*** ***
Als sich die Tür öffnete und die junge Frau mit erhitztem Gesicht herauskam
erhob sich Gilora Macet.
"Und? Wie ist es gelaufen?"
Doch ihre Freundin hob nur abwehrend beide Hände. "Erstmal weg hier! Ich
brauche frische Luft und etwas zu Trinken!"
"Sie sind ganz schön streng, nicht wahr?"
"Streng? Garak ist ein Totengott! Ich hätte es wissen müssen! Warum bin ich
auch in seine Gruppe gegangen? Ich hätte es mir leichter machen können!
Beim Eingangstest ein paar Fehler einbauen - schon wäre ich bei Entek
gewesen."
Gilora schüttelte den Kopf. "Garak ist der beste Ausbilder. Wer bei ihm
besteht hat die besten Karriere Chancen, und das weißt Du auch, Rekelen!"
"Ja sicher!" Rekelen lächelte Gilora an. "Du hast ja Recht! Aber während
dieser Prüfung hätte ich Garak umbringen können!"
"Ich weiß, was Du meinst!"
Die beiden jungen Frauen waren im Erdgeschoss des Gebäudes angelangt, wo
sich die Nahrungs-Replikatoren und der Essbereich für die Agenten des
Obsidian Orders befanden. Beide bestellten sich etwas zu trinken und ließen
sich dann an einem der Tische nieder.
"Das glaube ich kaum!" Nahm Rekelen das Gespräch wieder auf. "Ich kann mir
nicht vorstellen, dass Du Dir Sorgen um Deine Prüfungsergebnisse machen
musst!"
"Ach, und wie kommst Du darauf?" Gilora sah ihre Freundin verblüfft an.
"Komm schon, jeder weiß, dass Du die beste Studentin in der Gruppe bist.
Und Garak mag Dich! Er ist so stolz auf Dich, dass er platzen wird, wenn er
Dir die Plakette für den besten Abschluss überreicht. Du bist jetzt schon
eine Top-Agentin, Gilora. Du wirst nichts mehr beweisen müssen!"
"Hör auf, das ist maßlos übertrieben!"
"Na gut, ein wenig vielleicht. Trotzdem bist Du Garaks Liebling."
"Bin ich nicht!"
Rekelen lachte auf, als sie in Giloras wütendes Gesicht sah. "Doch, das
bist Du. Und dass Du wütend wirst, wenn man es Dir sagt, zeigt nur, dass es
stimmt!"
"Das ist doch lächerlich! Ich bin gut, weil ich hart gearbeitet habe."
"Ich habe auch nicht gesagt, dass Du gut bist, weil Garak Dich mag. Das
wäre eine grandiose Fehleinschätzung des Charakters unseres verehrten
Mentors." Rekelen machte eine kurze Pause. "Es ist genau anders herum. Du
hast die letzten drei Jahre härter gearbeitet als jeder andere in der
Gruppe. Du bist die Beste. Deswegen mag er Dich. Fragt sich nur, warum Du
die ganze Zeit nur von Rotblatt-Tee und Arbeit gelebt hast. - Ab und zu ein
bisschen mehr Spaß hätte Dir sicher nicht geschadet!"
"Und jedes Jahr nur mit Ach und Krach durch die Jahresprüfung, so wie Du? -
Nein danke!"
"Ach, komm schon! So schlecht war ich nicht."
"Letztes Jahr waren es nur vier Punkte, Rekelen! Wenn Garak zu dem
Entschluss gekommen ist, dass Du zu wenig gearbeitet hast, lässt er Dich
durchfallen. Dann kannst Du das letzte Jahr bei Bronok nachholen!"
Rekelen sah ihre Freundin verunsichert an. "Glaubst Du, das würde er tun?"
Gilora schnaubte. "Moralische Bedenken wird er keine haben." Als sie den
Gesichtsausdruck ihrer Freundin sah, fügte sie hinzu: "Ich habe ja nicht
gesagt, dass er Dich durchfallen lässt. Ich wollte nur sagen, dass ich
keine Lust habe, mir Gedanken um ein Jahr bei Bronok zu machen."
Doch Rekelen lächelte bereits wieder. "Und wenn schon - so schlimm ist
Bronok auch nicht."
Gilora stöhnte. "Oh, Rekelen! du bist unverbesserlich!"
"Mag sein! Trotzdem glaube ich nicht, dass das allein der Grund ist, warum
Du Dich so angestrengt hast, Garak zu beeindrucken."
"Möchtest Du damit irgend etwas andeuten?"
"Stell Dich nicht dumm. Wir haben die letzten drei Jahre den
Fortgeschrittenen Kurs im Andeutungen verstehen absolviert. Du magst Garak
auch - und nicht nur das..."
"Rekelen!"
"...Du liebst ihn!"
"So ein Blödsinn! Ich habe keine Ahnung, wie Du darauf kommst!"
"Als wir gemeinsam auf unser Aufnahme-Gespräch gewartet haben, da hast Du
gesagt, Du willst unbedingt in Garaks Gruppe!"
"Weil ich wusste, dass er der beste Ausbilder ist. Weil seine Studenten die
besten Chancen haben, Karriere zu machen, deswegen!"
"Du hast jede Übung abgegeben, obwohl nur jede zweite verlangt war!"
"Ich hätte sowieso jede gemacht, dann kann ich sie auch abgeben!"
"Du warst jeden Monat in Garaks Sprechstunde!"
"Um über meine fortlaufenden Arbeiten zu sprechen!"
"Ach..." Rekelen machte eine wegwerfende Handbewegung. "Du wolltest einfach
allein mit ihm sprechen, gib es doch zu!"
"Rekelen, das ist Unfug!"
"Und warum hattest Du dann in diesen drei Jahren nicht eine Affäre? Tavor
Yeln aus dem Jahrgang über uns hätte nur zu gern die ein oder andere Nacht
mit Dir verbracht. Und auch in unserem Jahrgang gibt es ein paar gute
Männer. Silaran Dorak aus Torans Gruppe - dieser Körper! Du solltest ihn
mal nackt unter der Dusche sehen!" Rekelen verdrehte die Augen, dass Gilora
lachen musste. "Oder Anan Entek. Wer weiß, warum er in der Gruppe seines
Onkels gelandet ist. Er hätte sicher auch gut zu uns gepasst. Aber hast Du
mal seine Augen gesehen? Blassgrün, mit einem gelblichen Rand um die Iris.
Man sieht das nur, wenn man ihm von ganz nah in die Augen sieht!"
"Ach. Wann hattest Du denn Gelegenheit ihm so nahe zu sein?"
"Oh, das war vor zwei Monaten, glaube ich. Aber ist ja auch egal. Hast Du
den kleinen Ari Benil überhaupt wahrgenommen?"
"Wen?"
"Er ist bei Horak in der Gruppe. Seine Augen sind so grün wie Jevonit. Er
ist schlank und..."
"Horak hat eine Gruppe aus dem ersten Jahrgang, Rekelen!"
"Ja, ich weiß. Benil ist im ersten Jahr!"
"Dann ist er höchstens 16! Rekelen, er ist fast noch ein Junge!"
"Er wird bald siebzehn, und glaub mir - in einer Beziehung ist er kein
Junge mehr!"
Gilora schüttelte den Kopf. "Es ist ekelhaft, wie Du über Männer redest,
Rekelen. Und der arme Benil. Hast Du ihm wenigstens gesagt, dass es nichts
Ernstes ist?"
"Glaubst Du, das hat er nicht gewusst?"
Gilora sah ihre Freundin empört an. "Er ist 16!" wiederholte sie, als wäre
das Begründung genug. "Es war höchstwahrscheinlich sein erstes Mal - und Du
hast ihm das Herz gebrochen!"
"Nun übertreibe bitte nicht! Aber ich hätte sowieso nicht widerstehen
können - er ist so wunderschön!"
Gilora beschloss, ihre Freundin auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.
"Tu mir einen gefallen, ja? Wenn Du nächstes Jahr bei Bronok bist, dann
kümmere Dich ein bisschen mehr um Deine Ausbildung. In dieser
Angelegenheit..." und es war klar, was sie damit meinte, "hast Du nämlich
genug gelernt - zumindest vorerst!"
"Du bist eine Spielverderberin, Gilora! Nur weil Du Garak nicht haben
kannst, musst Du nicht keusch leben!"
Gilora erhob sich kopfschüttelnd und sah ihre Freundin mit einem
zweideutigen Grinsen an. "Ist Dir nie der Gedanke gekommen, dass Du mit
Deinen eigenen Affären so beschäftigt warst, dass Du meine nicht bemerkt
hast?"
"Unmöglich! Wer war es?"
"Denk darüber nach, ich muss jetzt mein Kleid für den Abschlussempfang
anprobieren!"
Und damit ließ sie Rekelen - noch immer mit offenem Mund - am Tisch sitzen.
Die Anprobe für das Kleid war eine Ausrede gewesen - eine Lüge, um genau zu
sein. Aber während der letzten drei Jahre hatte Gilora gelernt, die
Definitionen von Lüge und Wahrheit etwas weiter zu fassen. ‚Die Wahrheit
liegt im Auge des Betrachters', wie Garak zu sagen pflegte. Und die
Wahrheit war, dass Gilora das Geplapper ihrer Freundin keine Sekunde länger
ausgehalten hätte. Rekelen war ihre engste Freundin - obwohl sie
grundverschieden waren. Die Wahrheit war auch, dass Rekelen die Prüfung mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestanden hatte. Irgendwie
schaffte sie es immer das zu wissen, was geprüft wurde. Sie hatte schon
Recht - so schlecht war sie nicht. Sie lag im Mittelfeld der Gruppe, und
die letzte Jahresprüfung war ein Ausrutscher gewesen, dessen Ursache eine
Lungenentzündung gewesen war - die Rekelen sich bei einem ihrer verbotenen
nächtlichen Ausflüge in den Park geholt hatte, während dessen sie, aller
Wahrscheinlichkeit nach, nur spärlich bekleidet gewesen war.
Das brachte Gilora auf die Idee, sich in die Parkanlage zu setzten. Das
Wetter war gut und es war recht warm für die Jahreszeit. Und das erste Mal
seit drei Jahren hatte sie keine Aufgaben zu erledigen.
Gilora musste lachen, als sie sich an Rekelens Gesicht erinnerte.
Wahrscheinlich würde Rekelen sie so lange nach ihren ominösen Affären
ausfragen, bis sie zugeben musste, dass sie tatsächlich keine gehabt hatte.
Was allerdings nicht daran lag, dass sie Garak nicht haben konnte, sondern
daran, dass sie tatsächlich ständig gearbeitet hatte - und daran, dass sie
Garak nicht haben konnte. Wenn sie ehrlich war, hatte Rekelen Recht. Sie
hatte sich in Garak verliebt - allerdings war das erst während des zweiten
Jahres geschehen. Zumindest hatte sie sich gegen Mitte des zweiten Jahres
eingestanden, dass sie tiefere Gefühle für ihren Mentor hegte. Aber sie
hatte nicht zugelassen, dass diese Gefühle ihrer Karriere gefährlich
wurden. Nicht, dass Affären zwischen Mentoren und Studentinnen
grundsätzlich verboten waren - sie waren aber auch nicht gern gesehen. Und
meistens führte eine aufgeflogene Affäre dazu, dass die Studentin - oder
der Student - zu einem anderen Mentor wechselte. Und das kam für Gilora
nicht in Frage. Sie hatte alles daran gesetzt in Garaks Gruppe zu kommen,
weil sie wusste, dass er nur die Besten nahm. Und diesen Status hätte sie
um nichts im Cardassianischen Imperium aufs Spiel gesetzt.
Sie schlenderte durch die Anlage. Trotz der verschlungenen Pfade war der
Park nicht so uneinsehbar, wie es den Anschein hatte. In Wahrheit konnte
man innerhalb weniger Minuten von einem Ende zum anderen gelangen - wenn
man wollte. Und es war eigentlich nicht möglich, sich zu verstecken. Dachte
man, man hatte eine lauschige Ecke gefunden, merkte man meist Minuten
später, dass man direkt neben einem Weg saß, nur getrennt durch ein paar
Blumenranken. Das war auch der Grund, warum einige Studenten es spannend
fanden sich nachts im Park zu treffen um, nun ja, um Dinge zu tun, bei
denen man normalerweise lieber nur zu zweit war. Der Reiz bestand vor allem
darin, sich nicht von Kamar, dem Gärtner, erwischen zu lassen. Oder von
einem der Mentoren, die sich gerne zu später Stunde im Park aufhielten, um
ihren Studenten zu beweisen, dass man nie sicher sein konnte, nicht
beobachtet zu werden.
Gilora war zu ihrem Lieblingsplatz gelangt. Einer Bank, die an einem der
künstlich angelegten Teiche stand, unter einem stattlichen Baum, der auf
Cardassia eigentlich nicht heimisch war. Gilora hatte alle botanischen
Bücher über Cardassia Prime und seine Kolonien gelesen, dieser Baum war
nirgends vermerkt. Mit einem Schmunzeln dachte sie, dass ein weiteres Jahr
an der Akademie des Obsidian Order das Problem lösen würde. Die
xenobotanische Datei war nicht so umfangreich wie die cardassianische. Und
da der Baum sich auf Cardassia befand, war er mit Sicherheit verzeichnet.
Gilora lehnte sich zurück und sah über das Wasser. Der Grund, warum sie
diesen Platz so mochte, war allerdings nicht der Baum. Nach sorgfältiger
Überprüfung war sie zu dem Schluss gekommen, dass dieser Ort der
abgeschiedenste im ganzen Park war. Was nicht viel hieß. Er war von zwei
Seiten einsehbar - allerdings nicht vom Eingang der Parkanlage aus. Aber es
führten nur zwei Wege in unmittelbarer Nähe vorbei: Der, über den man zu
der Bank gelangte, nachdem man um den Baum herumgegangen war. Der andere
verlief hinter einer dichten Hecke, die nur an wenigen Stellen Durchblick
gewährte.
Gilora atmete tief durch. Es wurde langsam dunkel, doch sie hatte keine
Lust, schon zurückzugehen. Auf ihrem Zimmer wartete Rekelen, die sie nach
ihren Affären ausfragen würde... Nach ihrer Unterhaltung von vorhin
verspürte Gilora das dringende Bedürfnis nach ein bisschen Ruhe. Doch
plötzlich sprang sie auf und drehte sich um. Hätte man sie gefragt, sie
hätte nicht sagen können, warum. Sie hatte weder etwas besonderes gehört,
noch gesehen. Sie hatte die Anwesenheit einer zweiten Person gespürt, und
sie hatte Recht gehabt. Gegen das hellere Licht außerhalb ihres schattigen
Platzes zeichnete sich eine Silhouette ab. Die Silhouette eines Mannes.
Eine sehr vertraute Silhouette - es war die ihres Mentors.
"Gute Reaktion! Könnte aber noch etwas schneller sein." Garak trat in den
Schatten des Baumes, so dass Gilora sein Gesicht sehen konnte.
"Ich weiß - ich war in Gedanken."
"Dass ist keine Entschuldigung!"
"Nein..." Gilora wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte mit Garak
noch nie privat gesprochen. Und das dies ein privates Gespräch werden
würde, daran bestand kein Zweifel. Wäre es offiziell gewesen, hätte er sie
in sein Büro zitiert.
Garak ging ein paar Schritte auf sie zu und setzte sich dann auf die Bank.
"Du warst in den letzten drei Jahren oft hier, nicht wahr, Macet?"
"Oft?"
"Nun ja, wann immer Du Zeit gefunden hast. Was objektiv betrachtet wohl
nicht oft war. Aber da Du die meiste freie Zeit, die Du Dir genommen hast,
hier verbracht hast, kann man wohl von oft sprechen. Warum setzt Du Dich
nicht?"
Gilora setzte sich neben ihn, bevor sie antwortete. "Ich mag den Platz. Er
ist ruhig - und nicht so zugänglich wie die anderen."
"Sehr gut beobachtet. Deswegen bevorzuge ich ihn auch."
Gilora sah ihn an und versuchte, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu
lassen. Aber das wissende Lächeln, das auf Garaks Gesicht erschien, zeigte
ihr, dass der Versuch missglückt war.
"Wie ich sehe, überrascht Dich die Vorstellung, dass ich mich in den Park
zurückziehe wie ein einsamer Student?"
"Ich bin nicht einsam." Gilora sah ihm fest in die Augen. "Um ehrlich zu
sein, bin ich immer hergekommen um ein wenig Ruhe zu haben."
"Ah. Rekelen. Sie scheint ständig zu reden."
"Ja, sie ist sehr - kommunikativ." Gilora wollte auf keinen Fall etwas
gegen ihre Freundin sagen. Sie erwartete dass Garak weiter über Rekelen
sprechen würde, doch er kam zu einem anderen Punkt zurück.
"Ich habe übrigens nicht sagen wollen, dass Du einsam bist. Aber ich war
oft deswegen hier - während meiner Ausbildung."
Das war eine beachtliche persönliche Offenbarung. Etwas, dass Gilora
niemals von Garak erwartet hätte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte,
also schwieg sie. Garak sah sie an. "Überrascht es Dich, dass ich einsam
war?"
Gilora zuckte leicht mit den Achseln. "Es ist nicht so, dass ich es
vermutet hätte, aber irgendwie ist es nicht überraschend."
Garak nickte und lehnte sich zurück. "Mein Mentor war immer sehr streng zu
mir. Alle dachten, es wäre so, weil er mich nicht leiden konnte. Aber das
stimmte nicht. Er wollte nur das Beste aus mir herausholen. Er hat meinen
Ehrgeiz solange angestachelt, bis ich über mich selbst hinaus gewachsen
bin." An diesem Punkt sah er zu Gilora. "Ich hätte mit Dir dasselbe getan -
nur dass es nicht nötig war."
Gilora wusste, dass das aus Garaks Mund ein enorm großes Lob war. In den
vergangenen drei Jahren war niemals jemand in der Gruppe gelobt worden.
Exzellentes Arbeiten war für Garak eine Selbstverständlichkeit und bedurfte
keines Lobes. Sie lächelte und senkte den Blick, da sie nicht wusste, was
sie erwidern sollte.
"Ich frage mich, was Dich dazu gebracht hat, so hart zu arbeiten, Gilora."
Gilora blickte abrupt auf, als er sie beim Vornamen nannte. Kein Mentor
nannte seine Studenten jemals beim Vornamen. Aber sie fing sich und
überging die Vertraulichkeit indem sie ihm direkt in die Augen sah und
antwortete: "Ich gebe immer mein Bestes!"
"Allerdings, das tust Du." Er erwiderte ihren Blick. Die Intensität, die in
seinen blauen Augen lag verschlug Gilora fast den Atem. "Du hast Dich durch
nichts von der Arbeit abbringen lassen. Zielstrebig hast Du Deinen Weg
verfolgt und morgen Abend wirst Du den Lohn dafür ernten."
"Morgen Abend?"
"Der Abschlussempfang. Hast Du wirklich daran gezweifelt, dass Du die Beste
Deines Jahrganges sein würdest?"
Gilora sah ihn an, nur mit Mühe hatte sie verhindert, dass ihr Mund offen
stand. "Darüber habe ich nie nachgedacht!" Und das entsprach der Wahrheit.
Sie hatte sich nicht deswegen angestrengt, um eine Plakette zu erhalten.
"Das ist seltsam." Garak sah sie an. In seinem Blick lag eine
Freundlichkeit, die Gilora nie zuvor bei ihm beobachtet hatte. Seine Stimme
klang warm, als er fortfuhr: "Ich habe schon am Tag Deines Aufnahmetestes
gewusst, dass Du die beste Absolventin in Deinem Jahrgang sein würdest."
Er war unmerklich näher gerückt und irgendwie hatte Gilora das Gefühl, dass
er weder über ihren Aufnahmetest noch über die Auszeichnung sprach.
"Ich wusste sofort, dass Du unglaublich talentiert bist, und ich habe dafür
gesorgt, dass Du in meine Gruppe kommst."
"Wirklich?" Giloras Stimme klang dünn, als sie das sagte. Und im selben
Moment hasste sie sich für diesen selten dämlich Kommentar. In dieser
Situation würde Garak sie mit Sicherheit nicht anlügen. Das etwas
spöttische Lächeln, dass auf seinem Gesicht erschien, gab ihr die
Gewissheit, dass Garak darüber genauso dachte. Also riss sie sich von
seinem Blick los, setzte sich gerade hin und räusperte sich. "Entschuldige,
aber ich bin es nicht gewohnt soviel Lob aus Deinem Mund zu hören. Und dann
auch noch alles an einem Abend!" Sie lächelte, als Garak auflachte. "Es
wäre nett gewesen, das über die letzten drei Jahre verteilt zu hören."
Garak nickte. "Ja, das kann ich mir vorstellen. Aber ich wollte nicht
riskieren, dass Du Dich auf Deinen Leistungen ausruhst."
"Unwahrscheinlich. Ich wäre eher noch besser geworden."
"Noch besser!" Garak sah sie wieder mit diesem Blick an, der ihr den Atem
raubte. "Ich sehe, es gibt jetzt eine Agentin, die noch ehrgeiziger ist als
ich. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll."
"Wenn es Dir unheimlich ist, kannst Du mich ja auf eine Under-Cover Mission
schicken. Nach Bajor - oder Romulus, wenn es weiter weg sein soll."
Sie hatte eine humorvolle Erwiderung erwartet, aber Garak sah sie so ernst
an, als hätte sie seine geheimen Pläne erraten. Sein Gesicht war nah an
ihrem - so nah wie nie zuvor - als er fragte: "Ist es das, was Du willst,
Gilora?" Er hatte es wieder getan. Sie beim Vornamen genannt. "Willst Du
weit weg und Deine cardassianische Identität opfern?"
Giloras Mund war trocken, als sie ebenso leise wie er antwortete: "Ich tue,
was immer nötig ist, um Cardassia zu dienen!"
"Eine gute Antwort, aber nicht auf die Frage, die ich Dir gestellt habe,
Gilora. Ich habe Dich gefragt," und sein Gesicht kam ihrem noch näher, als
es ohnehin schon war, "ob es das ist, was Du willst. Träumst Du in diesem
Moment davon, Cardassia zu verlassen?"
Es fiel Gilora nicht schwer zu antworten. "Nein!" Sie hatte leise aber
bestimmt gesprochen. In diesem Moment wollte sie nirgendwo hin. Nicht
einmal von der Bank aufstehen.
"Gut, das ist gut." Sie sah direkt in Garaks Augen und konnte seinen Atem
auf ihrem Gesicht spüren, während er sprach. "Denn ich möchte Dich jetzt
nicht wegschicken - nirgendwohin."
Gilora spürte, wie er ihre Hände in seine nahm. Ein leises "gut", war
alles, was sie noch sagen konnte, bevor sich ihre Lippen trafen.
*** ***
Als sich die Tür öffnete und die junge Frau mit erhitztem Gesicht herauskam
erhob sich Gilora Macet.
"Und? Wie ist es gelaufen?"
Doch ihre Freundin hob nur abwehrend beide Hände. "Erstmal weg hier! Ich
brauche frische Luft und etwas zu Trinken!"
"Sie sind ganz schön streng, nicht wahr?"
"Streng? Garak ist ein Totengott! Ich hätte es wissen müssen! Warum bin ich
auch in seine Gruppe gegangen? Ich hätte es mir leichter machen können!
Beim Eingangstest ein paar Fehler einbauen - schon wäre ich bei Entek
gewesen."
Gilora schüttelte den Kopf. "Garak ist der beste Ausbilder. Wer bei ihm
besteht hat die besten Karriere Chancen, und das weißt Du auch, Rekelen!"
"Ja sicher!" Rekelen lächelte Gilora an. "Du hast ja Recht! Aber während
dieser Prüfung hätte ich Garak umbringen können!"
"Ich weiß, was Du meinst!"
Die beiden jungen Frauen waren im Erdgeschoss des Gebäudes angelangt, wo
sich die Nahrungs-Replikatoren und der Essbereich für die Agenten des
Obsidian Orders befanden. Beide bestellten sich etwas zu trinken und ließen
sich dann an einem der Tische nieder.
"Das glaube ich kaum!" Nahm Rekelen das Gespräch wieder auf. "Ich kann mir
nicht vorstellen, dass Du Dir Sorgen um Deine Prüfungsergebnisse machen
musst!"
"Ach, und wie kommst Du darauf?" Gilora sah ihre Freundin verblüfft an.
"Komm schon, jeder weiß, dass Du die beste Studentin in der Gruppe bist.
Und Garak mag Dich! Er ist so stolz auf Dich, dass er platzen wird, wenn er
Dir die Plakette für den besten Abschluss überreicht. Du bist jetzt schon
eine Top-Agentin, Gilora. Du wirst nichts mehr beweisen müssen!"
"Hör auf, das ist maßlos übertrieben!"
"Na gut, ein wenig vielleicht. Trotzdem bist Du Garaks Liebling."
"Bin ich nicht!"
Rekelen lachte auf, als sie in Giloras wütendes Gesicht sah. "Doch, das
bist Du. Und dass Du wütend wirst, wenn man es Dir sagt, zeigt nur, dass es
stimmt!"
"Das ist doch lächerlich! Ich bin gut, weil ich hart gearbeitet habe."
"Ich habe auch nicht gesagt, dass Du gut bist, weil Garak Dich mag. Das
wäre eine grandiose Fehleinschätzung des Charakters unseres verehrten
Mentors." Rekelen machte eine kurze Pause. "Es ist genau anders herum. Du
hast die letzten drei Jahre härter gearbeitet als jeder andere in der
Gruppe. Du bist die Beste. Deswegen mag er Dich. Fragt sich nur, warum Du
die ganze Zeit nur von Rotblatt-Tee und Arbeit gelebt hast. - Ab und zu ein
bisschen mehr Spaß hätte Dir sicher nicht geschadet!"
"Und jedes Jahr nur mit Ach und Krach durch die Jahresprüfung, so wie Du? -
Nein danke!"
"Ach, komm schon! So schlecht war ich nicht."
"Letztes Jahr waren es nur vier Punkte, Rekelen! Wenn Garak zu dem
Entschluss gekommen ist, dass Du zu wenig gearbeitet hast, lässt er Dich
durchfallen. Dann kannst Du das letzte Jahr bei Bronok nachholen!"
Rekelen sah ihre Freundin verunsichert an. "Glaubst Du, das würde er tun?"
Gilora schnaubte. "Moralische Bedenken wird er keine haben." Als sie den
Gesichtsausdruck ihrer Freundin sah, fügte sie hinzu: "Ich habe ja nicht
gesagt, dass er Dich durchfallen lässt. Ich wollte nur sagen, dass ich
keine Lust habe, mir Gedanken um ein Jahr bei Bronok zu machen."
Doch Rekelen lächelte bereits wieder. "Und wenn schon - so schlimm ist
Bronok auch nicht."
Gilora stöhnte. "Oh, Rekelen! du bist unverbesserlich!"
"Mag sein! Trotzdem glaube ich nicht, dass das allein der Grund ist, warum
Du Dich so angestrengt hast, Garak zu beeindrucken."
"Möchtest Du damit irgend etwas andeuten?"
"Stell Dich nicht dumm. Wir haben die letzten drei Jahre den
Fortgeschrittenen Kurs im Andeutungen verstehen absolviert. Du magst Garak
auch - und nicht nur das..."
"Rekelen!"
"...Du liebst ihn!"
"So ein Blödsinn! Ich habe keine Ahnung, wie Du darauf kommst!"
"Als wir gemeinsam auf unser Aufnahme-Gespräch gewartet haben, da hast Du
gesagt, Du willst unbedingt in Garaks Gruppe!"
"Weil ich wusste, dass er der beste Ausbilder ist. Weil seine Studenten die
besten Chancen haben, Karriere zu machen, deswegen!"
"Du hast jede Übung abgegeben, obwohl nur jede zweite verlangt war!"
"Ich hätte sowieso jede gemacht, dann kann ich sie auch abgeben!"
"Du warst jeden Monat in Garaks Sprechstunde!"
"Um über meine fortlaufenden Arbeiten zu sprechen!"
"Ach..." Rekelen machte eine wegwerfende Handbewegung. "Du wolltest einfach
allein mit ihm sprechen, gib es doch zu!"
"Rekelen, das ist Unfug!"
"Und warum hattest Du dann in diesen drei Jahren nicht eine Affäre? Tavor
Yeln aus dem Jahrgang über uns hätte nur zu gern die ein oder andere Nacht
mit Dir verbracht. Und auch in unserem Jahrgang gibt es ein paar gute
Männer. Silaran Dorak aus Torans Gruppe - dieser Körper! Du solltest ihn
mal nackt unter der Dusche sehen!" Rekelen verdrehte die Augen, dass Gilora
lachen musste. "Oder Anan Entek. Wer weiß, warum er in der Gruppe seines
Onkels gelandet ist. Er hätte sicher auch gut zu uns gepasst. Aber hast Du
mal seine Augen gesehen? Blassgrün, mit einem gelblichen Rand um die Iris.
Man sieht das nur, wenn man ihm von ganz nah in die Augen sieht!"
"Ach. Wann hattest Du denn Gelegenheit ihm so nahe zu sein?"
"Oh, das war vor zwei Monaten, glaube ich. Aber ist ja auch egal. Hast Du
den kleinen Ari Benil überhaupt wahrgenommen?"
"Wen?"
"Er ist bei Horak in der Gruppe. Seine Augen sind so grün wie Jevonit. Er
ist schlank und..."
"Horak hat eine Gruppe aus dem ersten Jahrgang, Rekelen!"
"Ja, ich weiß. Benil ist im ersten Jahr!"
"Dann ist er höchstens 16! Rekelen, er ist fast noch ein Junge!"
"Er wird bald siebzehn, und glaub mir - in einer Beziehung ist er kein
Junge mehr!"
Gilora schüttelte den Kopf. "Es ist ekelhaft, wie Du über Männer redest,
Rekelen. Und der arme Benil. Hast Du ihm wenigstens gesagt, dass es nichts
Ernstes ist?"
"Glaubst Du, das hat er nicht gewusst?"
Gilora sah ihre Freundin empört an. "Er ist 16!" wiederholte sie, als wäre
das Begründung genug. "Es war höchstwahrscheinlich sein erstes Mal - und Du
hast ihm das Herz gebrochen!"
"Nun übertreibe bitte nicht! Aber ich hätte sowieso nicht widerstehen
können - er ist so wunderschön!"
Gilora beschloss, ihre Freundin auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.
"Tu mir einen gefallen, ja? Wenn Du nächstes Jahr bei Bronok bist, dann
kümmere Dich ein bisschen mehr um Deine Ausbildung. In dieser
Angelegenheit..." und es war klar, was sie damit meinte, "hast Du nämlich
genug gelernt - zumindest vorerst!"
"Du bist eine Spielverderberin, Gilora! Nur weil Du Garak nicht haben
kannst, musst Du nicht keusch leben!"
Gilora erhob sich kopfschüttelnd und sah ihre Freundin mit einem
zweideutigen Grinsen an. "Ist Dir nie der Gedanke gekommen, dass Du mit
Deinen eigenen Affären so beschäftigt warst, dass Du meine nicht bemerkt
hast?"
"Unmöglich! Wer war es?"
"Denk darüber nach, ich muss jetzt mein Kleid für den Abschlussempfang
anprobieren!"
Und damit ließ sie Rekelen - noch immer mit offenem Mund - am Tisch sitzen.
Die Anprobe für das Kleid war eine Ausrede gewesen - eine Lüge, um genau zu
sein. Aber während der letzten drei Jahre hatte Gilora gelernt, die
Definitionen von Lüge und Wahrheit etwas weiter zu fassen. ‚Die Wahrheit
liegt im Auge des Betrachters', wie Garak zu sagen pflegte. Und die
Wahrheit war, dass Gilora das Geplapper ihrer Freundin keine Sekunde länger
ausgehalten hätte. Rekelen war ihre engste Freundin - obwohl sie
grundverschieden waren. Die Wahrheit war auch, dass Rekelen die Prüfung mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestanden hatte. Irgendwie
schaffte sie es immer das zu wissen, was geprüft wurde. Sie hatte schon
Recht - so schlecht war sie nicht. Sie lag im Mittelfeld der Gruppe, und
die letzte Jahresprüfung war ein Ausrutscher gewesen, dessen Ursache eine
Lungenentzündung gewesen war - die Rekelen sich bei einem ihrer verbotenen
nächtlichen Ausflüge in den Park geholt hatte, während dessen sie, aller
Wahrscheinlichkeit nach, nur spärlich bekleidet gewesen war.
Das brachte Gilora auf die Idee, sich in die Parkanlage zu setzten. Das
Wetter war gut und es war recht warm für die Jahreszeit. Und das erste Mal
seit drei Jahren hatte sie keine Aufgaben zu erledigen.
Gilora musste lachen, als sie sich an Rekelens Gesicht erinnerte.
Wahrscheinlich würde Rekelen sie so lange nach ihren ominösen Affären
ausfragen, bis sie zugeben musste, dass sie tatsächlich keine gehabt hatte.
Was allerdings nicht daran lag, dass sie Garak nicht haben konnte, sondern
daran, dass sie tatsächlich ständig gearbeitet hatte - und daran, dass sie
Garak nicht haben konnte. Wenn sie ehrlich war, hatte Rekelen Recht. Sie
hatte sich in Garak verliebt - allerdings war das erst während des zweiten
Jahres geschehen. Zumindest hatte sie sich gegen Mitte des zweiten Jahres
eingestanden, dass sie tiefere Gefühle für ihren Mentor hegte. Aber sie
hatte nicht zugelassen, dass diese Gefühle ihrer Karriere gefährlich
wurden. Nicht, dass Affären zwischen Mentoren und Studentinnen
grundsätzlich verboten waren - sie waren aber auch nicht gern gesehen. Und
meistens führte eine aufgeflogene Affäre dazu, dass die Studentin - oder
der Student - zu einem anderen Mentor wechselte. Und das kam für Gilora
nicht in Frage. Sie hatte alles daran gesetzt in Garaks Gruppe zu kommen,
weil sie wusste, dass er nur die Besten nahm. Und diesen Status hätte sie
um nichts im Cardassianischen Imperium aufs Spiel gesetzt.
Sie schlenderte durch die Anlage. Trotz der verschlungenen Pfade war der
Park nicht so uneinsehbar, wie es den Anschein hatte. In Wahrheit konnte
man innerhalb weniger Minuten von einem Ende zum anderen gelangen - wenn
man wollte. Und es war eigentlich nicht möglich, sich zu verstecken. Dachte
man, man hatte eine lauschige Ecke gefunden, merkte man meist Minuten
später, dass man direkt neben einem Weg saß, nur getrennt durch ein paar
Blumenranken. Das war auch der Grund, warum einige Studenten es spannend
fanden sich nachts im Park zu treffen um, nun ja, um Dinge zu tun, bei
denen man normalerweise lieber nur zu zweit war. Der Reiz bestand vor allem
darin, sich nicht von Kamar, dem Gärtner, erwischen zu lassen. Oder von
einem der Mentoren, die sich gerne zu später Stunde im Park aufhielten, um
ihren Studenten zu beweisen, dass man nie sicher sein konnte, nicht
beobachtet zu werden.
Gilora war zu ihrem Lieblingsplatz gelangt. Einer Bank, die an einem der
künstlich angelegten Teiche stand, unter einem stattlichen Baum, der auf
Cardassia eigentlich nicht heimisch war. Gilora hatte alle botanischen
Bücher über Cardassia Prime und seine Kolonien gelesen, dieser Baum war
nirgends vermerkt. Mit einem Schmunzeln dachte sie, dass ein weiteres Jahr
an der Akademie des Obsidian Order das Problem lösen würde. Die
xenobotanische Datei war nicht so umfangreich wie die cardassianische. Und
da der Baum sich auf Cardassia befand, war er mit Sicherheit verzeichnet.
Gilora lehnte sich zurück und sah über das Wasser. Der Grund, warum sie
diesen Platz so mochte, war allerdings nicht der Baum. Nach sorgfältiger
Überprüfung war sie zu dem Schluss gekommen, dass dieser Ort der
abgeschiedenste im ganzen Park war. Was nicht viel hieß. Er war von zwei
Seiten einsehbar - allerdings nicht vom Eingang der Parkanlage aus. Aber es
führten nur zwei Wege in unmittelbarer Nähe vorbei: Der, über den man zu
der Bank gelangte, nachdem man um den Baum herumgegangen war. Der andere
verlief hinter einer dichten Hecke, die nur an wenigen Stellen Durchblick
gewährte.
Gilora atmete tief durch. Es wurde langsam dunkel, doch sie hatte keine
Lust, schon zurückzugehen. Auf ihrem Zimmer wartete Rekelen, die sie nach
ihren Affären ausfragen würde... Nach ihrer Unterhaltung von vorhin
verspürte Gilora das dringende Bedürfnis nach ein bisschen Ruhe. Doch
plötzlich sprang sie auf und drehte sich um. Hätte man sie gefragt, sie
hätte nicht sagen können, warum. Sie hatte weder etwas besonderes gehört,
noch gesehen. Sie hatte die Anwesenheit einer zweiten Person gespürt, und
sie hatte Recht gehabt. Gegen das hellere Licht außerhalb ihres schattigen
Platzes zeichnete sich eine Silhouette ab. Die Silhouette eines Mannes.
Eine sehr vertraute Silhouette - es war die ihres Mentors.
"Gute Reaktion! Könnte aber noch etwas schneller sein." Garak trat in den
Schatten des Baumes, so dass Gilora sein Gesicht sehen konnte.
"Ich weiß - ich war in Gedanken."
"Dass ist keine Entschuldigung!"
"Nein..." Gilora wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte mit Garak
noch nie privat gesprochen. Und das dies ein privates Gespräch werden
würde, daran bestand kein Zweifel. Wäre es offiziell gewesen, hätte er sie
in sein Büro zitiert.
Garak ging ein paar Schritte auf sie zu und setzte sich dann auf die Bank.
"Du warst in den letzten drei Jahren oft hier, nicht wahr, Macet?"
"Oft?"
"Nun ja, wann immer Du Zeit gefunden hast. Was objektiv betrachtet wohl
nicht oft war. Aber da Du die meiste freie Zeit, die Du Dir genommen hast,
hier verbracht hast, kann man wohl von oft sprechen. Warum setzt Du Dich
nicht?"
Gilora setzte sich neben ihn, bevor sie antwortete. "Ich mag den Platz. Er
ist ruhig - und nicht so zugänglich wie die anderen."
"Sehr gut beobachtet. Deswegen bevorzuge ich ihn auch."
Gilora sah ihn an und versuchte, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu
lassen. Aber das wissende Lächeln, das auf Garaks Gesicht erschien, zeigte
ihr, dass der Versuch missglückt war.
"Wie ich sehe, überrascht Dich die Vorstellung, dass ich mich in den Park
zurückziehe wie ein einsamer Student?"
"Ich bin nicht einsam." Gilora sah ihm fest in die Augen. "Um ehrlich zu
sein, bin ich immer hergekommen um ein wenig Ruhe zu haben."
"Ah. Rekelen. Sie scheint ständig zu reden."
"Ja, sie ist sehr - kommunikativ." Gilora wollte auf keinen Fall etwas
gegen ihre Freundin sagen. Sie erwartete dass Garak weiter über Rekelen
sprechen würde, doch er kam zu einem anderen Punkt zurück.
"Ich habe übrigens nicht sagen wollen, dass Du einsam bist. Aber ich war
oft deswegen hier - während meiner Ausbildung."
Das war eine beachtliche persönliche Offenbarung. Etwas, dass Gilora
niemals von Garak erwartet hätte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte,
also schwieg sie. Garak sah sie an. "Überrascht es Dich, dass ich einsam
war?"
Gilora zuckte leicht mit den Achseln. "Es ist nicht so, dass ich es
vermutet hätte, aber irgendwie ist es nicht überraschend."
Garak nickte und lehnte sich zurück. "Mein Mentor war immer sehr streng zu
mir. Alle dachten, es wäre so, weil er mich nicht leiden konnte. Aber das
stimmte nicht. Er wollte nur das Beste aus mir herausholen. Er hat meinen
Ehrgeiz solange angestachelt, bis ich über mich selbst hinaus gewachsen
bin." An diesem Punkt sah er zu Gilora. "Ich hätte mit Dir dasselbe getan -
nur dass es nicht nötig war."
Gilora wusste, dass das aus Garaks Mund ein enorm großes Lob war. In den
vergangenen drei Jahren war niemals jemand in der Gruppe gelobt worden.
Exzellentes Arbeiten war für Garak eine Selbstverständlichkeit und bedurfte
keines Lobes. Sie lächelte und senkte den Blick, da sie nicht wusste, was
sie erwidern sollte.
"Ich frage mich, was Dich dazu gebracht hat, so hart zu arbeiten, Gilora."
Gilora blickte abrupt auf, als er sie beim Vornamen nannte. Kein Mentor
nannte seine Studenten jemals beim Vornamen. Aber sie fing sich und
überging die Vertraulichkeit indem sie ihm direkt in die Augen sah und
antwortete: "Ich gebe immer mein Bestes!"
"Allerdings, das tust Du." Er erwiderte ihren Blick. Die Intensität, die in
seinen blauen Augen lag verschlug Gilora fast den Atem. "Du hast Dich durch
nichts von der Arbeit abbringen lassen. Zielstrebig hast Du Deinen Weg
verfolgt und morgen Abend wirst Du den Lohn dafür ernten."
"Morgen Abend?"
"Der Abschlussempfang. Hast Du wirklich daran gezweifelt, dass Du die Beste
Deines Jahrganges sein würdest?"
Gilora sah ihn an, nur mit Mühe hatte sie verhindert, dass ihr Mund offen
stand. "Darüber habe ich nie nachgedacht!" Und das entsprach der Wahrheit.
Sie hatte sich nicht deswegen angestrengt, um eine Plakette zu erhalten.
"Das ist seltsam." Garak sah sie an. In seinem Blick lag eine
Freundlichkeit, die Gilora nie zuvor bei ihm beobachtet hatte. Seine Stimme
klang warm, als er fortfuhr: "Ich habe schon am Tag Deines Aufnahmetestes
gewusst, dass Du die beste Absolventin in Deinem Jahrgang sein würdest."
Er war unmerklich näher gerückt und irgendwie hatte Gilora das Gefühl, dass
er weder über ihren Aufnahmetest noch über die Auszeichnung sprach.
"Ich wusste sofort, dass Du unglaublich talentiert bist, und ich habe dafür
gesorgt, dass Du in meine Gruppe kommst."
"Wirklich?" Giloras Stimme klang dünn, als sie das sagte. Und im selben
Moment hasste sie sich für diesen selten dämlich Kommentar. In dieser
Situation würde Garak sie mit Sicherheit nicht anlügen. Das etwas
spöttische Lächeln, dass auf seinem Gesicht erschien, gab ihr die
Gewissheit, dass Garak darüber genauso dachte. Also riss sie sich von
seinem Blick los, setzte sich gerade hin und räusperte sich. "Entschuldige,
aber ich bin es nicht gewohnt soviel Lob aus Deinem Mund zu hören. Und dann
auch noch alles an einem Abend!" Sie lächelte, als Garak auflachte. "Es
wäre nett gewesen, das über die letzten drei Jahre verteilt zu hören."
Garak nickte. "Ja, das kann ich mir vorstellen. Aber ich wollte nicht
riskieren, dass Du Dich auf Deinen Leistungen ausruhst."
"Unwahrscheinlich. Ich wäre eher noch besser geworden."
"Noch besser!" Garak sah sie wieder mit diesem Blick an, der ihr den Atem
raubte. "Ich sehe, es gibt jetzt eine Agentin, die noch ehrgeiziger ist als
ich. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll."
"Wenn es Dir unheimlich ist, kannst Du mich ja auf eine Under-Cover Mission
schicken. Nach Bajor - oder Romulus, wenn es weiter weg sein soll."
Sie hatte eine humorvolle Erwiderung erwartet, aber Garak sah sie so ernst
an, als hätte sie seine geheimen Pläne erraten. Sein Gesicht war nah an
ihrem - so nah wie nie zuvor - als er fragte: "Ist es das, was Du willst,
Gilora?" Er hatte es wieder getan. Sie beim Vornamen genannt. "Willst Du
weit weg und Deine cardassianische Identität opfern?"
Giloras Mund war trocken, als sie ebenso leise wie er antwortete: "Ich tue,
was immer nötig ist, um Cardassia zu dienen!"
"Eine gute Antwort, aber nicht auf die Frage, die ich Dir gestellt habe,
Gilora. Ich habe Dich gefragt," und sein Gesicht kam ihrem noch näher, als
es ohnehin schon war, "ob es das ist, was Du willst. Träumst Du in diesem
Moment davon, Cardassia zu verlassen?"
Es fiel Gilora nicht schwer zu antworten. "Nein!" Sie hatte leise aber
bestimmt gesprochen. In diesem Moment wollte sie nirgendwo hin. Nicht
einmal von der Bank aufstehen.
"Gut, das ist gut." Sie sah direkt in Garaks Augen und konnte seinen Atem
auf ihrem Gesicht spüren, während er sprach. "Denn ich möchte Dich jetzt
nicht wegschicken - nirgendwohin."
Gilora spürte, wie er ihre Hände in seine nahm. Ein leises "gut", war
alles, was sie noch sagen konnte, bevor sich ihre Lippen trafen.
*** ***
