***

Die Lavok beschleunigte langsam auf Warp 6, nachdem sie das Trivas-System
verlassen hatte. Anan Entek gab den Kurs nach Deep Space Nine ein. Bis dorthin
würde der Flug beinah einen Tag dauern. Und von Deep Space Nine aus durch das
Wurmloch zu dem fraglichen Asteroiden nochmals eineinhalb Tage. Möglicherweise
würde es etwas schneller gehen, wenn Rin Hoval die Antriebssysteme auf ihr
Optimum gebracht hatte. Nach einem erneuten Blick auf die Kurskorrekturen,
aktivierte Entek den Autopiloten und drehte sich zu seinen Begleiterinnen um.
Gilora Macet zog sich an einem vorstehenden Träger hoch und zählte die Sekunden.
Schließlich ließ sie sich eben so langsam wieder herunter und begann erneut.
"Würden Sie bitte damit aufhören, Macet! Sie machen mich nervös."
Es war nicht das erste Mal, dass Glinn L'hrel sich beschwerte. Seit sie Empok
Nor verlassen hatten, hatte sie mehrmals betont, dass ihr Giloras Übungen auf
die Nerven gingen - ohne Erfolg. Offenbar erkannte sie jetzt, dass ihre
Beschwerden ungehört verhallen würden und wandte sich zu Anan Entek. "Ich wüsste
zu gerne, was wir auf diesem Asteroiden überhaupt sollen!"
Entek strich sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht und sah sie aus
blassgrünen Augen an. "Wir sollen uns umsehen."
"Aber wonach suchen wir?"
Mit einem leisen Plumps ließ Gilora sich auf den Boden fallen. "Das werden wir
dann schon sehen." Sie begann ein paar Dehnübungen für ihre Arme zu machen und
fügte hinzu: "So läuft das nun einmal beim Obsidian Order, man bekommt nie mehr
Informationen als unbedingt notwendig. Dann kann man auch nichts ausplaudern,
sollte man gefangen genommen und gefoltert werden."
"Beim Obsidian Order?" Natima L'hrel war nicht wirklich überrascht, schließlich
war kaum zu übersehen gewesen, dass ihr geheimnisvoller Auftraggeber sich mit
dem Orden identifizierte. Warum hätte er sonst dessen Emblem benutzt? Allerdings
hatte sie den Eindruck, dass Macet und Entek mehr wussten als sie selbst.
"Natürlich beim Obsidian Order!" Macet wischte sich die wenigen Schweißtropfen
aus dem Gesicht, die sich dort gebildet hatten und setzte sich an ihre Konsole.
"Was dachten Sie denn, wer uns in den Gamma-Quadranten geschickt hat?"
"Ich habe so etwas vermutet, aber da mein geheimnisvoller Informant sich nicht
ausdrücklich als Agent des Ordens zu erkennen gegeben hat, habe ich es
vorgezogen keine voreiligen Schlüsse zu ziehen!"
Auf Macets Gesicht erschien ein halb spöttisches, halb mitleidiges Lächeln.
"Beim Obsidian Order wird nichts ausdrücklich gesagt, daran sollten Sie sich
gewöhnen."
Natima spürte, wie Ärger in ihr aufstieg. Sie hatte das Gefühl, dass Macet sie
nicht ernst nahm, und sie hatte das Gefühl, dass sie ihr mit Absicht nicht
sagte, was sie wusste. Aber Natima war entschlossen, so viel in Erfahrung zu
bringen wie möglich, wenn sie schon an dieser mysteriösen Mission in den Gamma-
Quadranten teilnehmen musste.
"Also heißt das, dass ich jetzt beim Obsidian Order bin? Ich habe keinerlei
Beitrittserklärung abgegeben."
"Das ist auch nicht nötig." Entek lehnte sich zurück. "Offenbar hat der Orden
entschieden, dass Sie ein vielversprechendes Talent sind. Und jetzt werden Sie
entsprechend gefördert - und gefordert!"
"Aber der Obsidian Order hat sich doch aufgelöst und wurde durch das
Intelligence-Bureau ersetzt! Für wen arbeite ich denn nun?"
"Für Cardassia", lächelte Gilora. Langsam verstand sie, was Anan damit gemeint
hatte, als er bei L'hrel ein ‚überaus gesundes Selbstwertgefühl' diagnostiziert
hatte. Und es begann Gilora auf die Nerven zu gehen. Falls Glinn L'hrel nicht
die war, für die sie sich ausgab, spielte sie ihre Rolle wirklich gut. Und falls
Natima nicht Antia war, konnte es nicht schaden sie ein wenig im Dunkeln tappen
zu lassen.
Anan Entek schüttelte den Kopf. "Komm schon, Gilora. Das ist nicht fair. Du
solltest ihr wenigstens sagen, was wir wissen. Viel ist es ja gerade nicht."
Gilora nickte kurz, dann sah sie zu Natima "Es gibt tatsächlich keinen Obsidian
Order, zumindest noch nicht. Der neue Geheimdienst ist eine mittlere
Katastrophe. Man könnte meinen, es handele sich um eine Behörde - lauter
Bürokraten, die keine Ahnung davon haben, wie man Informationen beschafft und
verwaltet. Deshalb wird der Obsidian Order wieder aufgebaut werden. Aus
geeigneten Leuten werden einzelne Zellen gebildet, nach dem alten Modell des
Ordens. Zur Zeit gibt es eine, und das sind wir."
Und Entek fügte hinzu: "Wir drei, und noch zwei andere."
Natima versuchte, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen und gab ihrer
Stimme einen möglichst neutralen Tonfall. "Woher wissen Sie das alles?"
Entek grinste und sah zu Macet. "Nun, wie soll ich es sagen, Gilora hat sehr
gute Beziehungen zu Garak!"
Natima sah ebenfalls zu Macet, die aber keine Miene verzog und keine Anstalten
machte etwas zu erwidern. Also wandte sie sich wieder zu Entek. "Ihr habt die
Informationen von Garak?"
"Du nicht?" Entek klang überrascht. "Ich hatte angenommen, er allein würde die
Fäden ziehen."
"Der Mann, der mich kontaktiert hat, hat keinen Namen genannt. Er war Ende
dreißig - und hatte Locken."
"Locken?" Gilora Macet rieb sich ihre rechte Stirnridge. "Ich kenne keinen
Agenten mit Locken." Dann zuckte sie die Schultern. "Aber das hat nichts zu
bedeuten. Wer weiß, in wessen Zelle er bisher gearbeitet hat. Oder - ob
überhaupt."
Entek zuckte ebenfalls mit den Schultern. "Vermutlich ist unser geheimnisvoller
Lockenschopf der Kopf der Zelle. Garak kann es sich meiner Meinung nach nicht
leisten mit einer Gruppe im Stil des Obsidian Order in Verbindung gebracht zu
werden."
"Und warum hat er mich dann in sein Quartier zitiert, um mir sein Konzept zu
unterbreiten?", warf Gilora ein.
"Vielleicht wollte er Dich wiedersehen?" Anan Entek war sich bewusst, dass er
stichelte. Aber es machte ihm Spaß, Gilora ein bisschen aufzuziehen. "Halt die
Klappe, Anan!" reagierte diese ungewohnt heftig. Etwas ruhiger fügte sie dann
hinzu: "Garak ist nichts weiter als mein Mentor. Egal was einmal war!"
Entek zog es vor, darauf nicht zu antworten. Offenbar hatte er hier einen wunden
Punkt entdeckt, den er weiter ausloten würde, wenn er mit Gilora allein war.
Einen Moment herrschte Stille. Anan wandte sich zu seiner Navigationskonsole und
Gilora starrte zu Boden. Derartige Ausbrüche waren nicht sehr typisch für sie,
und leider führten sie auch selten dazu, dass sie sich besser fühlte. Wäre
L'hrel nicht gewesen, hätte sie Anan klargemacht, wo seine Grenzen waren. Wenn
sie nur wüsste, ob L'hrel Antia war, oder nicht. Dann könnte sie viel offener
sprechen. Gedankenverloren sah sie zu Natima. Diese schien nachzudenken. Wie zu
sich selbst sagte sie: "Wer sind wohl die anderen zwei Mitglieder der Zelle?"
Wie einer plötzlichen Idee folgend, hob sie den Kopf. "Gehört Euer Ingenieur
auch dazu?" Der letzte Satz klang etwas pikiert, und machte deutlich, was Natima
von männlichen Ingenieuren hielt.
Gilora war das nicht entgangen. Derartige Vorurteile ärgerten sie und mit
scharfer Stimme entgegnete sie: "Rin Hoval kümmert sich um die Lavok, das ist
alles. Aber er weiß Bescheid. Er wurde beim Orden ausgebildet und ist ein
entsprechend guter Ingenieur!" Sie ließ keinen Zweifel daran, dass das ihre
ehrliche Meinung war.
Natima beschloss, sich nicht mit Macet über den jungen Mann zu streiten und
sagte stattdessen: "Aber wer könnte dann dazugehören?"
Entek trommelte mit den Fingern auf der Konsole. "Marritza, möglicherweise."
Gilora nickte zustimmend. "Das wäre logisch. Sie ist vom Orden und Garak
gegenüber loyal. Und sie hat den optimalen Posten, um verschiedenartige
Informationen zu sammeln - sicher nicht durch Zufall!"
Natima wunderte sich, woher Macet all diese Informationen hatte. Kannte sie die
Sicherheitschefin etwa aus Zeiten des Obsidian Orders? Oder war Macet über alle
Besatzungsmitglieder so gut informiert? Fast war der Gedanke Natima unheimlich.
"Aber warum ist sie dann nicht mit uns mitgekommen?"
"Weil wir sie nicht brauchen, wahrscheinlich." Entek stand auf und während er
zum Replikator ging, fügte er hinzu: "Es wäre ziemlich auffällig, wenn zwei
Besatzungsmitglieder auf einem nichtssagenden Frachter in den Gamma-Quadranten
aufbrechen würden."
Natima nickte. Das machte Sinn.
"Aber wer könnte noch dabei sein?", sprach Gilora Macet ihren Gedanken aus.
Ratlos sah sie zu Entek, der mit einem replizierten Essen zu seiner Konsole
zurückkehrte und sich setzte. Er erwiderte ihren Blick und zuckte mit den
Schultern. "Wer weiß?"
Natima wünschte sich, jetzt mit Informationen aufwarten zu können, wie Macet es
zuvor getan hatte. Aber leider war ihr das nicht vergönnt. Sie erhob sich und
streckte die Arme. Beinahe konnte sie die Wände und die Decke berühren - der
Frachter war nicht gerade geräumig. Langsam wurde ihr klar, warum Macet sich
nicht von ihren Turnübungen hatte abbringen lassen. "Ich werde mir ein bisschen
die Beine vertreten!" Entek nickte ihr zu, von Macet kam keine Reaktion. Natima
zuckte die Schultern und verließ die Navigationseinheit. Sie war mit Sicherheit
nicht auf Gilora Macets Wohlwollen angewiesen.

***

"Rein theoretisch dürfte er nicht weit kommen." Paluk Dukat fuhr im Turbolift
zum Promenadendeck hinunter. Über sein Com-Armband sprach er mit Marritza, die
ihn gerade von Erein Kovats Flucht unterrichtet hatte. "Alle Luftschleusen sind
gesperrt worden. Wir müssen ihn nur lokalisieren."
"Ich bin bereits dabei", erklärte Alanya Marritzas Stimme ruhig über das Com.
"Ich hätte ihn schon längst lokalisiert, wenn ich dieselben Zugangsrechte hätte
wie zu Zeiten des Ordens."
"Jetzt werden Sie Kovat eben so lokalisieren müssen", erklärte Dukat bissig.
Alanya Marritza verzichtete offenbar auf eine Antwort. Einen Augenblick war es
still. Dann meldete sie sich wieder. "Ich habe ihn. Deck 4. Sektion 21/78. Ich
schicke meine Leute los."
Deck 4? Dukat sah auf die Anzeige und hielt den Turbolift dann an. Er befand
sich auf Höhe von Deck 4. "Ich werde ihnen von Turbolift 9 entgegenkommen."
Bevor die Türen auseinander glitten, atmete Paluk Dukat noch einmal kurz durch.
Dann trat er aus dem Lift und schlug einen der Korridore in Richtung der
Mannschaftsquartiere ein.
Sektion 21/78 war einer der sich noch im Umbau befindlichen Labortrakte. Dukat
bemühte sich, keine weiteren Geräusche zu verursachen, als er den Korridor
entlang eilte.
Aus einem Quergang kam ihm jedoch jemand entgegen, der sich weniger Mühe gab,
sich geräuschlos fortzubewegen. Einen Augenblick zweifelte Dukat daran, dass die
näherkommenden Schritte zu Erein Kovat gehörten. Niemand, der eine Ausbildung
beim Obsidian Order abgeschlossen hatte, würde sich so auffällig laut
fortbewegen.
Dennoch blieb Dukat hinter einer Ecke seines Ganges stehen und wartete, bis die
Schritte ihn erreicht hatten. Paluk Dukat hielt den Atem an und zog seinen
Phaser. Ein Cardassianer bog um die Ecke.
Einen Augenblick sah Erein Kovat Dukat überrascht an. Paluk Dukat versuchte,
diesen kurzen Augenblick zu nutzen und zielte auf den Attaché. Aber Kovat
reagierte erstaunlich schnell. In einer blitzartigen Bewegung warf er sich zu
Boden. Gleichzeitig stieß er mit seinen Füßen im Fallen gegen Dukat. Der Schwung
warf Dukat rückwärts gegen die Wand des Ganges. Der Phaser wurde ihm aus der
Hand geschlagen und schlitterte den Gang hinunter. Kovat rappelte sich auf und
flüchtete in die entgegengesetzte Richtung.
Dieses Mal reagierte auch Dukat schnell. Er verzichtete darauf, erst
zurückzulaufen und seinen Phaser zu holen, sondern rannte Kovat hinterher den
Gang hinunter. Im Laufen aktivierte er sein Com-Armband: "Marritza. Ich habe
Kovat aufgespürt. Verfolge ihn in Richtung der Laborräume."
"Verstanden. Ich habe Sie lokalisiert. Verstärkung ist unterwegs."
Paluk Dukat sprintete Kovat hinterher. Der Attaché hatte einen leichten
Vorsprung, aber Dukat ging es im Grunde nicht darum, ihn einzuholen. Es würde
vollkommen langen, wenn er ihm auf den Fersen blieb. Marritza hatte ihn
angepeilt. Wenn er an Kovat bleiben würde, würde dieser ihren Sicherheitskräften
über kurz oder lang in die Falle gehen. Dukat musste nichts riskieren.
Kovat rannte in einen weiteren Quergang. Dukat schlitterte um die Ecke und jagte
dem Attaché hinterher. Im Laufen sah Erein Kovat über die Schulter zurück. Dann
bog er erneut ab. Dukat ihm hinterher.
Der Gang, in dem sie sich jetzt befanden, endete an einer Tür. Erein Kovat
bremste seinen Lauf. Die Tür benötigte einen Augenblick, um sich zu öffnen. In
der kurzen Zeit hatte Dukat den Attaché fast erreicht.
Direkt hinter Kovat stürmte Dukat in den Raum. Es war der vordere Lagerbereich
für die Laborräume. Hohe Regale, die mit Schutzfolie abgedichtet waren, standen
dort in langen Reihen. Der Attaché flüchtete durch den Raum und verschwand in
einer der Reihen. Dukat spurtete ihm hinterher. Kovat stürzte in Richtung der
hinteren Tür. Sie öffnete sich mit einem Zischen.
Der Anflug eines zynisches Lächeln breitete sich auf Dukats Gesicht aus, als er
vor der Tür sein Tempo drosselte und in gemächlichem Tempo Kovat durch die Tür
folgte. Der Laborbereich, der hinter der Tür lag, war noch nicht vollständig
ausgebaut worden. Direkt hinter der Tür klaffte ein Abgrund von knapp fünf
Ebenen. Erein Kovat saß in der Falle.

Ihren Blick auf den Tricorder geheftet, eilte Alanya Marritza gefolgt von zwei
ihrer Sicherheitsbeamten in Richtung des Laborbereiches. Das Gerät zeigte ihr
deutlich Glinn Dukats Position an. Und da der erste Offizier der Station Erein
Kovat verfolgte, war es auch dessen Position.
Während Alanya einen Raum mit Containern durchquerte, verfolgte sie mit den
Augen das Signal auf ihrem Com. Dukat und Kovat kamen ihr direkt entgegen.
Alanya musste nicht den Stationsplan abfragen, um zu wissen, dass ihre
Verfolgungsjagd gleich zu Ende sein würde. Die Laborbereiche, die zwischen Dukat
und Kovat sowie ihr und ihren Beamten lagen, verfügte noch über keine
Bodenplatten. Über fünf Ebenen erstreckte sich ein Abgrund, den Kovat unmöglich
überqueren konnte. Zwar gar es einen Weg nach unten. Aber dieser befand sich auf
Alanyas Seite.
"Horak, schließen Sie zu Glinn Dukat auf", befahl Alanya einem ihrer Männer, als
sie den letzten Korridor vor dem Labortrakt erreicht hatten.
Sie selbst durchquerte mit dem verbleibenden Sicherheitsoffiziere den letzten
Raum vor dem Labortrakt. Als sich die Tür vor ihnen öffnete, konnten sie auf der
anderen Seite bereits Erein Kovat sehen. Er stand auf dem schmalen Absatz hinter
der Tür und sah anscheinend ungläubig auf die Leere vor ihm. Sein nächster Blick
galt Marritza, die knapp fünfzig Meter ihm gegenüber stand. Dann drehte sich
Kovat um und sah zu Dukat, der hinter ihm langsam auf die Plattform trat.
Der Glinn sprach mit dem Attaché. Aber Alanya konnte aus der Entfernung nicht
ausmachen, was genau Dukat Kovat sagte. Vermutlich wies er ihn darauf hin, dass
man ihn gestellt hatte. Alanya kniff die Augen zusammen, als sie sah, dass Kovat
den Kopf schüttelte. Ohne Dukat aus den Augen zu lassen, ging der Attaché
rückwärts in den Raum.
Alanya Marritza konnte sehen, wie Dukat noch einen Schritt nach vorne machte, um
Kovat zu ergreifen. Aber der Absatz, auf dem die beiden Männer standen war nur
sehr schmal. Nach zwei Schritten rückwärts, war Kovat bereits ins Leere
getreten. Sein Körper kippte nach hinten. Ohne zu schreien fiel Erein Kovat in
die Tiefe. Es gab ein hässliches Geräusch, als er am Ende der fünften Ebene auf
den Boden aufschlug und regungslos liegen blieb.
Über den Abgrund sahen sich Alanya Marritza und Paluk Dukat kurz an. Dann begann
die Sicherheitschefin von Empok Nor über die in die Wand eingelassenen
Trittstufen nach unten zu steigen.

***

Natima L'hrel sah sich in dem kleinen Quartier um, das für den Verlauf der
Mission ihres sein würde. Die Lavok war ein kleines Frachtschiff, das im
Gegensatz zu den Standardfrachtschiffen, die für 30 Mann Besatzung ausgelegt
waren, maximal 18 Mann unterbringen konnte. Inklusive der Flugcrew. Natimas
Quartier war, wie die meisten anderen auch, für zwei Personen ausgelegt. Aber da
die Lavok außer Macet, Entek und Hoval keine Besatzung hatte, standen die
meisten Quartiere leer. Das Quartier war schmal. Die Pritschen waren unter der
Decke angebracht, um auf dem Boden Platz zu sparen. Es gab zwei Spinde, einen
Tisch und zwei Stühle. Unter den Pritschen war Platz genug, um vielleicht einen
Sessel unterzubringen, oder eine eigene Kommode. Insgesamt war das Quartier
einfach und karg. Sogar die Nasszelle musste geteilt werden - obwohl sich nur
eine Person zur Zeit darin aufhalten konnte.
Natima setzte sich auf einen der Stühle und holte ihr PADD aus ihrer
Reisetasche. Der Flug war lang genug, so dass sie sich ihrem neuen Projekt
widmen konnte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es nicht möglich sein
sollte, den geheimnisvollen Mann ausfindig zu machen, der sie kontaktiert hatte.
Sie betrachtete ihre bisherigen Entwürfe für das Abfangprogramm. Unzufrieden
biss sie sich auf die Lippe. Das war alles viel zu naheliegend. Dieser Mann war
vom Obsidian Order, da würde sie sich schon kompliziertere Algorithmen ausdenken
müssen. Entschlossen löschte Natima die Datei und begann von vorn.

Gilora Macet trat in das Quartier des Guls. Ihr Quartier. Bei dem Gedanken daran
musste sie jedesmal schmunzeln. Aber da die Lavok keine militärische Crew hatte,
hatten sie einfach die Offiziersquartiere untereinander aufgeteilt. Dass Gilora
das Quartier des Guls ergattert hatte lag einfach daran, dass sie sich um die
Frachtlisten kümmern würde. Und das Quartier des Guls zeichnete sich - abgesehen
von geringfügig mehr Fläche - vor allen anderen dadurch aus, dass es einen
Arbeitsraum hatte. Nun, das war ein bisschen übertrieben. Es hatte einen
schmalen Raum in den ein kleiner Schreibtisch passte, samt Stuhl. Das war alles.
Gleichzeitig war dies das einzige Quartier, das einen eigenen Computeranschluss
hatte. Und einen Replikator - Luxus der oberen Ränge. Nichtsdestotrotz würde
Gilora ihn kaum nutzen, wenn sie nicht allein essen wollte.
Das Gästequartier, das einzig andere Quartier, das für eine Person ausgelegt
war, hatte Anan in Beschlag benommen. Rin hatte ein Doppelquartier für sich,
ebenso wie Natima.
Gilora setzte sich an den Schreibtisch und aktivierte die Konsole. Eigentlich
hatte sie vorgehabt ein paar Flugrouten zu überprüfen, die ihr von einem
Frachtergul empfohlen worden waren, aber dann rief sie doch den Schiffsplan auf.
Die Lavok war kein gewöhnlicher Frachter. Ein Teil der Ladekammern, und auch der
Quartiere, war zweckentfremdet worden, um mehr Raum zu haben. Mehr Raum für
Technologie, die normalerweise auf einem Frachter nichts zu suchen hatte.
Zusätzlich zu den üblichen Disruptorwaffen hatte die Lavok einen Torpedowerfer,
der auch Sonden aussetzen konnte. Der Antrieb bestand nicht wie bei Frachtern
üblich aus einem, sondern aus zwei Warp-Systemen, was die Maximalgeschwindigkeit
der Lavok von Warp 6,5 auf Warp 9,5 hob. Normalerweise. Sobald Rin Hoval die
Systeme auf die geringere Größe der Lavok eingestellt hatte, würden sie sogar
Warp 9,7 fliegen können.
All diese Systeme nahmen Platz weg, den die Lavok eigentlich nicht hatte. Der
Mannschaftsraum und vier von den insgesamt 10 Quartieren waren daher aufgelöst
worden, um mehr Platz zu erhalten. Nur zwei Doppelquartiere standen noch zur
Verfügung.
Es stellte sich die Frage, ob nicht zumindest eines von ihnen einem besseren
Verwendungszweck zugeführt werden konnte. Möglicherweise ließ sich ein Sportraum
einrichten, oder eine Sauna. Gilora schüttelte den Kopf. Nein, letzteres war zu
gewagt. Die hohen Temperaturen konnten unbeabsichtigte Auswirkungen haben. Auf
jeden Fall musste ein Ersatz für den Mannschaftsraum her. Ein halbwegs großer
Raum, wo sie zu dritt, oder gegebenenfalls auch zu viert sitzen konnten.
Schließlich konnten sie nicht ständig jeder für sich in ihren Quartieren sitzen.
Und so groß, dass man sich gerne zu dritt darin aufhielt, war selbst das des
Guls nicht.
Gilora schüttelte den Kopf und deaktivierte die Konsole. Die Sache mit Antia,
bzw. Natima L'hrel ließ ihr keine Ruhe. Sie würde wieder auf die Brücke gehen.
Gilora schmunzelte. Die Navigationseinheit war eigentlich zu klein, um den Namen
Brücke zu verdienen, trotzdem musste sie so genannt werden, denn eine andere
Kommandozentrale gab es nicht. Der einzige, der wahrscheinlich genügend Platz
bei der Arbeit hatte, war wohl Rin Hoval. Der Maschinenraum war schon vorher
nicht klein gewesen, jetzt erstreckte er sich beinah über das halbe Schiff. Rin
würde vermutlich viel Arbeit mit den modifizierten Systemen haben. Nun, dazu war
er schließlich ausgebildet worden. Gilora trat vor ihr Quartier und sah den Gang
entlang in Richtung der anderen Quartiere. Falls sich L'hrel noch in dem ihrem
befand, hatte Gilora jetzt die Gelegenheit mit Anan zu sprechen.

***

Paluk Dukat schreckte hoch, als ihn das Piepen der Com-Anlage aus seinem Schlaf
riss. Er fühlte sich wie gerädert. Außerdem schmerzte seine Schulter an der
Stelle, an welcher ihn Kovats Streifschuss getroffen und zwei seiner Ridges
zerstört hatte.
Paluk Dukat räusperte sich und beantwortete schließlich das Com, dessen
Signalton ihn geweckt hatte. "Glinn Dukat hier."
"Hier Basra", erklärte dessen Stimme über die Sprechanlage. "Verschiedene
Stationen melden uns kleinere Probleme mit Computerprogrammen. Einige Systeme
sind ausgefallen. Marritza meint, dass es gut möglich sei, dass dies ein
Ablenkungsmanöver sein könnte. Die Föderationsdelegation verlässt in einer
Stunde Empok Nor. Ich weiß, dass Sie gerade Schichtfrei haben, aber ich möchte
dass Sie dafür sorgen, dass es keine weiteren Zwischenfälle, wie während des
Empfangs, gibt."
"Ich werde mich unverzüglich darum kümmern." Dukat nickte dem Gul zu.
Basra beendete den Kontakt und Paluk Dukat stand einen Augenblick in Gedanken in
seinem Quartier. Er hatte eine Stunde, um die nötigen Sicherheitsmaßnahmen
einzuleiten, damit die Diplomaten ohne weitere Zwischenfälle Empok Nor verlassen
konnten. Vermutlich würde das Standardssicherheitsprotokoll in diesem Fall nicht
ausreichen. Er würde mit Marritza wegen der Einzelheiten sprechen müssen.
Schon in Gedanken bei der Aufgabe, zog sich Dukat seine Uniform an und verließ
das Quartier.

***

"Was tun Sie da?" Rin Hoval sah überrascht auf Glinn L'hrel, die an seiner
Kontrollkonsole stand.
"Ich sehe mir Ihre Einstellungen an!" L'hrels Stimme klang, als würde sie mit
einem Kleinkind sprechen. "Der Warpantrieb ist nicht voll einsatzfähig. Ein
guter Ingenieur hätte das schon längst behoben!"
Hoval unterdrückte den Impuls sich zu rechtfertigen. "Sie müssen mir nicht
sagen, wie ich die Lavok zu warten habe. Was wissen Sie schon, was hier zu tun
war?"
Natima verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. "Ich kann mir schon
vorstellen, dass Sie viel zu tun hatten. Aber Sie sollten lernen, Prioritäten zu
setzten! Aber wahrscheinlich wissen Sie nicht einmal, wie Sie den Antrieb
optimieren können!"
Hoval spürte, wie eine ohnmächtige Wut in ihm aufstieg. Er hasste Frauen wie
L'hrel, die männlichen Ingenieuren kaum mehr zutrauten, als einen Flux-Coupler
zu halten, während sie selbst das gesamte System umkrempelten. L'hrels Schönheit
machte es allerdings nicht eben einfach, sie zu hassen. Entschlossen presste der
junge Ingenieur die Lippen aufeinander und entgegnete dann: "Ich weiß sehr wohl,
dass der Materie-Antimaterie-Fluss neu kalibriert werden muss. Ich bin nur noch
nicht dazugekommen!"
"Natürlich!" L'hrel erhob sich von seiner Konsole. "Und wahrscheinlich wissen
Sie auch, dass der Plasmaverteiler mehr Kapazität braucht, das ODN-Gitter nicht
optimal eingestellt ist und der Energiekonverter nicht effizient genug
arbeitet."
"Sicher!" Hoval schluckte. Er würde das überprüfen. Sobald L'hrel gegangen war.
Diese drehte sich, etwas ungelenk, wie Hoval mit ein wenig Genugtuung
beobachtete, zum Gehen. Bevor sie den Maschinenraum verließ, warf sie Hoval noch
einen Blick zu und ergänzte: "Falls Sie Hilfe benötigen, sagen Sie mir nur
Bescheid. Ich bin auf der Brücke!" Damit war sie fort. Rins Augen hatten sich
bei ihrem letzten Kommentar verengt. Was, in aller Gottheiten Namen hatte L'hrel
dazu veranlasst zu denken, er würde mit den Systemen seines Schiffes nicht
alleine klarkommen? Sie kannte ihn nicht einmal. Trotzdem hatte sie einzig aus
der Tatsache, dass er ein Mann war geschlossen, dass er unter Niveau arbeitete.
Weil Frauen nun mal die Wissenschaften dominierten. Das war lächerlich. jeder
Mann konnte ein genauso guter Ingenieur sein, wie eine Frau!
Entschlossen trat Rin Hoval an sein Kontrollpult und rief die Daten des ODN-
Gitters auf. Konzentriert betrachtete er die Einstellungen. Sie waren nach allen
Regeln der Vorschriften konfiguriert. Jede Änderung würde sich unweigerlich auf
eines der anderen Systeme des Schiffes auswirken, und das war nicht akzeptabel.
Auch wenn sich dadurch die Computerleistung erhöhte. Rin schüttelte den Kopf.
Wahrscheinlich hatte L'hrel nur ihre Überlegenheit ausspielen wollen. Trotzdem
kontrollierte er auch die Einstellungen des Energiekonverters. Aber auch hier
war es dasselbe. Einzig die Kapazität des Plasmaverteilers konnte weiter erhöht
werden ohne dass das Risiko bestand, die Systeme des Ionen-Energie-Netzwerkes zu
überladen.
Rin Hoval nahm seine Werkzeugbox und trat an den nächstliegenden Wartungstunnel,
um sich an die Arbeit zu machen. Er öffnete das Schott und stellte den Deckel an
der Wand ab. Bevor er in den Tunnel stieg, schüttelte er, noch immer leicht
verärgert, den Kopf. Das wäre ihm spätestens bei der nächsten Systemdiagnose der
Stufe zwei aufgefallen, dafür brauchte er sicherlich nicht die Chefingenieurin
von Empok Nor!

***

Paluk Dukat stand an der Luftschleuse zum oberen Pylonen und verfolgte über
einen Monitor wie das Diplomatenschiff der Föderation von Empok Nor abdockten.
Entgegen den Befürchtungen Marritzas und Gul Basras war alles ohne Zwischenfälle
verlaufen. Niemand hatte ein weiteres Attentat auf das Leben eines Diplomaten
unternommen. Mit Kovats Tod war für Dukat dieses Kapitel ohnehin abgeschlossen.
Noch am Abend nach dem Attentat auf Garak hatte er seinen Bericht abgeschlossen.
Und nun, nach Kovats Tod, schien es ihm sehr unwahrscheinlich, dass man jemals
die Beweggründe des Attachés herausfinden könnte. Dass er einen Komplizen auf
der Station hatte, hielt Dukat dabei für höchst unwahrscheinlich. Das Attentat
auf Garak war von einem einzigen Mann ganz alleine geplant gewesen. Vielleicht
hatte er Auftraggeber gehabt. Aber gehandelt hatte er ganz alleine.
Der erste Offizier von Empok Nor beobachtete die Anzeigentafel, die das Lösen
der Andockklammer des zweiten oberen Pylons vermeldete. Auf der schematischen
übersicht erschien ein kleiner grüner Punkt, das Föderationsschiff, der sich
langsam von der Station entfernte. Dukat betrachtete die Daten auf dem Monitor
vor ihm. Alle Anzeigen waren innerhalb des normalen Bereichs. Es gab nichts, was
Grund zur Besorgnis gab.
Doch urplötzlich verfinsterte sich Dukats Gesicht. Eine der Anzeigen am oberen
Rand des Monitors leuchtete unvermittelt auf und der grüne Punkt hörte auf sich
zu bewegen. Paluk Dukat sah voller Unglauben auf seine Anzeigen. Er konnte nicht
fassen, was er sah. Wer war nur auf diesen Gedanken gekommen? Dukat schüttelte
den Kopf und kontaktierte die Ops, um zu erfahren, warum gerade jetzt die
Schutzschilde aktiviert worden waren.

***

Natima L'hrel betrat die Brücke. Anan Entek warf ihr ein Lächeln zu und sah dann
wieder auf seine Anzeigen. "Sie kommen gerade rechtzeitig. Wir passieren gerade
Deep Space Nine. Wenn Sie auf den linken Sichtschirm sehen, können Sie
beobachten, wie sich in 1,32 Minuten das Wurmloch öffnet!"
Natima folgte seinem Blick auf den Sichtschirm. Sie hatte gehört, dass der
Anblick des sich öffnenden Wurmloches sehr schön sein sollte. Und tatsächlich
war das Phänomen durchaus beeindruckend. In gewisser Weise. Warum die Bajoraner
so ein Brimborium darum machten, war ihr allerdings vollkommen schleierhaft.
Genaugenommen war die Phase des Durchflugs wesentlich beeindruckender.
Schließlich umgab sie wieder die vertraute Dunkelheit des Alls. Anan Entek
berechnete den neuen Kurs, dann beschleunigte er die Lavok auf ihre
Höchstgeschwindigkeit. Natima warf einen Blick auf die Anzeigen. "Warp 9,1? Ich
denke, die Lavok verfügt über zwei Warpantriebs-Systeme! Auch wenn ich nicht
weiß, was ein so kleines Schiff damit soll, aber mehr als Warp 9,1 lässt sich in
jedem Fall herausholen."
Anan nickte. "Ich weiß. Rin Hoval arbeitet daran."
"Da wäre ich nicht so sicher. Als ich mir vorhin die Systemeinstellungen
angesehen habe, musste ich ihn erst darauf hinweisen, dass der Antrieb optimiert
werden kann."
Anan sah sie erstaunt an. "Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Rin Hoval ist
ein wirklich guter Ingenieur, sonst hätte er die Ingenieurschule des
Geheimdienstes sicher nicht abgeschlossen."
"Ach, kommen Sie! Es ist eine Tatsache, dass Männer keinen Kopf für die
Wissenschaften haben. Frauen sind nun einmal die besseren Ingenieure - Männer
haben dafür andere Qualitäten:" Sie warf Anan einen charmanten Blick zu. Dieser
erwiderte lächelnd: "Mag ja sein, dass Frauen im Schnitt besser sind. Aber
deswegen sind nicht alle Männer schlechte Ingenieure. Ganz davon abgesehen, dass
Rin sicher nicht sehr begeistert war, dass Sie ungefragt in seinen
Systemeinstellungen herumschnüffeln."
Das charmante Lächeln war einem schnippischen Tonfall gewichen, als Natima
entgegnete: "Ich wollte nur helfen. Und für mich sah es so aus, als wäre das
auch notwendig!"
Anan wandte sich wieder seinen Kursberechnungen zu. "Das mag ja sein. Aber wie
würden Sie reagieren, wenn eine fremde Ingenieurin sich ungefragt ihre
Einstellungen ansieht und sie auf ihre Schwachstellen hinweist?"
"Meine Systeme haben keine Schwachstellen!"
"Nein, sicher nicht." Anan schloss die Kurskorrektur ab. "Wie dem auch sei, in
etwa 29 Stunden werden wir unsere Zielkoordinaten erreicht haben." Und mit einem
Blick auf Natima fügte er hinzu: "Sie sollten Hoval gegenüber etwas freundlicher
sein. Er ist noch sehr jung - und entsprechend zurückhaltend. Aber er leistet
gute Arbeit. Ein Lob von einer Ingenieurin wie Ihnen würde ihm sicher gut tun!"
Damit aktivierte er den Autopiloten und erhob sich. In diesem Moment öffnete
sich die Tür der Brücke mit einem leisen Zischen und Gilora trat ein. Anan wies
auf den Pilotensitz und deutete eine Verbeugung an. "Setz Dich, Gilora, Du musst
nur ab und zu den Kurs korrigieren. Ansonsten ist die Lavok Dein!"
Gilora lächelte und ließ sich an der Navigationskonsole nieder. "Geh schlafen,
Anan! Ich weiß, wie man ein Schiff fliegt!"
Anan nickte und wandte sich zur Tür. Natima folgte ihm. Auch wenn sie nicht müde
war, hatte sie keine Lust, mit Gilora Macet allein auf der Brücke zu sein. Es
würde sich schon eine sinnvolle Beschäftigung finden lassen.

***