Er mußte sie nicht lange suchen.
Sie stand an einem der Souvenirstände auf der Promenade und befühlte einige Gegenstände, die ihr von der bajoranischen Verkäuferin geduldig erklärt wurden. In der anderen Hand hielt Lenia ein Glop am Stiel und Garak mußte lächeln, als er es sah. Diese bajoranische Leckerei schien nicht nur bei Kindern hoch im Kurs zu stehen.
Sie war allein und entschied sich in diesem Moment für eines der Souvenirs und ließ sich die Credits abbuchen.

„Counselor!" Sie schien kaum überrascht zu sein, als sie seine Stimme erkannte und drehte sich langsam zu ihm um.

„Ja bitte? Haben Sie noch eine Unhöflichkeit vergessen, die Sie mir um die Ohren schlagen wollen, bevor ich die Station verlasse?" fragte sie kalt. Sie wollte es ihm anscheinend nicht zu leicht machen...

„Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Gewähren Sie mir einen Augenblick?" Sein gesamtes Auftreten drückte sein Bedauern für sein vorheriges Verhalten aus.
Sie legte ihren Kopf schief und blickte ihn forschend an. Dann lächelte sie, anscheinend zufrieden mit dem, was sie sah.

„Wenn Sie wollen, dürfen Sie mich zur Luftschleuse begleiten."
Er deutete lächelnd eine kleine Verbeugung an und bot ihr seinen Arm

„Sie waren recht schnell bereit, noch einmal mit mir zu sprechen..." sagte er leichthin, während sie langsam die Promenade verließen, auf dem Weg zum Andockring.

„Nun ja, das war es schließlich, was ich wollte, als ich vorhin in Ihr Geschäft kam..."

„Ich war unhöflich..."

„In der Tat, das waren Sie..."

„Dafür möchte ich Sie noch einmal um Verzeihung bitten. Es ist normalerweise nicht meine Art, junge Damen so zu behandeln..."

„Das weiß ich, Garak. Sie waren verwirrt." Er hätte etwas dazu sagen können, verkniff sich aber den Kommentar, daß schließlich sie diese Verwirrung verursacht hatte.
Inzwischen hatte sie das Glop aufgegessen und nachdem sie einen Moment über bajoranische Süßigkeiten gesprochen hatten, bemerkte er scheinbar nur nebenbei:

„Also, Sie schulden mir noch eine Erklärung!"
Erstaunt blickte sie an ihm hinauf. Sie durchschaute den Cardassianer schnell, konnte sich aber nicht verkneifen, ihn noch einen Augenblick auf die Folter zu spannen.

„Was meinen Sie?"

„Was wirklich passiert ist..." er erlaubte sich ein Lächeln.

„Nun ja, während ich die Formeln sprach, wurden Sie schläfrig. Jeder wird schläfrig, das ist der Sinn dieses Teils des Rituals. Wir studieren diese Worte so lange, bis sie genau diese Wirkung haben. Sie waren entspannt und ruhig, während ich mich in die Lage versetzte, das Ritual weiter durchzuführen."

„Was meinen Sie damit?" Garak hatte beschlossen, es jetzt ganz genau wissen zu wollen.

„Durch eine spezielle Meditation öffne ich meinen Geist. Die Male an meinen Händen beginnen zu leuchten und die Sensitivität erhöht sich drastisch. Aus den Malen winden sich leuchtende Energiebahnen über Hände und Finger."

„Diese Bahnen an Ihren Händen... Sie sehen aus wie winzige verzweigte Blitze bei einem Gewitter, habe ich Recht?"
Sie nickte, als wäre es ganz normal, daß er dieses Detail kannte.

„In ihnen stecken alle meine Kräfte. Meine Sensitivität und meine Fähigkeit unsere Seelen verschmelzen zu lassen."

„Was passierte dann?"

„Ich berührte Ihr Gesicht und vor meinem inneren Auge formte sich ein Bild."

„Wie lange hat das Ganze gedauert?"
Sie zuckte die Schultern.

„Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Vielleicht eine Stunde, vielleicht auch drei."

„Und Sie haben wirklich nur mein Gesicht berührt?" fragte er mißtrauisch, obwohl eigentlich der tadellose Zustand ihrer beider Kleidung beim Aufwachen nach dem Ritual Antwort genug war.

„Ihr Gesicht und den Teil des Halses, der nicht von Ihrer Kleidung bedeckt war. Diese..." sie zögerte, bevor sie weiter sprach, „... Schuppen an Ihrem Hals. Und all diese Erhebungen in Ihrem Gesicht... sie sind sehr empfindlich, habe ich Recht?"

„Es sind..." auch er überlegte sich sehr genau, was er ihr antworten sollte, „... erogene Zonen, meine Liebe."
Sie lächelte.

„Ich dachte mir schon etwas in der Art."

„Ist es ein Problem, daß ich Ihnen das nicht vorher gesagt habe?"

„Sagen Sie es mir!"

„Sie sind eine clevere, kleine Counselor..." neckte er sie und ein Strahlen erschien auf ihrem Gesicht.

„Ich bin sehr erleichtert, daß Sie nun doch entschieden haben, nicht mehr wütend auf mich zu sein..." bemerkte sie und er lachte.

„Was macht Sie so sicher?" so leicht konnte er es schließlich nicht zugeben.

„Leugnen ist zwecklos, Mr. Garak!" sagte sie scherzhaft, blieb dann aber, plötzlich ernst geworden, mitten im halbdunklen Gang des Andockringes stehen, wandte sich dem Cardassianer zu und faßte ihn an seinen muskulösen Oberarmen. Er wich nicht zurück, sondern blickte fasziniert in ihre unglaublichen Augen.
Die Erinnerungen kamen wieder zurück und plötzlich zählte es nicht mehr, ob es nun ein wirkliches Erlebnis, oder ein Produkt seiner Phantasie war. Es reichte Garak auf einmal, daß er diese Erinnerung mit ihr teilte und lächelnd berührte er ihre Wange.

„Nein, Lenia, ich bin nicht mehr wütend. Ich glaube, ich müßte mich vielmehr bei Ihnen bedanken... Es war ein unglaubliches Erlebnis... Es war wunderschön und ich beneide jeden Mann, das Vergnügen hat, wirklich mit Ihnen das Bett zu teilen."

„Meinen Sie, das wäre dann so, wie in Ihrer Phantasie?" Sie standen nun sehr dicht beieinander und er konnte die Wärme ihres Körpers durch die Uniform spüren. Spielte sie mit ihm, oder tat sie ihm das aus Naivität an, fragte er sich. Doch dann seufzte sie leise und sprach denn fast unhörbar weiter: „Wenn ich nur etwas mehr Zeit hätte, könnten wir das feststellen..."

„Was?" Überrascht blickte er sie an und sie erwiderte ruhig seinen Blick.

„Elim, ich meine es ernst."

„Hast du diese Gefühle jedesmal, wenn du dieses Ritual mit jemandem vollzogen hast, der zu den 60% gehört, die darauf... auf diese besondere Art reagieren?" etwas hilflos lachte er leise auf.
Sie schüttelte entschieden den Kopf.

„Noch nie... Es ist ein ungeschriebenes Gesetz der Tangrimi, daß über das Ritual hinaus keinerlei persönliche Beziehungen zwischen den beiden teilnehmenden Personen entstehen dürfen. Normalerweise habe ich dieses Bedürfnis auch gar nicht..."
Sie hätte unmöglich noch näher vor ihm stehen können.

„Aber warum ich? Was ist geschehen? Was war bei uns anders?"

„Du warst anders. Du hast mich nicht vergessen. Selbst in deinen Phantasien hast du nicht vergessen, auch mir Genuß zu verschaffen. Ich wünschte wirklich, dieses Erlebnis wäre real gewesen. Außerdem..." sie zögerte und warf ihm einen forschenden Blick zu. „Ich sagte schon: Ich habe tief in dich geblickt..." sie lächelte und fuhr mit dem rechten Zeigefinger leicht die kugelförmigen Erhebungen über seinem linken Auge nach. „Oh, ich meine nicht die vielen dunklen Bereiche deiner Seele... Da ist noch ein anderer Elim Garak und der ist zärtlich und sehnt sich nach Liebe – Und nach seiner Heimat..."
Er konnte nichts erwidern, sondern sah ihr nur in die Augen, die sich langsam mit Tränen füllten.
Plötzlich erklang eine scharfe Stimme aus den stationsweiten Lautsprechern und der Zauber des Augenblicks war gebrochen. Garak wußte nicht, ob er Major Kira böse oder dankbar dafür sein sollte, daß sie ohne ihr Wissen das Gespräch zwischen ihm und Lenia unterbrochen hatte.

„Besatzung der USS-Galen: Noch 10 Minuten bis zum Ablegen. Alle Besatzungsmitglieder der USS-Galen begeben sich unverzüglich an Luftschleuse 3! Dies ist der letzte Aufruf vor dem Ablegen. Ich wiederhole..."
Bedauernd sah sie ihn an. „Wir werden keine Zeit mehr haben, weiter über die Angelegenheit zu sprechen. Aber das ist egal. Ich bin froh, daß wir noch einmal miteinander geredet haben."

„Nun Lenia Pron Telh von Tangrim... dann heißt es wohl Abschied nehmen. Wirst du irgendwann noch einmal nach DS9 kommen?"

„Das wäre sicher verlockend, aber ich glaube, das ist keine besonders gute Idee."

„Die ungeschriebenen Gesetze, ich verstehe..."

„Genau. Hierher zurückkehren hieße, daß ich dieses Tabu sicher brechen würde."

„Dann ist es wohl besser, wenn du jetzt gehst."
Sie mußte schwer schlucken, nickte dann aber.

„Ich habe noch etwas für dich."

„Oh, ein Geschenk?"
Aus der Seitentasche ihrer Uniform zog sie einen kleinen Gegenstand, nahm Garaks Hand, legte ihn hinein und schloß seine Finger darüber.
Als er nachsah, lag ein tropfenförmiger violetter Kristall von etwa 5cm Größe in seiner Handfläche und fragend sah er sie an.

„Das ist ein Tangrimkristall." Erklärte sie. „Ein äußerst seltenes Gestein, das es nur in meiner Heimat gibt. Durch ein kompliziertes Verfahren kann man Emotionen und Träume darauf konservieren Wenn du dich an das Ritual und an alles, was danach in unserem Bewußtsein geschehen ist, erinnern möchtest, dann halte ihn fest zwischen deinen Handflächen und sage leise und konzentriert meinen Namen."

„Und dann?"

„Der Kristall wird sich erwärmen und seine Farbe ändern..."

„Das ist alles?"
Sie lachte leise.

„Natürlich nicht! Du wirst unser gemeinsames Erlebnis wieder und wieder erleben können. Aber laß dich einfach überraschen!" Sie lächelte schelmisch. „Ich habe übrigens auch so einen..."

„Ich bin gespannt... Vielen Dank, kleine Counselor. Ich hätte dich aber auch so nicht vergessen..."
Sie standen sich gegenüber und einen Augenblick sah es aus, als würden sie sich doch noch in die Arme fallen. Doch Lenia erinnerte sich, daß es höchste Zeit wurde, auf ihr Schiff zurückzukehren und so streckte sie sich noch einmal und hauchte ihm einen Kuß auf die Wange.

„Leb wohl, Elim. Ich werde dich auch nie vergessen, auch wenn wir uns nie wiedersehen können."
Sie löste sich von ihm und lief eilig von ihm weg. Er konnte es nicht sehen, war sich aber sicher, daß sie nun doch weinte.
Garak schluckte.
Sie befanden sich in unmittelbarer Nähe der Luftschleuse und er beobachtete von seinem Standpunkt aus, wie sie den Gang entlang auf das rote Zahnradtor zuschritt.
Sie sah sich nicht mehr um, obwohl er darauf gehofft hatte und er stand noch immer dort, als die Luftschleuse schon lange geschlossen war und die Galen sicher inzwischen abgelegt hatte.
Er fühlte den Tangrimkristall und ballte seine Hand einen Augenblick zur Faust, bis die geschliffenen Kanten tief in die Haut einschnitten.
Dann wandte er sich ab und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Leben zwischen Schneiderhandwerk, Exil und Einsamkeit.


Ende