Kapitel 8: Jäger und Gejagter
„Einmal ein Attentäter, immer ein Attentäter. Es liegt einem im Blut..."
Jinne Udo, RK Episode 7, untertitelt
Kenshin war wieder in jene albtraumgleiche Existenz zurückgeglitten, die er während der Bakumatsu gekannt hatte, als die Regel war, töten oder getötet werden. Seit zwei Wochen hatte er seine Nächte damit verbracht, durch die schattigen Straßen des Dorfes zu streifen, ein Attentäter auf der Suche nach einem Mörder, der ebenso nach ihm suchte, aber dennoch zeigte sich der Mann nicht. Kenshin verbrachte seine Tage auf dem Polizeirevier, schlief nur, weil sein geschwächter Körper es verlangte, und versuchte den nächsten Zug seines Gegners auszurechnen. Er sprach kaum, wenn er nicht direkt angeredet wurde, und ignorierte alles außer seinem Auftrag. Die anderen Männer auf dem Revier hielten sich von ihm fern, denn sie spürten die Gefahr, die von der schlanken Gestalt des Mannes ausging, auch wenn sie keine Ahnung hatten, wer er war. Man munkelte, dass dieser Mann der berüchtigte Hitokiri Battosai sein sollte, aber nur wenige glaubten dem Gerücht, schließlich sah der rothaarige Mann viel zu jung und schmächtig aus, um der legendäre Attentäter zu sein.
Hideki wusste, dass Himura in seinem ‚Attentäter-Modus' war, was bedeutete, dass sein Denken und Fühlen nur noch auf seinen Auftrag gerichtet war und auf die Schritte, die nötig waren um sein Ziel zu erreichen. Er sprach mit niemanden und begab sich nach seiner nächtlichen Arbeit direkt in den ihm zugewiesenen Raum, um dort in einen unruhigen Schlaf zu fallen. Hideki wünschte sich, etwas tun zu können, aber er hatte Himura bereits während seiner Attentäter-Tage so handeln sehen und wusste, dass es nichts gab, was er tun konnte. Er wusste auch, dass Himura keine Einmischung in „seinen" Kampf dulden noch irgendeine Unterbrechung seiner Konzentration begrüßen würde.
Kenshin hatte Flashbacks zur Bakumatsu-Zeit, die nächtliche Routine war seinen Attentäter-Tagen viel zu ähnlich für seinen Geschmack. Er wusste nicht mehr genau, wo er war, was er tat, welcher Tag war oder auch nur wer er war, denn die Linie, die Vergangenheit und Gegenwart trennte, begann zu verschwimmen. Das erschreckte ihn, weil es bedeutete, dass er zu weit in sein altes Selbst zurückfiel, und das war gefährlich für die anderen um ihn herum. Schlaf und Wachzustand fingen an, zu einer einzigen albtraumgleichen Existenz zu verschmelzen und die Stimme des Hitokiri in seinem Geist wurde noch lauter und stärker. Sein Wille, diesem Drängen zu widerstehen, ließ rasch nach und sein Körper wurde schwächer, da sein früheres Fieber zurückkehrte. Die Dinge um ihn wurden zu einer surrealen Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart, als das Fieber weiter stieg.
Sowohl Battosai als auch Kenshin waren verärgert, dass er den Mörder nicht finden konnte. Normalerweise verschaffte ihm seine Kampferfahrung einen extra Vorteil wenn es darum ging, Gefahren auszumachen, aber dieses Mal schien es nicht zu funktionieren. Es war fast, als würde etwas seine Sinne von seinem Ziel abhalten. Das, zusammen mit den brutalen Albträumen die er während des Schlafes durchlebte, ließ den Zorn des Attentäters in ungekannte Höhen wachsen, nur das dieser Zorn weit kälter und impulsiver war, als er ihn in Erinnerung hatte.
Kenshin fühlte sich als würde er langsam zwischen seinen zwei um die Kontrolle streitenden Seiten zerrissen werden. In seinem Herzen wollte er zum Hirayoshi-Hof zurückkehren und ein friedlicher Vagabund bleiben, aber in der Dunkelheit, während er auf der Suche nach dem Attentäter, der nicht aufhören konnte zu töten, durch die Straßen streifte, rief ihn seine dunkle Seite mit seidiger, verführerischer Stimme. Battosai versprach ihm alles, wenn er nur zu einem früheren Selbst zurückkehren und diesen pazifistischen Unsinn vergessen würde. Er erinnerte Kenshin an die Macht der Angst, die er einst über seine Feine besessen hatte und wie es diese Angst gewesen war, die ihn zum Stärksten gemacht hatte. Die kalte Stimme flüsterte unaufhörlich in seinem Kopf, sogar im Schlaf, und so sehr Kenshin auch versuchte sie beiseite zu schieben, wurde es immer schwerer sie zu ignorieren, als die Tage vergingen und das Fieber weiter brannte.
Um das bisschen Verstand zu behalten, dass er noch hatte, wiederholte er den Schwur, den er Tomoe geleistet hatte, wieder und wieder für sich und versuchte, die dunkle, kalte Stimme in seiner Seele zum Schweigen zu bringen. Er benutzte den Schwur und die Erinnerung an ihr ruhiges Gesicht, um seinem geschwächten Willen zu helfen, dem Ruf des Hitokiri zu widerstehen. Aber sogar mit dieser Hilfe war er sich unsicher, wie lange er gegen den Wahnsinn aushalten konnte, bevor er ihn wieder in die Dunkelheit zurückschickte, die seine Verteidigung gewesen war, als man ihn in Kioto als Hitokiri Battosai kannte.
„Ich muss die Kontrolle behalten. Ich kann nicht zulassen, dass ich wieder zu diesem Leben zurückkehre. Mein Wille muss stärker sein!"
Und so führte er seinen inneren Kampf weiter, allein und schweigend, und betete, dass er den Mörder finden würde bevor er den Streit verlor und bevor sein Körper völlig aufgab.
*
Eine weitere Woche verging, und es gab immer noch kein Zeichen von dem Mörder. Kenshin glitt langsam aber sicher in sein anderes Selbst zurück, und nun wurde es offensichtlich, dass er den Kampf verlor, den er im vergangene Jahr zu gewinnen versucht hatte. Der Lichtstrahl, der begonnen hatte in ihm zu wachsen, verblasste langsam, wurde erstickt von einer Dunkelheit so tief, dass sie fast blendete. Der Wille des Attentäters wurde stärker und seine Wut überwältigte Kenshins normalerweise freundlichere Natur. Kenshin konnte und wollte keinen richtigen Widerstand mehr gegen diese Attacke von innen aufbringen. Der Geruch von Blut war erneut in seiner Nase und der Geschmack auf seiner Zunge, auch wenn er noch gar niemanden getötet hatte. Zu spät erkannte Kenshin die Wahrheit. Jemand rief Battosai absichtlich tief aus seiner Seele hervor und versuchte sogar, den dunkleren Teil seiner selbst zu jemandem zu machen, der er nie gewesen war: ein Mörder, der Freude am Töten fand.
Dieser neue Hitokiri Battosai, der er wurde, war weit grausamer und gnadenloser als das Original es je gewesen war, selbst auf der Höhe seiner Zeit als Attentäter. Seine Gedanken waren brutaler und seine Wut kälter als Kenshins. Während der Battosai der Bakumatsu für ein Ziel getötet hatte, sah der neue das Töten als Weg zur Macht und verherrlichte die Morde, die er in der Vergangenheit begangen hatte. Diese neue, dunklere Version seiner selbst genoss schon den bloßen Gedanken daran, jemanden zu töten, was bei Kenshin nie der Fall gewesen war. Jemand versuchte ihn als Werkzeug zu benutzen, oder er wollte ihn einfach zerstören, weil er auf irgendeine Art und Weise eine Bedrohung für ihn darstellte.
„Was auch immer es ist, ich werde sterben wenn ich mich nicht befreien kann", dachte er, auch als sich düstere Gedanken sich in seinen Geist einschlichen.
„So sehen wir uns wieder, Battosai," sagte plötzlich eine kalte Stimme aus den Schatten der Straße, die Kenshin gerade betreten hatte.
Kenshins Augen wurden schmal, als er den Geruch von Blut wahrnahm, der den in den Schatten verborgenen Mann einhüllte. Im Schatten eines Gebäudes verborgen, stand Kenshins Gegner mit verschränkten Armen und starrte ihn an. Kenshin durchforstete sein Gedächtnis nach dem Namen, der zu dieser bekannten Stimme gehörte, und fand ihn nach einigen Momenten.
„Du bist Kagarawa Akusura," stellte er kalt fest, den Mund zu einem Knurren verzerrt, jetzt da er sich erinnerte, dass es dieser Mann gewesen war, der Katsura auf dem Weg zu dem Treffen zwischen Satsuma und Choshu angegriffen hatte. „Du warst Attentäter im Dienste einiger bekannter Persönlichkeiten in Kyoto und hattest behauptet, ein Samurai aus Satsuma zu sein. Aber in Wirklichkeit warst du ein Spion, den die Bakufu geschickt hatte um Schlüsselfiguren der Ishin zu eliminieren."
„Ausgezeichnet, Battosai. Du erinnerst dich also an mich. Das hätte ich nicht erwartet, aber egal." Akusura lachte, als er aus den Schatten trat um sich ihm zu stellen. „Aber jetzt, da du mich gefunden hast... was wirst du tun? Mich ausliefern und versuchen deine gefallenen Kameraden zu rächen, oder wirst du mit mir kommen?"
Battosai starrte Akusura kalt an und schwieg, auch wenn er sich fragte, worauf er Mann hinauswollte.
„Die Meiji-Regierung ist schwach, und niemand versteht uns mehr. Diese Leute, die behaupten, deine Freunde zu sein, verstehen dich nicht und wenden sich von dir ab, wenn sie von deiner wahren Identität erfahren. Du wirst gemieden und verachtet, weil du ein Attentäter warst."
Battosai konnte Akusura Behauptungen nicht widerlegen, aber dennoch schwieg er, mörderische Wut brannte kalt in seinen goldenen Augen.
„Komm mit mir. Zusammen werden wir dieses Land beherrschen."
Kenshin spürte, dass ein Teil von ihm dem Mann antworten wollte, und er tat einen Schritt auf Akusura zu, und dann noch einen. Innerlich schrie Kenshin Battosai an, aufzuhören, und von irgendwoher fand der Vagabund den Willen der Versuchung zu widerstehen.
„Niemals!" Das Wort war scharf wie die Klinge einer Katana und es zerschnitt den Bann, in dem Akusura Kenshins Attentäterseele hatte einspinnen wollen. „Sie mögen mich nicht verstehen, aber du tust es genauso wenig. Battosai der Attentäter war ein gnadenloser und kaltblütiger Mörder, der ohne Reue tötete, aber Himura Kenshin, der denselben Körper und dieselbe Seele teilt, bereut alle meine Taten, jeden Tod den ich verursacht habe. Er ist es, der Buße für mich sucht, auch wenn ich nur den Tod verdiene. Ich werde nicht zulassen, dass du diesen Mann zerstörst oder unsere einzige Chance auf ein friedliches Leben frei von den Schatten der Vergangenheit ruinierst!"
Battosai zog sein Sakkabato, und in seiner Stimme schwang ein Anflug von Wärme mit, seine Augen nahmen eine violette Farbe an als er dem Vagabund erlaubte, die Kontrolle für einen Moment zu teilen. „Wir fordern dich zu einem Duell heraus. Wenn du gewinnst, magst du uns töten, aber wenn wir siegen, wirst du der Polizei übergeben und deine Strafe erhalten."
Akusura lachte und betrachtete die Klinge genauer. „Ein Sakkabato? Komm und bekämpfe dich mit deiner wahren Stärke! Kehr deine Klinge um!"
„Ich weigere mich. Ich werde nicht wieder töten. Ich habe einen Eid geschworen, der mir mehr bedeutet als mein Leben." Die Stimme, die jetzt sprach, war immer noch wütend, aber der kalte Unterton war verschwunden und bitterem Leid gewichen.
Akusura's Antwort bestand darin, mit einem Schwerthieb nach vorne zu stürzen, dem Kenshin leicht auswich. Seine Augen wurden schmal, und er wartete auf die nächste Handlung seines Gegner, das Sakkabato erneut in der Saya. So standen sie für einige Momente, keiner von beiden bewegte sich oder gab irgendein Zeichen.
„Los," knurrte Battosai ungeduldig- der Attentäter hatte erneut die Kontrolle.
Akusura bewegte sich in einer einzigen fließenden Bewegung, so schnell, dass Battosai den waagerechten Schlag kaum wahrnahm. Das Schwert des Mannes schnitt durch seine Kleidung, verfehlte aber sein Ziel. Battosai starrte Akusura wütend an, bevor er scheinbar verschwand. Akusuras Augen irrten umher und hofften, einen Blick auf seinen Gegner zu erhaschen, aber fanden nichts. Battosai starrte vom Dach einen nahegelegenen Gebäudes auf ihn herab und plante seinen nächsten Zug, Hass und Wut brannte in seinen Augen. Er versuchte, sich für die beste Angriffsmethode zu entscheiden, denn er wollte das schnell beenden.
Er sprang von dem Dach hoch in die Luft und verharrte dort für einen Moment, bevor er sich lautlos in der Ryutsuisen-Haltung in die Tiefe stürzte. Zu seiner Überraschung blockte Akusura den Schlag und griff nun seinerseits an. Sein Wakizashi fuhr über Kenshin's Schwerthand und seinen Rücken, als sich dieser in der Luft drehte um dem Schlag auszuweichen. Battosai landete zusammengekrümmt vor Akusura, seine Augen in giftigem Hass glühend, die linke Hand auf die tiefe Wunde in seiner Seite gepresst. Der schwere Geruch von Blut überschwemmte seinen Verstand. Es war egal, dass das Blut sein eigenes war; alles was zählte war der Geruch.
„Das wirst du bereuen," sagte er mit seiner kältesten Stimme, die jegliches Gefühl verloren hatte. Er erhob sich und tat einen Schritt nach vor, sein Ki flackerte und Tod stand in seinen Augen geschrieben. „Du wirst jetzt merken, warum man mich den Stärksten nannte und ich von allen gefürchtet wurde!"
Battosai stürzte sich auf Akusura, seine Hand am Griff seines Sakkabato, bereit es im letzten Moment zu ziehen. Er zielte auf die ungeschützte Seite des Mannes, ohne sich zu kümmern, ob der Mann lebte oder starb, in der Absicht, ihn in zwei Teile zu schneiden. Das Sakkabato traf auf Akusuras Seite, und der Mann landete mehrere Meter von seiner ursprünglichen Position entfernt auf dem Boden. Aber während der Attacke hatte Battosai seine Verteidigung vernachlässigt, und Akusuras Katana hatte ihm eine tiefe Wunde quer über die Brust zugefügt.
Er schaffte es, auf den Beinen zu bleiben, auch wenn sein Atem stockend ging und der Schmerz seiner Wunden heftig war.
Battosai sah auf seinen Gegner herab, seine Augen zeigten weder Mitleid noch Reue, nur golden glühende Wut. Er hielt sein Sakkabato mit der rechten Hand fest umklammert, und diese Hand zitterte vor Wut. Er spürte den Drang, den Mann zu töten. Der Vagabund in ihm bekämpfte diesen Drang mit allem was er war. Er würde sich nicht erlauben, wieder von diesem Teil seiner selbst kontrolliert zu werden. Er wollte eine Chance, irgendwo von vorne anzufangen und wusste, dass er das nur konnte, wenn er den Hitokiri in sich jetzt aufhielt. Kenshin wusste auch, dass selbst Battosai, so sehr er darüber murrte, Frieden mit seiner Vergangenheit schließen und ein neues Leben beginnen wollte.
Der Kampf zwischen den zwei Persönlichkeiten dauerte nur wenige Momente und Kenshin senkte das Schwert, bevor er die Klinge wieder umkehrte. Er sah erneut auf Akusura herab, Mitleid und Trauer in seinen violetten Augen.
„Ich habe gewonnen, also kommt jetzt mit um deine Zeit abzusitzen. Nur so kannst du für die Verbrechen büßen, die du begangen hast." Er drehte sich um und begann, wegzugehen.
„Niemals!" knurrte Akusura und stürzte sich mit einem Satz auf Kenshin's ungeschützten Rücken.
Kenshin spürte, wie die Klinge ihn traf und über seinen Rücken und seine Seite fuhr, als er sich drehte um Akusura die Schwertscheide ins Gesicht zu schmettern. Beide Kämpfer gingen zu Boden und Kenshin konnte die Geräusche von Polizeipfeifen und rennenden Füßen hören.
„Nehmen sie diesen Mann fest. Er ist es, der unschuldige Leute ermordet hat."
Kenshin lächelte und stöhnte, als sich seine Wunden vor Schmerz zusammenzogen. Schwärze flackerte an den Rändern seines Blickfeldes, und als sich die nächste Welle von Schmerz über seinen Körper bewegte, erlaubte er ihr ihn die Dunkelheit zu ziehen, in dem Wissen, dass er seine Mission erfüllt hatte und die Leute im Dorf jetzt in Sicherheit waren.
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Glossary:
Wakizashi- Kurzschwert, ähnlich den Dingern, die Aoshi immer benutzt. Die meisten Samurai, auch Battosai, benutzten ein Schwert-Set, das aus einer Katana und einem Wakizashi bestand.
