Anmerkung:
Mellyanna, Morwen und Aranel sind Namen, die im Silmarillion auftauchen, aber nichts mir ihren hier erwähnten Namensvetterrinnen zu tun haben.
- Mellyanna (eigentl. Melian) war eine Maia, die Valinor verließ und nach Mittelerde ging. Sie war die Gemahlin König Thingols, die Mutter Lúthiens und Vorfahrin von Elrond. Die Silbe mel- bedeutet "Liebe", Melian/Mellyanna bedeutet "teure Gabe".
(@ Chrisi: Ich mag Mellyanna auch sehr gern, aber sie hat ein Geheimnis! *g*)
- Morwen war die Gemahlin Húrins und die Mutter Túrins und Nienors.
Mor- heißt dunkel (vgl. Mordor), -wen steht für Mädchen, also könnte Morwen Dunkelmädchen heißen. [oder eben dunkles Mädchen ;)]
- Auch Aranel habe ich "gestohlen": ara- bedeutet "hoch, edel, königlich" und das ist der Gute ja. Aranel war ein Name von Dior, Thingols Erben.
Der zweite Tanz wurde inspiriert durch die Tanzszene in "Shakespeare In Love" ganz am Anfang. (Titel: "The DeLesseps' Dance")

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Stolz & Vorurteil, Kapitel 6: Eines Sohnes Pflicht

Am Abend begab sich Gwyneth in ihr schönstes Gewand gehüllt zum Fest. Die Wege waren erleuchtet von Fackeln und sie hörte das fröhliche Gemurmel der Menschen. Sie sprachen von einer baldigen Verlobung der jungen Herren mit den schönen Töchtern von Aranel. Als sie die letzte Baumreihe vor der Festwiese erreichte, dachte sie an das letzte Fest zurück, als ihr Boromir genau hier vor die Füße gefallen war. Gwyneth schüttelte diese Gedanken von sich und betrat die Wiese.

Ganz Minas Tirith schien wie immer versammelt und feierte ausgelassen. Sie schloss ihre Augen, um nur einen Moment lang, die unterschiedlichen Düfte aufzunehmen. Sie roch Kräuter, Früchte und Blumen - ah, wenigstens etwas würde sich nie ändern.

Als sie wieder ihre Augen öffnete suchte sie den Platz nach den heutigen Ehrengästen ab. Sie fand sie alle bei einander sitzend, etwas höher als das übrige Volk. Zwei Stühle ganz am Rand waren noch unbesetzt. Sie zählte die Gesellschaft durch: Faramir, Morwen, Aranel, Denethor, Boromir - Mellyanna fehlte, aber wer noch? Wer...
"Gwyneth, da seid Ihr ja endlich!"
"Mellyanna, ja hier bin ich."
"Und das ist gut so. Kommt, Ihr werdet erwartet."
"Erwartet? Von wem? Wo?"

Doch ihre Fragen blieben unbeantwortet, denn Mellyanna war viel zu sehr damit beschäftigt, sie hinter sich her zu ziehen. Im nächsten Moment fand sie sich auf der Erhöhung, direkt am Ehrentisch wieder. Ganz im Gegensatz zu ihrer sonst sicheren Art, begannen sich Gwyneth' Wangen zu röten. Sie ließ ihren Blick sinken, als Boromir auf sie zutrat.
"Als Siegerin des Bogenschießens müsst Ihr natürlich am Ehrentisch Platz nehmen Gwyneth," sagte er mit einem Lächeln und reichte ihr seine Hand um sie zu ihrem Platz zu führen - ganz außen, neben ihm. Auf seiner anderen Seite half er Mellyanna dabei, sich nieder zu lassen.
Als alle Gläser gefüllt waren, erhob sich der Truchsess. Alle verstummten und sahen zu ihm auf.
"Entschuldigt bitte die erneute Unterbrechung, Bürger von Gondor, aber es gibt noch jemanden, der heute besondere Aufmerksamkeit verdient. Ein Hoch auf Gwyneth, Siegerin des Bogenschützenwettbewerbs!"
Die Gäste jubelten und Gwyneth' Wangen erröteten noch viel mehr. Vorsichtig nippte sie an ihrem Glas, als sie plötzlich Worte vernahm, die von der Seite geflüstert wurden.
"Und wiedereinmal habt Ihr Euch als harte Konkurrentin erwiesen."
Boromir schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln - wahrscheinlich das erste, das sie jemals nach einem Sieg über ihn erhalten hatte.
"Nicht nur Konkurrentin, Herr Boromir, auch wiedereinmal als Bezwingerin des übermächtigen Sohnes des Statthalters," erwiderte sie mit einem Zwinkern.
"In der Tat, das habt Ihr."
Mit diesen Worten wandte er sich Mellyanna zu und Gwyneth war sich selbst überlassen.

Als sie die beiden erhoben, um sich der Tanzfläche zu widmen, konnte Gwyneth auch einen Blick auf Morwen und Faramir erwischen, die ebenfalls tanzten. Sie schienen sich ausgesprochen gut zu verstehen - ungewöhnlich gut, wenn man bedachte, wie Gwyneth Morwen kannte. Seit dem Wettbewerb am Nachmittag musste sehr viel geschehen sein. Hatte sie Morwen falsch eingeschätzt?
Sie beobachtete immer noch das Geschehen auf der Tanzfläche, als jemand zu ihr trat. Sie wandte sich um und sah den alten Feldmarschall Rubeus neben sich stehen und ihr die Hand anbietend.
"Wenn ich um diesen Tanz bitten dürfte, Gwyneth?"
Diese lächelte und nahm seine Hand. Sie gesellten sich zu den anderen Tanzenden. Trotz seines Alters konnte Rubeus noch gut mit "dem jungen Volk", wie er es bezeichnete, mithalten. Der Tanz bestand hauptsächlich aus Sprüngen und Drehungen, die jedes Paar für sich vollführte. Gwyneth und Rubeus lachten ausgelassen und beide erinnerten sich an ihren ersten Tanz zurück: damals lebten Gwyneth' Eltern noch und feierten ihren zehnten Hochzeitstag. Gwyneth war erst fünf Jahre alt und wurde von Rubeus während des Tanzes durch die Luft geworfen, was in einem fröhlichen Kichern endete.
Nach dem Tanz wollte Rubeus sie wieder an den Ehrentisch führen, doch Gwyneth lehnte dankend ab, nachdem sie einen Blick dorthin geworfen hatte: Mellyanna und Boromir unterhielten sich blendend, während Faramir und Morwen über etwas lachten. Zu ihrer Verwunderung sah Aranel sie zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Minas Tirith an, doch sein Blick war kein freundlicher. Dort würde sie vermutlich nur als störend empfunden.

Gwyneth beschloss zu den Häusern der Heilung zu gehen, um zu sehen, ob sie Ioreth helfen könnte. Als sie das Fest schon fast verlassen hatte, versperrte man ihr plötzlich den Weg.
"Ihr wollt schon gehen?"
Boromir. Seine Stimme erkannte sie unter vielen. Gwyneth sah nach oben.
"Ich..." sie biss sich auf ihre Unterlippe. "Ja, ich denke, dass es besser wäre, jetzt zu gehen. Frau Ioreth hat einige Patienten."
"Und sie werden Euch die Hilfe danken," er lächelte, "doch schenkt mir nur einen Tanz. Wenn ich mich recht entsinne, habt Ihr mir erst vor wenigen Wochen eben das verwehrt."
Boromir sah sie fragend an. Gwyneth' Mundwinkel verzogen sich langsam zu einem Schmunzeln.
"Wahrhaftig. Und zweimal eine Aufforderung abzulehnen, noch dazu vom zukünftigen Truchsess, wäre eine Beleidigung. Aber wo ist Mellyanna?"
"Sie hat sich entschuldigt. Ihr geht es nicht gut."
Er reichte ihr seine Hand und geleitete sie zurück auf die Tanzfläche.

Als die ersten Takte der Musik begannen, verbeugten sich die Herren und gingen auf ihre jeweilige Tanzpartnerin zu. Sie tanzten einen Schreittanz, bei dem alle Paare eine bestimmte Formation bildeten. Nach einigen Takten wurden die Damen von Herren angehoben, um jene selbst gedreht und auf der anderen Seite wieder abgesetzt. Dabei legte Boromir den Arm um Gwyneth' Taille. Danach pressten sie die Handflächen ihrer linken Hand aneinander und gingen im Kreis. Währenddessen hafteten seine Augen immer auf den ihren. Die Umgebung verschwamm in einem Meer aus Fackeln und bunten Lampions. Bei jeder Berührung zitterte Gwyneth fast unmerklich und ärgerte sich über sich selbst. Am Ende des Tanzes standen sich Damen und Herren nach einer letzten Umdrehung wieder in zwei Reihen gegenüber und verneigten sich.

Boromir reichte ihr erneut seine Hand und führte sie ein wenig abseits der Tanzfläche.
"Ich..." doch weiter kam er nicht, denn schon stand ein Diener seines Vaters neben ihnen und bat ihn, ihm schnellst möglich zu Denethor zu folgen, der nach ihm verlangte. Boromir sagte ihm, dass er gleich komme und schickte ihn fort. Von neuem setzte er zum Sprechen an, doch Gwyneth war schon verschwunden. Boromir fluchte leise und begab sich zu seinem Vater.

Lange nachdem das Fest geendet hatte, lag Boromir wach in seinem Bett und versuchte verzweifelt einzuschlafen. Er warf sich von einer Seite auf die andere, doch nirgends sollte er den Schlaf finden, der ihn von seinen Gedanken erlösen konnte. Entschlossen richtete er sich auf und schlich sich leise aus seinen Quartieren. Lange lief er, bis er sich dort wiederfand, wohin ihn sein Unterbewusstsein geführt hatte. Er stand genau vor den Häusern der Heilung. Drinnen brannten noch Lichter und er erkannte eindeutig die robuste Gestalt von Frau Ioreth und die zierliche von Gwyneth. Fasziniert sah er den Schatten der Frauen zu, wie sie von einem Zimmer zum anderen gingen.

Boromir schüttelte über sich selbst den Kopf und wollte gerade wieder gehen, als die Lichter ganz erloschen und Schritte zu vernehmen waren, die die Treppe hinunter kamen. Dann hörte er das Knarren der großen Vordertür und leise Worte des Abschieds.
"Gib gut auf dich Acht, Kind. Gute Nacht."
"Gute Nacht."
Wieder hörte er leise Schritte, dann nichts und erschrak ein wenig, als er auf seiner Schulter eine Hand spürte. Er drehte sich um und sah Gwyneth vor sich. Sie trug noch das Gewand vom Abend, doch einige ihrer Haarsträhnen hatten sich aus der Frisur gelöst. Gwyneth sah ihn fragend an, sagt jedoch nichts. Boromir suchte nach Worten, um sein plötzliches Erscheinen nicht lächerlich wirken zu lassen.
"Ihr seid vorhin verschwunden, bevor ich mich bedanken konnte."
"Wofür wolltet Ihr Euch bedanken? Dafür, dass ich Euch zweimal auf den Fuß getreten bin?", fragte sie mit einem Schmunzeln auf den Lippen.
"Nein... Nein, dafür, dass Ihr mir diesen Tanz schenktet. Und, mit Verlaub, wenn Ihr mir tatsächlich auf den Fuß getreten sein solltet, so habe ich davon nichts bemerkt."
"Dann solltet Ihr Euch langsam um Eure Sinne sorgen," antwortete sie nun fröhlich und lief davon.

Boromir war davon recht überrascht und überlegte, ob er Ihr folgen sollte, doch eilte ihr schließlich hinterher. Schon bald holte er sie ein und griff nach ihrem Arm, um sie zum Stehen zu zwingen. Und tatsächlich hielt sie an. Sie standen auf der Wiese, über die sie bereits einige Tage zuvor spaziert waren. Sie atmeten schnell, was von ihrem Lauf herrührte. Boromir ergriff wieder als erster das Wort.
"In der Tat sollte ich mich allmählich um meine Sinne sorgen, denn seit einiger Zeit sind sie mir wie durcheinander."
"Eine Nachwirkung des Pfeilgiftes, nehme ich an," sagte sie mit gesenktem Blick, aber klarer Ironie in der Stimme.
Boromir hob ihr Gesicht mit einer Hand an, legte sie auf ihre Wange und sprach ruhig weiter: "So könnte man es auch benennen..."
Langsam näherte er sich ihrem Gesicht. Sie waren sich so nah, dass sie den Atem des anderen spürten. Und dann waren seine Lippen auf den ihren. Vorsichtig, abtastend. Er zog sie näher an sich heran, als sie ihre Arme um seinen Hals schloss. Der Kuss vertiefte sich, wurde ungestümer. Sie hielten einander so fest, als würden sie sich nie wieder trennen wollen, doch dann geschah es: Gwyneth zerbrach den Moment und löste sich aus seiner Umarmung. Sie sah ihn erschrocken an.
"Entschuldigt mich bitte, ich... ich gehe nun wohl besser nach Hause."
"Darf ich Euch dann wenigstens zum Schutz begleiten?" er war sich plötzlich so unsicher. Was war geschehen?
"Nein!" rief sie aus und setzte ruhiger hinzu: "Nein, es ist nicht weit. Ihr geht auch besser zurück in den weißen Turm... Gute Nacht."
Damit drehte sie sich um und ging ein paar Schritte, doch kam dann noch einmal auf ihn zu gelaufen. Ein letzter Kuss wurde auf seine Lippen gehaucht. Gwyneth sah ihn an und schüttelte mit Kopf.
"Es darf nicht sein."

Während er seinen Fingern seine Lippen berührte und sich noch nicht sicher war, ob er das eben nur geträumt hatte, verschwand sie im Dunkel der Nacht. Gwyneth war indessen nicht das einzige weibliche Wesen, dass so schnell wie möglich nach Hause lief.

...Fortsetzung folgt

© 2002 Galenturiel

P.S. *g* *seufz* An Gwyneth' Stelle wär ich nicht fortgelaufen, aber das Mädel hat wahrscheinlich mehr Willensstärke als ich;) Sie haben's also getan... Bitte schreibt ein paar Kommentare:)