Kapitel 3: Gerücht und Wahrheit

„Meine Antwort ist mit diesem Sakkabato."

Himura Kenshin, Seisou Hen, Fansub

Kenshin bemerkte Toshihiros Blicke und seine wachsende Neugier nicht. Er dachte über das nach, was ihn an einem Tag ins Dorf gebracht hatte,, an dem er normalerweise nicht hier wäre.

„Ich bin heute aus einem bestimmte Grund hier, Toshihiro-dono." Kenshin sah ihn an und lächelte schwach. „Ich hatte gehofft, du könntest mir helfen."

Toshihiro schreckte aus seiner Träumerei auf und blickte Himura an. „Wenn ich dir helfen kann, werde ich das tun. Was bedrückt dich?"

Kenshin strich sich die Haare mit einer nervösen Geste aus der Stirn. Er war sich nicht sicher, wie er Toshihiro von seinem Problem erzählen sollte, ohne sich selbst zu verraten, aber er musste wissen was mit ihm los war. Er fühlte sich kraftlos und müde, obwohl er keinen Grund dazu hatte, selbst wenn sein Schlaf ruhig war. Es schien ihm, als würde sein Körper schwächer werden, und alte Wunden begannen zu schmerzen, besonders die auf seinem Rücken. Er atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen.

„Ich bin in letzter Zeit erschöpfter als ich sein sollte," sagte er vorsichtig. „Außerdem schmerzen einige von den Wunden, die ich vor Jahren im Kampf erhalten habe."

Toshihiros Augen weiteten sich bei diesen Worten, und er begann nun ernsthaft in Betracht zu ziehen, das sein Freund wirklich der legendäre Hitokiri sein könnte. Er verfiel in seine fachmännische Stimme und verbarg damit seine wachsende Neugierde. „Hast du härter gearbeitet als sonst?"

„Nein.", kam die rasche Antwort. „Eigentlich sogar viel weniger."

„Hattest du diese Probleme schon mal?"

„Vor kurzem habe ich mich ziemlich müde gefühlt und nicht besonders gut geschlafen." Kenshin nippte wieder an seinem Tee und sah zu seinem Freund auf, der tief in Gedanken war.

„Wie alt sind die Verletzungen, die dich plagen?"

Kenshin dachte für einen Moment nach, bevor er antwortete und fragte sich, ob Toshihiro genug über die Ereignisse vor vier Jahren wusste, um ihn mit dem stärksten und bekanntesten Hitokiri der Ishinshishi in Verbindung zu bringen. „Vier Jahre."

Toshihiro nickte. „Ich muss die Narbe untersuchen, um herauszufinden, was das Problem ist. Wenn du bitte mit in Vaters Untersuchungszimmer kommen würdest."

Kenshin setzte seine Tasse ab, stand auf und folgte Toshihiro in den Teil des Hauses, der von dessen Vater als Klinik benutzt wurde; mit bangem Herzen und der unaufhörlich murmelnden Stimme des Hitokiri im Kopf. Toshihiro zündete eine Lampe an und befahl Kenshin, den Oberkörper freizumachen, damit er sich die Narbe ansehen konnte. Dabei weiteten sich seine Augen vor Überraschung. Auf dem Rücken des jungen Mannes waren, neben zahlreichen anderen, drei deutliche parallele Narben von Hiebwunden. Einige der Narben waren nur dünne und blasse Linien, während andere auf tiefere und ernstere Verwundungen hinwiesen.

„Wie hat er einige von denen nur überlebt?" fragte sich Toshihiro, als er sich bei Kenshin erkundigte, welche Narben schmerzten.

„Hauptsächlich die drei auf meinem Rücken.", war die Antwort.

Toshihiro untersuchte die Narben und tastete sie ab. Dabei bemerkte er, dass sie schon weiß vor Alter waren, dazu ausgefranst und uneben. Er fuhr mit dem Finger darüber und er spürte das vernarbte Gewebe unter der Haut. Die Muskeln darunter waren straff und möglicherweise geschädigt worden, als Himura sich diese Verletzungen zugezogen hatte. Toshihiro runzelte die Stirn, denn er wusste wie wenig er, neben etwas Medizin gegen die Schmerzen, tun konnte, und dass der Schaden mit der Zeit spürbarer werden würde.

„Die Narben schmerzen, weil die Wunde nie richtig geheilt ist. Wer auch immer sie behandelt hat, hat schlechte Arbeit geleistet."

Kenshin sagte nichts zu dieser Feststellung, denn er selbst hatte damals seine Verletzungen versorgt. In Otsu hatte es keinen Arzt gegeben, und er war zu jener Zeit weder körperlich noch seelisch in der Lage gewesen, um zu reisen. Danach war keine Zeit mehr, um sich um das Verheilen der Wunde zu kümmern.

Als Toshihiro seine Untersuchung beendet hatte, zog sich Kenshin wieder an und sie kehrten in den Verkaufsraum zurück. Toshihiro brühte frischen Tee auf, und für einige Zeit saßen sie in Stille, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Schließlich brach Toshihiro das Schweigen.

„Ich kann dir etwas gegen die Schmerzen geben, aber das ist alles. Und für deine Schwäche... ich kann keinen anderen Grund sehen als Schlafmangel." Er betrachtete Himura näher und fragte sich, was seinen Schlaf so störte, das es ihn nächtelang wach hielt. Die normalerweise hellen Augen seinen Freundes schienen fahl, und hatten dunkle Ringe.

 „Arigato, Toshihiro-dono. Ich werde versuchen mich mehr auszuruhen und ich werde die Medizin nehmen, die du mir gibst. Aber ich habe kein Geld, deshalb werde ich es dir zurückzahlen wenn ich es kann." Er trank den Rest seines Tees und stand auf. „Und jetzt muss ich weiter."

Toshihiro stand auf und verneigte sich vor Kenshin, als dieser sich den Schal um den Hals schlang und den weiten Strohhut aufsetzte.

„Ich hole die Medizin ab, wenn ich vom Markt komme."

„Ich werde hier sein." Himura verließ den Laden, und Toshihiro wunderte sich erneut über den jungen Mann. „Er muss der legendäre Attentäter sein... aber was macht er ausgerechnet hier?"

Toshihiro dachte weiter darüber nach, während er aufstand und begann, einige der getrockneten Kräuter wegzuräumen, die sein Vater kürzlich mitgebracht hatte. Er war gerade damit fertig geworden und kehrte den Boden um den Ladentisch, als ein großer, dunkeläugiger Mann den Laden betrat. Toshihiro erkannte ihn als einen Arbeiter von einem der nahegelegenen Bauernhöfe.

„Kann ich euch helfen?" fragte er gutgelaunt.

Der Mann blickte sich um, als suche er etwas, dann sah er Toshihiro an. Toshihiro bemerkte, dass die Kleidung des Arbeiters reichlich mitgenommen aussah, und der Mann sich darin unbehaglich zu fühlen schien, aber er zeigte nicht, dass er es bemerkt hatte.

„Ich brauche etwas, damit ich nachts schlafen kann." Erklärte der Mann, während seine Augen den Raum erneut absuchten.

„Ihr seid schon der zweite, der heute wegen Schlafmangels zu mir kommt." Toshihiro suchte in den Regalen nach dem Gewünschten und bemerkte dabei nicht, dass der Mann etwas in die Medizin auf dem Ladentisch gleiten ließ.

„Das hier wird euch helfen. Lasst diese Blätter für einige Minuten in heißem Wasser ziehen und trinkt den Sud vor dem Schlafengehen."

„Arigato." Der Mann verneigte sich, bezahlte und trat auf die Straße hinaus. Er war enttäuscht, dass er nicht gefunden hatte, worauf er wirklich ausgewesen war.

"Egal. er wird bald aus seinem Versteck kommen."

Unbemerkt glitt der Mann die Straße hinab, so in Gedanken versunken, dass er nicht wahrnahm, dass der, den er suchte, gerade an ihm vorbei ging.

*

Kenshin kehrte zu Toshihiros Laden zurück um seine Medizin mitzunehmen. Nach einem kurzen Aufenthalt machte er sich wieder auf den Weg zum Hof der Hirayoshis. Der Wind war während des Morgens aufgefrischt und die Temperatur war spürbar gesunken. Er zog sich den Schal fester um den Hals und schob die Hände in seinen Gi um sie zu wärmen. Er beobachtete, wie jeder Atemzug zu feinen Nebelwölkchen gefror und blickte zum schiefergrauen Himmel empor, sein Herz plötzlich bedrückt.

„Es wird bald wieder schneien", dachte er. Dieser Gedanke rief Erinnerungen wach, mit denen er sich jetzt lieber nicht befassen wollte, also schob er ihn rasch beiseite. Stattdessen konzentrierte er sich auf seine Schritte und darauf, den Bauernhof zu erreichen, bevor das heraufziehende Unwetter losbrach.

An einigen Stellen unter seinen Füßen verdeckte der Schnee eine dünne Eisschicht, und jeder Schritt war ein gefährliches Unterfangen. Vorsichtig überquerte er die freie Fläche vor sich, um unter einigen Bäumen sichereren Halt zu finden.

Er konzentrierte sich so auf seine Schritte, dass er das schwache, sirrende Geräusch des Dolches, der auf ihn zuflog, fast überhört hätte. Ebenso bemerkte er beinahe nicht die zwei Shurikens, die aus den Wipfeln der Bäume auf ihn zuschossen. Eine halbe Sekunde später war er alarmiert und seine kampferprobten Instinkte übernahm die Kontrolle. Kurz bevor die drei Geschosse ihn trafen, duckte er sich und rollte sich zur Seite. Dabei wirbelte er eine Wolke von pulvrigem Schnee auf, um den Blick seines Angreifers zu versperren. Im selben Moment griff er nach seinem Sakkabato, der Ruf des Kampfes und die Stimme des Hitokiris, der darauf antwortete, klangen in seinen Ohren.

Seine goldenen Augen verengten sich, als er wieder auf die Füße kam und bemerkte, dass er keine Waffe in Händen hielt. Dann erinnerte er sich, dass er sein Sakkabato auf dem Hof zurückgelassen hatte.

„Kuso!", murmelte er und stürmte in den Schutz des Waldes, wo er nicht so ausgeliefert sein würde.

Er sah keine andere Möglichkeit, als seinen Gegner so schnell wie möglich zu finden und mit bloßen Händen zu entwaffnen. Als er die Bäume erreicht hatte, schickte er sein Ki aus um zu spüren, wo sein Feind sich verbarg. Aber er spürte nichts. Es war, als wäre niemand da.

„Shurikens und Dolche tauchen nicht einfach aus dem Nichts auf. Wo ist der Angreifer, und woher wusste er, dass ich hier entlang kommen würde? Weiß er, wer ich bin? Nein, das kann nicht sein. Jeder hier denkt, dass ich ein nur harmloser Vagabund bin. Keiner weiß von meiner Vergangenheit in Kioto oder dass ich ein Hitokiri bin/war."

Mit schmalen Augen suchte Battosai die Bäume über ihm ab, aber er sah und spürte nichts in den Zweigen.

Eine Stunde lang durchsuchte er die Umgebung nach irgendwelchen Zeichen seines Angreifers, aber fand nichts. Die einzigen Fußspuren im Schnee waren seine eigenen, und die Waffen, die ihn angegriffen hatten, waren ebenfalls verschwunden. Er runzelte die Stirn, und nachdem er nochmals alles kontrolliert hatte, gab er wieder dem Rurouni die Kontrolle.

„Wer hat uns angegriffen, und warum?", dachte Kenshin, während seine violetten Augen weiterhin alles um ihn herum beobachteten.

Jemand ist hinter uns her. Wir haben viele Feinde!

Kenshin konnte das nicht verleugnen, aber dennoch fragte er sich, ob er nicht langsam durchdrehte.

Ein Schatten löste sich von einem der Bäume und beobachtete, wie der frühere Hitokiri Battosai unter den Bäumen verschwand. Sobald er außer Sichtweite war, steuerte er rasch auf das Dorf zu, um seinem Meister zu berichten, dass Battosai immer noch unter den Lebenden weilte.

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Glossary:

Gi- kurzer Kimono, japanisches Oberteil für Männer (Kenshin's ist im Anime pink ;-)

Shuriken- chinesische Wurfsterne

Kuso- jap. Schimpfwort, etwa „Verflucht!", „Scheiße" oder „Verdammt"

Ki- jap., Aura oder Kampfgeist eines Menschen. Schwertkämpfer oder sonstige Krieger können durch entsprechendes Training diese Aura und somit die Gegenwart eines Menschen spüren. Je stärker der Mensch, desto stärker die Aura. Häufig in Fanfics verwendet,