Teil 11 - Bruchtal
Frühling lag in der Luft, tausend Gesängen von Pflanzen und Tieren, die über das Erwachen der Natur jubilierten. Legolas war seltsam leicht ums Herz und mit ruhiger Hand führte er sein Pferd. Eine milde Sonne schien über den Bergen und auf den alten Pfad, den selten Besucher beschritten. Tief unten, im Tal, rauschte der Fluss Lautwasser dahin, wie er es schon viele Zeitalter getan hatte und noch tun würde, wenn die Elben, die das Tal bewohnten, längst gegangen waren. Vor einiger Zeit hatte Legolas die Furt überquert und folgte nun dem Lauf hinein in die hohen Felsen.
Imladris, ein Hort für müde Wanderer, Rast für Umherirrende. Und nun Stätte einer Entscheidung. Legolas wusste nicht, worum es ging, denn sein Vater hatte ihm von Lord Elronds Botschaft nicht viel mitgeteilt. Aber vielleicht wusste Thranduil auch so wenig wie er selbst. Der Schatten des Unheils lag über Mittelerde und auch über Düsterwald. Die letzten Jahre hatte er damit verbracht, die Grenzen des nördliche Elbenkönigreiches gegen die Mächte zu verteidigen, die sich in den Höhlen und Unterschlüpfen des Landes vermehrten wie Ungeziefer auf einem Stück Aas. Es gab keinen Zweifel, dass eine neue Zeit der Dunkelheit anbrechen würde. Die aschgrauen Wolken, die über Mordor aufstiegen und die die Späher des Königs über den fernen Bergen hatten aufsteigen sehen, bestätigten die Befürchtung, die über eine lange Zeit nur geflüstert worden waren. Nun konnte man sie mit neuer Gewissheit aussprechen. Saurons Macht kehrte zurück und mit ihm der alte Schrecken.
Legolas hätte nicht gedacht, dass die alten Legenden, die man erzählte, nun zu einem Teil seines Lebens werden würden. Auch wenn er, wie jeder seines Volkes, wusste, dass Vergangenheit Gegenwart war und auch Zukunft sein konnte im Kreis der Zeitalter, so war er doch beunruhigt. Eine Grund dafür konnte er nicht nennen, eher eine düstere Vorahnung. Vielleicht würde dieses Zeitalter das Ende der Welt einläuten.
Was immer Elrond vorhatte, es musste ein Vorhaben von größter Wichtigkeit sein. Thranduil hatte ihm berichtet, dass Abgesandte aller Völker im Bruchtal versammelt sein würden, Zwerge, Menschen und Elben. Es würde ein heilloses Durcheinander geben, davon war Legolas überzeugt. Dazu waren alle diese verschiedenen Charaktere zu unterschiedlich, zu diskussionsfreudig und vor allem zu aggressiv. Er beneidete Elrond nicht um seine Aufgabe, vermitteln zu müssen.
Hufschläge ertönten und ein einzelner Reiter erschien vor ihnen. Legolas erkannte Glorfindel, den Berater und Vertrauten Elronds, ein schöner Mann von hohem Wuchs, dessen goldenes Haar um seine breiten Schultern flog.
"Mae govannen!", rief der Mann freundlich. "Du bist allein, wie ich sehe? Wo sind Deine Begleiter?"
"Sie folgen im Abstand von einigen Stunden. Ihre Pferde tranken schlechtes Wasser und müssen sich erst erholen." Legolas störte sich nicht an der Befragung, doch Glorfindels nächste Worte ärgerten ihn ein wenig.
"Und dann seid Ihr als Prinz selbstverständlich vorgeritten, um der Erste zu sein, nicht wahr?"
"Das hat nichts mit meinem Geburtsrecht zu tun", gab Legolas hochmütig zurück. "Nur verspürte ich eine große Freude, diesen Ort wiederzusehen, weshalb ich mich eilte."
Glorfindel lachte und nickte ihm versöhnlich zu.
"Es ist schon Recht, Freund, ich wollte Euch nur aufziehen. Noch einmal - seid willkommen in Elronds Reich. Ihr werdet erwartet. Morgen zum Rat werden alle Anderen eingetroffen sein!" Sie lenkten ihre Pferde Seite an Seite und ritten weiter. Vor Legolas Augen öffnete sich das Tal in seiner ganzen Schönheit. Riesige Bäume bedeckten die sanften Hänge und in steilen Kaskaden fiel das Wassers des Flusses hinter der Siedlung der Elben bis zum Fuß der Felsen hinunter. In der Farbe von Elfenbein erstreckten sich die Kuppeldächer der Häuser in den Himmel und reflektierten das leuchtende Azur. Ranken goldenen Weines rankten sich um die eleganten Bögen der hohen Veranden und glänzten im Sonnenlicht. "Wie lang wart Ihr nicht mehr hier, Legolas?"
"Es mögen ein Dutzend Sommer sein", antwortete der Angesprochene. "Ist der Dúnedain hier?"
"Er kam vor einigen Tagen an und brachte vier seltsame Gestalten mir, Männer, die gerade einmal so groß sind wie ein Kind. Einer von Ihnen wurde durch eine Morgul-Klinge verletzt, doch es geht ihm schon besser." Glorfindel runzelte die hohe Stirn. "Viele Zeichen deuten darauf hin, dass uns große Probleme erwarten. Elrond und Mithrandir beraten angestrengt in jeder Nacht, wenn die andere ihre Lichter löschen."
"Wenn auch der graue Pilger hier ist, dann habe ich keinen Zweifel an Eurer Vermutung." Legolas war dem Zauberer noch nie begegnet, doch er kannte dessen Ruf als weisen und geheimnisvollen Wanderer. Auf dieses Zusammentreffen freute er sich, wenn auch nicht so sehr wie auf sein Wiedersehen mit Aragorn.
Sie erreichten die Ställe, die ein wenig unterhalb der Wohnquartiere lagen, eine weite Halle, die am Rand einer riesigen Wiese lag. Legolas sprang vom Pferd und übergab es einem dunkelhaarigen Elb, der sich als der Meister der Stallungen vorstellte. Er musste die Tiere nicht einmal anfassen, sie trabten ihm einfach hinterher, spürend, dass sie es gut bei ihm haben würden. Legolas blickte den Pferden hinterher, die leichtfüßig durch ein offenes Gatter auf die Wiese liefen und beneidete sie um ihre Freiheit.
Er wusste nicht, was sein Vater oder auch Elrond von ihm erwarteten. Als jüngster Sohn hatte er niemals viele Verpflichtungen gehabt und nun war er plötzlich der Stellvertreter Thranduils in einer Runde, die die größten Köpfe von Mittelerde enthalten würde.
Glorfindel meldete sich zu Wort.
"Eure Räume sind im Haupthaus gerichtet. Aber ich vermute, Ihr werdet Euch erst ein wenig umsehen wollen. Das Abendessen findet nach Sonnenuntergang in der großen Halle statt." Er verbeugte sich und zog sich zurück.
Legolas sah ihm hinterher, wie er zwischen den Felsen eine schmale Treppe betrat und dann aus seinem Sichtfeld verschwand. Er selbst wählte einen Pfad, der an den Ställen vorbeiführte und zu den tiefer gelegenen Gärten führte. Der süße Geruch der Blumen wehte ihm entgegen und ließ ihn einen Moment lang vergessen, warum in sein Weg nach Bruchtal geführt hatte. Eine Laube, dicht berankt mit Efeu, lud zum Verweilen und zum Blick auf das Tal ein. Kein Laut außer dem fernen Singen eines Vogels und dem schnellen Strömen des Flusses war zu hören.
Alles in diesem Tal war so schön, so rein und unberührt. Man konnte sich schwerlich vorstellen, dass diesem Ort eine Bedrohung gelten sollte. Aber so war es. Legolas spürte, dass in der Luft ein Duft lag, den er noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Es war, als würde in weiter Ferne ein gewaltiges Feuer brennen und die Asche mit dem Wind über alle Berge und Länder getragen werden. Bis hin zu ihm, der in einem lebendigen Traum von Frieden und Freundschaft stand und ihn dadurch zerstört sah.
Auf der Wiese tief unter ihm nahm er eine Bewegung wahr. Zwei Elben schritten aus einem kleinen Waldstück, in eine Unterhaltung vertieft. Eine Aura von Gelassenheit strahlte von ihnen aus und der Wind, der durch ihre Gewänder und Haare wehte, verschwamm ihr Bild von Legolas Augen. Er erkannte bei näherem Hinsehen Elronds, dessen majestätische Gestalt durch sein edles, graues Gewand nur noch bedeutsamer schien. Die Frau an seiner Seite war sehr klein und hatte kastanienbraunes Haar. Sie trug ebenfalls grau und bewegte sich leichtfüßig neben ihrem Begleiter her.
Legolas starrte sie an. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber doch war ihre Gestalt so vertraut, dass er sie überall wiedererkannt hätte. Nur fehlte dieser Erkenntnis jeder Sinn.
"Legolas?" Eine Frauenstimme erklang hinter ihm. "Legolas!"
Er wirbelte herum und fand sich Auge in Auge mit Arwen, der Tochter des Herrn über das Tal. Ihre strahlende Schönheit glich der eines Gestirns, doch Arwen war nicht nur liebreizend, sondern ebenso eine intelligente und lebenskluge Frau. Sie war Aragorn seit Jahren in tiefer Liebe verfallen und hoffte darauf, seine Frau zu werden, wenn ihre Zeit gekommen war. Doch so sehr Elrond Aragorn, den Dúnedain, auch als seinen Ziehsohn schätzte, so war dieser eben nur ein Mensch unter vielen. Erst wenn der Waldläufer seiner wahren Bestimmung nachgab und seinen Anspruch auf den Thron forderte, würde der Halbelb der Verbindung zustimmen.
"Herrin!" Er verbeugte sich tief vor ihr, wie es sich geziemte. Dann wanderte sein Blick noch einmal hinunter in den Garten. Dort war jedoch niemand mehr zu sehen. "Ihr beehrt mich mit Eurer Anwesenheit."
"Ihr schenkt mir Eure Worte, doch Euer Kopf ist woanders!" Sie lächelte, um zu unterstreichen, dass sie es ihm nicht übel nahm. "Ihr seht aus, als hättet Ihr einen Geist gesehen."
"Das habe ich wohl", murmelte Legolas und wünschte, sein Puls würde nicht derart hoch schlagen. Er musste es wissen. "Wer ist die rothaarige Elbin, die ich gerade mit Eurem Vater sah? Hier habe ich sie noch nie bemerkt."
"Ihr kennt sie." Arwen lachte melodiös. "Sie ist eine Schülerin meines Vaters. Bei uns heißt sie Aerlinn Iavais, Gesang des Herbstes. Bei den Menschen lautet ihr Name - ."
"Alann." Legolas schluckte. "Aber das kann nicht sein. Ich sah sie sterben!"
"Nicht jede Wahrheit lässt sich mit den Sinnen begreifen. Auch diese nicht. Ihr werdet es sehen, wenn Ihr mit ihr sprecht."
Legolas wollte noch weitere Fragen stellen, doch Arwen hob die Hand.
"Sie wird zu Euch kommen, wenn sie dazu bereit ist. Fasst Euch in Geduld."
Dann schritt Arwen davon und ließ Legolas, tief in Gedanken versunken, zurück.
***
Elronds letzte Worte verklangen in absoluter Stille. Legolas konnte es noch nicht recht fassen, was er in den vergangenen Stunden gehört und gesehen hatte. Der seltsame Glanz des Einen Ringes irrlichterte von seinem inneren Auge, ein winziges Schmuckstück, in dem jenes Böse begründet lag, das nun erneut anstrebte, Mittelerde mit Terror und Furcht zu überziehen. Saurons Name war in der Runde nur mit großem Schaudern ausgesprochen worden. Denn allein seine Erwähnung reicht aus, den Schrecken der Teilnehmer aus ihren Herzen in ihre Gesichter zu bannen. Menschen. Elben, Zwerge und Hobbits, wie sich die kleinen Menschen nannten, waren alle gleich gewesen in jenem Moment, in dem klar wurde, welche Aufgabe es zu bewältigen gab.
Und er hatte sich dazu bereit erklärt, sein Volk zu vertreten. Er konnte es kaum fassen. Warum hatte er nicht Elrond selbst oder Glorfindel, der als der gewaltigste Krieger in Bruchtal galt, den Vortritt gelassen? Wenn es eine Art Vorsehung war, die ihn zum Betritt in die Gemeinschaft gezwungen hatte, dann wagte er keinen Gedanken daran zu verschwenden, dass diese Vorsehung vielleicht auch von seinem Tod sprach. Niemals in diesem Zeitalter war ein derartiges Unternehmen durchgeführt worden.
Er erhob sich von seinem Sitz und trat zu Aragorn hinüber, der sich im Gespräch mit Frodo befand, dem Hobbit, der den Ring und damit das Schicksal der Welt um den Hals trug. Als er näher trat, blickte der Waldläufer auf. Sie hatten sich zwei Jahre nicht mehr gesehen, doch sofort fühlte sich Legolas dem Menschen wieder verbunden.
"Es ist lange her, Freund", sagte Legolas und hielt Aragorn die Hand hin. Dieser schlug lächelnd ein.
"Wie wahr, Legolas." Aragorn verabschiedet sich von Frodo mit einem Nicken. Während der kleine Mann zu seinen vorlauten Freuden zurückkehrte, verließen Legolas und Aragorn den Platz der Versammlung. "Wie ist es Dir ergangen?"
"Mein Vater macht sich große Sorgen um sein Reich. Keine wirklichen Neuigkeiten eigentlich." Der Elb starrte auf den Boden. Eine Frage, die ihn seit seiner Ankunft und der Erscheinung im Garten bewegte, war nicht mehr zurückzuhalten. "Wie kommt es, dass Du mir wegen Alann keine Nachricht geschickt hast?"
"Du hast sie gesehen?" Aragorn seufzte. "Es tut mir leid, dass muss Dich ziemlich verwirrt haben. Ich hätte Dich warnen sollen."
"Verwirrt ist nicht das richtige Wort dafür", gab Legolas zurück und rang nach der richtigen Formulierung. Er wollte nicht zuviel von den Gedanken preisgeben, die er sich gemacht hatte und die jetzt, nach fast zwei Jahren, wieder hochgespült wurden. "Ich bin sehr erfreut."
"Ob nun "erfreut" das richtige Wort ist, weiß ich nicht!" Aragorn lächelte und das ließ ihn etwas jünger aussehen, als er war. Legolas hätte schwören können, dass die Last, die schon immer auf Aragorns Schulter geruht hatte, in diesen Tagen noch mehr wog als sonst. "Ich brachte sie und ihre Mutter nach den Ereignissen im Tal hierher. Elrond nahm sie bereitwillig auf und machte Alann zu seiner Schülerin. Er sah die Gabe in ihr."
"Aber wie hat sie überlebt? Wir beide sahen sie stürzen. Welche Macht kann einen Fallenden aus der Tiefe wieder hervorholen? Und von welcher Gabe redest Du?"
"Sie wird Dir alles erklären. Das ist nicht meine Aufgabe." Aragorn blieb ruhig bei diesem Ansturm der Fragen. Doch Legolas war kurz davor, seine Fassung zu verlieren und erkannte sich selbst nicht mehr. Er war nicht bereit, sich weiter mit der Ungewissheit über die Vorfälle im Tal abzugeben. Da wies Aragorn auf einen kleinen, hellgrünen Fleck bei einem großen, ausladenden Eichenbaum, der einige hundert Schritt von ihrem Pfad entfernt war. Legolas sah genauer hin und erkannte, dass er nicht mehr warten musste. "Ich lasse Euch allein. Versuche nicht, wieder die kleine Diebin in ihr zu sehen. Denn das ist sie nicht mehr."
Legolas hörte die letzten Worte kaum noch. Eiligen Schrittes lief er über die moosbedeckten Felsen, die zu der kleinen Baumgruppe hin anstiegen, an der er erwartet wurde. Alann stand auf einer riesigen Wurzel, die sich ihren Weg durch den festen Grund gebahnt hatte und blickte ihm ruhig entgegen. Sie trug ein leichtes Kleid aus grünem Stoff und ein weißes Mieder, das mit Blättern bestickt war. Legolas stockte der Atem, weil er meinte, sie zum ersten Mal richtig zu sehen. Nichts an ihr ließ einen Vergleich mit den Ereignissen im Tal des Eisfelsens zu. Die Narbe in ihrem Gesicht war zu einer dünnen, weißen Linie verblasst, nur noch ein Schatten der vergangenen Verletzung und ihr Haar war fast hüftlang, zeugte davon, dass in Bruchtal die Zeit anders verging als im Rest der Welt.
Sie war sie selbst und doch eine andere.
"Mae govannen", sagte er und kam sich furchtbar ungelenk vor. Alann - oder Aerlinn, er wusste nicht, wie er sie in Gedanken nennen sollte - nickte ernst.
"Seid gegrüßt, Legolas. Es ist schön, Euch zu sehen." Ihr Tonfall war mild und erhaben. Legolas fragte sich, wohin die angriffslustige, kleine Person, als die er sie gekannt hatte, verschwunden war. Er konnte nicht einmal sagen, ob es ihm gefiel, sie jetzt so zu sehen. Nun war sie auf keine Weise von einer normalen Elbin zu unterscheiden.
"Euch am Leben zu sehen ist -." Ihm fiel nichts ein. Sonst war er wortgewandt, doch nun schien seine Zunge wie gelähmt. Er versuchte sich mit etwas allgemeineren Themen. "Ist es Euch und Eurer Mutter gut ergangen?"
"Uns geht es sehr gut. Meine Mutter hat sich ein wenig erholt, sie erkennt ihre Umgebung und hat begonnen, wieder zu singen und zu lesen." Alann lächelte. "Ich habe im Studium von Elronds gesammelten Schriften einen neuen Zeitvertreib gefunden. Seit jenen Ereignisse vor zwei Jahren habe ich die Fähigkeit, sie zu deuten und die Prophezeiungen umzusetzen."
"Aragorn sagte, Ihr hättet diese Gabe gewonnen. Wie?"
Alann setzte sich in Bewegung, zurück zu dem Weg, über den Legolas gekommen war. Er passte seine Schritte den ihren an.
"Ich stürzte in der Schlucht durch den Spiegel. Danach zerbrach er, ich konnte es in meiner Seele fühlen, als ich ins Freie fiel. Die Reste der darin enthaltenen Kraft gingen in mich über. Mein Blick reicht jetzt in die Zukunft und Vergangenheit gleichermaßen." Sie seufzte fast unhörbar. "Es ist eine große Verantwortung, die ich mir nicht gewünscht habe. Aber sie ist der Preis für mein Leben. Elrond machte mir seine Bibliothek zugänglich. Er weiß, dass ihm nur noch wenig Zeit in diesem Teil der Welt verbleibt. Ich habe viel zu lernen, bis er zu den Grauen Anfurten geht."
"Ihr werdet ihn nicht begleiten?" Legolas versuchte, den hoffnungsvollen Ton aus seiner Stimme zu verbannen.
"Ich weiß es nicht. Mein Gefühl sagt mir, dass ich diese Welt noch zu wenig kenne, um mich für die nächste zu entscheiden. Im Gegensatz zu den Elben habe ich zu wenig Zeit, um beide zu sehen." Sie sah plötzlich sehr traurig sein. "Meine Mutter wird gehen. Ich werde sie sehr vermissen, aber ich weiß auch, dass es das Beste für sie ist." Nachdem sie nach einer kleinen Weile den Weg erreicht hatten und wieder die Häuser sahen, wurde Alann wieder ein wenig gefasster. "Ihr werdet mit der Gemeinschaft des Ringes ziehen. Das ist ebenfalls eine große Verantwortung."
"Ich wusste nicht, dass sich die Entscheidung des Rates so schnell herumgesprochen hat." Legolas war befremdet, da er ahnte, dass diese Mutmaßung nicht die zutreffend sein musste. Tatsächlich irrte er nicht. Alann schlug die Augen nieder, damit er nicht die Gefühle darin erkennen konnte.
"Die Schriftrolle haben diese Reise schon vor Eurer Geburt zu Eurem Schicksal bestimmt", antwortete sie leise.
Legolas musterte sie ganz genau. Etwas an ihr hatte sich nicht geändert. Sie konnte schlecht Emotionen oder Wahrheiten vor ihm verbergen.
"Was bedrückt Euch, Alann?"
Er bekam längere Zeit keine Antwort. Dann sah sie ihn an und ihre grünen Augen waren voller Trauer.
"Was mich bedrückt, ist dass ich nicht weiß, was Euch erwartet. Das Ende der Reise liegt im Dunkeln. Elrond könnte etwas wissen, doch er sagt es mir nicht." Sie verschränkte ihre Hände, die leicht zitterten. "Ich könnte es nicht ertragen, zu wissen, dass Ihr nicht zurückkehrt, aber auch die Ungewissheit raubt mir den Schlaf."
***
Die Zweige der uralten Weide tauchten mit ihren Spitzen in das Wasser des Flusses, so schwer waren sie. Das Lautwasser rauschte an dieser Stelle des Tales leise und gemächlich, bevor es sich über eine weitere Stufe hinab stürzte. Es war ein warmer Abend, ein leichter Wind blies von Süden und trieb gemächlich die wenigen Wolkenfetzen am Himmel davon, so dass die Sterne makellos zu sehen waren.
Legolas lag in einem weichen Teppich von Gras und Laub und starrte durch die wiegenden Zweige des Baumes hinauf. Er dachte an nichts und alles zugleich und fühlte sich so wie bei seinem Eintreffen im Tal. Unbelastet von Sorgen, ruhig und froh. Das Geschehen im Rat schien Äonen zurückzuliegen und fast hätte er vergessen können, dass es überhaupt geschehen war.
Alann lag mit dem Kopf an seiner Schulter und obwohl er es nicht sah, wusste er, dass sie lächelte. Ihre Finger waren ineinander verflochten, vertraut. Er hätte nie gedacht, dass so etwas geschehen könnte. Immerhin hatten sie sich fast die gesamte Reise in das tal in den blauen Bergen lang nur gestritten und angefeindet. Aber gerade das hatte eine Basis geschaffen. Jeder wusste, wie der andere war und dachte. Es hatte sie füreinander vorbereitet, für diese Nacht. In dem Moment, in dem sie in die Tiefen des alten Schlosses gefallen war, wäre er am liebsten hinterhergesprungen. Damals war er sich nicht einmal bewusst gewesen, weshalb. Nun wusste er es. Und er konnte es ihr nicht sagen.
Ihre Worte von seiner unklaren Zukunft drängten sich ihm auf. Sagte sie wirklich die Wahrheit? Vielleicht wusste sie Dinge, die sie ihm lieber verschwieg. Und gerade deswegen konnte seine Lippen nicht das formen, was sein Herz sagte, ein in hunderten Jahren erkaltetes Organ, das gerade jetzt, zum falschsten Zeitpunkt, wieder schlug. Er wollte den Verlust, den sie erleiden könnte, wenn er sich auf die Reise nach Mordor begab, nicht noch vergrößern, indem er jetzt, in diesem Moment, von Gefühlen sprach.
"Legolas?" Sie bewegte sich, richtete sich halb auf. Ihr Haar strich über seine nackte Schulter. "Deine Gedanken sind so laut, ich könnte sie fast hören."
"Es ist nichts", wiegelte er ab und zog sie wieder zu sich heran. Er legte eine Hand auf ihre Wange und fand sie eiskalt. "Frierst Du?"
"Ach", lachte sie leise, doch es klang falsch in seinen Ohren. "Nein, es ist nichts."
"Du bist eine schlechte Lügnerin."
"Ich weiß." Sie seufzte leise und fragte dann zögernd: "Ich möchte gern wissen, ob dieses hier geschehen wäre, wenn wir uns nicht an diesem Ort zu dieser Zeit wiedergetroffen hätten. Ich bin als Elronds Schülerin jetzt eine Geachtete unter den Elben, so sagte es mir Arwen einmal. Mein Blut ist praktisch von jedem Makel reingewaschen. Ist es das, was uns zusammengebracht hat? Bin ich in Deinen Augen jemand anderes?"
Legolas wusste nicht, was er antworten konnte, ohne zuviel von sich preiszugeben und ohne sie zu verletzen.
"Ich weiß es nicht", gab er letztendlich zu und spürte, wie sich ihr Körper verkrampfte. "Du bist verändert, aber es gäbe nichts an Dir, das ich verbessert gefunden hätte." Seine Hand lag noch immer auf ihrem Gesicht und er spürte unter seinen Fingerspitzen die feine Narbe. "Ich kann nicht sagen, ob unser Zusammensein richtig ist. Das überlasse ich der Zukunft, wie verschleiert sie auch immer sein kann. Deshalb kann ich Dir kein Versprechen geben, das ich nicht halten kann." Ein Tropfen fiel auf seine Hand, nur ein einziger. Und es war nicht das Wasser des Flusses.
"Ich werde Dir auch kein Versprechen geben", wiederholte Alann seine Worte und nichts in ihrer Stimme ließ erkennen, dass sie berührt war. Innerhalb weniger Sekunden war sie zu Eis erstarrt. "Vielleicht treffen wir uns noch einmal und die Welt ist wieder dieselbe wie zuvor. Und vielleicht bist Du dann auch wieder so, wie ich Dich vor zwei Jahren kennengelernt habe. Ich könnte dann nicht verlangen, dass Du Dich in den wenigen Jahren, die mir zur Verfügung stehen, wieder zu dem veränderst, was Du hier und heute bist. Die Elben hatten für den Wandel viele Epochen lang Zeit und taten es nicht. Deshalb kann ich es auch nicht von Dir fordern, denn das ist nicht Deine Art."
Legolas wusste nichts mehr zu sagen. Er hielt sie fest und wusste, dass der Moment der Ruhe, den er gerade erst gefunden hatte, vergangen war. Sie lagen noch unter der Weide, als die Sterne verblassten und dem neuen Tag Platz machten. Dann gingen sie auseinander.
Romantik-Freaks, dies war Euer Kapitel! *schnüff* Aber es ist noch nicht das Letzte, versprochen! Immerhin muss noch ein Ende her! Reviewt fleißig und ich schreibe, denn Euer Wunsch ist mir Befehl!
Eure Demetra
Frühling lag in der Luft, tausend Gesängen von Pflanzen und Tieren, die über das Erwachen der Natur jubilierten. Legolas war seltsam leicht ums Herz und mit ruhiger Hand führte er sein Pferd. Eine milde Sonne schien über den Bergen und auf den alten Pfad, den selten Besucher beschritten. Tief unten, im Tal, rauschte der Fluss Lautwasser dahin, wie er es schon viele Zeitalter getan hatte und noch tun würde, wenn die Elben, die das Tal bewohnten, längst gegangen waren. Vor einiger Zeit hatte Legolas die Furt überquert und folgte nun dem Lauf hinein in die hohen Felsen.
Imladris, ein Hort für müde Wanderer, Rast für Umherirrende. Und nun Stätte einer Entscheidung. Legolas wusste nicht, worum es ging, denn sein Vater hatte ihm von Lord Elronds Botschaft nicht viel mitgeteilt. Aber vielleicht wusste Thranduil auch so wenig wie er selbst. Der Schatten des Unheils lag über Mittelerde und auch über Düsterwald. Die letzten Jahre hatte er damit verbracht, die Grenzen des nördliche Elbenkönigreiches gegen die Mächte zu verteidigen, die sich in den Höhlen und Unterschlüpfen des Landes vermehrten wie Ungeziefer auf einem Stück Aas. Es gab keinen Zweifel, dass eine neue Zeit der Dunkelheit anbrechen würde. Die aschgrauen Wolken, die über Mordor aufstiegen und die die Späher des Königs über den fernen Bergen hatten aufsteigen sehen, bestätigten die Befürchtung, die über eine lange Zeit nur geflüstert worden waren. Nun konnte man sie mit neuer Gewissheit aussprechen. Saurons Macht kehrte zurück und mit ihm der alte Schrecken.
Legolas hätte nicht gedacht, dass die alten Legenden, die man erzählte, nun zu einem Teil seines Lebens werden würden. Auch wenn er, wie jeder seines Volkes, wusste, dass Vergangenheit Gegenwart war und auch Zukunft sein konnte im Kreis der Zeitalter, so war er doch beunruhigt. Eine Grund dafür konnte er nicht nennen, eher eine düstere Vorahnung. Vielleicht würde dieses Zeitalter das Ende der Welt einläuten.
Was immer Elrond vorhatte, es musste ein Vorhaben von größter Wichtigkeit sein. Thranduil hatte ihm berichtet, dass Abgesandte aller Völker im Bruchtal versammelt sein würden, Zwerge, Menschen und Elben. Es würde ein heilloses Durcheinander geben, davon war Legolas überzeugt. Dazu waren alle diese verschiedenen Charaktere zu unterschiedlich, zu diskussionsfreudig und vor allem zu aggressiv. Er beneidete Elrond nicht um seine Aufgabe, vermitteln zu müssen.
Hufschläge ertönten und ein einzelner Reiter erschien vor ihnen. Legolas erkannte Glorfindel, den Berater und Vertrauten Elronds, ein schöner Mann von hohem Wuchs, dessen goldenes Haar um seine breiten Schultern flog.
"Mae govannen!", rief der Mann freundlich. "Du bist allein, wie ich sehe? Wo sind Deine Begleiter?"
"Sie folgen im Abstand von einigen Stunden. Ihre Pferde tranken schlechtes Wasser und müssen sich erst erholen." Legolas störte sich nicht an der Befragung, doch Glorfindels nächste Worte ärgerten ihn ein wenig.
"Und dann seid Ihr als Prinz selbstverständlich vorgeritten, um der Erste zu sein, nicht wahr?"
"Das hat nichts mit meinem Geburtsrecht zu tun", gab Legolas hochmütig zurück. "Nur verspürte ich eine große Freude, diesen Ort wiederzusehen, weshalb ich mich eilte."
Glorfindel lachte und nickte ihm versöhnlich zu.
"Es ist schon Recht, Freund, ich wollte Euch nur aufziehen. Noch einmal - seid willkommen in Elronds Reich. Ihr werdet erwartet. Morgen zum Rat werden alle Anderen eingetroffen sein!" Sie lenkten ihre Pferde Seite an Seite und ritten weiter. Vor Legolas Augen öffnete sich das Tal in seiner ganzen Schönheit. Riesige Bäume bedeckten die sanften Hänge und in steilen Kaskaden fiel das Wassers des Flusses hinter der Siedlung der Elben bis zum Fuß der Felsen hinunter. In der Farbe von Elfenbein erstreckten sich die Kuppeldächer der Häuser in den Himmel und reflektierten das leuchtende Azur. Ranken goldenen Weines rankten sich um die eleganten Bögen der hohen Veranden und glänzten im Sonnenlicht. "Wie lang wart Ihr nicht mehr hier, Legolas?"
"Es mögen ein Dutzend Sommer sein", antwortete der Angesprochene. "Ist der Dúnedain hier?"
"Er kam vor einigen Tagen an und brachte vier seltsame Gestalten mir, Männer, die gerade einmal so groß sind wie ein Kind. Einer von Ihnen wurde durch eine Morgul-Klinge verletzt, doch es geht ihm schon besser." Glorfindel runzelte die hohe Stirn. "Viele Zeichen deuten darauf hin, dass uns große Probleme erwarten. Elrond und Mithrandir beraten angestrengt in jeder Nacht, wenn die andere ihre Lichter löschen."
"Wenn auch der graue Pilger hier ist, dann habe ich keinen Zweifel an Eurer Vermutung." Legolas war dem Zauberer noch nie begegnet, doch er kannte dessen Ruf als weisen und geheimnisvollen Wanderer. Auf dieses Zusammentreffen freute er sich, wenn auch nicht so sehr wie auf sein Wiedersehen mit Aragorn.
Sie erreichten die Ställe, die ein wenig unterhalb der Wohnquartiere lagen, eine weite Halle, die am Rand einer riesigen Wiese lag. Legolas sprang vom Pferd und übergab es einem dunkelhaarigen Elb, der sich als der Meister der Stallungen vorstellte. Er musste die Tiere nicht einmal anfassen, sie trabten ihm einfach hinterher, spürend, dass sie es gut bei ihm haben würden. Legolas blickte den Pferden hinterher, die leichtfüßig durch ein offenes Gatter auf die Wiese liefen und beneidete sie um ihre Freiheit.
Er wusste nicht, was sein Vater oder auch Elrond von ihm erwarteten. Als jüngster Sohn hatte er niemals viele Verpflichtungen gehabt und nun war er plötzlich der Stellvertreter Thranduils in einer Runde, die die größten Köpfe von Mittelerde enthalten würde.
Glorfindel meldete sich zu Wort.
"Eure Räume sind im Haupthaus gerichtet. Aber ich vermute, Ihr werdet Euch erst ein wenig umsehen wollen. Das Abendessen findet nach Sonnenuntergang in der großen Halle statt." Er verbeugte sich und zog sich zurück.
Legolas sah ihm hinterher, wie er zwischen den Felsen eine schmale Treppe betrat und dann aus seinem Sichtfeld verschwand. Er selbst wählte einen Pfad, der an den Ställen vorbeiführte und zu den tiefer gelegenen Gärten führte. Der süße Geruch der Blumen wehte ihm entgegen und ließ ihn einen Moment lang vergessen, warum in sein Weg nach Bruchtal geführt hatte. Eine Laube, dicht berankt mit Efeu, lud zum Verweilen und zum Blick auf das Tal ein. Kein Laut außer dem fernen Singen eines Vogels und dem schnellen Strömen des Flusses war zu hören.
Alles in diesem Tal war so schön, so rein und unberührt. Man konnte sich schwerlich vorstellen, dass diesem Ort eine Bedrohung gelten sollte. Aber so war es. Legolas spürte, dass in der Luft ein Duft lag, den er noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Es war, als würde in weiter Ferne ein gewaltiges Feuer brennen und die Asche mit dem Wind über alle Berge und Länder getragen werden. Bis hin zu ihm, der in einem lebendigen Traum von Frieden und Freundschaft stand und ihn dadurch zerstört sah.
Auf der Wiese tief unter ihm nahm er eine Bewegung wahr. Zwei Elben schritten aus einem kleinen Waldstück, in eine Unterhaltung vertieft. Eine Aura von Gelassenheit strahlte von ihnen aus und der Wind, der durch ihre Gewänder und Haare wehte, verschwamm ihr Bild von Legolas Augen. Er erkannte bei näherem Hinsehen Elronds, dessen majestätische Gestalt durch sein edles, graues Gewand nur noch bedeutsamer schien. Die Frau an seiner Seite war sehr klein und hatte kastanienbraunes Haar. Sie trug ebenfalls grau und bewegte sich leichtfüßig neben ihrem Begleiter her.
Legolas starrte sie an. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber doch war ihre Gestalt so vertraut, dass er sie überall wiedererkannt hätte. Nur fehlte dieser Erkenntnis jeder Sinn.
"Legolas?" Eine Frauenstimme erklang hinter ihm. "Legolas!"
Er wirbelte herum und fand sich Auge in Auge mit Arwen, der Tochter des Herrn über das Tal. Ihre strahlende Schönheit glich der eines Gestirns, doch Arwen war nicht nur liebreizend, sondern ebenso eine intelligente und lebenskluge Frau. Sie war Aragorn seit Jahren in tiefer Liebe verfallen und hoffte darauf, seine Frau zu werden, wenn ihre Zeit gekommen war. Doch so sehr Elrond Aragorn, den Dúnedain, auch als seinen Ziehsohn schätzte, so war dieser eben nur ein Mensch unter vielen. Erst wenn der Waldläufer seiner wahren Bestimmung nachgab und seinen Anspruch auf den Thron forderte, würde der Halbelb der Verbindung zustimmen.
"Herrin!" Er verbeugte sich tief vor ihr, wie es sich geziemte. Dann wanderte sein Blick noch einmal hinunter in den Garten. Dort war jedoch niemand mehr zu sehen. "Ihr beehrt mich mit Eurer Anwesenheit."
"Ihr schenkt mir Eure Worte, doch Euer Kopf ist woanders!" Sie lächelte, um zu unterstreichen, dass sie es ihm nicht übel nahm. "Ihr seht aus, als hättet Ihr einen Geist gesehen."
"Das habe ich wohl", murmelte Legolas und wünschte, sein Puls würde nicht derart hoch schlagen. Er musste es wissen. "Wer ist die rothaarige Elbin, die ich gerade mit Eurem Vater sah? Hier habe ich sie noch nie bemerkt."
"Ihr kennt sie." Arwen lachte melodiös. "Sie ist eine Schülerin meines Vaters. Bei uns heißt sie Aerlinn Iavais, Gesang des Herbstes. Bei den Menschen lautet ihr Name - ."
"Alann." Legolas schluckte. "Aber das kann nicht sein. Ich sah sie sterben!"
"Nicht jede Wahrheit lässt sich mit den Sinnen begreifen. Auch diese nicht. Ihr werdet es sehen, wenn Ihr mit ihr sprecht."
Legolas wollte noch weitere Fragen stellen, doch Arwen hob die Hand.
"Sie wird zu Euch kommen, wenn sie dazu bereit ist. Fasst Euch in Geduld."
Dann schritt Arwen davon und ließ Legolas, tief in Gedanken versunken, zurück.
***
Elronds letzte Worte verklangen in absoluter Stille. Legolas konnte es noch nicht recht fassen, was er in den vergangenen Stunden gehört und gesehen hatte. Der seltsame Glanz des Einen Ringes irrlichterte von seinem inneren Auge, ein winziges Schmuckstück, in dem jenes Böse begründet lag, das nun erneut anstrebte, Mittelerde mit Terror und Furcht zu überziehen. Saurons Name war in der Runde nur mit großem Schaudern ausgesprochen worden. Denn allein seine Erwähnung reicht aus, den Schrecken der Teilnehmer aus ihren Herzen in ihre Gesichter zu bannen. Menschen. Elben, Zwerge und Hobbits, wie sich die kleinen Menschen nannten, waren alle gleich gewesen in jenem Moment, in dem klar wurde, welche Aufgabe es zu bewältigen gab.
Und er hatte sich dazu bereit erklärt, sein Volk zu vertreten. Er konnte es kaum fassen. Warum hatte er nicht Elrond selbst oder Glorfindel, der als der gewaltigste Krieger in Bruchtal galt, den Vortritt gelassen? Wenn es eine Art Vorsehung war, die ihn zum Betritt in die Gemeinschaft gezwungen hatte, dann wagte er keinen Gedanken daran zu verschwenden, dass diese Vorsehung vielleicht auch von seinem Tod sprach. Niemals in diesem Zeitalter war ein derartiges Unternehmen durchgeführt worden.
Er erhob sich von seinem Sitz und trat zu Aragorn hinüber, der sich im Gespräch mit Frodo befand, dem Hobbit, der den Ring und damit das Schicksal der Welt um den Hals trug. Als er näher trat, blickte der Waldläufer auf. Sie hatten sich zwei Jahre nicht mehr gesehen, doch sofort fühlte sich Legolas dem Menschen wieder verbunden.
"Es ist lange her, Freund", sagte Legolas und hielt Aragorn die Hand hin. Dieser schlug lächelnd ein.
"Wie wahr, Legolas." Aragorn verabschiedet sich von Frodo mit einem Nicken. Während der kleine Mann zu seinen vorlauten Freuden zurückkehrte, verließen Legolas und Aragorn den Platz der Versammlung. "Wie ist es Dir ergangen?"
"Mein Vater macht sich große Sorgen um sein Reich. Keine wirklichen Neuigkeiten eigentlich." Der Elb starrte auf den Boden. Eine Frage, die ihn seit seiner Ankunft und der Erscheinung im Garten bewegte, war nicht mehr zurückzuhalten. "Wie kommt es, dass Du mir wegen Alann keine Nachricht geschickt hast?"
"Du hast sie gesehen?" Aragorn seufzte. "Es tut mir leid, dass muss Dich ziemlich verwirrt haben. Ich hätte Dich warnen sollen."
"Verwirrt ist nicht das richtige Wort dafür", gab Legolas zurück und rang nach der richtigen Formulierung. Er wollte nicht zuviel von den Gedanken preisgeben, die er sich gemacht hatte und die jetzt, nach fast zwei Jahren, wieder hochgespült wurden. "Ich bin sehr erfreut."
"Ob nun "erfreut" das richtige Wort ist, weiß ich nicht!" Aragorn lächelte und das ließ ihn etwas jünger aussehen, als er war. Legolas hätte schwören können, dass die Last, die schon immer auf Aragorns Schulter geruht hatte, in diesen Tagen noch mehr wog als sonst. "Ich brachte sie und ihre Mutter nach den Ereignissen im Tal hierher. Elrond nahm sie bereitwillig auf und machte Alann zu seiner Schülerin. Er sah die Gabe in ihr."
"Aber wie hat sie überlebt? Wir beide sahen sie stürzen. Welche Macht kann einen Fallenden aus der Tiefe wieder hervorholen? Und von welcher Gabe redest Du?"
"Sie wird Dir alles erklären. Das ist nicht meine Aufgabe." Aragorn blieb ruhig bei diesem Ansturm der Fragen. Doch Legolas war kurz davor, seine Fassung zu verlieren und erkannte sich selbst nicht mehr. Er war nicht bereit, sich weiter mit der Ungewissheit über die Vorfälle im Tal abzugeben. Da wies Aragorn auf einen kleinen, hellgrünen Fleck bei einem großen, ausladenden Eichenbaum, der einige hundert Schritt von ihrem Pfad entfernt war. Legolas sah genauer hin und erkannte, dass er nicht mehr warten musste. "Ich lasse Euch allein. Versuche nicht, wieder die kleine Diebin in ihr zu sehen. Denn das ist sie nicht mehr."
Legolas hörte die letzten Worte kaum noch. Eiligen Schrittes lief er über die moosbedeckten Felsen, die zu der kleinen Baumgruppe hin anstiegen, an der er erwartet wurde. Alann stand auf einer riesigen Wurzel, die sich ihren Weg durch den festen Grund gebahnt hatte und blickte ihm ruhig entgegen. Sie trug ein leichtes Kleid aus grünem Stoff und ein weißes Mieder, das mit Blättern bestickt war. Legolas stockte der Atem, weil er meinte, sie zum ersten Mal richtig zu sehen. Nichts an ihr ließ einen Vergleich mit den Ereignissen im Tal des Eisfelsens zu. Die Narbe in ihrem Gesicht war zu einer dünnen, weißen Linie verblasst, nur noch ein Schatten der vergangenen Verletzung und ihr Haar war fast hüftlang, zeugte davon, dass in Bruchtal die Zeit anders verging als im Rest der Welt.
Sie war sie selbst und doch eine andere.
"Mae govannen", sagte er und kam sich furchtbar ungelenk vor. Alann - oder Aerlinn, er wusste nicht, wie er sie in Gedanken nennen sollte - nickte ernst.
"Seid gegrüßt, Legolas. Es ist schön, Euch zu sehen." Ihr Tonfall war mild und erhaben. Legolas fragte sich, wohin die angriffslustige, kleine Person, als die er sie gekannt hatte, verschwunden war. Er konnte nicht einmal sagen, ob es ihm gefiel, sie jetzt so zu sehen. Nun war sie auf keine Weise von einer normalen Elbin zu unterscheiden.
"Euch am Leben zu sehen ist -." Ihm fiel nichts ein. Sonst war er wortgewandt, doch nun schien seine Zunge wie gelähmt. Er versuchte sich mit etwas allgemeineren Themen. "Ist es Euch und Eurer Mutter gut ergangen?"
"Uns geht es sehr gut. Meine Mutter hat sich ein wenig erholt, sie erkennt ihre Umgebung und hat begonnen, wieder zu singen und zu lesen." Alann lächelte. "Ich habe im Studium von Elronds gesammelten Schriften einen neuen Zeitvertreib gefunden. Seit jenen Ereignisse vor zwei Jahren habe ich die Fähigkeit, sie zu deuten und die Prophezeiungen umzusetzen."
"Aragorn sagte, Ihr hättet diese Gabe gewonnen. Wie?"
Alann setzte sich in Bewegung, zurück zu dem Weg, über den Legolas gekommen war. Er passte seine Schritte den ihren an.
"Ich stürzte in der Schlucht durch den Spiegel. Danach zerbrach er, ich konnte es in meiner Seele fühlen, als ich ins Freie fiel. Die Reste der darin enthaltenen Kraft gingen in mich über. Mein Blick reicht jetzt in die Zukunft und Vergangenheit gleichermaßen." Sie seufzte fast unhörbar. "Es ist eine große Verantwortung, die ich mir nicht gewünscht habe. Aber sie ist der Preis für mein Leben. Elrond machte mir seine Bibliothek zugänglich. Er weiß, dass ihm nur noch wenig Zeit in diesem Teil der Welt verbleibt. Ich habe viel zu lernen, bis er zu den Grauen Anfurten geht."
"Ihr werdet ihn nicht begleiten?" Legolas versuchte, den hoffnungsvollen Ton aus seiner Stimme zu verbannen.
"Ich weiß es nicht. Mein Gefühl sagt mir, dass ich diese Welt noch zu wenig kenne, um mich für die nächste zu entscheiden. Im Gegensatz zu den Elben habe ich zu wenig Zeit, um beide zu sehen." Sie sah plötzlich sehr traurig sein. "Meine Mutter wird gehen. Ich werde sie sehr vermissen, aber ich weiß auch, dass es das Beste für sie ist." Nachdem sie nach einer kleinen Weile den Weg erreicht hatten und wieder die Häuser sahen, wurde Alann wieder ein wenig gefasster. "Ihr werdet mit der Gemeinschaft des Ringes ziehen. Das ist ebenfalls eine große Verantwortung."
"Ich wusste nicht, dass sich die Entscheidung des Rates so schnell herumgesprochen hat." Legolas war befremdet, da er ahnte, dass diese Mutmaßung nicht die zutreffend sein musste. Tatsächlich irrte er nicht. Alann schlug die Augen nieder, damit er nicht die Gefühle darin erkennen konnte.
"Die Schriftrolle haben diese Reise schon vor Eurer Geburt zu Eurem Schicksal bestimmt", antwortete sie leise.
Legolas musterte sie ganz genau. Etwas an ihr hatte sich nicht geändert. Sie konnte schlecht Emotionen oder Wahrheiten vor ihm verbergen.
"Was bedrückt Euch, Alann?"
Er bekam längere Zeit keine Antwort. Dann sah sie ihn an und ihre grünen Augen waren voller Trauer.
"Was mich bedrückt, ist dass ich nicht weiß, was Euch erwartet. Das Ende der Reise liegt im Dunkeln. Elrond könnte etwas wissen, doch er sagt es mir nicht." Sie verschränkte ihre Hände, die leicht zitterten. "Ich könnte es nicht ertragen, zu wissen, dass Ihr nicht zurückkehrt, aber auch die Ungewissheit raubt mir den Schlaf."
***
Die Zweige der uralten Weide tauchten mit ihren Spitzen in das Wasser des Flusses, so schwer waren sie. Das Lautwasser rauschte an dieser Stelle des Tales leise und gemächlich, bevor es sich über eine weitere Stufe hinab stürzte. Es war ein warmer Abend, ein leichter Wind blies von Süden und trieb gemächlich die wenigen Wolkenfetzen am Himmel davon, so dass die Sterne makellos zu sehen waren.
Legolas lag in einem weichen Teppich von Gras und Laub und starrte durch die wiegenden Zweige des Baumes hinauf. Er dachte an nichts und alles zugleich und fühlte sich so wie bei seinem Eintreffen im Tal. Unbelastet von Sorgen, ruhig und froh. Das Geschehen im Rat schien Äonen zurückzuliegen und fast hätte er vergessen können, dass es überhaupt geschehen war.
Alann lag mit dem Kopf an seiner Schulter und obwohl er es nicht sah, wusste er, dass sie lächelte. Ihre Finger waren ineinander verflochten, vertraut. Er hätte nie gedacht, dass so etwas geschehen könnte. Immerhin hatten sie sich fast die gesamte Reise in das tal in den blauen Bergen lang nur gestritten und angefeindet. Aber gerade das hatte eine Basis geschaffen. Jeder wusste, wie der andere war und dachte. Es hatte sie füreinander vorbereitet, für diese Nacht. In dem Moment, in dem sie in die Tiefen des alten Schlosses gefallen war, wäre er am liebsten hinterhergesprungen. Damals war er sich nicht einmal bewusst gewesen, weshalb. Nun wusste er es. Und er konnte es ihr nicht sagen.
Ihre Worte von seiner unklaren Zukunft drängten sich ihm auf. Sagte sie wirklich die Wahrheit? Vielleicht wusste sie Dinge, die sie ihm lieber verschwieg. Und gerade deswegen konnte seine Lippen nicht das formen, was sein Herz sagte, ein in hunderten Jahren erkaltetes Organ, das gerade jetzt, zum falschsten Zeitpunkt, wieder schlug. Er wollte den Verlust, den sie erleiden könnte, wenn er sich auf die Reise nach Mordor begab, nicht noch vergrößern, indem er jetzt, in diesem Moment, von Gefühlen sprach.
"Legolas?" Sie bewegte sich, richtete sich halb auf. Ihr Haar strich über seine nackte Schulter. "Deine Gedanken sind so laut, ich könnte sie fast hören."
"Es ist nichts", wiegelte er ab und zog sie wieder zu sich heran. Er legte eine Hand auf ihre Wange und fand sie eiskalt. "Frierst Du?"
"Ach", lachte sie leise, doch es klang falsch in seinen Ohren. "Nein, es ist nichts."
"Du bist eine schlechte Lügnerin."
"Ich weiß." Sie seufzte leise und fragte dann zögernd: "Ich möchte gern wissen, ob dieses hier geschehen wäre, wenn wir uns nicht an diesem Ort zu dieser Zeit wiedergetroffen hätten. Ich bin als Elronds Schülerin jetzt eine Geachtete unter den Elben, so sagte es mir Arwen einmal. Mein Blut ist praktisch von jedem Makel reingewaschen. Ist es das, was uns zusammengebracht hat? Bin ich in Deinen Augen jemand anderes?"
Legolas wusste nicht, was er antworten konnte, ohne zuviel von sich preiszugeben und ohne sie zu verletzen.
"Ich weiß es nicht", gab er letztendlich zu und spürte, wie sich ihr Körper verkrampfte. "Du bist verändert, aber es gäbe nichts an Dir, das ich verbessert gefunden hätte." Seine Hand lag noch immer auf ihrem Gesicht und er spürte unter seinen Fingerspitzen die feine Narbe. "Ich kann nicht sagen, ob unser Zusammensein richtig ist. Das überlasse ich der Zukunft, wie verschleiert sie auch immer sein kann. Deshalb kann ich Dir kein Versprechen geben, das ich nicht halten kann." Ein Tropfen fiel auf seine Hand, nur ein einziger. Und es war nicht das Wasser des Flusses.
"Ich werde Dir auch kein Versprechen geben", wiederholte Alann seine Worte und nichts in ihrer Stimme ließ erkennen, dass sie berührt war. Innerhalb weniger Sekunden war sie zu Eis erstarrt. "Vielleicht treffen wir uns noch einmal und die Welt ist wieder dieselbe wie zuvor. Und vielleicht bist Du dann auch wieder so, wie ich Dich vor zwei Jahren kennengelernt habe. Ich könnte dann nicht verlangen, dass Du Dich in den wenigen Jahren, die mir zur Verfügung stehen, wieder zu dem veränderst, was Du hier und heute bist. Die Elben hatten für den Wandel viele Epochen lang Zeit und taten es nicht. Deshalb kann ich es auch nicht von Dir fordern, denn das ist nicht Deine Art."
Legolas wusste nichts mehr zu sagen. Er hielt sie fest und wusste, dass der Moment der Ruhe, den er gerade erst gefunden hatte, vergangen war. Sie lagen noch unter der Weide, als die Sterne verblassten und dem neuen Tag Platz machten. Dann gingen sie auseinander.
Romantik-Freaks, dies war Euer Kapitel! *schnüff* Aber es ist noch nicht das Letzte, versprochen! Immerhin muss noch ein Ende her! Reviewt fleißig und ich schreibe, denn Euer Wunsch ist mir Befehl!
Eure Demetra
