***

Paluk Dukat kroch im Licht einer Handlampe durch eine der Wartungsröhren von
Empok Nor. Direkt hinter ihm war Marritza. Das Licht ihrer Lampe schien noch ein
Stück an Dukat vorbei.
Dukat erreichte das Ende der Wartungsröhre und kletterte aus der Öffnung. Er
befand sich in einem kleinen Kontrollraum, von dem man im Notfall die Systeme
der Station kontrollieren konnte - allerdings brauchte man dazu Energie! Dukat
wartete nicht auf Marritza, sondern öffnete die Wandverschalung. Aus einer
Nische hob er die, für diesen Fall dort deponierte, Energiezelle und trat an die
Kontrollkonsole. Zwar war die Wahrscheinlichkeit eines kompletten Systemausfalls
sehr unwahrscheinlich. Aber er wie sich gerade zeigte, nicht auszuschließen. In
einem solchen Fall konnte von verschiedenen Kontrollräumen aus die wichtigsten
Systeme der Station manuell mit Notenergie versorgt werden. Die Energiezelle,
die Dukat nun mit der Konsole verband, konnte Energieengpässe von bis zu sechs
Stunden überbrücken.
Marritza war schweigend neben Dukat getreten und sah zu, wie er die nötigen
Verbindungen herstellte. Sobald die Energiezelle ihre Arbeit aufgenommen hatte,
mussten sie als erstes Gul Basra von ihrer Lage unterrichten. Dann würde es noch
einmal gut sieben Stunden dauern, bis sie den Kern hochfahren konnten, denn die
Hauptenergiequelle von Empok Nor musste vollständig abkühlen, bevor sie neu
initialisiert werden konnte. Dann dauerte es nochmals einige Stunden, bevor er
wieder ausreichend Energie produzierte.
Dukat beendete seine Arbeit an der Energiezelle und aktivierte die
Computerkonsole. Gleich darauf zeigte die Anzeige, dass die wichtigsten Bereiche
der Station mit Notenergie versorgt wurden. Marritza sah die Systemdateien
durch. "Die Lebenserhaltungs- und primären Sicherheitssysteme sind wieder aktiv.
Kovats Programm hat sich durch den Energieausfall vermutlich selbst gelöscht.
Ich kann es jedenfalls nicht mehr in den Datenbanken finden."
"Es wäre verhältnismäßig logisch. Wenn sein Plan funktioniert hätte, und ein
Suchtrupp auf Empok Nor eingetroffen und uns alle tot aufgefunden hätte, wäre es
nicht sehr sinnvoll gewesen, wenn noch Reste des Programms hätten gefunden
werden können, die Rückschlüsse auf den Urheber erlauben würden." Dukat atmete
erleichtert auf. Es war vorbei. Der erste Offizier von Empok Nor betätigte die
Kommunikationsfläche der Konsole. "Dukat an Gul Basra."
"Basra hier. Sprechen Sie."
"Kovats Programm hat bei unserem Versuch, Zugriff auf es zu bekommen, alle
Systeme deaktiviert. Marritza und ich haben eine Energiezelle aktiviert."
"Allerdings haben wir ein neues Problem, Gul", erklärte Marritza, die, während
Dukat gesprochen hatte, weitere Systemdaten durchgegangen war. "Da die Reaktoren
nicht kontrolliert abgeschaltet worden sind, wird der Computer eine zusätzliche
Sicherheitsfrist verstreichen lassen. Diese Energiezelle verfügt nicht über
genug Energie um die gesamte Zeitspanne zu überbrücken, bis der Hauptreaktor
wieder genug Energie produziert."
Einen Augenblick war es still. "Sie werden die Energiezelle wieder abschalten
müssen", erklärte Basra dann das aus dieser Erklärung folgende. "Vor sieben
Stunden können wir die Reaktorkerne nicht hochfahren. Es gibt verschiedene
Dinge, die wir noch tun sollten, bevor wir die Zelle abschalten, vor allem, was
die Besatzung angeht. Ich werde mich darum kümmern und mich dann wieder bei
Ihnen melden."
Dukat bestätigte den Befehl. Er sah zu Marritza, auf deren Gesicht keinerlei
Gefühlsregung zu entdecken war. Offenbar machte ihr die Situation kaum etwas
aus. Während Dukat noch darüber nachdachte, was gerade im Kopf der jungen Frau
vorging, informierte ihn ein leises Piepen auf der Konsole, dass alle
Vorkehrungen getroffen waren. Mit einem leisen Seufzen deaktivierte Paluk Dukat
die Energiezelle. Mit einem Schlag kehrte die Dunkelheit nach Empok Nor zurück.

***

Anan Entek rieb sich die klammen Hände und setzte sich an die
Navigationskonsole. "Nichts wie weg hier. Ich brauche dringend ein gutes Essen!"
Natima trat an den Replikator und bestellte sich einen Rot-Blatt-Tee. "Irgendwie
war das gruselig! All diese Leichen, in der Dunkelheit..." Sie schüttelte sich
leicht. Anan sah sie überrascht an. Er hätte nicht erwartet, dass die kühle
Natima L'hrel sich ein paar Tote so zu Herzen nehmen würde. Nun ja. Auch wenn
sie nur geringfügig jünger war als er und Gilora, hatte sie bisher nur auf
Cardassia gelebt und studiert. Da blieben einem Erfahrungen wie diese natürlich
erspart.
Die Tür öffnete sich und Gilora trat ein. Auch sie sah ziemlich verfroren aus.
"Was gäbe ich für eine heiße Wasserdusche! Die Schallduschen wärmen lange nicht
so gut!"
"Ein Pferd, ein Pferd," Anan sah sie an und lächelte, "mein Königreich für ein
Pferd!" Dann bemerkte er Natimas und Giloras verständnislose Blicke.
Natima schüttelte den Kopf. "Was bitte, ist ein Pferd!"
"So etwas ähnliches, wie ein Reithund!"
"Aha" Gilora und Natima hatten beide spontan geantwortet und sahen sich ratlos
an. Dann fügte Gilora hinzu: "Und was hat ein...Pferd mit einem Königreich zu
tun?"
Anan lächelte und strich sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. "Der Satz
stammt aus der irdischen Literatur. Mein Vater ist Literaturhändler, und seit
dem Frieden führt er auch terranische Dateien. Bevor ich nach Empok Nor
aufgebrochen bin, hat er mir einige seiner Neuzugänge zugesteckt."
Natima sah ihn skeptisch an. "Irdische Literatur? Also, ich weiß nicht, ob mich
das reizen würde..."
Anan wiegte den Kopf. "Es ist manchmal...ein bisschen seltsam. Aber meistens ist
es ziemlich erheiternd. Natürlich kein Vergleich mit den romulanischen Epen."
Gilora setzte sich an ihre Konsole. "Die werden überbewertet. Ich fand sie nicht
besonders spannend, nach dem ersten Teil habe ich aufgehört zu lesen."
Anan lehnte sich zurück. "Ich gebe zu, sie verlieren in der Übersetzung."
Ruckartig sahen Natima und Gilora ihn an. "Du hast sie im Original gelesen?"
Gilora konnte es nicht fassen.
"Sie können Romulanisch?" Natima sah ihn bewundernd an. Natürlich konnte auch
sie ein paar Brocken Romulanisch, aber für ganze Bücher reichte es bei weitem
nicht. Genaugenommen nicht einmal für eine intelligente Unterhaltung.
Anan lachte auf. Seine graugrünen Augen blitzten, als er die zwei jungen Frauen
ansah. "So viel Bewunderung? Nur weil ich ganz passabel Romulanisch spreche? Das
hätte ich nicht erwartet, meine Damen." Kopfschüttelnd sah er auf seine Konsole
und beschleunigte auf Warpgeschwindigkeit, während er hinzufügte: "Alles was man
braucht ist ein wenig Übung, sonst nichts."
Gilora und Natima sahen sich schweigend an. Beide waren sich sicher, dass es bei
ihnen mit ein wenig Übung nicht getan wäre.
Gilora aktivierte ihre Computerkonsole und überspielte die Daten der DNA- und
Blutproben vom Tricorder auf den Schiffscomputer. Dann sah sie zu Anan. "Wir
sollten die Daten möglichst schnell an Garak schicken." Entek nickte. "Was ist
mit den Verlaufsprotokollen aus den Datenbanken?"
Gilora wiegte den Kopf. "Ich denke, die geben wir ihm lieber erst, wenn die
anderen Dateien auch dekodiert sind." Sie wandte sich zu L'hrel. "Können Sie
schätzen, wie lange Sie brauchen werden?"
Natima überlegte kurz. "Wenn wir zurück sind, bin ich auf jeden Fall fertig!"
Gilora nickte. "Gut. Das muss Garak reichen!" Dann aktivierte sie das
Kommunikationssystem der Lavok und kodierte die Nachricht. Natima sah ihr über
die Schulter. "Eine interessante Art, ein Signal zu zerstreuen!"
"Nicht wahr?" Gilora schickte die Nachricht ab. "Irgendwie ist es ästhetisch."
Dann erhob sie sich. "Ihr entschuldigt mich? Ich muss dringend etwas essen und
eine warme Dusche nehmen, auch wenn es nur eine Schalldusche ist!" Und zu Anan
gewandt fügte sie hinzu: "Ich löse Dich in zwei Stunden ab, o.k.?"
Als Anan seine Zustimmung genickt hatte, verließ sie die Brücke.

***

Natima L'hrel stand mit leicht zusammengekniffenen Augen auf der Brücke der
Lavok als sie Empok Nor erreichten. Die Station schien ohne Energie im All zu
schweben. Jedenfalls war Empok Nor dunkel. Weder war Licht von den zahlreichen
Außenräumen der Station zu sehen, noch von den Positionsleuchten.
"Ich kann keinen Kontakt bekommen", stellte Anan Entek vom Sitz des Piloten
fest.
Gilora, die über eine der Konsolen gebeugt war, nickte zur Bestätigung. "Alle
Systeme scheinen ausgefallen zu sein."
Natima betrachtete mit verschränkten Armen die Station auf dem Sichtschirm. Noch
während Gilora sprach, zeigten die Sensoren eine Erhöhung der Energiewerte der
Station an.
"Versuchen Sie jetzt, Empok Nor zu kontaktieren", erklärte Natima an Anan
gewandt.
Der Pilot der Lavok schüttelte amüsiert den Kopf und ignorierte den befehlenden
Unterton in Natimas Stimme.
"Wir bekommen nur einen Audiokontakt." Er öffnete einen Kanal. "Lavok an Empok
Nor."
"Hier Empok Nor."
Anan erinnerte sich, die Stimme seines Gegenübers schon einmal gehört zu haben.
Sie gehörte dem Kommunikationslieutnant Hernandez. "Wir bitten um Zuteilung
eines Andockplatzes."
"Bitte gedulden Sie sich einen Augenblick."
Die Kommunikation wurde unterbrochen. Natima, Gilora und Anan sahen einen
Augenblick schweigend auf den Sichtschirm.
"Sieht aus, als hätten sie Probleme mit dem Zentralcomputer...", stellte Gilora
in den Raum.
"Unwahrscheinlich." Natimas Antwort kam schnell. "Alle Systeme haben einwandfrei
funktioniert, als wir Empok Nor verlassen haben."
Gilora wurde von einer ironischen Antwort abgehalten, als sich Hernandez wieder
bei Ihnen meldete. "Lavok. Aufgrund verschiedener Computerprobleme können wir
ihnen frühestens in einer Stunde eine Andockklammer zuweisen. Glinn L'hrel soll
jedoch unverzüglich auf die Station beamen."
"Verstanden. Lavok Ende." Anan Entek sah zu Natima, deren Mund zu einem
unwilligen Strich verzogen war.
Natima L'hrel erwiderte seinen Blick.
"Ich beame Sie direkt auf die Ops", erklärte Anan an L'hrel gewandt.
Natima nickte.

***

Als sie auf der Station materialisierte begrüßte sie ein kalter Lufthauch. Die
Ingenieurin warf einen argwöhnischen Blick auf eine der Anzeigen an der Wand.
Die Temperatur war nahe der Gefriergrenze und der Sauerstoffgehalt war viel zu
niedrig. Während Gul Basra zu ihr herüberkam, kontrollierte Natima die
Lebenserhaltungssysteme. Aber sie schienen einwandfrei zu funktionieren.
Natima L'hrel rief den Statusbericht der letzten Tage auf. Ihre Augen weiteten
sich überrascht, als sie ungläubig durch die Angaben der letzten Stunden
scrollte.

***

Alanya Marritza saß in ihrem Büro und war in ihre Arbeit vertieft. Die Lage auf
der Station hatte sich wieder normalisiert. Alle Systeme funktionierten
einwandfrei. Glinn L'hrel hatte noch einmal eine komplette Systemanalyse
durchlaufen lassen. Aber Kovats Programm war endgültig verschwunden, ohne
irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Hätte Marritza nicht gleich zu Anfang die
Daten zur Dokumentation auf einem ihrer PADDs gespeichert, wäre wohl niemand
mehr in der Lage gewesen, aus dem Programm noch irgendwelche Rückschlüsse über
seinen Verursacher zu ziehen.
Aber so war Natima L'hrel damit beschäftigt, Kovats Programm zu entschlüsseln.
Vielleicht ergab sich dabei etwas, das ihnen weiterhelfen konnte. Was nämlich
das Grundproblem anging, waren sie keinen Schritt weiter.
Noch immer wussten sie nicht, warum Kovat versucht hatte, Garak zu töten und
warum anscheinend eine nicht geringe Anzahl weiterer Agenten des Obsidian Order
ähnliches getan hatte.
Die Sicherheitschefin von Empok Nor sah auf, als Garak ihr Büro betrat. Während
die Föderationsdelegation bis auf Diplomat Jellico und Ltd. Hernandez die
Station bereits wieder verlassen hatten, befanden sich die cardassianischen
Diplomaten noch auf Empok Nor. Vermutlich wollte Garak das Ende der
Untersuchungen abwarten.
"Störe ich?" Garak war zu Marritza getreten.
Alanya schüttelte den Kopf. "Womit kann ich Dir helfen?"
"Ich wollte sehen, ob es etwas Neues gibt."
"Nichts, was Du nicht schon wüsstest." Selbstironie lag in ihren Worten, als
wenn Garak jemals darauf angewiesen gewesen wäre, nach Neuigkeiten zu fragen.
Garak hatte offenbar ihren etwas schroffen Kommentar missverstanden. "Du machst
Dir vorwürfe, dass Du Kovats Programm nicht knacken konntest."
Alanya schüttelte den Kopf. "Soweit würde ich nicht gehen. Aber der gesamte
Ablauf der Operation Kovat ist unbefriedigend."
Garak machte eine wegwerfende Handbewegung. "Es war erstaunlich genug, dass wir
ihn überhaupt lebend bekommen haben und was das Programm angeht" - ein leichtes
Lächeln spielte um Garaks Gesicht - "Du bist nicht Natima L'hrel."
"Sie ist wirklich gut", stellte Alanya fest.
Garak nickte.
"Das heißt, dass sie auch für Dich arbeitet", fuhr Alanya fort, bevor Garak
etwas sagen konnte.
Garak lehnte sich ein wenig vor und legte ihr einen isolinearen Stab auf den
Bürotisch. "Ich möchte, dass Du dies hier zu Benil bringst."
Alanya sah Garak an, ohne den isolinearen Stab eines Blickes zu würdigen. "Warum
zu Benil? Eigentlich sollte Glinn Daro als Stationswissensachftlerin für
Derartiges zuständig sein."
"Glinn Daro konnte leider nichts an den Werten finden, das mich interessieren
würde. Ein Genetiker wie Benil könnte sich hier als hilfreich erweisen."
"Um was für Daten handelt es sich denn", erkundigte sich Alanya.
Garak lächelte. "Es ist DNA von Agenten des Obsidian Order."
"Woher?" Alanya Marritza sah Garak fragend an. Ein spöttisches Lächeln flog als
Antwort über sein Gesicht. Ihm war bewusst, dass Alanya mehr wissen wollte. Aber
dies war nicht die Zeit. Sie wusste ohnehin bereits mehr als vielleicht gut war.
Sie wusste, dass Kovat nicht der einzige Attentäter war. Und sie wusste, dass er
keine Ahnung hatte, was der wirkliche Grund für das Verhalten der Attentäter
war.
"Wenn Benil die Daten ausgewertet hat, soll er sich an Dich wenden", erklärte
Garak und erhob sich, ohne Marritzas Frage zu beantworten. "Ich werde in meinem
Quartier darauf warten, dass Du mich kontaktierst."

***

Als Garak in sein Quartier zurückkam, wartete Kerel bereits wie verabredet. Der
Cardassianer saß über ein PADD gebeugt, dem sein ganzes Interesse zu gelten
schien. Er hatte die Arme auf die Knie gestützt und hob nur kurz den Blick, als
Garak eintrat.
Garak schaltete das Licht auf der untersten Stufe ein und ging zum Replikator.
"Rot-Blatt-Tee?", erkundigte er sich.
"Danke, ich werde nicht lange bleiben."
Garak replizierte sich seinen Tee und sah zu dem Cardassianer, der auf einem der
Sessel seines Quartiers saß. Er kannte Kerel schon seit einer halben Ewigkeit.
Er hatte den jungen Mann damals zum Orden geholt, weil es immer gut war,
jemanden zu haben, der nichts mehr zu verlieren hatte.
Garak rief sich das erste Mal in Erinnerung, als er Kerel gesehen hatte. Ein
junger Glinn, der eine großartige Laufbahn vor sich gehabt hatte und dessen
Hoffnungen und Träume von einem Augenblick zum anderen zu Staub zerfallen waren.
Als Garak ihn zum Orden geholt hatte, hatte Kerel das obligatorische Verhör
hinter sich gehabt und er hatte alles gestanden, wie nicht anders zu erwarten
gewesen war. Garak erinnerte sich daran, wie er dem jungen Mann in die Augen
gesehen hatte und ihm gesagt hatte, dass sein Fall jetzt in seine Zuständigkeit
gehörte. Er hatte in seinem Blick lesen können, dass sie Kerel gebrochen hatten.
Aber in seinen Augen hatte er das Leuchten sehen können, das ihm verriet, dass
dieser Mann alles tun würde, was man von ihm verlangte, wenn man ihn nicht
hinrichten würde. Er war einer der Männer gewesen, für die Tain und Garak
Verwendung hatten. Kerel gab nie auf - egal wie hoffnungslos die Lage war.
"Du hast Marritza die DNA gegeben", stellte Kerel fest.
Garak wusste, was er damit meinte. Seine Betonung lag nicht auf ‚DNA' oder auf
‚Marritza', sondern auf dem anscheinend harmlosen Pronomen ‚Du': ‚Du' hast
Marritza die DNA gegeben.
Garak trank von seinem Tee und trat zu dem großen Fenster seines Quartiers.
Draußen konnte man einen der oberen Pylone sehen. Zwei kleine Frachter flogen
von der Station in das All.
"Es ist Deine Truppe, Kerel", erklärte er schließlich. "Ich habe mit diesem
ganzen Projekt nichts zu tun."
Kerel blieb eine Weile regungslos sitzen. Dann stand er auf. "Du weißt, dass ich
jede Kompetenz akzeptieren werde, die Du mir zuteilst. Aber ich muss wissen,
welche Befehlsgewalt ich habe."
"Ich weiß." Garak warf einen kurzen Blick über seine Schulter zu Kerel, der im
Raum stehengeblieben war. "Ich habe meine Pläne nicht geändert. Sie sind die
Spezialisten und Du bist ihre Kontaktperson, nicht ich."
Kerel nickte stumm. Garak kannte viele Cardassianer, die ihn jetzt gefragt
hätten, warum er in diesem Fall selbst die Fäden in die Hand genommen hatte,
warum er mit Gilora gesprochen und Alanya wichtige Informationen gegeben hatte -
wenn es nicht sein Team war, sondern Kerels. Aber Kerel stellte keine Fragen.
Obwohl er es sich inzwischen hätte erlauben können. Er war nicht mehr der junge
Glinn von damals. Und Garak - der Cardassianer wandte sich wieder dem Fenster zu
und betrachtete die Sterne - Garak war nicht mehr so mächtig wie zu Zeiten des
Obsidian Order. Er hatte nicht die totale Kontrolle über Cardassia. Aber
manchmal änderten sich die Dinge schneller, als man selbst dachte.
In Garaks Rücken verließ Kerel sein Quartier und verschwand lautlos wie ein
Schatten in einem der Gänge.

***

Ari Benil sah von seiner Arbeit auf, als das Türsignal zu seinem Labor erklang.
Auf seinen Befehl hin öffnete sich die Tür und Alanya Marritza trat ein.
Überrascht legte Benil das PADD zur Seite, an dem er gerade gearbeitet hatte.
"Guten Tag?"
"Guten Tag!" Alanya Marritza trat näher. "Ich habe hier ein paar Daten für Sie.
Sie stehen wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Attentat auf Garak. Es ist
wichtig, dass Sie sich das sofort ansehen."
Benil sah sie überrascht an. "Warum ich? Ist das nicht die Aufgabe der
Stationswissenschaftlerin?"
Marritza nickte. "Glinn Daro hat die Daten bereits bearbeitet, aber nichts
gefunden, das bei meinen Ermittlungen weiterhelfen könnte."
"Und deshalb kommen Sie zu mir!" Benil beobachtete Marritzas starren
Gesichtsausdruck, als diese antwortete: "Sie sind doch der beste cardassianische
Genetiker auf der Station, oder etwa nicht?"
Benil nickte. "Sicher. Ich werde mich sofort darum kümmern!"
Marritza stellte einen kleinen Behälter für Datenstäbe auf sein Pult.
"Informieren Sie mich, wenn Sie etwas herausgefunden haben!"
Damit drehte sie sich um und verließ Benils Labor. Dieser setzte sich verwirrt
auf seinen Stuhl. Es war höchst ungewöhnlich, dass die Sicherheitschefin sich an
einen zivilen Wissenschaftler wandte, um ein paar Daten ausgewertet zu bekommen.
Benil konnte sich nicht vorstellen, dass er etwas finden würde, das Glinn Daro
übersehen hatte. Auch Marritzas unspezifische Anweisung kam ihm seltsam vor.
Hätte er es nicht besser gewusst, hätte er vermutet, dass der Obsidian Order
etwas mit der Sache zu tun hatte, was schon allein deswegen wahrscheinlich
gewesen wäre, da es um das Attentat auf Garak ging. Aber es gab keinen Obsidian
Order mehr. Benil dachte an seine Abschlussfeier. Kurz danach waren viele seiner
Kommilitonen mit Tain in den Gamma-Quadranten aufgebrochen - und bis auf
einzelne Ausnahmen nie zurück gekehrt. Er selbst hatte an einem der Projekte auf
Cardassia gearbeitet, das hohe Priorität besessen hatte. Sonst wäre er
sicherlich auch mitgeflogen.
Ari Benil schüttelte den Kopf und öffnete die schmale Box, die Marritza ihm
gebracht hatte. Darin befanden sich fünf Datenstäbe. Benil nahm den ersten
heraus und steckte ihn in seine Computerkonsole. Schnell erkannte er, dass die
Datenketten, die auf seinem Monitor erschienen, DNA-Analysen und Blutbilder
darstellten. Eigentlich sahen die Dateien eher aus wie medizinische Daten. Doch
wenn Marritza eine medizinische Analyse gewollt hätte, wäre sie wohl zu Dr.
Mera'ahl gegangen. Benil streckte sich kurz und beugte sich dann wieder über den
Monitor. Er war gespannt, was er finden würde.

***

"Was soll das heißen: Du hast den Warpantrieb nicht verbessert?" Gilora Macet
sah zu Rin Hoval, dem bei seiner Beichte sichtlich unwohl war.
"Das heißt, dass Glinn L'hrel den Antrieb auf Warpfaktor 9,9 verbessert hat, und
nicht ich."
Gilora Macet lachte auf. "Na und? Hauptsache die Lavok erreicht ihr Optimum.
Welcher Ingenieur daran herumgebastelt hat, ist mir ziemlich egal."
Hoval nickte. "Nur, dass ich den Antrieb niemals bis Warp 9,9 bekommen hätte.
L'hrel hat eine vollkommen ungewöhnliche Konfiguration an den Systemen
vorgenommen..."
"Rin, nun mach Dir bitte nicht so viele Gedanken!" Gilora betrachtete ihren
jungen Ingenieur kopfschüttelnd. "L'hrel ist ein paar Jahre älter als Du und hat
dementsprechend mehr Erfahrung!" Sie sah, dass Rin noch immer zweifelte. "Gut,
vielleicht ist sie auch ein wenig talentierter als Du, aber wenn irgend jemand
hier der Meinung wäre, dass Du nicht gut genug für die Lavok - oder den Orden -
bist, dann wärst Du gar nicht an Bord."
Hoval rang sich ein schüchternes Lächeln ab. "Ich weiß..."
Gilora klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. "Sieh es als eine unfreiwillige
Lehrstunde. Und jetzt hör auf, Dir den Kopf zu zerbrechen. Du bist ein guter
Ingenieur. Niemand zweifelt daran!" Gilora lächelte Rin aufmunternd zu. Dann
drehte sie sich um und verschwand in Richtung der Brücke. Hoval sah vor sich auf
den Boden. "Niemand außer L'hrel" murmelte er vor sich hin, bevor er sein
Quartier betrat. Dort warf er sich auf sein Bett. Allein der Gedanke an L'hrel
ließ ihn unsicher werden. Nicht nur, weil er spürte, dass sie ihn für einen
Stümper hielt, sondern auch, weil sie so unglaublich schön war. Rin seufzte.
Diese Gedanken sollte er sich besser ganz schnell abgewöhnen. Frauen wie L'hrel
bemerkten ihn normalerweise gar nicht, geschweige denn, dass sie mit ihm
sprachen - oder gar ausgingen. Rin drehte sich auf die Seite und starrte gegen
die Wand. Nein, L'hrel war meilenweit von seiner Welt entfernt.

***

Frustriert erhob sich Ari Benil von seiner Computerkonsole und trat an den
kleinen Replikator, der in dem Labor installiert worden war, das er mit Sletek
teilte. Ein kurzer Seitenblick zu dessen Arbeitsbereich verriet ihm, dass der
Vulkanier noch immer an seiner Arbeit saß - wie vor ein paar Stunden. Insgesamt
hatten Benil und Sletek sehr ähnliche Arbeitsmethoden: Beide arbeiteten lange an
einem Stück und machten nur kurze Pausen. Schon während seiner Studienzeit hatte
Ari sich angewöhnt wenn nötig die Nacht durchzuarbeiten, eine Arbeitsweise, wie
sie auf Vulkan üblich war, wie er mittlerweile erfahren hatte. Nur dass
Vulkanier es aufgrund ihrer Konstitution locker drei Tage ohne Schlaf
aushielten, während er selbst nach 54 Stunden nicht mehr konzentrationsfähig
war.
Benil replizierte sich einen Rot-Blatt-Tee und setzte sich wieder an seinen
Arbeitsplatz.
Wie erwartet, hatte er nichts Auffälliges gefunden. Die DNA-Analysen hatten
ergeben, dass es sich um Cardassianer handelte. Die Blutwerte wiesen darauf hin,
dass diese tot waren. Teilweise schon über zwei Jahre. Aber ansonsten hatte er
keine ungewöhnlichen Werte oder Veränderungen feststellen können. Fragte sich
nur, was Marritza sagen würde, wenn er ihr das mitteilte. Wahrscheinlich wäre
sie ziemlich ungehalten, so wie er das von seinen Ausbildern beim Orden gewohnt
gewesen war. Marritza wirkte wie die perfekte Agentin. Unauffällig, wachsam und
sehr intelligent.
Benil leerte seinen Becher und rief erneut die DNA-Analysen auf. Wenn sich etwas
finden lassen würde, dann hier.
Kurze Zeit später schreckte er hoch. Sletek stand hinter ihm und hatte ihn
offensichtlich etwas gefragt. Benil rief sich die letzten Sekunden ins
Gedächtnis zurück. Dann schüttelte er den Kopf. "Nein Danke, Sletek. Ich arbeite
lieber weiter. Ich habe sowieso keinen Hunger." Mit einem Nicken verschwand der
Vulkanier durch die Tür.
Benil streckte sich, um seinen steifen Nacken zu entspannen. Er wusste, dass er
eigentlich hätte mitgehen sollen. Er war schon dünn genug, regelmäßige
Mahlzeiten täten ihm gut. Aber wenn er arbeitete verspürte er nun einmal keinen
Hunger. Benil beugte sich erneut über seine Konsole, als er das leise Zischen
der Labortür vernahm. Als er sich zur Tür drehte, in der Erwartung, Sletek dort
stehen zu sehen, sah er zu seiner Überraschung einen Mann im Labor stehen, den
er noch nie zuvor gesehen hatte. Der Mann war ein wenig schmächtig und trug
unauffällige Zivilkleidung. Das einzig Auffällige an ihm war, dass seine
schwarzen Haare leichte Locken aufwiesen.
Benil spürte, wie Ärger über die Störung in ihm aufstieg. "Es tut mir leid, aber
dieses Labor dürfen nur Wissenschaftler und Angehörige des Offiziersstabs
betreten..."
"Ich weiß!" Der Mann trat, scheinbar unbeeindruckt, näher. "Aber ich habe etwas
für Sie, das Sie wahrscheinlich sehr nützlich finden werden." Damit stellte er
eine kleine Ampulle mit einer Blutprobe auf den Tisch. "Diese Blutprobe gehört
zu Garaks Attentäter. Genau wie diese DNA-Analyse." Damit legte er auch einen
Datenstab auf den Tisch.
Benil sah den Mann an. "Wer sind Sie!"
"Mein Name ist unwichtig, ebenso, was ich tue. Sehen Sie mich einfach
als...einen wohlwollenden Helfer!"
Obwohl Benil die Antwort schon wusste, sagte er: "Dann haben diese Analyse und
die Blutprobe etwas mit den Daten zu tun, die Marritza mir gebracht hat?"
Der Mann sah ihn mit ausdruckslosem Gesicht an. "Natürlich haben sie das. Ich
vermute, Sie werden etwas finden, wenn Sie die verschiedenen Daten vergleichen."
Damit drehte er sich zur Tür. Doch bevor er das Labor verlassen hatte, rief
Benil ihm hinterher: "Wen informiere ich über meine Ergebnisse?"
Mit einem scheinbar ungeduldigen Lächeln bekam er zur Antwort: "Marritza,
natürlich!", bevor sich die Tür hinter dem Unbekannten schloss.
Benil atmete hörbar aus und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Nachdenklich
starrte er auf die Ampulle und den Datenstab. Diese Begegnung schürte seinen
Verdacht, dass die Dinge nicht so liefen, wie das eigentlich zu erwarten war.
Die ganze Angelegenheit roch nach dem Obsidian Order. Nun, falls das stimmte
hatte er wohl keine Wahl. Der Orden hatte noch nie Rücksicht auf die
persönlichen Präferenzen seiner Agenten genommen. Mit einem Seufzen ergriff er
den Datenstab und lud die Werte in seinen Computer. Die Blut- und Gewebeprobe
stellte er in das Analyse-Gerät. Dann ließ er den Computer nach
Übereinstimmungen in den DNA-Analysen suchen.

***