Die Gedanken sind frei

by Kaeera

Kapitel 5: Erdrückende Stille

Rika starrte Ryo ungläubig an. "Bitte?", brachte sie hervor. "Weshalb solltest du mich mögen?"

"Naja...", Ryo zögerte sichtlich und schaute auf den Tisch. Was sollte er denn nur antworten? Er konnte es sich ja selbst nicht erklären, warum dieses Mädchen eine solch starke Anziehungskraft auf ihn ausübte. "Irgendwie bewundere ich...", er kratzte sich verlegen am Kopf. "Ich mein, du bist immer so stark und entschlossen, so ganz anders...ich weiß nicht, wie ich es erklären soll...", entmutigt ließ er seinen Kopf sinken.

"Ich verstehe dich echt nicht.", meinte Rika kopfschüttelnd. "Du selber bist doch der große Ryo, weshalb mache ich da Eindruck auf dich?"

Ryo verzog das Gesicht. "Weißt du, wie unangenehm es sein kann, wenn einen alle gleich kennen und bewundern? Sie sind der Meinung, dass du der beste seist, obwohl du genau weißt, dass es nicht stimmt. Und wenn du es ihnen sagen willst - dann heißt es, du bist der Held und außerdem noch bescheiden. Es geht mir auf die Nerven! Ich bin auch nur ein Mensch, und ich bin nicht perfekt!", er schaute sie an und lächelte. "Du warst der erste Mensch seit langem, der mich nicht sofort angehimmelt hat. Weißt du, wie gut das mit getan hat?"

Rika verschränkte ihre Arme und hob spöttisch die Augenbrauen. "Du willst mir also erzählen, was für eine Qual es ist so berühmt zu sein? Also wirklich....du magst mich also, weil ich die einzige bin, die deinem Charme widerstanden hat? Welche Ehre!"

Der Junge begann zu schwitzen. "So hab ich das nicht gemeint...ach...alles was ich sage ist falsch!", er raufte sich in komischer Verzweiflung die Haare. "Ich weiß es nicht, Rika, und ich kann es nicht erklären. Irgendwie mag ich dich halt, obwohl du mich mies behandelst, und irgendwie will ich, dass du mich auch magst!"

Sie betrachtete ihn abschätzend. Äußerlich schien sie vollkommen ungerührt zu sein, doch in ihr wirbelten die Gedanken umher. Er mochte sie? Einfach so? Wieso denn? Sie hatte es definitiv nicht verdient, das war klar...aber ihr war nie in den Sinn gekommen, dass er ihr helfen wollte, dass er sie irgendwie....mochte...

Sie starrte ihn an und bemerkte wie süß er aussah, als er so verloren und unsicher am Tisch saß, gar nicht mehr der starke Ryo den sie kannte.

Sie sahen sich beide über den Tisch hinweg an und keiner wusste, was er sagen wollte. Ryo war verlegen und Rika unsicher...eine unbequeme Situation. Das Läuten des Telefons rettete beide - laut schrillte es durch das Gebäude und Rika sprang auf vor Schreck. Sie drehte sich um und starrte auf das schwarze Gerät, streckte dann zögernd die Hand aus und nahm den Hörer ab.

"Ja?", fragte sie mit heiserer Stimme, denn sie hatte schon so eine Ahnung, wer der Anrufer sein konnte.

"Rika, ich bin's, deine Großmutter.", bestätigte sich ihre Vermutung auch sofort, als die warme Stimme der älteren Dame durch den Telefonhörer klang.

"Was ist mit Mama?", schoss es sofort aus dem Mädchen heraus. Ängstlich lauschte sie auf die Antwort, innerlich hoffend, dass nichts Schlimmes passiert war.

"Ihr Zustand hat sich etwas verbessert, sie liegt aber immer noch im Koma."

"Kommst du heute nach Hause?", fragte sie nach einem kurzen Zögern und einem erleichtertem Aufatmen. "Ich hab dich gestern gar nicht mehr gesehen."

"Gestern ist es spät geworden.", ihre Großmutter klang amüsiert. "Als ich in das Wohnzimmer kam, wart ihr beide schon fest am Schlafen. Ein sehr netter junger Mann übrigens, dieser Ryo. Kein schlechter Fang!"

"Oma!", Rika wurde rot. "Was denkst du nur!"

Ein leises Lachen drang aus dem Hörer. "Nur ein Scherz, Rika. Ich mag es nun mal dich auf den Arm zu nehmen!"

Rika drehte den Kopf zur Seite und knurrte ins Telefon. "Mir wäre es lieber wenn du das lassen würdest!"
Sie bemerkte Ryo, der hinter sie getreten war und seine Verlegenheit zu überwunden haben schien. Nur sein Gesicht zeigte noch denselben Ernst wie vorhin. Sie winkte ihm zu, dass er fortgehen sollte, doch er schüttelte nur den Kopf.

"Willst du heute noch ins Krankenhaus kommen?", wollte Großmutter wissen. Rika zögerte. "Eigentlich sollte ich ja schon....", aber sie hatte Angst davor. Angst vor dem Gebäude, vor dem kalten Gesicht ihrer Mutter, dem kahlen Raum und dem ekelhaften Gestank auf den Gängen. Am liebsten hätte sie all diese Bilder aus ihrer Erinnerung verdrängt...

"Ich verstehe schon.", meinte ihre Großmutter beruhigend. "Ich komme dann auch kurz nach Hause, so zum Mittagessen. Mach bitte keinen Blödsinn, ja?"

Rika nickte finster. "Ja..."

"Und nun kannst du mir den netten jungen Mann noch geben! Ich weiß, dass er neben dir steht."

"Was?", machte Rika verwundert und schüttelte den Kopf. Wieso denn das? Mit einem Schulterzucken hielt sie den Hörer zu Ryo. "Meine Großmutter möchte mit dir reden.", sagte sie kurz.

Ryo nahm verwundert den Hörer in seine Hand. Rika lehnte sich an die Tür und fixierte ihn mit einem eiskalten Blick.

"Ehm...Hallo?", sagte er etwas unsicher.

"Hallo Ryo.", tönte die warme Stimme der alten Dame aus dem Hörer. "Freut mich von dir zu hören. Du hast dich ja gut um Rika gekümmert!

"Äh...", stammelte der Junge und wurde rot. "Man tut sein bestes."

Leises Lachen erklang auf der anderen Seite. "Ja, das denk ich mir. Hör mal, kannst du noch weiter bei Rika bleiben? Du scheinst einen guten Einfluss auf sie zu haben. Ich komme erst gegen Mittag nach Hause. Frühstückt etwas und macht euch einen schönen Morgen..."

"Ich weiß nicht...", Ryo zögerte. "Sie hasst mich immer noch...", er flüsterte und schielte zu dem rothaarigem Mädchen hinüber, darauf hoffend, dass sie ihn nicht hörte.

"Wirklich.", irgendwie schien sie ihm nicht so recht zu glauben. "Mein lieber Ryo, ich denke du hast meine Rika ganz schön aufgewühlt, und ich glaube ihre Aggressionen gegen dich haben sich schon etwas abgebaut, auch wenn sie das nicht zeigen will - sie ist nun mal ein Dickkopf. Mach weiter so..."

"Warum ich?", meinte er klagend und ignorierte Rika's wütendes Gefuchtel - sie bekam ja nur seinen Teil des Geprächs mit und wollte, dass er Schluss machte.

"Na, weil du in sie verliebt bist.", war die simple Antwort.

Die Worte brauchten einige Zeit, um in Ryo's Gehirn einzusinken. "Was?", brachte er dann mühsam heraus, sein Gesicht ein einziger Ausdruck der Fassungslosigkeit.

"Denk einfach nur darüber nach, Ryo."

"Woher wollen sie das wissen?"

"Erfahrung. Menschenkenntnis. Einfühlungsvermögen. Und die offensichtliche Tatsache, dass du ihr hinterherläufst wie ein verlorener Dackel und sie unbedingt trösten willst."

"Oh.", machte Ryo und spürte wie er noch röter wurde. Hatte sie recht? War er....verliebt? Er war noch nie zuvor verliebt gewesen, deshalb wusste er nicht wie es sich anfühlte. Nein, er war nicht verliebt! Er war nur besorgt, sie war eine Freundin, weiter nichts...

Wieder erklang dieses melodische Lachen. "Ich muss jetzt Schluss machen. Denk über das nach, was ich dir gesagt habe - und sei ehrlich zu dir selbst!"
Ein Klicken, und weg war sie. Ryo stand bloß da wie bestellt und nicht abgeholt und starrte Löcher in die Luft. Er war nicht...nein, niemals. In dieses störrische Mädchen? Diesen Dickschädel? Das...Nein. Nein!
Er schmiss den Hörer wieder auf die Gabel und versuchte, das Gespräch so schnell wie möglich aus seinen Gedanken zu verdrängen. Er und verliebt? Unmöglich!

She will look at you with burning eyes
Blick, der tief in die Seele geht
She'll give you fever
Und du weißt nicht warum
There's something in her smile
dass du sie immer lächelnd sehen willst
She's just a friend
erzählst du allen anderen
And then she smiles at you
Und alles wird ganz anders

You want to put your arms around her body
Your heart is pounding
Feelings you've never had before
You want to see her happy
That's all

Du weißt nicht, warum.
Es passiert. Es geschieht.
Auf einmal hat sich die ganze Welt verändert.
Du bist immer noch derselbe Mensch
Glaubst du
Hoffst du

But everytime you see her
You aren't yourself anymore
Stuttering, blushing, embarassing moments
And you wonder
Is it love?

Es kann nicht sein
dass du in diese Person verliebt bist.
Gerade sie, die am wenigsten zu dir zu passen scheint.
Mit diesem Charakter,
und dem eiskalten Blick.

But she looks at you
Und du siehst ihr Lächeln
And she says something to you
Und die Worte klingen wie Musik
Even when she's angry
Sieht sie aus wie ein Engel
Even when she hates you
Willst du sie glücklich machen

And you wonder
Is it love?


Sie bemerkte, wie Ryo rot wurde. Was hatten die beiden nur zu bereden? Obwohl Rika so angestrengt hinhorchte, wie es nur ging - sie verstand nur Ryo's Anteil des Gespräches und der war ja wirklich nicht sehr ergiebig. Ungeduldig tappte sie von einem Fuß auf den anderen. Brennende Neugier stieg in ihr auf, doch sie war zu stolz es zu zeigen.

Irgendetwas seltsames musste es aber doch sein....Ryo wurde sonst nicht so leicht rot! Wenn sie es recht bedachte, war er noch nie rot geworden, jedenfalls nicht in ihrer Gegenwart. Und jetzt gleich zweimal! Was war bloß los? Rika hatte irgendwie das Gefühl, dass da etwas ohne ihr Wissen ablief, etwas, von dem sie keinen Schimmer hatte, und es wurmte sie gewaltig.

Dann wiederum musste sie zugeben, dass ein errötender Ryo, wie vorhin auch schon, eine recht angenehme Ansicht war. Er sah richtig nett aus, nicht mehr so cool und unberührt. Einfach...normal. Und auf irgendeine seltsame Art liebenswert.

Halt. An sowas denke ich erst gar nicht! Sei bloß vorsichtig, Rika!

"Was gab's denn so wichtiges?", meinte sie kühl.

"Uhm...deine Großmutter hat sich bei mir bedankt, weil ich hiergeblieben bin. Ein paar andere Dinge hat sie auch noch gesagt...", er grinste verlegen. "Aber die will ich hier besser nicht erwähnen."

Sie hob wieder in der alten Manier die Augenbraue. "So? Und was gedenkst du nun zu tun?"

Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Hierbleiben, was sonst. Und du brauchst gar nicht mehr anfangen zu diskutieren, das hatten wir gestern schon."
Rika warf den Kopf zur Seite und schwieg. Sie wusste, das er recht hatte, und irgendwie wollte sie auch nicht alleine sein. Er lenkte sie wenigstens ab, so dass sie nicht an ihre Mutter denken musste. Sie fühlte sich immer noch schuldig und machte sich riesige Sorgen...

"Dann können wir ja weiter frühstücken.", sagte sie kurzangebunden und verschwand in der Küche. Ryo grinste leicht - das wertete er als kleinen Sieg seinerseits - doch er wurde schnell wieder ernst als ihm das Gespräch einfiel. Liebe....was war denn das nur? Er war noch nie verliebt gewesen. Und auch jetzt spürte er keine Schmetterlinge in seinem Bauch, oder schwebte hoch oben in den Wolken....es war keinesfalls Liebe auf den ersten Blick gewesen - falls er überhaupt in sie verliebt war - es war mehr...Interesse. Sympathie.

Eigentlich hatte er ja keine Ahnung. Natürlich, er hatte Bücher gelesen...aber ehrlich gesagt hielt er das alles für einen großen Schmarren. Ryo war ein rational denkender Mensch.

Doch...diese Augen hatten es ihm angetan! Und diese Haare...und ihr hübsches Gesicht! Er liebte es, sie zu necken, weil sie dann wütend wurde und absolut süß aussah, und er liebte es in ihrer Nähe zu sein. Alles in allem....

Ich bin verliebt??


Sie setzte sich wieder an den Tisch und begann zu essen - im Moment fiel ihr einfach nichts besseres ein. Ryo wollte bei ihr bleiben...eigentlich hätte sie sich das ja denken können. Nur, was sollten sie tun? Sie hatte keineswegs Lust bis zwölf Uhr mit dem Tamer zu streiten, aber auf der anderen Seite wollte sie auch nicht mit ihm sympathisieren. Seufzend schaute Rika zum Fenster heraus und bemerkte wieder einmal die Amsel, die ihr schönes Lied sang.

Wie seltsam. Schon seit Jahren besiedelten alle Arten von Vögeln den großen Garten, doch erst jetzt wurden sie ihr erst richtig bewusst. Als ob...als ob...sie plötzlich klarer sehen konnte, es einen Nebel vor ihren Augen gab, der nun langsam gelichtet wurde.

Und das Licht

beginnt dich zu umhüllen

"Und was sollen wir nun tun?", fragte sie Ryo, mit einer nicht so kalten Stimme wie sonst. Irgendwie war sie des Verstecksspielens müde...

Es ist die Schwärze

die in deiner Seele steckt

und dich gefangen hält

der schwarze Pfeil

der sich in dein Herz bohrt

"Wir können rausgehen.", meinte Ryo lächelnd. "Das Wetter ist so schön, und ich kann es nicht leiden, einfach nur rumzusitzen! Ich weiß nicht, wie du darüber denkst, aber ein bisschen Ablenkung wäre nicht schlecht."

Rika schüttelte den Kopf. "Ich kann doch nicht rausgehen und mich amüsieren während meine Mutter im Krankenhaus liegt!"

"Ach? Aber du kannst hier in Selbstmitleid und Depressionen versinken? Denkst du, das ist besser? Oder glaubst du, dass deine Mutter das gewollt hätte?"

Manchmal

dringt ein Lichtstrahl durch die Schwärze

bringt das Eis zum Schmelzen

vertreibt ein kleines Bisschen Dunkelheit

und lässt den schwarzen Pfeil

verkümmern...

"Wir können schon raus.", meinte sie nach einigem Zögern und umklammerte die Tasse in ihren Händen. "Vielleicht laufen wir ja in Richtung Krankenhaus, dann kann ich gleich mal nach ihr schauen...." Es war ihr schon gar nicht mehr bewusst, wie selbstverständlich sie das 'wir' benutzte.
Ryo lächelte wieder. "Schön!"

Das restliche Frühstück verlief in Stille. Sie beendeten beide ihr Essen und räumten dann das dreckige Geschirr in die Spülmaschine. Rika ging in den Flur und griff nach ihren Schuhen. Bei dem tollen Wetter draußen würde sie sicherlich keine Jacke brauchen...

Sie stand, gegen die Wand gelehnt, in dem schattigen Gang und wartete auf ihre Begleitung. Es kam ihr selber seltsam vor, aber sie schob es auf ihre momentane Situation. Unter normalen Umständen hätte sie nicht so reagiert....oder?

Ryo war inzwischen im Bad verschwunden, wo er genervt bemerken musste, wie zerknittert er aussah. Immerhin hatte er ja in seinen Klamotten geschlafen. Vergeblich versuchte er sein braunes Haar zu bändigen und es in eine einigermaßen angemessene Form zu bringen.

Na toll. Ich seh aus wie ein Landstreicher, gerade dann wenn ich zum ersten Mal was mit Rika unternehmen kann...

Plötzlich riss er erschreckt seine Augen auf. In der ganzen Hektik hatte er total vergessen, seine Eltern anzurufen! Die machten sich bestimmt riesige Sorgen...leise fluchend verließ er das Bad.

"Rika?", rief er durch das Haus. "Kann ich kurz euer Telefon benutzen?"

"Mach doch was du willst." war die wie immer erfrischend nette Antwort. Er wertete es als Zustimmung und griff nach dem Gerät, sich innerlich wappnend für die bevorstehende Strafpredigt.

Es klickte leise, als das Telefon die angegebene Nummer wählte. Dann...
"Akiyama hier."

"Hallo Mama.", Ryo versuchte, möglichst zerknirscht zu klingen.

"RYO! Wo bist du nur gewesen? Wir haben uns Sorgen gemacht! Was fällt dir nur ein, die ganze Nacht wegzubleiben ohne ein Wort zu sagen! Ich wollte schon die Polizei rufen, weißt du wieviel Angst ich hatte...."

"Mama...", versuchte er die aufgebrachte Frau zu beruhigen. "Es ist alles in Ordnung mit mir, keine Sorge. Ich musste jemandem helfen und konnte ihn nicht im Stich lassen..."

"Wo hast du überhaupt geschlafen?"

"Bei eben diese Person. Mama, ich verspreche dass ich dir alles erkläre, aber nicht jetzt, okay? Ich wieß nicht, wie lange ich noch wegbleibe, aber es muss sein. Du kennst mich, ich würde sowas niemals tun wenn es nicht wirklich wichtig wäre."

Frau Akiyama spürte wohl die Dringlichkeit in der Stimme ihres Sohnes. "Meinetwegen...aber um eine Strafe wirst du nicht herumkommen!"

"Ja, Mama.", meinte er unterwürfig und schnitt eine Grimasse. Gottseidank konnte sie ihn nicht sehen!

Ein Schatten überkam mich
as dark as the night
Ließ die Welt grau erscheinen
Mitten im Eispanzer
Eingeschlossen

Ich wollte mich schützen
wanted to go back into my shell
Denn Gefühle
sind Illusion
verletzen
they rip your heart apart

Es lief gut
I lived my life
Ich war nicht besonders glücklich
Aber auch nicht traurig
oder verletzlich

Doch dann kamst du in mein Leben
Ohne dass ich dich gefragt hatte
and I lost my control
Der Eispanzer begann zu schmelzen
Entzog sich meiner Kontrolle
Noch versuche ich verzweifelt daran festzuhalten
doch jedesmal, wenn du mich mit deinen blauen Augen ansiehst
bricht ein weiteres Stückchen davon ab

I don't want it
Why you? You of all people?
I can't stand you!

Ich will es nicht
Ich wehre mich
doch ich merke
dass ich abhängig werde
dass deine Macht über mich wächst
und ich immer hilfloser werde

Warum? Warum verliere ich meine Kontrolle?
Du ziehst mir den Boden unter den Füßen weg
Nimmst mir alles, an was ich glaubte
und ich kann dich nicht einmal dafür hassen
I can't hate you!

Ich stehe einsam
in der Dunkelheit
alleine
bis auf dieses Licht
dieser kleine Strahl, der die dichte Wolkendecke durchbricht
Und deine Stimme
"Weil ich dich mag"

I'm afraid
of loosing my control
I'm afraid
of showing my feelings
of being hurt

....Und jedes Mal, wenn du mich mit diesen blauen Augen anschaust
bricht ein weiterer Teil meines Eispanzers ab.....


Sie lächelte leicht, als sie dem Telefongespräch zuhörte. Ryo wurde ja ganz schön runtergeputzt....'Geschieht ihm Recht', wollte sie denken, aber fühlte sich gleich schuldig dabei. Immerhin war er ja wegen ihr dageblieben...

"Kommst du endlich?", rief sie nach hinten. Ryo kam grinsend aus dem Wohnzimmer. "Ja. Ich kann's kaum erwarten!"

"Sei bloß still!", meinte sie in einem warnendem Unterton. "Bloß weil ich gestern etwas schwach geworden bin, heißt das noch lange nicht, dass du es ausnutzen kannst, klar?"

Er nickte verständnisvoll und grinste wieder in typische Ryo-Manier. "Okay."

Sie warf ihm noch einen letzten strengen Blick zu und verließ das Haus. Draußen empfing sie herrlicher Sonnenschein und lautes Vogelgezwitscher. Es war...ein Tag wie aus dem Bilderbuch. Der sanfte Wind ließ die Zweige schaukeln und streichelte um die Gesichter der vorübereilenden Leute. Leise wogte Rika's Haar, das sie in der ganzen Hektik vergessen hatte zu einem Pferdeschwanz zu binden, um ihren Kopf und ließen sie im goldenen Sonnenlicht schön und wild erscheinen.
Die Amsel sang ihnen ein Abschiedslied, beobachtete die beiden Jugendlichen aus schwarzen, klugen Augen.

Obwohl es noch relativ früh war, befanden sich schon viele Leute auf den Straßen, einfach wegen der bombastischen Witterung. Bei so einem Wetter konnte man keinem böse sein, konnte man nicht knurrig durch die Stadt gehen.

Und doch...meine Mutter liegt bei so einem Wetter im Krankenhaus. Im Koma. Und möglicherweise stirbt sie. Da hilft auch das Wetter nichts mehr...

Ihre Augen senkten sich zum Boden, als ihr wieder die ganze Sorge, die ganze Wut wieder in den Sinn kam. Den ganzen Morgen hatte sie es verdrängt, die Gedanken in die hinterste Ecke ihres Gehirn verbannt, doch nun traten sie wieder schmerzhaft hervor. Die Sorge ließ ihr Herz schwer werden, und wieder einmal fühlte sie diese unbändige Lust zu weinen und nie mehr aufzuhören...

Sie strich sich durch das Haar, welches ihr teilweise die Sicht versperrte. Sie liefen zum Krankenhaus, würden ihre Mutter sehen...in diesem weißen Krankenhausbett, diese leblose Form, dieses blasse Gesicht das vormals ihrer Mutter gehört hatte. Sie wusste nicht, ob sie die Kraft haben würde, in das Zimmer zu gehen. Es war einfach zuviel...
Manchmal begann sie zu glauben, dass diese Frau jemand anderes sei, nicht Frau Makino, das Topmodel, sondern jemand vollkommen fremdes...

Doch das waren alles Illusionen, und Rika war ein rational denkender Mensch.

So sehr rational dass es wehtat...

Ryo merkte sofort, dass Rika wieder zu grübeln begann. Ein grauer Schatten flog über ihr Gesicht und nahm den ansonsten so strahlenden Augen jeglichen Glanz. Sie ließ ihren Kopf hängen und schaute auf den Boden. Zuerst wollte er ihr den Arm um die Schultern legen, entschied sich dann aber dagegen. Sie hatte ein Anrecht darauf, sich Sorgen zu machen, jedenfalls in einem gewissen Maße.

Er steckte die Hände in seine Hosentaschen und lief stumm neben Rika her, während er aufmerksam die Umgebung betrachtete. Seltsamerweise waren keine Jugendlichen in ihrem Alter auf den Straßen. Er war ein bisschen verwundert, bis ihm einfiel, dass die anderen wohl alle in der Schule saßen. Komisch, daran hatte er gar nicht mehr gedacht, an Schule. Rika wohl ebensowenig, genauso wie ihre Großmutter und seine Mutter. Es gab wohl Dinge im Leben, bei denen Schule einfach zur Nebensache degradiert wurde.

Eigentlich hatte er ja nichts gegen die Schule. Er war ein guter Schüler, er hatte seine Kumpels, mit denen er in den Pausen (und auch während der Stunden) reden konnte, und seine Klasse war auch total in Ordnung. Aber wenn er jetzt hätte in die Schule gehen müssen, mit dem Wissen von Rika's Schicksal und ihrem Gemütszustand...er hätte sicher keinen klaren Gedanken fassen können! Er wusste es genau, denn selbst jetzt drehten sich seine Gedanken um das störrische Mädchen neben ihm.

Er war verliebt....wirklich? Irgendwie konnte er es immer noch nicht fassen. Vorsichtig schielte er zu Rika hinüber. Sie sah so wunderschön aus, er fand sie hübscher als alle anderen Mädchen, die er bis jetzt getroffen hatte. War das schon Liebe?

Er wollte ihr helfen, hasste es, sie unglücklich zu sehen. Aber das war doch selbstverständlich bei Freunden, oder nicht? Es war...es war doch...ganz klar, dass man sich gegenseitig half und beistand. Und jeder hätte Hilfe benötigt, in so einer Situation, er selbst gewiss auch, daran zweifelte er keineswegs...

Nein! Das war doch keine Liebe!

Doch...was war Liebe dann? Er hatte noch nie darüber nachgedacht, hatte nie daran geglaubt, dass er sich einmal mit diesem Thema befassen müsste. Und nun? Er war verwirrt. Total. Doch irgendwie brachte er es nicht fertig, seine Gedanken von dem Thema zu lösen.

Ryo wüsste zu gern, was Rika empfand. Was ging vor hinter diesen Augen? Was dachte sie wirklich von ihm? Hasste sie ihn? Oder hatte sie wenigstens gelernt, ihn einigermaßen zu akzeptieren?

Er wusste genau, warum er sich davor fürchtete, in Rika verliebt zu sein. Die Chance, dass sie das Gleiche für ihn empfand, war wohl gleich Null. Und er wollte nicht verletzt werden...nicht von ihr. Denn das würde er bestimmt nicht verkraften...

Das Pärchen, wenn man es so nennen durfte, lief weiterhin durch die Straßen, sich dem Krankenhaus nähernd, dem Ort, an dem diese ganze Geschichte angefangen hatte - und wohl auch enden würde. Wie seltsam dass dies alles innerhalb eines einzigen Tages passiert war! Nur ein paar Stunden, und die Leben zweier Individuen hatten sich vollständig umgekrempelt...

Das große, graue Gebäude tauchte vor ihnen auf und Rika verlangsamte ihre Schritte, bis sie schließlich ganz stehen blieb.

Ich will nicht....

Ryo trat neben sie und lächelte sie, wie er hoffte, aufmunternd an. "Lass uns hineingehen!", meinte er und fasste sie leicht am Arm. Rika zögerte kurz und nickte. Ihr braunrotes Haar fiel ihr ins Gesicht, verwandelte sie in eine andere, hübschere Rika, als die, die man gewohnt war. Der Wind blies noch immer sanft durch die Straßen, liebkoste die Wangen der beiden Tamer und hinterließ eine lang andauernde Stille.

Was ist nur los? Was ist das für ein Gefühl? Warum fühle ich mich so...wohl? Warum fühle ich mich glücklich, wenn er mich anlächelt? Warum freue ich mich, wenn er sich um mich kümmert?....
Warum ist seine Berührung so angenehm, so beruhigend? Ich brauche doch niemanden...ich will das nicht...Ich habe die Kontrolle verloren...

I've lost control...
I'm wandering aimlessly through the confusing feelings of my soul

Sie betraten beide das stickige Innere des Krankenhauses und erschauerten synchron bei dem erdrückenden Gefühl in der Luft. Beide hassten sie diese Institution, die zu sehr an Kranksein und Tod erinnerte, doch beide wussten, dass es sich nicht umgehen ließ.

Eine Krankenschwester lächelte ihnen zu, eine andere rannte mit abgehetztem Gesicht vorbei und ein beschäftigt aussehender Arzt rauschte durch eine Tür, ein Klemmbrett in den Händen.

Schließlich standen sie beide vor der Tür, dieser kalten weißen Tür, die die restliche Welt von ihrer Mutter absperrte. Rika streckte entschlossen ihre Hand aus und öffnete sie. Das Zimmer - abgedunkelt, grau, kalt. Und wieder dieses riesige Bett mit ihrer so klein aussehenden Mutter darin. Diese furchteinflößenden Geräte, die in ihren Armen hingen. Das leise Piepen des Monitors, der ihren Herzschlag überwachte. All das erinnerte an eine skurrile Szene aus einem Science-Fiction, etwas surreales, etwas, was sie, Rika Makino, nicht betraf.
Und doch...diese Gesicht, auch wenn es blass war, auch wenn schwarze Ringe unter den Augenbrauen waren...es war eindeutig ihre Mutter.

"Hallo Mama!", wisperte sie und trat an das Bett.

Ihre Stimme hallte in dem leeren Raum wieder, beängstigend, und drückende Stille folgte. Sie wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte, stand nur da und starrte in das wachsbleiche Gesicht ihrer Mutter. Hinter sich spürte sie Ryo's Präsenz, beruhigend, schützend. Ihre Großmutter war nicht im Raum, und irgendwie war Rika froh darüber. So konnte sie sich erst einmal sammeln.

Sanft strich ihre Hand über die Wange ihrer Mutter. Gerne hätte sie gesagt 'Komm zurück! Ich vermisse dich', doch die Worte erstarben, noch bevor sie ihre Lippen erreicht hatten. Sie hätte auch gerne geweint, hätte sich ans Bett gelehnt, die Hand der Frau umklammert und ihren Gefühlen freien Lauf gelassen, doch auch das brachte sie nicht fertig. Sie stand nur da, mit diesem verlorenen Ausdruck im Gesicht, verlassen, alleine.

Dann setzte Rika sich ans Bett und streichelte ihrer Mutter über die Haare. Es war ein seltsamer Anblick - Frau Makino ohne Schminke, ohne wohlfrisiertes Haar. Und doch sah sie noch immer hübsch aus, eine innere Schönheit, die selbst über die Todesbleiche hinaus noch wirkte. Ihre Mutter war - ohne Zweifel - eine schöne Frau.

Und obwohl Rika sich immer dagegen gewehrt hatte, gegen Schminke, Kleider und Mode, hatte sie doch immer einen Funken Neid in sich verspürt, denn diese Ausstrahlung ihrer Mutter, diese innere Schönheit, hatte sie auch immer haben wollen. Neben ihr war sie sich vorgekommen wie ein hässliches Entlein, mit verbohrtem Blick und zusammengesackter Haltung.

Ryo stand hinter ihr, hielt eine höfliche Distanz ein, spürend, dass er sich nun besser nicht einmischen sollte, dass das Rika's persönliche Angelegenheit war. Er schwieg bloß und trat in eine dunkle Ecke des Zimmers. Auch sein Blick wurde magisch angezogen von der leblosen Figur im Krankenbett und er erschauerte beim Anblick der Maschinerien, an die die Frau angeschlossen war. Wenn das seine Mutter wäre...er stellte sich vor, wie sie dort lag, die Augen geschlossen, wie tot und musste sich schütteln. Nein...er hätte es wohl genauso schlecht verkraftet wie Rika.

Wie eine leblose
Hülle
Nur der Körper als Überbleibsel
des Lebens
Und die drängende
Frage
Wird diese Hülle jemals wieder
mit einer Seele gefüllt sein?