Verschwörung

1. Überraschung bei Nacht

Die Gestalt sah mit blitzenden Augen vom Dach herab, bereit, beim geringsten Anzeichen von Gefahr die Flucht zu ergreifen. Und dennoch ebenso gefasst auf die gerade entgegengesetzte Möglichkeit, die Möglichkeit, ein argloses Opfer die Straße hinunter gehen zu sehen und zuschlagen zu können. Ein Geräusch hinter ihr ließ sie aufschrecken, doch sobald Misa sich überzeugt hatte, daß sie keinen unerwünschten Besuch in ihrem Hinterhalt bekommen hatte, waren die Augen wieder auf die Straße gerichtet. Würde sie jemand von unten entdecken, so würde er die Erfahrung, diesem Blick begegnet zu sein, mit den Worten unverwandtes, wenn nicht gar herzloses Starren umschreiben. Doch diesen Blick zu sehen ist nur wenigen jemals vergönnt gewesen, und noch nie war jemand in der Lage, danach davon zu berichten.

Eine Bewegung auf der Straße fiel ihr ins Auge, und rasch schüttelte sie die Gedankenverlorenheit in die sie während des Wartens verfallen war ab, voll konzentriert auf die kleine Person, die sich nun die Straße hinabbewegte. Rasch sagte ihr sowohl ihr scharfer Blick, als auch ihr Einschätzungsvermögen, daß sie es hier kaum mit einem kleinen Kind zu tun hatte, sondern vielmehr mit einem dieser hinterhältigen kleinen Halblinge, die es immer wieder unter Verkleidungen versuchten in ihr Gebiet einzudringen, und ihr die potentiellen Opfer zu nehmen.

Doch dieser Versuch sollte von nicht mehr Erfolg gekrönt sein als all die anderen. Absolut lautlos und behende, wie eine Katze, kletterte sie vom Dach und verfolgte den kleinen Eindringling. Sie brauchte nicht lange zu warten um eine geeignete Stelle zu finden, eine kleine Seitengasse war genau der richtige Ort für ein solches Vorhaben. Kurz bevor sie jedoch ihren Plan ausführen, den Halbling zu schnappen und mit sich in die Gasse zu zerren, ausführen konnte, passierte etwas, daß sie vollkommen überraschte und sie fast vergessen ließ weiterzuatmen. Der Kleine drehte sich um, einen wissenden Blick in den Augen, und begann leise zu sprechen:"Ich weiß genau, wer du bist, aber ich bitte dich bleibe jetzt ruhig und folge mir einfach. Ausdiskutieren können wir diese Angelegenheit später zunächst ist es wichtiger, daß wir von der Straße verschwinden. Solltest du auch nur daran denken mich jetzt, oder auch später, anzugreifen, rate ich dir dich erstmal ein wenig umzuschauen."

Nach diesen Worten drehte er sich rasch wieder um und begann weiterzugehen. Misa dachte noch einen Sekundbruchteil über seine Worte nach und sah sich dann vorsichtig um. Mit einem Mal fiel ihr die besondere Stille in dieser Gegend auf. Mit einem Mal erkannte sie es auch, dass die scheinbar unbewegten kleinen Spitzen die an manchen Fensterrahmen und Dachzinnen zu lehnen schienen nichts weiter als Armbrustbolzen waren. Armbrustbolzen, mit einem Ziel.

Sie.

Misa verfluchte sich, dass sie in eine solch simple Falle hineingelaufen war, erkannte aber auch schnell, daß an der Situation jetzt nicht mehr viel zu ändern war, es sei denn sie hatte vor, sich mit 20 oder mehr Gegnern zugleich anzulegen, und das war gewiß nicht in ihrem Sinne. Heimlichkeit und Hinterhalt waren ihre Stärken, nicht das offene Gefecht. Aus diesem Grund also beschloß sie dem Halbling zu folgen, und sich zumindest einmal anzuhören was er wollte, wenn es ihr nicht gefiel, würde es ihr immer noch gelingen, einen Weg zu finden, da wieder rauszukommen. Wie es ihr immer gelang.

Der Halbling ging zunächst weiter geradeaus, nahm dann jedoch einige kleine Abzweigungen und dunkle Gassen, in denen Misa noch nie gewesen war. Sie bemerkte nur, daß sie sich immer weiter von dem Stadtteil entfernten, den sie als ihr Revier ansah, wohin es aber gehen sollte war ihr nicht im geringsten klar. Schließlich, nach ungefähr einer Dreiviertelstunde blieb der Halbling vor einer kleinen Tür, offensichtlich auf Halblingsmaße angepaßt, stehen, und winkte sie näher heran.

Sobald sie herangekommen war, öffnete er die Tür, und bedeutete ihr einzutreten, was sie dann auch tat. In dem kleinen, notdürftig eingerichteten Raum hinter der Tür befanden sich neben vier Stühlen noch zwei weitere Halblinge. Nun sah Misa den Zeitpunkt gekommen, herauszufinden, was hier eigentlich gespielt wurde, und warum sie hier war.

"Was wollt ihr von mir?" fragte sie und setzte scharf hinzu:"Ich sehe es nicht ein, wieso man mich mit einer bewaffneten 'Eskorte' von 30 Mann quer durch die ganze Stadt treiben muss, um mich irgendwohin zu bringen, wo ich üeberhaupt nicht hin will! Wir hatten bisher weder Probleme, noch irgendwelchen anderen Kontakt miteinander, und von meiner Seite her gesehen, hätte das ruhig so bleiben können."

Der älteste der drei, nun in dem Raum anwesenden Halblinge erhob die Stimme. "Immer mit der Ruhe. Setz dich erstmal, und dann wollen wir dir erklären, wieso du hier bist." Obwohl die ganze Sache ihr immer noch widerstrebte beschloss Misa erst einmal den Anweisungen zu folgen, denn sie hoffte, daß sie diese Angelegenheit dadurch umso schneller erledigen konnte und ihr so vielleicht nicht der ganze Verdienst einer Nacht verloren ging.

Nachdem einige Minuten vergangen waren begann derjenige Halbling, der sie auch in die Falle gelockt und hierhergeführt hatte, zu sprechen. "Erstmal will ich mich vorstellen, man will schließlich nicht unhöflich sein, ich bin Dargon Veldammer. Nun kommen wir zu dir: Du bist Misa, dein Hauptgebiet liegt im Viertel der Händler, und du setzt deine Rechte dort seit drei Jahren unbezweifelbar durch. Du siehst wir wissen ganz genau, mit wem wir es hier zu tun haben, und wir haben dich auch nicht grundlos hierhergeholt. Wenn du selbst mitgezählt haben solltest, weisst du, wie viele Mitglieder unserer Gemeinschaft du in den letzten drei Jahren vernichtet hast, wenn nicht, wir haben es getan, es sind 167 gewesen. Das muß aufhören."

"Sie sind in mein Gebiet eingedrungen," begehrte Misa auf, " und in meinem Gebiet herrschen meine Regeln, und wenn ich sage, daß nur ich dort das Recht habe irgendetwas zu stehlen oder zu rauben, dann ist das so und eure kleinen Möchtegern-Diebe haben das zu akzeptieren." Beschwichtigend hob der Halbling die Hände.

"Ich war noch gar nicht fertig. Natürlich sehen wir vollkommen ein, daß du deine Rechte in deinem Gebiet verteidigst, dennoch können wir nicht über den Tod so vieler fähiger Mitglieder unserer Gruppe hinwegsehen. Und außerdem kommt hier ein weiterer Punkt hinzu, eigentlich der viel wichtigere Grund aus dem wir dich hergeholt haben. Wir brauchen deine Hilfe." Sie hätte mit allem gerechnet aber nicht damit. Beinahe geschockt sah sie ihn ungläubig an:"Meine Hilfe? Ihr?" Angesichts der Lächerlichkeit dieser ganzen Angelegenheit musste sie sich sehr zusammenreißen, nicht in hysterisches Gelächter auszubrechen. "Ihr seid die bekannteste und größte Gruppierung von Gaunern und Dieben in dieser Stadt. Ihr habt für alles eure Spezialisten. Und ihr wollt mir weismachen, daß ihr meine Hilfe braucht?"

Das Lachen das sie zu unterdrücken versucht hatte, brach nun unkontrolliert aus ihr heraus. Mit ernstem Blick sahen sich die Halblinge an, sie hatten mit solchen Schwierigkeiten gerechnet. Einer von ihnen holte tief Luft und versuchte erneut mit ihr zu reden. "Es ist nun wirklich nicht so, daß wir dir hier etwas vormachen würden. Dafür ist die ganze Angelegenheit zu ernst. Wir haben ein Problem, daß wir selbst nicht lösen können, und du bist die einzige, von der wir wissen, die und dabei behilflich sein könnte. Also reiß dich jetzt bitte zusammen und hör uns zu. Unser aller Leben steht auf dem Spiel und das vieler anderer dazu."

Langsam wurde ihr irgendwie klar, daß das alles zu ernst aufgezogen war, um ein schlechter Witz zu sein. Sie hatte das Gefühl, daß dieser kleine Halbling vor ihr, jedes seiner Worte toternst meinte. Ihr wurde etwas mulmig zumute. Ihr Lachen brach urplötzlich ab und sie gewann ihre Fassung blitzschnell zurück. "Könntet ihr mir vielleicht erstmal sagen was los ist? Ich meine, ihr redet alles mögliche daher, von Tod und so, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, worum es überhaupt geht."

Ein erleichtertes Lächeln zeigte sich sowohl auf Dargons, als auch auf den Gesichtern der anderen Halblinge, deren Namen sie noch nicht kannte. "Ich sehe du beginnst Vernunft anzunehmen. Das ist gut, denn wir haben wahrhaftig keine Zeit zu verschwenden. Du bist wie wir ein Wesen der Nacht und der Heimlichkeit, doch während du die Tage gut versteckt verbringst, haben wir auch tagsüber die Ohren offen, und erfahren mehr als du."

Erneut regte sich ihr Widerspruchsgeist. "Wie kommst du auf die Idee ihr würdet mehr erfahren als ich? Woher willst du wissen was ich weiß?" Die Antwort klang nun schon leicht gereizt. Dargon schien langsam die Nerven und die Geduld mit ihr zu verlieren. "Wenn du mir nich immer ins Wort fallen würdest, wären wir bereits eine ganze Ecke weiter, und außerdem, wenn du wirklich Bescheid wüsstest was abläuft, dann wäre diese ganze Diskussion hier nicht mehr nötig. Die ganze Stadt weiß was los ist, nur du stehst hier und willst mir erzählen du wüsstest alles und hast doch noch kein Wort von den jüngsten Ereignissen vernommen?"

Mit diesen Worten hatte er sie getroffen. Sie wusste schließlich selbst, daß man bei einem Leben wie sie es führte nicht gerade viel mitbekam. Also beschloß sie die berechtigte Kritik hinzunehmen, und sich über die Geschehnisse aufklären zu lassen. "Ist gut, du hast ja recht. Aber jetzt rück bitte endlich damit heraus, mir wird diese ganze Sache langsam unheimlich." Dargon räusperte sich noch einmal und begann dann ihr zu erzählen.

"Vielleicht habe ich etwas übertrieben, als ich sagte 'jeder' wüsste davon. Natürlich wissen die einfachen Leute genausowenig Bescheid, wie die Bettler auf der Strasse, aber in unserer Branche gibt es kaum einen, der noch nicht davon weiss. Eine der wenigen bist du, aber das wird sich jetzt ändern."

Er sah sie an, und die schreckliche Verzweiflung, die in seinen Augen zu lesen war, hielt sie davon ab, auch nur den geringsten Mucks von sich zu geben. Voll und ganz auf den Halbling konzentriert bedeutete sie ihm, fortzufahren.

"Du hast vorhin selbst angesprochen, dass wir die grösste Diebesgilde der Stadt sind. Gerade das behindert uns in diesem Fall enorm. Wir können nicht handeln, ohne aufzufallen." Als er Misas verwirrten Blick bemerkte stutzte Dargon. "Es tut mir leid. Vielleicht sollte ich von vorne anfangen, und nicht mitten in der Geschichte." Misa nickte nur, denn genau das war ihr Problem gewesen.

Dargon holte erneut tief Luft und schien nach einem Ansatzpunkt zu suchen. Dann begann er wiederum zu sprechen:"Vor ungefähr drei Wochen ist uns zum ersten Mal berichtet worden, dass vermehrt Angehörige der Wüstenvölker aus Amn und Calimshan in unsere Stadt kommen. Zunächst machten wir uns nicht weiter Gedanken um diese Tatsache, schließlich ist Baldurs Tor eine offene Stadt für jedermann.

Jedoch hat diese Einwanderungswelle nun ungeahnte Mengen erreicht. Und im gleichen Maße, in dem die Einwanderer aus dem Süden mehr werden, sterben und verschwinden verschwinden mehr und mehr alteingesessene Einwohner. Nicht wenige der aus unerklärlichen Gründen tot aufgefundenen oder auch verschwundenen sind bekannte Persönlichkeiten der Stadt. Es betrifft Menschen, Elfen, Halblinge, Angehörige sämtlicher Rassen aus den verschiedensten Schichten. Adelige sind unter den Opfern ebenso wie Führungspersonen verschiedener Gilden oder auch Einzelpersonen. Niemand ist mehr sicher. Ich hoffe du siehst ein, dass diese Gefahr real ist, und dass sie groß genug ist, um uns zusammen zu tun."

Diesen Schwall an Informationen musste Misa erst einmal verdauen. Nachdem sie die gesamte Situation überdacht hatte erhob sie ihre Stimme. "Nun ja, ich erkenne durchaus die Gefahr, die Ihr mir geschildert habt, werter Dargon. Jedoch bleibt es mir ein Rätsel, wie ich Euch bei dieser Geschichte eine Hilfe sein sollte. Was könnte ich vollbringen, was nicht auch in Eurer Macht stünde?"

Mit dieser Frage schien Dargon gerechnet zu haben, denn er hatte die Antwort anscheinend bereits gut vorbereitet im Kopf. "Nicht viele haben bisher die Verknüpfung, die wir sehen gezogen. Auch wenn wir eine der größten Gilden der Stadt sind, stehen wir bisher noch ziemlich alleine da. Wir können es uns noch nicht leisten, in diese Angelegenheit einzugreifen. Es gibt zu wenig Beweise für unsere Vermutungen, und jeder Angehörige unserer Gilde der bei Nachforschungen in dieser Richtung entdeckt würde, würde die Aufmerksamkeit auf uns lenken, unangenehme Fragen würden gestellt werden und der Gegner würde bemerken, dass wir bereits auf der Hut sind.

Du bist ein Mensch, und es gibt keinerlei bekannten Verknüpfungen zwischen dir und uns oder dir und irgendeiner anderen Gilde. Deshalb kannst du für uns die Informationen beschaffen die wir brauchen, und uns damit helfen die drohende Gefahr abzuwenden. Du bist unsere einzige Hoffnung. Es gibt niemanden sonst, der unabhängig, und auch nur annähernd so begabt wäre wie du."

Während Dargons vorangegangenen Monolog hatte Misa sich ein wenig von ihm abgewendet und der Reihe nach die Gesichter der anderen Anwesenden gemustert. Sie liess sich sehr viel Zeit, bis sie Anstalten machte zu antworten. Aber auch jetzt sprach sie sehr langsam, als würde sie sich jedes Wort in dem Moment überlegen, in dem sie es sprach. "Ich kann euren Standpunkt gut verstehen. Aber welche Art von Drecksarbeit soll ich für euch erledigen? Denn nichts anderes ist es doch, als die Drecksarbeit, an der ihr euch die Finger nicht schmutzig machen wollt." Verächtlich wandte sie sich wieder Dargon zu und blickte von oben auf ihn herab.

Der Halbling bekam das Gefühl, auf verlorenem Posten zu stehen, und begann wild gestikulierend auf sie einzureden. "Das darfst du nicht so sehen. 'Drecksarbeit', nun ja, ich würde es viel eher 'Nachforschungen anstellen' nennen. Es ist das Einzige was im Moment in dieser Angelegenheit getan werden kann, und es kann nun einmal nicht von uns getan werden." Er blickte sie bittend an. "Es könnte Leben retten, und nicht zuletzt das deinige."

Ein kurzes Lächeln blitzte auf Misas Gesicht auf, hatte sie doch erreicht was sie wollte. Dargon war genau in der Lage in der sie ihn hatte haben wollen. Und das aus eigener Schuld, sie hatte schliesslich mit keinem Wort gesagt, sie würde den Auftrag nicht annehmen. Wenn er aus der Verwendung des Wortes 'Drecksarbeit' gleich so etwas schloss, war das ganz sicher nicht ihr Problem.

"Nun gut Dargon, sagen wir es ganz einfach so: Ihr sagt mir was ich tun soll, und was für mich dabei herausspringt, abgesehen von meinem Leben, das ich glaube ich auch so ganz gut verteidigen kann."

Dargon seufzte und blickte seine Genossen fragend an. Nach einem kurzen, wortlosen Blickaustausch nickten die beiden anderen kurz und Dargon ergriff das Wort. "Du sollst zunächst herausfinden, wie viele der Südländer die täglich neu dazu kommen, und die in den letzten Monaten gekommen sind, tatsächlich einfache Menschen sind, die nur ihrem Gewerbe nachgehen und bei wie vielen dieses nicht der Fall ist. Falls du bei einigen häufige Treffen mit anderen bemerkst, versuche herauszufinden ob es eine Art 'Hauptquartier' oder ähnliches gibt. Solltest du tatsächlich so weit kommen, dass dir dieser Ort bekannt ist, wäre noch jede weitere Informationen über die Ziele dieser Organisation wichtig. Ausserdem gilt es herauszufinden wer hinter der ganzen Sache steckt, und ob sie Verbündete in unseren sogenannten 'eigenen Reihen' haben."

"Das ist nicht gerade wenig und nicht gerade einfach herauszufinden", unterbrach ihn Misa. "Was bekomme ich dafür von euch, dass ich euch diese Informationen liefere?"

"Zunächst einmal bekommst du deine Ausgaben, die du haben wirst um diesen Auftrag zu erfüllen, von uns erstattet. Darüber hinaus bieten wir dir eine Prämie von jeweils 200 Goldmünzen für den Ort, an dem sie sich versammeln, und für die Identitäten der Anführer dieser Gruppierung. Es ist zwar nicht gerade viel, aber es ist mehr, als du in Wochen mit dem Lauern auf Dächern verdienst."

Zufrieden schaute Misa sich um. Diese Begegnung war letzten Endes doch noch ganz nach ihren Wünschen verlaufen. Sie hatte Informationen bekommen, die ihr eventuell das Leben retten würden ohne dafür zahlen zu müssen. Und darüber hinaus noch einen Auftrag, bei dem sie durchaus mehr verdienen würde, als durch die üblichen Diebereien. "Einverstanden, ich gehe auf euren Vorschlag ein. Allerdings ergibt sich dadurch ein kleines Problem für mich. Zum einen könnte ich durchaus einen Vorschuss gebrauchen wenn das nicht zu viel verlangt ist. Ich bin im moment nicht gerade flüssig."

Das entsprach zwar nicht unbedingt der Wahrheit, aber es war immer besser, sich ärmer erscheinen zu lassen als man wirklich war.

"Und zum anderen wird mir die Zeit fehlen mich um mein Revier zu kümmern. Euch ist doch wohl klar, dass wenn ich mich auch nur zwei Tage nicht blicken lasse, sofort Möchtegern-Diebe oder gar irgendwelche Gilden das Händlerviertel unter sich aufteilen. Also müsst ihr wohl oder übel dafür sorgen, dass sich eure Leute darum kümmern. Das ist meine Bedingung, unter keinen anderen Umständen werde ich euch helfen."

Zu Beginn ihrer Forderungen hatte Dargon noch recht zuversichtlich ausgesehen, doch beim letzten Punkt war ihm geradezu das Blut aus dem Gesicht gewichen. "Du weisst nicht was du da verlangst. 167 Tote sind ein bisschen viel um so leicht vergessen zu werden. Unsere Leute fürchten dein Gebiet mehr als jedes andere in der Stadt."

Erneut blitzte ein fieses Lächeln in Misas Gesicht auf. "Keine Angst, ich werde sie euch schon nicht kaputt machen. Und ich frage mich wirklich aus was für Feiglingen diese Gilde besteht, wenn sie sich nicht einmal in mein Gebiet wagen, wenn ich es ihnen erlaube."

"Nun gut", räumte Dargon ein. "Ich denke es wird sich schon jemand finden lassen. Du wirst wahrscheinlich auch noch einen Anteil an der Beute verlangen?!" fügte er kleinlaut hinzu.

"Hmm, eigentlich hatte ich das nicht vor, aber jetzt wo du es sagst, eigentlich eine sehr gute Idee. Sagen wir 1/10?" Misa konnte nicht verstehen, wieso ihr Gegenüber diesen Punkt überhaupt angesprochen hatte, aber da er es schon einmal getan hatte, konnte sie diesen Lapsus ja auch ruhig ausnutzen. Schliesslich lebte man nicht umsonst unter Gaunern. Wenn sie es sich richtig überlegte, tat sie Dargon doch nur einen Gefallen, indem sie ihn so deutlich auf seinen eigenen Fehler stieß. Mit einem Grinsen schloss sie diesen Gedankengang ab.

Dargon seufzte erneut und fügte sich ihren Bedingungen. "Du verhandelst hart, aber uns bleibt keine Wahl als darauf einzugehen. Sehen wir es einfach als gute Übungsmöglichkeit für junge Gildenmitglieder an."

Misa begann die Zusammenarbeit mit ihm inzwischen Spass zu machen, während man Dargon jedoch recht deutlich anmerken konnte, dass er für heute zumindest die Nase voll hatte.

"Ich denke damit ist unser Gespräch für heute beendet", meinte er deshalb, und deutete zur Tür. "Du kannst jetzt gehen, ohne Angst haben zu müssen von 30 Bolzen durchbohrt zu werden. Aber vergiss nicht: Kein Wort über unser Geschäft, und kein Wort auch nur über unser Treffen. Eine jegliche Verbindung zwischen uns wäre fatal."

Mit diesen Worten hatte er wenigstens noch einen letzten Stich machen können. Das Grinsen auf Misas Gesicht war wie fortgewischt, als sie an die Demütigung zuvor erinnert wurde. Das Spiel jedoch hatte Dargon eindeutig verloren, daran konnte auch diese letzte Trumpfkarte nichts mehr ändern. Misa verließ das kleine Haus trotz allem vorsichtig und begab sich, stets auf der Hut, durch die kleinen Hinterhöfe und Gassen, die kaum jemand in der Stadt auch nur annähernd so gut kannte wie sie, zurück in ihr Viertel.

Als sie wieder auf dem Dach saß wogte ein Gefühl von zuhause sein in ihr auf. Die Nacht war noch nicht allzuweit fortgeschritten und konnte durchaus noch vielversprechend werden. Die scharfen Augen waren erneut auf die Straße gerichtet, bereit sofort zuzuschlagen, wenn sich die Gelegenheit bot.