Teil 10 - Durch die Tiefe
Aragorn fand sich zwei Dunkelelbinnen gegenüber, starke, hochgewachsene Gestalten, die ihn mit einer Kraft angriffen, die er normalerweise nur Männern zugetraut hätte. Doch er machte nicht den Fehler, sie zu unterschätzen. Seine Arme erzitterten unter ihrem Ansturm und er war sehr froh, Legolas bei sich zu haben, der ihm die Seiten freihielt. Um sie herum ballte sich eine Anzahl von Angreifern, die gnadenlos näherrückten. Und sie würden gewinnen, wenn nicht bald etwas geschah. Aragorn und seine Männer waren erschöpft von dem langen Aufenthalt in der Höhle der Zwerge, Roviel und Alann verletzt und Legolas sicher nicht fähig, all die Nachteile seiner Begleiter aufzuwiegen.
Aragorn tauchte unter einem gewaltigen Hieb hindurch und rammte sein Schwert einer der Frauen in den Magen. Sie kreischte schrill und sofort traten zwei weitere Elben an ihre Stelle, während sie zurücktaumelte. Eine kleine Lücke tat sich in der Masse der kämpfenden Körper auf und Aragorn konnte die Magierin erkenne, die noch immer auf dem Podest neben dem Spiegel stand. Sie rührte sich nicht von der Stelle und bemerkte deswegen auch nicht, dass sich ihr eine Gestalt von hinten näherte.
Alann trug ihr Schwert in der Hand und schlich mit konzentriertem Gesicht immer näher. Bald waren es nur noch wenige Schritte, die sie von dem magischen Gegenstand trennten. Aragorn starrte wie gebannt zu der jungen Frau hinüber, wurde dann jedoch abgelenkt. Er konterte zwei Schwertstreiche mit aller Kraft und drehte den Kopf zu Legolas, um ihm etwas zuzurufen. Doch dazu kam es nicht mehr.
Ein Schrei in der Sprache der Dunkelelben stieg zum Himmel Die Magierin sank in die Knie und hob flehend eine Hand. Alann stand über ihr, ihr Schwert drohend erhoben. Für einen Moment dachte Aragorn, sie würde die unbewaffnete Frau töten, doch das Bitten der Magierin bezog sich nicht auf ihr Leben. Alann reagierte nicht, sondern schwang ihre Waffe in hohem Bogen in den Spiegel hinein. Nichts geschah. Ihre Hand mit der Waffe verschwand für einen kurzen Moment hinter dem Glas, dann zog sie sie verwirrt wieder heraus. Die Magierin lachte triumphierend und fegte Alann mit einer Bewegung ihrer Hand durch unsichtbare Macht vom Podest herunter. Doch die Halbelbin gab nicht auf. Sichtlich wütend kam sie wieder auf die Beine, hechtete zum Podest. Aragorn wollte ihr zurufen, was sie tun sollte, doch Alann hatte es ebenso wie er erkannt. Dieses Mal sprang sie hinter den Spiegel und rammte den Knauf ihrer Waffe hinein.
Das Splittern des Glases war bis in den letzten Winkel der Halle zu hören. Der Kampf geriet ins Stocken, als die Dunkelelben ungläubig das zerstörte Relikt betrachteten. Der Spiegel wies nun breite Sprünge auf, die sich mit leisem Knacken immer weiter fortsetzten. Das Bild in der Fläche verschwamm, wurde wieder zu jenen grauen Schlieren, die am Anfang, vor der Beschwörung zu sehen gewesen waren. Die Magierin stürzte sich nach einer Sekunde des Schreckens auf Alann und die beiden Frauen gingen eng im Kampf umschlungen zu Boden. Aragorn wäre zu gern zu Hilfe gekommen, doch er war weiterhin umzingelt.
In diesem Moment erbebte der Boden der Halle und hob sich, wie es schien, gleich um einen ganzen Meter. Die Kämpfer fielen auf die Knie, ohne Ausnahme. Die Wände wogten, als seien sie nicht aus Stein, sondern aus Wasser gemacht, das nun in Wallung geriet. Aragorn nutzte die Gunst der Stunde, um sich mit einer Rolle in Richtung der Kellertür zu begeben. Legolas folgte und verharrte hingehockt neben ihm. Ein dumpfes Grollen stieg aus der Tiefe auf, das nichts mit Sprengpulver zu tun hatte. Die Macht des Schlosses erwachte und nun, da sein wertvollster Schatz, das Portal, der Zerstörung anheim fiel, schien es seine Existenz beenden zu wollen. Es war, als hätten die Mauern nur zur Verteidigung des Spiegels tausend Jahre lang gestanden. Der Boden vor dem Relikt klaffte auf und zwei Elben, die sich nicht rechtzeitig hatten retten können, stürzten schreiend hinein. Der Riss öffnete sich weiter und weiter, verbreiterte sich innerhalb von Sekunden auf mehr als die Sprungbreite eines Elben. Zu seinem Schrecken entdeckte Aragorn, dass sich Alann zusammen mit der Magierin und dem Spiegel als einzige auf der jenseitigen Seite des Grabens befand. Legolas neben ihm versteifte sich und wollte losrennen, doch Aragorn hielt den Freund am Arm fest.
"Du würdest es nicht schaffen. Und sie auch nicht", rief er, um den Lärm zu übertönen. Das nagende Gefühl der Hilflosigkeit breitete sich in seinem Magen aus, als er beobachten musste, wie der Abgrund jede Fluchtmöglichkeit für ihre Gefährtin abschnitt. Alann kämpfte noch immer verbissen mit der Magierin, stieß sie auf den Sockel, wo die Dunkelelbin mit dem Rücken gegen den Spiegel stieß. Dieser fiel um und kippte langsam nach vorn, in Richtung der Felsspalte. Die beiden Frauen, die sich ineinander verkrallt hatten, verloren ebenfalls ihr Gleichgewicht und fielen dem Artefakt hinterher.
Aragorn sah kommen, was geschehen würde, doch ihm waren die Hände gebunden. Entsetzt beobachtete er, wie durch das stete Beben des Bodens der Spiegel immer weiter rutschte und schließlich in den Abgrund kippte. Die Dunkelelbin bemerkte es, rollte sich herum, griff nach dem Spiegel - und griff ins Leere. Alann wurde von dem Schwung der anderen Frau mitgerissen, sie schwebten gemeinsam einen kleinen Moment lang über dem Abgrund. Dann waren sie verschwunden. Es ging so schnell, erschien so nebensächlich, dass Aragorn fast nicht glauben wollte, dass es geschehen war.
"Raus hier, aber schnell!" Roviel rappelte sich in einer Ecke der Halle auf die Beine, schüttelte einige benommene Elben ab und rannte schwankend auf Aragorn und Legolas zu. Er schien der einzige der restlichen Gruppe zu sein, der noch überlebt hatte und riss Aragorn und Legolas mit seiner energischen Art aus der Erstarrung.
Zu dritt eilten sie die Treppe hinunter, durchquerten den Keller in Windeseile und kehrten über die Leiter unter die Fundamente zurück. Dort herrschte Ruhe, nur ein fernes Grollen zeugte von den Vorgängen in dem Gebäude weit über ihnen. Die Ereignisse dort schienen plötzlich Meilen entfernt zu sein, doch wenn Aragorn ihr merklich zusammengeschrumpftes Grüppchen beobachtete, ergriff ihn ein frischer Schmerz. Roviel wirkte wie kurz vor dem Zusammenbruch, er schien noch nicht mitbekommen zu haben, was passiert war. Legolas präsentierte eine steinerne Miene, doch Aragorn wusste, dass der Elb nicht so unbewegt war, wie er tat.
Sie erreichten den Ausgang des Tunnels, der in den Hauptschacht mündete. Wie versprochen wurden sie dort von den Wachen erwartet, die ihnen die Treue gehalten hatten, trotz der Erschütterungen, die nun langsam auch auf diesen Teil des Komplexes übergriffen. Einer von ihnen griff ohne Aufforderung nach einem geöffneten Pulverfass und während sie sich über die Holzstege aufwärts bewegten, streute der Mann die Spur des Sprengpulvers weiter. Auf mittlerer Höhe des Aufganges angekommen, blickte Aragorn hinunter und sah, dass die Dunkelelben über ihren Schrecken hinweggekommen waren und sie verfolgten. Ein Hagel von Pfeilen flog zu ihnen hinauf und sie verfehlten die Gruppe nur knapp, da die Entfernung zwischen ihnen noch zu groß war. Doch das konnte sich sehr schnell ändern, da die Elben flinker auf den Beinen waren als die Menschen.
Aragon wies dem Mann mit dem Fass an, dieses den Weg zurückzurollen und kramte in seiner Tasche nach Feuerstein und Eisen. Während das Fass über die Brücke nach unten rumpelte, schlug er einige Funken in der Nähe des Pulvers, dessen Spur genau vor seinen Füßen endete. Er benötigte zwei Versuche, um die Substanz zu entzünden und begann dann zu rennen. Seine Begleiter hasteten hinter ihm her, holten das Letzte aus ihren Körpern heraus, um der drohenden Katastrophe zu entrinnen.
Die erste Explosion riss das rollende Fass auseinander und sprengte unter ihnen ein halbes Dutzend der Stege weg. Die Dunkeleben, die sich darauf befanden, stürzten mit den Trümmern in die dunkle Tiefe. Eine Welle von Hitze und kleinen Partikeln wurde zu den Fliehenden emporgeweht, doch sie richteten keinen Schaden an.
Aragorn spähte mit zusammengekniffenen Augen zu dem Zugang, durch den sie in den Schacht gelangt waren. Er sah eine winkende Hand und erkannte rote Haare. Die Zwerge hatten auf sie gewartet. Die rettenden Seile hingen einige Meter über ihnen und Aragorn dachte schon, dass sie sich in Sicherheit befänden, als die zweite Explosion, die durch die vier Fässer vor der Sprengstoffkammer hervorgerufen wurde, den Tunnel wie einen Donnerschlag erbeben ließ. Roviel taumelte und wurde gegen das Geländer des Steges geworfen. Das dünne Holz brach und der Mensch wäre fast in den Tod gestürzt, wenn Legolas nicht blitzschnell zugegriffen und ihn zurückgezerrt hätte. Ein Krachen ertönte, als Tonnen von Gestein zusammenbrachen, erst sehr weit unten, doch dann verloren auch die oberen Korridore ihre Stabilität.
Aragorn rannte wie noch nie in seinem Leben zuvor die letzten Brücken hinauf und warf sich schließlich an eines der Taue, das von oben heraufgezogen wurde, da ihm kaum die Kraft zum Klettern blieb. Roviel verfuhr ebenso wie er, nur Legolas stieg über den schmalen Felspfad, über den sie die Höhle betreten hatten.
Rego erwartete sie mit einem breiten Grinsen, für das Aragorn ein Stück weit dankbar war, denn es kündigte das Ende dieses Abenteuers an. Er ergriff die Hand des Zwerges und dieser zog ihn auf die Füße.
"Hätte nicht gedacht, dass ich Euch noch einmal lebendig wiedersehe. Kommt nun. Obwohl dies ein Tunnel der Zwerge und nicht der Elben ist und damit von vorzüglicher Bauart, kann ich nicht garantieren, dass er nicht über uns zusammenfällt."
Wie vor den Kopf gestoßen folgte Aragorn dem Anführer der Zwerge. Nur undeutlich nahm er wahr, wie das Donnern der Steine hinter ihm von Moment zu Moment verging. Es war vorbei.
***
Über den Bergen stieg zögerlich die Sonne eines neuen Tages auf, als die Menschen die Höhle der Zwerge verließen und scheu in das matte Licht blinzelten. Ein müder, schwarzgefärbter Zug von Befreiten atmete die reine Luft des Morgens. Aufeinander gestützt, die Kinder fest an der Hand haltend, machten sie sic auf den Marsch zu ihrer Stadt und den Dörfern. Niemand wusste, was ihn dort erwartete und welche traurigen Nachrichten er erhalten würde. Im Moment zählten nur das Leben und die Freiheit, konnte nichts den Moment zerstören.
Aragorn band sein Pferd von dem Felsen los, an das er es vor etwas weniger als einem Tag angebunden hatte. Vieles war geschwunden, von seinem Optimismus nicht zu sprechen. Er wollte eigentlich gar nicht darüber nachdenken, nur fort von dem gähnenden Schlund des Berges.
Rego stand bei ihm und nickte mit dem Kopf in Richtung der Flüchtlinge. In einem Tonfall, der gespielt ungezwungen klingen sollte, meinte der Zwerg:
"Nun ja, wenn die dort Hilfe brauchen, könnten wir ihnen ja helfen, ein paar Bäumchen zu fällen. Verdammte Dinger, lassen mich immer an Elben denken." Er warf einen entschuldigenden Blick zu Legolas, der gar nicht reagierte, sondern in den Sattel seines Pferdes stieg. "Werden ihnen auch ein paar Brote schicken, bei der Schneide meiner Axt, sie sehen ja so schwächlich aus."
Aragorn musste wider Willen lächeln.
"Vielleicht wäre es an der Zeit, dass sich die Führer unserer beiden Völker hier in diesem Teil der Welt einmal zusammensetzen. Zum Nutzen aller", schlug er vor. Rego winkte polternd lachend ab.
"Bin doch kein Diplomat, mein Freund. Aber wir werden sehen. - Lebt wohl jetzt." Er wartet, bis Aragorn sein Pferd bestiegen hatte und klopfte dem Tier kräftig auf die Kruppe. "Und habt Dank!"
Aragorn wartete, bis Roviel, Legolas und einige andere Berittene bereit waren, dann ließ er sein Tier den schmalen Pfad in Richtung Bergstadt einschlagen. Bereit nach den ersten Minuten versank er in Gedanken, die quälend in seinem Kopf trieben. Er hatte nichts tun können, es war ein Unfall gewesen. Dennoch konnte er Alanns Gesicht nicht vergessen, wie es im Abgrund verschwand. Sie hätte ihm gewiss keinen Vorwurf gemacht, dazu hatte sie die Welt zu gut gekannt und ihre Situation richtig einschätzen können. So abgeklärt und in vielen Dingen noch so unfertig, ein Kind, das schnell erwachsen geworden war. Er vermisste sie, war sie doch in den wenigen Tagen, die sie sich gekannt hatten, eine gute Freundin geworden, wie er lange keine mehr gekannt hatte.
Er hätte gern gesehen, wie sie nach Bruchtal ging und sich dort einlebte. Sie hätte ihre Heilkunst verbessern und endlose Spaziergänge in den Wäldern machen können, ohne jemals an Verteidigung denken zu müssen. Ruhe für ihren umtriebigen Geist, das hatte er für sie gewünscht. Welche Ironie diese Gedanken jetzt bildeten, erschrak ihn.
Die Zeit verging quälend langsam und keiner der Reiter sagte etwas. Einer der Männer, dessen Bein von einem Pfeil getroffen worden war, war der gleiche, der vor ihrem Gang in die Zwergenhöhle noch groß vom Kämpfen getönt hatte. Nun war auch er erstaunlich wortkarg. In den Gesichtern der anderen las Aragorn Erleichterung und Erschöpfung, in einigen Schmerz. Nur Legolas starrte mit wachen Augen auf den Weg vor ihnen und erinnerte an eine Statue aus Marmor, der nichts und niemand etwas anhaben konnte. Doch Aragorn meinte, dass der Rücken des Freundes zu starr war, dass seine Ruhe zu aufgesetzt wirkte, um echt zu sein. Doch es würde eher geschehen, dass Elrond einen Scherz machte, als dass Legolas irgendjemanden hinter seine glatte Fassade blicken ließ.
Irgendwann erschienen die Westmauern von Bergstadt vor ihnen und Aragorn sah zum ersten Mal die Schäden, die die Dunkelelben während ihres Angriffes hinterlassen hatten. Ein großes Stück war aus den Zinnen herausgebrochen, sie mussten ihre Pferde um die Bruchstücke herumleiten. Verirrte Pfeile staken überall, zerbrochene Waffen lagen herum und zeugten noch von der Heftigkeit der Attacke.
Sie folgten dem Weg weiter und ritten schließlich auf das Tor zu. Dessen Flügel waren zerstört, doch von innen mit Brettern beschlagen, wie Aragorn durch die von Schwertern geschlagenen Lücken sehen konnte. Über dem Eingang gingen Wachen auf und ab, ein den Alltag vermittelndes Bild. Sie erkannten die Reiter und einen Moment später öffnete sich das Tor langsam. Kaum hatten sie das Innere des Hofes erreicht, da strömten ihnen die Menschen entgegen, allen voran Anthanas, der sich auf eine provisorische Krücke stützte. In seinem Gesicht mischten sich Freunde und Zweifel.
"Ist es vollbracht?", erkundigte er sich.
"Ja", bestätige Aragorn. "Es ist geschafft." Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, fühlte er auf einmal, wie müde er war. Er rutschte aus dem Sattel, drückte dem nächsten Knecht die Zügel in die Hand und atmete tief durch. Doch es war ihm noch nicht vergönnt, zu schweigen du in sich zu gehen. Fragende Gesichter blickten ihm entgegen, die er nicht übersehen konnte. "Wir konnten die Gefangenen befreien, sie kommen hierher oder gehen in die Dörfer. Wenn ich Euch einen Vorschlag machen darf, dann sucht den Führer der Zwerge, Rego, Dracos Sohn, auf. Er ist vielleicht noch kein Verbündeter, aber zumindest so etwas wie ein Freund."
Anthanas nickte langsam.
"Ich verstehe. - Nun, kommt, meine Freunde, es ist an der Zeit, dass Ihr Euch ausruht." Seien wachen Augen huschte über die Reihe der Heimgekehrten. "Ihr hatte Verluste?"
"Ja." Aragorn verspürte keine Lust, das Thema zu erörtern. Das kurze Raunen, das durch die Menge ging, lenkte ihn ab. Ein Falke schoss über den Köpfen der Menge hinweg und landete dann mit rauschenden Schwingen auf Legolas Handschuh. Für Aragorn war diese Szene nicht Besonderes, aber das Volk staunte dennoch über den hochgewachsenen Elben, dem der edle Vogel zugeflogen war. Legolas öffnet unterdessen den kleinen Lederbehälter der am Fuß des Tieres befestigt war und zog einen schmalen, beschrifteten Streifen Pergament hervor. "Von Deinem Vater?"
Sie lösten sich einige Schritte von den Mithörern, während Legolas den Vogel wieder in die Luft warf.
"Ich werde sofort losreiten", kündete der Elb an. "Thranduil berichtet mir, dass sich ungewöhnliche Anzeichen in den Wäldern bemerkbar machen. Er braucht mich."
"Anzeichen?"
"Er hat es nicht näher erläutert. Fest steht - ich muss gehen." Aragorn kämpfte gegen die aufsteigende Wut an. Wollte Legolas das Geschehene einfach so hinter sich lassen und sich Neuem zuwenden? Der Elb erahnte, wie so oft seine Gedanken. Für einen Moment wurde sein Blick weich und traurig. "Ich habe in den tausend Jahren meines Lebens gelernt, dass ich meine Gefühle nicht an jene binden sollte, deren Dasein so schnell vergeht wie die Frucht eines Sommers. Aber das bedeutet nicht, dass ich es nicht trotzdem tue."
Damit schien er alles gesagt zu haben und dieser kurze Blick auf Legolas wahre Gefühle genügte Aragorn, um den Zorn zu vertreiben. Nachdenklich beobachtete er, wie sich sein Freund wieder in den Sattel schwang und trat dann zu ihm. Sie reichten sich in stummer Übereinkunft die Hände. Sie würden sich wiedersehen, irgendwann.
Legolas trieb sein Pferd vom Hof und Aragorn sah ihm lange hinterher, auch als sich das Tor wieder schloss und die Geräusche der einsamen Hufschläge auf dem Steinpfad verklangen. Dann drehte er sich um und strebte einem Bad und einem Bett entgegen.
***
Am Abend war die Halle bis zum Bersten gefüllt mit Menschen, die Obdach suchten. Die Stimmung war gedrückt, denn nun, da der eine Alptraum vorbei war, gerieten sie in einen anderen. Ihre Familien waren tot, ihre Häuser zerstört. Der Herbst wandelte sich langsam in den Winter und so manches wärmende Feuer würde fehlen.
Aragorn hoffte, dass die Zwerge ihr Angebot wahr machten und den Menschen halfen. Ein Band der Nächstenliebe konnte viele Probleme lösen und dem Tal den dauerhaften Frieden bringen. Einige Äxte konnten beim Bau eines Hauses Wunder wirken.
Warmer Met und Bier flossen in Strömen und erzeugten in den Mägen ein warmes Wohlgefühl. Beim Feuer kamen die Knechte nicht nach, Schweine und sogar einen ganzen Ochsen zu garen, deren verführerischer Duft über allem lag. Zumindest für diesen Abend würden alle die Probleme vergessen und einfach nur glücklich darüber sein, dass sie lebten, etwas im Bauch hatten und ihren Kopf in seligem Rausch auf den Tisch sinken lassen konnten.
Für Aragorn war es ein Abend der Reflektion. Er beobachtete, aß und trank wenig. Legolas und Alann fehlten ihm sehr. Das ewige Gezanke, wenn zwei stolze Dickköpfe aufeinander trafen, hatte ihn im Stillen immer amüsiert. In Rohan gab es ein Sprichwort. "Der beste Kampf ist der zwischen guten Freunden." Daran hatte er immer gedacht, wenn sich wieder einmal ein Wortgefecht entspann. Es gab für ihn keinen Zweifel mehr daran, dass die Freundschaft zwischen Alann und Legolas etwas Einzigartiges gewesen war. Keiner von ihnen war jemals über seinen Schatten getreten, und doch waren sie sich immer näher gekommen.
Es war vorbei. Endgültig. Alann lag, unter Tonnen von Gestein begraben, irgendwo in dem alten Schloss. Aragorn seufzte und genehmigte sich einen Schluck Bier. Anthanas, der neben ihm saß, prostete ihm zu.
"Ich hätte mir in vielen Dingen ein glücklicheres Ende dieser Vorfälle gewünscht", sagte der Vorsteher der Stadt. Sein verletztes Bein ruhte auf einem kleinen Schemel unter dem Tisch und er verzog jedes Mal das Gesicht, wenn er sich bewegte. "Ah, zum Teufel, wir sollten alle mit dem Kämpfen aufhören. Das ist viel zu gefährlich. Ungefähr wie eine anständige Feier."
"Wir haben lange nicht mehr zusammen gefeiert", antwortete Aragorn und blickte sinnend in seinen Kelch, der auf einmal leer war. "Aber mir ist nicht danach zumute."
Er schenkte seine Aufmerksamkeit wieder dem alten Mann, doch dieser starrte in eine völlig andere Richtung und murmelte:
"Glaubt Ihr an Wunder?"
"Nicht wirklich." Aragorn verstand nicht ganz, worum es ging und vor allem nicht, warum Anthanas auf einmal breit grinste. "Warum?"
"Da kommt eines!", lachte Anthanas und wies auf eine Gruppe von neu eintreffenden Menschen, die sich durch den schmalen Eingang in die Halle schob. Aragorn beobachtete sie ratlos, doch dann stockte ihm der Atem. Am Ende der Gruppe tappte eine kleine, arg mitgenommene Gestalt in den Raum und sah sich desorientiert um. Aragorn sprang auf, lief um den Tisch herum und rannte durch die ganze Halle, so als könnte ihn seine Hast davon überzeugen, was seine Augen sahen. Er wurde nicht getrogen.
"Hallo Aragorn", sagte Alann, lächelte matt und fiel ohnmächtig vornüber, gerade, als er sie erreichte. Er fing sie auf und hob sie hoch. Er hatte erwartet, dass sie leicht sein würde, da sie sehr zierlich war, doch fast schien es ihm, als würde er einen Körper aus Glas auf den Armen halten.
Anthanas war mit einer für einen Verletzten erstaunlichen Gewandtheit von seinem Sitzplatz aufgestanden und humpelte auf Aragorn zu. Herrisch winkte er zwei Mägde herbei und wies sie an, eine Heilerin zu holen. Dann wandte er sich an Aragorn:
"Bringt sie in ihr altes Zimmer, es ist noch gerichtet. Ich begleite Euch, wenn Ihr es wünscht."
"Nicht nötig!" Schon im Gehen, rief Aragorn über seine Schulter. "Kümmert Euch um Eure Gäste." Mit aller gebotenen Eile verließ er die Halle und nahm den vertrauten Korridor zu dem Gästetrakt, in dem sie alle untergebracht worden waren. Alanns Zimmer stand offen, eine der Mägde hatte weiter gedacht als Anthanas befohlen hatte. Die plumpe, aber freundlich wirkende Frau entzündete gerade einige Öllampen, die den Raum mit einem mattgelben, flackernden Licht füllten. Eine Schüssel mit Wasser und einige Tücher waren auf dem Tisch neben dem Bett zu sehen. Vorsichtig legte Aragorn Alann dort ab und betrachtete sie besorgt. Ihr Gesicht und Körper waren zerschrammt und mit blauen Flecken übersät, so als sei sie tief gefallen und einige Male hart aufgeprallt. Tiefe Wunden konnte er nicht entdecken, aber intensiv wollte er auch nicht suchen, da offensichtlich eine medizinkundige Frau im Haus war, die diese Aufgabe übernehmen konnte.
Die einzige Frage, die er Alann stellen wollte, wenn sie wieder wach wurde, war, wie sie überlebt hatte. Er konnte es sich nicht erklären und ganz gleich, wie groß seine Freude über ihr Auftauchen auch war, er spürte, dass es von einem Geheimnis umgeben wurde.
Durch die Tür rauschte mit energischem Schritt eine weitere Frau hinein, deren eisgraue Löckchen in alle Windesrichtungen abstanden. Sie hatte wach funkelnde, haselnussbraune Augen, die die Szene nach einem Lidschlag überblickt hatten.
"So", meinte sie und stellte einen abgedeckten Korb neben dem Bett ab, aus dem ein feiner Kräuterduft aufstieg. "Jetzt aber mal raus. Ist mir gleich, wie Ihr zu der Kleinen steht."
Aragorn fand keine Luft zum Protestieren, denn im selben Moment schob ihn die Frau einfach zur Tür heraus und schloss diese mit großem Nachdruck. Der Knall des Schlosses klang erschreckend endgültig, er war von allem ausgeschlossen und dazu verdammt, in Ungewissheit zu warten. Aber zumindest war die Last von ihm genommen worden. Er musste sich nicht mehr vorwerfen, einen Teil der Schuld an ihrem Tod zu tragen. Die steinerne Kluft, die sie getrennt hatte, war zu breit gewesen, dennoch hatte er sich vorgeworfen, nicht alles versucht zu haben. Er würde den Ausdruck in Legolas Gesicht nicht vergessen, als er diesen vor dem Sprung bewahrt hatte.
Knapp zwanzig Minuten stand er, an die kühle Mauer des Ganges gelehnt, einfach nur da und starrte den Mörtel zwischen den Steinen an. Dann klappte die Tür erneut und die Heilerin und die Zofe traten hinaus.
"Wie geht es Ihr?", erkundigte sich Aragorn bei der weisen Frau und fühlte, wie sich ein ungutes Gefühl in seiner Magengrube zu einem schmerzhaften Knoten zusammenzog. Die ältere Dame lächelte ihn jedoch beruhigend an.
"Sie ist wach und möchte Euch sehen. Die Verletzungen sind nicht schlimm, einige Prellungen und ein gebrochener Arm. Aber überanstrengt sie nicht. Morgen ist auch noch ein Tag."
Ohne einen weiteren Gruß gingen sie und die andere Frau davon und Aragorn trat nach einem Klopfen zögernd ins Zimmer. Dort war es warm und behaglich. Alann lag, von einigen Kissen gestützt, im Bett und blickte ihm entgegen. Sie trug ein weißes Nachthemd aus Leinen und war fast so blass wie der Stoff selbst. Aragorn schloss die Tür und ging zum Bett. Er schenkte ihr ein Lächeln, das aus lauter Erleichterung aus ihm hervorbrach und zog sich einen Hocker heran.
"Wie fühlt Ihr Euch?" Er kam sich in ihrer Gegenwart seltsam ungelenk vor. Alann wirkte fast durchscheinend, wie ein Geist, der in eine harte, kantige Welt kaum hineinzupassen schien. Der hartnäckige Stolz, der stets in ihrem Gesicht auszumachen gewesen war, war verschwunden und hatte einem leisen Frieden Platz gemacht. Aragorn konnte es sich nicht erklären, aber er hätte schwören könne, dass dies nicht mehr dasselbe Mädchen war, mit dem er seine Reise begonnen hatte.
Doch es war Alanns Stimme und ihr Humor, die ihm antworteten.
"Mir geht es sehr gut für den Umstand, dass ich in eine Schlucht gefallen bin." Sie lächelte breit. "Aber Ihr habt eine graue Strähne mehr bekommen, das könnte ich beschwören."
Aragorn winkte ab.
"Diese ganze Reise hat mich mehr Haare gekostet als jedes Gespräch mit meinem zukünftigen Schwiegervater. Und das soll schon etwas heißen."
"Euer Schwiegervater? Dann seid Ihr einer Frau versprochen?" Alanns grüne Augen waren weich und freundlich. "Sie muss etwas Besonderes ein."
"Sie nennen sie Undómiel, den Abendstern, so schön und gütig strahlte sie über allem. Ihr Vater ist Elrond, Herr von Bruchtal, einem Haus, dessen Credo Freundschaft und Zuflucht ist ." Er erinnerte sich an seine Pläne und entschied, dass sie in diesem Moment angebracht waren. "Er stammt aus einem uralten Geschlecht und ist dennoch ein Halbelb, hoch angesehen und gut. Ich möchte Euch zu ihm bringen. Vor allem nun, da - dies mit Euch passiert ist. Ich weiß es nicht in Wort zu fassen, aber ich bin jetzt in diesem Vorhaben noch viel sicherer als ich es vormals war."
"Was mit mir geschehen ist", murmelte Alann träumerisch. "Ich bin gefallen und aufgeschlagen. Der Schmerz war furchtbar. Als ich nach unten sah, blickte ich in den Spiegel, auf dem ich lag. Er war auf einer Felskante hängen geblieben. Mein Blut lief darüber und rann in die Sprünge im Glas. Ich lag dort und flehte darum, in dieses Tal zurückzukehren und nicht in der Dunkelheit begraben zu werden." Ein Teil des vergangenen Schreckens kehrte in ihren Blick zurück und erst jetzt bemerkte Aragorn, wie klein und zerbrechlich sie in Wirklichkeit war. Es gelang ihr stets, dies mit selbstsicherem Verhalten zu überspielen, aber nun wirkte sie, als habe sie es nicht mehr nötig, sich gegenüber jemandem zu beweisen. Sie war sie selbst. "Dann fiel ich plötzlich, schlug unweit der Stadt zwischen Felsen auf. Und in meinen Ohren klang noch das endgültige Splittern von Glas." Aragorn wusste nicht viel zu sagen, deshalb nahm er Alanns gesunde Hand in seine und barg sie darin. Sie blickte ihn voll an und erinnerte ihn ganz urplötzlich an Elrond, in dessen Blick man die Weisheit und Last von tausend Jahren erkennen konnte. "Mir wurde das Leben geschenkt", sagte sie mit fester Stimme. "Von einer Macht, die ich beschwören konnte und die in mich überging in jenem Moment, in dem das Artefakt zerbrach. Es ist schwer zu erklären, aber ich weiß, dass es so ist. Und ja, ich werde gern mit Euch zu diesem Ort gehen."
Sie schwiegen für eine lange Zeit und das einzige Geräusch, das zu hören war, war das leise Knistern der Lampendochte. Irgendwann schloss Alann die Augen und lehnte sich zurück. Aragorn glaubte, dass sie eingeschlafen war, doch als er leise zur Tür ging, um den Raum zu verlassen, erklang ihre Stimme noch einmal.
"Legolas ist fort?"
"Ja. Sein Vater hat ihn gerufen. Nichts hielt ihn mehr hier, wenn Ihr versteht."
"Ja, ich verstehe", lautete die leise Antwort. Aragorn öffnete die Tür und trat in die kühle Luft des Ganges hinaus. Und noch während er die Pforte schloss, meinte er zu hören, wie Alann leise etwas flüsterte. "Was man nicht besitzt, kann man nicht vermissen."
Doch er konnte sich auch getäuscht haben.
Ja, das ist nun das Ende - zumindest von Teil 10! Da ich noch nicht ganz genau weiß, wie es weitergehen soll, kann es noch etwas dauern, bis die Fortsetzung kommt! Abers sie kommt, das ist versprochen! (Und noch einmal die Frage: hat mein Pairing eine Chance??? Reviewt mir zu dem Thema!)
In dem Sinne
Eure Demetra
Aragorn fand sich zwei Dunkelelbinnen gegenüber, starke, hochgewachsene Gestalten, die ihn mit einer Kraft angriffen, die er normalerweise nur Männern zugetraut hätte. Doch er machte nicht den Fehler, sie zu unterschätzen. Seine Arme erzitterten unter ihrem Ansturm und er war sehr froh, Legolas bei sich zu haben, der ihm die Seiten freihielt. Um sie herum ballte sich eine Anzahl von Angreifern, die gnadenlos näherrückten. Und sie würden gewinnen, wenn nicht bald etwas geschah. Aragorn und seine Männer waren erschöpft von dem langen Aufenthalt in der Höhle der Zwerge, Roviel und Alann verletzt und Legolas sicher nicht fähig, all die Nachteile seiner Begleiter aufzuwiegen.
Aragorn tauchte unter einem gewaltigen Hieb hindurch und rammte sein Schwert einer der Frauen in den Magen. Sie kreischte schrill und sofort traten zwei weitere Elben an ihre Stelle, während sie zurücktaumelte. Eine kleine Lücke tat sich in der Masse der kämpfenden Körper auf und Aragorn konnte die Magierin erkenne, die noch immer auf dem Podest neben dem Spiegel stand. Sie rührte sich nicht von der Stelle und bemerkte deswegen auch nicht, dass sich ihr eine Gestalt von hinten näherte.
Alann trug ihr Schwert in der Hand und schlich mit konzentriertem Gesicht immer näher. Bald waren es nur noch wenige Schritte, die sie von dem magischen Gegenstand trennten. Aragorn starrte wie gebannt zu der jungen Frau hinüber, wurde dann jedoch abgelenkt. Er konterte zwei Schwertstreiche mit aller Kraft und drehte den Kopf zu Legolas, um ihm etwas zuzurufen. Doch dazu kam es nicht mehr.
Ein Schrei in der Sprache der Dunkelelben stieg zum Himmel Die Magierin sank in die Knie und hob flehend eine Hand. Alann stand über ihr, ihr Schwert drohend erhoben. Für einen Moment dachte Aragorn, sie würde die unbewaffnete Frau töten, doch das Bitten der Magierin bezog sich nicht auf ihr Leben. Alann reagierte nicht, sondern schwang ihre Waffe in hohem Bogen in den Spiegel hinein. Nichts geschah. Ihre Hand mit der Waffe verschwand für einen kurzen Moment hinter dem Glas, dann zog sie sie verwirrt wieder heraus. Die Magierin lachte triumphierend und fegte Alann mit einer Bewegung ihrer Hand durch unsichtbare Macht vom Podest herunter. Doch die Halbelbin gab nicht auf. Sichtlich wütend kam sie wieder auf die Beine, hechtete zum Podest. Aragorn wollte ihr zurufen, was sie tun sollte, doch Alann hatte es ebenso wie er erkannt. Dieses Mal sprang sie hinter den Spiegel und rammte den Knauf ihrer Waffe hinein.
Das Splittern des Glases war bis in den letzten Winkel der Halle zu hören. Der Kampf geriet ins Stocken, als die Dunkelelben ungläubig das zerstörte Relikt betrachteten. Der Spiegel wies nun breite Sprünge auf, die sich mit leisem Knacken immer weiter fortsetzten. Das Bild in der Fläche verschwamm, wurde wieder zu jenen grauen Schlieren, die am Anfang, vor der Beschwörung zu sehen gewesen waren. Die Magierin stürzte sich nach einer Sekunde des Schreckens auf Alann und die beiden Frauen gingen eng im Kampf umschlungen zu Boden. Aragorn wäre zu gern zu Hilfe gekommen, doch er war weiterhin umzingelt.
In diesem Moment erbebte der Boden der Halle und hob sich, wie es schien, gleich um einen ganzen Meter. Die Kämpfer fielen auf die Knie, ohne Ausnahme. Die Wände wogten, als seien sie nicht aus Stein, sondern aus Wasser gemacht, das nun in Wallung geriet. Aragorn nutzte die Gunst der Stunde, um sich mit einer Rolle in Richtung der Kellertür zu begeben. Legolas folgte und verharrte hingehockt neben ihm. Ein dumpfes Grollen stieg aus der Tiefe auf, das nichts mit Sprengpulver zu tun hatte. Die Macht des Schlosses erwachte und nun, da sein wertvollster Schatz, das Portal, der Zerstörung anheim fiel, schien es seine Existenz beenden zu wollen. Es war, als hätten die Mauern nur zur Verteidigung des Spiegels tausend Jahre lang gestanden. Der Boden vor dem Relikt klaffte auf und zwei Elben, die sich nicht rechtzeitig hatten retten können, stürzten schreiend hinein. Der Riss öffnete sich weiter und weiter, verbreiterte sich innerhalb von Sekunden auf mehr als die Sprungbreite eines Elben. Zu seinem Schrecken entdeckte Aragorn, dass sich Alann zusammen mit der Magierin und dem Spiegel als einzige auf der jenseitigen Seite des Grabens befand. Legolas neben ihm versteifte sich und wollte losrennen, doch Aragorn hielt den Freund am Arm fest.
"Du würdest es nicht schaffen. Und sie auch nicht", rief er, um den Lärm zu übertönen. Das nagende Gefühl der Hilflosigkeit breitete sich in seinem Magen aus, als er beobachten musste, wie der Abgrund jede Fluchtmöglichkeit für ihre Gefährtin abschnitt. Alann kämpfte noch immer verbissen mit der Magierin, stieß sie auf den Sockel, wo die Dunkelelbin mit dem Rücken gegen den Spiegel stieß. Dieser fiel um und kippte langsam nach vorn, in Richtung der Felsspalte. Die beiden Frauen, die sich ineinander verkrallt hatten, verloren ebenfalls ihr Gleichgewicht und fielen dem Artefakt hinterher.
Aragorn sah kommen, was geschehen würde, doch ihm waren die Hände gebunden. Entsetzt beobachtete er, wie durch das stete Beben des Bodens der Spiegel immer weiter rutschte und schließlich in den Abgrund kippte. Die Dunkelelbin bemerkte es, rollte sich herum, griff nach dem Spiegel - und griff ins Leere. Alann wurde von dem Schwung der anderen Frau mitgerissen, sie schwebten gemeinsam einen kleinen Moment lang über dem Abgrund. Dann waren sie verschwunden. Es ging so schnell, erschien so nebensächlich, dass Aragorn fast nicht glauben wollte, dass es geschehen war.
"Raus hier, aber schnell!" Roviel rappelte sich in einer Ecke der Halle auf die Beine, schüttelte einige benommene Elben ab und rannte schwankend auf Aragorn und Legolas zu. Er schien der einzige der restlichen Gruppe zu sein, der noch überlebt hatte und riss Aragorn und Legolas mit seiner energischen Art aus der Erstarrung.
Zu dritt eilten sie die Treppe hinunter, durchquerten den Keller in Windeseile und kehrten über die Leiter unter die Fundamente zurück. Dort herrschte Ruhe, nur ein fernes Grollen zeugte von den Vorgängen in dem Gebäude weit über ihnen. Die Ereignisse dort schienen plötzlich Meilen entfernt zu sein, doch wenn Aragorn ihr merklich zusammengeschrumpftes Grüppchen beobachtete, ergriff ihn ein frischer Schmerz. Roviel wirkte wie kurz vor dem Zusammenbruch, er schien noch nicht mitbekommen zu haben, was passiert war. Legolas präsentierte eine steinerne Miene, doch Aragorn wusste, dass der Elb nicht so unbewegt war, wie er tat.
Sie erreichten den Ausgang des Tunnels, der in den Hauptschacht mündete. Wie versprochen wurden sie dort von den Wachen erwartet, die ihnen die Treue gehalten hatten, trotz der Erschütterungen, die nun langsam auch auf diesen Teil des Komplexes übergriffen. Einer von ihnen griff ohne Aufforderung nach einem geöffneten Pulverfass und während sie sich über die Holzstege aufwärts bewegten, streute der Mann die Spur des Sprengpulvers weiter. Auf mittlerer Höhe des Aufganges angekommen, blickte Aragorn hinunter und sah, dass die Dunkelelben über ihren Schrecken hinweggekommen waren und sie verfolgten. Ein Hagel von Pfeilen flog zu ihnen hinauf und sie verfehlten die Gruppe nur knapp, da die Entfernung zwischen ihnen noch zu groß war. Doch das konnte sich sehr schnell ändern, da die Elben flinker auf den Beinen waren als die Menschen.
Aragon wies dem Mann mit dem Fass an, dieses den Weg zurückzurollen und kramte in seiner Tasche nach Feuerstein und Eisen. Während das Fass über die Brücke nach unten rumpelte, schlug er einige Funken in der Nähe des Pulvers, dessen Spur genau vor seinen Füßen endete. Er benötigte zwei Versuche, um die Substanz zu entzünden und begann dann zu rennen. Seine Begleiter hasteten hinter ihm her, holten das Letzte aus ihren Körpern heraus, um der drohenden Katastrophe zu entrinnen.
Die erste Explosion riss das rollende Fass auseinander und sprengte unter ihnen ein halbes Dutzend der Stege weg. Die Dunkeleben, die sich darauf befanden, stürzten mit den Trümmern in die dunkle Tiefe. Eine Welle von Hitze und kleinen Partikeln wurde zu den Fliehenden emporgeweht, doch sie richteten keinen Schaden an.
Aragorn spähte mit zusammengekniffenen Augen zu dem Zugang, durch den sie in den Schacht gelangt waren. Er sah eine winkende Hand und erkannte rote Haare. Die Zwerge hatten auf sie gewartet. Die rettenden Seile hingen einige Meter über ihnen und Aragorn dachte schon, dass sie sich in Sicherheit befänden, als die zweite Explosion, die durch die vier Fässer vor der Sprengstoffkammer hervorgerufen wurde, den Tunnel wie einen Donnerschlag erbeben ließ. Roviel taumelte und wurde gegen das Geländer des Steges geworfen. Das dünne Holz brach und der Mensch wäre fast in den Tod gestürzt, wenn Legolas nicht blitzschnell zugegriffen und ihn zurückgezerrt hätte. Ein Krachen ertönte, als Tonnen von Gestein zusammenbrachen, erst sehr weit unten, doch dann verloren auch die oberen Korridore ihre Stabilität.
Aragorn rannte wie noch nie in seinem Leben zuvor die letzten Brücken hinauf und warf sich schließlich an eines der Taue, das von oben heraufgezogen wurde, da ihm kaum die Kraft zum Klettern blieb. Roviel verfuhr ebenso wie er, nur Legolas stieg über den schmalen Felspfad, über den sie die Höhle betreten hatten.
Rego erwartete sie mit einem breiten Grinsen, für das Aragorn ein Stück weit dankbar war, denn es kündigte das Ende dieses Abenteuers an. Er ergriff die Hand des Zwerges und dieser zog ihn auf die Füße.
"Hätte nicht gedacht, dass ich Euch noch einmal lebendig wiedersehe. Kommt nun. Obwohl dies ein Tunnel der Zwerge und nicht der Elben ist und damit von vorzüglicher Bauart, kann ich nicht garantieren, dass er nicht über uns zusammenfällt."
Wie vor den Kopf gestoßen folgte Aragorn dem Anführer der Zwerge. Nur undeutlich nahm er wahr, wie das Donnern der Steine hinter ihm von Moment zu Moment verging. Es war vorbei.
***
Über den Bergen stieg zögerlich die Sonne eines neuen Tages auf, als die Menschen die Höhle der Zwerge verließen und scheu in das matte Licht blinzelten. Ein müder, schwarzgefärbter Zug von Befreiten atmete die reine Luft des Morgens. Aufeinander gestützt, die Kinder fest an der Hand haltend, machten sie sic auf den Marsch zu ihrer Stadt und den Dörfern. Niemand wusste, was ihn dort erwartete und welche traurigen Nachrichten er erhalten würde. Im Moment zählten nur das Leben und die Freiheit, konnte nichts den Moment zerstören.
Aragorn band sein Pferd von dem Felsen los, an das er es vor etwas weniger als einem Tag angebunden hatte. Vieles war geschwunden, von seinem Optimismus nicht zu sprechen. Er wollte eigentlich gar nicht darüber nachdenken, nur fort von dem gähnenden Schlund des Berges.
Rego stand bei ihm und nickte mit dem Kopf in Richtung der Flüchtlinge. In einem Tonfall, der gespielt ungezwungen klingen sollte, meinte der Zwerg:
"Nun ja, wenn die dort Hilfe brauchen, könnten wir ihnen ja helfen, ein paar Bäumchen zu fällen. Verdammte Dinger, lassen mich immer an Elben denken." Er warf einen entschuldigenden Blick zu Legolas, der gar nicht reagierte, sondern in den Sattel seines Pferdes stieg. "Werden ihnen auch ein paar Brote schicken, bei der Schneide meiner Axt, sie sehen ja so schwächlich aus."
Aragorn musste wider Willen lächeln.
"Vielleicht wäre es an der Zeit, dass sich die Führer unserer beiden Völker hier in diesem Teil der Welt einmal zusammensetzen. Zum Nutzen aller", schlug er vor. Rego winkte polternd lachend ab.
"Bin doch kein Diplomat, mein Freund. Aber wir werden sehen. - Lebt wohl jetzt." Er wartet, bis Aragorn sein Pferd bestiegen hatte und klopfte dem Tier kräftig auf die Kruppe. "Und habt Dank!"
Aragorn wartete, bis Roviel, Legolas und einige andere Berittene bereit waren, dann ließ er sein Tier den schmalen Pfad in Richtung Bergstadt einschlagen. Bereit nach den ersten Minuten versank er in Gedanken, die quälend in seinem Kopf trieben. Er hatte nichts tun können, es war ein Unfall gewesen. Dennoch konnte er Alanns Gesicht nicht vergessen, wie es im Abgrund verschwand. Sie hätte ihm gewiss keinen Vorwurf gemacht, dazu hatte sie die Welt zu gut gekannt und ihre Situation richtig einschätzen können. So abgeklärt und in vielen Dingen noch so unfertig, ein Kind, das schnell erwachsen geworden war. Er vermisste sie, war sie doch in den wenigen Tagen, die sie sich gekannt hatten, eine gute Freundin geworden, wie er lange keine mehr gekannt hatte.
Er hätte gern gesehen, wie sie nach Bruchtal ging und sich dort einlebte. Sie hätte ihre Heilkunst verbessern und endlose Spaziergänge in den Wäldern machen können, ohne jemals an Verteidigung denken zu müssen. Ruhe für ihren umtriebigen Geist, das hatte er für sie gewünscht. Welche Ironie diese Gedanken jetzt bildeten, erschrak ihn.
Die Zeit verging quälend langsam und keiner der Reiter sagte etwas. Einer der Männer, dessen Bein von einem Pfeil getroffen worden war, war der gleiche, der vor ihrem Gang in die Zwergenhöhle noch groß vom Kämpfen getönt hatte. Nun war auch er erstaunlich wortkarg. In den Gesichtern der anderen las Aragorn Erleichterung und Erschöpfung, in einigen Schmerz. Nur Legolas starrte mit wachen Augen auf den Weg vor ihnen und erinnerte an eine Statue aus Marmor, der nichts und niemand etwas anhaben konnte. Doch Aragorn meinte, dass der Rücken des Freundes zu starr war, dass seine Ruhe zu aufgesetzt wirkte, um echt zu sein. Doch es würde eher geschehen, dass Elrond einen Scherz machte, als dass Legolas irgendjemanden hinter seine glatte Fassade blicken ließ.
Irgendwann erschienen die Westmauern von Bergstadt vor ihnen und Aragorn sah zum ersten Mal die Schäden, die die Dunkelelben während ihres Angriffes hinterlassen hatten. Ein großes Stück war aus den Zinnen herausgebrochen, sie mussten ihre Pferde um die Bruchstücke herumleiten. Verirrte Pfeile staken überall, zerbrochene Waffen lagen herum und zeugten noch von der Heftigkeit der Attacke.
Sie folgten dem Weg weiter und ritten schließlich auf das Tor zu. Dessen Flügel waren zerstört, doch von innen mit Brettern beschlagen, wie Aragorn durch die von Schwertern geschlagenen Lücken sehen konnte. Über dem Eingang gingen Wachen auf und ab, ein den Alltag vermittelndes Bild. Sie erkannten die Reiter und einen Moment später öffnete sich das Tor langsam. Kaum hatten sie das Innere des Hofes erreicht, da strömten ihnen die Menschen entgegen, allen voran Anthanas, der sich auf eine provisorische Krücke stützte. In seinem Gesicht mischten sich Freunde und Zweifel.
"Ist es vollbracht?", erkundigte er sich.
"Ja", bestätige Aragorn. "Es ist geschafft." Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, fühlte er auf einmal, wie müde er war. Er rutschte aus dem Sattel, drückte dem nächsten Knecht die Zügel in die Hand und atmete tief durch. Doch es war ihm noch nicht vergönnt, zu schweigen du in sich zu gehen. Fragende Gesichter blickten ihm entgegen, die er nicht übersehen konnte. "Wir konnten die Gefangenen befreien, sie kommen hierher oder gehen in die Dörfer. Wenn ich Euch einen Vorschlag machen darf, dann sucht den Führer der Zwerge, Rego, Dracos Sohn, auf. Er ist vielleicht noch kein Verbündeter, aber zumindest so etwas wie ein Freund."
Anthanas nickte langsam.
"Ich verstehe. - Nun, kommt, meine Freunde, es ist an der Zeit, dass Ihr Euch ausruht." Seien wachen Augen huschte über die Reihe der Heimgekehrten. "Ihr hatte Verluste?"
"Ja." Aragorn verspürte keine Lust, das Thema zu erörtern. Das kurze Raunen, das durch die Menge ging, lenkte ihn ab. Ein Falke schoss über den Köpfen der Menge hinweg und landete dann mit rauschenden Schwingen auf Legolas Handschuh. Für Aragorn war diese Szene nicht Besonderes, aber das Volk staunte dennoch über den hochgewachsenen Elben, dem der edle Vogel zugeflogen war. Legolas öffnet unterdessen den kleinen Lederbehälter der am Fuß des Tieres befestigt war und zog einen schmalen, beschrifteten Streifen Pergament hervor. "Von Deinem Vater?"
Sie lösten sich einige Schritte von den Mithörern, während Legolas den Vogel wieder in die Luft warf.
"Ich werde sofort losreiten", kündete der Elb an. "Thranduil berichtet mir, dass sich ungewöhnliche Anzeichen in den Wäldern bemerkbar machen. Er braucht mich."
"Anzeichen?"
"Er hat es nicht näher erläutert. Fest steht - ich muss gehen." Aragorn kämpfte gegen die aufsteigende Wut an. Wollte Legolas das Geschehene einfach so hinter sich lassen und sich Neuem zuwenden? Der Elb erahnte, wie so oft seine Gedanken. Für einen Moment wurde sein Blick weich und traurig. "Ich habe in den tausend Jahren meines Lebens gelernt, dass ich meine Gefühle nicht an jene binden sollte, deren Dasein so schnell vergeht wie die Frucht eines Sommers. Aber das bedeutet nicht, dass ich es nicht trotzdem tue."
Damit schien er alles gesagt zu haben und dieser kurze Blick auf Legolas wahre Gefühle genügte Aragorn, um den Zorn zu vertreiben. Nachdenklich beobachtete er, wie sich sein Freund wieder in den Sattel schwang und trat dann zu ihm. Sie reichten sich in stummer Übereinkunft die Hände. Sie würden sich wiedersehen, irgendwann.
Legolas trieb sein Pferd vom Hof und Aragorn sah ihm lange hinterher, auch als sich das Tor wieder schloss und die Geräusche der einsamen Hufschläge auf dem Steinpfad verklangen. Dann drehte er sich um und strebte einem Bad und einem Bett entgegen.
***
Am Abend war die Halle bis zum Bersten gefüllt mit Menschen, die Obdach suchten. Die Stimmung war gedrückt, denn nun, da der eine Alptraum vorbei war, gerieten sie in einen anderen. Ihre Familien waren tot, ihre Häuser zerstört. Der Herbst wandelte sich langsam in den Winter und so manches wärmende Feuer würde fehlen.
Aragorn hoffte, dass die Zwerge ihr Angebot wahr machten und den Menschen halfen. Ein Band der Nächstenliebe konnte viele Probleme lösen und dem Tal den dauerhaften Frieden bringen. Einige Äxte konnten beim Bau eines Hauses Wunder wirken.
Warmer Met und Bier flossen in Strömen und erzeugten in den Mägen ein warmes Wohlgefühl. Beim Feuer kamen die Knechte nicht nach, Schweine und sogar einen ganzen Ochsen zu garen, deren verführerischer Duft über allem lag. Zumindest für diesen Abend würden alle die Probleme vergessen und einfach nur glücklich darüber sein, dass sie lebten, etwas im Bauch hatten und ihren Kopf in seligem Rausch auf den Tisch sinken lassen konnten.
Für Aragorn war es ein Abend der Reflektion. Er beobachtete, aß und trank wenig. Legolas und Alann fehlten ihm sehr. Das ewige Gezanke, wenn zwei stolze Dickköpfe aufeinander trafen, hatte ihn im Stillen immer amüsiert. In Rohan gab es ein Sprichwort. "Der beste Kampf ist der zwischen guten Freunden." Daran hatte er immer gedacht, wenn sich wieder einmal ein Wortgefecht entspann. Es gab für ihn keinen Zweifel mehr daran, dass die Freundschaft zwischen Alann und Legolas etwas Einzigartiges gewesen war. Keiner von ihnen war jemals über seinen Schatten getreten, und doch waren sie sich immer näher gekommen.
Es war vorbei. Endgültig. Alann lag, unter Tonnen von Gestein begraben, irgendwo in dem alten Schloss. Aragorn seufzte und genehmigte sich einen Schluck Bier. Anthanas, der neben ihm saß, prostete ihm zu.
"Ich hätte mir in vielen Dingen ein glücklicheres Ende dieser Vorfälle gewünscht", sagte der Vorsteher der Stadt. Sein verletztes Bein ruhte auf einem kleinen Schemel unter dem Tisch und er verzog jedes Mal das Gesicht, wenn er sich bewegte. "Ah, zum Teufel, wir sollten alle mit dem Kämpfen aufhören. Das ist viel zu gefährlich. Ungefähr wie eine anständige Feier."
"Wir haben lange nicht mehr zusammen gefeiert", antwortete Aragorn und blickte sinnend in seinen Kelch, der auf einmal leer war. "Aber mir ist nicht danach zumute."
Er schenkte seine Aufmerksamkeit wieder dem alten Mann, doch dieser starrte in eine völlig andere Richtung und murmelte:
"Glaubt Ihr an Wunder?"
"Nicht wirklich." Aragorn verstand nicht ganz, worum es ging und vor allem nicht, warum Anthanas auf einmal breit grinste. "Warum?"
"Da kommt eines!", lachte Anthanas und wies auf eine Gruppe von neu eintreffenden Menschen, die sich durch den schmalen Eingang in die Halle schob. Aragorn beobachtete sie ratlos, doch dann stockte ihm der Atem. Am Ende der Gruppe tappte eine kleine, arg mitgenommene Gestalt in den Raum und sah sich desorientiert um. Aragorn sprang auf, lief um den Tisch herum und rannte durch die ganze Halle, so als könnte ihn seine Hast davon überzeugen, was seine Augen sahen. Er wurde nicht getrogen.
"Hallo Aragorn", sagte Alann, lächelte matt und fiel ohnmächtig vornüber, gerade, als er sie erreichte. Er fing sie auf und hob sie hoch. Er hatte erwartet, dass sie leicht sein würde, da sie sehr zierlich war, doch fast schien es ihm, als würde er einen Körper aus Glas auf den Armen halten.
Anthanas war mit einer für einen Verletzten erstaunlichen Gewandtheit von seinem Sitzplatz aufgestanden und humpelte auf Aragorn zu. Herrisch winkte er zwei Mägde herbei und wies sie an, eine Heilerin zu holen. Dann wandte er sich an Aragorn:
"Bringt sie in ihr altes Zimmer, es ist noch gerichtet. Ich begleite Euch, wenn Ihr es wünscht."
"Nicht nötig!" Schon im Gehen, rief Aragorn über seine Schulter. "Kümmert Euch um Eure Gäste." Mit aller gebotenen Eile verließ er die Halle und nahm den vertrauten Korridor zu dem Gästetrakt, in dem sie alle untergebracht worden waren. Alanns Zimmer stand offen, eine der Mägde hatte weiter gedacht als Anthanas befohlen hatte. Die plumpe, aber freundlich wirkende Frau entzündete gerade einige Öllampen, die den Raum mit einem mattgelben, flackernden Licht füllten. Eine Schüssel mit Wasser und einige Tücher waren auf dem Tisch neben dem Bett zu sehen. Vorsichtig legte Aragorn Alann dort ab und betrachtete sie besorgt. Ihr Gesicht und Körper waren zerschrammt und mit blauen Flecken übersät, so als sei sie tief gefallen und einige Male hart aufgeprallt. Tiefe Wunden konnte er nicht entdecken, aber intensiv wollte er auch nicht suchen, da offensichtlich eine medizinkundige Frau im Haus war, die diese Aufgabe übernehmen konnte.
Die einzige Frage, die er Alann stellen wollte, wenn sie wieder wach wurde, war, wie sie überlebt hatte. Er konnte es sich nicht erklären und ganz gleich, wie groß seine Freude über ihr Auftauchen auch war, er spürte, dass es von einem Geheimnis umgeben wurde.
Durch die Tür rauschte mit energischem Schritt eine weitere Frau hinein, deren eisgraue Löckchen in alle Windesrichtungen abstanden. Sie hatte wach funkelnde, haselnussbraune Augen, die die Szene nach einem Lidschlag überblickt hatten.
"So", meinte sie und stellte einen abgedeckten Korb neben dem Bett ab, aus dem ein feiner Kräuterduft aufstieg. "Jetzt aber mal raus. Ist mir gleich, wie Ihr zu der Kleinen steht."
Aragorn fand keine Luft zum Protestieren, denn im selben Moment schob ihn die Frau einfach zur Tür heraus und schloss diese mit großem Nachdruck. Der Knall des Schlosses klang erschreckend endgültig, er war von allem ausgeschlossen und dazu verdammt, in Ungewissheit zu warten. Aber zumindest war die Last von ihm genommen worden. Er musste sich nicht mehr vorwerfen, einen Teil der Schuld an ihrem Tod zu tragen. Die steinerne Kluft, die sie getrennt hatte, war zu breit gewesen, dennoch hatte er sich vorgeworfen, nicht alles versucht zu haben. Er würde den Ausdruck in Legolas Gesicht nicht vergessen, als er diesen vor dem Sprung bewahrt hatte.
Knapp zwanzig Minuten stand er, an die kühle Mauer des Ganges gelehnt, einfach nur da und starrte den Mörtel zwischen den Steinen an. Dann klappte die Tür erneut und die Heilerin und die Zofe traten hinaus.
"Wie geht es Ihr?", erkundigte sich Aragorn bei der weisen Frau und fühlte, wie sich ein ungutes Gefühl in seiner Magengrube zu einem schmerzhaften Knoten zusammenzog. Die ältere Dame lächelte ihn jedoch beruhigend an.
"Sie ist wach und möchte Euch sehen. Die Verletzungen sind nicht schlimm, einige Prellungen und ein gebrochener Arm. Aber überanstrengt sie nicht. Morgen ist auch noch ein Tag."
Ohne einen weiteren Gruß gingen sie und die andere Frau davon und Aragorn trat nach einem Klopfen zögernd ins Zimmer. Dort war es warm und behaglich. Alann lag, von einigen Kissen gestützt, im Bett und blickte ihm entgegen. Sie trug ein weißes Nachthemd aus Leinen und war fast so blass wie der Stoff selbst. Aragorn schloss die Tür und ging zum Bett. Er schenkte ihr ein Lächeln, das aus lauter Erleichterung aus ihm hervorbrach und zog sich einen Hocker heran.
"Wie fühlt Ihr Euch?" Er kam sich in ihrer Gegenwart seltsam ungelenk vor. Alann wirkte fast durchscheinend, wie ein Geist, der in eine harte, kantige Welt kaum hineinzupassen schien. Der hartnäckige Stolz, der stets in ihrem Gesicht auszumachen gewesen war, war verschwunden und hatte einem leisen Frieden Platz gemacht. Aragorn konnte es sich nicht erklären, aber er hätte schwören könne, dass dies nicht mehr dasselbe Mädchen war, mit dem er seine Reise begonnen hatte.
Doch es war Alanns Stimme und ihr Humor, die ihm antworteten.
"Mir geht es sehr gut für den Umstand, dass ich in eine Schlucht gefallen bin." Sie lächelte breit. "Aber Ihr habt eine graue Strähne mehr bekommen, das könnte ich beschwören."
Aragorn winkte ab.
"Diese ganze Reise hat mich mehr Haare gekostet als jedes Gespräch mit meinem zukünftigen Schwiegervater. Und das soll schon etwas heißen."
"Euer Schwiegervater? Dann seid Ihr einer Frau versprochen?" Alanns grüne Augen waren weich und freundlich. "Sie muss etwas Besonderes ein."
"Sie nennen sie Undómiel, den Abendstern, so schön und gütig strahlte sie über allem. Ihr Vater ist Elrond, Herr von Bruchtal, einem Haus, dessen Credo Freundschaft und Zuflucht ist ." Er erinnerte sich an seine Pläne und entschied, dass sie in diesem Moment angebracht waren. "Er stammt aus einem uralten Geschlecht und ist dennoch ein Halbelb, hoch angesehen und gut. Ich möchte Euch zu ihm bringen. Vor allem nun, da - dies mit Euch passiert ist. Ich weiß es nicht in Wort zu fassen, aber ich bin jetzt in diesem Vorhaben noch viel sicherer als ich es vormals war."
"Was mit mir geschehen ist", murmelte Alann träumerisch. "Ich bin gefallen und aufgeschlagen. Der Schmerz war furchtbar. Als ich nach unten sah, blickte ich in den Spiegel, auf dem ich lag. Er war auf einer Felskante hängen geblieben. Mein Blut lief darüber und rann in die Sprünge im Glas. Ich lag dort und flehte darum, in dieses Tal zurückzukehren und nicht in der Dunkelheit begraben zu werden." Ein Teil des vergangenen Schreckens kehrte in ihren Blick zurück und erst jetzt bemerkte Aragorn, wie klein und zerbrechlich sie in Wirklichkeit war. Es gelang ihr stets, dies mit selbstsicherem Verhalten zu überspielen, aber nun wirkte sie, als habe sie es nicht mehr nötig, sich gegenüber jemandem zu beweisen. Sie war sie selbst. "Dann fiel ich plötzlich, schlug unweit der Stadt zwischen Felsen auf. Und in meinen Ohren klang noch das endgültige Splittern von Glas." Aragorn wusste nicht viel zu sagen, deshalb nahm er Alanns gesunde Hand in seine und barg sie darin. Sie blickte ihn voll an und erinnerte ihn ganz urplötzlich an Elrond, in dessen Blick man die Weisheit und Last von tausend Jahren erkennen konnte. "Mir wurde das Leben geschenkt", sagte sie mit fester Stimme. "Von einer Macht, die ich beschwören konnte und die in mich überging in jenem Moment, in dem das Artefakt zerbrach. Es ist schwer zu erklären, aber ich weiß, dass es so ist. Und ja, ich werde gern mit Euch zu diesem Ort gehen."
Sie schwiegen für eine lange Zeit und das einzige Geräusch, das zu hören war, war das leise Knistern der Lampendochte. Irgendwann schloss Alann die Augen und lehnte sich zurück. Aragorn glaubte, dass sie eingeschlafen war, doch als er leise zur Tür ging, um den Raum zu verlassen, erklang ihre Stimme noch einmal.
"Legolas ist fort?"
"Ja. Sein Vater hat ihn gerufen. Nichts hielt ihn mehr hier, wenn Ihr versteht."
"Ja, ich verstehe", lautete die leise Antwort. Aragorn öffnete die Tür und trat in die kühle Luft des Ganges hinaus. Und noch während er die Pforte schloss, meinte er zu hören, wie Alann leise etwas flüsterte. "Was man nicht besitzt, kann man nicht vermissen."
Doch er konnte sich auch getäuscht haben.
Ja, das ist nun das Ende - zumindest von Teil 10! Da ich noch nicht ganz genau weiß, wie es weitergehen soll, kann es noch etwas dauern, bis die Fortsetzung kommt! Abers sie kommt, das ist versprochen! (Und noch einmal die Frage: hat mein Pairing eine Chance??? Reviewt mir zu dem Thema!)
In dem Sinne
Eure Demetra
