Kapitel 12: Erkenntnis



Legolas starrte Haldir an, dessen Gesicht sich mit sanfter Röte überzog.

Diese Augen... blau wie ein Frühlingsmorgen, nicht mehr grau wie ein Herbsttag an der Schwelle des Winters.

Nicht mehr der Gleiche.

Und doch... ER.

Blut quoll unter Haldirs Rüstung hervor, doch er lächelte, sein Brustkorb hob sich und er streckte unter Mühen seine rechte Hand aus, um Legolas zu berühren - seine Augen, die tränenleer waren, gerötet und ungläubig auf ihn sahen.

"Legolas - Melethron-nin..." flüsterte der Elb und sank wieder zurück, immer noch lächelnd.

"Bringt ihn sofort in die Burg!" befahl Aragorn und Legolas schob sogleich seine Arme unter den Galadhrim, ihn zu tragen.

Legolas' Augen nahmen einen fiebrigen, hektischen Ausdruck an, als er zu Aragorn blickte. "Hilf mir bitte!" brachte er hervor, mit einer Stimme, die kaum hörbar war, und Aragorn nahm vorsichtig die Beine des Verletzten. Gemeinsam trugen sie ihn in das Innere der Burg, in ein noch unzerstörtes Gemach, und legten ihn auf ein Bett.

Gandalf und Gimli blieben am Wall, um nach weiteren Verletzten zu suchen, Eomer folgte Aragorn und Legolas.

In der Tür stehen bleibend betrachtete er, wie der Mensch und der Elb sich um den verletzten Hauptmann der lorischen Elben kümmerten, ihm vorsichtig den Panzer abnahmen und die Wunde versorgten. Haldirs Blick ließ keine Sekunde von Legolas ab, und als Aragorn die Verbände gerichtet hatte, richtete sich Haldir vorsichtig auf.

"Tolo..." sagte er, seine Stimme nur ein Flüstern, aber deutlich verständlich.

Sofort kam Legolas seiner Aufforderung nach und setzte sich zu seinem Freund, der nach Legolas' Hand griff.

"Du hast mich nicht gehen lassen, Legolas..." flüsterte er, und Legolas schluckte Tränen herunter, die sich ihre Bahn brechen wollten, doch er unterdrückte sie. Haldir benötigte nun Stärke seinerseits und nicht gar Schwäche, die getröstet werden musste - von jemandem, der eben noch ... tot war.

Denn Haldir war tot gewesen, darüber war sich zumindest Legolas im Klaren, wenngleich er wusste, dass die Männer, die ihn aufmerksam beobachteten, dies nicht wussten, dies nicht mal in Erwägung zogen.

Ein Mensch starb.

Dann war er tot.

Ein Elb konnte ebenfalls sterben.

Doch es war ihm möglich, zurückzukehren - selten machte einer davon Gebrauch, doch es war nicht unmöglich. Auch Glorfindel war zurückgekehrt, nachdem er den Balrog geschlachtet hatte. Damals waren es die Tränen Elronds gewesen, die den Elben ins Leben zurückgeholt hatten. Für einen Elben, der derartig betrauert wurde und erst seit kurzem in Mandos Hallen weilte, war es unmöglich, dort zu verbleiben, musste er doch damit rechnen, dass der Trauernde ihm dorthin folgen würde. Und Leben galt für einen Elben immer das meiste... und so verhielt es sich auch mit Haldir.

Doch es war mehr als nur Leben, was ihn zurückrief.

Legolas presste seine Lippen aufeinander und bemühte sich zu lächeln.

Eomer atmete hörbar aus und Legolas' Geist richtete sich auf ihn. Seine Augen suchten die des Rohirim und als sich die Augen des Menschen und des Elben trafen, da lief ihre ganze Geschichte vor ihren inneren Augen noch einmal ab...

Eomer sah in seinen Erinnerungen Legolas...

ihre Kämpfe, ihre Nächte...

die Weigerung des Elben, zu gehen...

etwas in diesen Augen, die ihn nun bannten.

Und Legolas erinnerte sich der Momente, in denen sein Ohr das Herz des Mannes hatte schlagen hören. Augenblicke, in denen er sich so sehr gewünscht hätte, dass....

Haldir richtete sich auf.

Legolas wandte seinen Blick zurück zu dem Galadhrim, und vorsichtig strich er über dessen silberne Haare.

"Du bist für mich zurückgekommen, ich werde für dich da sein, so lange du es möchtest", sagte der Düsterwälder Elb leise und beugte sich vor, seinem Freund einen Kuss auf die Wange zu geben.



"Ich liebe dich, Legolas."