Teil 7 - Nacht

Während die Nachmittagssonne die Berge erwärmte, stand Legolas mit Anthanas auf der Mauer über dem Tor und blickten in den Hof hinunter.

"Ihr seid sicher, dass es heute Nacht geschehen wird?" Anthanas Frage war eher eine nüchterne Feststellung, denn er schien zu wissen, dass Elben mehr sahen und hörten als die Menschen. Legolas interessierte es, was Aragorn und dieser Mann, der vielmehr wie ein Edelmann denn wie ein Soldat wirkte, gemein hatten. Der Vorsteher von Bergstadt war ohne Zweifel in militärischer Kriegsführung bewandert, denn die Vorkehrungen, die man in der ganzen Stadt traf, waren effektiv und gut platziert.

"Ich höre, wie sie immer näher rücken, im Schatten der Berge, vielleicht auch in Höhlen und Gängen, die Ihr nicht kennt. Und es sind viele. Mehr als dreihundert." Legolas kniff die Augen zusammen und beobachtet den Himmel. "Es wird heute Nacht früh dunkel werden. Ich schlage vor, dass Ihr Frauen und Kinder so bald wie möglich in Sicherheit bringt und alles, was ein Schwert halten kann, schon jetzt die wichtigsten strategischen Punkte besetzt. Gibt es hier sicheren Unterschlupf?"

"Die Höhlen um die Quelle sind weitverzweigt und gut zu verteidigen."

"Wie viele Männer habt Ihr?", fragte Legolas weiter. "Und wie gut ist Ihre Bewaffnung?"

"Etwa einhundert Krieger, das gleiche noch mal an Bauern mit Dreschflegeln und Spießen. Und ein paar Dutzend Bürger, die ungefähr wissen, wo bei einer Waffe das scharfe Ende ist." Anthanas lächelte trotz der angespannten Lage. "Aber sie verteidigen Ihr Hab und Gut. Das dürfte Ihnen ungeahnte Kräfte verleihen." Im Hof wurden Kessel mit Öl befüllt und dann die Treppe hochgetragen. Der Schmied und ein paar Helfer fertigten Schwerter an und bauten Pfeile und Bögen, die sich in einer Ecke stapelten. An der Westmauer, die Legolas mit dem Herrn der Stadt zuvor besichtigt hatte, bot sich ein ähnliches Bild. Bergstadt bereitete sich auf eine lange Nacht vor. "Es wird ein paar Waffenübungen geben, aber ich glaube nicht, dass das noch viel ausmachen wird."

"Jede Art von Vorbreitung hilft, einige Leben zu retten." Legolas ging zur Treppe und stieg in den Hof hinab, Anthanas direkt hinter sich. "Erlaubt mir eine Frage. Woher kennt Ihr Aragorn?"

"Oh, das ist eine lange Geschichte, aber vielleicht hilft sie, um ein wenig Zeit totzuschlagen." Die Augen des alten Mannes richteten sich in die Ferne, so als sehe er längst vergangene Ereignisse. "Es ist jetzt etwas zehn Jahre her. Euer Freund war noch ein junger Mann, aber schon damals schien es, als wäre er einer jener Menschen, die durch eine große Last gezwungen wurden, schnell erwachsen zu werden. Er hat mir nie erzählt, was ihn bedrückte, aber ich ahnte, dass es etwas sehr Bedeutsames ist. Aber ich schweife ab. In einem Jahr, in dem der Sommer nie enden wollte, trafen wir an der Scheide zweier Wege aufeinander. Ich hatte eine Schlinge um den Hals und war kurz davor, von ein paar Halunken an einem starken Ast aufgehängt zu werden. Sie griffen Aragorn an, bevor er auch nur fragen konnte, was vorging und er tötet sie schneller, als ich verstehen konnte. Er schnitt mich vom Ast und stellte keine Fragen, was mich soweit gebracht hatte. Von diesem Tag zogen wir durch die Lande. Wie in den alten Liedern war es damals. Wir feierten bis tief in die Nacht, prügelten uns durch Dorfschenken und kämpften so manche Schlacht. Die alle aufzuzählen würde jetzt keinen Sinn machen." Anthanas räusperte sich, denn ein Hauch Melancholie hatte sich in seine Stimme gelegt, die er anscheinend nicht gutheißen konnte. "Nach einem Jahr verloren wir uns aus den Augen, da er nach Bruchtal ging und ich in einem kleinen Dorf ein Mädchen kennen gelernt hatte. Das alte Lied eben. Es war eine schöne Überraschung, dass Goran ihn ausersehen hatte, uns zu helfen. Ich hab ein gutes Gefühl, wenn ich mich auf ihn verlassen muss. Und auch von denjenigen, die er als seine Freunde bezeichnet, weiß ich, dass ich ihnen trauen kann."

"Ich danke für diesen Beweis Eures Vertrauens", gab Legolas höflich zurück, während sie in die Stadt hinein gingen. Die am Tag ihrer Ankunft noch gefüllten Strassen wirkten wie ausgestorben, Menschen nagelten die Eingänge und Fenster ihrer Häuser mit Brettern zu oder flüchteten sich mit gepackten Bündeln in Richtung der Felsen davon. Bewaffnete patrouillierten und griffen denen unter die Arme, die zu alt oder langsam waren.

"Sagt mir, woher stammt Eure Begleiterin?", erkundigte sich Anthanas völlig unerwartet. "Ebenfalls aus Bruchtal oder ist sie eine Waldelbin?"

"Sie ist nur eine Halbelbin", erklärte Legolas abwertend und plötzlich klangen Aragorns Worte vom Morgen in seinem Kopf wieder. "Ihre Mutter stammt aus dem Königreich meines Vaters, dem König von Düsterwald."

Anthanas lachte.

"Ein Prinz und ein Bastard. Kein Wunder, dass Ihr Euch ständig streitet." Dann wechselte er das Thema. "Sagt, wie ist es in Eurer Heimat so?"

Legolas überlegte einen Augenblick. Wie sollte er einem Menschen begreiflich machen, wie sich die Gesänge der Frauen anhörten, die die Schönheit der Bäume lobten, die ihnen Schutz und Nahrung boten? Oder das Flüstern des Nordwindes zwischen den Blättern? Er dachte an das ernste Gesicht seines gestrengen Vaters, der jeden Regelbruch unnachgiebig ahndete. Das musste er, in einem Teil der Welt, in der Elben und Bestien so nahe beieinander lebten, dass sie in der Dunkelheit nur einen Meter aneinander vorbeigehen konnten, ohne sich zu sehen. Früher war der Wald ein heller, freundlicher Ort gewesen. Lange vor Legolas Zeit jedoch hatte der Schatten das Land befallen und der dunkle Herrscher Sauron seine habgierigen Finger nach dem Wald der Elben ausgestreckt. Viele waren damals gefallen und auch jetzt noch, ein Jahrtausend nach dem Fall Saurons, gab es noch Kräfte in Düsterwald, die jeder guten Magie trotzten.

"Es ist so schön, dass jeder, der einmal im Schoß der Bäume sein Haupt zu schlafen niederlegte, den Traum dieser Nacht in jeder Nacht wiederträumt, sein ganzes Leben lang."

Anthanas schwieg nach dieser Erklärung, die für seine Ohren sehr poetisch klingen musste. Sie sprachen wenig, bis sie die Residenz des Verwalters erreichten und in die Vorhalle traten. Anthanas verabschiedete sich.

"Ich habe noch einige Vorbereitungen zu überwachen."

Legolas sah ihm nach, wie er in den Gängen des Hauses verschwand und überlegte, was er selbst für den Rest des Tages tun sollte. Das Wissen um die drohende Gefahr machte ihn seltsam rastlos.

Stimmengewirr und lautes Lachen drangen aus einem der Gänge, wo sich seinem Wissen nach eine Waffenkammer befand, seltsame Geräusche in einer Krisenzeit. Legolas beschloss nachzusehen und folgte den Stimmen durch einen hohen Steinkorridor, der in einem großen Raum mündete. Vie konnte Legolas nicht erkennen, denn vor der Kammer standen einige Männer, die sich anscheinend köstlich über das amüsierten, was sie sahen. Er drängte sich vor, um etwas zu sehen und erstarrte.

Alann lag auf dem Boden auf dem Rücken und ein großer Mann saß auf ihrem Brustkorb und drückte ihr mit beiden Händen die Kehle zu. Legolas Hand fuhr sofort zu seiner Waffe. Was hatte sie wieder angestellt? Doch dann beobachtete er, wie sie mit einigen geschickten Griffen der Umklammerung entkam, mit Macht Schwung holte und ehe es sich ihr Gegner versah, obenauf saß und dem Krieger ihrerseits die Kehle zudrückte. Überwältigt von elbischen Kräften, lief der Mann rot an und hob schließlich eine Hand zum Zeichen der Aufgabe. Die Gruppe um Legolas herum grölte, halb begeistert, halb entnervt. Alann ließ den Mann unter ihr mit einem breiten Grinsen los und half ihm auf die Beine. Geschlagen bahnte er sich seinen Weg aus der Waffenkammer, aber nicht, ohne Alann ein schmales, Lederwams in die Hand zu drücken. Das Gespräch unter den Zuschauern, die sich gegenseitig kleinere Münzen zuschoben, ließ Legolas vermuten, dass dies eine Art Wette gewesen war. Alann rieb sich gedankenverloren den Hals, an dem einige blaue Flecke zu sehen waren.

Die Menge zerstreute sich, nur Legolas blieb in der Tür stehen. Missbilligend sah er der Halbelbin entgegen, die ihn zunächst nicht bemerkte und wie vom Blitz getroffen zusammenfuhr, als sie aufblickte.

"Ich habe Euch nicht gehört", behauptete sie und tat völlig ungerührt.

"Euch hört man umso mehr", gab Legolas eisig zurück. "Ich finde immer wieder interessant, dass Ihr Euch für eine Elbe haltet und doch benehmt wie eine -." Er sprach es nicht aus, da ihm kein passender Vergleich einfiel. "Euch mit Männern am Boden zu wälzen scheint aber zu Euren Stärken zu gehören."

In gewohnter Erwartung einer ungehaltenen Reaktion verharrte er, wurde aber enttäuscht. Alann schüttelte leicht den Kopf und richtete sich ein Stück mehr auf.

"Ich bin es satt, mit Euch zu streiten", beschied sie ihm leise und resigniert. "Diese Männer haben sich geweigert, mir auch nur ein Stück Rüstung abzutreten. Daher habe ich gewettet, dass ich genug Handgriffe kenne, um einen von ihnen zu überwältigen." Sie ging an ihm vorbei, blieb dann aber im Rahmen der Tür stehen. "Ich habe genug davon, für alles, was ich will, zu kämpfen. Und ich werde mich nicht vor Euch rechtfertigen und erst recht für nicht entschuldigen. Nie wieder!"

***

Hinter den Wällen wurden im letzten Licht des Tages noch Vorbereitungen getroffen. In mit Hacken ausgehobene Gruben wurden angespitzte Holzpfähle gerammt, die jeden, der nach innen von der Mauer herunterfiel, unweigerlich durchbohren würde. Kessel mit heißem Wasser und kostbarem Öl standen auf den Zinnen bereit, erhitzt von kleinen Feuer, deren Geruch sich bis in de letzten Winkel der Gassen fortsetzte. Überall konnte man Eimer mit Wasser finden, denn die Bürger bemühten sich, die Dächer ihrer Häuser zu benetzen, um Brandpfeilen keine Nahrung zu geben. Nach der Totenstille des Nachmittags war die ganze Stadt in hektische Aktivität verfallen, so als wäre die sinkende Sonne wie eine quälende Geißel, die alle vorantrieb. Auf den Plätzen der Stadt unterwiesen die Krieger die Bauern und Bürger, wie sie die einfachste Dinge zu Waffen machen konnten, Forken, Stöcke und Hacken. Die allerwenigsten der aufmerksamen Schüler hatten schon einmal ein Schwert in der Hand gehalten, denn obwohl das Tal ein eher ungastlicher Ort war, war es dennoch friedlich.

Irgendwann verglomm die letzte, scharlachrote Färbung des Himmels, die das ganze Tal minutenlang in einen farbigen Schleier gehüllt hatte. Dem Betrachter des Schauspiels musste der Atem stocken bei der Vorstellung, was diese Nacht versprach. Absolutes Schweigen senkte sich über Bergstadt, ein Leichentuch der drückenden Vorahnung. Ein letztes Mal leuchtete das Metall der Waffen in den letzten Minuten des Tages auf, Schwerter, die Spitzen von Pfeilen, Speere, die sich in der Farbe des Blutes färbten. Es würde geschehen. Bald.

Legolas stand mit den Bogenschützen, über die man ihm den Befehl gegeben hatte, auf der Mauer, während es dunkel wurde. Er schwieg, während sich die anderen mit wilden Geschichten von ihren Ruhmestaten Mut zuredeten. Nicht selten war einer unter ihnen, der, während er laut von Tapferkeit sprach, seine zitternden Hände verbergen musste. Legolas war äußerlich ruhig, obwohl er tief in seinem Herzen fühlte, wie die unsichtbaren Angreifer stetig immer näher rückten. Ihre wispernden Stimmen, deren kehlige Sprache so nahe mit seiner eigenen verwandt war, schmerzten ihn, als sei jedes Wort ein Pfeil, der ihn traf. Die Fremden sprach von Tod und Verderben, von fließendem Blut und Kindern, die sie mit sich nehmen wollten.

Der Schrei eines Nachttieres erklang in der Nähe der Mauer, klagend und lockend zugleich. Doch es war kein Tier, das diesen Laut ausstieß. Die erfahrenen Männer erkannten dies alle im selben Moment. Einer der Männer auf der Mauer hob die Hand und im Hof flogen die Hände der Kämpfer an die Griffe ihrer Schwerter. Doch es geschah nichts und nach einiger Zeit setzten die geflüsterten Gespräche wieder ein. Legolas spähte zu den Menschen hinunter, die in kleinen Gruppen beisammen standen. Die Bauern blieben ein wenig abseits, doch der krampfhafte Ernst, mit dem sie ihre Waffen umklammert hielten, ließ erkennen, dass sie mit derselben Wut kämpfen würden wie die ausgebildeten Kämpfer, die sich nur zu gern in die erste Reihe drängten, um sich selbst und ihren Kumpanen etwas zu beweisen.

Alann entdeckte er bei Roviel. Sie wirkt winzig und hilflos neben dem Krieger, trotz des Schwertes, das sie an ihrem Gürtel trug und ihrer neuen Lederrüstung. Die Gefühle, die sie aussandte, passten nicht zu dem selbstbewussten Bild, das sie nach außen bot. Sie hatte Angst. Er unterdrückte den Impuls, zu ihr herunterzugehen und ihr zu befehlen, nicht von seiner Seite zu weichen. Das würde ihr gewiss nicht gefallen, aber zumindest konnte es ihre Überlebenschance erhöhen. Aber ihm lag wirklich nichts daran, sich Probleme einzuhandeln. Sie sollte allein sehen, wie sie zurechtkam.

Der Himmel bezog sich mit schweren, granitgrauen Wolken, die tief über den Hängen der Berge schwebten. Ein eisiger Wind kam auf, der einen Schauer durch jeden Körper jagen musste. Die Köpfe gesenkt, harrten die Menschen aus, in der Spannung des Moments gefangen. In dem Moment, in dem der erste Regentropfen mit Wucht auf den ausgetretenen Steinen auf dem Wall aufschlug, sah Legolas, dass es soweit war. Zwischen den Felsen außerhalb der Ringmauer erhoben sich Schemen, schwarze Gestalten, die in erschreckender Zahl eine massive Front bildeten. Sie brauchten kein Licht, um zu sehen, wohin sie zielen mussten. Die Spitzen von Pfeilen blitzten auf.

"Bogenschützen!", rief er, als er in einer schnellen Geste seinen eigenen Bogen anlegte. Sein Ruf war ebenso Angriffsbefehl für seine eigenen Männer wie Warnung für die Krieger im Hof. In derselben Sekunde, in der Legolas Pfeil, singend von der Sehne geschnellt, davonflog, prasselte eine Anzahl gegnerischer Geschosse gegen die Mauer und flogen noch weiter. Schreie ertönten unter ihm, von denen er nicht wusste, ob sie von Schmerz oder Wut sprachen. Verborgen hinter einer Zinne, verharrte er einen winzigen Moment, holte tief Luft. Dann nahm er seinen Platz in der Schießscharte ein. Wie tödliche Vögel sausten seine Pfeile hinunter in die Menge der Angreifer, die dichter und dichter wurde. Schon wagten sich einige vor, bewehrt mit einer Ramme und Nahkampfwaffen. Es sah aus, als wären sie sich ihrer Sache sicher. In der Regenmasse, die sich über ihnen entlud, als sei der Himmel entschlossen, ihnen eine Sintflut zu schicken, entzündeten sich trotz allen Wassers Brandpfeile, die leuchtende Bögen in der Luft bildeten. Legolas roch, dass etwas im Hof Feuer gefangen hatte und sah, dass einer der Ställe brannte. Ein Pfeil musste direkt in das trockene Innere geflogen sein. Knechte liefen hektisch heran, um zu löschen, auch wenn die Pferde längst herausgebracht worden waren. Diese warteten mit ihren Reitern weiter im Inneren der Stadt, hinter dem Torbogen aus Stein. Sie würden die letzte Rettung der Stadt bilden, falls die vordersten Reihen aufgerieben wurden.

Legolas schoss, traf einen mitten in das durch eine Kapuze verdeckte Gesicht, einen anderen in den Hals. Doch überall dort, wo ein Elb fiel, standen plötzlich zwei neue, die immer näher rückten. Oftmals mussten die Schützen auf der Mauer in Deckung gehen, weil ihnen Hunderte Pfeile gleichzeitig entgegenflohen. Die Woge der tödlichen Geschosse schien kein Ende nehmen zu wollen. Legolas ließ sich vom Hof schon benutzte Pfeile bringen, da sein Köcher sich immer mit rasender Geschwindigkeit leerte. Doch er sah nicht, wo die lagen, die er getötet hatte. All die Gestalten, die sich unter ihnen, geschützt von ihren Bogenschützen, anschickten, das Tor zu nehmen, waren lebendig und nirgendwo sah er einen Toten. Es war gespenstisch und wenn er nicht genau gewusst hätte, dass man Dunkelelben sehr wohl töten konnte, hätte er mit sich selbst und der Welt gehadert.

Irgendwann war der letzte Pfeil verschossen und fast so als wüssten die Angreifer dies, hörten auch sie auf zu schießen. Eine kurze, beklemmende Stille trat ein, nur gefüllt von dem Stöhnen von Verwundeten aus dem Hof. Legolas blickte hinunter, doch zu seiner Erleichterung standen fast alle Männer noch, nun noch grimmiger als zuvor. Roviel hob sein Schwert hoch in die Luft und ließ es auf sein Schild herabdonnern. Seine Männer folgten dem Beispiel und in ihre Kriegsrufe mischte sich das Donnern der Ramme, die von außen gegen das Tor geschlagen wurde. Legolas bedeutet seinen Männer, sich auf die Treppen zu begeben, um beim Eindringen des Feindes von der Seite angreifen zu können. Er selbst blieb über dem Tor, hingehockt, damit ihn kein verirrter Pfeil traf. Das Schreien im Hof wurde zorniger, doch auch vor dem Tor erklangen Stimmen, die in seinem Inneren widerhallten. Sie versprachen Tod.

Holz zersplitterte knirschend, als die massiven Balken des Tores vor der Belastung kapitulierten und brachen. Die entstehenden Lücken wurden mit Hilfe von Äxten vergrößert, fast wie auf Zwergenart. Gemurre entstand daraufhin unter den Männern, doch es verstummte abrupt, als schließlich der Torriegel hochflog und die zerstörte Pforte aufschwang. Schneller als jeder Mensch schoben sich die schwarzen Schemen in den Hof, füllten ihn aus, dominierten ihn mit ihrer fürchterlichen Erscheinung. Lange Schwerter blitzten in ihren Händen auf, als sie alle zur selben Zeit vorwärts stürmten. Legolas gab seinen Männern ein Zeichen und sprang. Er landete auf gleich zwei Elben und riss sie um. Während er hörte, wie sich die Menschen mit lauten Schreien - "Für die Berge" - in den Kampf warfen und Metall mit Wucht auf Metall prallte, sah er sich umzingelt. Sein langes Elbenmesser zog geschmeidige Kreise, als es Körperteile von Rümpfen trennte und Panzer durchschlug, als sei es Wasser, das er teilte. An den Reaktionen seiner Gegner merkte er, dass es sie verwunderte, gegen ihn zu kämpfen. Einige schoben, als sei es ihr Ritus für den Kampf mit ihresgleichen, ihre Kapuzen zurück und enthüllten dunkle, verzerrte Gesichter, die schön und hässlich zugleich waren. Ihre Stimmen sprachen gehetzt und zischend zu ihm, warnten ihn vor ihrer Rache und warfen ihm Verrat vor. Legolas verschloss sich gegen all dies, er hörte nur das Singen seines Blutes, das wie kochend durch seine Adern schoss.

Er kämpfte sich gnadenlos den Weg frei, sah weder nach rechts noch nach links, während er sich weiter durch den Hof schlug. Die Menschen um ihn herum starben schreiend oder sanken ganz still zur Erde, doch wo ein Elb fiel, da vor sofort einer, der ihn wegtrug. Es mussten an die fünfhundert oder mehr sein. Der Bogengang zur Stadt wurde von einer Reihe von Männern gesichert und Legolas Herz setzte für einen Moment aus, als er sah, dass Alann unter ihnen war. Roviel stand mit ihr Rücken an Rücken und beide starrten den Dunkelelben entgegen, als sähe sie Dämonen aus der Hölle. Legolas wusste, dass er zu ihnen musste. Einem Elben, der ihm im Weg stand und der gerade einen jungen Mann, nicht älter als sechzehn Sommer, ein Schwert in den Magen gerammt hatte, schlug er den Kopf ab. Zwei weitere griffen ihn an und während er den Hieb des einen parierte, spürte er, wie der Dolch das andere seine Seite streifte. Wäre er nicht ausgewichen, hätte dies sein Ende sein können, doch er drehte seinen Körper zur Seite und rammte dem anderen das Knie in den Unterleib. Mit einem weiteren, einzigen Streich nahm er diese zwei Leben und hastete dann, spürend, wie Blut warm seine Hüfte herablief, zu den Kriegern.

Roviel entdeckte ihn und winkte ihn an seine Seite.

"Ihr seid verwundet!", brüllte er, um den Lärm zu übertönen. "Zieht Euch zurück!"

Legolas schüttelte nur den Kopf, doch ehe er es sich versah, stand auf einmal Alann an seiner Seite. Mit erstaunlicher Kraft zog sie ihn hinter die Reihen der Kämpfer in Deckung, ohne auch nur seine Zustimmung abzuwarten. Ihre kleine Hand legte sich auf seine Wunde und die Welt blieb für einen Moment einfach stehen. Die heilende Wärme durchflutete ihn, vertrieb Schmerz und Müdigkeit. Dann war es auch schon wieder vorbei. Alann lächelte ihn an, obwohl sie vor Dreck und Blut starrte. Wasser lief ihr durch die unordentlichen Haare, unter denen ihre Augen stumpf und müde blickten.

"Wenn dies vorbei ist, werde ich lange Zeit keine Waffe mehr anfassen", sagte sie leise und war dann blitzschnell wieder an Roviels Seite. Legolas folgte ihrem Beispiel. Wie eine Düne, gegen die eine schwarze Welle brandete, blieben sie vor dem Durchgang stehen. Sie würden niemanden an sich vorbei lassen.

***

Es war wohl Mitternacht, als Legolas das Schwert zum letzten Mal in einen Körper senkte und dann, schwer atmend, stehen blieb. Der Regen fiel so stark wie zu Beginn des Kampfes und schwemmte alles fort, Kleidungsfetzen, Fleisch und Blut. Der Hof und der Durchgang waren mit Leichen bedeckt, und man musste auf sie treten, um vorwärts zu kommen. Es war, wie Legolas es sich geschworen hatte. Niemand hatte das Tor aus Stein passiert. Aber zu was für einem Preis? Verwundete schleppten sich zurück in die Stadt, einige wurden auf Wagen geladen, da sie sich nicht mehr allein bewegen konnten. Auch tote Elben lagen herum. Zum Schluss hatte es keine mehr gegeben, die die Toten weggeschafft hatten. Durch das zerstörte Tor in der Mauer kam ein Trupp von Männern zurück, die den fliehenden Elben gefolgt waren. Sie ließen die Schulter hängen, so als wäre die Anspannung durch den augenscheinlichen Misserfolg mit einem Mal von ihnen abgefallen. Ein paar von ihnen trotteten aus dem Hof, andere gingen in Richtung der Ställe, wo sie Holz holten, um den Eingang zumindest notdürftig zu reparieren.

Noch konnte niemand sagen, ob die Elben wiederkommen würden oder wie viele Tote es auf beiden Seiten gegeben hatte. Das abrupte Ende des Angriffes war wie ein Schock für die Menschen. Einige Krieger saßen einfach auf dem Boden und stützten ihren Kopf in die Hände, so als könnten sie nicht fassen, dass sie überlebt hatten - oder dass ihre besten Freunde tot waren. Legolas lauschte seinem Herzschlag, der sich langsam wieder beruhigte und wischte sein Schwert an irgendeinem Lumpen ab. Dann lief er leichtfüßig über die Körper hinweg zur Mauer. Seinen Bogen, den er darauf zurückgelassen hatte, fand er unbeschädigt vor. Während er einige Meter über dem Hof stand und den Schauplatz in seiner Gänze betrachten konnte, verstand er, dass die Menschen großes Glück gehabt hatten. Sie waren in der Minderzahl gewesen und hatten dennoch gesiegt. Für den Moment.

Sein Auge suchte unter den Toten nach bekannten Gesichtern, doch er erkannte nur Männer, denen er flüchtig begegnet war. Um sich sicher sein zu können, stieg er die durch Blut und Regen glitschig gewordene Treppe wieder hinunter und begab sich ein weiteres Mal unter die Toten. Hier und dort drehte er einen Körper um, doch nirgendwo fand er die beiden, die er suchte. Alann und Roviel waren nicht auf dem Hof. Er war während des Kampfes plötzlich von ihnen getrennt worden und hatte sie aus den Augen verloren. Jetzt lastete die Ungewissheit schwerer auf ihm, als er sich zugestehen wollte. Er hoffte, dass er beide im Inneren der Stadt wiedertreffen würde. Nachdem er sich davon überzeugt hatten dass die Menschen mit der Reparatur zurechtkamen und eine neue Wache für die Mauer aufstellten, verließ er den Hof und passierte die mit Blut und Schmerz verteidigten Felsen. In den Gassen von Bergstadt hing Brandgeruch, denn augenscheinlich war es den Angreifern an der Westmauer gelungen, einige Häuser abzubrennen. Der Rauch stieg jedoch nicht mehr auf, Regentropfen prallten zischend auf der Glut auf, die sie irgendwann endgültig löschen würden. Er musste nicht an den Brandherden stehen, um es wahrzunehmen.

Legolas drängte sich an einem Karren mit Toten vorbei und schloss kurz die Augen. Es gab Momente wie diese, in denen er sich nach der Sauberkeit des Waldes sehnte, nach klaren Flüssen und weichen Blättern, aus denen man sich ein Lager bereiten konnte. In den tausend Jahren, in denen er jetzt lebte, war es ihm noch immer nicht gelungen, sämtlichen Schrecken des Krieges von sich abprallen zu lassen. Seine Mutter hatte ihm geraten, sich seine Gefühle zu bewahren, da sie der Meinung war, dass es die Kälte der Elben war, die sie letztendlich von Mittelerde vertreib. Dass sein Vater genau die gegensätzliche Einstellung vertrat und für einen Herrscher absolute Kälte forderte, half ihn bei seinen eigenen Fragen nicht weiter. Drei Jahre war er nicht mehr in Düsterwald gewesen und es kam ihm länger vor als jeder andere zeit, die er auf Reisen verbracht hatte.

Er erreichte den großen Hof vor dem Ratsgebäude und erblickte zu seiner Freunde Roviel, dessen Arm gerade verbunden wurde. Er stand mit einigen Männern zusammen, die noch kampfestüchtig wirkten. Kaum war der Arzt fertig, winkte der Krieger ihn ungeduldig zur Seite.

"Geh und kümmere Dich um die anderen!", rief er dem Heiler zu und blickte dann in Legolas Richtung. Er grinste halbherzig. "Herr Elb, ich wusste, dass Ihr zäh seid!"

"Ihr anscheinend ebenso, Roviel", gab Legolas zurück und blickte sich suchend um. "Sagt, habt Ihr Alann gesehen?" Das Blut wich aus Roviels Wangen und der Mensch musste keinen Ton sagen, damit Legolas verstand, was geschehen war. Er spürte, wie sich etwas in ihm verkrampfte. "Ist sie verletzt?"

Weiter wollte er gar nicht denken. Roviel schüttelte bedrückt den Kopf.

"Ich habe sie nirgendwo gefunden", erzählte er in gepresstem Ton. "Verflucht, ich wollte auf sie aufpassen, aber ich habe sie aus den Augen verloren."

"Macht Euch keine Vorwürfe." Legolas versuchte, den anderen Mann zu beschwichtigen, obwohl es ihm nicht leicht fiel, die von ihm empfundene Wahrheit auszusprechen. "Ich hätte diese Aufgabe übernehmen sollen und es war absolut unverantwortlich von mir, sie allein zu lassen."

"Was wollt Ihr tun?", wollte Roviel wissen. Legolas runzelte die Stirn. Ihm fiel nur eine einzige Möglichkeit ein.

"Bringt mir ein Pferd und schnallt mir die Leiche eines Dunkelelben darauf. Ich werde zu Aragorn und den Zwergen reiten und ihnen den Körper als Beweis vorlegen. Wir brauchen Ihre Hilfe."



Ja, das war er, der siebte Teil meine Story! Hat er Euch gefallen? Ich hoffe es!! Teil 8 folgt so bald wie möglich!!!!!!!!!!!!!!

Zunächst aber eine Frage an Euch: gebt Ihr dem Pairing in dieser Geschichte eine Chance? Wollt Ihr ein Happy-End oder keines???? Verpackt mir die Antworten darauf einfach in ein paar Reviews, ja? In dem Sinne - Eure Demetra