Anmerkung: Dies ist meine erste Fiction in diesem Bereich, ich hoffe, meine
aus Büchern und Film zusammengesuchten Informationen sind richtig! Und
reviewt mir bitte!!! Ansonsten: Viel Vergnügen!!
Zeithinweis: Das 3017. Jahr des Dritten Zeitalters
Hochmut
Teil 1 - Die Stadt
Die Stadt der Menschen war ekelhaft. Zusammengedrängte Häuser erhoben sich halb aus Bergen von Schlamm und Unrat, die von achtlosen Händen einfach aus den Fenstern befördert worden war. Nun, da die Dämmerung über den Horizont kroch und sich, einem schwarzen Tuch gleich, über das Firmament legte, wurden Fackeln und Öllampen entzündet und das Leben in den Spelunken begann zu pulsieren.
Legolas Grünblatt zog die Kapuze seines Umhangs weiter in sein Gesicht und schob die Schultern nach vorn. Aufgrund seiner Größe fiel er schnell auf und das war etwas, das er unter allen Umständen vermeiden wollte. Wachsam spähte er umher, das eingeschränkte Blickfeld störte ihn. Sein Begleiter warf ihm einen raschen Blick zu. Wie Legolas selbst war er unauffällig gekleidet und verbarg sein Antlitz unter einem zerrissenen Reisemantel. Wer seine raue Gestalt sah, käme nicht auf den Gedanken, dass sich hinter der Maske des Waldläufers etwas ganz anderes verbarg. Ein König. Aragon, Erbe Isildurs, des legendären Königs von Gondor.
Aber das war nicht der Grund, warum Legolas ihn begleitet. Es war ihre Freundschaft, die sie zusammen in dieses neue Abenteuer führte. Sie waren sich in Bruchtal begegnet, im Hause Elronds, eines mächtigen Führers der Elben, der auch Aragorns Ziehvater war. Aragorn, ein Fürst, verborgen unter einer Schicht von Blut, Dreck und Schweiß. In Elronds Haus war der Waldläufer auch Arwen begegnet, Elronds liebreizender Tochter und hatte sein Herz verloren, das unter seiner harten Schale leidenschaftlich schlug. Legolas Lippen verzogen sich im Angesicht der Erinnerungen nur leicht. Menschliche Emotionen waren etwas Seltsames. Er selbst hatte Elrond zu dieser Zeit als Botschafter seines Vaters, König Thranduil von Düsterwald, besucht und hatte die beginnende Romanze anfangs zu vereiteln gesucht. Arwen war eine Prinzessin der Elben, kein gewöhnliches Weib, das für einen Menschen gut genug war.
Dass Aragorn kein gewöhnlicher Mensch war, hatte er erst mit der Zeit herausgefunden. Wie er selbst liebte Aragorn den Wald und die Freiheit der Natur. Seine Gabe, in den Wind zu lauschen, mutete fast elbisch an und in seiner bestimmten Art gelang es ihm, Legolas davon überzeugen, dass nicht alle Menschen verabscheuungswürdige, schwache Wesen waren.
Doch zurzeit war Legolas fast wieder geneigt, vom Gegenteil auszugehen.
"Sie sind wie Tiere, die ihre eigenen Nester verschmutzen", sagte er leise, in verächtlichem Tonfall zu seinem Begleiter, als sich ein betrunkener Bauer an ihnen vorbeidrückte und einen durchdringenden Geruch nach Bier und Erbrochenem verströmte.
Aragorn lachte leise.
"Nur Mut, mein Freund. Vielleicht gelingt es Dir, Ihnen einen Hauch von Stil und Haltung beizubringen!" Er wies auf das nächste Gasthaus, aus dem trunkenes Gelächter zu ihnen herüberschallte. "Dort könntest Du anfangen. Ich bin überzeugt, Sie werden begeistert sein."
"Wenn dies ein Versuch ist, einen Witz zu machen, so ist das gründlich misslungen", murmelte Legolas, überhaupt nicht amüsiert. Er gab es ungern vor sich selbst zu, aber er war angespannt. "Wann, sagtest Du, treffen wir Deinen Bekannten?"
"Im Laufe dieser Nacht", lautete die überaus knappe Antwort, denn sie näherten sich der Tür der Schenke. Durch die durch Feuchtigkeit verzogenen Balken traten sie ein, die Gesichter noch immer sorgsam verborgen. Eine Wolke Tabakdunst, geschwängert mit dem Geruch nach verbranntem Öl und garem Fleisch, wogte ihnen entgegen. Fröhliche Zecher bevölkerten die Theke und die Tische und dralle Dirnen, deren Brüste aus den Ausschnitten ihrer schmutzigen Kleider quollen, bewegten sich mit schwingenden Hüften umher, um Kunden anzulocken. Mit einem kleinen Seufzer dachte Legolas an die schönen, elegant gekleideten Frauen seines Volkes, während er Aragorn durch die Menge folgte. Streicher, wie man ihn in manchen Gegenden auch nannte, gelang es, fast perfekt mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Er orderte zwei Krüge Starkbier und wies auf eine weniger stark frequentierte Ecke, in die sie sich zurückzogen. An die Wand gelehnt, immer den Ausgang im Blick, beobachtete Legolas das bunte Treiben. "Was ist, magst Du das Bier nicht?" erkundigte sich Aragorn und obwohl Legolas sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste er, dass der Mensch ihn aufzog. Deswegen sparte er sich eine Antwort und stellte seinen Krug beiseite.
Im nächsten Moment stolperte ihm eine mit einem vor Dreck starrenden Kapuzenmantel bekleidete Gestalt in die Arme, die sich kurz an ihm abstützte und dann mit einer gemurmelten Entschuldigung davon glitt. Es dauerte nur eine Sekunde, bis Legolas fühlte, das das Gewicht an seinem Gürtel geringer geworden war. Dieser verflixte Lümmel hatte ihm den Geldbeutel abgeschnitten! Ohne lange zu überlegen, eilte er in Richtung des Ausgangs, wo die verdächtige Person soeben in die Dunkelheit verschwand.
Erstaunlich gewandt huschte der Dieb davon, in eine enge Gasse hinein. Legolas machte sich an die Verfolgung. Zunächst schien sich der Dieb in Sicherheit zu wiegen, doch dann drehte er den Kopf ein Stück und Legolas konnte an dem Ruck, der durch die Gestalt ging, erkennen, dass er entdeckt war. Plötzlich begann der Verfolgte zu rennen, schneller, als Legolas es jemals bei einem Menschen gesehen hatte. Der Schurke stieß Fässer um, schlug Haken und sprang aus dem Lauf über eine mindestens 14 Fuß hohe Mauer aus Bruchsteinen. Legolas überwand all diese Hindernisse mit der ihm eigenen Wendigkeit, von Sekunde zu Sekunde mehr davon überzeugt, dass dies kein gewöhnlicher Gegner war.
Dann, von einer Sekunde zur anderen, endete ihre Jagd in einer Seitenstrasse, die eine Sackgasse war. Der Flüchtling wirbelte herum, gehetzt wie ein Tier in der Falle. Ein Dolch blitzte in seiner Hand auf, von schmutzigen Fingern krampfhaft umklammert. Erst jetzt fiel Legolas auf, wie klein sein Gegner war. Dennoch, es war immer Vorsicht geboten. Er zog sein Schwert, das mit einem leisen Singen aus der Scheide glitt.
"Wirf mir die Börse her und ich überlege mir, ob ich Dich töte", rief er in stahlhartem Ton. Bei den Wäldern seiner Heimat, er hatte wirklich genug von dieser Menschstadt! Dass er es nötig hatte, einen gemeinen Verbrecher zu fangen, grenzte an Lächerlichkeit. "Wird es bald, Bursche!"
Ein Klicken ertönte hinter ihm, ein vertrautes Geräusch, das in aller Klarheit in sein Bewusstsein drang. Das Zischen einer Sehne, deren extreme Spannung im Bruchteil einer Sekunde abfiel. Das Sirren eines Geschosses. Er warf sich zur Seite, fuhr herum, doch er war nicht schnell genug. Mit einem hässlichen Knirschen bohrte sich der Bolzen einer Armbrust in seine Schulter, zersplitterte den Knochen. Der Aufprall riss ihn von den Füssen und als er wieder aufspringen wollte, ungeachtet der Schmerzen, fühlte er kalten Stahl an seiner Kehle.
Der kleine Dieb hatte einen Komplizen, einen grobschlächtigen Kerl mit einem von Narben entstellten Gesicht, und dieser war äußerst gut bewaffnet. Sein entschlossener Blick ließ vermuten, dass er nicht zögern würde, von diesem Vorteil Gebrauch zu machen. Mit einer verächtlichen Geste trat er gegen Legolas Kopf, der in der Wolke von Schmerz und Konfusion, die ihn überfiel, merkte, wie seine Kapuze verrutschte.
"Schau an, ein hochnäsiges Spitzohr", raunte der Bandit mit einer heiseren Stimme, die von zuviel Tabak und Schnaps zeugte. "Wie wäre es, wenn ich Dir Dein elegantes Gesicht zerschneide?"
Im selben Moment, in dem die Drohung ausgesprochen wurde, ertönte eine weitere Stimme.
"Drag, lass ihn in Ruhe!" Der kleine Dieb gelangte mit entschlossenen Schritten in Legolas Blickfeld. In seiner dunklen, leisen Stimme vibrierte eine seltsame Note, die nicht recht zu identifizieren war. Sorge? Unruhe? "Wir haben eine Abmachung!" Drag schnaubte abwertend und in seinen Schweinsäuglein blitzte ein berechnendes Glitzern auf, als er den Beutel in der Hand des anderen bemerkte. "Wir haben das Geld, das reicht. Komm schon!"
Legolas sah das Geschehen kommen, doch er stieß keinen Ruf der Warnung aus. Der grobschlächtige Halunke entschied sich blitzschnell, den Entscheidungen seines körperlich stark unterlegenen Komplizen nicht mehr zu folgen oder gar die Beute zu teilen. Mit einem Grunzen sprang er vor und rammte einen Ellbogen mit voller Wucht ins Gesicht des völlig überraschten zweiten Diebes. Ein Knochen brach, vermutlich die Nase, dann sank die kleine Gestalt bewusstlos zusammen.
Doch auch Drag hatte kein Glück. Er sprang über seinen betrogenen Gefährten und grabschte gierig nach der Geldbörse, die achtlos zu Boden gefallen war. Ein Wurfmesser landete nur Sekunden später in seinem Hals und durchtrennte seine Hauptschlagader. Blutend sank er in die Knie, mit verwundertem Blick, der schnell starr wurde. Mit einem dumpfen Geräusch schlug er tot auf dem Boden auf.
"Legolas!" Aragorn tauchte aus den Schatten auf und eilte besorgt zu seinem Freund. "Zum Teufel, hättest Du nicht auf mich warten können?"
Der Elf kam mit der Hilfe des starken Armes des Waldläufers auf die Beine. Von seiner Schulter ging ein dumpfer Schmerz aus, der in alle Teile seines Körpers zu strahlen schien. Sein Pulsschlag pulsierte in der Wunde, in der noch das Holzgeschoss steckte.
"Ich erledige meine Angelegenheiten allein", brachte Legolas hervor und tastete nach der Verletzung. Warmes Blut quoll hervor, genau am Rand seiner verborgenen Weste aus Mithril. Er hatte wirklich kein Glück gehabt an diesem Abend. Zu allem Überfluss schien sich eine heiße Spur ihren Weg von der Wunde zum Herzen her zu bahnen, langsam, aber mit tödlicher Stetigkeit. "Der Pfeil war vergiftet." Das war eher Feststellung als Fluch.
"Komm, wir suchen Dir einen guten Arzt!" Aragorn bemühte sich, aufmunternd zu klingen, doch er konnte seine Besorgnis nicht verbergen. Legolas wusste, dass sein Freund etwas von Heilkunde verstand, doch vielleicht nicht genug, um die Vergiftung zu stoppen. "Was soll ich mit den beiden machen?" Er wies mit dem Kopf auf die beiden bewegungslosen Gestalten am Boden. "Ist der Kleine auch tot?"
Legolas schüttelte den Kopf, um den seltsamen Nebel zu vertreiben, der sich darin zu bilden schien. Er blinzelte, kämpfte um klare Sicht.
"Ich weiß es nicht. Lass sie liegen, ich -."
Die Welt versank für ihn in Schwärze, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Das Letzte, was er spürte, war Aragorns Arm, der ihn stützte.
***
Er schwebte schwerelos, getragen von einer weichen Wolke. Sein Geist versuchte ihm zu vermitteln, dass er wohl in einem Bett liegen musste, gestützt von Kissen. Doch immer wieder verlor er den Bezug zur Realität, sah ihren Verlauf nur in flüchtigen Schemen aufblitzen.
Aragorns Miene erschien über ihm, besorgt, fachkundige Hände berührten seine Schulter. Ein Reißen, ein jäher Schmerz, der metallene Geruch seines Blutes. Was war geschehen? Wie kam er her? Warum wirkte sein Freund so besorgt? Er schlief doch nur, oder etwa nicht? Etwas musste doch geschehen sein. Der feurige Pfad der Pein, den er wie einen Eindringling in seinem Leib fühlte, schreckte ihn nicht. Fast war es wie eine Befreiung, denn Ströme von Lethargie und Erwartung verbreiteten sich von jenem Pfad in seinem Körper. Seine Glieder waren schwer, so schwer. Er wollte schlafen. Wollte nichts mehr sehen und nur noch sich selbst fühlen. Ein Kreis von Dunkelheit formte sich in seinem Kopf und seinem Brustkorb, der dumpfe Schlag seines Herzens dröhnte in ihm wieder. Wie die Glocken der Städte der Menschen, erstickt und vibrierend. Langsamer werdend.
Streitende Stimmen rissen ihn aus der willkommenen Finsternis. Aragorn. Er stritt mit einer Person, die mit großer Dringlichkeit auf ihn einredete. Eine weiche, dunkle Stimme, in der unnachgiebige Schärfe zu hören war. Aragorn würde abwiegeln, er würde ihm, Legolas, die Ruhe beschaffen, die er brauchte. Tatsächlich trat wieder Stille ein. Endlich. Dann erstrahlte das Licht, neben ihm. Es schloss sich um ihn wie die schützenden Arme einer Mutter. Er kannte das Glühen, vertraut, ein Teil seines Lebens. Mit großer Anstrengung öffnete er die Augen, um das Bild, das sich ihm bot, aufnehmen zu können.
Neben seinem Bett stand eine Elbin. Sie war sehr klein und in ein schlichtes Gewand aus grüner Gaze gehüllt, das ihre schmalen Körper umspielte. Legolas erkannte, dass er träumte und gleichzeitig wachte. Das ernste, gütige Gesicht der Frau war real, doch innerhalb einer Sekunde wechselte sein Blickwinkel. Jetzt sah er, dass er sich in einem Zimmer der Herberge befand, in der er bestohlen worden war. Und die Elbin verlor ihre Schönheit, das Traumbild wich einer abgerissenen Gestalt mit struppigen Haaren und einer feinen Narbe, die sich über ihre schmutzige linke Gesichtshälfte zog.
Sie war der Dieb. Die Körpersprache und die Sprechweise waren unverkennbar, ebenso wie die hässliche Prellung über ihrer leicht deformierten Nase. Doch das war Legolas im Moment gleich. Die Erkenntnis, die nur langsam in sein Gehirn sickerte, regte ihn nicht derart auf, wie sie es tun sollte. Was wollte sie nur von ihm? Die Elbendiebin? Sein Blickwinkel wechselte wieder, er kehrte in das Land seiner Vorstellung zurück. Wieder war sie jene Lichtgestalt, von der goldenen Aura umhüllt. Sie setzte sich auf die Bettkante zu ihm und legte eine Hand auf seine schmerzende Schulter. Von einer zur anderen Sekunde machte sich darin ein Gefühl der Wärme breit, so als setze sich das Licht, das sie ausstrahlte, in seinem Körper fort. Ihre Lippen formten elbische Wort, deren weicher Dialekt ein Wohlklang für seine Ohren war.
"Ich bin Alann, mein Herr", wisperte sie. "Ihr seid durch meine Schuld verwundet worden, aber ich werde es wiedergutmachen, denn ich habe mir geschworen, nie einen Elben zu verletzen. Vertraut mir. Ich werde Euch heilen." Legolas' Geist begann, Widersprüche zu formulieren. Warum lockte sie ihn in eine Falle, damit ihr Komplize ihn verwundete, um ihn später zu retten? Und warum hatte sie es dennoch versucht? "Ich merke, dass Ihr zurückkehren und die Wirklichkeit erkennen könnt", fuhr die leise Stimme Alanns fort. "Strengt Euch an. Lasst die Dunkelheit zurück."
Ihre tröstliche Nähe machte es Legolas unmöglich, an etwas anderes zu denken als an sie. Sie war der Mittelpunkt seines Traums, traurig und schön. Ihre Jugend überraschte ihn. Und er merkte, dass er, je mehr Gedanken er sich machte, um sie, um ihr wahres Gesicht und um die Umstände seiner Verwundung, langsam auftauchte aus jener Schwärze, die seinen Köper zu verschlingen suchte.
Eine lange Zeit blieb sie bei ihm, vertrieb seinen Schmerz und die Spur des Gifts durch die Berührung ihrer Hand, flößte ihm ein bitter schmeckendes Getränk aus Kräutern ein, das sie bereitet hatte. Und als er irgendwann wieder ins Dunkel glitt, war es ein tiefer, heilsamer Schlaf, der ihn umfing.
***
Sonnenstrahlen fielen durch das bleiverglaste Fenster und erwärmten den kleinen Raum. Legolas erwachte blinzelnd, da er sich geblendet fühlte. Einige Sekunden war er desorientiert, doch dann erinnerte er sich. An die Ereignisse des Abends und der Nacht. Für einige Momente blieb er liegen und tastete vorsichtig nach seiner Schulter, die sich unter dem gekonnt angelegten Verband merkwürdig taub anfühlte. Aber zumindest lebte er noch und die Vergiftung schien von der Behandlung durch Alann kuriert worden zu sein. Die Selbstheilungskräfte seines Volkes würde das Übrige tun, um ihn innerhalb eines Tages wieder vollkommen genesen zu lassen.
Er stand auf, zog sich an und verliße das Zimmer. Über eine steile Stiege, die zum Schankraum führte, klettert er hinab und musste bei manchem tiefhängenden Balken den Kopf einziehen. Im Kamin der Stube brannte ein Feuer, über dem am Spieß ein saftiges Ferkel schmorte. Fett tropfte zischend in die Glut und hinter der Theke ordnete die mollige Wirtsfrau Krüge in die Regale. Sonst war es außergewöhnlich ruhig. An der Theke saßen zwei stille Zecher, die noch oder schon wieder ihr Bier tranken. In einer Sitzecke, verborgen durch halbhohe Halbtrennwände, stieg aus einer Pfeife wohlriechender Tabakdunst auf.
Aragorn saß entspannt auf seinem Stuhl, wie stets halb unter seiner Kapuze verborgen. Vor ihm stand ein Becher mit Apfelmost und ein Teller mit Fleisch, wie Legolas beim Näherkommen bemerkte. Dem Waldläufer gegenüber hockte die Diebin. Sie trug ein abgewetztes Lederwams, eine weite Hose und hohe Schaftstiefel, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. Ihre dunkelbraunen Haare, verfilzt und unregelmäßig geschnitten, waren zu einem lockeren Zopf gefasst, der ihre Ohren verbarg. Ihrem Gesicht wurde durch die Narbe, die verblassende Schwellung ihrer gebrochenen Nase und die tiefen Ringe unter ihren dunklen Augen ein großer Teil seiner elfenhaften Schönheit genommen. Kaum zu glauben, die Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit.
Alann bemerkte ihn als Erste und erhob sich. Schuldbewusstsein spiegelte sich in ihren Augen, offenen Gefühle, die sich für eine Elbin eigentlich nicht ziemten. Legolas vermutete, dass sie kein Reinblut war, vermutlich war ein Elternteil menschlich gewesen. Eine Woge vom Abscheu erfüllte ihn. Es war unter der Würde jedes Elben, ein Leben als Verbrecher zu fristen. Aber in der jungen Diebin schien wohl der Einfluss der Menschen in vielen Dingen überhand zu nehmen. Alann - was für ein seltsamer Name für eine Elbenfrau. Dass ihr die Heilkräfte ihres Volkes geblieben waren, war sicherlich ungewöhnlich. Er gab es ungern zu, aber sie hatte ihm wohl das Leben gerettet. Auf die Ärzte der Stadt hätte er keinen roten Heller gegeben.
"Legolas Grünblatt", sagte sie förmlich. "Es freut mich, Euch wohlauf zu sehen."
"Was man zum großen Teil Euch zuschreiben mag, allerdings verschuldet Ihr, dass es überhaupt Zweifel an meinem Wohl geben musste", beschied er ihr kühl und sah, dass er sie getroffen hatte. Wortlos rutschte sie auf der Bank herum und machte Platz für ihn. Aragorn blickte auf, ein halbes Lächeln in den Mundwinkeln.
"Gut, dass Du wieder auf den Beinen bist." Er nahm einen Schluck Most und klopfte seine Pfeife an der Tischplatte aus. Sein Gesicht drückte unverhohlene Besorgnis aus und Legolas wusste, dass diese Miene nichts Gutes versprach. "Es gibt einiges zu besprechen. Mein Freund Goran ist tot. Stich zwischen die Schulterblätter. Er wurde im Morgengrauen unweit von hier in einem Stall gefunden."
"Dann werden wir wohl nicht erfahren, warum er Dich um Hilfe ersucht hat", stellte Legolas relativ trocken fest und blickte ungehalten zu Alann herüber, die mit einer fast unverschämten Selbstverständlichkeit der Unterhaltung folgte. "Oder hat er einen Hinweis hinterlassen?"
"Erstaunlich, wie Du mir die Worte aus dem Munde nimmst!" Aragorn beugte sich vor und senkte die Stimme, als sich die Wirtsfrau ihnen näherte und den benachbarten Tisch abzuwischen begann. "Er trug ein Schreiben seines Stadtvorstehers bei sich, in dem dieser mich um Hilfe in großer Gefahr bittet. Mehr konnte ich nicht erkennen, denn das Blut hatte die Tinte aufgelöst. In seiner ersten Nachricht erwähnte er, aus einer Ortschaft nahe dem großen Eisfelsen zu stammen. Wir trafen vor einigen Jahren aufeinander, doch auch da erzählte er nie etwas über sich, das mir nun helfen könnte."
"Es gibt drei Orte, die in Frage kommen, aber der Weg dorthin ist sehr gefährlich und selbst für Kenner der Strecke tückisch", mischte sich Alann ungefragt ein und wechselte einen schnellen Blick mit Aragorn. Das Gefühl, dass man ihm irgendetwas vorgehalten hatte, verbreitete sich in Legolas. Und tatsächlich eröffnete sie ihm: "Euer Freund erwähnte, dass eventuell eine Belohnung aussteht, wenn Ihr das richtige Dorf erreicht. Und da ich als eine der wenigen diesen Ort kenne, stelle ich mich als Eure Führerin zur Verfügung. Gegen einen kleinen Anteil der Belohnung und als Widergutmachung für mein unverzeihliches Verhalten Euch gegenüber! Euer Vorteil ist, dass Ihr hier nicht noch mehr Aufsehen erregt, indem Ihr Euch einen anderen Scout sucht und ich von hier fortkomme. In letzte Zeit habe ich einfach zuviel Pech gehabt."
Legolas sah zu Aragorn hinüber, der seine Pfeife neu stopfte und dann entzündete. Er versteckte sich hinter einer Rauchwolke, doch Legolas meinte ein amüsiertes Funkeln in den dunklen Augen des Waldläufers zu sehen. Da er von keiner zu erwartenden Belohung gehört hatte, hatte sich Aragorn wohl die Geldgier der Halbelbin zunutze gemacht, um sie zu ködern. Ein geschickter Schachzug. Sie vorher zu bezahlen kam dem Verfüttern von Geld an Fische gleich. Obwohl sich Alann jovial und freundlich gab, konnte Legolas nicht einschätzen, ob dies eine Maske war oder ob ihr Verhalten aus wirklicher Reue entsprang. Ihr Credo, keinem Elben etwas zuleide tun zu wollen, konnte auch ein Versuch sein, sich aus einer möglichen Bestrafung herauszuwinden.
Nun, wenn es keine andere Möglichkeit gab, das Rätsel um den Hilferuf und vor allem den Mord an Aragorns Freund aufzuklären, dann mussten sie Alanns käufliche Hilfe wohl oder übel annehmen. Legolas beschloss, sie auf jeden Fall gut im Auge zu behalten und zweifelte nicht daran, dass es Aragorn ähnlich halten würde.
Zeithinweis: Das 3017. Jahr des Dritten Zeitalters
Hochmut
Teil 1 - Die Stadt
Die Stadt der Menschen war ekelhaft. Zusammengedrängte Häuser erhoben sich halb aus Bergen von Schlamm und Unrat, die von achtlosen Händen einfach aus den Fenstern befördert worden war. Nun, da die Dämmerung über den Horizont kroch und sich, einem schwarzen Tuch gleich, über das Firmament legte, wurden Fackeln und Öllampen entzündet und das Leben in den Spelunken begann zu pulsieren.
Legolas Grünblatt zog die Kapuze seines Umhangs weiter in sein Gesicht und schob die Schultern nach vorn. Aufgrund seiner Größe fiel er schnell auf und das war etwas, das er unter allen Umständen vermeiden wollte. Wachsam spähte er umher, das eingeschränkte Blickfeld störte ihn. Sein Begleiter warf ihm einen raschen Blick zu. Wie Legolas selbst war er unauffällig gekleidet und verbarg sein Antlitz unter einem zerrissenen Reisemantel. Wer seine raue Gestalt sah, käme nicht auf den Gedanken, dass sich hinter der Maske des Waldläufers etwas ganz anderes verbarg. Ein König. Aragon, Erbe Isildurs, des legendären Königs von Gondor.
Aber das war nicht der Grund, warum Legolas ihn begleitet. Es war ihre Freundschaft, die sie zusammen in dieses neue Abenteuer führte. Sie waren sich in Bruchtal begegnet, im Hause Elronds, eines mächtigen Führers der Elben, der auch Aragorns Ziehvater war. Aragorn, ein Fürst, verborgen unter einer Schicht von Blut, Dreck und Schweiß. In Elronds Haus war der Waldläufer auch Arwen begegnet, Elronds liebreizender Tochter und hatte sein Herz verloren, das unter seiner harten Schale leidenschaftlich schlug. Legolas Lippen verzogen sich im Angesicht der Erinnerungen nur leicht. Menschliche Emotionen waren etwas Seltsames. Er selbst hatte Elrond zu dieser Zeit als Botschafter seines Vaters, König Thranduil von Düsterwald, besucht und hatte die beginnende Romanze anfangs zu vereiteln gesucht. Arwen war eine Prinzessin der Elben, kein gewöhnliches Weib, das für einen Menschen gut genug war.
Dass Aragorn kein gewöhnlicher Mensch war, hatte er erst mit der Zeit herausgefunden. Wie er selbst liebte Aragorn den Wald und die Freiheit der Natur. Seine Gabe, in den Wind zu lauschen, mutete fast elbisch an und in seiner bestimmten Art gelang es ihm, Legolas davon überzeugen, dass nicht alle Menschen verabscheuungswürdige, schwache Wesen waren.
Doch zurzeit war Legolas fast wieder geneigt, vom Gegenteil auszugehen.
"Sie sind wie Tiere, die ihre eigenen Nester verschmutzen", sagte er leise, in verächtlichem Tonfall zu seinem Begleiter, als sich ein betrunkener Bauer an ihnen vorbeidrückte und einen durchdringenden Geruch nach Bier und Erbrochenem verströmte.
Aragorn lachte leise.
"Nur Mut, mein Freund. Vielleicht gelingt es Dir, Ihnen einen Hauch von Stil und Haltung beizubringen!" Er wies auf das nächste Gasthaus, aus dem trunkenes Gelächter zu ihnen herüberschallte. "Dort könntest Du anfangen. Ich bin überzeugt, Sie werden begeistert sein."
"Wenn dies ein Versuch ist, einen Witz zu machen, so ist das gründlich misslungen", murmelte Legolas, überhaupt nicht amüsiert. Er gab es ungern vor sich selbst zu, aber er war angespannt. "Wann, sagtest Du, treffen wir Deinen Bekannten?"
"Im Laufe dieser Nacht", lautete die überaus knappe Antwort, denn sie näherten sich der Tür der Schenke. Durch die durch Feuchtigkeit verzogenen Balken traten sie ein, die Gesichter noch immer sorgsam verborgen. Eine Wolke Tabakdunst, geschwängert mit dem Geruch nach verbranntem Öl und garem Fleisch, wogte ihnen entgegen. Fröhliche Zecher bevölkerten die Theke und die Tische und dralle Dirnen, deren Brüste aus den Ausschnitten ihrer schmutzigen Kleider quollen, bewegten sich mit schwingenden Hüften umher, um Kunden anzulocken. Mit einem kleinen Seufzer dachte Legolas an die schönen, elegant gekleideten Frauen seines Volkes, während er Aragorn durch die Menge folgte. Streicher, wie man ihn in manchen Gegenden auch nannte, gelang es, fast perfekt mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Er orderte zwei Krüge Starkbier und wies auf eine weniger stark frequentierte Ecke, in die sie sich zurückzogen. An die Wand gelehnt, immer den Ausgang im Blick, beobachtete Legolas das bunte Treiben. "Was ist, magst Du das Bier nicht?" erkundigte sich Aragorn und obwohl Legolas sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste er, dass der Mensch ihn aufzog. Deswegen sparte er sich eine Antwort und stellte seinen Krug beiseite.
Im nächsten Moment stolperte ihm eine mit einem vor Dreck starrenden Kapuzenmantel bekleidete Gestalt in die Arme, die sich kurz an ihm abstützte und dann mit einer gemurmelten Entschuldigung davon glitt. Es dauerte nur eine Sekunde, bis Legolas fühlte, das das Gewicht an seinem Gürtel geringer geworden war. Dieser verflixte Lümmel hatte ihm den Geldbeutel abgeschnitten! Ohne lange zu überlegen, eilte er in Richtung des Ausgangs, wo die verdächtige Person soeben in die Dunkelheit verschwand.
Erstaunlich gewandt huschte der Dieb davon, in eine enge Gasse hinein. Legolas machte sich an die Verfolgung. Zunächst schien sich der Dieb in Sicherheit zu wiegen, doch dann drehte er den Kopf ein Stück und Legolas konnte an dem Ruck, der durch die Gestalt ging, erkennen, dass er entdeckt war. Plötzlich begann der Verfolgte zu rennen, schneller, als Legolas es jemals bei einem Menschen gesehen hatte. Der Schurke stieß Fässer um, schlug Haken und sprang aus dem Lauf über eine mindestens 14 Fuß hohe Mauer aus Bruchsteinen. Legolas überwand all diese Hindernisse mit der ihm eigenen Wendigkeit, von Sekunde zu Sekunde mehr davon überzeugt, dass dies kein gewöhnlicher Gegner war.
Dann, von einer Sekunde zur anderen, endete ihre Jagd in einer Seitenstrasse, die eine Sackgasse war. Der Flüchtling wirbelte herum, gehetzt wie ein Tier in der Falle. Ein Dolch blitzte in seiner Hand auf, von schmutzigen Fingern krampfhaft umklammert. Erst jetzt fiel Legolas auf, wie klein sein Gegner war. Dennoch, es war immer Vorsicht geboten. Er zog sein Schwert, das mit einem leisen Singen aus der Scheide glitt.
"Wirf mir die Börse her und ich überlege mir, ob ich Dich töte", rief er in stahlhartem Ton. Bei den Wäldern seiner Heimat, er hatte wirklich genug von dieser Menschstadt! Dass er es nötig hatte, einen gemeinen Verbrecher zu fangen, grenzte an Lächerlichkeit. "Wird es bald, Bursche!"
Ein Klicken ertönte hinter ihm, ein vertrautes Geräusch, das in aller Klarheit in sein Bewusstsein drang. Das Zischen einer Sehne, deren extreme Spannung im Bruchteil einer Sekunde abfiel. Das Sirren eines Geschosses. Er warf sich zur Seite, fuhr herum, doch er war nicht schnell genug. Mit einem hässlichen Knirschen bohrte sich der Bolzen einer Armbrust in seine Schulter, zersplitterte den Knochen. Der Aufprall riss ihn von den Füssen und als er wieder aufspringen wollte, ungeachtet der Schmerzen, fühlte er kalten Stahl an seiner Kehle.
Der kleine Dieb hatte einen Komplizen, einen grobschlächtigen Kerl mit einem von Narben entstellten Gesicht, und dieser war äußerst gut bewaffnet. Sein entschlossener Blick ließ vermuten, dass er nicht zögern würde, von diesem Vorteil Gebrauch zu machen. Mit einer verächtlichen Geste trat er gegen Legolas Kopf, der in der Wolke von Schmerz und Konfusion, die ihn überfiel, merkte, wie seine Kapuze verrutschte.
"Schau an, ein hochnäsiges Spitzohr", raunte der Bandit mit einer heiseren Stimme, die von zuviel Tabak und Schnaps zeugte. "Wie wäre es, wenn ich Dir Dein elegantes Gesicht zerschneide?"
Im selben Moment, in dem die Drohung ausgesprochen wurde, ertönte eine weitere Stimme.
"Drag, lass ihn in Ruhe!" Der kleine Dieb gelangte mit entschlossenen Schritten in Legolas Blickfeld. In seiner dunklen, leisen Stimme vibrierte eine seltsame Note, die nicht recht zu identifizieren war. Sorge? Unruhe? "Wir haben eine Abmachung!" Drag schnaubte abwertend und in seinen Schweinsäuglein blitzte ein berechnendes Glitzern auf, als er den Beutel in der Hand des anderen bemerkte. "Wir haben das Geld, das reicht. Komm schon!"
Legolas sah das Geschehen kommen, doch er stieß keinen Ruf der Warnung aus. Der grobschlächtige Halunke entschied sich blitzschnell, den Entscheidungen seines körperlich stark unterlegenen Komplizen nicht mehr zu folgen oder gar die Beute zu teilen. Mit einem Grunzen sprang er vor und rammte einen Ellbogen mit voller Wucht ins Gesicht des völlig überraschten zweiten Diebes. Ein Knochen brach, vermutlich die Nase, dann sank die kleine Gestalt bewusstlos zusammen.
Doch auch Drag hatte kein Glück. Er sprang über seinen betrogenen Gefährten und grabschte gierig nach der Geldbörse, die achtlos zu Boden gefallen war. Ein Wurfmesser landete nur Sekunden später in seinem Hals und durchtrennte seine Hauptschlagader. Blutend sank er in die Knie, mit verwundertem Blick, der schnell starr wurde. Mit einem dumpfen Geräusch schlug er tot auf dem Boden auf.
"Legolas!" Aragorn tauchte aus den Schatten auf und eilte besorgt zu seinem Freund. "Zum Teufel, hättest Du nicht auf mich warten können?"
Der Elf kam mit der Hilfe des starken Armes des Waldläufers auf die Beine. Von seiner Schulter ging ein dumpfer Schmerz aus, der in alle Teile seines Körpers zu strahlen schien. Sein Pulsschlag pulsierte in der Wunde, in der noch das Holzgeschoss steckte.
"Ich erledige meine Angelegenheiten allein", brachte Legolas hervor und tastete nach der Verletzung. Warmes Blut quoll hervor, genau am Rand seiner verborgenen Weste aus Mithril. Er hatte wirklich kein Glück gehabt an diesem Abend. Zu allem Überfluss schien sich eine heiße Spur ihren Weg von der Wunde zum Herzen her zu bahnen, langsam, aber mit tödlicher Stetigkeit. "Der Pfeil war vergiftet." Das war eher Feststellung als Fluch.
"Komm, wir suchen Dir einen guten Arzt!" Aragorn bemühte sich, aufmunternd zu klingen, doch er konnte seine Besorgnis nicht verbergen. Legolas wusste, dass sein Freund etwas von Heilkunde verstand, doch vielleicht nicht genug, um die Vergiftung zu stoppen. "Was soll ich mit den beiden machen?" Er wies mit dem Kopf auf die beiden bewegungslosen Gestalten am Boden. "Ist der Kleine auch tot?"
Legolas schüttelte den Kopf, um den seltsamen Nebel zu vertreiben, der sich darin zu bilden schien. Er blinzelte, kämpfte um klare Sicht.
"Ich weiß es nicht. Lass sie liegen, ich -."
Die Welt versank für ihn in Schwärze, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Das Letzte, was er spürte, war Aragorns Arm, der ihn stützte.
***
Er schwebte schwerelos, getragen von einer weichen Wolke. Sein Geist versuchte ihm zu vermitteln, dass er wohl in einem Bett liegen musste, gestützt von Kissen. Doch immer wieder verlor er den Bezug zur Realität, sah ihren Verlauf nur in flüchtigen Schemen aufblitzen.
Aragorns Miene erschien über ihm, besorgt, fachkundige Hände berührten seine Schulter. Ein Reißen, ein jäher Schmerz, der metallene Geruch seines Blutes. Was war geschehen? Wie kam er her? Warum wirkte sein Freund so besorgt? Er schlief doch nur, oder etwa nicht? Etwas musste doch geschehen sein. Der feurige Pfad der Pein, den er wie einen Eindringling in seinem Leib fühlte, schreckte ihn nicht. Fast war es wie eine Befreiung, denn Ströme von Lethargie und Erwartung verbreiteten sich von jenem Pfad in seinem Körper. Seine Glieder waren schwer, so schwer. Er wollte schlafen. Wollte nichts mehr sehen und nur noch sich selbst fühlen. Ein Kreis von Dunkelheit formte sich in seinem Kopf und seinem Brustkorb, der dumpfe Schlag seines Herzens dröhnte in ihm wieder. Wie die Glocken der Städte der Menschen, erstickt und vibrierend. Langsamer werdend.
Streitende Stimmen rissen ihn aus der willkommenen Finsternis. Aragorn. Er stritt mit einer Person, die mit großer Dringlichkeit auf ihn einredete. Eine weiche, dunkle Stimme, in der unnachgiebige Schärfe zu hören war. Aragorn würde abwiegeln, er würde ihm, Legolas, die Ruhe beschaffen, die er brauchte. Tatsächlich trat wieder Stille ein. Endlich. Dann erstrahlte das Licht, neben ihm. Es schloss sich um ihn wie die schützenden Arme einer Mutter. Er kannte das Glühen, vertraut, ein Teil seines Lebens. Mit großer Anstrengung öffnete er die Augen, um das Bild, das sich ihm bot, aufnehmen zu können.
Neben seinem Bett stand eine Elbin. Sie war sehr klein und in ein schlichtes Gewand aus grüner Gaze gehüllt, das ihre schmalen Körper umspielte. Legolas erkannte, dass er träumte und gleichzeitig wachte. Das ernste, gütige Gesicht der Frau war real, doch innerhalb einer Sekunde wechselte sein Blickwinkel. Jetzt sah er, dass er sich in einem Zimmer der Herberge befand, in der er bestohlen worden war. Und die Elbin verlor ihre Schönheit, das Traumbild wich einer abgerissenen Gestalt mit struppigen Haaren und einer feinen Narbe, die sich über ihre schmutzige linke Gesichtshälfte zog.
Sie war der Dieb. Die Körpersprache und die Sprechweise waren unverkennbar, ebenso wie die hässliche Prellung über ihrer leicht deformierten Nase. Doch das war Legolas im Moment gleich. Die Erkenntnis, die nur langsam in sein Gehirn sickerte, regte ihn nicht derart auf, wie sie es tun sollte. Was wollte sie nur von ihm? Die Elbendiebin? Sein Blickwinkel wechselte wieder, er kehrte in das Land seiner Vorstellung zurück. Wieder war sie jene Lichtgestalt, von der goldenen Aura umhüllt. Sie setzte sich auf die Bettkante zu ihm und legte eine Hand auf seine schmerzende Schulter. Von einer zur anderen Sekunde machte sich darin ein Gefühl der Wärme breit, so als setze sich das Licht, das sie ausstrahlte, in seinem Körper fort. Ihre Lippen formten elbische Wort, deren weicher Dialekt ein Wohlklang für seine Ohren war.
"Ich bin Alann, mein Herr", wisperte sie. "Ihr seid durch meine Schuld verwundet worden, aber ich werde es wiedergutmachen, denn ich habe mir geschworen, nie einen Elben zu verletzen. Vertraut mir. Ich werde Euch heilen." Legolas' Geist begann, Widersprüche zu formulieren. Warum lockte sie ihn in eine Falle, damit ihr Komplize ihn verwundete, um ihn später zu retten? Und warum hatte sie es dennoch versucht? "Ich merke, dass Ihr zurückkehren und die Wirklichkeit erkennen könnt", fuhr die leise Stimme Alanns fort. "Strengt Euch an. Lasst die Dunkelheit zurück."
Ihre tröstliche Nähe machte es Legolas unmöglich, an etwas anderes zu denken als an sie. Sie war der Mittelpunkt seines Traums, traurig und schön. Ihre Jugend überraschte ihn. Und er merkte, dass er, je mehr Gedanken er sich machte, um sie, um ihr wahres Gesicht und um die Umstände seiner Verwundung, langsam auftauchte aus jener Schwärze, die seinen Köper zu verschlingen suchte.
Eine lange Zeit blieb sie bei ihm, vertrieb seinen Schmerz und die Spur des Gifts durch die Berührung ihrer Hand, flößte ihm ein bitter schmeckendes Getränk aus Kräutern ein, das sie bereitet hatte. Und als er irgendwann wieder ins Dunkel glitt, war es ein tiefer, heilsamer Schlaf, der ihn umfing.
***
Sonnenstrahlen fielen durch das bleiverglaste Fenster und erwärmten den kleinen Raum. Legolas erwachte blinzelnd, da er sich geblendet fühlte. Einige Sekunden war er desorientiert, doch dann erinnerte er sich. An die Ereignisse des Abends und der Nacht. Für einige Momente blieb er liegen und tastete vorsichtig nach seiner Schulter, die sich unter dem gekonnt angelegten Verband merkwürdig taub anfühlte. Aber zumindest lebte er noch und die Vergiftung schien von der Behandlung durch Alann kuriert worden zu sein. Die Selbstheilungskräfte seines Volkes würde das Übrige tun, um ihn innerhalb eines Tages wieder vollkommen genesen zu lassen.
Er stand auf, zog sich an und verliße das Zimmer. Über eine steile Stiege, die zum Schankraum führte, klettert er hinab und musste bei manchem tiefhängenden Balken den Kopf einziehen. Im Kamin der Stube brannte ein Feuer, über dem am Spieß ein saftiges Ferkel schmorte. Fett tropfte zischend in die Glut und hinter der Theke ordnete die mollige Wirtsfrau Krüge in die Regale. Sonst war es außergewöhnlich ruhig. An der Theke saßen zwei stille Zecher, die noch oder schon wieder ihr Bier tranken. In einer Sitzecke, verborgen durch halbhohe Halbtrennwände, stieg aus einer Pfeife wohlriechender Tabakdunst auf.
Aragorn saß entspannt auf seinem Stuhl, wie stets halb unter seiner Kapuze verborgen. Vor ihm stand ein Becher mit Apfelmost und ein Teller mit Fleisch, wie Legolas beim Näherkommen bemerkte. Dem Waldläufer gegenüber hockte die Diebin. Sie trug ein abgewetztes Lederwams, eine weite Hose und hohe Schaftstiefel, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. Ihre dunkelbraunen Haare, verfilzt und unregelmäßig geschnitten, waren zu einem lockeren Zopf gefasst, der ihre Ohren verbarg. Ihrem Gesicht wurde durch die Narbe, die verblassende Schwellung ihrer gebrochenen Nase und die tiefen Ringe unter ihren dunklen Augen ein großer Teil seiner elfenhaften Schönheit genommen. Kaum zu glauben, die Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit.
Alann bemerkte ihn als Erste und erhob sich. Schuldbewusstsein spiegelte sich in ihren Augen, offenen Gefühle, die sich für eine Elbin eigentlich nicht ziemten. Legolas vermutete, dass sie kein Reinblut war, vermutlich war ein Elternteil menschlich gewesen. Eine Woge vom Abscheu erfüllte ihn. Es war unter der Würde jedes Elben, ein Leben als Verbrecher zu fristen. Aber in der jungen Diebin schien wohl der Einfluss der Menschen in vielen Dingen überhand zu nehmen. Alann - was für ein seltsamer Name für eine Elbenfrau. Dass ihr die Heilkräfte ihres Volkes geblieben waren, war sicherlich ungewöhnlich. Er gab es ungern zu, aber sie hatte ihm wohl das Leben gerettet. Auf die Ärzte der Stadt hätte er keinen roten Heller gegeben.
"Legolas Grünblatt", sagte sie förmlich. "Es freut mich, Euch wohlauf zu sehen."
"Was man zum großen Teil Euch zuschreiben mag, allerdings verschuldet Ihr, dass es überhaupt Zweifel an meinem Wohl geben musste", beschied er ihr kühl und sah, dass er sie getroffen hatte. Wortlos rutschte sie auf der Bank herum und machte Platz für ihn. Aragorn blickte auf, ein halbes Lächeln in den Mundwinkeln.
"Gut, dass Du wieder auf den Beinen bist." Er nahm einen Schluck Most und klopfte seine Pfeife an der Tischplatte aus. Sein Gesicht drückte unverhohlene Besorgnis aus und Legolas wusste, dass diese Miene nichts Gutes versprach. "Es gibt einiges zu besprechen. Mein Freund Goran ist tot. Stich zwischen die Schulterblätter. Er wurde im Morgengrauen unweit von hier in einem Stall gefunden."
"Dann werden wir wohl nicht erfahren, warum er Dich um Hilfe ersucht hat", stellte Legolas relativ trocken fest und blickte ungehalten zu Alann herüber, die mit einer fast unverschämten Selbstverständlichkeit der Unterhaltung folgte. "Oder hat er einen Hinweis hinterlassen?"
"Erstaunlich, wie Du mir die Worte aus dem Munde nimmst!" Aragorn beugte sich vor und senkte die Stimme, als sich die Wirtsfrau ihnen näherte und den benachbarten Tisch abzuwischen begann. "Er trug ein Schreiben seines Stadtvorstehers bei sich, in dem dieser mich um Hilfe in großer Gefahr bittet. Mehr konnte ich nicht erkennen, denn das Blut hatte die Tinte aufgelöst. In seiner ersten Nachricht erwähnte er, aus einer Ortschaft nahe dem großen Eisfelsen zu stammen. Wir trafen vor einigen Jahren aufeinander, doch auch da erzählte er nie etwas über sich, das mir nun helfen könnte."
"Es gibt drei Orte, die in Frage kommen, aber der Weg dorthin ist sehr gefährlich und selbst für Kenner der Strecke tückisch", mischte sich Alann ungefragt ein und wechselte einen schnellen Blick mit Aragorn. Das Gefühl, dass man ihm irgendetwas vorgehalten hatte, verbreitete sich in Legolas. Und tatsächlich eröffnete sie ihm: "Euer Freund erwähnte, dass eventuell eine Belohnung aussteht, wenn Ihr das richtige Dorf erreicht. Und da ich als eine der wenigen diesen Ort kenne, stelle ich mich als Eure Führerin zur Verfügung. Gegen einen kleinen Anteil der Belohnung und als Widergutmachung für mein unverzeihliches Verhalten Euch gegenüber! Euer Vorteil ist, dass Ihr hier nicht noch mehr Aufsehen erregt, indem Ihr Euch einen anderen Scout sucht und ich von hier fortkomme. In letzte Zeit habe ich einfach zuviel Pech gehabt."
Legolas sah zu Aragorn hinüber, der seine Pfeife neu stopfte und dann entzündete. Er versteckte sich hinter einer Rauchwolke, doch Legolas meinte ein amüsiertes Funkeln in den dunklen Augen des Waldläufers zu sehen. Da er von keiner zu erwartenden Belohung gehört hatte, hatte sich Aragorn wohl die Geldgier der Halbelbin zunutze gemacht, um sie zu ködern. Ein geschickter Schachzug. Sie vorher zu bezahlen kam dem Verfüttern von Geld an Fische gleich. Obwohl sich Alann jovial und freundlich gab, konnte Legolas nicht einschätzen, ob dies eine Maske war oder ob ihr Verhalten aus wirklicher Reue entsprang. Ihr Credo, keinem Elben etwas zuleide tun zu wollen, konnte auch ein Versuch sein, sich aus einer möglichen Bestrafung herauszuwinden.
Nun, wenn es keine andere Möglichkeit gab, das Rätsel um den Hilferuf und vor allem den Mord an Aragorns Freund aufzuklären, dann mussten sie Alanns käufliche Hilfe wohl oder übel annehmen. Legolas beschloss, sie auf jeden Fall gut im Auge zu behalten und zweifelte nicht daran, dass es Aragorn ähnlich halten würde.
