Kapitel 5: Die Warnung des Hitokiri
„Tief in mir ist ein gefährlicher Attentäter, der sich nie ändern wird."
Himura Kenshin, RK Episode 31, untertitelt
Als Kenshin wieder zu sich kam, lag er auf seinem Futon, die Decken waren um seinen Körper gewickelt und nirgendwo im Zimmer war Blut oder auch nur dessen Geruch. Er blinzelte, als würde er erwarten das sich die Szene vor seinen Augen veränderte, aber sie blieb so friedlich wie sie war. Einem Impuls folgend überprüfte er sein Schwert, aber auch dort fand er keine Blutflecken, nicht einmal einen Hinweis, dass die Klinge überhaupt benutzt worden war.
„Was war das? War das nur ein schrecklicher Traum?" Er rieb sich mit der Hand über seine müden Augen und versuchte den lebhaften Albtraum aus seinem Kopf zu vertreiben.
In den nächsten Tagen schlief Kenshin kaum, was den ständigen realen und brutalen Albträumen zu verdanken war, auch wenn keiner davon ihn wie der vorige glauben ließ, blutbedeckt zu sein. Nach einiger Zeit wurden die Albträume so gewalttätig, dass er schwor, überhaupt nicht zu schlafen.
„Woran liegt das?", fragte er sich wohl zum hundersten Mal. Irgendetwas hatte diese Träume von der Vergangenheit freigesetzt. Aber die Ereignisse, die er in den Träumen durchlebte, waren blutiger und dunkler als er sie in Erinnerung hatte und das gefiel ihm nicht. Noch weniger mochte er allerdings, das sein Traumselbst das Gemetzel, das er schuf, zu genießen schien.
Er hielt mehrere Tage durch, indem er meditierte statt zu schlafen. Aber am Morgen des viertes Tages, nachdem er geschworen hatte nicht mehr zu schlafen, brach er auf seinem Weg ins Dorf zusammen und blieb bewusstlos im Schnee liegen; sein Körper hatte die Belastung nicht mehr ausgehalten. Als er nicht zur üblichen Zeit ankam, machte sich Toshihiro auf um seinen Freund zu suchen. Als er ihn gefunden hatte, war Himuras Körper halb erfroren und zitterte vor Fieber. Toshihiro tat das einzige, an das er in diesem Moment denken konnte und nahm seinen Freund mit ins Haus seiner Familie. Er fragte sich, was geschehen war um seinen Freund in einen solchen Zustand zu versetzen.
In den nächsten Wochen taten Toshihiro und sein Vater, Dr. Asukara, was sie konnten um Himuras Leben zu retten. Toshihiro verbrachte jeden wachen Moment an Himuras Seite, als sein Körper mit dem Fieber kämpfte und er wusste nun mehr über den jungen Mann als zuvor. Mittlerweile war er sich sicher, das Himura der Hitokiri Battosai war. Himura hatte diesen Namen in seinen Fieberträumen mehrmals gerufen und gesagt, dass zu viel Blut an seinen Händen wäre und er nur getan hätte, was er für richtig hielt, um die Schwachen zu schützen. Mit rauer, schmerzvoller Stimme hatte er sie angefleht ihm zu vergeben und Battosai, ihn, freizulassen. Und er hatte immer wieder den Namen einer Frau geflüstert, mit solchem Leid in seiner Stimme, das Toshihiro die Tränen in die Augen traten. Himura, so schien es, hatte in seinem jungen Leben mehr Schmerz und Leid gekannt als Toshihiro je erlebt hatte.
„Wie kann er nur weiterleben mit solchem Kummer in seinem Herzen?"
Nun, da er sicher wusste, dass Himura der legendäre Hitokiri war, dessen Name ganz Kioto in Angst und Schrecken hielt, merkte er, dass die Information ihm weder Angst machte noch das sie wirklich seine Meinung über den jungen Mann änderte. Er und sein Vater hatten darüber gesprochen und entschieden, das die wahre Identität ihres Patienten ein Geheimnis zwischen ihnen und den Mitgliedern ihres Haushaltes bleiben würde.
*
Kenshin erwachte und wusste sofort, dass er nicht in seinem Zimmer auf dem Hof der Hirayoshis war. Die Augen immer noch geschlossen, lag er auf dem Futon und versuchte sich zu erinnern was passiert war. Ihm fiel wieder ein, dass er Albträume gehabt hatte, die ihn nicht schlafen ließen. Er war mehrere Tage wach geblieben, dann hatte er sich auf den Weg ins Dorf gemacht, um zu sehen ob Toshihiro etwas hatte, das ihm helfen konnte zu schlafen. Er durchforstete sein Gedächtnis, aber nach dem Verlassen des Bauernhofes unter den Protesten der Hirayoshis, die glaubten, er sei zu krank um irgendwohin zu gehen, erinnerte er sich an nichts mehr. Er hob die Hand zu seiner Stirn und fand dort ein feuchtes Tuch. Seine Hand bewegte sich unter der Decke, bis sie den Griff eines Schwertes berührte.
Er riss die Augen auf und zog seine Hand von der Waffe. Sein Blick irrte durch das Zimmer, genauso wie die Gedanken durch seinen Kopf wirbelte. Was war geschehen? Wo war er? Hatte er wirklich seinen Schwur gebrochen? Er wusste keine Antwort.
Seine Augen streiften durch den Raum, glitten über das abgedunkelte Fenster und die hellen Wände, als er plötzlich eine Bewegung zu seiner Linken wahrnahm. Panisch fuhr er hoch, seine Hand tastete instinktiv nach dem Schwert an seiner Hüfte, nur um zu bemerken, dass es nicht mehr da war. Seine geweiteten, violetten Augen trafen auf die dunklen des Mannes neben ihm und diese Augen hatten sofort eine beruhigende Wirkung auf ihn. Er blickt ein die Augen eines älteren Herren, der eine ältere Version seines Freundes Toshihiro zu sein schien.
„Du hast lange geschlafen, Himura-san." Er legte die Hand auf Kenshin's Schulter und drückte ihn wieder zurück. „Aber du brauchst immer noch Ruhe. Das Fieber hat deinem Körper mächtig zugesetzt und es wird eine Weile dauern, bis du dich wieder völlig erholt hast, aber du wirst wieder gesund werden. Ich bin übrigens Dr. Asukara."
Kenshins Augen waren auf die Decke des Raums gerichtet, als er dem Arzt zuhörte, dann schloss er die Augen, um die Angst zu stillen die sich um sein Herz gewickelt hatte.
„Es tut mir leid, dass ich euch Schwierigkeiten bereitet habe.", erwiderte er und merkte plötzlich, wie schwach er sich fühlte. Der Hitokiri murmelte in seinem Hinterkopf.
„Du hast uns keine Schwierigkeiten gemacht. Du hast nur Glück, dass mein Sohn dich gefunden hat, oder du wärst erfroren."
„Wie lange habe ich geschlafen?"
„Fast einen Monat, aber das war zu erwarten bei einem Fieber dieser Art."
Erneut wurde Kenshin von Panik ergriffen. „Was ist mit den Hirayoshis? Hatten sie auch dieses Fieber?" Sein Herz pochte in seiner Brust bei dem Gedanken.
„Sie sind alle in Ordnung, Himura-san. Toshihiro hat sie aufgesucht um ihnen zu sagen wo du bist und um nach dem Rechten zu sehen."
Kenshin's Muskeln, die sich angespannt hatten, lockerten sich wieder und für einige Momente lag er ruhig da. Er hörte, wie Asukara sich erhob und öffnete die Augen.
„Arigato, Asukara-dono. Ihr habt mein Leben gerettet."
„Ruh dich aus, Himura-san. Du bist hier sicher.", sagte er und blickte auf den rothaarigen Jugendlichen herab, bevor er sich umdrehte und den Raum verließ.
Kenshin nickte, schloss seine Augen und eine bleierne Schwere fiel sich über seinen Körper und sein Bewusstsein. In diesem Moment schlug ein weiterer Albtraum mit plötzlicher Heftigkeit zu.
Der Geruch von Blut lag schwer in der Luft um ihn. Es sammelte sich zu seinen Füßen und befleckte die Wand hinter seinem letzten Opfer. Er warf den anderen Männern in der Gasse einen kurzen Blick zu, um sich zu versichern, dass sie in Sicherheit waren. Ruhig wischte er das Blut von seinem Schwert, dann ging er an den Männern vorbei zu Katsura, der von seinen anderen Leibwächtern umringt war.
„Ich schlage vor, wir suchen einen neuen Weg, Katsura-san.", sagte er mit tödlich ruhiger Stimme zu seinem Anführer und verneigte sich leicht. „Mit eurer Erlaubnis?"
Katsura nickte, und Kenshin lief die Straße hinab, um eine Ausweichroute zu dem Treffen zwischen Choshu und Satsuma zu finden. Katsura beobachtete den jungen Mann besorgt. Er hatte einen Jungen zu einem Mörder gemacht und nachdem er das goldenen Glühen in den Augen seiner Schöpfung gesehen hatte, erkannte er seinen Fehler. Er konnte nur hoffen, dass es noch nicht zu spät sein würde um das zu retten, was von der Seele des Jungen übrig geblieben war.
Kenshin suchte, bis er einen angemessenen Weg gefunden hatte und begann die anderen dorthin zu leiten, dann ließ er einige von Katsuras anderen Leibwächtern die Führung übernehmen. Er ließ sie alle vorbei, nahm seine Position am Ende der Gruppe ein und schärfte seine Sinne für jedes Anzeichen von Ärger oder Bedrohung. Er konnte hören, wie die Männer über ihn flüsterte, und ein Teil von ihm genoss die Angst und Ehrfurcht in ihren Stimmen. Sie waren größtenteils neu als Leibwächter und die meisten hatten ihn nie wirklich kämpfen sehen. Und wie seine Gegner waren sie überrascht und eingeschüchtert von seinen Fähigkeiten. Aber ein anderer Teil von ihm empfand, als würde mit jeder Person, die er tötete, auch er sterben. Er fühlte sich, als würde mit jedem neuen Tod, den er verursachte, ein Teil seiner sanfteren, friedlichen Natur zu Grunde gehen. Er war nicht sicher, wie lange er noch fähig sein würde, davor wegzulaufen, oder wie lange er noch die kalte Wut und den Wahnsinn des Hitokiri bekämpfen konnte, die mit der Zeit immer stärker wurden.
„Ich muss davon loskommen, bevor ich mich für immer verliere und bevor Töten das einzige wird, was bleibt."
Plötzlich schreckte ihn ein Schrei vom vorderen Ende der Gruppe aus seinen Gedanken auf.
„Ein Hinterhalt! Beschützt Katsura-san!", rief einer der anderen Wächter Kenshin zu und mit einer einzelnen, fließenden Bewegung bewegte sich dieser auf Katsura zu, der bereits in einen Kampf mit einem anderen Samurai verwickelt war. Der Mann brach seinen Angriff auf Katsura ab und starrte Kenshin mit einem bösen Grinsen und kaum verborgener Wut in den Augen an. Kenshin's Ki flackerte und die kalte Distanziertheit des Hitokiri legte sich über ihn.
„Du hast mich also gesucht?", sagte er mit einer kalten Stimme, die alles Kämpfen in der Gasse erstarren ließ. Jeder der Männer spürte die Woge kalter Rage, die von Battosai ausging und sie wichen vor seinem tödlichen goldenen Blick zurück. Der Samurai nickte als Antwort auf Battosais Frage nur und wartete, das Schwert immer noch in der Hand.
Battosai ging in die Battojutsu- Stellung, seine linke Hand packte die Saya, während seine Rechte über dem Griff der Katana verharrte. Jeder in seiner Nähe bewegte sich aus der Reichweite seiner Attacke und Battosai blickte den anderen Mann an, eisiger Zorn brannte in seinen verengten Augen. Die zwei Kämpfer starrten einander an und schienen auf irgendein Signal zu warten.
Battosai nutzte die Zeit um seinen Gegner vor sich zu studieren. Der Samurai war größer als er, das dunkle Haar trug er im traditionellen Samurai-Knoten. Dem Symbol nach zu urteilen, das sich hell gegen seine dunkle Kleidung abhob, stand er im Dienste von Aizu. Er sah aus als wäre er etwa dreißig, aber Battosai war sich dessen nicht sicher.
„Komm,", knurrte Battosai, verärgert über die Verzögerung.
Der Samurai folgte der Aufforderung und stürzte sich mit einem Schrei auf den Hitokiri. Battosai wartete ruhig, bis sein Feind näher kam. Mit einer blitzschnellen Bewegung zog er sein Schwert und traf nur leere Luft. Hinter sich hörte er Gelächter, als die Klinge seines Gegner seine Schulter aufschlitzte. Er zuckte vor Schmerz zusammen, wirbelte dann aber herum, das Schwert ausgestreckt. Stahl klirrte, dann drehte Battosai sich auf den Fersen herum und sprang hinter den Mann, sein Schwert zielte auf den ungeschützten Rücken des Mannes. Ein weiteres Krachen von Stahl auf Stahl, der Mann duckte sich unter Battosais Schlag hindurch und fügte ihm eine weitere Wunde auf der Brust zu. Battosais Schnelligkeit hatte ihn gerade noch davor bewahrt, von dem anderen Mann in zwei Hälften geschnitten zu werden.
Er sah seinen Gegner an und war dabei, sich auf den Samurai zu stürzen, als er sich plötzlich seltsam fühlte. Das Schwert in seiner Hand fiel mit einem Klappern zu Boden, und Sekunden später sank er auf die Knie. Er hörte panische Stimmen um sich herum. Eine weitere Klinge bohrte sich in sein Fleisch, und er hörte eine Stimme.
„Ich werde dich heute leben lassen, Hitokiri, weil für meinen Geschmack zu viele Leute hier sind. Aber wir werden uns wiedersehen! Ich wieder meine Augen nie wieder von dir nehmen. Du hast meinen Bruder getötet und dafür fordere ich Himmlische Gerechtigkeit. Denk daran, du lebst auf geborgter Zeit."
*
Kenshin erwachte, Entsetzen packte sein Herz und sein Körper war schweißüberströmt. Seine Augen irrten durch das dunkle Zimmer, als die Worte aus seinem Traum in seinem Kopf nachhallten. „Ich fordere Himmlische Gerechtigkeit!" Für den Rest der Nacht grübelte Kenshin über die Bedeutung dieser Worte und seiner Vergangenheit.
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Glossary:
Futon- japanisches Bett, besteht eigentlich nur aus einer Matratze
Saya- jap. Schwertscheide
Katana- japanisches Langschwert
