### Ein dickes DANKE an alle die reviewt haben! Und weil bald Weihnachten ist, bekommt ihr hier und heute ein besonders langes Kapitel. Dies ist das letzte Kapitel der Story, aber nicht der Geschichte um unsere beiden Helden Aragorn und Legolas. Ihre Abenteuer gehen weiter und wenn ihr schön bei uns bleibt, werdet ihr noch so manches über sie erfahren.

***SweetDevil: Es tut uns leid, aber wir werden nichts verraten. Nicht mal unter der Wasserfolter würden wir ein Wörtchen von uns geben. Okay, falls Legolas oder Aragorn oder BEIDE das Verhör durchführen würden... *Autorinnen werden plötzlich ganz schwach auf den Beinen*


***Queen-of-Gondor: Yo, du hast richtig gelesen. Wir haben schon einige Ideen für Fortsetzungen. Man kann es also quasi eine Serie nennen. Die Storys sind in sich zwar abgeschlossen, doch es zieht sich immer ein rosa Faden von einer Geschichte zur nächsten. Daher haben wir Rivar erst mal nur erwähnt und Legolas Neugier geweckt. Die Hintergrundgeschichte kommt dann in der 3. Story. Erst einmal darf Aragorn sich in der 2. Story etwas austoben. Und keine Angst, Glorfindel wird auch seine Rolle in den weiteren Ereignissen spielen!


***Evala: Hey, ein Methos-Fan, der trotz der Highlander-Abstinenz im TV von dem „alten" Mann nicht loskommt! Ist ja süss und irgendwie verständlich! Kann es sein, dass es dich zu Unsterblichen hinzieht? *grins* Übrigens kennen wir das Problem – Reviews schreiben?! Die Reviews, die wir geschrieben habe, lassen sich an zehn Fingern abzählen. *ManuKu und Salara schämen sich, geloben aber Besserung*

***Dany: Du hast also alles in einem Zug durchgelesen? Schön zu hören! Und wie oben schon erwähnt: Solange unsere Musen nicht auf Weltreise gehen, schreiben wir weiter! Am 17.Dezember gehe ich [ManuKu] zur HdR-Filmnacht und sehe mir „Die Gefährten" und „Die zwei Türme" in einem Rutsch an. Danach sollte wieder genügend Input vorhanden zu sein, um die Kreativität zu beflügeln...


***Nili: Es ist immer wieder ein Spaß für uns, deine Reviews zu lesen! König Edward III. von England??? Ähä, muss ja ein niedliches Schnuckelchen sein, wenn du ihn bei dir wohnen lässt! Dein kleiner Balrog Stan ist also dafür verantwortlich, dass manche Storys nie beendet werden, weil du zu ungeduldig mit den Autor(inn)en bist und dein Haustier Rache üben lässt? Da brauchen wir uns dann ja nicht wundern...*g* Gibt es von dir irgendwann mal auch was zu lesen? Du scheinst für das Genre Humor mehr als talentiert zu sein. Schon mal ausprobiert???


Und jetzt ab mit dem letzten Kapitel auf den FF.net Server!!!

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Kreuzwege

von: ManuKu
und: Salara

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Sonnenstrahlen tanzten über den Fußboden in Aragorns Zimmer und leises Vogelgezwitscher ertönte unter dem Balkon aus dem Garten.

Aragorn, dessen Bewußtsein langsam in seinen nun schmerzfreien Körper zurückzukehren begann, rührte sich kurz, als ihn die friedvollen Geräusche seiner Umgebung plötzlich wieder an die Welt außerhalb seines Traumes erinnerten. Nur dazuliegen, die Wärme auf dem Gesicht zu spüren und dem Frieden zu lauschen, tat ihm gut und so ließ er die Lider noch geschlossen.

Wie lange er sich so treiben ließ, vermochte er nicht zu sagen, doch irgendwann begannen sich andere Laute unter das Zwitschern zu mischen. Er war nicht allein im Zimmer, und als Aragorn sich konzentrierte, vermochte er sogar leise, regelmäßige Atemzüge auszumachen.

Jemand war in seiner Nähe!

Vorsichtig, um die Pein nicht erneut zu entfachen, hob er die Lider und blinzelte in das durch die Balkonfront fallende Licht, bis sich seine Augen endlich an die Helligkeit gewöhnt hatten.

Er konnte wieder sehen, lag in seinem Bett in seinem Zimmer und damit auch im Schloß von Bruchtal! Das Erstaunen über diese neuerliche Entwicklung setzte erst einen Augenblick später ein.

'Wie komme ich nach Bruchtal?'

Noch während er angestrengt versuchte, aus den Bruchstücken seiner Erinnerung eine Antwort auf seine Frage zu finden, fielen ihm die Atemzüge wieder ein, die ihn noch Momente zuvor aus dem Nichts geholt hatten. Langsam und bedächtig drehte er den Kopf und ließ seinen Blick durch den Raum wandern, der schließlich auf einem dicht neben seinem Bett stehenden Sessel hängenblieb. Aragorn musste ein zweites Mal hinsehen, bis er glaubte, was seine Augen ihm zeigten.

In dem Sessel erblickte er die Gestalt seines Ziehvaters. Der Kopf des Elbenfürsten war leicht nach vorn auf die Brust gesunken und der abwesende Blick der halboffenen Augen verriet Aragorn, dass Elrond schlief.

Fassungslos über den für ihn ungewohnten Anblick schüttelte er den Kopf – und bedauerte es sofort, als sich unvermittelt stechende Schmerzen durch sein Hirn bohrten. Ohne, dass er es verhindern konnte, stöhnte er leise auf. Erschrocken wanderte sein Blick zu Elrond zurück, doch der schlief noch immer.

'Wie erschöpft du sein musst, Vater...'

So etwas wie Schuldbewußtsein mischte sich unter seine Gedanken.

'Es ist meine Schuld, dass du dich so verausgaben musstest. Hätte ich nicht so übereilt reagiert... Genauso ist es auch meine Schuld, dass Legolas den Zwergen erneut in die Hände fiel. Ich hätte ihn gleich hierher bringen sollen, dann wäre das alles gar nicht erst geschehen...'

In seinem Kopf begann sich erneut das Karussell aus Gedanken, Erinnerungen und Gefühlen zu drehen, und ohne, dass er etwas dagegen unternehmen konnte, fühlte Aragorn, wie Übelkeit in ihm empor kroch. Plötzlich war das zuvor noch freudig aufgenommene Sonnenlicht viel zu hell für seine Augen und drohte ihn zu blenden.

Er presste die Lider zusammen und drehte das Gesicht so weit wie möglich zur Seite, um das Licht auszuschalten, doch die neuerliche Bewegung ließ den Schmerz in seinem Schädel mit erbitterter Heftigkeit wieder aufflammen. Zudem spürte er, wie Übelkeit ihn zu befallen drohte. Aragorn stöhnte ein zweites Mal – diesmal laut genug, um bis zu Elrond durchzudringen.

Der Elbenfürst erwachte übergangslos und richtete sich mit einem Ruck in seinem Sessel auf. Sein Blick glitt sofort zur Gestalt seines jüngsten Sohnes, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht hin und her wand.

„Ruhig, ganz ruhig."

In einer einzigen, fließenden Bewegung erhob er sich aus dem Sessel und ging zu einem nahebei stehenden Schränkchen hinüber, auf dem eine kleine, kunstvoll verzierte Holzschatulle stand. Er nahm eine Phiole heraus, die mit einer klaren, gelblichen Flüssigkeit gefüllt war, öffnete sie, kehrte an Aragorns Bett zurück und setzte sich zu ihm. Mit unendlicher Vorsicht schob er einen Arm unter dessen Kopf und hob ihn sanft an.

„Hier. Trink das."

Er hob die Phiole an Aragorns Lippen und ließ ihn den Inhalt vorsichtig trinken. Als das Glasfläschchen leer war, stellte er es zur Seite und bettete den Kopf seines Sohnes sorgsam wieder auf das Kissen zurück.

Aragorn hielt die Augen geschlossen. Seine Züge waren bleich und spiegelten den Kampf wider, der in seinem Schädel geführt wurde. Es schnürte Elrond das Herz ab, seinen jüngsten Sohn so leiden sehen zu müssen, und unendlich sanft nahm er Aragorns unruhig umhertastende Hand in die seine.

„Es wird gleich besser. Ich verspreche es dir," sagte er ruhig, um die überreizten Sinne des Menschen durch zu große Lautstärke nicht noch weiter zu strapazieren.

Aragorn hatte ihn dennoch vernommen und er hoffte, dass sein Vater recht hatte. Nach ein paar Minuten beruhigten sich seine Bewegungen endlich. Schließlich öffneten sich seine Augen und Aragorns umwölkter Blick glitt zu Elrond.

„Vater, ich..."

„Nicht." Ohne die Hand seines Sohnes loszulassen, strich er ihm langsam über die fiebrig-heiße Stirn. „Sprich nicht. Schone deine Kräfte. Wir haben später noch Zeit, über alles zu sprechen."

„Ich kann nicht." Die Unruhe, die Aragorns Gedanken bewegte, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. „Ich muß wissen..."

Elrond erriet, was sein jüngster Sohn von ihm wissen wollte.

„Ganz ruhig. Legolas ist hier bei uns in Bruchtal. Elrohir und die anderen haben ihn gefunden. Er liegt im Gästezimmer ein paar Räume weiter und ruht sich aus, und das solltest du jetzt auch tun."

Aragorn entspannte sich endlich und nach einigen Augenblicken war er sogar in der Lage, das Karussell seiner Gedanken endlich zum Stillstand zu bringen.

Elrond sah an den nun wieder friedlich erscheinenden Zügen seines Sohnes, dass er genau das Richtige gesagt hatte. Ein Lächeln glitt über sein Antlitz. „Gut so. Schlaf wieder ein."

„Ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt, ihn noch einmal wiederzusehen," hörte er Aragorn nach einer Pause leise sagen und fühlte sich unvermittelt in der Zeit zurückversetzt, als er sich daran erinnerte, dass Legolas zuvor genau dieselben Worte wie Aragorn gebraucht hatte.

„Du wirst ihn wiedersehen," sagte der Elbe und fuhr damit fort, seinem Sohn beruhigend über die Stirn zu streichen. „wenn ihr zwei euch genügend erholt habt, um eure Betten verlassen zu können. Bis dahin wache ich über euch beide. Und nun schlaf. Schlaf wieder ein..."

Er ließ seine Stimme jenen Klang annehmen, von dem er wußte, dass sich ihrer Wirkung kaum jemand widersetzen konnte, und registrierte nach wenigen Momenten, dass Aragorn friedlich eingeschlafen war. Vorsichtig legte er die Hand des jungen Mannes auf die Bettdecke zurück.

Im ersten Moment wollte er in den Sessel zurückkehren, doch dann besann er sich eines Besseren. Estel würde nun mindestens zwölf weitere Stunden ruhig und schmerzfrei schlafen, Zeit genug, dass auch er endlich zur Ruhe kommen konnte. Sein erschöpfter Körper und der mindestens ebenso erschöpfte Geist verlangten nach den durchwachten Nächten dringend nach erholsamem Schlaf. Elrond wußte, dass er sich nicht mehr viel länger auf den Beinen halten konnte. Er war entschlossen, Elladan zu bitten, in den nächsten Stunden auf die beiden Verletzten acht zu geben. Ein bequemes Bett versprach mehr Entspannung als der Sessel. Ein letztes Mal betrachtete er den nun friedlich schlafenden Aragorn, dann ging er zur Tür und verließ das Zimmer.

***

Elladan saß nun schon seit einigen Stunden am Bett seines menschlichen Bruders. Die schmerzverzerrten Züge, die er die ganze Zeit auf dem Rückweg vor Augen gehabt hatte und die selbst von der Ohnmacht nicht verändert worden waren, hatten nun einen friedlichen Ausdruck angenommen. Elladan betrachtete das leichte Lächeln, das auf Estels Gesicht lag und fühlte plötzlich einen inneren Frieden, den er seit Tagen vermisst hatte. Sein kleiner Bruder war wieder sicher.

Zum wiederholten Male fragte er sich im Stillen, warum Estel Bruchtal verlassen hatte. Der Elbe war immer stolz darauf gewesen, dass Estel mit Problemen zu ihm gekommen war. Warum nicht auch dieses Mal? Er würde ihn fragen, wenn er aufwachte.

Als wäre das ein gedankliches Stichwort gewesen, rührte sich der Mensch plötzlich in seinem Bett und Elladan stand auf, um näher zu treten. Er beugte sich über Estel und strich ihm beruhigend übers Haar.

„Willkommen zurück, kleiner Bruder," sagte er leise und lächelte.

Aragorn schlug die Augen auf. Er fühlte sich noch ausgeruhter als bei seinem ersten Erwachen. Seine Schulter nahm jede Bewegung fast ohne Proteste hin und sein Kopf fühlte sich auch nicht mehr an, als wäre er mit spitzen Felssteinen gefüllt.

„Es wird langsam Zeit, dass du deinen Schönheitsschlaf beendest! Schlafen Menschen eigentlich immer so viel?" spottete der Elbe.

„Keine Ahnung, aber ich kenne einen Elben, der regelmäßig zu spät zum Frühstück erscheint," murmelte Aragorn und erwiderte das Lächeln seines Bruders.

Elladan lachte laut auf. „Der Punkt geht an dich!"

Er half Aragorn, sich aufzurichten und schob ihm dann ein paar Kissen in den Rücken.

„Ich werde Vater wecken gehen." Elladan richtete sich auf und wollte zur Tür gehen, doch Aragorn vereitelte seine Absicht, indem er ihn am Arm festhielt.

„Nein, lass ihn noch schlafen. Ich kann mir vorstellen, dass er sehr erschöpft sein muss. Heilen kostet ihn immer viel Kraft."

Elladan zögerte, doch er sah, dass es Aragorn gut ging und die Anwesenheit seines Vaters nicht unbedingt nötig war. Er setzte sich auf die Bettkante und musterte seinen Bruder. Sollte er ihn nun nach dem Grund für seinen Weggang fragen?

Einen Augenblick lang ruhte sein nachdenklicher Blick auf Aragorn, dann entschloß er sich, ihm zumindest eine Brücke zu bauen. Wenn Estel dann immer noch nicht über seine Gründe reden wollte, konnte er es wohl nicht ändern.

„Wir alle haben uns Sorgen um dich gemacht, als du plötzlich fort warst."

Er zögerte, doch Aragorn ließ durch nichts erkennen, dass er gewillt war, die indirekte Frage seines Bruders zu beantworten. Elladan seufzte innerlich und gestand sich ein, dass es weh tat, zum ersten Mal auf eine gewisse Art und Weise von Estels Gedanken ausgeschlossen worden zu sein. Er hoffte, dass das von nun an nicht immer so sein würde.

„Ich bin froh, dass du wieder bei uns bist, Estel," sagte der Elbe schließlich, gab sich einen Ruck und umarmte den Menschen vorsichtig.

Aragorn ließ es überrascht geschehen und versuchte ein Lächeln zu unterdrücken. Elladan zählte nicht zu den Elben, die ihre Zuneigung über Berührungen zeigten, und die Besorgnis, die aus dieser Geste sprach, rührte ihn zutiefst an. Elladan hatte ihm bisher lieber mit Worten oder kleinen Neckereien seine Gefühle gezeigt. Es musste wirklich schlecht um ihn gestanden haben, wenn sein elbischer Bruder sich ihm derart öffnete.

„Ich bin auch froh. Aber jetzt hilf mir bitte aus diesem Bett," antwortete Aragorn.

„Bitte?" Elladan löste die Umarmung und sah ihn verständnislos an.

„Hilf mir aus diesem Bett," wiederholte er und unternahm zu Elladans Erstaunen ernsthaft Anstalten, aufzustehen. „Und gib mir einen Mantel zum überziehen. Ich möchte Legolas sehen."

Mit etwas Mühe schwang Aragorn, ohne abzuwarten, die Beine über die Bettkante und versuchte aufzustehen. Elladan war aufgesprungen und stand nun mit verschränkten Armen vor ihm. Doch er begriff schnell, dass diese Pose der Weigerung Aragorn nicht davon abhalten konnte, sich auch ohne seine Hilfe in die Höhe zu stemmen.

Als Elladan sah, dass er Aragorn nicht von seinem Vorhaben abbringen konnte, blieb ihm nichts weiter übrig, als zuzugreifen und Aragorn zu stützen, um ihn so vor einem Sturz zu bewahren.

„Du bist viel zu stur, Estel," knurrte der Elbe gerade noch verständlich.

„Ich weiß." Aragorn grinste seinen Bruder entwaffnend an.

***

Die Tür zu Legolas Zimmer öffnete sich geräuschlos und Aragorn, auf Elladan gestützt, trat leise ein. Als er schließlich am Bett stand und Legolas mit geschlossenen Augen daliegen sah, hielt er den Atem an und lehnte sich schwer gegen seinen Bruder.

„Elladan. Seine Augen..."

„Keine Angst. Um die Wirkung des Heilschlafs bei Elben zu beschleunigen, müssen alle Reize ausgeschaltet werden. Legolas lebt."

Aragorn atmete auf. Legolas lebt!

Er sah es jetzt mit eigenen Augen. Die Brust des Elben hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen. Legolas' silbernes Haar war sauber und gekämmt und sein Gesicht gewaschen. Er sah so völlig anders aus ... so jung.

Aragorn löste sich von seinem Bruder und machte einen Schritt auf Legolas' Bett zu. „Schlaf, mein Freund. Ich werde da sein, wenn du erwachst!"

Elladan hatte die gemurmelten Worte des jungen Menschen mühelos verstanden und sah sich, wie in einer Geste der Kapitulation, widerstrebend nach einem Sessel um.

***

Es waren drei Tage vergangen, seit Aragorn erwacht war, und er hatte seither die meiste Zeit in Legolas' Zimmer verbracht. Der Elbenprinz schlief noch immer, doch Elrond hatte seinem Sohn versichert, dass es nicht mehr lange so sein würde.

Und so wartete Aragorn auch heute wieder darauf, dass sein Freund endlich die Augen öffnete. Er hatte inzwischen seine Kräfte wiedergewonnen, konnte sich ohne fremde Hilfe bewegen und seine Schulter war fast geheilt. Körperlich war er auf dem besten Weg, sich vollständig zu erholen.

Doch seine Gedanken drehten sich immer noch um den Grund seiner Flucht aus Bruchtal. Er hatte es bis zu diesem Tag vermeiden können, mit seinem Ziehvater darüber zu sprechen und dieser hatte sein Schweigen bisher akzeptiert. Doch Aragorn war sich darüber im Klaren, dass es nicht ewig so weitergehen konnte. Er musste mit Elrond über das Vorgefallene sprechen – dieser hatte sowohl das Recht, alles zu erfahren, wie auch die Pflicht, ihm seine Worte zu erklären.

An diesem Punkt seiner Überlegung angekommen, begriff er, dass er sich in den wenigen Tagen, die seit seiner überstürzten Flucht vergangen waren, verändert hatte.

Verwundert über diese Erkenntnis, lehnte er sich in den Sessel zurück, den er sich – ähnlich wie Elrond zuvor in seinem Zimmer – dicht an das Bett des Freundes gezogen hatte. Sein Blick wanderte geistesabwesend zu den im Kamin flackernden Flammen, die tanzende Schatten in das abendliche Dunkel des Zimmers warfen.

Wie war es möglich, dass sich seine Ansichten in so kurzer Zeit so grundlegend wandeln konnten? Waren es tatsächlich die Erlebnisse der zurückliegenden Tage?

Seine Erinnerungen an die Vorfälle waren inzwischen wieder vollständig. Ein wenig wurden sie von dem Wissen gemildert, dass alles vorbei war und sowohl Legolas wie auch er selbst es – wenn auch unter Aufbietung aller Kräfte Bruchtals – geschafft hatten, sie lebend zu überstehen. Dennoch blieb die Frage, was daran einen solchen Einfluß auf ihn gehabt hatte, dass er sich – anders als noch vor ein paar Tagen – imstande sah, etwas Unangenehmes im direkten Gespräch zu klären?

Er sah zum schlafenden Legolas zurück...

...und fand in diesem Augenblick seine Antwort!

Es war die Sorge um einen anderen als sich selbst, die ihn verändert hatte!

Selbst die fast nie verstummende Stimme seines Gewissens schwieg für einige Augenblicke angesichts der Tragweite seiner Feststellung, dann hatte Aragorn sich wieder soweit gefangen, dass er sich ein verlegenes Lächeln gestattete.

'Wie kindisch ich reagiert habe. Und doch...' Er betrachtete seinen Freund, dann verlor sich sein Blick erneut für eine Weile in den Flammen des Kaminfeuers. Dass er schließlich den Kopf schüttelte, fiel Aragorn nicht einmal auf. 'Ohne diese Reaktion wären wir uns nie begegnet.'

„Aragorn?"

Legolas' leise, ungläubig klingende Stimme riß ihn schließlich aus seinen Gedanken. Überrascht und mit dem Anflug eines Lächelns auf seinen Zügen sah er zu dem Elben hinüber, der ihn zwar noch leicht benommen, aber unübersehbar erstaunt musterte.

„Bist du endlich erwacht..." Die Erleichterung, die sein Herz streifte, klang auch in Aragorns Stimme mit, als er sich aus dem Sessel erhob und an das Bett trat. „Ich hatte schon geglaubt, dich in den See werfen zu müssen, um dich zu wecken," witzelte er halbherzig, ehe sein Gesicht wieder ernst wurde. „Es beruhigt mich, dich wieder wohlauf zu sehen."

Legolas hatte die letzten Worte genau verstanden, obwohl Aragorn sie schließlich nur noch geflüstert hatte. Wie jener spürte auch der Elbe, dass dieser Augenblick etwas ganz Besonderes war. Er schluckte.

„Dass du an meiner Seite sitzen würdest, wenn ich erwache, hätte ich noch vor kurzem niemals erwartet..." Ein Leuchten, das aus dem tiefsten Grunde seiner Seele zu kommen schien, überzog Legolas' Miene und mit schlaftrunkenen Bewegungen fuhr sich der Elbe über die Augen, ehe er versuchte, sich in eine sitzende Position aufzurichten. „Wieviel Zeit ist inzwischen eigentlich vergangen?

Aragorn antwortete zunächst nicht, sondern half seinem Freund, sich aufzurichten. Dann erst sah er ihn an. „Drei Tage sind seit meinem Erwachen vergangen."

„Drei Tage?" Legolas wirkte zunächst erstaunt, doch gleich darauf wurde dieser Ausdruck von Bestürzung abgelöst. „Mein Vater wird inzwischen vor Sorge fast vergehen..."

Er verstummte, als er sah, dass Aragorn den Kopf schüttelte.

„Du kannst ganz beruhigt sein. Dein Vater wurde zwischenzeitlich von Boten über dein Wohlergehen unterrichtet."

Legolas atmete auf und nickte erleichtert, während sein Blick über die fast verheilten Verletzungen zu seinem gebrochenen Fuß hinabglitt. Mit äußerster Behutsamkeit versuchte er ihn zu bewegen und war angenehm überrascht, als die Schmerzen sich in Grenzen hielten.

„Lord Elronds Heilkünste sind beeindruckend," stellte er dann fest. „So gut und so schnell hätten die Heiler meines Vaters es wohl nicht geschafft."

Er sah zu Aragorn auf, der das Geschehen schweigend verfolgt hatte.

„Auch deine Wunden scheinen gut zu heilen," bemerkte der Elbe, während sein Blick die Schulter des Menschen streifte. „Hätte ich die Verwundungen nicht selbst gesehen..." Er zögerte und ein Schatten zog über sein Gesicht. „Ich befürchtete, dass ich sie für den Rest meines Lebens nachts in Alpträumen sehen würde," gab er schließlich leise zu, Aragorns Blick meidend.

Der nickte schwach, setzte sich zu seinem Freund ans Bett und senkte seinerseits den Blick auf seine Hände. „So, wie ich den verzweifelten Klang deiner Stimme nie vergessen hätte."

Die Offenheit, mit der er dieses Geständnis machte, überraschte ihn nicht einmal. Sie war ehrlich, und diese Ehrlichkeit war wie Balsam auf seiner Seele. Endlich sah Aragorn auf. Er suchte Legolas' Blick. „Es tut mir leid, dich nicht sofort nach Bruchtal gebracht zu haben. Damals passte deine Bitte zwar in meine Empfindungen, dennoch hätte ich überlegter handeln müssen. Mein Verhalten brachte dich in Gefahr..."

„Nicht." Legolas' schmale Hand berührte Aragorns Arm und brachte den Menschen schlagartig zum Verstummen.

„Wir haben beide Dinge getan, die durchaus auch klüger hätten getan werden können. Ich wahrscheinlich mehr als du, glaub mir. Wie dem auch sei: was geschehen ist, ist geschehen und zudem gewannen wir dadurch auch etwas Wichtiges dazu."

Irritiert runzelte Aragorn die Stirn. Was meinte Legolas? Dann begriff er plötzlich und lächelte – ein breites, bestätigendes Lächeln. „Eine Freundschaft..."

Der Elbenprinz nickte. „Das Schicksal hat uns zu Freunden gemacht, die einander sehr wichtig sind. Und das allein ist Grund genug für mich, nichts von dem, was war, zu bedauern."

„Du hast Recht." Er legte seine sehnige Hand kurz auf Legolas' Schulter, wie um seine Worte zu bekräftigen, dann streifte sein nachdenklicher Blick den Elben. „Und ich bin sehr froh, dir das sagen zu können. Was mich gleich zur nächsten Frage kommen läßt. Bisher hat mir noch niemand erzählt, auf welchem Wege du gerettet werden konntest. Elrohir erzählte nur, dass sein Suchtrupp dir auf der Alten Waldstraße begegnet ist."

„Das ist eine seltsame Geschichte." Legolas wandte den Kopf ab und sah zur offenen Fensterfront hinüber, hinter der die abendliche Dunkelheit von kühlem Wind und herbstschweren Düften erfüllt war.

„Es tut mir leid. Ich will nicht neugierig sein..." Verlegenheit schimmerte im Blick Aragorns.

„Nein, ganz und gar nicht." Beruhigend winkte Legolas ab und konzentrierte sich wieder auf seinen Freund. „Nur ... eigenartig eben."

Er sammelte kurz seine Gedanken und begann Aragorn dann die Erlebnisse so zu schildern, wie er sie in Erinnerung behalten hatte.

„...doch als ich ihm danken wollte, war Rivar schon wieder davon geritten," schloß der Elbe seine Erzählung schließlich.

„Das alles ist ein wirklich eigentümliches Verhalten." Aragorn hatte sich die Worte seines Freundes durch den Kopf gehen lassen. „Aber wer weiß: vielleicht hat dieser Rivar einen Verlust erlitten, den er nie verwunden hat? Menschen suchen in solchen Fällen oft die Einsamkeit, um mit ihren Gefühlen der Trauer und des Zorns fertig zu werden."

„Ja, vielleicht." Legolas' Stimme war ruhig. Nichts an seinem Verhalten ließ die Spannung erahnen, die den Elben im Griff hielt, als er mit den nächsten Worten auf Aragorns persönlichen Konflikt einging.  „Manchmal reagieren sie aber auch anders, wie ich jetzt weiß."

Zuerst wollte dieser ratlos nach dem Sinn der letzten Bemerkung fragen, doch schon im nächsten Augenblick begriff er, was Legolas meinte. Es schien, als hätte dieser, nun da er erwacht war, den Faden von Aragorns Gedanken aufgenommen.

„Stimmt. Manchmal reagieren sie auch, indem sie vor einfach davonlaufen." Er ließ den Kopf hängen. „Ich weiß, du meinst das Gespräch, das ich zufällig mitangehört habe."

Legolas nickte stumm und wartete geduldig.

„Kurz, bevor du erwachtest, ist mir klargeworden, dass ich es schon viel zu lange vor mir her geschoben habe, mit Vater darüber zu reden. Ich denke, es ist an der Zeit dafür."

Aragorn stand auf, und plötzlich bekam der Moment etwas Feierliches.

Legolas sah zu seinem Freund auf. „Dann laß deinen Vater nicht länger warten."

Unschlüssig verharrte Aragorn noch einen Moment an Legolas' Seite, doch als er die stumme Ermutigung in den blauen Augen des Elben erblickte, wußte er, dass es für ihn hier in Moment nichts mehr zu tun gab. Legolas und er hatten miteinander geredet und in ein paar Tagen würden den Prinz von Düsterwald nur noch Erinnerungen an die zurückliegenden Ereignisse gemahnen. Damit das auch bei ihm der Fall sein konnte, musste Aragorn endlich mit Elrond reden.

Ohne sich noch einmal umzudrehen verließ er Legolas' Zimmer.

***

Der Herr von Bruchtal hatte sich, zum ersten Mal seit dem Beginn dieser unseligen Ereignisse, in die Stille der Gärten zurückgezogen. Doch die Ruhe, die die nächtliche Harmonie atmete, wollte sein aufgewühltes Herz nicht erreichen. Estel mied das direkte Gespräch mit ihm, seit er erwacht war.

Müde setzte er sich auf eine der Bänke, die unter den Bäumen standen. Er legte den Kopf in den Nacken. Durch die sacht schwingenden Zweige der Baumkrone sah er den Mond und einige Sterne, die noch nicht durch die heraufziehenden Wolken verborgen wurden.

Die Luft roch feucht und nach Baumharz. Es würde bald Regen geben, ahnte Lord Elrond und seufzte leise. Er wollte gerade aufstehen, um sich wieder in seine Gemächer zurückzuziehen, als er leise Schritte vernahm, die sich ihm näherten. Anhand der charakteristischen Gangart wusste er, dass es Aragorn war, der auf ihn zukam. Er blieb sitzen und wartete.

***

Aragorn ging langsam auf seinen Vater zu. In Gedanken war er das vor ihm liegende Gespräch immer und immer wieder durchgegangen, doch er wusste trotzdem nicht, wie er beginnen sollte. Er wollte Elrond mit seinen Worten nicht verletzen oder ihm das Gefühl geben, undankbar zu sein für das, was die Elben und besonders er für ihn getan hatte.

Elrond war der einzige Vater, den er je gehabt hatte. Aragorn war damals noch zu jung gewesen, um sich heute an seinen richtigen Vater zu erinnern. Lord Elrond hatte alle Pflichten eines Vaters bereitwillig auf sich genommen. Er hatte versucht, ihm seine Angst zu nehmen, wenn er nachts allein in seinem Zimmer saß und die vielen fremden Eindrücke des Tages noch nicht verarbeiten konnte. Elrond war es auch, der ihm gezeigt hatte, wie man reitet, einen Bogen spannt oder das Schwert führt. Später hatten Waffenmeister ihn weiter unterrichtet, da sein Vater andere Verpflichtungen hatte. Doch die Grundlagen hatte er ihm beigebracht. Elrond war, im Gegensatz zu so manch anderem Elben, sehr geduldig mit ihm gewesen und daran erinnerte Aragorn sich noch bis heute.

Aragorn kam seine Flucht aus Bruchtal jetzt plötzlich ziemlich albern vor. Er hätte seinen Vater sofort zur Rede stellen müssen, um herauszufinden, wie er das, was er gesagt hatte,  meinte. Vielleicht hatte er während seiner Kindheit zu wenig Selbstbewusstsein aufgebaut, um sich stark genug in der Rolle eines Menschen allein unter Elben zu fühlen. Doch das hatte sich jetzt geändert. Er war in den vergangenen Tagen zu einem Entschluss gekommen. Das hatte er vor allem seiner Begegnung mit Legolas zu verdanken. Er war nun ein Mann und es wurde Zeit, dass er seine eigenen Entscheidungen traf. Bei diesem Gedanken straffte sich seine Gestalt ein wenig mehr und er trat seinem Vater gegenüber, der ihm schon erwartungsvoll entgegensah.

„Estel, es ist schön, dich wieder so kraftvoll und gesund zu sehen," begrüßte ihn Elrond und stand auf.

„Das habe ich allein dir zu verdanken, Vater," erwiderte Aragorn und verneigte sich vor ihm. Im letzten Wort klang all die Wärme, Dankbarkeit und Bewunderung wieder, die der Mensch für seinen elbischen Ziehvater empfand.

„Laß uns ein wenig spazieren gehen, mein Sohn. Es redet sich besser und leichter, wenn wir nicht an einer Stelle verharren," bat Lord Elrond und wandte sich zum Gehen.

Aragorn trat an seine Seite und passte seinen Schritt dem des hochgewachsenen Elben an. Sie gingen eine Weile schweigend. Keiner wusste, wie er das Gespräch beginnen sollte. Dann gab Aragorn sich einen Ruck. Es war schon irgendwie verwunderlich, dass dieses Gespräch ausgerechnet dort stattfand, wo im Grunde alles begonnen hatte – in den Gärten Bruchtals.

„Ich weiß um mein Schicksal..." Seine Stimme stockte und er warf einen kurzen Seitenblick auf seinen Vater. Dieser zeigte sich nicht überrascht. Sein Gesichtsausdruck war traurig und es schien, als hätte er längst gewusst, wodurch es zu Aragorns Flucht gekommen war.

„Ich weiß, was ich bin! Ich bin Isildurs Erbe und zukünftiger König von Gondor!"

Elrond hörte die Akzeptanz in Estels Worten. Gleichzeitig hörte er jedoch auch den gequälten Unterton, der ihm sagte, wie ungern Aragorn dieses Schicksal annehmen würde. Und da war noch etwas – eine Entschlossenheit, die der Elbe bei dem jungen Menschen noch nie zuvor gehört hatte.

„Und ich weiß, wer du bist. Du bist Aragorn, von den Elben Estel genannt und von Geburt an dazu bestimmt, die Hoffnung der Menschen in einem zukünftigen dunklen Zeitalter zu tragen. Du bist dazu bestimmt, etwas zu bewirken, eine Veränderung herbeizuführen. Es gibt Elben, die Jahrtausende leben und die doch nicht die Fähigkeiten besitzen, die es dir später gestatten werden, das Schicksal von Mittelerde zu wandeln. Du bist etwas Besonderes, mein Sohn. Zweifle nie daran!"

Elrond war stehen geblieben, um seinem Sohn in die Augen zu sehen. Er wollte sehen, ob seine Worte etwas in dem jungen Mann bewirkten.

„Du hältst so viel von mir! Woher nimmst du die Gewissheit, dass ich nicht ebenso versage wie Isildur?" Dies war die Frage, die Aragorn sehr am Herzen lag. Er selbst wusste, dass er seinen Weg gewählt hatte und mit seinem Schicksal zurechtkommen musste. Doch er wollte nicht, dass etwas zwischen seinem Vater und ihm stand. Er musste die Worte von damals wiederholen. „Ich bin doch auch bloß ein Mensch!"

Elrond blieb stehen. Er erkannte plötzlich, wie verletzt sich Aragorn durch die Worte, die er damals Glorfindel gegenüber benutzt hatte, gefühlt haben musste. Worte, die aus seinem damaligen inneren Konflikt entstanden waren. Er wandte sich Aragorn zu.

„Ja, Du bist ein Mensch. Du bist ein Mensch mit Schwächen und Unvollkommenheiten. Doch das unterscheidet Dich nicht von den Elben. Denn auch wir sind nicht perfekt. Wir erwecken vielleicht den Anschein es zu sein, doch wir sind es nicht. Ich bin es nicht!"

Aragorn schwieg, erstarrt vor den Gefühlen, die Elrond ihm offenbarte. Seine stahlblauen  Augen suchten den Blick seines Vaters, und als Elrond diesen Kontakt schließlich zuließ, erblickte Aragorn dort unvermittelt einen tiefsitzenden Schmerz, der nun an die Oberfläche stieg.

„Ich war dort, vor über 2000 Jahren, als Isildur den Einen Ring an sich nahm. Ich führte ihn in das Herz des Schicksalsberges, wo die Feuer die Macht besaßen, den Ring zu vernichten. Ich ließ es zu, dass Isildur sich abwandte und den Ring zu seinem Eigentum machte. Ich ließ es zu, dass das Schicksal Mittelerdes ungewiss wurde. Wie oft schon habe ich mir insgeheim gewünscht, ihn mitsamt dieses unheilvollen Ringes in die Feuer des Schicksalsberges geworfen zu haben. Es war nicht nur Isildurs Schwäche... Es war vor allem die Meine, mein Sohn."

Elrond verstummte, atmete tief durch und sammelte seine Gedanken. Es ging hier nicht um seine Vergangenheit, sondern um die Zukunft von Aragorn.

„Es waren mein innerer Konflikt und meine damaligen Taten, die mich Worte sagen ließen, die dir gegenüber weder gerecht noch zutreffend sind."

Der Elbe trat dicht an Aragorn heran, nahm dessen Gesicht in seine Hände und hielt es fest. Er zwang ihn so, ihn anzusehen und die Wahrheit der folgenden Worte auch in seinem Blick zu finden.

„Ich habe Isildur in die Augen gesehen und dabei nichts empfunden. Er war innerlich kalt, getrieben von Macht und dem Wunsch zu herrschen. Wenn ich dir in die Augen sehe, finde ich Wärme, Treue, Aufopferung, Liebe, Vertrauen und Hoffnung. Estel, du bist stark. Du bist unter Elben aufgewachsen und vereinst in dir all die Tugenden, die einen Elben ausmachen. Du bist kein Elbe. Das ist wahr. Doch du bist auch kein einfacher Mensch. Ich sehe von beidem das Beste in dir vereint und weiß, du wirst es eines Tages dazu benutzen, sowohl uns Elben als auch die Welt der Menschen zu beschützen."

Er sah, dass sich noch immer leise Zweifel in seinem Sohn regten, und so setzte er hinzu: „Halt' meine Worte nicht für belanglosen Trost. Schneller, als mir lieb ist, wirst du ihr Gewicht auf deinen Schultern spüren, glaub mir. Dir bleibt nur noch so wenig Zeit, die Unbeschwertheit zu genießen, die mein Herz dir für dein ganzes Leben gewünscht hätte..."

Elrond verstummte. Die Emotionen, die seine Worte in ihm aufgewühlt hatten, raubten ihm die Kraft, weiterzusprechen.

Doch es war auch nicht nötig.

Aragorn hatte seinen Ziehvater noch nie zuvor so bewegt gesehen und er bezweifelte, dass der Elbenfürst sich noch einmal jemandem so öffnen würde, wie er es gerade ihm gegenüber getan hatte. Die Ehrlichkeit, die im Geständnis des Elben lag, berührte ihn zutiefst, war sie doch das stumme Eingeständnis, dass ebenso wie die Menschen auch die Elben von Emotionen getrieben wurden. Sie waren nicht die ätherischen unverletzbaren Wesen, als die er sie bislang stets angesehen hatte. Sie waren wie er und auf eine gewisse Art und Weise ebenso fehlbar.

Es gab keine Worte, die er seinem Vater hätte erwidern können, daher neigte er einfach seinen Kopf vor, bis seine Stirn die seines Vaters berührte und ergriff dessen Hände, die immer noch an seinem Kopf lagen.

In diesem Augenblick spürte Elrond, wie ein Grossteil der Last, die bisher auf seinen Gedanken gelegen hatte, von ihm wich. Eine neue Etappe ihres gemeinsamen Weges hatte gerade begonnen – nicht nur für Estel, auch für ihn. Sein menschlicher, jüngster Sohn war erwachsen geworden.

Sekundenlang hielten sie den Kontakt, dann trat Aragorn zurück. Fast bedauerte er, seinem Vater den gerade gefundenen Seelenfrieden wieder nehmen zu wollen.

„Komm, laß uns noch ein Stück gehen," bat er den Elben. „Es gibt da noch etwas, das ich dir sagen muß."

Der Ausdruck der Erleichterung, der sich über Elronds Züge gelegt hatte, war augenblicklich wie fortgewischt. Nach einigen Momenten des Zögerns nickte er schließlich wortlos und setzte sich zusammen mit Aragorn in Bewegung.

Dieser schwieg eine Weile und lauschte dem Tosen der Wasser des Bruinen, die in einiger Nähe über die felsige Klippe stürzten, dann holte er tief Luft und warf Elrond einen Seitenblick zu.

„Die Ereignisse der letzten Tage haben mir deutlich gemacht, dass es noch viele Lücken in meinem Wissen gibt."

Elrond lauschte Aragorns Worten. Er hatte eine unbestimmte Ahnung, in welche Richtung die Ausführungen seines Sohnes führen würden.

„Ehe ich das Erbe antrete, das mir meine Geburt auferlegt hat, werde ich damit beginnen, mir alle Aspekte des Lebens von Menschen und Elben zu eigen zu machen. Ich will lernen, wie man sich in jeder Umgebung unter den schlechtesten denkbaren Bedingungen zurechtfindet, will lernen, mich zu verbergen, als sei ich Teil der Natur, und es schaffen, mich ohne jede Hilfe anderer selbst durch die feindlichste Umgebung zu bewegen. Ich kann kämpfen, das ist wahr, aber..."

Er sah seinen Vater an und blieb erneut stehen. 

„Ohne dein Eingreifen läge ich jetzt vermutlich tot in irgendeiner verlassenen Ecke des Waldes und Legolas würde in einer Zwergenhöhle langsam den Verstand verlieren. Versteh mich nicht falsch, Vater. Ich bin dir unendlich dankbar, aber ich muß lernen, allein zurechtzukommen, wenn deine Hilfe einmal nicht mehr verfügbar ist. Ich will das Gefühl bekommen, dass es keine Last ist, Verantwortung für andere zu tragen, sondern dass es etwas Machbares ist. Du und Glorfindel und die anderen... Ihr lebt es mir vor, jeden Tag, seit hier mein Zuhause ist. Ich will nun nicht mehr länger darauf vertrauen, dass ihr mir im Ernstfall helfen werdet. Täte ich das, würde ich zu einem schlechten König werden. Nein, ich will selbst dazu in der Lage sein. Ab sofort werde ich lernen, was man wissen muß, um zu einem Waldläufer zu werden. Erst, wenn ich in der Lage bin, aus eigenen Kräften und nur mit den Mitteln meiner Umgebung zu überleben, kann ich auch ein Volk verantwortungsvoll regieren. Das soll heißen..."

Aragorn holte tief Luft und sammelte seine Gedanken, während Elrond weiter schwieg.

„Bis ich zufrieden mit dem Erreichten bin, werde ich den Pfad, der mich auf den Thron von Gondor führen wird, nicht beschreiten." Aragorns Stimme verriet, dass es nichts gab, das ihn von seinem Entschluß abbringen würde.

In Elronds Ohren klang es so bedrückend endgültig, dass er zunächst keine Worte fand. Der Elbe wußte, dass sein Sohn recht hatte, doch das machte es nicht einfacher, das Gehörte anzunehmen, denn es hieß, dass er Estel schneller loslassen musste, als seinen Gefühlen lieb war.

Aragorn missdeutete sein Schweigen als Enttäuschung.

„Bitte, Vater, versteh' mich..."

„Das tue ich, mein Sohn. Ich verstehe dich sogar sehr gut."

Ein trauriges Lächeln huschte für Sekundenbruchteile über Elronds Antlitz.

„Ich wußte, dass dieser Tag kommen würde. Ich hatte nur gehofft, dass er nicht so schnell käme."

Aragorn konnte zunächst nicht fassen, dass sein Vater diesen Entschluß so schnell akzeptieren würde. „Dann billigst du mein Vorhaben also?"

„Ich... weiß, dass es die einzig richtige Entscheidung für dich ist," entgegnete Elrond und legte seinen Arm um ihn.

Aragorn ließ es zu, dass ihn sein Vater mit sich in Richtung des Schlosses führte und nutzte das nun zwischen ihnen liegende harmonische Schweigen, um ihr Gespräch in Gedanken noch einmal durchzugehen.

Er fand nichts, was er hätte anders sagen oder besser erklären können, und gestattete seiner Erleichterung schließlich, sich als Lächeln Bahn zu brechen. Es war ein gutes Gefühl, ehrlich mit seinem Ziehvater gesprochen zu haben und mehr denn je war er überzeugt davon, nicht noch einmal zu einer solch unüberlegten Reaktion fähig zu sein.

Elrond hatte Aragorn insgeheim beobachtet und sah, wie dieser langsam zu seiner inneren Ruhe zurückfand. Mehr, so wußte der Elbenfürst, konnte zu dieser Zeit und an diesem Ort nicht erreicht werden.

'Alles kehrt langsam wieder in seine gewohnten Bahnen zurück... Nicht ganz,' korrigierte er sich sofort in Gedanken, 'in neue, bald schon vertraute, Bahnen...'

„Ich denke, wir sollten ins Schloß zurückkehren und noch einmal nach Legolas sehen."

Aragorns laut geäußerte Gedanken rissen ihn aus den eigenen Betrachtungen.

„Schläft der Prinz noch?" Elrond wußte, dass der Zeitpunkt des Erwachens fast herangerückt war.

„Nein." Aragorn schüttelte den Kopf. „Ich war bei ihm, als er vorhin erwachte."

„Gut." Elrond winkte ihn mit leichter Hand fort. „Geh und sag Prinz Legolas, dass ich nachher noch einmal nach ihm sehen werde."

Überrascht starrte der junge Mann seinen Vater an. „Und du? Kommst du nicht mit?"

„Nein." Der Herr von Bruchtal schüttelte den Kopf. „Ich werde noch etwas durch die Gärten spazieren. Geh du voraus."

Aragorn zögerte kurz, dann nickte er bestätigend. „Wie du wünschst, Vater."

Er drehte sich um und lief mit schnellen Schritten zum Schloß zurück.

Elrond sah ihm nach und war nicht im mindesten überrascht, als er gleich darauf leise Schritte in seinem Rücken vernahm. Er hatte sie schon zuvor vernommen und musste sich auch jetzt nicht umwenden, um zu sehen, wer es war.

„Es endete, wo es begann," sagte er ruhig und wandte sich schließlich zu seinem Ratgeber und Vertrauten um.

„Ihr habt mit Estel geredet, mein Lord?" Glorfindel sah den Weg entlang, den der junge Mensch soeben hinaufgeeilt war.

„Wir haben miteinander geredet," korrigierte Elrond ihn sanft. „Er wird all das lernen, was er braucht, um ein Waldläufer zu werden, und ich denke, das wird über kurz oder lang auch deine Künste miteinbeziehen, mein Freund."

Glorfindel nickte. „Ich verstehe. Mein Wissen und Können stehen ihm zur Verfügung."

„Ich hatte gehofft, dass du das sagst." Der Elbenherrscher war froh, dass Glorfindel bereit war, seine beträchtlichen Kenntnisse an Aragorn weiterzugeben. Nicht jeder Elbe in Mittelerde hätte das getan.

„Dann werde auch ich jetzt ins Schloß zurückkehren. Estel sagte mir, dass Prinz Legolas erwacht ist, und ich will mir seinen Fuß noch einmal ansehen, ehe ich mich zur Ruhe begebe." Er vollführte eine einladende Geste in Richtung des Schlosses. „Begleitest du mich oder gab es noch etwas Wichtiges, das du mir mitteilen wolltest?"

Glorfindel zögerte nur einen Herzschlag lang, ehe er verneinte. „Nichts, das Eurer Aufmerksamkeit bedürfen würde."

Er schloß sich Elrond an und schob die Frage, die ihn seit der Begegnung mit dem seltsamen Fremden auf der Alten Waldstraße beschäftigt hatte, in den Hintergrund seiner Gedanken zurück. Vermutlich wußte der Elbenfürst auch nichts mit jener seltsamen Abschiedsgeste des Mannes anzufangen, und nach all dem, was Elrond in den letzten Tagen durchgemacht hatte, fand der Kundschafter, dass es auch nicht wichtig war, den Herrscher von Bruchtal mit einer solchen Lappalie zu belästigen. Diese Frage konnte warten.

Er schwieg, als er seinen Herren zurück ins Haus begleitete.

***

Eine Nacht war vergangen und der Morgen hatte neues Leben in Bruchtal erwachen lassen.

Nach dem Frühstück hatten sich alle verstreut und gingen ihren alltäglichen Aufgaben nach. Elladan und Elrohir hatten angekündigt, auf die Jagd gehen zu wollen, Elrond war mit Glorfindel unterwegs, um neu erbaute Stallungen zu inspizieren und Aragorn hatte sich entschlossen, Legolas Gesellschaft zu leisten, der auf Anweisung seines Vaters noch zwei weitere Tage das Bett hüten musste.

Damit ihm die Zeit nicht allzu lang wurde, hatte Elrond dem Prinzen auf dessen Bitten hin ein paar Blätter Pergament, Tinte und Feder bringen lassen. Legolas hatte ihm erklärt, dass er aufschreiben wolle, was ihm in den vergangenen Tagen widerfahren sei – damit er es nicht vergesse, wie er betont hatte. Der Elbenfürst bezweifelte insgeheim zwar, dass irgendeiner der Beteiligten die Vorfälle so schnell vergessen würde, doch er hatte den Wunsch Legolas' natürlich erfüllt.

Legolas hatte nicht die Absicht, seine Erlebnisse zu Papier zu bringen. Vielmehr versuchte er sich jenes Ornament exakt in Erinnerung zu rufen, das er in Rivars Hütte auf dem Tuch gesehen hatte.

Es war schwerer, als er zunächst geglaubt hatte, doch gerade, als es leise klopfte und sich kurz darauf Aragorns dunkler Haarschopf durch die sich öffnende Tür schob, setzte er die letzten Striche an seiner Zeichnung.

„Störe ich?" fragte Aragorn und blieb unschlüssig in der Tür stehen, als er Legolas zeichnen sah.

„Nein, durchaus nicht. Komm nur." Der Elbe winkte ihn herein und betrachtete sein Werk zufrieden. Genauso hatte dieses Ornament ausgesehen, davon war er überzeugt.

Aragorn hatte sein Bett mittlerweile erreicht und warf einen neugierigen Blick auf die Skizze. „Was ist das?"

„Das? Das habe ich irgendwo gesehen," sagte Legolas wie beiläufig, sah die Zeichnung prüfend an und rollte dann das Blatt zusammen, ehe er es neben sich auf das Tischchen legte. Vielleicht gab ihm die Bibliothek seines Vaters daheim in Düsterwald genaueren Aufschluss über die Bedeutung des Motivs.

„Es gefiel mir und darum habe ich versucht, es aus dem Gedächtnis heraus zu zeichnen.  Irgendwie muss man sich ja die Zeit vertreiben, wenn man selbst vom besten Freund für ein schnödes Frühstück im Stich gelassen wird..." neckte er Aragorn und grinste übermütig zu ihm empor.

„Ich bin also dein bester Freund, ja?" Aragorn warf sich neben Legolas aufs Bett. „Scheint so, als hättest du nur darauf gewartet, dass ich deinen Weg kreuze. Nun denn. Ich stehe jederzeit zu deiner Verfügung, Freund!"

Aragorn lachte und Legolas stimmte in das Lachen mit ein.

„Für einen Freund weiß ich allerdings recht wenig von dir. Wie alt, sagtest du, bist du? Da gibt es doch sicher Geschichten zu erzählen, die einen Tag wie diesen verkürzen können oder?"

Legolas sah das neugierige Glitzern in den Augen des jungen Mannes und schmunzelte. Sie waren Freunde geworden, doch nicht auf der Grundlage eines langen Kennenlernens, sondern innerhalb weniger Tage und durch ein gemeinsam durchlebtes Abenteuer, das keiner von ihnen je vergessen würde. Das Kennenlernen stand ihnen noch bevor.

„Aragorn, glaub mir, ich könnte dir mehr Geschichten erzählen, als du hören willst! Wenn du dich wach genug fühlst, kann ich dir heute ein paar Hundert Jahre zusammenfassen."

„Dieser Herausforderung stelle ich mich gern!"

Aragorn schnappte sich ein Kissen, schob es sich in den Rücken und machte es sich bequem. Legolas sah ihm für einen Augenblick nachdenklich dabei zu und fragte sich, wann er sich das letzte Mal so zufrieden und unbeschwert gefühlt hatte wie in der Gesellschaft dieses Menschen. Dann ließ der Prinz von Düsterwald alle Barrieren fallen, die er vor anderen Elben über Jahre aufgebaut hatte und öffnete sich Aragorn. Die nächsten Stunden verbrachten die beiden damit, sich gegenseitig aus ihrem Leben zu erzählen.

Er wußte, dass selbst ein Freund nicht alles über einen wissen konnte. Doch ein wahrer Freund, so war er überzeugt, ist derjenige, der fast alle Geheimnisse des anderen kennt und ihn ohne lange Erklärungen versteht. Bei Aragorn hatte er dieses Gefühl bereits jetzt...

ENDE

Im neuen Jahr geht es weiter mit

Hauch des Lebens

Aragorn hat gerade begonnen, seinen Weg im Leben zu finden, als er erneut vor eine harte Bewährungsprobe gestellt wird. Er ist der einzige, der dem Prinzen Legolas das Leben retten könnte. Doch reicht die Zeit aus, um Legolas vor einem unerträglichen Schicksal zu retten?

Notiert euch Samstag, den 04. Januar. Dann gibt's das erste Kapitel eines neuen Abenteuers!

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Dies war doch ein schönes langes Kapitel oder? Also, wie wäre es zum Abschluss mit ein paar Reviews mehr!
Wir sprechen all jene an, die bisher still dieser Story gefolgt sind. Was haltet ihr nun im Ganzen davon???

Fröhliche Weihnachten Euch allen und einen gesunden Rutsch ins neue Jahr wünschen
ManuKu und Salara