Titel: Harry Potter und der Erbe von Slytherin
Autor: Luka
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Altersbeschränkung: 12
Inhalt: Kapitel 22: Gefangen unter Tonnen von Fels warten sie auf ihr Ende. Woher mag dort unten Hilfe kommen?
Disclaimer: Die vorliegende Geschichte ist eine FanFiction zu Harry Potter. Dies zu schreiben macht in erster Linie mir Spaß und liegt fern jedes kommerziellen Gedankens. Dies zu lesen soll allen Spaß machen, die eine neue Geschichte von Harry Potter haben wollen. Sie sollen das tun können ohne eine müde Mark auszugeben. Alle Charaktere gehören Joanne K. Rowling, bis auf die, die in der Geschichte noch entwickelt werden müssen und die nicht von JKR sind. ( So z.B. Helene Baumann und Henri Perpignan der in dieser Geschichte auch wieder eine, wenn auch nicht so wichtige Rolle spielt)
22. Der Tod ist eine BefreiungDraco Malfoy fand als erster die Fassung wieder. Er klopfte sich den Staub von den Kleidern und fuhr sich mit den Händen durch sein kurzes Haar.
„Weasley, Du Blödmann!", fauchte er. „Wer zur Hölle hat Dir gesagt, dass Du die Halle in die Luft sprengen sollst? Wenn wir nicht das Glück gehabt hätten, in diesen Gang zu fliehen, wären wir tot! Tot, verstehst Du?"
„Es...es tut mir leid...", stotterte Ron. Er zitterte am ganzen Körper.
„Es tut mir leid!", höhnte Draco. „Es tut mir leid, dass ich den einzigen Ausgang aus diesem Dilemma für alle Zeiten kaputt gemacht habe! Tut mir leid, dass ich Euch alle umgebracht habe! Was hast Du Dir denn überlegt, wie wir hier heraus kommen sollen? Vielleicht mit ein paar Todesflüchen heraussprengen?"
„Draco, gib Ruhe.", sagte Helene in barschem Ton. „Wir haben nicht die geringste Zeit zu streiten. Wir sollten erst einmal herausfinden, was genau passiert ist und wie wir wieder hier herauskommen."
„Komm, Ron", sagte Remus und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter, „Es ist passiert und damit basta. Mach Dir keine Vorwürfe. Ich hätte den Eingang besser sichern müssen. Mein Zauber war zu schwach und hat die Biester herein gelassen. Lass uns nachschauen, ob wir wieder in die Halle können."
Ron sah ihn unsicher an. Meinte Remus es so, oder wollte er ihm nur Trost zusprechen? Remus Blick beruhigte ihn etwas, so dass das Zittern weniger wurde und er langsam wieder Gewalt über seine Glieder bekam. Zaghaft nickte er.
Remus und Ron gingen den Gang zurück. Harry, der sich Sorgen um seinen Freund machte, lief hinterher. Nach und nach lösten sich alle aus ihrem Schrecken und gingen den Gang zurück, alle in der Hoffnung, dass es nicht so schlimm war, wie sie es eben noch erlebt hatten. Schon nach wenigen Metern war die Staubschicht, die sich auf dem felsigen Boden abgelagert hatte, so dick, dass sie bis zu den Knöcheln einsanken.
Kleine Steine lagen auf dem Boden und bohrten sich, wenn man auf sie trat, in die Schuhsolen. Oft stolperte jemand über einen Brocken, der bis hier in den Gang hereingerollt war. Bald mehrten sich die Trümmer und man musste über einige Brocken regelrecht hinwegklettern. Dennoch kamen sie erstaunlich gut voran, was in jedem von ihnen einen leisen Hoffnungsschimmer aufglimmen ließ.
Je weiter sie vordrangen, desto schwieriger wurde der Weg. Die umherliegenden Brocken wurden immer größer, in den Wänden klafften tiefe Risse und der Staub, der immer noch in der Luft lag, machte das Atmen schwer. Dann standen sie vor einem Geröllhaufen, der fast den ganzen Gang bis unter die Decke füllte. Remus, der vorausgegangen war, fluchte leise, als er stehen blieb. Er kletterte den Schutthaufen ein paar Schritte empor und leuchtete mit seinem Zauberstab über den Hügel hinweg.
„Mist!", entfuhr es ihm.
„Was ist los?", fragte Helene besorgt.
„Sieh selbst!", sagte er und rutschte den Schuttberg hinunter. Nacheinander kletterten alle hinauf und überzeugten sich mit eigenen Augen. Gleich hinter dem Schutthaufen lagen die Reste der runden Halle. Sie war weitestgehend eingebrochen. Auf der Seite des Sees der Erinnerung war die ganze Decke eingestürzt und Tonnen von Felsgestein bildeten ein unüberwindliches Hindernis. Der Tisch in der Mitte des Saales war unter dem Gewicht einiger großer Felsbrocken eingeknickt. Fast das ganze Gewölbefresko lag in Trümmer zerschlagen auf dem Boden. Unvorstellbare Kräfte hatten hier gewütet. Wenn dieser oder jener der zwölf Gänge, die aus dem Saal führten, vielleicht noch begehbar aussahen, zeigten große Gerölle, dass auch ihre Decken zusammengebrochen und die Fluchtwege versperrt waren.
Harry fühlte sich auf ein mal unendlich müde. Er sah in die besorgten Gesichter von Helene und Remus, die offensichtlich Schlimmes ahnten. Er sah auch in die vom Entsetzen geweiteten Augen seiner Schulkameraden, fing den schuldbewussten Blick Rons und den zornigen Blick Dracos auf.
Plötzlich ging ein Zittern durch den Fels. Ein Teil der Halle brach mit ohrenbetäubendem Knirschen ein. Wieder waren sie zur Flucht gezwungen, stolperten über den unebenen und mit Steinen versperrten Weg, weg von dem Chaos, hin in eine düstere und gar nicht vielversprechende Zukunft. Nach einigen Minuten blieben sie keuchend und erschöpft stehen. Harry fühlte seine Knie zittern. Er lehnte sich an die Wand und ließ sich zu Boden gleiten. Ron und Hermine taten es ihm gleich. Remus ging in die Hocke und sah beiden im gespenstischen Licht der sechs Zauberstäbe in die Augen.
„Wir haben nur noch eine Chance.", sagte er. Er musste husten. „Und wir müssen schnell sein."
„Schnell?", wiederholte Harry fragend. Seine Stimme klang hohl und tonlos.
„Morgen ist Vollmond. Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir so lange hier unten bleiben. Daher habe ich nichts von dem Trank mitgenommen."
„Au weia!" Draco stöhnte auf. „Das auch noch. Weasley, du Oberidiot. Schließt uns hier unten mit einem Werwolf ein. Das wird ein Gemetzel..."
„Könntest Du einfach mal Dein verdammtes Maul halten, Malfoy?" Hermine war wütend. „Anstatt hier ständig zu jammern und auf Ron herum zu hacken, könntest Du Dir mal überlegen, wie wir hier wieder heraus kommen. Und wenn Du das nicht willst, dann sei wenigstens still!"
„Du kannst mich mal!", fuhr Draco sie an. Er trat bedrohlich einen Schritt auf sie zu. „Du bist doch so schlau. Wie kommen wir jetzt hier heraus? He? Dann nimm doch mal Deinen Zauberstab und mach ein Loch in den Berg. Aber von einem Schlammblut kann man nichts anderes erwarten, als kluge Sprüche. Wenn es darauf an kommt, versagt ihr doch!"
Hermine war nicht zurück gewichen. Jedoch bebte sie vor Entrüstung und schien wie gelähmt. Sie schnappte nach Luft, setzte mehrmals an, um ihm etwas zu entgegnen, aber bevor sie ein Wort heraus brachte, war Remus eingeschritten.
„Hör sofort auf, Du arroganter Rotzbengel!", brüllte er. „Jeder der hier anwesenden riskiert sein Leben, damit Dein Hintern gerettet wird. Jeder hier hat mehr für Deine Familie und für Dein Haus gemacht, als Du selbst. Und das ist Dein Dank? Ich hätte gute Lust, Dich mit einer Ganzkörperklammer zu versehen und Dich hier allein zurück zu lassen. Kommt!", und er winkte Harry und den anderen Dreien zu, „Wir gehen jetzt dort entlang. Wer mitkommen will, kann es tun, und wem es nicht passt, der kann hier bleiben!"
Wütend stapfte er in die Dunkelheit. Ron, völlig willenlos geworden, stolperte hinterher. Nach und nach folgten die Anderen, zuletzt Draco, der von der Heftigkeit der Reaktion eingeschüchtert war. Hier unten galt er gar nichts. Zumindest galt er nicht mehr, als die Anderen, die mit ihm in der Klemme saßen. Langsam begann er es zu begreifen.
Der Gang schien kein Ende zu nehmen. Er führte tief in den Felsen hinein, krümmte und wand sich, so dass schließlich keiner mehr wusste, in welche Richtung sie gingen. In der Halle war die Orientierung noch einigermaßen gelungen, denn der Steg über dem See der Erinnerung war gerade aus verlaufen. Sie waren immer einer Richtung gefolgt, immer nach Westen gegangen, fort vom Schloss Hogwarts. Dieser Gang jedoch schien mehrmals in Schleifen zu verlaufen, denn er machte mehrere vollkommene Wendungen. Dabei führte er ab einer Stelle, die mehrere hundert Schritt hinter der Halle einen Hochpunkt markierte, stets leicht bergab.
Die sechs Eingeschlossenen schleppten sich müde durch die Finsternis, die nur von den Spitzen der Zauberstäbe für wenige Meter erhellt wurde und sich hinter ihnen erbarmungslos schloss. Sie waren schon einige Stunden gelaufen, als der Gang plötzlich weiter wurde und in einem kellerähnlichen Gewölbe endete. Es maß etwa 20 Schritte in der Länge und 10 Schritte in der Breite. Am Ende des Raumes führte der Gang weiter. Als sie in die Öffnung hinein leuchteten, konnten sie nach wenigen Metern eine Kreuzung ausmachen. Die Luft roch leicht modrig. Seit endlosen Zeiten war sie nicht mehr ausgetauscht worden. Seit Ewigkeiten war niemand mehr hier gewesen.
Der Boden des Kellers bestand aus trockenem, weichen Sand und lud dazu ein, eine Rast zu machen. Sirius schlug vor, alle Vorräte, die noch übrig waren, zusammen zu tragen. Jeder kramte in seiner Tasche oder in seinem Rucksack, und bald lag ein kümmerliches Häufchen Essbares zwischen ihnen. Hermine hatte in ihrer Flasche noch einen halben Liter Wasser, Ron hatte eine Flasche Butterbier eingepackt und legte sie nun auch dazu.
„Das ist nicht viel.", sagte Helene leise. „Ich kann nur hoffen, dass wir bald hier heraus kommen."
„Du hast Recht", brummte Remus, „das reicht eigentlich nur noch für eine Mahlzeit. Das Schlimme ist aber nicht die feste Nahrung, sondern die Flüssigkeit. Ohne Wasser schaffen wir es maximal 2 Tage, nach den Anstrengungen der letzten Stunden."
Er sah sich um und blickte in betreten drein sehende Gesichter. Inzwischen hatte jeder verstanden, dass sie sich in einer äußerst schwierigen Situation befanden.
„Wir haben die Wahl.", fuhr er fort. „Entweder wir essen jetzt alles auf und machen uns mit neuen Kräften auf die Suche, oder wir versuchen, daraus zwei Mahlzeiten zu machen. Ich glaube aber, dass wir weder auf die eine, noch auf die andere Art einen Vorteil herausschlagen können. Immerhin wären diese beiden Mahlzeiten so klein, dass wir sie auch weglassen könnten."
„Was glaubst Du, Remus, werden wir jemals wieder hier heraus kommen?", fragte Harry unsicher.
„Ich weiß es nicht, Harry.", antwortete Remus. Er zog die Augenbrauen hoch. „Möglich, dass hinter der nächsten Kurve ein Ausgang ist, es kann aber auch sein, dass wir immer tiefer wandern, und irgendwann ist der Gang einfach zu Ende."
„Gibt es denn nicht irgend einen Zauber, der uns hier heraus holt?", fragte Hermine besorgt. Sie war bleich, wie die anderen, und mit dem Staub in ihrem Haar sah sie aus wie eine alte Frau.
„Ich fürchte, wir sind viel zu tief unter der Erde, als dass wir uns mit einem Spreng-Zauber den Weg nach außen bohren könnten. Uns bleibt nur eine Wahl. Wir müssen weiter."
„Wie wollen wir denn an der Kreuzung vorgehen?", fragte Helene in die Runde.
„Wollen wir nicht erst einmal etwas essen?", meldete sich Draco. „Ich habe Hunger!"
„Ich habe auch Hunger.", sagte Ron schüchtern. Es waren die ersten Worte seit Stunden. Die ganze Zeit war er bedrückt und schweigend hinter ihnen her geschlichen.
„Also gut. Lasst uns etwas essen.", beschloss Remus. Insgeheim hatte er die Führung der Truppe übernommen. „Danach schauen wir uns die anderen Gänge an. Vielleicht finden wir ja einen Hinweis auf einen Ausgang."
Die, die sich noch nicht in dem weichen Sand niedergelassen hatten, setzten sich nun im Kreis um die spärlichen Vorräte. Remus übernahm das Teilen. Jeder bekam einen möglichst gleichgroßen Teil.
„Wir müssen dringendwo Wasser finden.", stellte Remus fest. „Und noch etwas, kaut gut, dann bleibt der Hunger länger fern. Und wir verdauen es besser und können mehr Energie daraus schöpfen."
Hermine ließ die Flasche herum gehen und jeder nahm zwei Schluck davon. Schließlich war die Flasche leer. Ron wollte das Butterbier öffnen, aber Remus hielt ihn zurück.
„Warte damit. Vielleicht werden wir es noch brauchen."
„Wenn wir nur noch mehr Wasser aus dem See mitgenommen hätten...", murmelte Harry.
„Stimmt, das haben wir ja auch noch.", sagte Hermine. „Draco, würdest Du es opfern, wenn es uns das Leben retten würde?"
Draco sah schweigend zu Boden.
„Weiß ich nicht.", sagte er unwirsch.
„Ich wette, er würde es trinken, wenn es ihm das Leben retten würde.", bemerkte Harry bissig.
„Ach, halt's Maul, Potter.", erwiderte Draco.
„Hört auf zu streiten.", mahnte Helene. „Ich denke, wir haben ein ganz anderes Problem als unsere persönlichen Eitelkeiten."
Hermine kramte in ihrer Tasche und zog die Flasche hervor, in die sie das Wasser abgefüllt hatte. Sie war nicht einmal zu einem Viertel gefüllt. Hermine war durch den Angriff der Spinnen gestört worden, und so hatte sie sich mit dem Bisschen zufrieden geben müssen, das schon in der Flasche war.
„Hier Draco, es gehört Dir. Mach damit, was Du willst."
Draco streckte ihr die Hand entgegen und nahm die Flasche. Schweigend betrachtete er den kläglichen Inhalt. Dann nickte er Hermine zu und murmelte „Danke."
Die nächsten Minuten verstrichen in aller Stille. Keiner mehr hatte ein Gefühl für die Zeit. Endlich stand Remus auf und sagte:
„Ich schau mir jetzt mal die Kreuzung an."
Er ging mit seinem leuchtenden Zauberstab in der Hand in den Tunnel am Ende des Kellers. Kaum war er verschwunden, hörten die Anderen einen überraschten Ausruf. Sofort waren sie auf den Beinen und liefen zum Eingang. Remus stand dort, wo die Kreuzung war und leuchtete eine Wand an. Der Gang, der noch vor wenigen Minuten gerade aus geführt hatte, war verschwunden. Nur links und rechts führte ein Tunnel weiter, zur Erleichterung aller schien er breit und hoch und trocken. Auch waren seine Wände mit Ziegelsteinen gemauert, was wenigstens einen Anflug von Zivilisation bedeutete.
„Habt ihr hier nicht einen Gang gesehen?", fragte Remus äußerst verwundert. „Oder habe ich mich getäuscht?"
„Nein, da war ein Gang.", sagte Hermine. „Mensch, Harry, wir sind dort, wo die Gänge verschwinden, weißt Du noch, das Verwirrspiel in der Nähe der Kammer des Schreckens. Erinnerst Du Dich?"
„Ja!" Harry nickte. Wenn sie nur ein wenig Glück hatten, kamen sie vielleicht in den langen Tunnel, der zur Kammer des Schreckens führte. Dann waren sie gerettet. Denn von dort aus konnten sie durch das Rohr in das Klo der Maulenden Myrthe klettern. Aufgeregt berichteten Hermine und er von ihrem Ausflug in die Kammer des Schreckens und der Entdeckung des Verwirrspiels.
Helene und Remus hörten aufmerksam zu auch wenn sie die Erzählung schon von Harry auf Perpignans Place gehört hatten. Auch Draco, der sich in den letzten Stunden immer etwas abseits gehalten hatte, kam herangetreten. Remus schien zu überlegen. Nachdenklich schritt er auf und ab, mit einer Hand das Kinn gestützt und den Kopf gesenkt. Schließlich blieb er stehen, schüttelte den Kopf und drehte sich um.
„Dieses Verwirrspiel...", begann er. „Was würde ich darum geben, wenn es dieses Verwirrspiel nicht geben würde. Jeder Zauberer legt es anders an, gibt ihm einen ganz eigenen Mechanismus mit und hat seine eigene Methode, es zu stoppen. Wenn ich nur wüsste, wie Slytherin es gemacht hat. So jedenfalls haben wir keine Chance, hindurch zu kommen. Nicht einmal durch Zufall."
„Vielleicht hat Draco...", überlegte Helene laut. „Draco! Als Du im See der Erinnerung gebadet hast, bist Du da vielleicht über eine Erinnerung gestolpert..."
Sie unterbrach sich, als sie sah, dass Draco niedergeschlagen den Kopf schüttelte.
„Verdammt, ich kann es nicht glauben!", rief Remus aus. „Wir müssen hier heraus. Ich fühle, es sind nur noch wenige Stunden und ich werde zum Werwolf. Dann gnade Euch Gott!"
„Vielleicht haben wir uns nur getäuscht...", sagte Ron schüchtern und voller Hoffnung. „Ich meine,..., vielleicht haben wir geglaubt, dort einen Gang zu sehen..., vielleicht sind wir nicht in dem Verwirrspiel, sondern in einem ganz normalen Gang..."
Remus sah Ron ins Gesicht. Er spürte den leisen Anflug von Hoffnung, der von Ron aus ging. Ja, vielleicht konnte man den eigenen Augen nicht mehr trauen, wenn man sich stundenlang fernab des Tageslichtes in der Dunkelheit und der schlechten Luft der unterirdischen Gänge aufhielt.
„Du hast recht, Ron. Auch wenn es nicht so ist, dann wäre es jedenfalls egal, ob wir hier oder irgendwo sonst in den Verließen sind, wenn uns die Kräfte verlassen. Solange wir noch Hoffnung haben, haben wir auch noch eine Chance. Lasst uns weiter gehen."
Mit neuer Entschlossenheit stapften sie los. Sie wanderten den breiten und bequemen Gang entlang, vor sich die Finsternis, hinter sich die Finsternis, nur in einer kleinen lichten und trostlosen Welt, die mit ihnen ging. Wieder änderte sich stundenlang nichts am Tunnel. Die Wände und die Decke bestanden auch noch nach Kilometern aus dem Einerlei der grauroten Ziegel. Der Boden war glatt. Er bestand aus geebnetem Lehm, was das Gehen etwas erleichterte. Harry stimmte das zuversichtlich. Sie konnten nicht weit vom Ausgang sein, denn niemand machte sich ohne grund die Arbeit, Lehm und Ziegel so weit unter die Erde zu schaffen.
Hermine war die ganze Zeit mit gesenktem Kopf neben Harry her gegangen. Ab und zu fuhr sie sich mit der Hand durch das Gesicht. Harry sah zu ihr hinüber. Zuerst hatte er Schwierigkeiten im düsteren Licht ihr Gesicht zu erkennen. Dann sah er plötzlich auf ihren Wangen ein Glitzern.
„Du weinst?", fragte er leise.
Als Antwort kam ein kaum hörbares Schniefen.
„Was ist los Hermine?", fragte er besorgt. Er berührte sie am Arm und beugte sich zu ihr hinüber. Hermine hob ihren Kopf und sah ihn durch einen Tränenschleier an. Ihre Wangen waren nass, so, als hätte sie schon eine ganze Weile geweint.
„Ich habe Angst, Harry, schreckliche Angst!", sagte sie und konnte nur mit Mühe verhindern, laut loszuschluchzen. Betroffen legte Harry einen Arm um sie.
„Hermine, wir schaffen es.", war das einzige, das er zu antworten wusste.
„Ich glaube es nicht mehr, Harry. Remus hat vollkommen recht, mit dem Verwirrspiel. Ich habe es nachgelesen, gleich, als wir nach der Kammer des Schreckens wieder oben in Hogwarts waren. Und ich glaube nicht, dass wir uns getäuscht haben. Wir kommen hier nie mehr heraus!"
„Doch, Hermine, ich bin ganz sicher.", sagte Harry mit fester Stimme. Er wunderte sich über seine Zuversicht, aber er hatte ein seltsam sicheres Gefühl im Bauch.
„Glaube mir, Harry, zurück geht es nicht mehr. Und niemand weiß, wohin wir gehen. Niemand weiß wo wir sind. Wer soll und hier unten helfen?"
Harry zuckte mit den Schultern. Ähnliches war ihm auch schon durch den Kopf gegangen, aber er hatte es immer wieder verdrängt. Er hatte Mut durch sein Vorwärtsdrängen geschöpft. Er und Remus - das fühlte er - sie beide würden alle retten. Da war er sicher.
„Harry, ich will noch nicht sterben."
Hermines Stimme erstickte fast.
‚Hermine, du wirst nicht sterben!', dachte er. Und gleichzeitig wurde er unsicher. Sie holte ihn so unvermittelt aus seinen Hoffnungen heraus, dass ihm graute. Nein, sterben wollte er auch nicht.
„Wir werden es schaffen, Hermine, ganz bestimmt.", sagte er, eher um sich selbst zu beruhigen.
„Es ist echt lieb von Dir, Harry, dass Du versuchst mich zu trösten. Aber Du hast weder über die Wehrwölfe noch über das Verwirrspiel gelesen. Du hast nie gerne gelesen, deshalb weißt Du es einfach nicht. Ich weiß es Harry. Wir werden hier unten sterben."
„Ach Hermine, solange wir nicht tot sind, können wir immer noch hier herauskommen. Ich glaube daran. Es ist mir egal, was in den Büchern steht. Ich bin bisher immer aus den schlimmsten Situationen heraus gekommen, warum sollte es jetzt anders sein?"
„Es ist anders, Harry.", antwortete sie. „Wir kämpfen nicht gegen irgend einen Zauberer oder um einen Pokal. Wir haben es nicht mit lebenden Menschen oder Ungeheuern zu tun, vor denen wir zur Not weglaufen können.. Wir haben es mit höchster Magie zu tun, die wir nicht besiegen können. Du bist nur so zuversichtlich, weil Du es nicht weißt."
Harry schwieg. Es hatte schon Momente gegeben, an denen er kurz vor dem Aufgeben war. Irgendetwas hielt ihn jedoch davon ab. Er war noch nicht fertig mit dem Leben. Es gab noch Dinge, die er zu bewältigen hatte. Er glaubte fest daran, dass sein Leben eine Bestimmung hatte, denn sonst hätte er nicht die Angriffe von Voldemort überlebt, sonst wäre er damals mit seinen Eltern gestorben.
„Vertraue mir.", sagte er nur. „Wir werden hier herausfinden."
Hermine lächelte.
„Das ist der Harry, den ich kenne. Du bist echt der beste Freund, den ich habe. Ich glaube, ich habe Dich ganz schön lieb."
Harry schluckte. Was hatte sie gerade gesagt? Er glaubte an eine akustische Täuschung. Das konnte sie nicht gesagt haben. Nein, so wie er es sich wünschen würde, konnte es nicht von ihr gemeint worden sein. Unmöglich!
„Freut mich.", presste er hervor und er war froh, dass die Dunkelheit sein feuerrotes Gesicht verbarg. Und einen Moment später ärgerte er sich über seine hölzerne, unbeholfene Reaktion. Just in dem Moment spürte er ihre Hand, welche die seine in der Dunkelheit ertastete. Er öffnete sie und fühlte ihre Hand in seine gleiten. Vorsichtig schloss er sie und hielt Hermines Hand fest. Ein heißer Strom durchfloss seinen Arm, glitt wie ein Feuer hinauf zu seiner Schulter und bohrte sich in seine Brust. Mitten im Herzen blieb die Wärme stehen und bewegte sich nicht mehr weiter.
Die Anderen waren plötzlich an einer Wegekreuzung stehen geblieben. Ein schmaler, felsiger Gang führte rechts weiter, links wurde nach wenigen Metern eine kleine Kammer ohne weiteren Ausgang sichtbar. Der Weg, der in ihrer Richtung weiter verlief wurde schmal und felsig.
„Wie oft wechselt denn ein Verwirrspiel, Remus?", fragte Helene.
„Das kommt darauf an, wie sehr sich derjenige, der in die irre geführt werden soll, schon verirrt hat.", antwortete Hermine an Remus Stelle. Sie ließ Harrys Hand los und trat nach vorn. „Vor allen Dingen geht der Wechsel möglichst unbemerkt vor."
„Das heißt, wenn wir jetzt wegsehen, dann ändert sich die Kreuzung und wenn wir wieder hinschauen, ist diese Kammer weg?"
Harry hatte das halb im Scherz gesagt.
„Das kann sein, muss aber nicht.", antwortete Hermine ernst. „Das ist ja das Gemeine am Verwirrspiel. Niemand kann es voraussagen."
„Was sollen wir jetzt tun? Geradeaus oder rechts abbiegen?", fragte Helene in die Runde.
„Lasst uns gerade aus gehen.", beschloss Remus mit rauer Stimme. Er setzte sich in Bewegung. Plötzlich begann er zu taumeln. Er wankte zur Wand und stützte sich ab.
„Oh mein Gott!", rief Hermine. Ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet. „Er verwandelt sich!"
„Oh, Mist!", rief Harry erschrocken. „Was sollen wir tun?"
Instinktiv griff er nach seinem Zauberstab. Sollte Remus auf ihn zu stürzen, müsste er sich verteidigen. Welchen Zauber müsste er anwenden? Fieberhaft dachte er nach.
„Wir müssen ihn in die Kammer schaffen!", schrie Hermine. „Harry! Du musst sie mit einem Spinnennetz verschließen! Ron, Draco, helft mir!"
Sie riss Ron am Ärmel hinter sich her. Er wusste nicht, wie ihm geschah, aber instinktiv lief er mit. Gemeinsam mit Helene stürzten sie sich auf Remus. Remus brüllte und bäumte sich auf. Er schlug mit seinen wachsenden Klauen um sich, er krallte sich in die Arme seiner Widersacher, bis sie von breiten roten Striemen und Kratzern übersäht waren. Mit großer Anstrengung gelang es Ron, Draco und Helene, ihn festzuhalten. Hermine hob ihren Zauberstab und ließ dünne, feste Seile aus seiner Spitze hervorschießen. In Windeseile war Remus gefesselt und hing zwischen Draco und Helene. Aus seinem Gesicht sprossen schwarze und graue Haare, es verzerrte sich. Die Nase wuchs und seine Zähne wurden zu langen, gefährlich spitzen Dolchen. Mühsam schleiften sie ihn in den kleinen Raum, legten ihn dort ab und sprangen zurück. Harry hatte inzwischen den Arachno-Xylografen hervorgeholt. Hecktisch tastete er nach dem Knoten, der mit dem Spinnennetz verziert war. Er drückte darauf und ein feines, silbrig schimmerndes Netz spannte sich vor die Öffnung des Raumes.
Remus begann, mit seinen Zähnen die Seile an seinen Händen zu zerreißen. Inzwischen war er von einem dichten graubraunen Pelz bedeckt. Sein Gesicht hatte die Schnauze eines Wolfes bekommen und seine Augen blickten gelb und gefährlich auf die Freunde. Die Fesseln hielten nur wenige Augenblicke. Mit ein paar kräftigen Klauenhieben waren auch die Fußfesseln durchtrennt. Der Werwolf sprang auf und hechtete zum Ausgang des Raumes. Er sprang mit aller Kraft gegen das Spinnennetz, es dehnte sich, aber es hielt stand. Der Werwolf hob die Klauen und begann auf die feinen Fäden ein zu schlagen, aber selbst die scharfen Zähne, die er dann einsetzte, schafften es nicht, das Netz zu zerreißen.
Entsetzt waren die Fünf zurückgewichen. Sie standen bereit, um ihr Leben zu kämpfen, wenn es dem Ungeheuer gelingen sollte, durch das Netz zu kommen. Genau so, wie es den Spinnen gelungen war, konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis sich der Werwolf frei gekämpft hatte und über sie her fiel. Bevor sie jedoch nachdenken konnten, begann der Boden leicht zu beben. Ein eigenartiges, fast unhörbar leises Knirschen drang aus den Wänden. Mit einem Mal begann der Gang, an dessen Ende Remus gegen das Spinnennetz tobte, schmaler zu werden. Das Knirschen wurde für einen Augenblick stärker, der Gang schloss sich und dann war es plötzlich still. Vor ihnen lag eine blanke Felswand.
„Remus!", stöhnte Hermine. „Oh mein Gott, Remus!"
Sie sprang zur Wand und trommelte mit den Fäusten dagegen.
„Tut doch etwas, steht nicht so rum, tut doch etwas!"
Sie wandte sich um. Hilflosigkeit und Entsetzen blickten ihr entgegen. Ron stand wie gelähmt. Er hatte schreckensweit aufgerissene Augen. Auch Draco konnte es nicht fassen.
„Er war unsere einzige Chance.", krächzte er.
„Wir können nichts tun.", sagte Helene. „Das Verwirrspiel wird hier nicht mehr aufgehen."
Hermine schlug die Hände vor ihr Gesicht. Sie taumelte zurück und glitt an der Wand entlang zu Boden. Schluchzend kauerte sie sich zusammen. Helene, selbst bis ins Mark getroffen ging zu ihr hin und nahm sie in den Arm. Wortlos streichelte sie Hermine.
„Es ist alles aus...", hörte Harry Ron stammeln. „Was habe ich nur getan."
„Es ist verdammt spät für diese Einsicht.", keifte Draco. Er sah so aus als würde er sich im nächsten Augenblick auf Ron stürzen. Harry trat zwischen sie.
„Fass ihn nicht an!", sagte er drohend. Draco sah Harry ins Gesicht.
„Ist Dir eigentlich klar, dass er uns in diese Situation gebracht hat?", fragte er mit überraschender Ruhe. „Keine Angst. Ich werde mich nicht an so einem Versager vergreifen."
„Ron ist kein Versager!", sagte Harry scharf. „Er ist ein einzigartiger Freund, der für mich sein Leben geben würde. Er ist etwas, was Du nie sein wirst. Etwas, das Du nie kennen lernen wirst."
„Fang nicht an zu schwafeln, Potter. Ich glaube, der Durst hat Dein Gehirn vernebelt. Du tust mir leid."
Damit drehte sich Draco um, ging ein paar Schritte und setzte sich auf den Boden. Er lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Harry schüttelte den Kopf. Wieso war Malfoy nur so ein Ekel? Er drehte sich um. Ron war bleich wie der Tod. Seit dem Unglück am See der Erinnerung hatte er kaum noch gesprochen. Er war still und in sich gekehrt hinter den anderen her getrottet. Harry hatte es zwar bemerkt, sich aber nicht besonders darum gekümmert. Er sah seine Aufgabe eher darin. Sich mit Remus um den Weg zu kümmern, den sie gingen. Jetzt sah er sich das Gesicht seines besten Freundes an und sah verzehrende Selbstvorwürfe.
„Es tut mir so leid, Harry", sagte Ron leise. Es klang hilflos.
„Ron...", sagte Harry sanft, „Ron, das hätte jedem von uns passieren können, wenn er solche Angst vor Spinnen gehabt hätte wie Du. Malfoy ist blöd, er kapiert nichts. Vergiss, was er sagt."
„Nein, Harry", begann Ron wieder. Er schien weit weg zu sein. „Ich habe unseren Rückweg versperrt. Wegen mir ist nun auch Professor Lupin für immer verloren. Wir werden alle sterben. Das ... kann ich nie mehr gut machen."
„Du bist mein Freund, und Du wirst immer mein Freund sein, Ron. Das kann durch nichts zerstört werden."
Ron sah auf. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Er sah so müde aus. Harry erkannte, dass Ron bereits aufgegeben hatte. Es war kein Lebenswille mehr in ihm.
„Ron!", rief Harry ängstlich. „Halte durch, Ron. Wir schaffen es. Du musst es auch schaffen."
Plötzlich war von Hermine ein fast hysterisches Lachen zu hören. Harry fuhr herum. Wurden sie jetzt alle wahnsinnig? Dann waren sie wirklich verloren.
‚Das ist der Durst!', schoss es ihm durch den Kopf.
„Ron, Du hast doch noch die Flasche Butterbier?!", fragte Harry und wandte sich wieder seinem Freund zu. Für einen Augenblick schien Ron wieder zurück zu kehren. Er griff nach seiner Umhängetasche. Sie war feucht. Hecktisch öffnete er sie und griff hinein. Er griff hinein und gleich schnellte seine Hand zurück. Sie blutete. Zwischen seinen Fingern hielt er eine Scherbe.
„Sie..., sie ist kaputt!", murmelte er, als würde er nicht verstehen, was gerade geschehen ist. „Ich..., sie..., sie muss kaputtgegangen sein, als wir Professor Lupin..."
Jetzt schwand auch Harry der Mut. Sicher, diese eine kleine Flasche hätte nicht viel bewirkt. Im Gegenteil, wahrscheinlich hätte sie den Durst nur für eine kurze Zeit gelöscht, nur um ihn dann noch stärker werden zu lassen. Butterbier war einfach nichts für den Durst, man trank es aus Vergnügen. Aber diese eine Flasche war so etwas wie ein Hoffnungsfunke. Solange sie diese Flasche besaßen, solange hatten sie noch etwas zu trinken.
‚Das Wasser aus dem See der Erinnerung!', schoss es ihm durch den Kopf. ‚Das ist unsere Rettung!'
„Draco!", sagte er in barschem Ton. „Hast Du die Flasche mit dem Wasser noch?"
„Sicher.", antwortete Draco gelassen. Grinsend griff er in seine Jackentasche und holte das kleine Fläschchen heraus. Es enthielt nicht viel, nicht einmal einen achtel Liter. „Willst Du es trinken?"
Dracos Stimme klang gehässig. Harry schüttelte den Kopf. Nein, es hatte keinen Sinn. Diese paar Tropfen würden ihr Leiden nur unnötig verlängern. Mutlos ließ er sich nun auch an der Wand heruntergleiten. Er legte seine Arme über die Knie, lehnte den Kopf an den nackten Felsen und schloss die Augen. Neben sich hörte er, wie Ron ebenfalls die Wand herunter rutschte.
‚Es ist vorbei.', dachte er. Neben sich hörte er Ron leise weinen. Er hatte keine Kraft mehr, Trost zu spenden. Das einzige, was er noch tun konnte, war, seine Hand auszustrecken und Rons Hand festzuhalten. Nachdem er das klägliche Restchen Wasser in Dracos Händen gesehen hatte, wurde sein Verlangen danach immer stärker. Die Zunge klebte am Gaumen. Sie füllte den ganzen Mund aus, schwer und pelzig, kaum noch zu einer Bewegung fähig. Die Kühle der Gewölbe hatte lange dafür gesorgt, dass sie ihren Durst nicht so stark spürten. Doch jetzt wurde er zum alles beherrschenden Gedanken. ‚Wasser! Wasser!!' schrieen sie in das Bewusstsein. Sie übertönten alles, was er denken wollte. Wie gerne hätte er über Hermine nachgedacht, davon geträumt, mit ihr um den See von Hogwarts zu wandern. Kaum hatte er die Vorstellung eines Sees zusammengebracht, war er wieder da, der Durst.
Und langsam begann auch der Hunger in seinem Magen zu bohren. Die letzte Mahlzeit lag nun auch schon mehrere Stunden zurück. Hunger und Durst begannen ihr Spiel zu spielen. Die ersten Kurzträume von Bergen der leckersten Speisen, Krügen mit kühlem frischen Saft tauchten auf. Harry hätte nie gedacht, dass verdursten und verhungern sich so zeigen würde.
Er hatte die Augen wieder geöffnet, um sich von seinen Phantasien abzulenken. Draco war wieder aufgestanden und ging langsam im Halbdunkel hin und her. Irgendwann setzte auch er sich wieder. Ron war eingeschlafen. Er schien zu träumen, denn er bewegte sich hin und wieder und stöhnte. Helene, die Hermine immer noch im Arm hielt, sah bleich und erschöpft zu Harry hinüber. Sie wollte etwas sagen, aber auch ihre Zunge war offensichtlich so geschwollen, dass sie ihren Dienst versagte. Es kamen nur ein paar wenige, lallende Laute über ihre Lippen. Danach schwieg sie wie alle anderen auch.
Wie lange sie so gesessen hatten, wusste Harry später nicht mehr. Irgendwann hatten auch ihn die Kräfte vollends verlassen und die Müdigkeit übermannt. Die Augen hatten gebrannt wie Feuer. Er fühlte sich vollkommen ausgetrocknet. Keine Träne benetzte die Lider und es war egal, ob er die Augen öffnete oder schloss. Sie brannten. Aber es fehlte die Kraft, sie offen zu halten. Ron neben ihm hatte sich schon lange nicht mehr bewegt. Hermine gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Wahrscheinlich waren sie schon gestorben. Er war nicht mehr fähig zu trauern. Draco lag auf der Seite und röchelte. Auch er schien in den letzten Zügen. Das allerletzte Bild, das sich für immer in sein Gedächtnis einbrannte, war Helene, die Hermine kraftlos im Arm hielt.
Er träumte. Jetzt endlich konnte er Hand in Hand mit Hermine und Ron um den See gehen. Auf dem Hügel sah er einen Hirschen, groß und stark, der sein Geweih in den Himmel reckte. Daneben stand eine Frau. Sie winkte und rief; ‚Komm Harry, komm nach Hause.' Es waren seine Eltern, seine Mutter war jung und wunderschön anzusehen, sein Vater in der Gestalt des Hirschen. Sie strotzten vor Lebensfreude.
„Kann ich Ron und Hermine mitbringen?", hörte er sich fragen. Seine Stimme klang seltsam, so weit entfernt.
„Ja!", rief seine Mutter herüber. „Sie gehören auch zu Deiner Familie! Wie Remus und Sirius."
„Wo ist Remus?", fragte er.
„Hier bin ich." Remus trat von der Seite auf ihn zu. Hinter ihm ging Sirius und lächelte. „Ich bin endlich befreit.", sagte Remus sanft.
„Sirius, was machst Du hier?", fragte Harry erstaunt. „Bist Du etwa auch gestorben?"
„Ich helfe nur meinem Patenkind auf dem glücklichsten Weg seines Lebens. Nein, ich bin nicht gestorben. Ich muss noch ein paar Jahre leben, aber irgendwann komme ich auch. Warte nur noch ein wenig auf mich."
Dann auf einmal waren alle verschwunden. Harry wanderte durch sein Leben. Er sah sich selbst im Hogwarts - Express sitzen und die Schokofrösche bewundern, die Ron ihm auf seiner ersten Fahrt gezeigt hatte. Dann befand er sich plötzlich in Hagrids Hütte und sah, wie Norbert, der kleine Stachelbuckel aus dem Ei schlüpfte. Ein ganz warmes Gefühl durchströmte ihn plötzlich. Sein Freund Hagrid! Einem so lieben und harmlosen Menschen war er noch nie in seinem Leben begegnet.
Dann wiederum saß er auf seinem Besen und jagte dem Schnatz hinterher. Henry tauchte auf. Er feuerte Harry an, winkte. Professor McGonagall und Professor Dumbledore kamen über das Spielfeld gelaufen. Da! Da kam Cho.
„Leb wohl Harry", rief sie. „Du warst ein toller Sucher."
Neben ihr ging Cedric Diggory. Er hielt ihre Hand.
„Hallo Harry!", sagte er fröhlich. „Willkommen auf der anderen Seite. Du wirst sehen, es ist wunderschön hier."
Plötzlich sah er wieder seinen Vater. Im Geweih saß Fawks, der Phoenix. Fawks sah mit großen Augen zu Harry herunter. Er öffnete seinen Schnabel und begann zu singen. Ein wunderbarer, glockenheller Klang füllte die Luft. Er labte Harry. Das Gefühl von Durst schwand. Die Lippen, die geschwollen und aufgeplatzt wie ein Fremdkörper in seinem Gesicht saßen, füllten sich mit frischer Feuchtigkeit. Seine Zunge begann, wie in einem See zu schwimmen und er fühlte erfrischendes Nass seine trockene Kehle hinunter rinnen.
„Ihr habt Glück gehabt.", sagte eine vertraute ruhige Stimme. Harry sah in das freundliche, faltige Gesicht von Professor Dumbledore, der ihn gütig und leicht verschmitzt ansah. In seiner Hand hielt er einen Becher, den er nun wieder an Harrys Mund führte. Unendliche Dankbarkeit durchfloss Harry. Dankbarkeit dafür, dass er vor seinem endgültigen Sterben noch einmal seinen Durst stillen durfte.
„Danke...", flüsterte er.
„Sprich nicht.", sagte Dumbledore. „Trink noch einmal."
Mit einem Mal spürte Harry, dass er nicht mehr träumte. Es war viel zu wirklich, was er jetzt sah und hörte. Der Gesang des Phoenix war verstummt, jetzt aber sah er Fawks. Er saß auf dem Boden, vor Helene und Hermine, die sich aufgerichtet hatten und erleichtert zu Harry herüber sahen. Auch Ron saß aufrecht. Er lebte. Draco lebte ebenfalls. Harry verstand nicht, was geschehen war. Ein leises Geräusch veranlasste ihn, seinen Kopf zu drehen. Er sah in Remus Gesicht.
„Remus!", hauchte er. „Wie ... wie bist Du rausgekommen?"
„Hmm, ein ähm Verwirrspiel wirkt offenbar nur auf Menschen.", erklärte Remus lächelnd. „Als Werwolf ist man eher ein Tier, als ein Mensch. Ich kann mich erst wieder erinnern, einen langen Gang entlang gelaufen zu sein. Da hatte ich mich wieder zurück verwandelt. Und plötzlich habe ich die Haut des Basilisken gesehen. Jetzt wusste ich, wo ich war. Es war unser Aller Glück, dass Du mir an Weihnachten von Eurem Ausflug in die Kammer des Schreckens erzählt hast. Ich suchte den Aufgang zum Klo der Maulenden Myrthe. Du hast mir gar nicht gesagt, wie schwierig es ist, durch dieses Rohr hinauf zu klettern."
„Beim ersten Mal hat uns der Phoenix geholfen.", murmelte Harry mühsam. Seine Kehle kratzte und der ganze Mund fühlte sich wund an. „Und dann?"
„Ja, dann..., dann bin ich direkt zu Dumbledore gelaufen. Ich hatte das Gefühl, dass er der einzige war, der uns helfen konnte. Stell Dir vor, John war auch da. Er hatte eine Vision gehabt, in der er Euch in höchster Not sah. Dumbledore versuchte gerade herauszufinden, wo ihr seid. Aber John konnte es nicht sagen, er sprach nur von einem Gang, von schrecklichen Qualen. Ich glaube, es ist das erste mal, dass ich Dumbledore so aufgeregt gesehen habe. Er ist herum gelaufen und hat John immer wieder gefragt. Aber John wusste es nicht. Möchtest Du von der Schokolade? Sie wird Dir gut tun. Madame Pomfrey hat mir die Taschen damit vollgestopft."
Harry nickte. Remus brach ihm einen Riegel von der Tafel und reichte sie Harry. Aber der hatte Mühe, seine Arme zu heben, und so brach Remus den Riegel in Stückchen und schob sie Harry nacheinander in den Mund. Mit jedem Stückchen fühlte Harry mehr, wie seine Kräfte wiederkehrten.
„Zuerst hat Dumbledore gar nicht geglaubt, dass ich vor ihm stand. Ich wusste zuerst nicht, wie ich in sein Büro hinein kommen konnte. Du weißt ja, dieser Brunnen... Aber dann kam Professor McGonagall und öffnete den Eingang. Sie war erstaunt, mich zu sehen, und zuerst wollte sie gar nicht, dass ich mit hinauf komme. Ich habe fast angefangen, mit ihr zu streiten, was Dumbledore schließlich mitbekam. Er bat mich in sein Büro.
Ich berichtete kurz. Sofort rief Dumbledore Madame Pomfrey zu sich. Ich erklärte die Sache mit dem Verwirrspiel. Kaum hatte ich geendet, schwang sich Fawks auf und setzte sich bei Dumbledore auf die Schulter. Der gute Vogel wusste, dass nur er in der Lage war, einen Weg zu Euch zu finden. Gut, wir sind dann in das Klo der Maulenden Myrthe gelaufen und durch das Rohr hinunter gerutscht. Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte man durchaus Spaß dabei haben können, durch die Röhre zu sausen.
Als wir dann vor das Verwirrspiel kamen, haben wir uns alle bei der Hand genommen. Fawks, dessen Schwanzfedern Dumbledore festhielt, ist vorausgeflogen und hat uns durch das Labyrinth geführt. Ich bin so froh, dass ihr noch lebt."
Erleichtert lehnte sich Harry zurück.
„Ich glaubte, tot zu sein.", sagte er leise. „Ich habe sie alle gesehen, meine Eltern, Cedric Diggory war auch da, und Du ... und Sirius. Es ist so friedlich dort drüben..."
„Ja, es ist sicherlich friedlich dort drüben, Harry.", stimmte Remus zu. „Aber ihr werdet hier noch gebraucht. Du musst noch mit der Schulmannschaft spielen. Irgendwann brauchen Deine Kinder Dich und natürlich auch Deine Frau. Die Welt der Zauberer braucht Dich, damit Du hilfst, den finsteren Lord zu besiegen. Dein Leben ist noch lange nicht zuende, mein Freund."
Remus lächelte. Harry nickte. Ja, sein Leben war noch lange nicht zu Ende und er hatte es die ganze Zeit gespürt. Das war die Sicherheit, mit der er zu Hermine gesagt hatte, sie würden gerettet werden.
Nach kurzer Zeit konnten sie sich bereits wieder erheben. Die Schokolade von Madame Pomfrey wirkte Wunder. Neue Kraft floss durch ihre Adern, deren Blut durch einige Becher Wasser wieder verdünnt wurde. Dumbledore mahnte zum Aufbruch. Wieder ging er an der Spitze, die Schwanzfedern des Phoenix in der Hand. Die andere hielt die Hand von Helene die wiederum ihre Hand dem nächsten reichte. So gelangten sie durch das Verwirrspiel, das zum Erstaunen von Harry nur wenige hundert Meter lang fast gerade aus führte. Nur zwei mal wechselten Sie die Richtung, direkt am Anfang und kurz vor dem Gang, der zur Kammer des Schreckens führte.
Nachdem sie das Verwirrspiel verlassen hatten, konnten sie gemütlich nebeneinander her gehen. Dumbledore gesellte sich zu Harry, Ron, und Hermine. Er bemerkte, dass Hermine und Harry sich an der Hand genommen hatten. Er lächelte einen Augenblick, war aber diskret genug, es nicht weiter zu beachten.
„Es ist schon spannend", begann er, „den Ort zu sehen, an dem schon so viel mit Euch geschehen ist. Am liebsten würde ich mir einmal diese Kammer des Schreckens, die ja nun keinen Schrecken mehr hat, ansehen. Reine Neugier! Aber ich glaube, es ist jetzt besser, Euch erst einmal wieder an das Tageslicht zu befördern."
Bald schon hatten sie das Rohr erreicht, das hinauf ins Schloss führte. Wieder griff Dumbledore nach den Schwanzfedern des Phoenix. Alle nahmen sich bei der Hand. Fawks streckte die Flügel aus und erhob sich mühelos in die Luft. Mit atemberaubender Geschwindigkeit zischten sie durch die finstere Röhre, und ehe sie sich versahen, plumpsten sie in das Klo der Maulenden Myrthe.
Die war zwar nicht zu sehen, aber man hörte, wie sie in einer der Kabinen saß und sich über die Aufregung beschwerte, die seit einigen Stunden in ihrem Zuhause herrschte. Professor Sprout, Professor Flitwick, Madame Pomfrey und natürlich auch Professor Snape sowie die Vertrauensschüler der Häuser Slytherin und Gryffindor waren anwesend und hatten eine ganze Weile auf das Ankommen der Rettungsexpedition gewartet.
Professor Snape schob die beiden Vertrauensschüler beiseite und trat einen Schritt vor.
„Natürlich Potter und seine Freunde, die wiedereinmal diese Schule in Aufruhr bringen.", sagte er hasserfüllt. „Es reicht Euch nicht, Euch selber in Gefahr zu bringen. Nein, Jetzt müsst ihr auch noch Lehrer dieser Schule hinein ziehen und einen Schüler aus meinem Hause. Freut Euch auf das Nachspiel!"
„Severus.", sagte Dumbledore begütigend. „Lassen Sie es gut sein. Seien wir doch froh, dass sie wieder gerettet werden konnten."
„Professor Dumbledore!", begehrte Snape auf. „Wann endlich werden Sie diese Unruhestifter von der Schule weisen? Ich finde, das Maß ist voll."
„Mein lieber Severus, ich weiß Ihre Meinung sehr zu schätzen, aber ist Ihnen nicht aufgefallen, dass sie deshalb in Gefahr geraten sind, weil sie dem Hause Slytherin helfen wollten?"
„Niemand hat sie darum gebeten.", zischte Snape. „Und ob es eine Hilfe war, werden wir noch feststellen. Dass selbst der Schulleiter eingreifen muss, um sie aus der Lage zu befreien, in die sie sich selbst gebracht haben, treibt das ganze auf die Spitze. Es scheint Ihr ganz persönliches Bedürfnis zu sein, sie fortwährend in Schutz nehmen zu müssen, aber mir reicht es langsam. Ich kann es nicht mehr mit ansehen, dass Sie sich ständig wegen dieser verwahrlosten Jugendlichen selbst in Gefahr bringen, Professor Dumbledore. Ich fürchte, ich muss mich jetzt an den Schulbeirat wenden, um dieses Ungeziefer endlich von der Schule zu entfernen."
„Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Severus.", antwortete Dumbledore ruhig. In seiner Stimme schwang jedoch ein scharfer Unterton mit. „Sie sollten jedoch darüber nachdenken, ob Sie wirklich so viel Einfluss haben, dass dieser Schuss nicht nach hinten los geht. Denken Sie darüber nach, wenn Sie Ihre Stelle behalten wollen."
Jetzt ergriff Madame Pomfrey die Initiative. Sie wies die Vertrauensschüler an, die Geretteten in die Krankenstation zu bringen. Remus begleitete sie noch, zog es aber vor, sich danach in das Gästezimmer zurück zu ziehen, das er in den Tagen seit ihrer Ankunft auf Hogwarts bewohnte.
Ron sah sichtlich erleichtert aus. Er lag in dem mittleren Bett zwischen dem von Harry auf der einen und Draco auf der anderen Seite. Draco las einen magischen Comic, aus dem es krachte und zischte und schlürfte Limonenlimonade durch einen dicken Strohhalm. Er sah eher aus wie ein Urlauber, als wie jemand, dem gerade das Leben gerettet worden war.
„Ich muss etwas gegen meine Spinnenangst machen.", sagte er leise zu Harry. „So etwas darf nie mehr vorkommen."
„Wenn Du willst, helfe ich Dir dabei.", sagte Harry ebenso leise. „Und Remus und Sirius sicher auch. Ganz sicher. Das bekommen wir schon hin, Ron."
„Bist Du mir böse, Harry?", fragte Ron.
Harry schüttelte den Kopf.
„Nein, Ron. Wer weiß, was ich für Fehler mache, wenn ich Angst habe. Es ist doch noch einmal gut gegangen. Und hör nicht auf Draco. Es ist völlig unwichtig, was er sagt. Denn wenn Du die Decke nicht zum Einsturz gebracht hättest, wären wir vielleicht nicht mehr am Leben. Wahrscheinlich hätten wir uns gegen diese Überzahl von Spinnen gar nicht verteidigen können." Grinsend fügte er leise flüsternd hinzu: "Oder glaubst Du etwa, Malfoy hätte sie vielleicht mit einer Auswahl seiner dümmsten Muggelwitze allesamt zu Tode langweilen können?"
"Danke Harry" sagte Ron. Ein vorsichtiges Grinsen flog über sein Gesicht. Entspannt ließ er sich in die Kissen sinken. Der Gedanke, dass Malfoy versucht, Spinnen mit langweiligen Witzen zu bekämpfen war einfach zu gut, um ein schlechtes Gewissen zu haben.
