***

Natima L'hrel sah durch die Daten, die Alanya Marritza ihr übergeben hatte. Das
Programm, das Erein Kovat verfasst hatte und das noch vor wenigen Stunden eine
unglaubliche Bedrohung für die Besatzung Empok Nors gewesen war, wies eine
überaus interessante Programmierung auf.
Natima wunderte sich nur wenig, dass Marritza ihm nicht gewachsen gewesen war.
Es war mit sehr viel Geschick entwickelt worden. Für sie wäre es natürlich keine
größere Herausforderung gewesen. Aber sie hatte auch Ahnung von derartigen
Programmen, anders als die meisten auf Empok Nor stationierten Cardassianer. Die
Angehörigen des Militärs oder Mitglieder des ehemaligen Obsidian Order, hatten
zumeist sehr gute Kenntnisse der cardassianischen Programmierweise und deren
Algorithmen. Aber Kovats Programm war nicht cardassianischen Ursprungs.
Natima L'hrel betrachtete die entschlüsselten Befehlszeilen auf ihrem Monitor.
Hätte man sie gefragt, wer dieses Programm erstellt hatte, sie hätte am ehesten
auf einen Vorta gesetzt. An einer Tatsache gab es nämlich nicht den geringsten
Zweifel: Das Programm, das Empok Nor beinahe zum Verhängnis geworden wäre, war
nach der Art des Dominions erstellt.

***

ÜBEREINSTIMMUNG GEFUNDEN Es hatte nicht lange gedauert, bis der Computer zu
einem Ergebnis gekommen war. Tatsächlich stimmte die DNA, die der Unbekannte ihm
gebracht hatte, mit einer DNA-Sequenz aus Marritzas Datenstäben überein. Benil
isolierte die Sequenzen und konfigurierte sie nebeneinander. Auf den ersten
Blick handelte es sich eindeutig um die DNA von ein und derselben Person. Aber
auch eineiige Zwillinge hatten eine identische DNA.
Benil erhob sich und lud die Ergebnisse des Analyse-Gerätes in seinen Computer.
Das Blutbild war soweit normal, abgesehen von ein paar kleineren Abweichungen.
Benil stutzte. Diese Abweichungen waren höchst ungewöhnlich. Obwohl er keine
medizinische Ausbildung hatte, war ihm klar, dass ein in dieser Art und Weise
verändertes Blutbild weder eine Krankheit noch einen Gendefekt zum Auslöser
haben konnte. Die Gründe mussten in der DNA zu finden sein. Benil rief erneut
die DNA-Sequenzen auf. Sie waren vollkommen identisch. Bis auf - ja, bis auf die
Beta-Moleküle in der zweiten Sequenz. Diese schienen einem geringfügigen
Zerfallsprozess ausgesetzt gewesen zu sein, so dass sie teilweise abgebaut
worden waren. Das ließ nur einen Schluss zu. Es handelte sich keinesfalls um
dieselbe Person, obwohl die DNA identisch war. Benil erhob sich und machte sich
auf den Weg zu Marritzas Büro.

***

Gilora Macet seufzte und trat einen Schritt zurück um ihre Arbeit zu überprüfen.
Sie nickte zufrieden, als sie sah, dass die Duraniumstange gerade in ihrer
Halterung hin. Probeweise hängte sie sich daran und machte einen Klimmzug.
Dann trat sie aus ihrem Schlafraum in die Wohneinheit, die sie auf Empok Nor mit
Anan Entek teilte. Um Geld zu sparen, hatten sie sich entschieden, ein
sogenanntes "Kooperationsquartier" zu beziehen. Ein Quartier für zwei Personen,
die nicht miteinander verheiratet waren. Von der Wohneinheit gingen zwei
getrennte Schlafräume ab.
Anan sah auf, als Gilora durch die Tür trat. "Fertig?"
Gilora nickte. "Eigentlich schon."
"Dann können wir jetzt essen gehen?"
Gilora schüttelte den Kopf. "Du kannst gern schon vorgehen, aber ich habe noch
etwas zu erledigen!"
"Zu erledigen?" Anan sah sie fragend an. "Was denn?"

***

Alanya Marritza sah auf, als sich die Türen zu ihrem Büro auseinander schoben
und Benil eintrat. Offensichtlich war der Wissenschaftler zu einem Ergebnis
gekommen. Auf Marritzas Handbewegung hin ließ Ari Benil sich auf dem Stuhl vor
Marritzas Schreibtisch nieder.
"Sie sind zu einem Ergebnis gekommen?"
"Allerdings!" Benil reichte Marritza das PADD, in das er alle erforderlichen
Daten geladen hatte.
Marritza warf einen kurzen Blick darauf und sah dann wieder zu Benil. "Gute
Arbeit! Das wäre dann alles. Es versteht sich, dass Sie mit niemandem über ihre
Untersuchungen - und natürlich auch nicht über das Ergebnis - reden!"
"Selbstverständlich!" Benil erhob sich. "Kommen Sie ruhig wieder auf mich zu,
falls Sie nochmals meine Hilfe benötigen."
Marritza sah ihn einen Moment stumm an. Dann erwiderte sie kühl: "Das werde
ich!"

***

Gilora Macet zögerte, bevor sie den Türsummer betätigte. Sie war keinesfalls
sicher, ob es klug war, Garak ein zweites Mal aufzusuchen. Doch dann schob sie
ihre Hand entschlossen vor. Einen Moment später öffnete sich die Tür. Gilora
betrat das Quartier. Garak trat aus der Schlafeinheit in den Wohnbereich und
stellte eine Tasche auf einem Sessel ab. Er warf Gilora, die noch immer im
Eingangsbereich stand, einen fragenden Blick zu. "Gilora?"
Gilora zuckte kurz mit den Schultern und lächelte dann. "Tut mir leid, wenn ich
Dich störe. Ich weiß auch nicht genau, warum ich gekommen bin, ich hatte nur das
Gefühl, dass ich noch mal mit Dir sprechen wollte, bevor Du nach Cardassia
fliegst und es wieder eine Ewigkeit dauert, bis wir uns wiedersehen." Unsicher
sah sie zu Garak, doch als dieser lächelte entspannte sie sich.
"Ich bin froh, dass Du gekommen bist, Gilora." Er trat zu ihr und legte seine
Hände auf ihre Schultern. "Nachdem wir neulich gesprochen hatten, ist mir erst
aufgefallen, wie sehr ich Dich vermisst habe."
"Ich habe Dich auch vermisst, Elim." Sie sah ihrem ehemaligen Mentor in die
Augen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er sie in diesem Moment in den Arm
genommen. Doch diese Zeit war unwiederbringlich vorbei, wie Gilora schmerzlich
bewusst wurde, denn anstatt sie an sich zu ziehen drückten Garaks Hände nur ein
wenig fester ihre Schultern, bevor er sie losließ. Obwohl sie sich noch immer
nahestanden, war da eine kaum merkliche Distanz, die keiner von ihnen jemals
wieder überschreiten würde. Vielleicht war das auch gut so.
Garak trat zu der Sitzgruppe und deutete auf das Sofa. "Setz Dich doch. Möchtest
Du einen Tee?"
Gilora nickte und setzte sich. Sie beobachtete Garak, wie er an den Replikator
trat und zwei Rot-Blatt-Tee bestellte. Sein Aussehen hatte sich in den
vergangenen neun Jahren kaum verändert. Er war noch immer ein attraktiver Mann.
Wehmütig erinnerte sich Gilora an die drei Monate nach ihrer Abschlussprüfung
beim Obsidian Order. Garak war ihr Ausbilder gewesen. Niemals hätte sie ihre
Ausbildung durch eine Affäre mit ihrem Mentor riskiert. Aber nach der Prüfung...
Die drei Monate vor ihrer ersten Mission als vollständig ausgebildeter Agentin
waren eine sehr glückliche Zeit gewesen - und Garak war daran maßgeblich
beteiligt gewesen. In diesem Moment trat ihr Mentor an den Tisch, stellte die
Getränke ab und setzte sich neben sie.
"Ich bin froh, dass Du gekommen bist, Gilora. Es gibt etwas, das wir noch klären
sollten."
Gilora sah ihn an. Sie gab sich Mühe, ihn ihre Melancholie nicht spüren zu
lassen und gab ihrer Stimme einen neutralen Tonfall. "Was möchtest Du klären?"
Garak lehnte sich zurück und sah sie an.
"Wie war die Mission?"
Gilora schüttelte innerlich den Kopf. Derselbe alte Garak. Es war typisch für
ihn, nicht direkt mit seinem Anliegen vorzukommen, sondern zunächst mit etwas
scheinbar Nebensächlichen zu beginnen. "Wir haben gut zusammengearbeitet. Entek
ist ein hervorragender Pilot und Hoval hat die Lavok gut im Griff."
"Und L'hrel?"
Gilora zuckte mit den Schultern. "Sie macht nicht gerade den Eindruck einer
professionellen Agentin. Aber sie scheint sehr kompetent zu sein. Sie wird es
schon noch lernen."
"Du magst sie nicht."
Es war eine Feststellung, keine Frage. Garak kannte Gilora gut genug, um
zwischen den Zeilen lesen zu können. Sofern das überhaupt nötig war.
"Du weißt, dass sie der Typ Frau ist, mit dem ich gerne aneinander gerate."
Garak nickte schmunzelnd. "Ja, ich weiß." Nach einer kleinen Pause fügte er
hinzu: "Dann hast Du ja Deine Herausforderung. - Du wirst es schon noch lernen."
"Sicher." Gilora nahm einen Schluck Tee. Dann wechselte sie das Thema. "Du
kennst nicht zufällig einen ehemaligen Agenten des Obsidian Order...der Locken
hat?"
"Es ist gut, dass Du das ansprichst. Er ist der Kopf Eurer Zelle. Alle weiteren
Informationen wirst Du von ihm bekommen, nicht von mir."
Gilora nickte und stellte ihre Tasse ab. Dann fügte sie neckend hinzu: "Dann
wolltest Du mich also nur wiedersehen?"
Garak lächelte das nichtssagende Lächeln, das seine Spezialität war. Bevor er
erwiderte: "Ich wusste, Du würdest mich früher oder später durchschauen." Er
nahm ebenfalls einen Schluck Tee und sah Gilora dann ernst an. "Aber zurück zu
Eurer Mission."
Gilora sah ihn überrascht an. Ihr war nicht klar, was es noch dazu zu sagen gab.
"Ich hoffe, sie war erfolgreich?"
Garak nickte. "Die DNA-Probe des Attentäters war unter denen, die Ihr aus dem
Gamma-Quadranten mitgebracht habt."
Gilora sah ihn an. Es war ein offensichtlicher Widerspruch. Der Mann, der
versucht hatte Garak umzubringen, war auf der Station gewesen - und sehr
lebendig. Die Proben, die sie genommen hatten, stammten von Toten. Es konnte
sich also nicht um eine identische Person handeln. Gilora wollte keine unnötigen
Fragen stellen, aber da Garak schwieg sagte sie: "Ich nehme an, es hat sich
nicht um einen Zwilling gehandelt?"
"Nein. Die Beta-Moleküle in der zweiten Sequenz waren teilweise abgebaut."
Gilora nickte. "Der typische Zerfallsprozess, der beim Klonen entsteht."
Nachdenklich biss sie sich auf die Lippe. "Welche DNA-Probe war die beschädigte?
Die, die wir mitgebracht haben?"
"Nein. Die des Attentäters."
"Also wurde Erein Kovat vom Dominion getötet, während sein Klon nach Cardassia
geschickt wurde."
Garak enthielt sich eines Kommentars.
Gilora sah ihn fragend an. "Glaubst Du, er wurde gezielt dazu konditioniert Dich
zu töten?"
Garak zuckte mit den Schultern. "Ich will nicht spekulieren. Möglicherweise ja.
Vielleicht war sein Auftrag aber auch genereller Natur."
"Wie dem auch sei," Gilora leerte ihren Becher, "zumindest weißt Du jetzt, woran
Du bist - und kannst Dich entsprechend schützten."
"Das ist richtig. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir auch die anderen
Klone ausfindig gemacht - und eliminiert - haben."
Gilora nickte. "Du konntest schon immer sehr gut auf Dich selbst aufpassen -
sehr zum Ärger Deiner Feinde. Ich vermute, Deine neue Position beschert Dir
reichlich davon?"
Garak lächelte. "Wahrscheinlich. Aber das bin ich gewohnt."
Gilora erwiderte sein Lächeln. Dann erhob sie sich. "Ich denke, ich sollte
langsam gehen. Genaugenommen bin ich mit Entek zum Essen verabredet."
Garak erhob sich ebenfalls. "Dann solltest Du ihn nicht länger warten lassen."
Beide sahen sich an. Eine seltsame, unangenehme Pause entstand, in der sich
beide ansahen, ohne etwas zu sagen. Es war ein deutliches Zeichen, dass sie sich
fremd geworden waren, ohne es zu wollen.
Schließlich zuckte Gilora hilflos die Schultern und sagte lächelnd: "Ich hoffe,
Du kannst ein wenig Zeit erübrigen, falls ich einmal auf Cardassia ein oder zwei
Tage Aufenthalt habe."
Garak nickte. "Wir könnten ein Glas Kanar trinken..."
"...und eine Partie Kotra spielen..."
"...wie früher!"
"Ja, wie früher."
Wieder sahen sich beide stumm an, wohlwissend, dass es nicht wie früher sein
würde.
"Also dann,..." Gilora hielt Garak lächelnd ihre Handfläche entgegen. "Viel
Glück bei Deiner Regierungsarbeit - und bei was-auch-immer Du gerade treibst..."
Garak erwiderte ihr Lächeln und legte seine Handfläche an die ihre. "Danke. Ich
denke, Du wirst das interessantere Leben führen."
"Es liegt an Dir. Du kannst Dich uns anschließen."
Garak schüttelte den Kopf. "Nein, ich fürchte, dazu ist es zu spät. Ich bin zu
alt,...und woanders von mehr Nutzen für Cardassia!"
Gilora nickte. Dann drehte sie sich um und verließ ohne ein weiteres Wort das
Quartier. Garak sah ihr nach. Es war gut, dass er mit Gilora gesprochen hatte.
Er hatte Kerels Kompetenzen geklärt und gleichzeitig für eine gleichmäßige
Verteilung der Informationen innerhalb der Zelle gesorgt. Es war gut, dass
Gilora über die Ergebnisse der Untersuchung Bescheid wusste, und nicht nur
Marritza.
Er trat an das Fenster seines Quartiers und betrachtete die Sterne, die er von
seinem Quartier aus sehen konnte. Die beiden jungen Frauen waren
grundverschieden. Und doch war jede von ihnen auf besondere Art mit ihm
verbunden. Er war gespannt, wie die zwei bei einer gemeinsamen Mission
miteinander klarkommen würden.
Noch immer in Gedanken verloren wandte Garak sich vom Fenster ab und begann
seine persönlichen Dinge in der Tasche zu verstauen. Er würde Empok Nor in Kürze
verlassen. Trotzdem wusste er die Station in fähigen Händen.

***

Das Schiff der cardassianischen Abgeordneten verließ Empok Nor wenige Minuten,
nachdem Garak und Gilora sich voneinander verabschiedet hatten. Während das
Schiff von der Station abdockte und schließlich auf Warp beschleunigte, saß
Garak in dem Quartier, das ihm zugeteilt worden war, und las den
Abschlussbericht, den Kerel verfasst hatte. Im Grunde kannte er die Datei
bereits auswendig. Aber manchmal schadete es nichts, Dinge ein zweites Mal zu
lesen.
Garak lehnte sich vor und griff nach einem Glas mit Rokassa-Saft, das auf dem
Tisch vor ihm stand. Er hätte es vorgezogen, wenn Kerels Team eine andere
Erklärung für das Verhalten der Attentäter gefunden hätte. Es war immer
unangenehm, einen Spion in den eigenen Reihen zu haben. Und sie hatten mehr als
nur einen. Das einzig Tröstliche daran war, dass dies nicht mehr lange der Fall
sein würde.
Garak stellte das Glas mit dem Saft wieder ab und gab Kerel das Signal, dass er
ihn gerne sprechen würde. Jetzt, nachdem die Ergebnisse vorlagen, würden Befehle
zu geben sein. Garak hatte nicht lange nachdenken müssen, was weiter zu
geschehen hatte. Die Frage war nur gewesen, wie.

"Du wolltest mich sehen." Kerel hatte das Quartier betreten, ohne vorher den
Türsummer zu betätigen. Es brauchte niemand wissen, dass er hier war.
Garak nickte und reichte ihm das Datenpad. "Du wirst Dich darum kümmern, dass
die verbliebenen Klone auf Cardassia beseitigt werden."
Kerel überflog die Befehle kurz, die Garak in die Datei geschrieben hatte. "Was
ist mit Romulanern und den Mitgliedern der Föderation?"
Garak lächelte unbestimmt. Das war im Grunde die wesentlich interessantere
Frage. Sie hatten durch ihre Entdeckung auf dem Asteroiden Informationen von
großem Wert erhalten. Schließlich war unter den DNA-Proben, die Giloras Team
genommen hatte, nicht nur cardassianische DNA. Auf dem Asteroiden waren auch
Romulaner gefangen gewesen und Föderationsmitglieder. Auch sie waren geklont und
weitgehend anstatt der Originale in ihre ‚Heimat' zurückgeschickt worden.
"Wir werden diese Information nicht vorschnell preisgeben. Aber wir sollten die
entsprechenden Personen durch unsere Agenten überwachen lassen."
Kerel nickte stumm. Er schien einen Augenblick nachzudenken. "Darf ich etwas
Persönliches fragen?"
"Du kannst es gerne versuchen", Garak schmunzelte.
"Ich habe mich gefragt" - Kerels Blick schien Garak zu fixieren - "die Liste mit
den als Klonen identifizierten Cardassianern, die Du mir gegeben hast, war nicht
vollständig."
Garak sah Kerel an. Er hatte es also bemerkt.
"Würdest Du mir sagen" - er schien die nächsten Worte besonders sorgfältig zu
wählen - "ob auch Tains DNA unter den Proben war?"
Garak lehnte sich leicht auf seiner Sitzgelegenheit zurück. Er hatte oft über
seinen kurzen Aufenthalt auf dem Asteroiden nachgedacht. An die wenigen Minuten,
die er noch mit Tain hatte sprechen können, bevor er gestorben war. Nachdem die
ersten Attentate geschehen waren und in Garak der Verdacht aufgekommen war, dass
die verantwortlichen Cardassianer auf dem Asteroiden manipuliert worden waren,
hatte er noch öfter an seine Gespräche mit Tain gedacht. Sollte es möglich sein,
dass er nicht wirklich mit seinem Vater gesprochen hatte? Der Gedanke erschien
ihm im Grunde unmöglich. Er kannte Tain. Er hätte einen Klon sofort erkannt.
Garak sah zu Kerel, der ihn stumm zu betrachten schien. Garak wusste, wie leicht
man sich täuschen konnte und er wusste, dass monatelang Klone auf Cardassia
gelebt hatten, ohne dass jemand etwas bemerkt hatte. Und die Familien der
Betroffenen hatten ihre Angehörigen länger gesehen und mehr mit ihnen gesprochen
als Garak Tain auf dem Asteroiden.
Garak stand auf und ging hinüber in die Schlafeinheit. Kerel wartet in der
Wohneinheit. Garak zog aus der Tasche, die auf seinem Bett stand, das Datenpad
heraus, das die Ergebnisse seiner eigenen Nachforschungen beinhaltete. Kerels
Frage war auch seine gewesen.
Garak ging zurück in die Wohneinheit und reichte Kerel das PADD. Der
Cardassianer nahm es mit einem leichten Kopfnicken entgegen und las die
Auswertung, die Garak vorgenommen hatte. Garak sah ihm dabei zu. Im Grunde hatte
Kerel Tain in den letzten Jahren wesentlich nähergestanden, als Garak. Anders
als Garak hatte Tain Kerel vertraut - soweit man dieses Wort beim ehemaligen
Chef des Obsidian Order verwenden konnte. Garak überlegte sich, dass es eine
mittlere Katastrophe gewesen wäre, wenn Kerel geklont worden wäre. Es stand
außer Frage, dass das Dominion keine Probleme hatte, auch Wissen zu klonen (wie
auch immer sie das getan hatten - es war eine wichtie Aufgabe, die es zu lösen
galt).
Kerel war am Ende der Datei angekommen und reichte Garak das PADD mit
ausdrucksloser Miene zurück.
Garak nahm es stumm entgegen.
"Ich werde zurück in mein Quartier gehen", fuhr Kerel fort. "Sobald ich die
Angelegenheit mit den Klonen in die Wege geleitet habe, werde ich Dich
informieren."
"Sieh' zu, dass es nicht zu Auffällig gerät."
Kerel nickte selbstverständlich. Dann zog er sich zurück. Garak blieb allein in
seinem Quartier zurück. Das Schiff der cardassianischen Abgesandten würde erst
in gut einem Tag Cardassia erreichen. Dort erwartete Garak seine Arbeit:
Regierungsarbeit. Er hatte sich die neusten Sitzungsprotokolle zukommen lassen,
die er während des Flugs zu bearbeiten gedachte. Dazu kamen Analysen, die er in
Auftrag gegeben hatte und dann waren einige Gespräche vorzubereiten.
Ein wenig wehmütig dachte er an Kerels Team auf Empok Nor. Er dachte an das, was
er Gilora gesagt hatte: Sie würden das interessantere Leben haben. Aber es stand
wirklich außer Frage, wo sein Platz jetzt war. Die Zeiten hatten sich geändert.
Lediglich eines hatten er und Gilora jetzt noch gemeinsam: Sie standen ganz am
Anfang.

***

Anan Entek schob die Taspar-Eier auseinander. Obwohl seine Freunde sich
regelmäßig beschwerten, konnte er sich die unappetitliche Angewohnheit nicht
abgewöhnen. Mittlerweile stand er in dem Ruf, sein Essen zu sezieren, bevor er
es aß - zumindest würde er niemals etwas unerkannt herunterschlucken. Daran
waren schon viele gestorben, auch wenn das nicht der Grund, für Anans
Angewohnheit war. Er sah hoch, als ein Schatten auf den Tisch fiel. Natima
L'hrel stand mit einem Tablett vor ihm. "Darf ich mich setzten?"
Anan nickte und wies einladend auf den freien Platz ihm gegenüber. "Bitte. Ich
esse ungern allein."
Natima setzte sich. Mit einem Blick auf Anans Teller fügte sie hinzu: "Wenn das
immer so aussieht, würde ich mich an Ihrer Stelle nicht wundern, dass Sie allein
essen müssen."
Anan beugte sich vor und sah sie aus blassgrünen Augen an, wobei ihm eine lose
Haarsträhne ins Gesicht fiel. "Wie charmant, Glinn L'hrel. Bei dem Umgangston,
sollten Sie froh sein, dass Sie sich zu mir setzten dürfen."
Natima lächelte. "Waffenstillstand?"
Anan lehnte sich ebenfalls lächelnd zurück. "Sie geben aber schnell auf."
"Ein leerer Magen kämpft nicht gern..."
"...aber meistens gut."
"Stimmt. Aber ich spreche nicht gern mit vollem Mund!" Damit nahm sie einen
Bissen ihres Eintopfes. Nachdem sie geschluckt hatte sah sie sich um. "Wo ist
Macet? Ich hätte erwartet, dass Sie gemeinsam essen."
"Das tun wir auch. Eigentlich. Aber Gilora hatte noch etwas zu erledigen."
"Oh. Offensichtlich etwas Wichtiges."
"Offensichtlich. Aber fragen Sie sie doch, da kommt sie."
Natima sah in Richtung des Eingangs, in dem Gilora stand und in den Restaurant
Bereich spähte. Anan winkte ihr zu und mit schnellen Schritten kam Gilora an den
Tisch und setzte sich.
Anan schob ihr ein Glas voll Langour hin, das er für sie bestellt hatte. "Da
bist Du ja endlich. Ich warte schon eine halbe Ewigkeit!"
Gilora lächelte. "Aber wie ich sehe, nicht allein. So schlimm kann es also nicht
gewesen sein."
Gilora nahm einen großen Schluck ihres Drinks. Dann sah sie angewidert auf Anans
Teller. "Erwarte nicht, dass ich mir bei dem Anblick etwas zu Essen bestelle!"
Anan grunzte. "Ja, ich weiß. Erzähl lieber, wo Du warst."
Gilora nickte. "Ich war bei Garak. Ich dachte, es wäre gut, noch einmal mit ihm
zu sprechen, bevor er Empok Nor verlässt."
"Und? Hat es sich gelohnt?"
"Auf jeden Fall. Er hat mich über das Ergebnis unserer Mission aufgeklärt!"
Natima und Anan sahen sie gespannt an.
"Der Mann, der das Attentat auf Garak verübt hat, war ein Klon. Seine DNA-Probe
stimmte mit einer von denen überein, die wir von den Toten genommen haben."
Natima ließ ihre Gabel sinken. "Das heißt, dass alle toten Agenten auf dem
Asteroiden geklont wurden?"
Gilora nickte. "Wahrscheinlich ja."
Anan sah von einer zur anderen. "Dafür waren also die Bassins. Sie haben sie mit
Nährlösung gefüllt und darin die Klone wachsen lassen."
Natima nickte zustimmend. "Wahrscheinlich war der gesamte Labortrakt nur zu
diesem Zweck da. Und sobald sie einen gelungenen Klon hatten, haben sie die
Agenten getötet und in die Höhle geschafft. Während der Klon seinen Platz im
Gefangenenlager eingenommen hat..."
"...und bei Cardassias Beitritt zum Dominion mit den anderen Gefangenen zusammen
freigelassen wurde", fügte Gilora hinzu.
Natima nahm einen Schluck Rokassa-Saft. "Aber woher weiß Garak das?"
Gilora schüttelte leicht belustigt den Kopf. "Er hat seine Leute, die so etwas
für ihn herausfinden."
Natima nickte. "Sicher, das kann ich mir denken. Aber wer könnte das sein? Und
gehört er dann nicht auch zu der Zelle?"
"Sei still!" Anan sah Natima kopfschüttelnd an. "Das ist wohl kaum der richtige
Ort, um sich über dieses Thema zu unterhalten."
Natima musterte ihn verständnislos. "Aber das tun wir doch die ganze Zeit!"
Gilora schüttelte den Kopf. Leise sagte sie: "Nein. Wir haben über eine Mission
gesprochen. Nicht darüber. Offiziell haben wir nichts weiter miteinander zu
tun."
Natima sah sie an. "Und wie erfahren wir dann, wer..."
Anan zuckte die Schultern. "Irgendwie. Irgendwann", und Gilora fügte hinzu:
"Wenn es notwendig ist. Bis dahin ist es nicht wichtig."
Natima seufzte und nahm einen Bissen ihres Eintopfes. "Ich glaube nicht, dass
mir das gefällt."
Gilora leerte ihr Glas und zuckte dann die Schultern. "Du hast keine
Alternative..." mit einem Blick zur Seite brach sie ab. Der Austauschoffizier
Ltd. Hernandez war neben ihrem Tisch stehen geblieben und sah zu Natima.
"Entschuldigen Sie, Glinn L'hrel,..."
Natima sah zu ihm hoch. Ihr Gesicht spiegelte ein gutes Maß an Arroganz und
Überlegenheit wider. Der menschliche Offizier war offensichtlich verunsichert,
als er hinzufügte: "...hätten Sie vielleicht Lust irgendwann mal mit mir eine
Partie Kotra zu spielen?"
Gilora beobachtete Natimas Gesicht, das für einen Moment echte Überraschung
zeigte, dann aber sofort wieder den arroganten Ausdruck annahm, den es zuvor
gehabt hatte. Mit einem deutlichen Einatmen erhob sich L'hrel und sah Hernandez
in die Augen. "Ich glaube nicht, dass Sie auf meinem Niveau spielen können!"
Damit drehte sie sich um und ging in Richtung des Ausganges. Mit zwei schnellen
Schritten hatte Hernandez sie eingeholt. "Finden Sie es heraus!"
Doch Natima erwiderte lediglich: "Danke, kein Bedarf!", um dann Tulas Bar zu
verlassen, ohne Hernandez eines weiteren Blickes zu würdigen. Schulterzuckend
sah dieser ihr nach und setzte sich dann an die Bar.
Gilora sah, mitleidig den Kopf schüttelnd, zu Anan. "Jemand sollte ihm sagen,
wie Cardassianer flirten."
Anan grinste. "Warum tust Du das nicht?"
"Ich?" Gilora tat empört. "Er ist ein Mann. Du solltest es ihm sagen."
"Ich wäre schön dumm, wenn ich das täte!"
"Wie das?"
"Womöglich würde er mir die besten Frauen wegschnappen!" Damit zog er Gilora zu
sich heran und küsste sie. Gilora erwiderte den Kuss und setzte sich dann wieder
gerade. "Ja, womöglich würde er das!"

Sva'eg Tula beobachtete das junge cardassianische Paar an einem der Restaurant-
Tische, das sich soeben geküsst hatte. Dann füllte er das Glas des jungen
Lieutenants und sah den rothaarigen Mann an. "Wenn Sie mich fragen, wird Empok
Nor binnen Kurzem einer der aufregendsten Plätze im Alpha-Quadranten sein -
denken Sie an meine Worte!"
Hernandez sah in das blaue Gesicht seines Gegenüber. Er wusste schon jetzt, dass
der Bolianer Recht hatte.

*** Ende ***