„Wirklich mein lieber Garak, das ist alles, was ich Ihnen sagen kann..." Dr. Julian Bashirs Jungengesicht ließ keinen Zweifel daran, daß er die volle Wahrheit sagte. Garak bedankte sich höflich und schnitt mit seiner Verabschiedung jede weitere Frage ab, die der junge Arzt noch stellen wollte.
Der Bildschirm des Interkoms wurde dunkel und Garak machte sich noch ein paar geistige Notizen.
Doch schlauer war er nicht geworden... Zuerst hatte er die Logbücher der USS-Galen - einem mittelgroßen Forschungsschiff, ohne besonders bemerkenswerte Aufträge in der letzten Zeit - durchforstet und dort alles wissenswerte über Lt. Lenia Pron Telh zusammengetragen.
Viel war es nicht gewesen.
Humanoid, von einem kleinen Planeten namens Tangrim, keine besonderen Vorkommnisse, während der vierjährigen Ausbildung an der medizinisch/psychologischen Fakultät der Akademie, danach eine vorbildliche Karriere in der Sternenflotte – kurz gesagt, kein Hinweis darauf, daß sie ihm eine Falle stellen wollte. Im medizinischen Dossier hatte Garak schließlich doch noch etwas gefunden, das ihn veranlaßt hatte, sich mit Julian in Verbindung zu setzen, da er in medizinischen Dingen, besonders in Xenobiologie, nicht sonderlich beschlagen war.
Dr. Bashir hatte sich die Fragen des Cardassianers geduldig angehört und versucht, sie so gut es ging zu beantworten. Doch da er selbst mit dem im Dossier beschriebenen Phänomen nicht sonderlich vertraut war, waren es auch nicht mehr als Vermutungen , die er dem Schneider hatte anbieten können.
Garak entschied, daß er es wagen konnte, unbewaffnet zu seiner Verabredung zu gehen und nahm sich vor, so viel es ging über die geheimnisvolle Frau herauszufinden.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, öffnete sich in diesem Moment ein weiteres Mal die Tür zu seinem Geschäft und sie trat ein.
Ihr schwarzes Haar wurde von einer glänzenden Spange im Nacken gehalten und Garak sah, daß er richtig vermutet hatte: Ihr Haar reichte bis weit über den Rücken, wo es in weichen Locken leicht hin und her schwang.
Das Kleid paßte perfekt zu ihrer Augenfarbe und war geschmackvoll der Tageszeit und dem Anlaß angepaßt. Auf hohen Absätzen schritt sie anmutig die wenigen Stufen hinab, wobei der fließende Stoff um ihre Beine schmeichelte. Sie schien eine Frau zu sein, die sich der Reize ihres Körpers voll bewußt war, ohne diese jedoch unbedacht, oder gar verschwenderisch einzusetzen.
„Da bin ich, Mr. Garak..." sagte sie zur Begrüßung und er beeilte sich, um seinen Schreibtisch und auf sie zu zu gehen.
„Ich muß sagen, Sie haben einen wahrhaft umwerfenden Geschmack! Dieses Kleid scheint absolut für Sie gemacht!" das Kompliment kam mit der ihm eigenen Selbstsicherheit, die er auch in den verwirrendsten Momenten fast nie verlor, über die Lippen und sie lächelte geschmeichelt.
„Oh, vielen Dank. Es ist tatsächlich nur für mich angefertigt worden."
„Sicher von einem Meister seines Faches..."
„Nun, wenn Sie es so sehen wollen... Meine Mutter hat es für mich geschneidert, als ich die Heimatwelt verlassen habe."
Er bot ihr seinen Arm an und nach einem kurzen Moment, in dem sie erneut eine etwas merkwürdige Geste mit ihren Händen ausführte, die er nicht einordnen konnte, nahm sie ihn und ließ sich von ihm auf die Promenade führen.
„Apropos Heimatwelt..." nahm er den Faden wieder auf, nachdem sie ein paar Meter gegangen waren,
„Wenn ich richtig informiert bin, dann stammen Sie von Tangrim. Eine Welt, von der ich, ehrlich gesagt, nicht viel weiß."
„Dr. Bashir sagte schon, daß Sie ein ungewöhnlich gut informierter Schneider sind..."
„Das beantwortet nicht meine Frage..."
„Sie haben gar keine Frage gestellt..."
Garak ärgerte sich ein bißchen, daß sie ihn so aus der Fassung brachte und nahm sich vor, ein wenig mehr Vorsicht walten zu lassen. Als ob nichts geschehen wäre, wechselte er das Thema:
„Mögen Sie bajoranische Küche?"
„Warum nicht? Auf Starfleetschiffen ist man sowieso nur Replikatorkost gewöhnt. Wir Tangrimi bereiten normalerweise alles selbst zu. Das war eine große Umstellung für mich."
Er hatte sie inzwischen zu einem der besseren bajoranischen Restaurants geführt und sie steuerte auf einen ruhigen Tisch weit im inneren der Räumlichkeiten zu.
Er setzte sich ihr gegenüber und sie überließ ihm die Auswahl der Getränke und des Essens.
Garak orderte fürs Erste einen leichten Frühlingswein und einige Vorspeisen bei dem grimmig dreinblickenden Bajoraner, der alles andere als begeistert zu sein schien, einen Cardassianer bedienen zu müssen. Garak hoffte, daß seine Begleiterin nichts von den kaum versteckten Gefühlen des Bajoraners mitbekommen hatte.
Sie ging auch nicht darauf ein, sondern hob ihr Glas und nahm einen kleinen Schluck. Sie schien ein Faible für Spannung zu haben, denn sie sagte noch immer nichts.
Garak biß sich auf die Zunge. Wenn sie erwartete, daß er seiner Neugier nachgab, dann lag sie falsch. Er konnte warten...
Und er wurde nicht enttäuscht.
Schließlich begann sie mit ihrer angenehmen Stimme zu sprechen:
„Ich denke, ich sollte Ihnen jetzt endlich sagen, was mich zu Ihnen geführt hat."
„Dafür wäre ich Ihnen wirklich sehr dankbar, meine Liebe..." entgegnete Garak galant.
„Ich bin sicher, Julian hat Sie inzwischen über eine physiologische Eigenheit der Tangrimi unterrichtet. Er erwähnte, daß Sie sich kennen..."
„Nun, ich bin kein Mediziner und das, was mein junger Freund mir versuchte zu erklären, ist mir nicht unbedingt klarer geworden. Er sprach von für Humanoiden überdurchschnittlichen sensorischen Fähigkeiten, die direkt mit den visuellen Nervenbahnen gekoppelt sind..."
„Tangrimi sind nach normalen humanoiden Maßstäben blind, Garak..."
Das war also der Grund, warum sie ihn zwar ansah, aber anscheinend nicht wahrnahm.
„Aber wieso tragen Sie dann keine optischen Implantate, oder einen VISOR, oder was auch immer die Sternenflotte für solche Fälle bereit hält?" wollte er wissen.
„Das will ich Ihnen erklären. Ich sagte, nach normalen humanoiden Maßstäben. Das bedeutet, daß ich auf meine eigene Art schon sehen kann, nur ist es nicht dieselbe Weise, wie Sie, oder die Bajoraner, oder Trill, oder Menschen... ich denke, Sie verstehen, was ich meine..."
„Nicht wirklich..."
Sie lächelte und Garak fragte sich, wieso die Natur solch wunderbare Augen schuf, wenn sie doch anscheinend nicht zum Sehen gedacht waren.
„Sehen Sie sich meine Handflächen an!" forderte sie ihn auf und legte ihre Hände vor ihm auf den Tisch, so daß er in der Mitte die Male erkennen konnte. Sie hatten eine ähnlich violette Farbe, wie ihre Augen, nur so matt, daß er sie vorher nicht wahrgenommen hatte und einen ungefähren Durchmesser von drei terranischen Zentimetern. Es sah im ersten Augenblick wie ein unbewegliches Implantat aus, aber er konnte erkennen, daß es anscheinend zu ihrem Körper gehörte und auch die Bewegungsfähigkeit ihrer Hände nicht einschränkte.
„Was ist das?" fragte er.
„Man könnte sagen, meine Augen, aber das beschreibt es nur unzureichend. Wir Tangrimi werden tatsächlich im herkömmlichen Sinne blind geboren. Doch je älter wir werden, desto mehr erweitern wir unseren Horizont. Allerdings ist das um ein Vielfaches mühsamer, als bei Individuen, die von Geburt an sehen können."
„Und was meinte Julian mit überdurchschnittlich sensorischen Fähigkeiten?".
„Das will ich Ihnen erklären: Wir begreifen unsere Umwelt im wahrsten Sinne des Wortes. Was ich nicht hiermit gesehen habe," sie hob noch einmal ihr Handflächen, „bleibt meinen Augen verborgen."
„Aber wie können Sie sich dann hier auf der Station zurechtfinden?"
„Ich habe einen speziellen Plan der Station, der mir alles ersichtlich macht. Gegenstände, Schiffskonsolen, Steuerelemente... das alles ist nach einer kurzen Eingewöhnungsphase kein Problem für mich. So einfach geht es aber leider nicht mit allen Dingen des Lebens..."
„Als da wären..."
Sie zögerte merklich und nahm einen weiteren Schluck des wirklich köstlichen Weines.
„Garak, ich möchte Ihnen auf keinen Fall zu nahe treten..."
„Oh, meine Liebe, das tun Sie ganz bestimmt nicht, aber ich erkenne dankbar Ihre Besorgnis um mich an. Seien Sie versichert, daß ich schon gespannt darauf brenne, wie ich Ihnen helfen kann..."
„Also gut. Garak, Sie sind der erste Cardassianer, dem ich begegne."
„Das kann ich gut nachvollziehen, denn mein Volk hält normalerweise nicht sehr viel vom Umgang mit anderen Spezies."
„Nun..." fuhr sie fort, „... und weil ich noch nie einem Cardassianer begegnet bin... nehme ich Sie und natürlich auch andere Cardassianer als solche gar nicht wahr..."
Jetzt war er doch überrascht.
„Sie meinen, Sie können mich nicht sehen?"
„Ich sehe Ihre Gestalt, aber mir ist unmöglich, etwas Genaues zu erkennen. Es ist wie eine Art Schleier, der über Ihnen liegt." Garak wußte nicht, was er zu dieser Eröffnung sagen sollte. Nach einem Moment sprach sie weiter: „Für meine Arbeit in der Sternenflotte ist es nun aber wichtig, daß ich auch visuellen Kontakt aufnehmen kann. Möglicherweise werde ich nie mit Cardassianern zu tun haben, aber ich will auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Jeder Tangrimi ist für seine senso-visuelle Weiterbildung selbst verantwortlich..."
„Wie kann ich Ihnen helfen? Müssen Sie mich scannen, oder so etwas ähnliches?" Garak hatte seine Stimme wiedergefunden.
„Sie werden mir also helfen?" er sah ihr an, daß sie erfreut war.
„Ich bin mir noch nicht sicher, vielleicht erklären Sie mir einmal genauer, was ich tun muß..."
„Eigentlich nichts. Aber ich verstehe, daß es für viele Personen schwierig ist, sich von einer quasi Fremden berühren zu lassen. Es ist im Grunde eine sehr persönliche Angelegenheit, aber ich bitte Sie trotzdem, darüber nachzudenken."
Er starrte sie an.
Einen Augenblick argwöhnte er, daß dies eine besonders exotische Art und Weise war, um ihn zu verführen, doch diese Möglichkeit verwarf er umgehend wieder. Warum sollte sich eine so schöne Frau eine solche Mühe machen, um einen Gefährten zu finden? Und schließlich schien sie ihn wirklich nicht sehen zu können.
„Wie... persönlich ist denn diese Angelegenheit nun genau?" fragte er.
„Also, es tut nicht weh, falls Sie in dieser Richtung Bedenken haben..."
Er lächelte schmal, was sie aber natürlich nicht sehen konnte.
„Oh, ich denke, Schmerzen sind nicht der springende Punkt. Ich wüßte nur gerne, worauf ich mich da gerade einlasse."
„Nun, ich werde mich in einen besonderen Konzentrationszustand versetzen, wobei die sensorischen Fähigkeiten meiner Hände sich vervielfachen. Dann werde ich Ihr Gesicht berühren und so lernt mein Gehirn, wie Sie aussehen, woraus ich dann bei späteren Begegnungen mit Angehörigen Ihrer Spezies auch deren Physiognomie erkennen kann."
Garak überlegte noch einen Augenblick, doch dann gab er sich einen Ruck. Er war inzwischen wirklich neugierig geworden und so wie er die Sache sah, barg das Unterfangen keinerlei Sicherhehitsrisiko für ihn oder Cardassia.
„Gut, Lt. Telh. Dann lassen Sie uns beginnen!" Garak sah keinen Grund, warum sie es nicht sofort hinter sich bringen sollten...
Sie lachte leise.
„Oh nein, wir können das nicht gleich hier erledigen. Ich hoffe, es stellt kein Hindernis dar, daß das gesamte Ritual mindestens zwei Stunden in Anspruch nehmen wird? Außerdem brauche ich wirklich absolute Ruhe, damit es funktionieren kann."
„Also, wenn das so ist... Sie wissen sicher selbst am Besten, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Ich werde zur Stelle sein, wann und wo Sie mich brauchen."
Jetzt schien allerdings sie ein wenig unsicher zu werden. Mit beiden Händen umfaßte sie ihr Glas und drehte es zwischen ihren schlanken Fingern hin und her. Mit geneigtem Kopf saß sie da und konnte sich nicht zu einer Antwort durchringen.
Schließlich konnte der Cardassianer nicht länger warten. Vorsichtig streckte er seine Hand aus und legte ihr den Zeigefinger unters Kinn, so daß sie wieder aufblicken mußte, obwohl sie ihn natürlich nicht sehen konnte.
„Also, ich möchte nicht, daß Sie mich jetzt merkwürdig finden. Normalerweise würde ich Sie in mein Büro bitten, aber Sie verstehen sicher, wenn das nicht so ohne Weiteres möglich ist. Ich habe mich informiert, aber ich bekomme für Sie leider keine Zugangsberechtigung für die Galen. Solange es zwischen Cardassia und der Föderation keine Verträge, oder wenigstens Vereinbarungen gibt, darf ich Sie nicht an Bord bringen. Wäre... wäre es sehr vermessen, wenn ich Sie bitten würde..." sie gab sich sichtlich einen Ruck, „...mich zu sich einzuladen? Ich weiß, daß Cardassianer eigentlich sehr... sehr privat sind, aber ich weiß leider keine andere Lösung."
„Das ist alles? Ich bitte Sie... Ich würde mich wirklich freuen, Sie bei mir zu Gast zu haben. Das braucht Ihnen nun wirklich nicht unangenehm zu sein." Einen Augenblick fragte er sich noch, ob es vielleicht doch etwas unbedacht gewesen war, ihrem Ansinnen sofort nachzugeben, aber dann schob er alle Bedenken zur Seite. Er würde eben auf der Hut sein!
Sie lächelte erleichtert, daß er ihr Frage nicht persönlich genommen hatte.
„Dann heißt das also, Sie sind noch immer einverstanden?"
„Aber natürlich! Ich erwarte Sie heute Abend gegen 2100 in meinem Quartier. Es befindet sich auf der Ebene H3 des Habitatringes. Nummer 901. Werden Sie das finden?"
„Darum machen Sie sich nur keine Sorgen. Ich sagte doch, daß ich einen Lageplan der Station besitze."
„Gut, meine Liebe, dann wäre das also abgemacht. Und jetzt schlage ich vor, daß wir uns endlich um unser Hauptgericht kümmern, was meinen Sie?"
Es erschien ihm angebracht, das Thema zu wechseln und sie ging ohne weiter über die getroffene Verabredung zu sprechen, darauf ein. Er bestellte und während sie schließlich die Hasperatpastete aßen, sprachen sie nicht mehr viel, ohne, daß Langeweile, oder Befangenheit aufkamen.
Er empfand ihre Gesellschaft jedenfalls als äußerst angenehm.
Nachdem sie letztendlich auch noch das Dessert verzehrt hatten, erhob sie sich und mit einer höflichen Entschuldigung verließ sie das Restaurant. Sein Angebot, sie zur Luftschleuse zu begleiten, hatte sie freundlich, aber bestimmt abgelehnt und so blieb dem Cardassianer nichts anderes übrig, als zu seinem Geschäft zurück zu gehen.
Die Zeit verging an diesem Nachmittag ungewöhnlich langsam, wie er fand...
* * *
Der Bildschirm des Interkoms wurde dunkel und Garak machte sich noch ein paar geistige Notizen.
Doch schlauer war er nicht geworden... Zuerst hatte er die Logbücher der USS-Galen - einem mittelgroßen Forschungsschiff, ohne besonders bemerkenswerte Aufträge in der letzten Zeit - durchforstet und dort alles wissenswerte über Lt. Lenia Pron Telh zusammengetragen.
Viel war es nicht gewesen.
Humanoid, von einem kleinen Planeten namens Tangrim, keine besonderen Vorkommnisse, während der vierjährigen Ausbildung an der medizinisch/psychologischen Fakultät der Akademie, danach eine vorbildliche Karriere in der Sternenflotte – kurz gesagt, kein Hinweis darauf, daß sie ihm eine Falle stellen wollte. Im medizinischen Dossier hatte Garak schließlich doch noch etwas gefunden, das ihn veranlaßt hatte, sich mit Julian in Verbindung zu setzen, da er in medizinischen Dingen, besonders in Xenobiologie, nicht sonderlich beschlagen war.
Dr. Bashir hatte sich die Fragen des Cardassianers geduldig angehört und versucht, sie so gut es ging zu beantworten. Doch da er selbst mit dem im Dossier beschriebenen Phänomen nicht sonderlich vertraut war, waren es auch nicht mehr als Vermutungen , die er dem Schneider hatte anbieten können.
Garak entschied, daß er es wagen konnte, unbewaffnet zu seiner Verabredung zu gehen und nahm sich vor, so viel es ging über die geheimnisvolle Frau herauszufinden.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, öffnete sich in diesem Moment ein weiteres Mal die Tür zu seinem Geschäft und sie trat ein.
Ihr schwarzes Haar wurde von einer glänzenden Spange im Nacken gehalten und Garak sah, daß er richtig vermutet hatte: Ihr Haar reichte bis weit über den Rücken, wo es in weichen Locken leicht hin und her schwang.
Das Kleid paßte perfekt zu ihrer Augenfarbe und war geschmackvoll der Tageszeit und dem Anlaß angepaßt. Auf hohen Absätzen schritt sie anmutig die wenigen Stufen hinab, wobei der fließende Stoff um ihre Beine schmeichelte. Sie schien eine Frau zu sein, die sich der Reize ihres Körpers voll bewußt war, ohne diese jedoch unbedacht, oder gar verschwenderisch einzusetzen.
„Da bin ich, Mr. Garak..." sagte sie zur Begrüßung und er beeilte sich, um seinen Schreibtisch und auf sie zu zu gehen.
„Ich muß sagen, Sie haben einen wahrhaft umwerfenden Geschmack! Dieses Kleid scheint absolut für Sie gemacht!" das Kompliment kam mit der ihm eigenen Selbstsicherheit, die er auch in den verwirrendsten Momenten fast nie verlor, über die Lippen und sie lächelte geschmeichelt.
„Oh, vielen Dank. Es ist tatsächlich nur für mich angefertigt worden."
„Sicher von einem Meister seines Faches..."
„Nun, wenn Sie es so sehen wollen... Meine Mutter hat es für mich geschneidert, als ich die Heimatwelt verlassen habe."
Er bot ihr seinen Arm an und nach einem kurzen Moment, in dem sie erneut eine etwas merkwürdige Geste mit ihren Händen ausführte, die er nicht einordnen konnte, nahm sie ihn und ließ sich von ihm auf die Promenade führen.
„Apropos Heimatwelt..." nahm er den Faden wieder auf, nachdem sie ein paar Meter gegangen waren,
„Wenn ich richtig informiert bin, dann stammen Sie von Tangrim. Eine Welt, von der ich, ehrlich gesagt, nicht viel weiß."
„Dr. Bashir sagte schon, daß Sie ein ungewöhnlich gut informierter Schneider sind..."
„Das beantwortet nicht meine Frage..."
„Sie haben gar keine Frage gestellt..."
Garak ärgerte sich ein bißchen, daß sie ihn so aus der Fassung brachte und nahm sich vor, ein wenig mehr Vorsicht walten zu lassen. Als ob nichts geschehen wäre, wechselte er das Thema:
„Mögen Sie bajoranische Küche?"
„Warum nicht? Auf Starfleetschiffen ist man sowieso nur Replikatorkost gewöhnt. Wir Tangrimi bereiten normalerweise alles selbst zu. Das war eine große Umstellung für mich."
Er hatte sie inzwischen zu einem der besseren bajoranischen Restaurants geführt und sie steuerte auf einen ruhigen Tisch weit im inneren der Räumlichkeiten zu.
Er setzte sich ihr gegenüber und sie überließ ihm die Auswahl der Getränke und des Essens.
Garak orderte fürs Erste einen leichten Frühlingswein und einige Vorspeisen bei dem grimmig dreinblickenden Bajoraner, der alles andere als begeistert zu sein schien, einen Cardassianer bedienen zu müssen. Garak hoffte, daß seine Begleiterin nichts von den kaum versteckten Gefühlen des Bajoraners mitbekommen hatte.
Sie ging auch nicht darauf ein, sondern hob ihr Glas und nahm einen kleinen Schluck. Sie schien ein Faible für Spannung zu haben, denn sie sagte noch immer nichts.
Garak biß sich auf die Zunge. Wenn sie erwartete, daß er seiner Neugier nachgab, dann lag sie falsch. Er konnte warten...
Und er wurde nicht enttäuscht.
Schließlich begann sie mit ihrer angenehmen Stimme zu sprechen:
„Ich denke, ich sollte Ihnen jetzt endlich sagen, was mich zu Ihnen geführt hat."
„Dafür wäre ich Ihnen wirklich sehr dankbar, meine Liebe..." entgegnete Garak galant.
„Ich bin sicher, Julian hat Sie inzwischen über eine physiologische Eigenheit der Tangrimi unterrichtet. Er erwähnte, daß Sie sich kennen..."
„Nun, ich bin kein Mediziner und das, was mein junger Freund mir versuchte zu erklären, ist mir nicht unbedingt klarer geworden. Er sprach von für Humanoiden überdurchschnittlichen sensorischen Fähigkeiten, die direkt mit den visuellen Nervenbahnen gekoppelt sind..."
„Tangrimi sind nach normalen humanoiden Maßstäben blind, Garak..."
Das war also der Grund, warum sie ihn zwar ansah, aber anscheinend nicht wahrnahm.
„Aber wieso tragen Sie dann keine optischen Implantate, oder einen VISOR, oder was auch immer die Sternenflotte für solche Fälle bereit hält?" wollte er wissen.
„Das will ich Ihnen erklären. Ich sagte, nach normalen humanoiden Maßstäben. Das bedeutet, daß ich auf meine eigene Art schon sehen kann, nur ist es nicht dieselbe Weise, wie Sie, oder die Bajoraner, oder Trill, oder Menschen... ich denke, Sie verstehen, was ich meine..."
„Nicht wirklich..."
Sie lächelte und Garak fragte sich, wieso die Natur solch wunderbare Augen schuf, wenn sie doch anscheinend nicht zum Sehen gedacht waren.
„Sehen Sie sich meine Handflächen an!" forderte sie ihn auf und legte ihre Hände vor ihm auf den Tisch, so daß er in der Mitte die Male erkennen konnte. Sie hatten eine ähnlich violette Farbe, wie ihre Augen, nur so matt, daß er sie vorher nicht wahrgenommen hatte und einen ungefähren Durchmesser von drei terranischen Zentimetern. Es sah im ersten Augenblick wie ein unbewegliches Implantat aus, aber er konnte erkennen, daß es anscheinend zu ihrem Körper gehörte und auch die Bewegungsfähigkeit ihrer Hände nicht einschränkte.
„Was ist das?" fragte er.
„Man könnte sagen, meine Augen, aber das beschreibt es nur unzureichend. Wir Tangrimi werden tatsächlich im herkömmlichen Sinne blind geboren. Doch je älter wir werden, desto mehr erweitern wir unseren Horizont. Allerdings ist das um ein Vielfaches mühsamer, als bei Individuen, die von Geburt an sehen können."
„Und was meinte Julian mit überdurchschnittlich sensorischen Fähigkeiten?".
„Das will ich Ihnen erklären: Wir begreifen unsere Umwelt im wahrsten Sinne des Wortes. Was ich nicht hiermit gesehen habe," sie hob noch einmal ihr Handflächen, „bleibt meinen Augen verborgen."
„Aber wie können Sie sich dann hier auf der Station zurechtfinden?"
„Ich habe einen speziellen Plan der Station, der mir alles ersichtlich macht. Gegenstände, Schiffskonsolen, Steuerelemente... das alles ist nach einer kurzen Eingewöhnungsphase kein Problem für mich. So einfach geht es aber leider nicht mit allen Dingen des Lebens..."
„Als da wären..."
Sie zögerte merklich und nahm einen weiteren Schluck des wirklich köstlichen Weines.
„Garak, ich möchte Ihnen auf keinen Fall zu nahe treten..."
„Oh, meine Liebe, das tun Sie ganz bestimmt nicht, aber ich erkenne dankbar Ihre Besorgnis um mich an. Seien Sie versichert, daß ich schon gespannt darauf brenne, wie ich Ihnen helfen kann..."
„Also gut. Garak, Sie sind der erste Cardassianer, dem ich begegne."
„Das kann ich gut nachvollziehen, denn mein Volk hält normalerweise nicht sehr viel vom Umgang mit anderen Spezies."
„Nun..." fuhr sie fort, „... und weil ich noch nie einem Cardassianer begegnet bin... nehme ich Sie und natürlich auch andere Cardassianer als solche gar nicht wahr..."
Jetzt war er doch überrascht.
„Sie meinen, Sie können mich nicht sehen?"
„Ich sehe Ihre Gestalt, aber mir ist unmöglich, etwas Genaues zu erkennen. Es ist wie eine Art Schleier, der über Ihnen liegt." Garak wußte nicht, was er zu dieser Eröffnung sagen sollte. Nach einem Moment sprach sie weiter: „Für meine Arbeit in der Sternenflotte ist es nun aber wichtig, daß ich auch visuellen Kontakt aufnehmen kann. Möglicherweise werde ich nie mit Cardassianern zu tun haben, aber ich will auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Jeder Tangrimi ist für seine senso-visuelle Weiterbildung selbst verantwortlich..."
„Wie kann ich Ihnen helfen? Müssen Sie mich scannen, oder so etwas ähnliches?" Garak hatte seine Stimme wiedergefunden.
„Sie werden mir also helfen?" er sah ihr an, daß sie erfreut war.
„Ich bin mir noch nicht sicher, vielleicht erklären Sie mir einmal genauer, was ich tun muß..."
„Eigentlich nichts. Aber ich verstehe, daß es für viele Personen schwierig ist, sich von einer quasi Fremden berühren zu lassen. Es ist im Grunde eine sehr persönliche Angelegenheit, aber ich bitte Sie trotzdem, darüber nachzudenken."
Er starrte sie an.
Einen Augenblick argwöhnte er, daß dies eine besonders exotische Art und Weise war, um ihn zu verführen, doch diese Möglichkeit verwarf er umgehend wieder. Warum sollte sich eine so schöne Frau eine solche Mühe machen, um einen Gefährten zu finden? Und schließlich schien sie ihn wirklich nicht sehen zu können.
„Wie... persönlich ist denn diese Angelegenheit nun genau?" fragte er.
„Also, es tut nicht weh, falls Sie in dieser Richtung Bedenken haben..."
Er lächelte schmal, was sie aber natürlich nicht sehen konnte.
„Oh, ich denke, Schmerzen sind nicht der springende Punkt. Ich wüßte nur gerne, worauf ich mich da gerade einlasse."
„Nun, ich werde mich in einen besonderen Konzentrationszustand versetzen, wobei die sensorischen Fähigkeiten meiner Hände sich vervielfachen. Dann werde ich Ihr Gesicht berühren und so lernt mein Gehirn, wie Sie aussehen, woraus ich dann bei späteren Begegnungen mit Angehörigen Ihrer Spezies auch deren Physiognomie erkennen kann."
Garak überlegte noch einen Augenblick, doch dann gab er sich einen Ruck. Er war inzwischen wirklich neugierig geworden und so wie er die Sache sah, barg das Unterfangen keinerlei Sicherhehitsrisiko für ihn oder Cardassia.
„Gut, Lt. Telh. Dann lassen Sie uns beginnen!" Garak sah keinen Grund, warum sie es nicht sofort hinter sich bringen sollten...
Sie lachte leise.
„Oh nein, wir können das nicht gleich hier erledigen. Ich hoffe, es stellt kein Hindernis dar, daß das gesamte Ritual mindestens zwei Stunden in Anspruch nehmen wird? Außerdem brauche ich wirklich absolute Ruhe, damit es funktionieren kann."
„Also, wenn das so ist... Sie wissen sicher selbst am Besten, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Ich werde zur Stelle sein, wann und wo Sie mich brauchen."
Jetzt schien allerdings sie ein wenig unsicher zu werden. Mit beiden Händen umfaßte sie ihr Glas und drehte es zwischen ihren schlanken Fingern hin und her. Mit geneigtem Kopf saß sie da und konnte sich nicht zu einer Antwort durchringen.
Schließlich konnte der Cardassianer nicht länger warten. Vorsichtig streckte er seine Hand aus und legte ihr den Zeigefinger unters Kinn, so daß sie wieder aufblicken mußte, obwohl sie ihn natürlich nicht sehen konnte.
„Also, ich möchte nicht, daß Sie mich jetzt merkwürdig finden. Normalerweise würde ich Sie in mein Büro bitten, aber Sie verstehen sicher, wenn das nicht so ohne Weiteres möglich ist. Ich habe mich informiert, aber ich bekomme für Sie leider keine Zugangsberechtigung für die Galen. Solange es zwischen Cardassia und der Föderation keine Verträge, oder wenigstens Vereinbarungen gibt, darf ich Sie nicht an Bord bringen. Wäre... wäre es sehr vermessen, wenn ich Sie bitten würde..." sie gab sich sichtlich einen Ruck, „...mich zu sich einzuladen? Ich weiß, daß Cardassianer eigentlich sehr... sehr privat sind, aber ich weiß leider keine andere Lösung."
„Das ist alles? Ich bitte Sie... Ich würde mich wirklich freuen, Sie bei mir zu Gast zu haben. Das braucht Ihnen nun wirklich nicht unangenehm zu sein." Einen Augenblick fragte er sich noch, ob es vielleicht doch etwas unbedacht gewesen war, ihrem Ansinnen sofort nachzugeben, aber dann schob er alle Bedenken zur Seite. Er würde eben auf der Hut sein!
Sie lächelte erleichtert, daß er ihr Frage nicht persönlich genommen hatte.
„Dann heißt das also, Sie sind noch immer einverstanden?"
„Aber natürlich! Ich erwarte Sie heute Abend gegen 2100 in meinem Quartier. Es befindet sich auf der Ebene H3 des Habitatringes. Nummer 901. Werden Sie das finden?"
„Darum machen Sie sich nur keine Sorgen. Ich sagte doch, daß ich einen Lageplan der Station besitze."
„Gut, meine Liebe, dann wäre das also abgemacht. Und jetzt schlage ich vor, daß wir uns endlich um unser Hauptgericht kümmern, was meinen Sie?"
Es erschien ihm angebracht, das Thema zu wechseln und sie ging ohne weiter über die getroffene Verabredung zu sprechen, darauf ein. Er bestellte und während sie schließlich die Hasperatpastete aßen, sprachen sie nicht mehr viel, ohne, daß Langeweile, oder Befangenheit aufkamen.
Er empfand ihre Gesellschaft jedenfalls als äußerst angenehm.
Nachdem sie letztendlich auch noch das Dessert verzehrt hatten, erhob sie sich und mit einer höflichen Entschuldigung verließ sie das Restaurant. Sein Angebot, sie zur Luftschleuse zu begleiten, hatte sie freundlich, aber bestimmt abgelehnt und so blieb dem Cardassianer nichts anderes übrig, als zu seinem Geschäft zurück zu gehen.
Die Zeit verging an diesem Nachmittag ungewöhnlich langsam, wie er fand...
* * *
