Disclaimer:

Labyrinth und die dazugehörenden Charaktere gehören nicht mir. Colin, Daniel, Lucille, Darlene und Jasmina und alle anderen, die ganz allein aus meiner Feder geflossen sind, gehören mir allerdings schon.
Dieses Werk ist nicht profitorientiert und nur aus Spass an der Freude entstanden.
+++~~~ Die zauberhaften Jahre ~~~+++
Fanfiction by Lorelei Lee
Kapitel 20
Jareth erschien wie aus dem Nichts in Tobias Wohnzimmer.
Laut nach ihm rufend eilte er durch die Wohnung.
"Tobias! Verdammt, wo steckst du?"
Als letztes riss er die Tür zum Schlafzimmer auf, wo er endlich seinen Schwager fand. Doch dieser war nicht allein.
"Tobias! Endlich - ich weiss, ich habe gestört, aber ich werde mich später entschuldigen..."
"Jareth, bist du verrückt geworden?" unterbrach ihn Tobias. "Du kannst doch nicht so einfach..."
"Steh' endlich auf und pack' deinen Arztkoffer. Melanie hatte einen Unfall. Es ist dringend", drängte Jareth kurz angebunden.
"Melanie? Ich bin sofort fertig!" Er schlug die Decke zurück und sprang aus dem Bett an Jareth vorbei ins Badezimmer.
"Einen schönen guten Tag, Eure Majestät", zwitscherte eine melodische Stimme aus der zweiten Betthälfte. Jareth besah sich daraufhin Tobias Gefährtin etwas genauer und seine Augen weiteten sich leicht.
"Calliope? Sie hätte ich hier allerdings nicht erwartet", entgegnete er trocken.
Tobias stolperte wieder ins Zimmer. Er war halb angezogen und hatte eine offene Tasche in der Hand.
"Lilli, Liebes, du siehst ja, die Arbeit ruft. Ich weiss nicht, wie lange es dauert", sagte er entschuldigend und war schon wieder verschwunden.
"Sie sind schon länger hier?" fragte Jareth die Nymphe etwas pikiert.
"Ja, allerdings", erwiderte sie gelassen und zeigte ihm mit einer graziösen Bewegung einen Diamantring an ihrem Finger.
Jareth stöhnte und folgte Tobias.
"Bist du eigentlich verrückt? Dich mit einer Nymphe zu verloben? Als Zeitvertreib mag es ja noch angehen, aber mit so etwas verlobt man sich doch nicht", warf er seinem Schwager mit gedämpfter Stimme vor.
Tobias hörte damit auf, die verschiedensten Dinge in seine Arzttasche zu stopfen und sah Jareth an.
"Könnten wir die Diskussion über meinen Lebenswandel vielleicht später fortführen? Ich hatte deiner Miene vorhin entnommen, dass es bei Melanie um Leben und Tod geht, oder sollte sie sich vielleicht doch bloss den Fuss verstaucht haben?" fragte er gereizt.
"Mohocks", antwortete Jareth dumpf.
Tobias sog scharf die Luft ein und packte schneller.
Kurze Zeit später waren sie zurück im Schloss, wo Daniel sie im Esszimmer empfing.
"Darius ist schon drin und Telramon kommt gleich nach", gab er die Neuigkeiten weiter.
Jareth nickte und ging mit Tobias ins Nebenzimmer, wo Darius mit Hilfe von Sarah dabei war, die immer noch bewusstlose Melanie zu entkleiden. Tobias eilte sofort an das Krankenlager und Jareth zog seine Frau beiseite.
"Wo ist Colin?"
"Ich habe ihn in die Bibliothek geschickt", sagte sie leise, dann schluchzte sie plötzlich auf. "Oh, Jareth. Das ist alles so schrecklich. Kann es denn sein, dass er sie tatsächlich nie geliebt hat?"
Jareth schloss sie in seine Arme. "Es sieht fast so aus, doch ich fürchte, dies ist im Moment unsere kleinste Sorge." Er küsste sie zärtlich. "Reiss dich zusammen, ja? Den Kindern zuliebe", bat er sanft.
Sarah wischte sich die Augen und nickte langsam. In diesem Moment betrat auch Telramon das Zimmer.
"Braucht ihr uns noch?" fragte Jareth die drei besorgten Heilkünstler, doch alle winkten ab.
"Wir sind nebenan, wenn irgendetwas ist", fügte Jareth hinzu und führte seine Frau hinaus.

Im Esszimmer sassen Daniel, Lucille und Darlene und sahen ihre Eltern sorgenvoll an.
"Jetzt heisst es warten", sagte Jareth leise und setzte sich mit Sarah zu ihnen. Fast sofort verliess Darlene ihren Platz und schmiegte ihr tränennasses Gesicht eng an ihre Mutter.
Sarah streichelte besorgt über ihre wirren Haare und Jareth betrachtete beide nachdenklich.
"Wie lange weißt du schon, dass du hellsichtig bist?" fragte er seine Tochter schliesslich mit sanfter Stimme.
Darlene hob ihren Kopf kaum merklich. "Schon lange", wimmerte sie kläglich. "Aber wenn ich nicht daran gedacht habe, ging es immer wieder weg."
"Kannst du auch noch andere Sachen?" fragte Sarah.
Darlene nickte.
"Und du hast es uns nur nicht gesagt, weil du nicht auf diese Schule wolltest?" wollte Jareth wissen.
Darlene nickte wieder. "Ich will nicht weg von Euch", schluchzte sie leise.
"Dann musst du es auch nicht", flüsterte Sarah ihrer Tochter liebevoll zu.
Darlene sah ihre Eltern ungläubig an. "Versprochen?" fragte sie mit grossen Augen.
"Versprochen", antwortete Jareth und küsste sie leicht auf Schläfe.

"Mir scheint, es gibt in diesem Schloss zu viele Geheimnisse", bemerkte Sarah nach einer Weile. "Ich war wohl die einzige, die nichts von den wahren Gründen dieser Verlobung wusste. Wie lange hast du es denn schon gewusst?" fragte sie ihren Mann.
"Noch vor der Verlobung. Melanie hat sich mir anvertraut."
"Und da hast du mir nichts gesagt?" stiess Sarah entrüstet hervor.
"Ich habe Melanie versprochen, es niemandem zu sagen", erklärte er ruhig. "Nicht einmal dir."
Sarah seufzte, doch sie gab sich damit zufrieden.
Dann öffnete Tobias die Tür und schloss sie wieder behutsam hinter sich.
"Okay, es ist ihr soweit nichts Schlimmes passiert. Ein gebrochenes Handgelenk, ein paar Kratzer und Schürfwunden, 'ne Menge Prellungen, eine Fleischwunde am Arm und bei den Temperaturen natürlich eine handfeste Unterkühlung. Wir halten sie heute nacht noch bewusstlos, aber morgen müsste sie wieder ansprechbar sein."
"Gott sei Dank", hauchte Sarah erleichtert und auch die anderen seufzten leise und lehnten sich entspannter in ihren Stühlen zurück.
Tobias lächelte leicht und warf einen Blick auf die Uhr.
"Also, Leute. Es ist spät genug. Wir drei bleiben bei ihr und ihr geht jetzt schön brav zu Bett. Gute Nacht." Mit diesen Worten verschwand er wieder hinter der Tür.

Jareth stand auf und sah seine Frau an.
"Ich gehe noch zu Colin. Bringst du solange Darlene zu Bett? Ich komme dann gleich nach."
Sarah nickte müde und erschöpft, doch sie lächelte wieder. Dann stand auch sie auf und wandte sich an Lucille und Daniel.
"Kommt ihr Helden. Gehen wir schlafen", sagte sie liebevoll.
Kurz darauf betrat Jareth die Bibliothek, in der sein ältester Sohn mit geröteten Augen in einem der Sessel sass und beim Eintreten seines Vaters besorgt aufgesprungen war.
"Was ist mit ihr, Vater?" fragte er angstvoll, doch statt einer Antwort erhielt er zwei schallende Ohrfeigen.
Jareth hatte hart zugeschlagen und seine Hand brannte, doch nur eine Sekunde später schloss er seinen Sohn in eine erdrückende Umarmung, während sich seine Augen mit Tränen füllten.
"Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist", flüsterte er heiser und presste seinen Sohn noch enger an sich. Ein Zittern durchlief Colins Körper und Jareth spürte, dass sein Sohn lautlos weinte.
Jareth liess ihn weinen und hielt ihn weiter fest.
"Tobias hat sie untersucht", beruhigte er seinen Sohn. "Ihr ist nichts Schlimmes passiert und es geht ihr den Umständen entsprechend gut."
"Das ist alles meine Schuld", sagte Colin mit erstickter Stimme. "Danke, dass du mir wenigstens Gelegenheit gegeben hast, meinen Fehler wieder gut zu machen und sie selbst da raus zu holen."

Jareth sagte darauf erst einmal nichts, sondern drückte seinen Sohn behutsam zurück in den Sessel und gab ihm ein Taschentuch. Als Colin sich wieder halbwegs gefangen hatte, sprach Jareth wieder.
"Es ist nett von dir, mir eine derart edle Haltung zu unterstellen - es entspricht nur leider nicht der Wahrheit." Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, während sein Sohn überrascht zu ihm aufsah.
Jareth holte tief Luft. Was er seinem Sohn jetzt mitteilen wollte, war alles andere als einfach.
"Ich weiss nicht, ob ich in der Verfassung gewesen wäre, diesen Wald noch einmal zu betreten... das letzte Mal war vor ungefähr 20 Jahren und ich habe ihn mit der gleichen Absicht betreten, wie Melanie."
"Du wolltest dich... umbringen?" flüsterte Colin verstört. "Warum?"
"Auch aus dem gleichen Grund", antwortete Jareth dumpf. "Unerfüllte Liebe."
"Zu Mum?"
Jareth nickte. "Ich hatte Glück. Bei mir hatte die Geschichte ein Happy-End." Ein schmerzliches Lächeln huschte über sein Gesicht.
Es war eine Weile still zwischen Vater und Sohn und Jareth glaubte, eine Veränderung an Colin zu spüren. Nichts wirklich auffälliges, Kleinigkeiten bloss, die er sich vielleicht sogar nur einbildete. Aber hatte sich nicht etwas in Colins Haltung verändert? Ein anderer Ton, der in seiner Stimme mitschwang? Jareth rief sich seine Entschlossenheit ins Gedächtnis zurück, als er einige Stunden früher an diesem Abend verkündet hatte, er würde allein in den Wald der Mohocks gehen und sein Gesicht wurde weicher. War sein Sohn endlich dabei erwachsen zu werden?

"Melanie ist wundervoll, nicht wahr?" sagte Colin in die Stille hinein.
"Ja, das ist sie."
"Es ist wirklich alles meine Schuld... als ich heute Abend in ihr Zimmer kam und sie war nicht da und da lag nur dieser Zettel, dass sie..., dass sie..." seine Stimme brach und er schluckte. "Da habe ich erst gemerkt, wie viel sie mir bedeutet." Er unterbrach sich kurz, wischte sich über die Augen und fuhr dann fort. "Ich habe sie die ganze Zeit über als selbstverständlich hingenommen, weißt du? Sie war ja auch fast mein ganzes Leben lang in meiner Nähe, sie war einfach immer da - immer für mich da", ergänzte er mit belegter Stimme. "Schon als wir noch Kinder waren. Sie hat immer jeden Streich mitgemacht, obwohl man ihr das gar nicht zugetraut hat, so zierlich wie sie immer war - immer noch ist." Die glückliche Erinnerung erhellte für einige Sekunden seine Züge. "Jasmina hat mir mal etwas über Panzerglas erzählt und ich habe mir vorgestellt, dass Melanie wohl aus Panzerglas sein müsste... Sie wirkt wie zerbrechliches Kristall und ist doch unzerstörbar." Er seufzte. "Ich hätte es allerdings fast geschafft, sie zu zerbrechen." Ein verzweifelter Blick traf seinen Vater. "Glaubst du, sie wird mir jemals verzeihen?"
Jareth schüttelte bedauernd den Kopf.
"Diese Frage kann dir nur Melanie selbst beantworten. Aber vielleicht geht es ihr morgen schon wieder gut genug, dass du sie sehen kannst", versuchte er Colin aufzumuntern.
"Das wäre wundervoll", sagte er leise. "Ich habe ihr so vieles zu sagen."
Jareth legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter.
"Ich gehe jetzt zu Bett und du solltest das auch tun. Es ist niemandem geholfen, wenn du hier die ganze Nacht herumsitzt und grübelst."
"Ja, gleich. Ich möchte noch ein wenig hier bleiben. Das verstehst du doch?" Er sah zu seinem Vater auf und in diesem Moment wurde ein neues Band zwischen ihnen geknüpft. Sie waren nicht mehr nur Vater und Sohn, sondern auch zwei erwachsene Männer, von denen der jüngere gerade dabei war ähnliche Erfahrungen zu machen, die der ältere bereits hinter sich hatte.
Jareth nickte.
"Natürlich. Gute Nacht." Dann liess er seinen erwachsenen Sohn allein.
In der Zwischenzeit hatte Lucille gemeinsam mit ihrer Mutter Darlene zu Bett gebracht und war nun auf dem Weg in ihr eigenes Zimmer.
Sie betrat den dunklen Raum und schob die Tür hinter sich ins Schloss, als sie vor einem der Fenster einen dunklen Schatten bemerkte.
"Wie geht es Melanie?" sagte der Schatten und Lucille erkannte Torbens Stimme.
"Hier bist du!" stiess sie erleichtert hervor und presste eine Hand gegen ihre Brust um ihr klopfendes Herz zu beruhigen. "Wie kannst du mich nur so erschrecken!"
Er trat auf sie zu und nahm ihre Hände in seine.
"Das tut mir leid. Ich wollte dich natürlich nicht erschrecken."
"Ich habe mich schon gefragt, wohin du plötzlich verschwunden bist. Ich habe schon geglaubt, du wärst nach Hause gegangen."
"Wie hätte ich gehen können, solange ich keine Gewissheit hatte", entgegnete er mit mildem Vorwurf. "Sag' mir: geht es Melanie gut?"
"Ja, es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Onkel Tobias hat sie untersucht und er meinte, sie müsst morgen schon wieder ganz munter sein." Sie sah ihn nachdenklich an und schlug dann die Augen nieder.
"Torben, es tut mir so leid. Ich hätte mich in die ganze Angelegenheit nicht einmischen dürfen. Wenn ich dich nicht von Melanie ferngehalten hätte, dann hätte sie sich vielleicht doch in dich verliebt und das alles wäre nie passiert."
"Lucille, sieh mich an", sagte Torben da mit einem merkwürdigen Unterton in der Stimme und als Lucille seiner Bitte nicht gleich nachkam, legte er einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht leicht an.
"Ist dir eigentlich nie die Idee gekommen, dass ich schon vor einigen Wochen zu dem Schluss gekommen bin, dass ich Melanie gar nicht so sehr liebe, wie ich geglaubt hatte?"
Lucille zwinkerte verwirrt.
"Aber warum bist du dann die ganze Zeit trotzdem noch hierher gekommen, wenn nicht..."
"Nicht um Melanie zu besuchen, sondern dich", unterbrach er sie zärtlich.
"Mich?" hauchte Lucille ungläubig.
"Du darfst mich jetzt nicht für einen schlechten Menschen halten", bat Torben sie. "Als ich Melanie zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe, hat sie mich einfach bezaubert. Sie ist so sanft und zart und zerbrechlich und deinem Bruder ganz und gar ergeben. Ich musste leider feststellen, dass ich nur einer kurzfristigen, aber umso heftigeren Verblendung erlegen war."
"Ja, aber..."
"Was ich wirklich will, ist eine Frau, die keine Angst hat sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angehen. Eine Frau, die unbekümmert ihre Meinung sagt und keinen Schwierigkeiten aus dem Weg geht, sondern den Kampf mit ihnen aufnimmt. Eine Frau, die ohne Bedauern zugeben kann, dass sie einen Fehler gemacht hat. Eine Frau, die nicht perfekt ist und die sich einen Teufel darum schert... kurz: dich."

Lucilles Herz klopfte wieder wie verrückt und sie glaubte sich verhört zu haben. Tausend Worten lagen ihr auf der Zunge, die sie ihm für diese Frechheit an den Kopf werfen wollte, doch als sich ihr Mund öffnete, kam etwas ganz anderes heraus.
"Wirklich?" hauchte sie und sah ihn halb ungläubig, halb hoffnungsvoll an.
"Ja, ich habe mich in dich verliebt, Lucy. Und es ist mir verdammt ernst damit", sagte er sanft.
"Aber ich bin doch erst 15", wagte Lucille einzuwenden, doch gleichzeitig sah sie Torben verzückt an.
"Und ich bin 25", erwiderte Torben sanft. "Das bedeutet nichts anderes, als dass wir noch sehr viel Zeit haben. Wenn es sein muss, werde ich ewig auf dich warten. Sag' mir nur Eines: darf ich hoffen?"
Lucille konnte nicht anders. Sie seufzte. Dann nickte sie glücklich.
"Ich werde jetzt gehen", sagte Torben. "Glaubst du, es wäre verkehrt, wenn ich dich übermorgen besuchen würde?"
"Erst?" wisperte Lucille.
"Morgen?"
"Auf einen Spaziergang?"
"Um drei?"
"Um halb drei", verbesserte sie.
Er lachte leise. "Dann also um zwei." Er küsste sie leicht auf die Hände, dann verliess er sie.

Einen Moment blieb Lucille noch in der Dunkelheit stehen und starrte hingerissen auf ihre Hände, dann rannte sie aus ihrem Zimmer direkt zum Schlafzimmer ihrer Eltern.

Dort hatte Jareth gerade seiner Frau von seinem Gespräch mit Colin berichtet, als Lucille fast gleichzeitig mit ihrem Klopfen in das Zimmer stürmte.
"Oh, Mum", sprudelte sie hervor. "Ich muss dich etwas sehr Wichtiges fragen... oh, Dad, du bist auch schon da?"
Jareth und Sarah - die schon im Bett lag - wechselten einen kurzen Blick.
"Dann gehe ich eben ins Badezimmer", seufzte Jareth und zog sich zurück.
"Na, dann setz' dich mal", ermunterte Sarah ihre Tochter und klopfte einladend neben sich auf die Bettdecke.
Lucille hüpfte auf das Bett und kniete sich neben ihre Mutter.
"Wann warst du das erste Mal verliebt?" fragte Lucille aufgekratzt.
"Da war ich ungefähr so alt wie du jetzt bist", antwortete Sarah ahnungsvoll.
"Und es war für immer, nicht wahr?" bohrte Lucille weiter.
"Natürlich, denn ich hatte mich ja in euren Vater verliebt", erwiderte ihre Mutter.
"Und er war damals ja auch etwas älter als du?"
"Ja, aber das hatte nicht unbedingt etwas zu sagen, du weißt doch, dass wir hier anders altern als die Menschen auf der Erde."
"Aber er war älter", hackte Lucille hartnäckig nach.
"Sogar erheblich, würde ich sagen", gab Sarah schliesslich zu. "Warum fragst du?"
Doch Lucille lächelte nur auf eine weibliche Art, die sie noch nie an den Tag gelegt hatte und schüttelte den Kopf.
"Hat Torben sich dir endlich erklärt?" fragte Sarah dann sehr leise.
"Ja, das hat er", flüsterte Lucille glücklich und schenkte ihrer Mutter einen staunenden Blick. "Du hast es gewusst?"
"Ich hatte so etwas geahnt. Ich freue mich für dich, mein Schatz. Torben ist ein sehr netter junger Mann."
"Ja, nicht wahr", seufzte Lucille selig und stand vom Bett auf. "Gute Nacht, Mum."

Als Lucille das Zimmer verlassen hatte, steckt Jareth seinen Kopf aus dem Badezimmer heraus.
"Ist sie weg?" fragte er müde.
"Ja", bestätigte Sarah.
"Endlich", stöhnte er und liess sich erleichtert neben seiner Frau in die Kissen sinken. "Habe ich da eben richtig gehört? Torben macht unserer Tochter Lucille den Hof?"
Sarah setzte sich kerzengerade im Bett auf.
"Du hast gelauscht?" fragte sie empört.
Jareth zeigte sich unbeeindruckt.
"Was bleibt mir anderes übrig, nachdem wir erst heute festgestellt haben, dass es in diesem Schloss zu viele Geheimnisse gibt?"
Am nächsten Morgen teilte Tobias der Familie mit, dass Melanie bei Bewusstsein wäre und dass er gewillt wäre, Sarah einen Besuch zu erlauben.
Colin blickte bei dieser Ankündigung etwas unglücklich drein, doch er widersprach nicht, wie er es noch gestern zweifellos getan hätte.

Sarah nickte und folgte Tobias in das provisorische Krankenzimmer.
"Ich würde sie heute gerne in ihr eigenes Zimmer bringen lassen. Allerdings sollte der Transport möglichst erschütterungsfrei erfolgen. Könnte Jareth das irgendwie arrangieren?"
"Natürlich. Ich sage es ihm gleich nachher", erwiderte Sarah und trat an die Couch auf der Melanie lag.
Sie war sehr bleich und hatte die Augen geschlossen. An ihrem Handgelenk trug sie einen Gipsverband. Ein Pflaster klebte auf ihrer Stirn.
Sarah setzte sich auf einen Stuhl neben der Couch.
"Ach, Kleines", sagte sie leise. "Was hast du uns nur für Sorgen gemacht."
Melanie schlug langsam die Augen auf und versuchte ein Lächeln.
"Es tut mir leid", flüsterte sie schwach.
"Das muss es doch nicht", widersprach Sarah. "Mir tut es leid, dass du nicht genug Vertrauen zu mir hattest um mit deinen Sorgen zu mir zu kommen."
"Es war dumm von mir", sagte Melanie leise. "Aber ich dachte..."
"Das ist jetzt alles nicht so wichtig, Liebes", flüsterte Sarah zärtlich. "Wichtig ist, dass du wieder gesund wirst. Über alles andere machen wir uns später Sorgen. Einverstanden?"
Melanie nickte leicht.
"Draussen wartet noch jemand, der sich bei dir entschuldigen möchte", meinte Sarah.
"Colin?" fragte Melanie kaum hörbar.
"Ja."
Melanie antwortete ohne zu überlegen. "Ich will ihn nicht sehen", weigerte sich Melanie mit fester Stimme. "Nie wieder. Es ist vorbei. Ich habe meine Lektion gelernt."
Melanies Ruhe und Entschiedenheit in diesem Punkt beunruhigten Sarah.
"Aber Melanie, Liebes..."
"Nein, Tante Sarah. Ich will es nicht. Quäl' mich bitte nicht damit."
"Nein, natürlich nicht", versicherte Sarah sofort. "Wenn du dir sicher bist...."
Melanie nickte.
"Dann verspreche ich dir, dass er nicht in deine Nähe kommt."
Melanies Körper entspannte sich merklich.
"Danke", murmelte sie müde und schloss die Augen.
Sarah zog sich leise zurück.
Draussen wartete Colin schon ungeduldig, aber um Fassung bemüht auf Neuigkeiten.
"Und?" stiess er hervor, als seine Mutter wieder da war. "Was sagt sie? Wie geht es ihr? Darf ich zu ihr?"
"Mein lieber Junge", sagte Sarah bekümmert und schloss ihren Sohn in die Arme.
"Das klingt nicht gut", äusserte Colin beunruhigt und schob seine Mutter ein Stück von sich um ihr in die Augen zu sehen. "Was ist los."
Sarah fuhr sich über die feuchten Augen.
"Sie will dich nicht sehen."
Seine Augen zogen sich leicht zusammen.
"Du meinst... jetzt nicht... so lange es ihr noch nicht gut geht?"
Seine Mutter schüttelte betrübt den Kopf.
"Gar nicht?... Nie... wieder...?"
Sarah versuchte ihren Sohn zu trösten.
"Es tut mir leid, Colin. Aber du wirst es akzeptieren müssen. Du hast ihr wohl doch zu weh getan."
"Aber... sie muss mich doch wenigsten anhören... damit ich mich bei ihr entschuldigen kann..."
"Vielleicht fragst du sie in ein paar Tagen noch Mal, ob sie Colin sehen möchte", schlug Jareth vor, bekümmert über den Schmerz im Blick seines Sohnes.
"Nein, das werde ich nicht", erklärte Sarah entschlossen. "Ich habe in dieser Angelegenheit genug falsch gemacht und mir damit eine erhebliche Schuld aufgeladen. Wenn Melanie unseren Sohn sehen will, dann kann sie es uns mitteilen. Ich werde sie auf keinen Fall bedrängen."
Colin hatte insgeheim gehofft, dass die Zeit für ihn arbeiten würde, doch als auch nach einigen Wochen keine Änderung eingetreten war, liess ihn sein Gewissen und sein Herz keinen Schlaf mehr finden. Er war bei seinen Überlegungen mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem es ihm nur noch wichtig war, dass Melanie glücklich wurde und er wenigstens noch ein Mal in seinem Leben mit ihr sprechen wollte, um ihre Verzeihung zu erflehen. Mehr wollte er gar nicht.
Doch Melanie weigerte sich beharrlich ihn zu sehen, oder seine Briefe zu lesen, die seine mitleidigen Geschwister für ihn bei ihren Krankenbesuchen überbrachten. Jedes Mal brachten sie sie ungeöffnet wieder zurück. Colin versuchte mit seinem Vater darüber zu sprechen, doch auch er liess sich nicht erweichen und riet seinem Sohn einfach noch ein wenig zu warten. Er selbst habe auch einige Jahre auf Sarah warten müssen - es wäre ihm nicht leicht gefallen, doch es habe sich gelohnt.
Noch am selben Abend beschloss Colin, dass er am nächsten Morgen zum allerletzten Mal in seinem Leben ein elterliches Verbot übertreten würde.
Melanie hatte gerade fertig gefrühstückt und wartete nun darauf, dass Sarah oder eines der Mädchen kommen würde um das Tablett wieder abzuräumen, als sie eine Bewegung vor ihrem Fenster wahrnahm.
Überrascht sah sie hin und erkannte, dass ein junger Falke offenbar verzweifelt versuchte durch ihr geschlossenes Fenster zu fliegen.
Eigentlich hatte Tobias ihr noch nicht erlaubt aufzustehen, doch abgesehen von ihrer Hand fühlte sie sich frisch genug und das arme Tier benötigte offensichtlich Hilfe.
Sie überlegte nicht lange, sondern schlug die Bettdecke zurück und stolperte etwas steif und unbeholfen zu dem Fenster.
Sie liess den aufgeregten Vogel ins Zimmer flattern und schloss das Fenster eilig wieder.
"Brrr, draussen ist es immer noch so kalt." Sie drehte sich zu dem Falken um, der auf dem Boden sass und sie treuherzig ansah.
"Na, und was ist mit dir?" fragte sie den Falken. "War ein böser Habicht hinter dir her?"
Da schlug der Falke einige Male mit den Flügeln und verwandelte sich in Colin zurück, dem das schlechte Gewissen anzusehen war.
Melanie starrte ihn stumm und mit weitaufgerissenen Augen an.
"Melanie, ich weiss, dass du mich nicht sehen willst und ich hoffe ich habe dich nicht erschreckt, aber..." begann er verlegen. "Ich gehe auch gleich wieder und dann musst du mich nie wieder ertragen, aber vorher wollte ich dich um Verzeihung bitten."
"Um Verzeihung?" fragte Melanie leise.
"Ja, weil ich mich so schäbig zu dir benommen habe. Ich weiss, dass ich das nie wieder gut machen kann, aber es tut mir sehr leid und ich kann verstehen, dass du mich jetzt hasst. Ich bin nur so froh, dass dir nicht viel passiert ist, ich hätte mir das nie verziehen, wenn du..." er schluckte und konnte dann doch nicht weiter sprechen.
"Meinst du das wirklich?" fragte Melanie mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.
"Ja, und ich wollte dir noch sagen, dass ich dir Verlobung natürlich auflösen werde und..." er sah sie an und als er keinen Hass, sondern nur ungläubiges Staunen in ihrem Blick las wurde er mutiger und ging einen Schritt auf sie zu.
"Melanie", sagte er sanft. "Wirst du mir jemals verzeihen?"
"Ich weiss nicht..." äusserte sie zögernd, gerade so als ob sie noch auch etwas entscheidendes warten würde. Sollte er es wagen und ihr seine Gefühle...?
"Melanie, ich habe bis zu diesem schrecklichen Tag nicht begriffen, wie viel du mir bedeutest und wie wichtig deine Zuneigung für mich ist." Er ging einen weiteren Schritt auf sie zu, bis er nahe vor ihr stand. Sie wich nicht vor ihm zurück.
"Du warst immer für mich da und ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen. Ich habe dich nämlich sehr, sehr lieb", flüsterte er leise.
Sie sagte noch immer nichts, doch ihr Blick war weicher geworden.
"Ich habe hier noch ein Geschenk für dich... wenn du es willst..." er kramte kurz in seiner Hosentasche und zog dann eine kleine Schachtel heraus, die er öffnete und Melanie hinhielt. In der Schachtel lag eine Brosche. Ein seltsam glitzernder Stein war von einem filligranen, goldenen Ornament umrahmt.
"Der Verkäufer hat geschworen, es wäre ein Elfenstein", erläuterte Colin nervös. "Ich habe dir schon mal einen geschenkt, aber das weißt du wahrscheinlich nicht mehr."
Da sah Melanie wieder zu ihm auf und ihre Augen strahlten.
"Ich habe es nicht vergessen." Sie zog an einer schmalen Kette, die um ihren Hals hing und zeigte ihm den Anhänger, der unter ihrem Nachthemd zum Vorschein kam.
"Er war die ganze Zeit bei mir... so wie du", flüsterte sie zärtlich.
Colin nahm ihr Gesicht behutsam seine Hände und hob es ein wenig zu sich empor.
Dann küsste er sanft ihren lächelnden Mund.

Keiner von beiden bemerkte, dass sich die Tür geöffnet und wieder geschlossen hatte.
Draussen auf dem Gang standen Sarah und Jareth, die gerade unfreiwillig Zeuge dieser behutsamen Versöhnung geworden waren. Beide lächelten.
"Ich glaube, hier werden wir nicht mehr gebraucht", sagte Jareth erleichtert und ging mit seiner Frau in Richtung Thronsaal.
"Es scheint sich doch noch alles zum Guten zu wenden", äusserte Sarah während sie die Treppe hinunter gingen. "Melanie und Colin haben sich versöhnt, Lucille und Torben wissen vor lauter Verliebtheit nicht, wo ihnen der Kopf steht und Darlene ist einverstanden, dass Telramon ihr vorläufig Privatunterricht erteilt. Ich hoffe sehr, die nächste Katastrophe lässt noch eine Weile auf sich warten", schloss sie frohgemut.
Jareth räusperte sich und Sarah sah ihn fragend an.
"Ähm, Sarah... habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass Tobias sich mit der Nymphe Calliope verlobt hat?"
ENDE
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Halt! Noch nicht gleich wegklicken! Es kommt noch ein Epilog...

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