Kapitel 4: Wachender Albtraum
„Kämpfen kann eine Kettenreaktion starten und zu noch mehr Kämpfen führen."
Himura Kenshin, Seisou Hen, Fansub
Kenshin träumte wieder von jener Zeit, und der Traum war voll von Schreien und dem Geruch von Blut. Jede Nacht war es das selbe, ein unendlicher Albtraum, hervorgerufen von seinem schlafenden Geist aus seiner eigenen Vergangenheit. Er sah das Gesicht jedes seiner Opfer, hörte jeden Schrei und erinnerte sich an jeden Schauplatz jedes Kampfes, in den er je verwickelt gewesen war. Die Träume kamen und gingen, erlaubten ihm nie Frieden für länger als einen Tag und ließen ihn nie vergessen, was er im Auftrag, eine neue Ära des Friedens zu erschaffen, geworden war.
Dieser Traum war dunkler und blutiger als die meisten. Es war eine dunkle, mondlose Nacht, und er hatte gerade einen Auftrag erledigt. Er wischte das Blut von seinem Schwert, als eine Gruppe von Shinsengumi um die Ecke bog. Als sie ihn und seine ‚Arbeit' sahen, brach die Hölle los.
„Das ist Battosai!"
„Dafür wirst du büßen!"
„Ihm nach..."
Kenshin flüchtete sich in die entgegengesetzte Richtung und verfluchte seine Pechsträhne. Das war schon das vierte Mal in den vergangenen Tagen, dass er von den Shogunats- Streitkräfte entdeckt worden war.
„Es gibt eindeutig einen Verräter in unserer Mitte, jemand, der alle meine Bewegungen kennt."
Es gab nicht viele, die an diese Art von Informationen herankommen konnten, nur Leute an der Spitze der Choshu wussten solche Dinge. Er rannte weiter, sein Geist brütete wütend über dem Problem des Verräters und über einem Ausweg aus diesem Irrgarten, den Kiotos Straßen bildeten. Er kam an mehreren Abzweigungen vorbei, in denen er die Gegenwart von Menschen spüren konnte. Ob Freund oder Feind wusste er nicht, aber er würde sie nicht in Kämpfe hineinziehen, falls es dazu kommen sollte.
Schließlich duckte er sich in eine unbeleuchtete Seitengasse, in der er niemanden spüren konnte; auch wenn das nichts heißen wollte. Lautlos glitt er in die Schatten, seine goldenen Augen suchten das Gebiet vor ihm ab, bevor er langsam die Straße hinab lief.
Nach einigen Minuten drehte er sich um und sah zurück zum Eingang der Gasse, konnte aber nichts sehen oder hören.
„Habe ich sie endlich abgeschüttelt?", fragte er sich und glitt weiter die Straße hinab, verborgen in den Schatten.
Als er glaubte, zu weit in der Straße zu sein als das seine Verfolger ihn noch hören oder sehen konnten, sprang er geräuschlos auf das Dach des nächstbesten Hauses. Lautlos und geschmeidig wie Katze lief er über die Dächer. Er bewegte sich schnell und sicher, denn er hatte das schon so oft getan, dass er seinen Weg wenn nötig mit verbundenen Augen fand.
Deshalb überraschte es ihn umso mehr, dass auf einmal ein Ziegel unter seinen Füßen wegrutschte. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte ab, zusammengekrümmt, um den Aufschlag abzuschwächen und den Schaden möglichst gering zu halten. Seine Landung war so kontrolliert, wie sie unter den gegebenen Umständen sein konnte, aber trotzdem kam er hart auf dem Boden auf und hörte seinen Knöchel knacken, als ein stechender Schmerz durch sein Bein schoss.
„Kuso!", murmelte er leise.
Beim Aufschlag hatte er sich den linken Knöchel verstaucht oder sogar gebrochen. Er versuchte aufzustehen, merkte aber sofort dass sein Knöchel sein Gewicht nicht tragen würde, also setzte er sich wieder hin und überlegte, wie er am besten zum Hauptquartier zurückkehren konnte. Vorsichtig untersuchte er seinen Knöchel und verzog das Gesicht vor Schmerz.
„Kuso!", murmelte er erneut düster.
Dann riss er entschlossen einige Stoffstreifen von seinem Ärmel und verband damit seinen Knöchel, um ihn zu stabilisieren und weiteren Schaden zu vermeiden. Erneut versuchte er aufzustehen und diesmal gelang es ihm auch. Wenn er sein Schwert als Stütze benutzte, konnte er es bis zum Gasthaus schaffen. Langsam humpelte er die Straße hinab und versuchte möglichst wenig Geräusche zu verursachen, während er innerlich sein Pech verfluchte.
„Es scheint, als habe das Glück dich verlassen, Hitokiri.", gab eine Stimme aus den Schatten seine dunklen Gedanken wieder.
Er drehte den Kopf, seine Hand glitt zum Griff seines Schwertes, als sich ein Schatten von der Wand löste. Er erhaschte einen kurzen Blick auf ein schattiges Gesicht, aber nicht mehr. Das Schwert des anderen Mannes funkelte im schwachen Licht, als es auf Kenshins Gesicht deutete. Kenshins Augen weiteten sich, dann wurden sie schmal und glänzten vor Kälte und Wut.
„Man hat also dem mächtigen Drachen die Schwingen gestutzt?", schnarrte der Mann und starrte spöttisch auf Kenshins verletzten Knöchel. „Was für ein Pech für dich und was für ein Glück für mich. Genau die Person, die ich finden sollte, fällt mir genau in den Schoß. Du ersparst mir die Suche, Hitokiri. Jetzt wirst du die Himmlische Gerechtigkeit empfangen und sterben! Ich werde die Ehre haben, den legendären Hitokiri Battosai zu töten! Hoffentlich bist du für das nächste Leben vorbereitet, du Mörder!"
Der Mann hob sein Schwert, aber er übersah die Wut, die sein scheinbar hilfloses Opfer überkommen hatte. Kenshin fühlte, wie die Kälte des Hitokiris ihn in seine schattige Umarmung hüllte. Mit einem Schrei stürmte der Mann los und sprang nach oben, um ihn aufzuschlitzen. Schneller als das Auge sehen konnte, wurde der angreifende Mann von Battosais Attacke in zwei Hälften geschnitten, bevor er auch nur zwei Schritte auf ihn zutun konnte. Mit einem dumpfen Geräusch fiel der Körper zu Boden. Blut spritzte über den Boden, die Wände der Häuser und Battosai selbst, und bedeckte ihn mit seiner klebrigen, metallischen Nässe. Der Hitokiri Battosai erhob sich aus seiner kauernden Stellung und wischte das Blut von seinem Schwert, bevor er es wieder in die Scheide schob. Mit teilnahmslosen, goldenen Augen sah er auf den toten Körper hinab.
„Dummer Junge, aber du warst mutig. Ich hoffe du findest Frieden im nächsten Leben.", sagte er, seine Augen flackerten zwischen golden und violett. Er drehte sich um und ging ruhig die Straße hinab, ohne das Blut, das ihn bedeckte, oder den Schmerz in seinem Knöchel zu beachten.
Er war vielleicht einen halben Kilometer weit gekommen und hatte gerade die Gasse betreten, die zum Gasthaus führte, als sein Knöchel entgültig nachgab und er wieder hinfiel. Einen Moment saß er wie betäubt am Boden, dann betrachtete er seine Umgebung. Es gab keine Seitenstraßen in diesem Gebiet und auch keine Orte, an denen sich ein Attentäter verstecken konnte. Er konnte niemanden spüren, aber das bedeutete nicht viel. Er verbarg sich tiefer in den Schatten und sein Blick suchte die sichtbare Hälfte der Straße nach Feinden ab, doch niemand war zu sehen. Sein Geist erwog und verwarf verschiedene Möglichkeiten, wie er jetzt vorgehen sollte. Schließlich entschied er sich, dort zu bleiben wo er war, bis die Sonne aufging und die meisten Attentäter der Bakufu verschwunden sein würden.
Er hatte sich gerade noch weiter in die Schatten zurückgezogen und bereitete sich auf ein langes Warten vor, als aus der Richtung, aus der er eben gekommen war, Schritte erklangen. Sie bewegten sich leise, aber er konnte sie hören. Ein gedämpftes Keuchen sagte ihm, mit wem er es zu tun hatte.
„Okita Shoshi und die erste Einheit der Shinsengumi... verdammt," dachte er. Er rechnete seine Chancen aus, zu überleben, wenn er kämpfen musste.
Diese Chancen waren nicht sehr gut, denn der verletzte Knöchel halbierte seine Kampffähigkeiten, aber dennoch war er entschlossen zu kämpfen. Er mochte ein Hitokiri sein, aber er war auch ein Samurai im Dienste der Choshu, und ein Samurai floh niemals vor einem Feind! Angespannt wartete er, bis sie in seinem Sichtfeld erschienen, seine Hand umklammerte den Griff seines Schwertes, um ihr Zittern zu unterdrücken. Gerade als er sich sicher war, das die Dinge nicht mehr schlimmer kommen konnten, hörte er das Geräusch von rennenden Füßen und wütende Stimmen. Er sah sich um und erblickte am Eingang der Straße eine bekannte Silhouette, die ihm seinen einzigen Weg zur Freiheit versperrte.
„Überprüft alle Hauseingänge und auch die Dächer. Battosai kann nicht weit gekommen sein! Wenn möglich will ich ihn lebend, aber wenn es sein muss, tötet ihn." Saitos Stimme hallte in der Gasse wieder.
"Kuso", murmelte Kenshin gefährlich, sein Herz hämmerte in seiner Brust.
Jetzt gab es keine Chance mehr, zu entkommen, und es war nur eine Frage der Zeit bis er entdeckt wurde. Furcht überfiel ihn, und obwohl die Hand an seinem Schwert ruhig war, zitterte die andere vor Angst.
„Das ist also das Ende... aber was habe ich anderes erwartet?", dachte ein entfernter Teil seines Geistes. „Nun, ich werde es ihnen nicht leicht machen mich zu erledigen."
Seine Hand ballte sich zur Faust. Er schloss die Augen und rief den Hitokiri in sich noch ein letztes Mal. Als er die Augen wieder öffnete, waren sie Abgründe aus goldenen Flammen, und die kalte Distanziertheit des Hitokiri senkte sich wie ein Schleier über ihn. Rasch erhob er sich, beobachtete die Gasse und wählte sich willkürlich seine Ziele aus. Gerade als er dabei war loszustürmen, hörte er das Geräusch eines Schwertes, das durch einen Körper schlitzte, und einen dumpfen Schlag gefolgt von einem Schrei, der die Luft zerriss...
Kenshin schreckte aus dem Schlaf auf, schweißüberströmt, und bemerkte einen bekannten Geruch in der Luft. Er überschwemmte seine Sinne mit seinem süßlichen Aroma und war so dick in der Luft, das er ihn fast schmecken konnte. Seine goldenen Augen glühten in der Dunkelheit des Zimmers und seine Zähne waren zu einem Knurren entblößt. Er sah sich um, um die Quelle des Geruchs zu finden, aber er konnte sie nicht entdecken. Dann sah er an sich selbst herab und das Schwert in seiner Hand. Sofort verschwand der Hitokiri und Kenshin sah, zu seinem Schrecken, das seine Hände mit Blut bedeckt waren und es auch von den Ärmeln seines Nachtgewandes tropfte. Seine blutverschmierten Hände hielten sein Sakkabato mit eisernem Griff, die Klinge war umgekehrt, sodass die scharfe Seite nach außen zeigte. Sie war mit frischem Blut befleckt.
Kenshins Augen weiteten sich in entsetzter Überraschung und sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei. Sein Verstand weigerte sich, das zu akzeptieren was er sah und er schien wie erstarrt. Er hörte den Wind in seinen Ohren sausen, dann wurde alles dunkel. Sein letzter zusammenhängender Gedanke war: „Habe ich meinen Schwur gebrochen?"
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Glossary:
Okita Shoshi- wie gesagt, Kommandant der 1. Einheit der Shinsengumi. Soweit ich weiß, der jüngste Kommandant der Shinsengumi. Soll außerdem der stärkste gewesen sein. Wird sowohl im Manga als auch im Anime kurz gezeigt- sieht ganz niedlich aus ;-)
