
anscheinend war die Tür gesperrt worden, was nichts Gutes erwarten ließ. Zwar
konnten die Türen zur Krankenstation wie alle anderen Türen auf Empok Nor auch
verriegelt werden. Aber es entsprach nicht dem Normalzustand.
Innerlich fluchend gab die Sicherheitschefin den Öffnungscode ein. Doch die
Türanzeige wies sie darauf hin, dass der Öffnungsmechanismus diesen Code nicht
annahm. Jemand hatte den Code geändert.
Einer der angeforderten Sicherheitsbeamten eilte aus dem Turbolift, als Alanya
Marritza die Ops kontaktierte und die Freischaltung der Türen zur Krankenstation
anforderte.
Es dauerte einen Moment, dann hörte man, wie die Verriegelung der Tür aufgehoben
wurde. Die zwei Flügel der Tür glitten zurück und gaben den Weg in die
Krankenstation frei. Ein weiterer Sicherheitsoffizier kam herbeigeeilt.
Alanya zog ihre Waffe. "Erein Kovat befindet sich in der Krankenstation",
erklärte sie den beiden Männer. "Stellen Sie die Phaser auf Betäubung."
Die beiden stellten ihre Waffen ein und folgten Alanya durch die Tür in die
Krankenstation. Im Inneren war es stockdunkel. Irgend jemand schien die Energie
abgeschaltet zu haben.
"Beheben Sie das", befahl Alanya Marritza einem der Männer und glitt an der Wand
entlang weiter in den Raum. Schließlich blieb sie stehen und lauschte. Doch es
ließ sich kein Geräusch ausmachen.
Das Licht flammte auf, als der Sicherheitsoffizier die Energiezufuhr
wiederherstellte. Alanya Marritza hatte die Augen zusammengekniffen, um durch
das aufflackernde Licht nicht zu sehr geblendet zu werden. Langsam umrundete sie
die schweren Krankenliegen am Ende des Raumes.
"Marritza."
Alanya drehte sich um, als einer der Sicherheitsbeamten sie zu sich winkte.
"Hier ist Doktor Mera'ahl."
Alanya Marritza trat neben den Mann, der neben der Ärztin in die Hocke gegangen
war.
"Sie lebt. Anscheinend ist sie nur bewusstlos", stellte er fest.
Die Ärztin blinzelte bei den Worten des Mannes.
"Sie kommt gerade wieder zu Bewusstsein."
Alanya schnaubte in Gedanken. Das konnte sie selbst sehen. Sie beugte sich zu
der Ärztin herunter. "Doktor Mera'ahl können Sie mich hören?"
Die Ärztin stöhnte leicht und fuhr sich mit der Hand gegen die Stirn. Dann sah
sie Alanya an. Sie schien nachzudenken.
Alanya Marritza sah die Frau fest an. "Wo ist Erein Kovat?"
"Kovat." Die Augen der Zivilärztin weiteten sich erschrocken. "Er hat
versucht..."
Sie beendete ihren Satz nicht. Alanya Marritza folgte dem Blick der Ärztin zur
gegenüberliegenden Wand. Dort befand sich der Eingang zu den Wartungsschächten.
Und obwohl sich das Gitter vor dem Schacht befand, zweifelte Alanya Marritza
nicht im Geringsten daran, dass Kovat in den Schacht gestiegen war und das vor
seiner Flucht das Gitter wieder eingesezt hatte. Alanya Marritza stand einen
Augenblick wie gelähmt da. Über das System der Wartungsschächte konnte Erein
Kovat aus praktisch überall hin gelangen.
Die junge Sicherheitsoffizierin betätigte mechanisch ihren Kommunikator. Bevor
sie irgend etwas anderes tat, würde sie Garak verständigen müssen: Erein Kovat
war entkommen.
***
