Die Schläge der uralten Standuhr im Korridor dröhnten dumpf in Deirdres Zimmer hinein, während sie ihre Tasche packte. Frustriert faltete sie ihren Festumhang zusammen und suchte unter dem Bett nach ihren Schuhen, die genau wie einige ihrer Hemden spurlos verschwunden waren. Sie ahnte bereits, warum.

"Glipp!", rief sie leise. Zunächst geschah nichts, doch dann bewegte sich ein Teil der dunklen Wandtäfelung neben einem Schrank und der kleine Hauself streckte den Kopf hervor. Das Schuldbewusstsein war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. "Mir fehlen einige Sachen", erklärte sie ihm sanft und er trat mit zitternden Ohren endgültig ein.

"Wollte keine Probleme machen, wollte ich", gestand er und hob in einer Geste der Resignation einen ihrer Socken hoch. "Dachte, wenn Sachen fehlen, könnten wir hier bleiben."

"Wie kommst Du auf die Idee, dass ich hier bleiben will?" Deirdre musste trotz ihrer Anspannung lächeln. "Es ist alles gesagt, denke ich."

Glipp starrte auf seine überlangen Zehen.

"Ich bin nicht gut in so was", druckste er herum. "Aber Sie dürfen Master Draco nicht allein lassen. Nicht aufgeben hier."

Deirdre lachte sarkastisch.

"Ich gebe doch nicht auf. Er hat mich gebeten zu gehen und das sollte ich wohl."

"Du wirst nirgendwo hingehen", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr. Eine eisige Stimme, die sie kannte. Lucius Malfoy stand in der Tür und hatte seinen Zauberstab auf sie gerichtet. Sein Gesicht war eine Maske des Zorns. "Verdammtes Pack. Du dachtest wohl, Du könntest Dich hier einschleichen? Aber so leicht zu täuschen ist höchstens mein nichtsnutziger Sohn." Er winkte mit dem Stab in seiner hand. Deirdre suchte verzweifelt mit den Augen nach ihrem eigenen, doch verwarf den Gedanken wieder. "Vorwärts, raus hier. Jemand möchte sich mit Dir unterhalten."

Ein Schauder kälter als Eis fuhr über Deirdres Körper, als sie langsam an Lucius vorbei durch die Tür ging. Er folgte er ihr über den Gang und die große Treppe hinunter in die Halle. Niemand war zu sehen und die absolute Stille trug nicht unbedingt dazu bei, Deirdre zu beruhigen. Die böse Vorahnung paralysierte sie und Lucius musste sie mehrmals unsanft anstoßen, damit sie den Weg fand.

Sie traten aus dem Portal des Landsitzes hinaus in die eisige Nacht. Die Luft war klar und scharf, doch sie konnte das Feuer riechen, das in der Nähe entfacht worden war. Je weiter sie gingen, desto stärker konnte sie den Geruch wahrnehmen. Sie durchquerten ein kurzes Waldstück aus Tannen, die ihre Nadeln trotzig der Kälte entgegenstreckten. Der Feuerschein tanzte über ihren Spitzen und tauchte sie in ein geisterhaftes Licht.

Inmitten des Waldes waren die Todesser versammelt. Sie trugen schwarze Roben und obwohl Deirdre kein einziges Gesicht erkennen konnte, spürte sie den Hass, der ihr entgegenflutete wie eine unaufhaltsame Brandungswelle. Lucius legte eine Hand in ihren Nacken und drückte mit der anderen den Zauberstab in ihrem Rücken. Seine Stimme war nur ein Hauch, doch voller Gift, als er mit einem Finger ihre kalte Haut streichelte.

"Wie überaus tragisch, dass Du so bald von dieser Welt gehen wirst. Ich hatte schon immer Elfen in meinem Besitz - aber nie auf die Weise, in der ich Dich haben könnte."

Deirdre zwang sich, einen Schauer des Ekels zu unterdrücken und sich aufzurichten. Er sollte nicht merken, dass sie Angst hatte. Die Genugtuung würde sie ihm niemals gönnen.

Der Kreis der Todesser öffnete sich und er führte sie direkt hinein. Dann ließ er sie dort stehen, neben dem Feuer, das zuckend seine Funken in den Himmel schleuderte. Sie wusste, dass es kein Entkommen gab und verfluchte sich in Gedanken dafür, nicht schon früher Malfoys Haus verlassen zu haben. Wer hatte sie verraten? Etwa Draco? Oder hatte Lucius ohne das Zutun seines Sohnes seine Schlüsse gezogen?

Ein Windhauch zog über die Lichtung und löschte die Flammen bis auf ein warmes Glühen, das unter dem knisternden Holz verblieb. Nur das Licht der Sterne und des sichelförmigen Mondes erhellten noch die Szenerie, als sich der Kreis ein weiteres Mal teilte und eine dünne, hohe Gestalt mit langsamen Schritten herantrat. Deren Gewand wirkte, als sei es von Motten zerfressen worden und der stechende Geruch nach Tod, der von dem Neuankömmling ausging und den Deirdre dank ihres feinen Gespürs wahrnehmen konnte, war überwältigend.

Man musste Voldemort nicht gesehen haben, um zu wissen, dass er es war. Die Aura des Bösen, die ihn umgab, raubte Deirdre den Atem. Ihre Hände begannen zu zittern und sie ballte sie zu Fäusten, um sich zu beruhigen. Der dunkle Lord trat langsam näher und umrundete sie langsam. Seine nicht sichtbaren Augen bohrten sich in sie, strichen über ihre spitzen Ohren und schienen ihr Innerstes nach Außen zu kehren. Als er sprach, war es, als würde der Tod persönlich aus einer großen Entfernung flüsterte.

"Du hast geglaubt, niemand würde bemerken, dass Du meinen Kindern schaden willst." Er kicherte boshaft. "Dort, in dieser Schule, wächst der Nachwuchs meiner persönlichen Armee heran, kluge, mächtige Zauberer, die diese Welt mit Dunkelheit überziehen werden. Das Zaubereiministerium wird daran nichts ändern können. Und selbst wenn es sich mit Deiner Rasse verbündet, habt Ihr verloren."

Deirdre biss sich auf die Zunge, um ihn nicht zu provozieren. Natürlich war ihr während ihrer Zeit in Hogwarts klar geworden, wie böse und machtgierig die Schüler des Hauses Slytherin waren. Doch es waren eben noch Kinder, verführt durch ihre Eltern und ihr Umfeld, unschuldig an dem, was sie werden würde, wenn die Beeinflussung beendet war. Dass Voldemort so skrupellos mit dem Leben der Schüler spielte und sie für seine verrückte Weltherrschaftspläne rekrutieren ließ, erschreckte Deirdre mehr als die Tatsache, dass er sie jeden Moment töten konnte.

"Das letzte Kapitel ist noch nicht geschrieben, Voldemort", fauchte sie ihn an und vergaß ihre Vorsicht. "Sie können niemals gegen die Mächte des Guten triumphieren."

Doch Voldemort ignorierte sie und sprach weiter.

"Bedauerlicherweise hat mir eine mir unterstellte Familie keine Ehre bereitet und deshalb werde ich ein Exempel statuieren." Er gab ein Zeichen und eine strampelnde Gestalt wurde in den Kreis hineingezerrt und neben Deirdre zu Boden gestoßen. Erschrocken erkannte sie Draco. Sie streckte ihm instinktiv die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen, doch er ignorierte sie hochmütig. Lucius stieß einen erschrockenen Ruf aus und ging auf Voldemort zu. Der Lord hob eine Hand und der Schritt von Dracos Vater stockte. "Lucius", flüsterte Voldemort heiser. "Dein Junge hat eine Verräterin in Dein Haus gebracht und keiner von Euch hat es bemerkt. Du kennst die Regeln."

"Mein Lord, er ist mein Sohn. Er macht eine schwierige Phase durch. Ich bitte Euch, verschont ihn."

Der schwarze Magioer antwortete nicht. Er wandte sich ab und für einen Moment schien es so, als sei er bereit, die Bitte Malfoys zu erwägen. Doch dann fuhr er mit wehendem Gewand herum, riss seine Hand hoch und schrie:

"Avada Kevadra!"

***

Severus stockte der Atem. Die ganze Zeit währen der Zusammenkunft war er auf das äußerste angespannt gewesen. Als Voldemort ihn über das dunkle Mal auf seinem Arm hatte rufen lassen, hatte er nicht ahnen können, dass sich plötzlich eine derartige Tragödie daraus entwickeln würde. Nicht, dass Voldemort nicht ständig irgendwelche Tragödien verantwortete. Doch diese Situation betraf Severus selbst. Er mochte Draco und hätte niemals gedacht, dass der Junge ins Schussfeld des Lords geraten könnte. Lucius war ihm eigentlich herzlich egal. Sie hatten sich schon während ihrer Schulzeit nicht besonders gut verstanden, obwohl sie im selben Haus waren. Miss Zarathus Verhalten nötigte ihm ungewollt Respekt ab. Sie erschien im Angesicht Ihres Todes völlig furchtlos.

Als der grüne Blitz durch die Luft in Dracos Richtung zuckte, packte sie den Jungen und wollte ihn zur Seite ziehen. Doch sie war zu spät. Lucius Malfoy war ihr zuvor gekommen. Bevor der tödliche Fluch seinen Sohn töten konnte, warf er sich in dessen Flugbahn und wurde voll getroffen. Lautlos brach Malfoy tot zusammen.

Durch die Reihen der Todesser ging ein Raunen. Draco warf sich mit einem Schrei über die Leiche seines Vaters, mit leerem Blick und verzerrter Miene. Deirdre stand neben dem Feuer, völlig gebannt von der plötzlichen Wucht, mit der der Tod gekommen war. Snape empfand fast so etwas wie Mitleid mit ihr, wenn er nicht gewusst hätte, dass dies alles letztendlich ihre Schuld war. Hätte sie sich nicht bei den Malfoys eingeschlichen, hätte Drcaos seinen Vater niemals verloren oder wäre selbst in Lebensgefahr geraten.

Doch das Grauen war noch nicht vorbei. Voldemort lachte wieder sein grausames, trockenes Lachen.

"Ich habe mein Urteil vollstreckt, doch der Delinquent stellte sich selbst zur Verfügung. Nun, so soll es sein. Kommen wir zu wichtigeren Dingen." Er winkte zwei Todesser heran, die Deirdre ergriffen und fesselten. "Dies ist ein besonderer Abend. Ich werde ein letztes Opfer an die Kräfte bringen, die mir den Sieg schenken werden, den Triumph über das Gute in dieser Welt."

Grauer Nebel drang aus dem Wald, als Voldemort Schergen Deirdre aus dem Kreis zerrten und an einen einzelnen Baum banden. Dann wichen die Todesser wie auf einen geheimen Befehl hin zurück. Severus versuchte, möglichst weit vorn zu bleiben und alles im Auge zu behalten. Draco saß noch immer bei seinem Vater, völlig bewegungslos. Snape wagte es nicht, ihn zu holen, denn auch er spürte den lähmenden Schrecken, der sich auf einmal in ihm ausbreitete. Diesen Effekt hatte Voldemort anfangs auf ihn ausgeübt, als er noch ein junger, leicht zu beeinflussender Mann gewesen war. Doch nun wusste er mehr über die ihn umgebenden Kräfte und der Lord hatte einen Teil seines Schreckens verloren. Dieser Nebel jedoch, der wie Tentakel aus den Schatten hervorkroch, war anders. Er war viel älter und mächtiger als Voldemort.

Snape wollte seinen Augen nicht trauen, als er sah, wie sich aus dem Nebel Gestalten formten, sich zu menschlichen Figuren verdichtete. Es waren Dutzende, wenn nicht mehr. Männer und Frauen mit dunklen, ausdruckslosen Gesichtern, alt und jung, in Kleidung aus den unterschiedlichsten Epochen gehüllt. Sie schliche heran, lauernd wie Bestien.

Severus Atem kondensierte in der beißenden Luft, die innerhalb von Sekunden weit unter den Gefrierpunkt gefallen war. Ihm wurde plötzlich klar, dass dies das Werk Voldemorts war, das Ergebnis all jener Morde, die an den Wäldern verübt worden waren. Die Seelen der verstorbenen Zauberer waren zurückgekehrt, in die Körper geschlüpft, die Voldemort in Elfenblut und Einhornknochen gesalbt hatte.

Und das letzte Opfer wartete auf sie. Das wertvolle Blut einer Hochelfe.





Nach langer Zeit ist wieder mal ein Kapitel fertig geworden! Jippie! Und das nächste folgt bald! Ein paar kleine Reviews wären super!

Lieber Grüße

Eure Demetra